Eine Bilanz des Ukrainekriegs, 31. Oktober 2024

UNANGENEHME; ABER VORAUSSEHBARE ENTWICKLUNGEN

Voraussehbar nur für den, der nicht von Wunschdenken geleitet wird …

1. Die Lage in der Ukraine selbst

Seit 2023 rücken die russischen Truppen auf allen Frontabschnitten vor. Mit der Einnahme von Selidowe ist der Weg frei nach Pokrowsk. Auch an den anderen Frontabschnitten stehen die ukrainischen Truppen auf verlorenem Posten. Tschasow Jar, Sewersk, Kurachowe stehen kurz vor dem Fall. Damit überwinden die russischen Truppen die mit Bunkern ausgebaute ukrainische Verteidigungslinie und können ab da ziemlich ungehindert vorrücken. Mit dem Fall von Ugledar wurde auch im Süden eine wichtige Verteidigungsbastion überwunden.

Mit der ukrainischen Invasion nach Kursk wurde von ukrainischer Seite der Versuch unternommen, die bedrängten Frontabschnitte zu entlasten und gegenüber der NATO einen militärischen Erfolg vorzuweisen. Auf lange Sicht war das allerdings auch ein Schuß ins Knie, weil für diesen Schritt von anderen Frontabschnitten Truppen abgezogen werden mußten, die dort jetzt fehlen.
Die russische Armee läßt sich Zeit beim Bekämpfen der ukrainischen Truppen in Kursk, weil sie die dortigen ukrainischen Truppen binden und an der Rückkehr an andere Frontabschnitte hindern wollen.
Inzwischen wurden nordkoreanische Soldaten für diesen Frontabschnitt herbeigeholt.
Nordkorea ist nämlich sehr interessiert daran, seine Elitesoldaten einmal tatsächlich im Kampf auszuprobieren. Im Rahmen der neuen wiederbelebten Freundschaft mit Rußland gefällt ihnen die Möglichkeit, auch Südkorea damit zu drohen, daß sie über wirkliche Kampfmaschinen verfügen, die zu wahren Wundertaten fähig sind. Es ist sehr wahrscheinlich, daß bei der Rückeroberung der Provinz Kursk eine ziemliche Schlächterei unter den ukrainischen Truppen stattfinden wird. Was auch westliche Söldner betreffen könnte, die dort angeblich auch im Einsatz sind.

Mit dem Nachschub an Waffen schaut es auch schlecht aus. Niemand wollte die teuren Patriot-Systeme liefern, vor allem, nachdem die russische Armee 2 oder 3 von ihnen zerstört hat. Außerdem wurde mit einem dieser Systeme von ukrainischer Seite eine der wenigen F-16 abgeschossen, was sowohl das F-16-Experiment als auch die Patriot-Lieferungen ziemlich abrupt gestoppt hat. Die Ukraine erhält also inzwischen nur noch Munition, und auch die sehr begrenzt. Panzer erhält sie praktisch keine mehr.

Ebenso ist inzwischen auch in westliche Medien vorgedrungen, daß die Desertionen in der ukrainischen Armee zunehmen. In russischen Medien konnte man schon früher darüber lesen, daß die ukrainischen Zwangsrekrutierten, die auch inzwischen fast keine Ausbildung mehr erhalten, bei der ersten besten Gelegenheit abhauen, wenn sie nicht von ukrainischen, sogar ausländischen Soldaten daran gehindert werden.
Inzwischen kann man sogar in ukrainischen Publikationen über das Phänomen lesen – auch darüber, daß viele Soldaten vom Heimaturlaub nicht mehr an die Front zurückkehren, weil sie die Nase voll haben von der aussichtlosen Vaterlandverteidigung.
Dazu kommt, daß die sich Rekrutierungsabteilungen, die seit geraumer Zeit eine wahrhaftige Menschenjagd auf Wehrpflichtige unternehmen, wachsendem Widerstand gegenüber sehen. Auch darüber gibt es Berichte, daß von diesen Abteilungen immer mehr Leute abhauen.
Bisher war nämlich dieser Job gefragt: Erstens wurde man selbst nicht eingezogen, zweitens konnte man sich an denjenigen Zahlungen bereichern, mit denen die Wehrpflichtigen sich dem Wehrdienst entzogen. Inzwischen fragen sich jedoch die Mitglieder dieser Rekrutierungsabteilungen, was mit ihnen nach einem möglichen Sieg der russischen Armee geschieht?

