Pressespiegel El País, 1.2.: Zollkrieg

„TRUMP DROHT EINE ÄRA DER HANDELSKRIEGE UND ALLGEMEINER ZÖLLE AUSZULÖSEN

Die USA werden ab diesem Samstag Produkte aus Mexiko, Kanada und China mit Zöllen belegen. Ihr Präsident denkt jedoch darüber hinaus an Zölle auf bestimmte Sektoren, auch gegenüber der EU.

Am Freitag kündigte US-Präsident Donald Trump Pläne zur Einführung von Zöllen auf mehrere seiner wichtigsten Handelspartner an. Dieser Schritt droht eine Welle weiterer Maßnahmen auszulösen und eine Ära globaler Handelskriege einzuleiten. An diesem Samstag werden Zölle von 10 Prozent auf chinesische Waren und von 25 Prozent auf Produkte aus Mexiko und Kanada erhoben.“

Das ist insofern bemerkenswert, weil das seit 1994 bestehende Freihandelsabkommen NAFTA gerade unter Trumps 1. Amtszeit verlängert wurde.
Trump war damals schon unzufrieden damit, kündigte es aber nicht auf.
Die jetzigen Zollsätze kommen aber einem abrupten und einseitig verkündeten Ende dieser Freihandelszone gleich. Spontan, undiplomatisch, eben trumpmäßig.

„Die beiden Länder haben bereits angekündigt, mit ähnlichen Maßnahmen auf die Krise zu reagieren.“

Man wird sehen, wie sich das auf den Handel der beiden Staaten auswirkt. Sicher ist auf jeden Fall, daß die USA in beide Staaten ein Handelsbilanzdefizit aufweisen.

„Geplant sind aber auch sektorspezifische Abgaben auf Produkte wie Kupfer und Stahl sowie Zölle auf Produkte aus der EU.
Trump räumte zwar ein, dass seine Pläne zu »kurzfristigen Störungen« der Märkte führen würden, spielte die Folgen jedoch herunter. Die amerikanischen Bürger würden dafür Verständnis haben, sagte er in einer Erklärung aus dem Oval Office, anlässlich der Unterzeichnung der Ernennung des neuen Innenministers Doug Burgum.
Zölle, argumentierte er, würden den USA helfen, ihre Handelsdefizite zu reduzieren und »uns sehr reich und sehr stark machen.«
Als erste betroffen wären China, der große Rivale der USA, sowie Mexiko und Kanada, Washingtons Partner im US-Handelsabkommen T-MEC.“

Hier handelt es sich um NAFTA-2, bzw. die Fortsetzung des vorherigen Freihandelsabkommens.

„Auf die Frage, ob die beiden Nachbarländer und China durch Last-Minute-Maßnahmen die Einführung von Zöllen vermeiden könnten, antwortete der Republikaner mit einem klaren »Nein«.

Der neue Bewohner des Weißen Hauses“

– schon etwas frech von El País, den neuen PotUS als Bewohner des Weißen Hauses zu bezeichnen, als ob er dort gar nicht hingehören würde …

„rechtfertigt die Maßnahme damit, dass die drei bestraften Länder zur Fentanyl-Überflutung auf US-Gebiet beitragen, wo jährlich mehr als 100.000 Menschen an der Einnahme dieses Opioids sterben.
Er ist außerdem der Ansicht, dass Mexiko und Kanada keine ausreichenden Maßnahmen zur Kontrolle des illegalen Grenzübertritts von Migranten ergreifen und ungleiche Handelsbeziehungen mit ihrem Partner und Nachbarn aufrechterhalten.

Die Zollsätze, sagte er, »sind kein Verhandlungsinstrument.« Das ist reine Ökonomie. Mit allen 3 Ländern haben wir große Defizite. In einem Fall (China) versenden sie riesige Mengen Fentanyl, an denen jedes Jahr Hunderttausende Menschen sterben. In den anderen beiden Fällen (Mexiko und Kanada) ermöglichen sie die Einfuhr des Giftes in die USA, indem sie seiner Meinung nach keine ausreichenden Maßnahmen ergreifen, um das Gift an ihren jeweiligen Grenzen zu beschlagnahmen.“

Daß das Fentanyl über Mexiko in die USA kommt, ist bekannt, aber über Kanada?
Überhaupt wirkt die Gleichsetzung Mexikos und Kanadas seltsam.
Der Rücktritt Trudeaus scheint auch damit zu tun zu haben.
Aber natürlich, diese Freihandelsabkommen haben die Grenzkontrollen erschwert.

„Die 25-prozentigen Zölle gegen Kanada beinhalten eine mögliche Ausnahme: Auf Öl aus diesem Land könnte lediglich ein Zollsatz von 10 Prozent erhoben werden. Kanada ist der wichtigste ausländische Lieferant dieses Produkts, insbesondere in den Staaten des Mittleren Westens, und deckt 60 % der US-Rohölimporte ab.“

Hier fragt sich, ob Trump die Ölimporte von anderen Staaten beziehen möchte, was sie aus Transportgründen gegenüber den Nachbarstaaten auf jeden Fall verteuern wird. Außer, es gelingt, beim möglicherweise anvisierten Partner die Preise extrem zu drücken.
Venezuela?

„Trump hat zudem erklärt, er sei bereit, Zölle gegenüber den Ländern der EU, Washingtons wichtigsten Handelspartner, einzuheben, weil die Union die USA seiner Meinung nach schlecht behandelt habe. »Sie akzeptieren unsere Autos nicht, sie akzeptieren unsere landwirtschaftlichen Produkte nicht, sie akzeptieren fast nichts«, beschwerte er sich am Freitag. »Wir leiden unter einem riesigen Defizit gegenüber der EU. Deshalb werden wir gegenüber der EU etwas sehr Substanzielles in Angriff nehmen.“

Noch ist unklar, wann er mit der Einhebung von Zöllen auf europäische Produkte beginnen will.
Kurz zuvor hatte die Sprecherin des Weißen Hauses, Karoline Leavitt, bei ihrer regulären Pressekonferenz erklärt, der Präsident habe hierfür noch keinen Zeitplan. Leavitt wollte sich außerdem nicht dazu äußern, ob der US-Präsident allgemeine Abgaben für die gesamte EU in Erwägung zieht oder ob er dies von Land zu Land tun werde.“

Vielleicht nimmt er einzelne Staaten davon aus, z.B. Ungarn?
In jedem Fall hat er sicher eine „Teile und Herrsche!“-Zollpolitik vor.

