EINIGENDES UND TRENNENDES
Ende Oktober 2017 wurde der Notstandsparagraph 155 in Katalonien verhängt, die katalanische Regionalregierung abgesetzt und eine Art Sachwalter-Regierung unter Leitung der PP-Politikerin Soraya Saenz de Santamaria eingesetzt. Manche katalanischen Politiker flüchteten ins Ausland, andere wurden verhaftet, wieder andere gingen nach einer Art Treueeid auf die spanische Verfassung frei.
Die Unabhängigkeitsbestrebungen werden als eine Art Hoch- und Landesverrat betrachtet und die Justiz ist am Zug, um diese Art von Delikt zu untersuchen und zu bestrafen.
Die Wahlen am 21. Dezember erbrachten eine knappe parlamentarische Mehrheit für die Separatistenparteien. Seither streiten sich diese, wie sie wieder eine neue Regierung stellen könnten. Solange es hier zu keiner Einigung kommt, bleibt die Zwangsverwaltung durch Madrid.
1. Der spanische Staat: Justiz und Parteien
Erstens stellt schon diese Notstandsregierung ein Novum in der EU dar. In keinem EU-Staat wurde seit 1991 der Staatsnotstand ausgerufen, auch nicht für eine einzelne Region. Es ist also ein Präzedenzfall, der hier abläuft, und sicher von vielen Politikern genau beobachtet wird.
Es handelt sich um eine Art demokratiepolitisches Experiment: Die Verfahrensformen der Demokratie haben sich gegen ihren Grundlage – Verwaltung des Profitemachens und der Klassengesellschaft – gekehrt, und gar nicht dem Inhalt nach: Kommunismus wollten die Separatisten ja nicht einführen. Es wird um die Aufsicht, die Verwaltung des Geschäftemachens gestritten, und um die dabei entstehende Beute, wie bei zwei Mafia-Clans, die einander das Territorium streitig machen.
Es ist weiters ein Unding oder eine Art Quadratur des Kreises, mit Hilfe der Justiz die staatliche Einheit wiederherstellen zu wollen, weil diese einer funktionierenden Justiz vorangehen muß. Das Recht beruht schließlich auf einem durchgesetzten Gewaltmonopol.
Die Justiz betritt hier auch völliges Neuland. Bezeichnenderweise konzentriert sie sich bei ihren Ermittlungen aufs liebe Geld. Die widmungswidrige Verwendung öffentlicher Gelder rückt in ins Zentrum ihres Interesses. Hier erscheint es für die ermittelnden Staatsanwälte und Richter am einfachsten, strafbare Handlungen nachzuweisen. Aber auch so werden erstmals juristisch-demokratiepolitisch ganz neue Fragen aufgeworfen: Ist es zulässig oder strafbar, wenn mehrheitlich gewählte Bürgermeister aus ihrem Gemeindebudget Geld für den Prozess der Unabhängigkeit zur Verfügung stellen? Schließlich können sie behaupten, sie hätten von ihren Gemeindebürgern dafür das Mandat erhalten. Dann wären die betreffenden Geldsummen aber nicht „veruntreut“, sondern widmungsgemäß verwendet worden.
Schließlich ist auch eine andere Art von Einheit gefährdet. Die spanische Regierung droht zu stürzen. Schon bei den Wahlen 2015/2016 gelang das Erreichen einer Mehrheit nicht. Inzwischen ist die PP am Zerbröseln. In Katalonien erreichte sie 4% der Stimmen. Der Koalitionspartner wittert aufgrund der katalanischen Wahlen Morgenluft und meldet Regierungsanspruch an. Neuwahlen stehen vor der Tür. Bis heute konnte kein Budget für 2018 erstellt werden.
Jetzt rührt sich auch die Sozialistische Partei, um sich für diese Wahlen zu positionieren, da die katalanischen Wahlen auch für die Bundes-SP nichts Gutes verheißen. Sie bemüht sich, sich zu profilieren und gegen die Staatsbürger-Partei in Stellung zu bringen – mit äußerst dümmlichen Manövern, deren Mißerfolg absehbar ist.