2. Das internationale Panorama

Dort ist inzwischen einiges geschehen.

Erstens haben sich die meisten Staaten der Welt nicht den von den USA und der EU verhängten Sanktionen angeschlossen. Das hat von Anfang an, also seit Februar 2022, gezeigt, daß die NATO und der „Globale Westen“ nicht besonders populär sind.

Auch der Ausschluß Rußlands aus dem SWIFT-System hat sich nicht als Wunderwaffe erwiesen, sondern dazu geführt, daß andere Zahlungsformen entwickelt wurden. Am Ende vom Tag wird das ganze SWIFT-System dadurch entwertet und auf immer weniger Partner zurückgeschrumpft. Auch hier hat sich der Westen ins Knie geschossen und humpelt seither, weil immer mehr Geschäfte außerhalb dieses Systems getätigt werden.

Außerdem kommt das BRICS-System voran. Immer mehr Staaten wollen diesem Bündnis beitreten. Nur deshalb wird diesem Begehr von Seiten der BRICS-Staaten nicht entsprochen, weil die bisherigen Mitglieder daran arbeiten, dieses Bündnis erst überhaupt zu etablieren.
Die Vorstellung der multipolaren Welt, innerhalb derer das BRICS-System funktionieren könnte bzw. deren Grundlage es bilden sollte, will erst einmal auf solide Grundlagen gestellt werden.

Im Zuge dessen sollten wichtige Mitglieder, wie China und Indien, erst einmal ihre Gegensätze arrangieren. Grenzstreitigkeiten müssen begraben werden.
Im Falle des Iran stehen Fragen der Art an, wie die restlichen BRICS-Staaten zu den Angriffen Israels stehen. Heißt so ein Staatenbündnis auch, daß man einander militärisch beisteht? Oder genügen ökonomische Maßnahmen, wie eine wirtschaftliche Blockade?

Schließlich treten auch Staaten wie Nordkorea, Vietnam, Laos oder die Mongolei in den Vordergrund, um Rußlands und Chinas Interessen zu befördern. Sei es militärisch oder ökonomisch, um außerhalb des SWIFT-Systems Handel zu treiben und als Transit-Staat zu fungieren, sei es, um militärische Kooperation zu betreiben, oder um aus strategischen Lagen zu profitieren. Alte Völkerfreundschaften werden neu belebt und neue geschaffen, wie mit Sri Lanka oder Myanmar.
Alle diese Staaten eilen begierig in Richtung BRICS, um der Umarmung der USA oder des IWF zu entkommen. Sie haben also zunächst ein rein negatives Interesse.

Ein eigenes Kapitel ist Afrika, wo mehrere Staaten um die Vorherrschaft rittern. Südafrika, Ägypten, Algerien und Nigeria würden sich gerne als Führungsmacht bzw. wenigstens regionale Vormacht etablieren. Auf diesem Kontinent ist noch gar nichts entschieden, aber China und Rußland haben als neue Schutzmächte die Nase vorn.
Die Frage ist vor allem, wie weit die Marktwirtschaft dort der Motor der Entwicklung wird und inwiefern das Kreditsystem der chinesischen Schanghai-Entwicklungsbank die Regierungen der afrikanischen Staaten befriedigen wird.

Schließlich kommen hinzu die US-Wahlen. Sogar wenn Kamala Harris gewinnen sollte, wird angesichts des traurigen Bildes, das sich an der ukrainischen Front herauskristallisiert, die Unterstützung aus den USA bald aufhören. Es fehlt einfach die Perspektive für weitere Unterstützung.
Gewinnt Trump, so werden die USA recht geschwind aus dem schiefgegangenen Abenteuer Ukraine aussteigen.