„Der republikanische Präsident hat allerdings eine Frist im Auge: den 18. Februar, bis zu der er sektorale Zölle auf Öl und Gas einführen will. Für Stahl und Aluminium: »diesen oder nächsten Monat.« Gegen Kupfer »wird es länger dauern.« Auch Halbleiter und pharmazeutische Produkte sollen mit Einfuhrzöllen belegt werden.“

Das ist beachtlich, weil das sind Rohstoffe und Vorprodukte, die die US-Industrie braucht.
Damit soll offenbar ein Anreiz gesetzt werden, sie selbst herzustellen und nicht einfach von irgendwoher zu importieren.

„Trumps Warnungen, Zölle auf Waren aus Nachbarländern und Handelspartnern des T-MEC-Abkommens zu erheben, hatten amerikanische Unternehmen und Verbraucher vor der Möglichkeit eines drastischen Preisanstiegs für Produkte aller Art, von Avocados bis hin zu Benzin, Holz oder Fahrzeugkomponenten, gewarnt.
Durch die Verteuerung der Importe steigt letztlich der Endpreis für den Bürger.

Dies könnte eine Rückkehr der Inflation auslösen, jenem größten Problem, das den amerikanischen Verbrauchern während Joe Bidens Amtszeit zusetzte und das, obwohl es schließlich unter Kontrolle gebracht wurde, eine wesentliche Rolle bei der Wahlniederlage der Demokraten im vergangenen November spielte.“

Die durch den Ukraine-Krieg und die Sanktionen hervorgerufenen Preissteigerungen werden hier besprochen wie eine Art Ungetüm, das auftaucht und wieder verschwindet.
Weise Präsidenten können es mit Abrakadabra verscheuchen, ungeschickte wie Trump stehen ihm hilflos gegenüber …

„Trump hatte im Wahlkampf bereits am ersten Tag seiner Amtszeit preissenkende Maßnahmen versprochen.
Mexiko und Kanada haben angedeutet, dass sie, sollte Trump seine Drohungen wahr machen, eigene Initiativen zur Verzollung der Einfuhr amerikanischer Produkte ergreifen werden. »Wir haben eine Antwort vorbereitet. Eine feste, energische, aber vernünftige und sofortige Antwort. Das ist nicht, was wir wollen, aber wenn er weitermacht, werden wir auch handeln«, sagte der kanadische Premierminister Justin Trudeau am Freitag. »Ich werde nicht um den heißen Brei herumreden. Unserem Land stehen in den kommenden Tagen und Wochen schwierige Zeiten bevor«, fügte er im kanadischen Fernsehen hinzu.“

Das wird auch Preiserhöhungen zur Folge haben. Nur ist der kanadische Dollar dafür weniger gut vorbereitet als die Weltwährung.

„Ein Handelskrieg zwischen nordamerikanischen Ländern hätte nicht nur Konsequenzen für ihre jeweiligen Märkte, sondern auch für den Rest des Kontinents und der Welt. Der Handel zwischen den USA und Mexiko belief sich in den ersten elf Monaten des Jahres 2024 auf rund 776 Milliarden US-Dollar. Zwischen den USA und Kanada sind es 700 Milliarden. Ein Bericht des Peterson Institute for International Economics (PIIE) schätzt, dass 25-prozentige Zölle gegen Mexiko und Kanada das Wirtschaftswachstum verlangsamen und die Inflation in allen drei Ländern erhöhen werden. »Am Ende von Trumps zweiter Amtszeit würde das reale US-BIP um etwa 200 Milliarden Dollar niedriger ausfallen, als es ohne die Zölle gewesen wäre«, heißt es in der Studie.“

Wie völlig unhaltbare Prophezeiungen mit Zahlen und Graphiken untermauert werden und als wissenschaftliche Studie daherkommen – das sieht man an diesem Beispiel.

„Der US-Präsident hatte bereits im Wahlkampf mit der Drohung von Zöllen gegen seine Partner gedroht und auch schon vor seiner Amtseinführung derartige Abgaben versprochen. Angesichts der Bedrohung durch überteuerte Produkte hatten US-Unternehmen Notfallpläne entwickelt: Im Dezember nahmen die Produktimporte nach Angaben des Handelsministeriums dramatisch zu, offenbar in einem Versuch, Vorräte anzuhäufen, bevor die Zoll-Dekrete in Kraft treten.

Auch die Verbraucher versuchten, den steigenden Preisen zuvorzukommen. Offizielle Daten zeigen, dass es in jüngster Zeit zu einem deutlichen Anstieg der Käufe von Produkten wie Fernsehbildschirmen gekommen ist, bei denen Mexiko ein großer Exporteur ist.“

Fernseher sind eine Sache, aber wie sieht es mit wirklich unabdingbaren Gütern wie Lebensmitteln aus?
Wirklich haarig wird es, wenn die Fast-Food-Ketten ihre günstigen Zulieferer verlieren.

„Trump hatte im vergangenen November nach seinem Sieg bei den Präsidentschaftswahlen erstmals vorgeschlagen, Produkte aus Mexiko und Kanada mit Zöllen zu belegen. Er betonte dann, dass er sie an seinem ersten Tag im Amt genehmigen werde.
Angesichts dieser Bedrohung telefonierte die mexikanische Präsidentin Claudia Sheinbaum mit Trump. Der kanadische Premierminister Justin Trudeau reiste nach Mar-a-Lago, um ihn zu treffen, ein Schritt, der ihm im eigenen Land scharfe Kritik einbrachte.“

Daran sieht man, daß Mexiko nicht so sehr in Panik ist wie Kanada.

„Trotz der guten Worte über diese Gespräche hielt Trump auch nach seinem Amtsantritt als Präsident am 20. Januar an seiner Drohung fest. Er verschob die Maßnahme lediglich auf den 1. Februar.