Es ist also keine starke Hand in Sicht, die das Vertrauen in die Regierung wiederherstellen könnte – es sei denn, die Staatsbürger-Partei schafft es, Neuwahlen zu erzwingen, aus denen als Sieger hervorzugehen und dann das Ruder auch zu führen, das sie in die Hand bekommen könnte.
2. Die Separatisten
An den 3 Parteien, die für die Unabhängigkeit eintreten, läßt sich sehen, wie einerseits das Streben nach einer eigenen Nation alle Gegensätze ein Stück weit zudeckt, andererseits aber doch nicht. Die Partei der katalanischen Unternehmerschaft (PDeCat/JxCat) und die Volksfront-Kandidaten (CUP), die u.a. die Banken verstaatlichen wollen, eint wirklich nur der Wille zu einem eigenen Staat. Dazu kommt die Esquerra, die laut ihrem Parteiprogramm sehr ehrgeizige Pläne hat: Endlich die Monarchie abzuschütteln und Groß-Katalonien zu errichten.
In der jetzigen Situation, wo eine Einigung vonnöten wäre, um wieder eine agierende katalanische Regierung auf die Beine zu stellen, treten eher die Differenzen zutage. Man kann sich angesichts dessen gut vorstellen, was los wäre, würde Katalonien wirklich unabhängig.
Die PDeCat wollte zunächst ihren im Exil befindlichen Präsidenten einsetzen, um erstens seine Rechtmäßigkeit zu bekräftigen, und zweitens selbst die Regierung zu stellen. Die Esquerra wiederum hielt ihren eingesperrten Chef für eine bessere Visitenkarte und wollte es auch ausnützen, daß sie inzwischen den katalanischen Parlamentspräsidenten stellt. Sie schlug eine Kandidatin von sich vor, die dann der Parteichef Junqueras aus dem Gefängnis fernsteuern könnte. Das wollte wieder die PDeCat nicht, weil sie immerhin mit ein paar anderen Miniparteien zusammen 2 Mandate mehr als die Esquerra hat und die Macht selber in der Hand haben möchte. Dazu kommt noch die Komplikation, daß die exilierten Abgeordneten nicht mitstimmen dürfen.
Die Volksfront-Karikatur CUP hingegen hat sehr an Popularität verloren und will sich darüber in Position bringen, sich als Zünglein an der Waage besonders radikal zu geben …
Zusammenfassung:
Es kommen keine Mehrheiten zustande, der Notstandsparagraph wird verlängert, das Budget kommt nicht voran und die Parteienkonkurrenz behindert die Regierungsbildung und das Regieren überhaupt.
Auch in dieser letzteren Hinsicht ist Spanien eine Art Vorreiter in der EU.
Aber gleichzeitig hört man, Spanien käme in Sachen Wachstum voran, die Wirtschaft hätte sich erholt.
Geht Kapitalismus vielleicht ohne Regierung?
Wir werden sehen …
Kategorie: Recht und Gewalt
Das syrische Schlachtfeld – Fortsetzung
WER GEGEN WEN?
Eine Zeitlang sahen sich die Medien nolens volens zu dem Eingeständnis genötigt, daß dank des Eingreifens Russlands die Tage des IS in Syrien gezählt zu sein scheinen.
Aber der syrische Bürgerkrieg hat ja noch andere Akteure, und die halten die Sache spannend.
Die USA hat ihre Militärpräsenz in Syrien kräftig ausgebaut und zwar anscheinend die Dschihadisten fallen gelassen, aber sich in den „autonomen“ Kurdenbezirken breit gemacht.
Während hierzulande linke Sympathisanten die Selbstverwaltung in Rojava feiern, findet dieses soziale Experiment inzwischen unter einer Art Besatzung der US-Streitkräfte statt.