In beiden Fällen muß die EU überlegen, wie sie weiter mit diesem Klotz am Bein umgehen will – noch mehr, wenn die russische Armee wirklich gewinnt.

Pressespiegel Moskovskij Komsomoljets, 2.9.: Neues aus der Welt außerhalb des SWIFT-Systems

„DIE KRYPTOBEZIEHUNGEN ZWISCHEN RUSSLAND UND CHINA SIND BEDROHT

Es gibt nur einen Ausweg: Tauschhandel

Am 1. September tritt das Mining-Gesetz in Kraft, das versuchsweise die Verwendung von in der Russischen Föderation hergestellten Kryptowährungen für internationale Zahlungen erlaubt. Bei der Abfassung des Gesetzes hatten die Juristen China im Auge, das aufgrund der Sanktionen Banküberweisungen nicht durchführen will.

Es scheint jedoch, daß die Situation mit Hilfe von Kryptowährungen nicht gelöst werden kann: Der Oberste Gerichtshof und die Oberste Staatsanwaltschaft der Volksrepublik China haben kürzlich die Verwendung virtueller Währungen zu einer »Methode der Geldwäsche« erklärt, und Verstöße mit bis zu 10 Jahren Gefängnis bedroht.“

China hat natürlich Bitcoin usw. im Auge, von denen es seine Geldhoheit bedroht sieht.
Außerdem fand eine Menge Bitcoin Mining in China statt, das jedoch irgendwann verboten wurde. China will diesen ganzen Krypto-Scheiß aus seinem Territorium draußen haben.

„Handelsprobleme mit China begannen Anfang 2024, nachdem die Regierung von Joe Biden chinesischen Finanzinstituten mit Sekundärsanktionen gedroht hatte.

Große Banken waren die ersten, die Zahlungen aus der Russischen Föderation einstellten, da für sie der Verlust des amerikanischen Marktes, wenn nicht gleich den Zusammenbruch, aber doch große Schwierigkeiten verursacht hätte.
Nach und nach schlossen sich ihnen jedoch kleine regionale Strukturen an, die es zuvor nicht so genau genommen hatten. Die Situation verbesserte sich auch nicht nach dem Besuch von Putin in China, bei dem die höchste aller möglichen Ebenen der Partnerschaft zwischen den beiden Ländern bekräftigt wurde. Auch die jüngsten Verhandlungen mit dem Vorsitzenden des Staatsrates der Volksrepublik China, Li Qiang, bei viele pompöse Worte über die von Tag zu Tag wachsende Völkerfreundschaft gesprochen wurden, brachte keinen Durchbruch.

Vertreter der russischen Wirtschaft behaupten, daß mittlerweile 98 % der chinesischen Banken eine Zusammenarbeit mit der Russischen Föderation verweigern. Die im Juni überwiesenen Zahlungen wurden nirgendwo gutgeschrieben, sind aber noch nicht angekommen. Darüber hinaus fordert China seit Anfang August die als Vermittler fungierenden Banken der VAE auf, keine Zahlungen für von russischen Gegenparteien gekaufte Geräte und elektronische Komponenten zu leisten. Der Grund ist in diesem Fall nicht finanzieller Natur, sondern hängt auch mit drohenden Sanktionen zusammen.

Der Kreml ist sich der Problematik bewußt, macht jedoch nicht Peking dafür verantwortlich. »Wir verfügen über ein mehr als solides Volumen an Handels- und Wirtschaftsbeziehungen. Bei solchen Mengen und einem solch unfreundlichen Umfeld treten notgedrungen Probleme auf. Aber die wirklich gute partnerschaftliche Atmosphäre unserer Beziehungen ermöglicht es uns, aktuelle Probleme sehr konstruktiv zu lösen und zu diskutieren«, sagte Dmitri Peskow kürzlich.
Offenbar erwartete die russische Seite eine Lösung des Problems der Abrechnung mit dem Ausland durch digitalen Währungen.