Die Unsicherheit darüber, was am Samstag passieren würde, hielt die ganze Woche über an.
Am Mittwoch deutete Trumps Kandidat für das Amt des Handelsministers, Howard Lutnick, während seiner Anhörung an, dass Mexiko und Kanada bereits am Samstag Zölle auf ihre Produkte vermeiden könnten, wenn sie Maßnahmen gegen den Drogenhandel ergriffen.
Der Banker fügte allerdings hinzu, dass über weitere Zollrunden Ende März oder April entschieden werde.“

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Man sieht an diesen Maßnahmen, daß Trump den Freihandel und die offenen Grenzen als eine der Haupt-Ursachen des von ihm diagnostizierten Abstiegs Amerikas ansieht.
Man merkt hier die Zeitenwende: Was jahrzehntelang der Erfolgsweg der USA zu sein schien, wird jetzt als ihr Verderben betrachtet. Auf wirtschaftlichem Gebiet strebt Trump eine gewisse „splendid Isolation“ an.
Und man täusche sich nicht: Er steht mit seinen Ansichten nicht alleine.

Pressespiegel El País, 27.1.: Syrien und die Sanktionen

SYRIEN WILL DAS ENDE DER INTERNATIONALEN SANKTIONEN, UM EINEN NEUSTART EINZULEITEN“

Man fragt sich, warum die Sanktionen überhaupt noch bestehen?
Sie wurden schließlich gegen das „Regime“ von Baschar al-Assad erlassen, weil der mit seinen Gegnern gewaltsam verfahren ist.
Jetzt sind diese Gegner an der Macht – und dennoch sind die Sanktionen nach wie vor aufrecht.

Die 27 Staaten der EU untersuchen, wie die Hindernisse abgebaut werden können, die dem Land während des Regimes von Baschar al-Assad auferlegt wurden.“

Sehr seltsam. Was muß denn da „untersucht“ werden?
Waren die Sanktionen am Ende gar nicht wegen Assad verhängt worden?

Man muß sich allerdings auch daran erinnern, daß die als „Rebellen“ bezeichneten und schon allein damit unterstützenswerten Gegner Assads sich dann in Al-Kaida-Mitglieder und den Islamischen Staat verwandelten und sich nach einigen Videos über Ermordungen/Hinrichtungen in einen neuen Feind verwandelten.
Seltsamerweise wurde aber Assad dadurch kein „Guter“, sondern die Sanktionen blieben weiter aufrecht und betrafen dann alle Gegenden Syriens, ob die nun unter der Oberhoheit von Assad-nahen Truppen, kurdischen Milizen, dem IS oder weiterhin „Rebellen“ standen.
Jetzt werden diese einmal – offiziell gegen Assad verhängten – Sanktionen dazu verwendet, zu „überprüfen“, ob die jetzigen Machthaber nach der Pfeife der EU tanzen.
Für die unter türkischer Oberhoheit stehenden Gebiete– Afrin und Idlib – galten sie vermutlich nicht, weil die Türkei dorthin importiert, was sie will.
Bei der Provinz Idlib stellt sich aber sowieso schon die Frage, ob die jetzt Damaskus oder Ankara untersteht?

Soviel nur zur Einleitung.

„Die Schwerpunkte des wirtschaftlichen Neubeginns liegen auf Infrastruktur, Energie und dem Finanzsektor.

Anderthalb Monate, nachdem eine rasche Operation der Rebellen die über 5 Jahrzehnte währende Diktatur der Assad-Familie beendete, versucht das neue Syrien, einen weiteren – wenn auch nur teilweisen – politischen Sieg zu erringen: die Aufhebung der internationalen Sanktionen.
Am Montag erwägen die Außenminister der EU eine schrittweise Lockerung der Strafmaßnahmen, die nach der Gewalt bei den Protesten im März 2011 und dem darauffolgenden bewaffneten Konflikt gegen das Regime verhängt wurden.
Eine Debatte, die in Damaskus mit einiger Hoffnung verfolgt wird.“

Begreiflich.
Assad ist weg, Al-Schara hat sich eine Krawatte umgebunden, der HTS hat Kreide gefressen und versichert, es allen recht machen zu wollen.

„Wie die Chefin der europäischen Diplomatie, Kaja Kallas, bereits angekündigt hat, wird die Beseitigung dieser Hindernisse, die der syrischen Wirtschaft enormen Schaden zugefügt haben – steigende Preise, Engpässe, Energieknappheit und zunehmende Armut – direkt mit den Schritten verbunden sein, die die neue Regierung des arabischen Landes setzen wird.
Diese Regierung wird de facto vom erfahrenen Kämpfer Ahmed al-Schara geführt.
Die EU strebt einen »greifbaren« politischen Übergang an. Und zwar mit Sicherheitsgarantien und der Achtung der Grundrechte.“

Aha.
Die neue Regierung muß zeigen, daß sie den EU-Kriterien entspricht.
Die EU sieht also das völlig zerstörte und verelendete Syrien als eine Chance, ihr in der Welt schon sehr ramponiertes Image aufzubessern und dort sozusagen eine EU-Kolonie einzurichten.
Und da sind diese Sanktionen ein geeignetes Mittel, sich als Protektor und gleichzeitig Kontrolleur aufzuspielen.
Die EU-Macher stellen sich das so vor, daß sie nach dem Prinzip „Hahn auf – Hahn zu“ dort Dirigent spielen können (nachdem sie in Georgien abgeblitzt sind …)

„Diese Prämisse,“

– gemeint sind vermutlich diese oben erwähnten Sicherheitsgarantien und die Achtung der Grundrechte, was immer man sich darunter vorstellen mag –

„die auch von den USA, dem wichtigsten Sanktionsstaat Syriens, geteilt wird, ist nach mehr als 13 Jahren Krieg und nur 7 Wochen nach der Eroberung von Damaskus durch die Rebellen ziemlich komplex:
»Die USA und die EU betrachten Sanktionen als ein Mittel, mit dem sie Druck auf die syrische Übergangsregierung ausüben können, damit diese sich in Richtung eines inklusiveren und transparenteren politischen Systems bewegt«, sagt Steven Heydemann, Experte bei der Brookings Institution in Washington. »Das Problem«, fährt er fort, »besteht darin, dass die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Übergangs erheblich sinkt, wenn die neue Regierung den Syrern nicht zeigen kann, dass es ihnen besser geht.«

Eine Wirtschaft in Trümmern

Bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs war Syriens Wirtschaft mit der vieler Nachbarländer mehr als vergleichbar. Mit einem Pro-Kopf-Einkommen von knapp 3.000 Dollar (rund 2.858 Euro) lag es praktisch gleichauf mit Ägypten und Jordanien.“

Syrien lag aufgrund seiner Landwirtschaft, seines Handels und seiner Industrie weit vor Jordanien, das hier weit schlechtere Bedingungen vorfindet, und dem viel bevölkerungsreicheren Ägypten.
Abgesehen davon, daß das Pro-Kopf-Einkommen sowieso gleichgültig gegenüber den im Inneren eines Landes vorfindlichen Klassenverhältnissen und deshalb Einkommensunterschieden ist, wird hier einfach das BIP in die richtige Richtung gebogen, um die Zerstörung Syriens nicht ganz so schlimm aussehen zu lassen.