Die USA hat offensichtlich nie ihr Ziel einer Teilung Syriens aufgegeben. Als sich der IS und andere islamistische Gruppierungen entweder zusehends als Ärgernis für die US-Interessen erwiesen, oder als kriegerische Fraktion nicht bewährten – wozu natürlich auch Russlands militärische Präsenz beitrug – wurden die Kurden Nordsyriens zusätzlich wichtiger. Als nützliche Idioten für US-Präsenz und -Einmischung.
Zu der Kurdenfrage an sich sei auch noch an das in die Hose gegangene Referendum im Nordirak erinnert. Gegen alle Ratschläge aus den eigenen Reihen, und unmißverständliche Drohungen aus Bagdad und Teheran, ein unabhängiges Kurdengebiet im Nordirak nicht zuzulassen, zogen die Barzani-Partie und ihre Klientel das Referendum durch. Sie verließen sich dabei offensichtlich auf die zugesicherte Unterstützung Israels und auf das Wohlwollen der USA, das sie als gegeben voraussetzten.
Das führte zum Verlust Kirkuks und der angrenzenden Ölfelder an die schiitische Allianz und die irakische Armee, einer de-facto Aufhebung der Selbstverwaltung im Norden und einer ziemlich bösen Diskreditierung der Führungsclique um Barzani, die auch von der Türkei fallengelassen wurde.
Die Führung der syrischen Kurden, die sowieso starke Differenzen mit Barzani & Co. hatte, las zwar vielleicht die Zeichen an der Wand, verließ sich aber weiterhin auf den Schutzschirm der USA – gegen die Beschwerden aus Damaskus, und die Drohungen aus Ankara.
Der syrischen Regierung und ihren Verbündeten Russland und Iran können diese Abspaltungstendenzen eines Teiles des Staatsgebietes und das militärische Sich-Festsetzen der USA nicht recht sein, so viel ist klar. Solange es aber um den IS und um seine Liquidierung ging, wurde diese Problematik in die zweite Reihe verdrängt.
Der IS ist inzwischen großflächig geschlagen und hat auch jegliche finanzielle Unterstützung verloren. Weder Saudi-Arabien noch Katar noch die USA lassen mehr etwas springen, seit Mosul und Raqqa gefallen sind. Der IS hat sich durch seine Taten und Propaganda bei allen beteiligten Akteuren unmöglich gemacht und ist als Karte im Nahost-Spiel wertlos geworden. Seinen Kämpfern bleibt nichts anderes übrig, als sich neue Aufgabengebiete zu suchen und in eine der anderen Söldnertruppen in oder außerhalb Syriens einzutreten, die sich noch einer Unterstützung erfreuen – sei es aus den Golfstaaten, der USA oder der Türkei.
Die syrische Regierung und Vertreter Russlands haben die Kurden wiederholt aufgefordert, ihre Autonomie-Erklärung zurückzuziehen und sich ausdrücklich als Teil des syrischen Staatsgebietes zu definieren, mit Damaskus als politischem Zentrum. (Das impliziert natürlich auch im weiteren, daß die USA hinauszukomplimentieren gewesen wären.) Für diesen Fall wurde Afrin auch Waffenhilfe angeboten.
Das wurde von den kurdischen Vertretern abgelehnt.
Jetzt hat die Türkei, die keinen Kurdenstaat an ihrer Grenze will, mit dem Aufräumen der kurdischen Autonomie begonnen.
Die USA hat zwei Optionen: Entweder weiter mit den Kurden packeln und eine Konfrontation mit der Türkei in Kauf nehmen, was erstens ernsthafte Kriegshandlungen und zweitens das Ausscheiden der Türkei aus der NATO zur Folge haben könnte.
Oder aber die Kurden fallenzulassen und versuchen, das ganze Kurdengebiet samt US-Stützpunkten der Türkei anbieten, als Pufferzone oder gleich als neue Provinzen.
Es sieht so aus, als ob gerade letzteres in Washington erwogen wird:
USA wollen mit türkischer Armee kooperieren
USA will Kurden entwaffnen, die gegen die Türkei kämpfen
Fortsetzung der GSP-Kritik „Linken-Bashing“
DISKUSSION ZUR G 20-DEMO UND DEM DRUMHERUM
Ich habe die Autoren der Kritik aufgefordert, sich doch bitte auch an der Diskussion zu beteiligen, da es mir schwerfällt, eine Debatte zu führen, die ich nicht selber losgetreten habe.