Am 1. September tritt in Russland ein Gesetz zum Krypto-Mining in Kraft, in dem sich einer der Artikel mit der Verwendung von Kryptowährungen im internationalen Handel befasst.“

Man fragt sich, was dieses Gesetz eigentlich reguliert?
Das „Krypto-Mining“ ist eine sehr energieintensiver Versuch, diesen virtuellen Währungen so etwas wie einen Wert zu verleihen – der durch Mathematik und Energie-Verbrauch sozusagen beglaubigt werden soll.
Was hat Rußland diesbezüglich vor? Will es auch Energie und Mathematik investieren, um eine glaubwürdige Kryptowährung hervorzubringen?
Das ganze Projekt bleibt rätselhaft, weil die Kryptowährungen sind ja ein Versuch, durch Schein-Wertschöpfung den staatlichen Währungen Konkurrenz zu machen.
Aber wenn ein Staat selber eine Kryptowährung schaffen will, wie geht er dann vor?

„Schon in der Vorbereitungsphase dieses Dokuments hieß es, daß die Verwendung von Kryptowährungen es ermöglichen werde, »den … Sanktionsdruck des Westens auszugleichen« und SWIFT und SPFS zu ersetzen, was »besonders wichtig sei im Zusammenhang mit der Ablehnung von sei Banken sogar aus befreundeten Ländern (lies: China), Zahlungen aus Russland zu akzeptieren.«

Ohne solche Mechanismen drohe der exportorientierten Wirtschaft eine »Zerstörung«, warnte der erste stellvertretende Chef der Zentralbank, Wladimir Tschistjuchin. Erinnern wir uns daran, daß sowohl die Zentralbank als auch das Finanzministerium früher glühende Gegner der Kryptowährung waren, aber wie man sagt: tempora mutantur e nos mutamur in illis (»Die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns mit ihnen« – lateinisch).“

Das alles, Wunschdenken hin und Notwendigkeiten her, löst weder das Problem, wie eigentlich eine Kryptowährung überhaupt geschaffen werden, und zweitens, wie die im internationalen Zahlungsverkehr eingesetzt werden soll.
Arbeitshypothese: Kryptowährungen und staatliche Akteure schließen einander aus.
(Eine andere Angelegenheit ist die Bemühung El Salvadors, bestehende Kryptowährungen für staatliche Zwecke einzusetzen. Auch dort sind die Erfolge spärlich.)

„Allerdings müssen ausländische Partner, die sekundäre, tertiäre und andere Sanktionen befürchten (und es besteht kein Zweifel, daß sie früher oder später folgen werden), noch von den offensichtlichen Vorteilen der Kryptowährung überzeugt werden, wie Vertreter russischer Finanzinstitute bekräftigen.

Und im Fall Chinas scheint dies nicht die einfachste Aufgabe zu sein. Im Himmlischen Imperium hatten sie nie eine Freude mit Kryptowährungen. Allerdings wurden Transaktionen, die beispielsweise über Hongkong abgewickelt wurden, bis vor kurzem nicht strafrechtlich verfolgt. (Bloomberg berichtete zuvor, daß russische Rohstoffunternehmen, die eine der bekannten Kryptowährungen verwenden, auf solche Zahlungen zurückgegriffen haben.)

Am 19. August verschärften jedoch der Oberste Volksgerichtshof und die Oberste Volksstaatsanwaltschaft der Volksrepublik China ihre Position und gaben bekannt, daß ab sofort die Verwendung digitaler Währungen und anderer virtueller Vermögenswerte »als Methode der Geldwäsche« betrachtet wird. Personen, die an solchen Operationen beteiligt sind, müssen mit bis zu 10 Jahren Gefängnis rechnen. Lagen die Kryptowährungen zuvor in einer »Grauzone«, gibt es laut Anwälten nun keinen Interpretationsspielraum mehr. Und da in China alles, was in der digitalen Welt passiert, vom Staat sorgfältig überwacht wird, ist es besser, nicht einmal nach Schlupflöchern zu suchen. Sie können für immer einen »schwarzen Fleck« bekommen.“

China sieht offensichtlich die Kryptowährungen als eine Bedrohung seiner Finanzhoheit und als ein Schlupfloch für Kriminalität an.

