Pressespiegel: El País, 21.2. 2016

AL ASSAD: ES GIBT 80 STAATEN, DIE DIE TERRORGRUPPEN IN SYRIEN UNTERSTÜTZEN

Interview mit Baschar Al Assad, geführt von dem Sonderkorrespondenten David Alandete in Damaskus

El País: In dieser Woche haben Sie den humanitären Zugang zu sieben belagerten Gebieten erlaubt. Es gibt Schätzungen, daß in diesen Regionen 486.000 Menschen leben, viele von ihnen seit mehr als drei Jahren unter Belagerung. Warum wurde die Gewährung dieser Hilfe in diesen Konflikt so lange verzögert?

Al Assad: In Wirklichkeit wurde das nicht erst kürzlich genehmigt. Das läuft seit dem Beginn der Krise. Wir haben keine Sperre über irgendein Gebiet in Syrien verhängt. Es gibt einen Unterschied zwischen einem Embargo und einer Armee, die eine bestimmte Umgebung belagert, weil es dort Aufständische gibt, und das ist etwas Natürliches in diesem Fall, was Sicherheit oder militärischen Lage angeht. Aber das Problem in diesen Gebieten ist, dass die bewaffneten Gruppen die Lebensmittel und andere lebenswichtige Güter der Bewohner konfisziert haben und sie entweder an die Aufständischen übergeben oder zu sehr hohen Preisen an die Bevölkerung verkaufen.
Was die Regierung angeht, haben wir nie die Hilfelieferungen in irgendein Gebiet verhindert, nicht einmal derjenigen, die unter der Kontrolle des Islamischen Staates sind, wie die Stadt Rakka im Norden des Landes, die ist jetzt unter seiner Kontrolle ist und vorher unter der der Al-Nusra Front [örtliche Filiale der Al-Qaida] war, seit fast drei Jahren. Wir schicken bis heute in diese Gebiete die Pensionen, die Gehälter der Beamten und Impfstoffe für Kinder.

El País: Das heißt, Sie schicken nach Rakka Lebensmittel und Gehälter?

Al Assad: So ist es. Wenn wir die Gehälter sogar nach Rakka schicken, weil wir als Regierung glauben, daß wir Verantwortung für alle Syrer tragen, wie sollten wir das für andere Gebiete nicht tun? Dies wäre widersprüchlich. Deshalb sagte ich, dass die Lieferung von humanitärer Hilfe nicht erst kürzlich stattgefunden hat. Wir haben von Anfang an nie die Lieferung von Hilfen oder Lebensmitteln verboten.

El País: Und findet diese weiterhin statt?

Al Assad: Natürlich.

El País: Russland und die USA haben letzte Woche eine Waffenruhe angekündigt. Ist die syrische Regierung bereit, die Waffenruhe und die Aussetzung der militärischen Operationen in Syrien zu respektieren?

Al Assad: Selbstverständlich. Außerdem haben wir angekündigt, dass wir dazu bereit sind, aber die Sache hängt nicht bloß von einer Ankündigung ab. Sie hängt davon ab, was wir im Feld erreichen werden. Ich denke auch, daß das Konzept „Waffenruhe“ nicht angebracht ist, weil eine Waffenruhe kann nur zwischen verfeindeten Armeen und Ländern geschlossen werden. Besser wäre es, das Konzept des „Einstellens der Kampfhandlungen“ zu verwenden. Es geht in erster Linie um eine Feuerpause, aber auch um andere ergänzende Faktoren, die wichtiger sind, wie zum Beispiel zu verhindern, daß die Terroristen die Gelegenheit ergreifen, ihre Positionen durch die Feuerpause zu verbessern. Sie hängt auch davon ab, anderen Ländern, insbesondere der Türkei, zu verbieten, Männer, Waffen oder jede Art von logistischer Unterstützung an die Terroristen zu schicken.
Außerdem gibt es einen Beschluß des Sicherheitsrates der UNO (*1) zu dieser Frage, der nicht umgesetzt wurde.
Wenn nicht alle diese Bedingungen für die Einstellung der Kampfhandlungen garantiert sind, wird dies einen negativen Effekt haben und zu mehr Chaos in Syrien, und auch zur de-facto-Teilung des Landes führen. Die Einstellung der Kampfhandlungen könnte also positive Auswirkungen haben, aber nur, wenn die notwendigen Voraussetzungen gegeben sind.