Jetzt kommt also dieser Beitrag von ihnen:
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Stellungnahme zu einer aufgeregten „Diskussion“
Unsere Kritik am GSP-Artikel „Randale in Hamburg“ hat offenbar einige Aufregung und polemische Auseinandersetzungen hervorgerufen, die sich in einer Reihe von Beiträgen niedergeschlagen. Auf vieles können und wollen wir gar nicht eingehen – zumal „Nestor“ dankenswerterweise ja bereits einiges klargestellt hat. Die Stellungnahme von „Berthold Beimler“ allerdings erscheint uns einer Replik wert, weil sie zumindest versucht, sachlich zu sein und weil sie uns repräsentativ für das Denken vieler GSP-AnhängerInnen erscheint. Außerdem bezieht sich „Berthold Beimler“ im Unterschied zu den meisten Blog-Beiträgen immerhin auf unsere Kritik und auf den kritisierten Artikel. Aber wie?
1. B: „Bevor der Artikel diese Kritik des GSP inhaltlich überhaupt zur Kenntnis nimmt, stellt er klar, um was es sich seiner Meinung nach dabei handelt: „Linken-Bashing aus München“.
„Beimler“ beginnt mit einem falschen Rückschluss: Wenn die Überschrift den polemischen Gehalt des GSP-Artikels kennzeichnet, dann bedeutet das nicht, dass die Autoren den entsprechenden Text zuvor nicht wohlwollend gelesen haben.
2. B: „Dass Kritik an den falschen Vorstellungen der radikalen Linken zu ihrer Mobilisierung nach Hamburg nicht anders gemeint sein kann denn als ein Niedermachen der Demonstranten, ist dabei nicht dem Artikel entnommen, sondern vielmehr Unterstellung des Autors.“
Das Kritikpapier befasst sich nicht mit dem „Gemeinten“ der GSP-Redakteure, sondern mit dem Gesagten im Artikel. Und das ist – vielleicht allen frommen Absichten zum Trotz – nun mal keine sachliche Auseinandersetzung mit der Demo, ihrem Anlass, ihren Bedingungen und den Positionen der Teilnehmer. Der Artikel ist faktisch eine zielstrebige Abstraktion von alledem und eine Fokussierung auf einen anarchistischen Standpunkt, der fälschlich verallgemeinert und zum Grund der Eskalation umgedeutet wird.
3. Bei aller verständlichen Aufregung über eine bisher ungewohnte Kritik am GSP – es stimmt einfach nicht, dass Ordnungsamt, Polizei und Justiz Demonstranten am Versammlungsrecht unterscheiden bzw. „testen“: „Die konkrete Anwendung des Demonstrationsrechts gerät daher zum Test auf die staatstreue Gesinnung der Demonstrierenden; und so spielt der demonstrierte politische Standpunkt dann schon seine Rolle.“
Die Reihenfolge ist umgekehrt: Die genannten Instanzen unterscheiden die Demonstranten anhand von Zuordnung, Zugehörigkeit und Inhalt ihrer Kritik und wenden daraufhin das Versammlungsrecht als Mittel ihrer politischen Kalkulationen an!
4. Auch der energische Hinweis, den Artikel wirklich zu lesen, am besten zu „studieren“, macht ihn nicht besser. Der GSP unterlässt hier nämlich die zur Beurteilung des Hamburg-Sachverhaltes notwendige, analytische Trennung zwischen a) dem verfassungsmäßigen Grundrecht auf Versammlungsfreiheit, b) den allgemeinen Bestimmungen des Versammlungsrechts, c) der Rolle der Gerichte, d) der Beurteilung von Demos durch die Politik, e) dem Standpunkt und den Interessen von Polizei und Behörden und f) der Rolle der Medien. Stattdessen wird im GSP-Beitrag alles zu einem vermeintlich reibungslosen und einheitlichen Vorgehen erklärt, ganz so, als ob das erstaunliche Zusammenspiel der Instanzen nicht erklärungsbedürftig, sondern mit „Staat“ und „System“ hinreichend gekennzeichnet wäre! (Siehe dazu das Glossar innerhalb der ****-Trennzeichen. War als Kasten gedacht, das ist aber hier nicht hinzukriegen.)