„Wenn Bankzahlungen eingestellt wurden und Zahlungen in Kryptowährungen für alle Parteien mit großen Problemen verbunden sind, wie soll dann der Handel abgewickelt werden?
Experten sagen allen Ernstes: durch Tauschhandel. Für diejenigen, die dieses Wort aus der frühneuzeitlichen Geschichte der Russischen Föderation vergessen haben, erinnern wir Sie daran: Dies ist, wenn man für ein Fass Öl eine Tüte Getreide oder für einen Karren Kohle eine Kiste Chips gibt.
Die Frage ist, wie man äquivalente Volumina von beiden finden kann. Und brauchen Ölverkäufer tatsächlich Getreide? Natürlich ist es möglich, Vermittlungsstrukturen zu schaffen, die in China nach Waren suchen, mit den Chinesen darüber verhandeln, was sie wirklich von der Russischen Föderation benötigen, die entsprechenden Einkäufe tätigen und einen Umtausch durchführen.

Dies sind jedoch sehr komplexe Systeme und hohe Kosten. Das bedeutet, daß die Waren, die aus China nach Russland kommen – und das ist eine riesige Bandbreite von Bohrinseln bis hin zu Schulmäppchen – noch einmal deutlich teurer werden.“

Einmal sehen, ob sich nicht doch andere Modalitäten finden, aber die werden dann nicht mehr im MK veröffentlicht.
Z.B. ein neues vermittelndes Land, dessen Banken keine Sanktionen fürchten müssen.
Oder aber, das Ganze ist ein Versuch, von anderen Zahlungsformen abzulenken.

Pressespiegel El País, 23.8.: Neues aus dem sinkenden Schiff EU

„DER MANGEL AN ÖFFENTLICHEN INVESTITIONEN IN DEUTSCHLAND BELASTET DIE WIRTSCHAFT UND BREMST DIE EU“

Ein interessanter Titel. Die Autoren des Artikels bestätigen damit indirekt, daß das Wachstum in der EU seit geraumer Zeit kreditfinanziert ist. D.h., viele Gewinne werden nur gemacht, weil die öffentliche Hand als Käufer dasteht. Und diese verschafft sich ihre Zahlungsfähigkeit über die Aufnahme von Schulden. Die Kreditwürdigkeit eines Staates liegt aber nicht zuletzt daran, daß er ein Wachstum vorweisen kann, das diese Kredite in den Augen der Kreditgeber rechtfertigt. Eine Spirale, die sich vermutlich nicht ewig fortsetzen läßt.

„Der private Konsum zieht trotz steigender Löhne nicht an.“

Was auch kein Wunder ist. Den steigenden Löhnen stehen ja auch steigende Preise gegenüber. Real werden die Empfänger aus unselbständigen Einkommen immer ärmer, trotz vergleichsweise hoher Lohnabschlüsse.
In dieser volkswirtschaftlichen Phrase, so wie sie dasteht, wird jedoch den Konsumenten vorgeworfen, gemeinerweise kaufen sie nicht genug, obwohl sie eh Geld unter der Matratze hätten, und deshalb geht die Wirtschaft den Bach hinunter.