„Davon ist nach dem langen Konflikt und den zahlreichen internationalen Sanktionen nichts mehr übrig geblieben. Der Weltbank zufolge hat sich das BIP infolge dessen um 84 Prozent verringert.
Zwar waren von diesen Beschränkungen Grundgüter wie Nahrungsmittel und Medikamente ausdrücklich ausgenommen, doch erstreckten sie sich über die Einbeziehung des Energie- und Finanzsektors auf die gesamte Gesellschaft und alle Bereiche ihrer Wirtschaft.
»Ich glaube nicht, dass die Sanktionen einen großen Einfluss auf die Mitglieder des vorherigen Regimes hatten, aber sie hatten sicher einen auf die Alltagsrealität der Menschen«, sagt der Obere der Maristenbrüder in Aleppo, Georges Sabe. Alle eingehenden Spenden müssen auf ein Bankkonto im benachbarten Libanon eingehen und anschließend in bar über die Grenze transportiert werden. Dasselbe ist ihnen mit medizinischer Ausrüstung passiert.

„Auch wenn Medikamente und lebenswichtige Produkte technisch von den Sanktionen ausgenommen sind, wird ihr Import durch Bankbeschränkungen erheblich erschwert. »(Ausländische) Unternehmen fürchten, sekundären Sanktionen unterworfen zu werden oder Zahlungsschwierigkeiten zu bekommen, was zu Engpässen und überhöhten Preisen bei bestimmten Grundprodukten führt«, erklärt Baraa Khurfaan, Analyst beim Tahrir-Institut.
Wichtige Sektoren wie die Bau- und Energiebranche hätten aufgrund fehlender Investitionen und Hindernissen beim Import von Maschinen und Ersatzteilen mit Problemen zu kämpfen, sagt er. »Und all dies verzögert die Erholung, den Wiederaufbau und die Schaffung von Arbeitsplätzen.«

Zwar kann nicht die gesamte Schuld den Strafmaßnahmen der USA und ihrer Verbündeten zugeschrieben werden – die physische Zerstörung durch den Krieg hat tiefe Narben hinterlassen und 6 Millionen Menschen zur Flucht gezwungen –, doch sind die Sanktionen eine Schlüsselursache für den wirtschaftlichen Zusammenbruch.
Nach Angaben der UNO sind derzeit 70 Prozent der syrischen Bevölkerung auf humanitäre Hilfe angewiesen und 90 Prozent leben unterhalb der Armutsgrenze. Die Lebenshaltungskosten haben sich in nur drei Jahren verdreifacht.

Die Preise sinken zwar, sagt Sabe. So seien in den vergangenen Wochen mit der fortschreitenden Öffnung des Landes und den Treibstofflieferungen aus den Golfstaaten und der Türkei die Preise für Lebensmittel – die zum größten Teil aus dem Nachbarland reexportiert werden“

– dieser Begriff suggeriert, daß Lebensmittel aus syrischem Gebiet in die Türkei verschickt und von dort importiert werden, was natürlich deren Preise in die Höhe treibt –

 – billiger geworden.

Bei anderen Produkten und Utensilien ist das nicht der Fall. »Alles, was Nahrung ist, ist im Überfluss vorhanden.“

Man ergänze: für den, der sie bezahlen kann.
Weder unter Assad noch heute kennt Syrien etwas anderes als Marktwirtschaft.

„Und viele Produkte, die früher vom Regime verboten waren, wie etwa ausländische Kekse oder Erfrischungsgetränke, sind heute erhältlich.«“

Man merkt, daß die Syrer vor einer gewissen Art von ungesunden Lebensmitteln geschützt wurden und sich die entsprechende Industrie jetzt erfreut auf diesen endlich „erschlossenen“ Markt stürzt.

„In den Gebieten, die (früher) vom Regime kontrolliert wurden, sind die Preise gesunken«, sagt Jaser, ein junger Mann aus Aleppo.
In den Rebellengebieten hingegen – die bis zum endgültigen Sturz Assads viel besser versorgt waren als der Rest Syriens – seien die Preise gestiegen, sagt ein Bewohner von Azaz, der für eine humanitäre Organisation arbeitet.

Es gibt auch eine Mittelschicht, die versucht, sich durchzusetzen und auf beiden Seiten der Grenze zu agieren.“

Wenn, wie oben erwähnt, 90% der Syrer unter der Armutsgrenze leben, ist der Ausdruck „Mittelschicht“, der ohnenhin nicht sehr aussagekräftig ist, besonders unangebracht.

„Ahmed Kanjo, ein 34-jähriger Syrer aus Aleppo, der vor kurzem in sein Heimatland zurückgekehrt ist, nachdem er mehrere Jahre in der Türkei gelebt hatte, schreibt in einer Nachricht per Internet: »Bankgeschäfte sind verboten, das heißt, ich kann weder Überweisungen empfangen noch senden, noch Dienste, der eine elektronische Zahlung erfordern, in Anspruch nehmen – auch nicht solche einer Bildungsplattform. … Hinzu kommt ein Verbot des Kaufes von Treibstoff (???) und Sanktionen, die den Wiederaufbau verhindern«, fügt er hinzu.
»Dieser Prozess“ (der Aufhebung der finanziellen Sanktionen) „würde bedeuten, dass Tausende von Arbeitnehmern eine neue Beschäftigung finden werden, was der Wirtschaft einen deutlichen Anschub geben würde.«“

Der Mann hofft also auf eine Wiedergeburt des Banksektors, der inzwischen offenbar großflächig verschwunden ist.