El País: Wird es also Kämpfe geben, trotz der Waffenruhe, zumindest gegen einige bewaffnete Gruppen?

Al Assad: Ja, sicherlich, wie gegen den IS, Al Nusra und andere Organisationen oder terroristische Vereinigungen, die mit Al-Qaida verbundenen sind. Derzeit nennen Syrien und Russland vier Namen: Ahrar al-Sham und Jeish el Islam [Armee des Islam] zusätzlich zu der Al-Nusra-Front und dem IS.

El País: Ihre Truppen haben Aleppo umzingelt, eine Hochburg der Opposition. Wann rechnen Sie damit, die volle Kontrolle über diese Stadt zurückgewinnen?

Al Assad: Eigentlich sind wir bereits im Stadtzentrum und ein Großteil der Stadt ist unter der Kontrolle der Regierung. Die Mehrheit der Bewohner der Vororte sind aus dem Gebiet unter Kontrolle der bewaffneten Aufständischen auf Gebiete unter der Kontrolle der Regierung gezogen. Die Frage ist nicht mehr, die Kontrolle über die Stadt zurückzugewinnen. Tatsächlich geht es darum, die Straßen zwischen der Türkei und den terroristischen Gruppen in blockieren. Das ist derzeit das Ziel der Kämpfe in Aleppo, und es ist uns vor kurzem gelungen, die Haupt-Verbindungsrouten zu blockieren.
Es gibt keine komplette Absperrung zwischen Aleppo und der Türkei, aber es macht die Beziehung zwischen der Türkei und den Terroristen sehr viel schwieriger. Es ist aus diesem Grund, daß die Türkei seit kurzem die Kurden bombardiert.

El País: Was ist als nächstes nach Aleppo dran? Ist die syrische Armee bereit, auf Rakka, die selbsternannte Hauptstadt des IS, vorzustoßen?

Al Assad: Im Prinzip werden wir überallhin vorstoßen, aber im Moment sind wir in Syrien an mehr als zehn Fronten im Einsatz. Wir bewegen uns auf Rakka zu, aber wir sind noch weit davon entfernt. (…) die Zeit hängt von den Ergebnissen der verschiedenen derzeit stattfindenden Kämpfe ab und deshalb lassen sich Zeitpunkte nicht genau definieren.

El País: Russland hat eine intensive Kampagne von Luftangriffen gegen die wichtigsten Positionen der Opposition begonnen. Das stellte einen Wendepunkt in der Auseinandersetzung dar. So sehen das inzwischen viele so, daß die Initiative jetzt bei Ihnen ist. Meinen Sie, daß dies auch ohne Hilfe von außen erreicht hätten?

Al Assad: Zweifellos war die russische und iranische Unterstützung wesentlich für unsere Armee, um diesen Fortschritt zu erzielen. Aber zu sagen, daß wir nicht in der Lage gewesen wären, diese Erfolge zu erringen, ist hypothetisch. Ich will damit sagen, daß darauf niemand eine eindeutige Antwort geben kann.
Aber auf jeden Fall brauchen wir diese Hilfe, aus einem einfachen Grund: mehr als 80 Länder unterstützen die Terroristen auf unterschiedlichen Art und Weise. Einige direkt mit Geld, logistischer Unterstützung, Waffen oder Kämpfern. Anderen Länder leisten politische Unterstützung in verschiedenen internationalen Foren. Syrien ist ein kleines Land. Wir können kämpfen, aber es gibt eindeutig eine bedingungslose Unterstützung für diese Terroristen und es ist offensichtlich, dass wir in dieser Situation internationale Unterstützung benötigten. (…)

El País: Was die russischen Luftangriffe angeht: Beunruhigen Sie die zivilen Opfer nicht? Am Montag wurde ein Krankenhaus bombardiert und dabei 50 Menschen getötet. Die USA beschuldigen dafür Russland.