5. Das von „Beimler“ ergänzte GSP-Zitat (S. 31) macht die kritisierten Fehler auch nicht wieder gut. Im Gegenteil: „(…)wo dagegen Demonstranten ihre grundsätzliche Ablehnung der herrschenden Politik hörbar machen wollen und – deswegen – von vornherein Ausschreitungen zu erwarten und zu unterbinden sind. Und wenn der Auftrag der Einsatzkräfte lautet, so ein gewichtiges Ereignis wie einen G20-Gipfel reibungslos über die Bühne zu bringen, dann reicht eben schon ein Schal vor dem Gesicht für hartes Durchgreifen.“ (S. 31)
Was soll im Zitat eigentlich genau gesagt werden? Wer ist hier das Subjekt? Wer erteilt hier Aufträge? Glaubt der GSP etwa selbst, dass bei jenen, die ihre grundsätzliche Ablehnung der herrschenden Politik hörbar machen wollen, mit Ausschreitungen auf Demos zu rechnen ist? Oder will er das als (falsche?) Unterstellung von Politik und Behörden oder vielleicht der Presse kennzeichnen? Hält die Redaktion selbst Schals und Sonnenbrillen für eine Störung des G-20-Gipfels, auf die es die Demonstranten abgesehen haben, oder will sie damit die zynische Rechtfertigung zur Zerschlagung einer gerichtlich immerhin genehmigten Großdemonstration durch die Polizei kennzeichnen?
Wie auch immer die zitierten Zeilen „gemeint“ sein mögen (wir sind kein Semantik-Seminar für GSP-Prosa) – wenn am Ende bei der Diagnose feststeht, dass die Demonstranten die Gewalt bekommen haben, die sie sichtbar machen wollten, so scheinen alle anderen Erwägungen, die in den schwer deutungsbedürftigen, d.h. weder eindeutigen noch selbst erklärenden Zeilen mitschwingen mögen, letztlich keine Rolle mehr zu spielen. Das ist schlecht.
6. B.: „»Ausbeutung, Abschottung und Verelendung« (sind) bekannt und deswegen tatsächlich »kein Grund für Gegnerschaft«“.
Hier findet eine Verwechslung statt. Wenn die G20 für sich die Verantwortung für die Welt reklamieren und sich darin feiern, die Demonstranten ihnen entgegenhalten, dass diese ihre Welt aber ganz schön ekelhaft aussieht, dann ist das keine Erklärung von Ökonomie und Politik einer imperialistischen Weltordnung zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Aber Grund genug für Gegnerschaft ist es allemal! Dass man für seine Gegnerschaft die richtige Erklärung braucht, um nicht ein weiteres Mal in den Sackgassen linker Politik zu landen, ist unbestritten. Und es ist auch unbestritten, dass viele TeilnehmerInnen der linksradikalen Demos ihre Gegnerschaft leider nur aus radikaler Enttäuschung über die Regierungen beziehen, die von einer Idealisierung der Prinzipien bürgerlicher Herrschaft und des bürgerlichen Rechts getragen ist. Das heißt aber noch lange nicht, dass der „moralische“ Protest gegen die Wirkungen von Kapitalismus, Staat und Imperialismus grundlos oder unbegründet ist. Auch teilen wir nicht die Ansicht, dass man erst das „Kapital“ – wir empfehlen die Lektüre – gelesen oder den bürgerlichen Staat „abgeleitet“ haben muss – auch das halten wir für nützlich –, um seinen Unmut über die herrschenden Verhältnisse zu artikulieren.