„Neben der Entscheidung, die Brüssel trifft – Kallas‘ Team plant laut Reuters, die Beschränkungen »stufenweise« aufzuheben – bleibt abzuwarten, wie Donald Trump mit den von den USA verhängten Sanktionen umgehen wird.
Die USA waren schließlich diejenige Macht, die besonders stark gegen zwei Schlüsselsektoren in Assads Syrien einschritt: den Energie- und den Finanzsektor.

Aufgrund der Beschränkungen beim Ölverkauf ist die Produktion seit Kriegsbeginn drastisch zurückgegangen, von über 300.000 Barrel auf nur noch 40.000. Und internationale Überweisungen, darunter auch Überweisungen von Auswanderern, bleiben weiterhin ein Wunschtraum.“

Beim Öl gibt es aber ganz andere Probleme.
Ein Großteil der syrischen Ölproduktion im Osten des Landes ist in den Händen kurdischer Milizen und des US-Militärs. Diese Ölförderung geht sicher nicht in die obige Statistik ein.
Man müßte bei allen das Öl betreffenden Fragen einmal klären, wer zur Ölproduktion eigentlich Zugang bzw. die Hoheit darüber hat.
Würden die USA jedoch die Sanktionen aufheben, so würde der von ihnen betriebene und unterstützte Ölklau offensichtlich.

„Beide Sanktionsgruppen werden voraussichtlich als erstes fallen. Zwar ist das Volumen gegenwärtig bescheiden, doch würde die Rückkehr syrischen Rohöls auf den internationalen Markt Damaskus eine Ressourcenspritze bescheren, die es nötiger denn je braucht.“

Wie soll denn Damaskus-Syrien Öl exportieren? – wenn in den Damaskus unterstehenden Gebieten Öl importiert werden muß – wie aus den obigen Zahlen ersichtlich ist!
Syrisches Rohöl – eben aus den östlichen Gebieten Syriens – IST auf dem internationalen Markt, es ist jedoch nicht als syrisches deklariert, sondern als irakisches oder türkisches.
Man merkt, wie sich die Reporter von El País mit Interviews und Statistiken über die wirklich heiklen Fragen hinwegschwindeln.

„Im Finanzsektor würde eine Lockerung der Beschränkungen es Auswanderern erleichtern, Geld an Familie und Freunde zu schicken, und dem privaten Sektor würde es wieder möglich sein, in Syrien Geschäfte zu machen. An Interesse mangelt es nicht: Dutzende türkische Unternehmen und solche aus anderen Ländern der Region – viele davon Bauunternehmen – wollen dort wieder Geschäfte machen. »Das Ende der Sanktionen ist von entscheidender Bedeutung, um Banken und Unternehmen das Vertrauen zu geben, das sie brauchen, um sich am Wiederaufbau zu beteiligen«, sagt Heydemann.

Die Energie

»Diejenigen, die unter dem Assad-Regime gelebt haben, sind die wahren Helden«, sagte der syrische Ökonom Samir Aita, Präsident des Kreises arabischer Ökonomen, in einem E-Mail.
Wenngleich die Sanktionen weitreichende Auswirkungen hatten und zu Einkommenseinbußen der Bevölkerung führten, konzentriert sich Aita auf die Energieproblematik. »Sie (d.h., die Sanktionen) haben den Zugang zu Elektrizität beschränkt, die (in einigen Gebieten) immer noch auf eine Stunde von 12 beschränkt ist.“

Wie genau die Sanktionen als Pseudo-Subjekt jetzt zu den beschränkten Elektrizitätseinschaltungen geführt haben, bleibt im Dunkeln.

„Ähnliches passiert mit Benzin, das durch Schmuggel über die Türkei oder den Libanon ins Land kommt, aber zu internationalen Preisen, die sich viele nicht leisten können«, schreibt er.
Der Energiemangel – paradox in einem Land, das eigentlich ein Nettoexporteur von Rohöl sein sollte –“

– so wird der Umstand erwähnt, daß auch Syrien über Ölreserven verfügt.
Aber zwischen Ölreserven, Ölförderung und Ölexport liegen Welten – und in der allgegenwärtigen Welt der Marktwirtschaft vor allem: Kapital.
Man merkt jedoch an diesem komischen Herumgerede rund um das syrische Erdöl, daß verschiedene Akteure im Ausland gerne Zugriff darauf hätten.
Unter Assad waren das nämlich staatliche Firmen …
Die wichtigsten dieser Akteure sitzen in den USA – das syrische Öl soll auch offiziell in US-Hände geraten, das ist eine der Grundlagen der US-Sanktionen, so wie sich das Bild hier präsentiert.

„hatte einen Dominoeffekt auf andere Sektoren: die Landwirtschaft und Industrien wie die Pharmaindustrie, die einst relativ wettbewerbsfähig und auf den Export ausgerichtet waren.

Washington verhängte erstmals in den 1970er Jahren Wirtschaftssanktionen gegen Syrien. Eine Bestrafung, die Anfang der 2000er Jahre erweitert wurde. Die wirkliche Eskalation erfolgte jedoch erst 2011, als die meisten der Operationen der syrischen Zentralbank durch die USA blockiert wurden.
Aita ist der Ansicht, dass das US-Sanktionssystem gegen Syrien das »komplexeste« sei, das jemals eingeführt wurde. Ihre Beseitigung dürfte deshalb auch schwierig sein: Viele davon haben Gesetzesrang und bedürfen daher der Zustimmung des US-Kongresses und des Senats.

Anfang Januar genehmigte die Biden-Regierung einen – vorläufigen und sehr fragmentierten – Verzicht auf einige dieser Strafmaßnahmen, insbesondere im Energiesektor.
»Das war ein positiver Schritt«, bemerkt Heydemann (…), »aber die Sanktionen für Investitionen und Kredite blieben bestehen.«“

Warum wohl?

„Diese Maßnahmen machen es noch schwieriger, eine verheerende Wirtschaftskrise zu bewältigen und wichtige Infrastrukturen, etwa im Energiebereich, wieder aufzubauen.“

Bevor die HTS-Regierung die Ölförderung an US-Firmen verkauft, dürften die Samktionen bestehen bleiben …

Pressespiegel El País, 19.1.: Cyberkrieg

DER CYBERKRIEG ZWISCHEN DER UKRAINE UND RUSSLAND ESKALIERT PARALLEL ZUM MILITÄRISCHEN KONFLIKT

Das Kiewer Personenstandsregister brach am 19. Dezember aufgrund eines der schwerwiegendsten Hackerangriffe seit Beginn der Invasion zusammen – eine Art von Aktion, die im Jahr 2024 um fast 70% zunahm.