„Der europäische Motor hat ein Wettbewerbsproblem. Die aggressive Strategie des chinesischen verarbeitenden Gewerbes trifft am stärksten Berlin, dessen Exporte schwächer werden.
Deutschland wird von der Lokomotive der europäischen Wirtschaft fast zum letzten Waggon des Zuges.“

In dieser Deutlichkeit liest man das in deutschsprachigen Blättern kaum …

„Seit fast zwei Jahren stagniert Deutschland – oder besser gesagt, seine Wirtschaft schrumpft. Es steckt zwischen mehreren Strukturveränderungen und Krisen, die es auf dem falschen Fuß erwischt haben, etwa dem durch Zwang entstanden Notwendigkeit, auf russisches Gas zu verzichten, oder der geringeren Nachfrage Chinas nach in Deutschland hergestellten Produkten.
Beides belastet den wichtigen Industriesektor. Hinzu kommt ein endemischer Mangel an öffentlichen Investitionen, der sich beispielsweise in den Daten und Prognosen der Europäischen Kommission zeigt, in denen der europäische Riese“

– das ist wohl etwas übertrieben, um die Wichtigkeit Deutschlands darzustellen, oder es als ebenbürtig zu China darzustellen –

„2023, 2024 und 2025 tatsächlich mehr als einen halben Punkt des BIP hinter dem EU-Durchschnitt liegt.

Daß Deutschland schwächelt ist, ist keine gute Nachricht für die übrigen Länder der EU und der Eurozone, auch wenn es Politiker gibt, die sich angesichts der Wirtschaftsdaten von Eurostat in Prahlereien ergehen: »Wir sind besser als alle großen EU-Länder und wir schlagen die Deutschen«, schrieb der polnische Premierminister Donald Tusk im sozialen Netzwerk X. Sein Land hat natürlich eine spektakuläre Zahl erreicht. Polens BIP wuchs im zweiten Quartal dieses Jahres um 1,5%. Auch die Niederlande hatten einen sehr guten Wert, sie stiegen um 1 %. Spanien ist das andere Land mit einer großen Wirtschaft, mit einem deutlichen Anstieg zwischen April und Juni, 0,8 %.“

Es ist schon beachtlich, was für bescheidenes Wachstum inzwischen als „spektakulär“ gilt und zu großen Prahlereien und Nationalstolz führt.
Man erkennt an diesen Zahlen, wie schlecht es um die EU als Ganzes aussieht und wie sich das auch auf ihre Kreditfähigkeit schlägt, weshalb die EZB nicht so recht mit den Zinsen heruntergehen kann.

„»Die deutsche Stagnation zieht die gesamte Eurozone in den Abgrund. Das zeigt sich besonders deutlich an Orten wie der Tschechischen Republik, die stark an deutsche Lieferketten gebunden sind«, erklärt Sander Tordoir, Chefökonom des Think Tanks Centre for European Reform (CER), der sich auf die Rolle Deutschlands in der EU spezialisiert hat (…) »Dauerhafte Stagnation und die vorgegebenen Sparmaßnahmen“ (gemeint ist vermutlich die Sparbremse) „in Deutschland bremsen das Wachstum in allen anderen Ländern.«“

Diese hier sozusagen als Automatismus vorgeführte Sparbremse gilt natürlich nicht für die Sondervermögen und sonstigen Budget-Tricks, mit denen Deutschland seine Aufrüstung und die Unterstützung der Ukraine in Form von Waffen- und Geldgeschenken finanziert.
Während Kritiker der Aufrüstung gerne die geringen Aufwendungen ins „Soziale“ im Auge haben, so zeigt sich hier die weitaus härtere Wahrheit – daß verstärktes Waffengerassel in schweren Zeiten die Wirtschaft nach unten zieht, weil es sich um Ausgaben handelt, die keinerlei positiven Effekte auf die restlichen Wirtschaftszweige haben.

„Die Wirtschaft der Industriemacht schrumpfte im zweiten Quartal, zur Überraschung der meisten Experten und Wirtschaftsinstitute, die mit Stagnation oder leichtem Wachstum rechneten. Die deutsche Schwäche wird chronisch. Seit dem Frühjahr 2022 schwanke das Wirtschaftswachstum leicht über und unter Null und eine große Verbesserung sei im dritten Quartal dieses Jahres nicht zu erwarten, sagt Klaus Wohlrabe, Umfrageleiter beim Ifo-Konjunkturinstitut. »Die deutsche Wirtschaft steckt in der Krise fest«, sagt er.