7. B: „Im Sinne dieser moralischen Überzeichnung, die sie als Motto für ihre Aktion gewählt haben, deutet der Demo-Aufruf auf extreme Brutalitäten des globalen Kapitalismus, die auch nach den Massstäben der bürgerlichen Gesellschaft als menschenunwürdig verurteilt sind: ertrinkende Flüchtlinge, ermordete Streikführer, Arbeitssklaven auf Abwrackwerften, Krieg, Folter, Diktatur etc.“
Sowohl „Beimler“ wie GSP schieben hier dem Zitat die „moralische Überzeichnung“ unter, die in ihm gar nicht enthalten ist. Das weckt schon Zweifel daran, ob den AutorInnen überhaupt ernsthaft daran gelegen ist, das Zitat treffend zu kritisieren oder ob sie sich doch lieber einen „Pappkameraden“ erfinden, damit sie besser treffen…
In unserer früheren Anmerkung hatten wir moniert, dass der politische Standpunkt der kritisierten „Welcome-to-hell“-Demo aus einem einzigen Zitat gewonnen wurde, das dann auch noch unvollständig und verstellend analysiert wurde. Wer sich über den Demoaufruf unbefangen und selbständig informieren und ein Urteil bilden will, der kann dies hier tun: Eines kann vorweg schon gesagt werden: Wie immer man das Dokument beurteilen mag, es handelt sich jedenfalls um eine ziemlich ausführliche Begründung der Gegnerschaft an der herrschenden Weltordnung und ihren Nutznießern, die im ausgewählten Zitat nicht angemessen gefasst wird!
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- Hier nochmal ein „Angebot zum Verständnis“ der Sache für GSP-Leser und Unbefangene:
Verfassung: Demonstrieren darf jeder – unter Achtung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und ohne Waffen. Darin ist eingeschlossen: Demonstrationen sind zum Appell an die wirklichen Machthaber in Politik und Ökonomie verurteilt, denn praktische Konsequenzen dürfen sie nicht erzwingen.
Politik: Sie beurteilt (mithilfe ihrer Ratgeber in Wissenschaft und Verfassungsschutz) den demonstrationswilligen Standpunkt nach seiner politischen Zugehörigkeit, seiner Verfassungstreue und seiner Kompatibilität mit der aktuellen Staatsraison. (Ein Beispiel: Demonstrieren gegen Atomkraftwerke ist nicht per se verfassungswidrig, wird in den 80er Jahren als Angriff auf die beschlossene Energiepolitik der BRD allerdings durchaus so behandelt. In Hamburg stand fest, dass die Demonstration der Linken/Gewerkschaften/Attac-ler geduldet bzw. erwünscht war, die der Linksradikalen nicht.)
Medien: Die Presse macht sich ihren Reim auf die anstehenden Ereignisse. Sie bespricht G20 einerseits ganz unter dem Gesichtspunkt eines national wichtigen Großereignisses, dem sie unbedingten Erfolg wünscht. Andererseits findet sie Protest gegen die jetzige Weltlage auch ein Stück weit berechtigt; vor allem, wenn der Protest als Apell zu mehr Verantwortung Deutschlands in der Welt zu deuten ist. Wiederum andererseits darf es natürlich keinesfalls zu Gewalttaten kommen – „Chaoten“, die nichts anderes wollen als „Krawall“ (so stilisiert man sich diese Leute ja schon ewig hin, um sie zu diskreditieren), haben in Hamburg nichts verloren. Entsprechend wird im Vorfeld des Gipfels bereits Stimmung gemacht.
Behörden: Die Hamburger Behörden wissen also, was ihre gewählten Chefs und die demokratische Öffentlichkeit von ihnen erwarten: Einen störungsfreien G20-Gipfel – und das in einer für ihre linke Szene bekannten Stadt. Dafür erklären sie schon im Vorfeld einen Großteil der Stadt für sakrosankt (Blaue Zone, 38 qkm der Innenstadt) – gesperrt für jeglichen Protestversuch. Sie lassen die linksradikale Demo, angemeldet aus dem Umfeld der Roten Flora, erst gar nicht zu, wegen zu befürchtender Krawalle. Sie untersagen Camps, wo die Demonstranten schlafen und sich versorgen wollen, als Infrastruktur von Gewalttaten.