In einer der ersten Januarnächte ertönten in Kiew die Luftschutzsirenen, weil die Gefahr eines Angriffs durch russische Raketen erkannt wurde.
Es gibt keine Ecke in der ukrainischen Hauptstadt, die dem schrillen Lärm entgeht, aber in der Rezeption eines zentral gelegenen Hotels schlafen drei Neugeborene fest in ihren Kinderbetten. Sie merken nichts von den Sorgen ihrer Eltern, die dort ein Auge auf sie und das andere auf die Telegram-Benachrichtigungen ihres Handys zum Bombenalarm gerichtet haben. Der Alarm trieb sie aus ihren Zimmern und führte dazu, daß sie im Erdgeschoss des Hotels Zuflucht suchten. Aber sie sind nicht nur mögliche Opfer der Bomben: Diese 3 Babys, zwei davon Zwillinge, gehören zu den unzähligen Betroffenen eines unsichtbaren, aber sehr realen Konflikts, der parallel zur russischen … Bodeninvasion geführt wird: dem Cyberkrieg.

Wie werden 3 Neugeborene von einem Cyberkrieg betroffen? Sehr einfach. Sie können das Land nicht verlassen, da ihre Eintragung ins Personenstandsregister aufgrund eines Cyberangriffs verhindert wurde. Diese Kinder kamen durch Leihmutterschaft zur Welt, eine Praxis, die in Spanien und anderen Ländern verboten, in der Ukraine jedoch legal ist. Deshalb kommen dorthin Tausende von Paaren, die Kinder bekommen möchten.“

Der Krieg hat also das Leihmutter-Geschäft, das unter den Reisebeschränkungen während der Pandemie etwas gelitten hatte, praktisch nicht beeinträchtigt.
Man rekapituliere: In einem Staat, aus dem Millionen von Bürgern wegen Krieg, Bombardements und Einberufung geflüchtet sind, finden sich immer noch genug Frauen, die bereit sind, für Geld fremde Kinder auszutragen.
Nicht zu vergessen die Agenturen, die diese Leihmutterschaften vermitteln und bürokratisch abwickeln, – also Unternehmen westlichen Stils, die aus allem ein Geschäft machen.

„Unter ihnen sind die Eltern dieser 3 Kinder, die im vergangenen Dezember aus Portugal angereist waren, um ihre Kinder abzuholen.“

Früher war Spanien eines der Haupt-Kunden-Länder für diese Art von, hmmm, Geschäften.
Aber seit Spanien bürokratische Hindernisse für den Kinderimport aus der Ukraine erlassen hat, scheint die Nachfrage etwas zurückgegangen zu sein.
Die spanische Gesetzgebung stellte sich nämlich auf den Standpunkt, daß eine Praxis, die im Inland verboten ist, nicht durch Import umgangen werden kann.

„Laut Andrea, einer der Mütter, beträgt der Aufenthalt in Kiew etwa 4 Wochen. Das ist die Zeit, die man normalerweise braucht, um alle relevanten Dokumente fertigzustellen, wenn es keine Probleme gibt. Dieses Mal gibt es sie jedoch.
Am 19. Dezember wurde die Ukraine Opfer eines der bisher schwersten russischen Cyberangriffe auf die kritische Infrastruktur des Landes. Dies bestätigte Vizepremierministerin Olha Stefanischina am selben Tag: »Heute hat der größte externe Cyberangriff auf die Staatsarchive der Ukraine in jüngster Zeit stattgefunden«, schrieb Stefanischina auf Facebook. »Infolgedessen wurde die Arbeit der zentralen staatlichen Register, die der Zuständigkeit des ukrainischen Justizministeriums unterliegen, vorübergehend eingestellt.«
Ziel des Angriffs waren staatliche Aufzeichnungen des Justizministeriums, die wichtige Informationen über die Bürger enthalten, beispielsweise Geburts-, Sterbe-, Heirats- und Vermögensdaten, aber nicht nur das.
XakNet, die Hackergruppe, die die Verantwortung für den Angriff auf Telegram übernommen hat, meldet eine Liste mit bis zu 31 angegriffenen Datenbanken.

Der Cyberkrieg zwischen Russland und der Ukraine ist keine Kleinigkeit. Allein im Jahr 2024 stieg die Zahl der Cyberangriffe in der Ukraine im Vergleich zum Vorjahr um fast 70 % – sie erreichte 4.315 Vorfälle, verglichen mit 2.541 im Jahr 2023 – berichtete der staatliche Pressedienst für besondere Veröffentlichungen.“

„Die meisten Angriffe werden von prorussischen Gruppen wie No Name durchgeführt, wie aus Untersuchungen des CyberPeace Institute hervorgeht, einer in der Schweiz ansässigen Organisation, die gefährdeten Gemeinschaften kostenlose Unterstützung in Sachen Cybersicherheit bietet.
No Name etwa griff im vergangenen Juni die Tochtergesellschaft“ (von wem eigentlich?) „in Spanien an, die Leopard-Panzer für die Lieferung in die Ukraine repariert und erneuert.

Auf ukrainischer Seite ist der Hauptangreifer die sogenannte IT-Armee der Ukraine, ein vom Ministerium für digitale Transformation koordiniertes Hackernetzwerk, das seit Beginn der Invasion und bis September 2023 mehr als 300 Cyberangriffe auf russische Zivilorganisationen verübt hat.“

Die Ukraine scheint sich laut russischen Angaben auf Cyber-Betrug an russischen Bürgern zu spezialisieren. Die ukrainischen – staatlich organisierten – Hacker haben also eher kommerzielle Zielsetzungen.
Man erfährt hier nebenbei, daß es viele „Zivilorganisationen“ in Rußland zu geben scheint, die offenbar nicht in das westliche Bild passen.