Dazu trage der Mangel an Investitionen bei, sagt Tordoir: »Die deutsche Wirtschaft hat das Potential, neue Unternehmen und Märkte zu schaffen, aber dieser Prozeß wird durch eine verschlechterte Infrastruktur,“

– Ergebnis von vielen Jahren Sparen am falschen Platz. Die Infrastruktur gehört zu den faux frais, den toten Kosten des Kapitals, die der Staat zur Verfügung stellen muß, damit die Sache flutscht. Im Zuge der Privatisierung und Sparpolitik (Stichwort „schwäbische Hausfrau“) ist Deutschland in Sachen Infrastruktur – Straßen, Eisenbahn, Internet-Verbindungen – wirklich weit nach hinten gerutscht im EU-Durchschnitt und scheint sich GB zum Vorbild genommen zu haben –

„Versäumnissen bei der Digitalisierung, zu viel Bürokratie und langsame Kapitalmärkte gebremst.«“

Ein Sammelsurium aus Mängeln, wo man sich fragt, worin dann eigentlich das Potential besteht?

„Dies bremst die Dynamik und den Umsatz der Unternehmen. Ein Beispiel: Von den 40 im deutschen DAX gelisteten Blue-Chip-Unternehmen haben 23 ihren Ursprung im 19. Jahrhundert oder früher, nur zwei wurden in diesem Jahrhundert gegründet.“

Das mag zwar etwas übertrieben sein, zeigt aber, daß lange Tradition bei Fertigungsindustrie nicht unbedingt einen Wettbewerbsvorteil verschafft.

„»Das ist der bleibende Schaden des absoluten Mangels an öffentlichen Investitionen oder Reformen in den letzten 15 Jahren.« Der Forscher berechnet beispielsweise, dass das Eisenbahnnetz bis 2027 eine Investitionsspritze von 45 Milliarden Euro benötigt, und beklagt, dass »die Nettoausgaben für die Hochschulbildung zwischen 2010 und 2018 inflationsbereinigt um weniger als 1 % gestiegen sind, verglichen mit 6 % im Jahr 2018 in den Niederlanden, 15 % in den USA und unglaubliche 116 % in Estland«.“

Bei letzterem Staat muß man allerdings bedenken, daß dort nach dem Ende der SU die staatlichen Bildungsinvestitionen praktisch zum Erliegen kamen, weshalb sich diese 116% auf ein sehr niedriges Ausgangsniveau beziehen. Wenn man diese Bildungsausgaben auf das estnische BIP bezöge, so wären sie vermutlich weniger spektakulär.

„Die mangelnden Investitionen bremsen die Wirtschaft, sagt Wohlrabe, der das als Ursache der Unsicherheit in der Wirtschaftspolitik dingsfest macht. »Aus unseren Umfragen wissen wir, dass mehr als 40 % der Unternehmen Auftragsmangel melden.« Unterdessen belebt sich der private Konsum trotz der Lohnverbesserung nicht. »Konsumenten sind etwas zurückhaltend, wenn es ums Ausgeben geht. Vorsicht ist geboten hinsichtlich der Inflationsrate, die leicht gestiegen ist. Deutsche Verbraucher reagieren sehr sensibel auf Inflation«, bemerkt er in einem Interview mit El País.

Zurückhaltend, sensibel – natürlich, von nix kommt nix, wie viele psychologische Kategorien man auch bemühen mag.

„Deutschland habe auch ein Wettbewerbsproblem, betont Jens Boysen-Hogrefe, Professor an der Universität Kiel, »das sich in den letzten Jahren nicht verbessert hat«. Der Wettbewerbsvorteil Chinas ist in Deutschland besonders besorgniserregend.“

Natürlich. China erhält nämlich jetzt von Rußland die Energie, die der EU abhanden gekommen ist. Außerdem ist China alleiniger Gestalter seines Budgets und muß sich weder an Weltwährungen noch an Finanzinstitutionen orientieren.