Gerichte: In mehreren Klagerunden (bis hin zum Bundesverfassungsgericht!) erreichen die Demonstranten bei Gerichten eine teilweise Aufhebung der Verbote. „Welcome-to-hell“ darf demonstrieren, einige Camps dürfen (z.T. an anderen Orten) stattfinden. Hier kommen sich das Versammlungsrecht und die Anliegen der städtischen Behörden in die Quere – die Gerichte folgen jedenfalls nicht einfach dem Bedürfnis der Exekutive, den Radikalen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit grundsätzlich zu verweigern. Die Demo darf stattfinden.
Polizei: Am Ende liegt es bei der Polizei, wie sie mit der „Lage“ umgeht, zu der sie das Gericht verurteilt hat. Die Hamburger Polizei (verstärkt durch „erfahrene“ Kollegen aus Berlin, Frankfurt, Göttingen, München usw.) räumt jedenfalls bereits am 2. Juli das einen Tag zuvor vom Gericht ausdrücklich erlaubte Camp in Entenwerder (Rechtsgrundlage: eigene „Verfügung“) und schikaniert Besucher von anderen Camps. Akkreditierte Journalisten werden auf Basis einer interessanten Liste nicht zur Berichterstattung zugelassen. Die „Welcome-to-hell“-Demo am 6. Juli mit 12.000 TeilnehmerInnen wird nach 200 m mit Wasserwerfern, Tränengas und Schlagstöcken aufgelöst, während die Live-Reporter von N24 sich angesichts der bis dahin „entspannten Stimmung der Demo“ fragen, warum „die Situation“ so eskaliert. Und selbst dann dauert es noch relativ lange, bis tatsächlich die ersten DemonstrationsteilnehmerInnen ihrer Wut einen ohnmächtigen Ausdruck verleihen und Plastikstühle und -flaschen auf hochgerüstete Hundertschaften und ihr Kampfgerät werfen. Jedenfalls ist nun und für die nächsten Gipfel-Tage „die Gewalt“ da, die man ja schon im Vorfeld befürchtet hatte und die nur eine Antwort erlaubt: Hartes Vorgehen von Polizei und Justiz, nun endlich im Bunde gegen Gewalt und Chaos…
Resultat: In der Folge: Linken-Bashing auf allen Kanälen – das Innenminister und Polizei als Steilvorlage für Verbote, Hausdurchsuchungen, öffentliche Fahndung etc. nutzen. Insgesamt eine starke Lektion in Sachen Versammlungsfreiheit. Noch eine gewiss nicht unbeabsichtigte Folge: Ab- und Ausgrenzungsdebatten innerhalb der Linken. Konsequenzen für linke Demonstrationen in der Zukunft: Es wird „nach Hamburg“ noch einiges unangenehmer als bisher schon …
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Fazit:
Es ist bemerkenswert, dass der GSP das politisch Wichtige am Ereignis (siehe Text oben, innerhalb der ****-Trennzeichen.) geflissentlich übergeht. Es ist politisch bedenklich, dass er sich in der skizzierten Situation, in der die gewaltengeteilte Republik zum vereinten Linken-Bashing übergeht, die Autonomen vorknöpft. Wirklich ärgerlich wird es, wenn die GSP-„Erklärung“ der „Welcome-to-hell“-Demo sich von Fakten, Verlauf und Resultaten frei macht. Peinlich für einen Zirkel, der sich ja zumindest auf seine Sachlichkeit viel einbildet, wenn er so selektiv und mutwillig aus dem Demo-Aufruf zitiert und sich dann bei der Analyse nicht einmal am ausgewählten Zitat orientiert, nur um die Demonstration und ihr Anliegen als „selbstgenügsame und sellbstbezügliche“ Sache zu verurteilen. Das nennen wir Linken-Bashing aus München!