„Stéphane Douguin, Exekutivdirektor des CyberPeace Institute, argumentiert, daß das Ausmaß dieses Parallelkrieges »massiv« sei und seine Folgen alle betreffen, nicht nur die Ukraine und Rußland: »Wenn es keinen physischen Krieg gäbe, würde dieser andere jeden Tag die Abendnachrichten einleiten«, betont er.

In den Jahren 2022 und 2023 verzeichnete seine Organisation mehr als 3.000 Angriffe, darunter einen auf das größte Mobilfunkunternehmen Kyivstar, der vor einem Jahr Millionen ukrainischer Nutzer ohne Mobilfunk- oder Internetdienst zurückließ. Sie haben aber auch Konsequenzen über die Grenzen des Konflikts hinaus: Am 24. Februar 2022 störte ein aus Russland stammender Hackerangriff den Zugang zum Breitband-Satelliteninternet.
Konkret wurden Modems deaktiviert, die mit dem Satellitennetzwerk KA-SAT der Viasat Inc. kommunizieren, das Zehntausenden von Menschen in der Ukraine und in Europa Internetzugang bietet. »In ganz Europa waren Windkraftanlagen außer Betrieb, allen voran das größte deutsche Energieunternehmen.«“

Scheint sich um Uniper gehandelt zu haben. Dieses Unternehmen war also nicht nur wegen seiner ausgebliebenen Gaslieferungen in Schwierigkeiten.

„»Mehr als 40.000 Abonnenten verschiedener Internetdienste in Deutschland, Frankreich, Ungarn, Griechenland, Italien und Polen waren ohne Empfang«, erklärt Douguin. »Sie greifen andere Länder aus geopolitischen Gründen an, weil diese Positionen teilen oder die Ukraine mit Munition oder humanitärer Hilfe unterstützen.«“

Da diese mit den angegriffenen ukrainischen Systemen vernetzt oder über Satellit verbunden sind, ist das natürlich relativ einfach.

„Für die Babys von Beatriz und Tereixa, die aus Datenschutzgründen ihre richtigen Namen nicht preisgeben, bedeutete dies, daß sie nicht registriert werden konnten. »Offiziell existieren sie nicht. Meiner wurde vor zwei Wochen geboren, aber er hat noch nicht einmal einen Namen«, sagt Beatriz und schaut ihren Sohn an, während sie darauf wartet, daß die Luftschutzsirene ertönt und sie in ihre Zimmer zurückkehren können.“

Die Verwendung der besitzanzeigenden Fürwörter „ihr“ Sohn und „meiner“ hat unter diesen Umständen einen wirklich eigenartigen Inhalt: Sie hat ihn nicht geboren, aber er gehört ihr. Das namenslose Baby verwandelt sich in ein Objekt mit klaren Besitzverhältnissen.

„Experten für Cybersicherheit kennen vier Angriffsarten: Eine davon ist der Diebstahl von Informationen, um sie gegen den Feind einzusetzen.
Ein anderes Ziel ist die Verbreitung von Propaganda, was zunehmend Anlass zur Sorge gibt.
Die dritte Art umfasst disruptive Angriffe, die darauf abzielen, die Funktionsfähigkeit von Systemen zu stören.
Und das Schlimmste sind jene, deren Zweck darin besteht, das System zu zerstören, um sicherzustellen, daß es nicht wieder in Gang gesetzt werden kann.

Ein Beispiel hierfür ist der Vorfall vom 19. Dezember, der die Arbeit der Standesämter für mehr als zwei Wochen ernsthaft unterbrach, so das Justizministerium.

Diese zwei Wochen waren für Regierungsbeamte die Hölle. Margaret Dzuba arbeitet in einem der Standesämter in Kiew und weist darauf hin, daß damals niemandem der Zugang verweigert wurde, die Personen die Informationen jedoch handschriftlich oder in einem Word-Dokument aufschreiben mussten. »Viele derjenigen, die zur Geburtenregistrierung kamen, gingen lieber wieder nach Hause, um erst wieder zu kommen, wenn das System repariert sei, weil dafür eine Frist von einem Monat gilt. Doch die Sterbedaten müssen innerhalb von drei Tagen registriert werden, deshalb konnten sie nicht warten«, erklärt sie.“

So soll offenbar verhindert werden, daß Todesfälle nicht registriert werden, damit Angehörige z.B. weiter eine Rente kassieren können.

„Wie viele Menschen von diesem Versäumnis betroffen sind, weiß Dzuba nicht, aber ihre Arbeit gibt ihr eine Vorstellung: »Seit dem 19. Dezember habe ich pro Tag etwa 20 Neugeborene registriert. Was die Todesfälle betrifft, so wissen wir statistisch gesehen, daß auf drei Todesfälle eine Geburt kommt, ich muss also ca. 60 Todesfälle eingetragen haben«, schätzt sie.“

Das alles wirft auch ein unvorteilhaftes Licht auf die demographische Gegenwart und Zukunft der Ukraine, wenn nicht nur auf 1 Neugeborenes 3 Todesfälle kommen, sondern auch die Neugeborenen zum Teil Exportware sind.

„Nun geht sie davon aus, daß sie jede Menge Überstunden machen muss, um die gesamte verspätete Arbeit in das Computersystem zu übertragen. »Und das System funktioniert, ja, aber sehr langsam, weil wir alle gleichzeitig damit anfangen mussten.«“

Alle Mitarbeiter dieses neuen bzw. wiederhergestellten Registrierungssystems mußten also von 1. Tag an ihre Daten-Staus aufarbeiten:

„Rada Daschutina, stellvertretende Leiterin des Staatlichen Amtes für die staatliche Registrierung von Personenstandsakten, führt das aus: »Vom 19. Dezember bis zum 4. Januar wurden in der gesamten Ukraine 35.000 Aufzeichnungen gemacht, die alle am 5. und 6. Januar 2019 in das staatliche Register eingetragen wurden,« sagte sie gegenüber EL PAÍS.
Eine der schlimmsten Folgen dieses jüngsten Angriffs ist der mögliche dauerhafte Verlust wichtiger Bürgerdaten, womit die Hacker, die die kriminelle Aktion begangen haben, prahlen, indem sie behaupten, sowohl die primären Datenbanken der Bürger als auch die Backups, die auf Servern in Polen gespeichert sind, heruntergeladen und gelöscht zu haben.“

Das heißt, daß diese heruntergeladenen Daten noch irgendwo im Besitz dieser Hacker sind …

„Denis Maliuska, der ehemalige Justizminister der Ukraine, erklärte gegenüber der Ukrainska Pravda jedoch, daß die Sicherungskopien verfügbar seien und die Daten bald wiederhergestellt würden.
Daschutina stimmt dem zu: »Das Unternehmen, das den Betrieb dieses Registers sicherstellt, hat sämtliche Informationen überprüft und es gibt keine Fälle, in denen Informationen verschwunden wären oder nicht ausreichend geschützt worden wären. Daher kann ich davon ausgehen, daß die Daten im Staatsregister denen vom 19. Dezember entsprechen«, sagt sie.