„»Die aggressiven Strategien des chinesischen verarbeitenden Gewerbes treffen Deutschland stärker als andere Länder, denn das asiatische Land konzentriert sich auf die Automobilindustrie sowie den Maschinen- und Anlagenbau, also genau auf die Branchen, in denen Deutschland stark war«, betont er.
Die Exportschwäche und die Alterung der Bevölkerung sind für Boysen-Hogrefe die Hauptursachen für die deutsche Wirtschaftslage.“

Eine eigenartige Diagnose.
Die Exportschwäche ist ja ein Ergebnis dessen, daß es an allem hapert, was eine ordentliche Marktwirtschaft auszeichnet. Und das liegt zu einem guten Teil daran, was als „Neoliberalismus“ gekennzeichnet wird, das Sich-Zurücknehmen des Staates bei verschiedenen wirtschaftlichen Grundlagen, der ja auch schon die Wirtschaft Großbritanniens auf Talfahrt geschickt hat.
Die sogenannte „Überalterung“, die ja nur eine der arbeitenden Bevölkerung ist, ist jedoch ein Ergebnis des Umstandes, daß Deutschland jahrzehntelang erfolgreich rationalisiert hat und heute deshalb viel weniger aktive Berufstätige gemäß dem Umlaufsystem die Anzahl der Rentner tragen müssen. Dieses System war seinerzeit aber auf einen kontinuierlichen Nachschub an Beitragszahlern angelegt.

„»Die Politik sollte das Notwendige tun, um die öffentlichen Investitionen zu erhöhen, denn wenn die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands schwach ist, liegt das vor allem am Mangel an ausreichender Infrastruktur«, betont er.
Mittlerweile mehren sich die Stimmen, die die Schuldenbremse, die im Grundgesetz verankerte Schuldengrenze, für die Lage der Wirtschaft verantwortlich machen. Laut gewerkschaftsnahen Experten des Instituts für Makroökonomie (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung behindert die Begrenzung entscheidende Investitionen in die Energiewende und Infrastruktur.

Da die Schuldenbremse seit 2020 ausgesetzt ist, habe sie zwar nicht zur Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage beigetragen, könne dies aber »in Zukunft durchaus tun«, stellt der Kieler Experte Boysen-Hogrefe fest.“

Ach, siehe da, die Schuldenbremse kann man auch aussetzen.
D.h., die Gewerkschafts-Fuzis liegen ganz falsch?
Und trotzdem kein Geld da für staatliche Investitionen?

„»Es ist eine unsägliche Debatte in Deutschland, mit Politikern, die die öffentlichen Investitionsmöglichkeiten, die die Schuldenbremse zulässt, vielleicht nicht ausloten wollen und lieber das Argument aufrechterhalten, dass sie öffentliche Investitionen behindert, und sie damit ganz abschaffen.« (…)“.

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Zur Zeit der Griechenland-Schuldenkrise kam auf diesem Blog einmal die Debatte auf, warum es auf die Finanzwelt eigentlich vertrauensbildend wirkt, wenn ein Staat eine Sparpolitik verkündet, Sparprogramme auflegt und Schuldenbremsen erläßt.

Wir fanden damals keine befriedigende Antwort.

Es schien sich um eine Konvention zu handeln, mit denen man leichtfertiger Verschuldungspolitik, wie sie mit dem Euro in die Welt gesetzt und auch angeregt wurde, einen Riegel vorschieben wollte.

Inzwischen ist es offenbar so, daß staatliche Sparpolitik diese Funktion, vertrauensbildend zu wirken, nicht mehr erfüllt.

Das Problem ist, daß das Vertrauen gegenüber den vielen Schulden überhaupt schwach zu sein scheint, weshalb der Startschuß in ein gegenteiliges Programm, für fröhliche Verschuldung ohne Grenzen, auch nicht fallen mag.

Die USA und China können sich dergleichen aus verschiedenen Gründen leisten, die EU nicht.