Doch die Beamtin Margaret Dzuba ist sich da nicht so sicher. Sie sagt, sie habe Fälle erlebt, in denen Informationen fehlten. Um dies zu beweisen, suchte sie auf ihrem eigenen Computer nach der Akte seines Vaters: Sie ist vollständig, mit Ausnahme der Nationalität und des Geburtsorts, deren entsprechende Felder leer erscheinen.“

Sehr bezeichnend, diese Lücken.
Die Nationalität – ob sich jemand als Russe, Ukrainer, Ungar oder sonst eine der vielen Minderheiten der Ukraine bezeichnet hat, ist bei ersteren wichtig, um mögliche Verräter, Spione oder sonstige unsicheren Bürger zu erkennen. Bei den anderen Minderheiten hingegen ist das Löschen dieser Daten eine Möglichkeit, die Minderheiten und deren Rechte überhaupt zu löschen.
Ähnlich verhält es sich mit dem Geburtsort, der ebenfalls – zusammen mit dem Namen – Aufschluß über die wahrscheinliche ethnische Zugehörigkeit gibt.
Das Datenleck deutet auf eine gewisse Zielsetzung hin und es muß gar nicht sein, daß es von den russischen Hackern stammt.
Es ist jedenfalls opportun, sich auf sie zu berufen …

„Die Beamtin verweist zudem auf weitere Fälle, die sie zuvor überprüft habe. »Ich weiß nicht, wie viele Menschen betroffen sein werden, aber mein Vater wird nicht der einzige in der Ukraine sein«, meint sie. Die Lösung … ist jedenfalls einfach: »Wenn ein Bürger im DIIA [dem virtuellen Bürgerservicebüro] feststellt, daß seine Daten unvollständig sind, muss er nur mit seinen Unterlagen zu derjenigen Meldestelle gehen, die seinem Wohnort am nächsten liegt und fordern, daß sie im System aktualisiert werden«, versichert sie.

Obwohl sich die ukrainischen Aufzeichnungen langsam wieder normalisieren, hat der Staatliche Dienst für Sonderkommunikation und Informationsschutz der Ukraine gewarnt, daß er bis 2025 mit weiteren Angriffen rechnet. Der Cyberspace wird weiterhin im Mittelpunkt eines wichtigen Krieges für Russland bei seinem Versuch stehen, die Situation in Ukraine zu destabilisieren. »Während eines Krieges sind die wertvollsten Informationen für den Feind Daten über die Pläne der ukrainischen Verteidigungskräfte, der Regierung und anderer Organisationen, die die Armee unterstützen«, erklärte diese Behörde.

Zivile Piraten in militärischen Konflikten

Hinter den Angriffen stecken vorwiegend Hacker, die Zivilisten sind. Tatsächlich hat das Internationale Komitee des Roten Kreuzes – ohne dabei die Ukraine oder Russland konkret zu erwähnen – auf die zunehmende Beteiligung ziviler Hacker an militärischen Konflikten hingewiesen. Laut der Organisation handelt es sich dabei um einen »beunruhigenden Trend«, der im Krieg die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilisten untergraben könnte.“

Als ob der in der modernen Kriegsführung eine Rolle spielen würde!
Natürlich, für diejenigen Personen, die immer auf der Suche nach vermeintlichen Kriegsverbrechen sind, ist diese Entwicklung „beunruhigend“.
Für die kriegsführenden Parteien hingegen heißt das, daß sie auf breite Unterstützung in der Zivilbevölkerung zählen können.

„Douguin argumentiert, daß es schwierig sei, die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Phänomene zu messen, da nicht viele Ressourcen für die Erfassung solcher Informationen zur Verfügung stünden. Und so wird im Hintergrund nicht genug getan, um diesen Krieg zu beenden, nicht einmal auf gesetzgeberischer Ebene.“

Es wird ja auch sonst nicht viel getan, um den Krieg in der Ukraine zu beenden.
Viele der dort beteiligten Parteien (Rußland, Ukraine, NATO, die beiden Koreas, aber auch China und andere BRICS-Staaten) sind sehr interessiert daran, auch im Cyberspace Angriff und Verteidigung zu studieren.

„»Wir haben keine ernsthafte internationale Reaktion erlebt, aber wir sehen Hacker, die öffentlich damit prahlen, überall auf der Welt Schaden angerichtet zu haben«, sagt er. »Es fehlt uns außerdem völlig an einem Abschreckungsrahmen, der eine internationale Zusammenarbeit sicherstellen würde, sodaß die Kosten eines Angriffs hoch genug sind, um jemanden, der Cybersoldat werden will, zweimal nachdenken zu lassen.«“

Der Mann lebt in Sachen „internationale Zusammenarbeit“ in einer Traumwelt. Im Cyberspace ist sich jeder Staat selbst der Nächste.

„Einen Monat nach dem Cyberangriff auf die Aufzeichnungen wohnen Beatriz und Tereixa immer noch in dem Hotel in Kiew und gehen jedes Mal, wenn die Luftschutzsirenen ertönen, mit ihren Babys im Schlepptau zur Rezeption. Die Anmeldung der Kinder konnte bereits erfolgen, die Beglaubigung der Unterlagen im Notariatsregister ist jedoch noch nicht erfolgt und man teilte ihnen mit, daß sie in der Ukraine noch mindestens zwei Wochen warten müssten. »Ich kann es kaum erwarten, nach Hause zu kommen und die Sirenen und Bombenanschläge zu vergessen«, seufzt Beatriz.“

Unerhört, wie schwierig es einem gemacht wird, sich ein Baby zu kaufen.
Diese Russen!