Al Assad: Andere Verantwortliche aus den USA sagten, dass man nicht weiß, wer die Tat begangen hat, allerdings kamen diese Aussagen erst später. Diese widersprüchlichen Aussagen sind häufig in den USA, aber niemand hat einen Beweis, wer den Angriff beging und wie. Was die Opfer angeht, so ist dies ein Problem in jedem Krieg. Natürlich bin ich über den Tod jedes unschuldigen Zivilisten in diesem Konflikt sehr traurig, aber das ist eben Krieg. Kriege sind schlecht, es gibt keinen guten Krieg, weil es immer Zivilisten und Unschuldige geben wird, die den Preis zahlen werden.

El País: Wie erklären Sie also Ihrem Volk, den Syrern, daß eine fremde Armee in seinem Gebiet operiert, die zivile Opfer verursacht? Sehen Sie das als etwas Unvermeidliches?

Al Assad: Es gibt keinen Beweis dafür, daß die Russen zivile Ziele angegriffen haben. Sie sind sehr präzise in ihren Angriffen und greifen täglich Basen und Positionen der Terroristen an. Es sind die Amerikaner, die zahlreiche Zivilisten im Norden von Syrien getötet haben. Bisher kam es zu keinem einzigen russischen Zwischenfall mit Zivilisten, da die Russen nicht Zivilisten angreifen und sich bei ihren Angriffen vor allem auf ländliche Gebiete konzentrieren.

El País: Wo wir bei den ausländischen Armeen sind: Wie würden Sie reagieren, wenn die Türkei und Saudi-Arabien ihre Drohungen wahrmachen, Truppen in Ihr Land zu entsenden, unter dem Vorwand, den IS zu bekämpfen?

Al Assad: Wie Sie sagen, handelt es sich um einen Vorwand. Sollten sie das machen, so werden wir mit ihnen genauso verfahren wie mit den Terroristen. Wir werden unser Land verteidigen. Ein solches Vorgehen stellt eine Aggression dar. Sie haben kein Recht, in Syrien zu intervenieren, politisch oder militärisch. Es wäre eine Verletzung des Völkerrechts und für uns als syrische Bürger gäbe es nur die Möglichkeit, zu kämpfen und unser Heimatland zu verteidigen.

El País: Die Türkei hat begonnen, von ihrem Territorium aus syrischen Gebiete zu bombardieren.

Al Assad: In der Tat. Davor schickte die Türkei Terroristen. Sie arbeitet auf das gleiche Ziel hin und erzielt die selben Effekte mit verschiedenen Mitteln. Die Türkei ist in die Ereignissen in Syrien seit Anfang an involviert.

El País: Saudi-Arabien hat versucht, die Opposition auf einer Konferenz in Riad zu vereinen. Einige mit al-Qaida verbandelte Kämpfer nahmen an den Sitzungen teil. Gibt es eine Gruppe der bewaffneten Opposition, die Sie als legitime Partei erkennen würden, mit denen du verhandeln können?

Al Assad: Beziehen Sie sich auf Gruppen, die im Feld im Einsatz sind?

El País: Ja.

Al Assad: Nein. Unter rechtlichen und verfassungsmäígen Gesichtspunkten ist jeder, der Waffen ergreift gegen gegen das Volk und gegen die Regierung, ein Terrorist, in seinem Land, in unserem Land oder in jedem anderen Land der Welt. Wir können nicht sagen, dass diese Menschen Legitimität genießen. Sie können legitim werden, wenn die Waffen niederlegen und am politischen Prozess teilnehmen. Dies ist die einzige Möglichkeit in jedem Land, für den Wiederaufbau oder Änderungen im Gesetz, der Verfassung oder der Regierung. Dies kann mittels eines politischen Prozesses durchgeführt werden und nicht mit vorgehaltener Waffe.

El País: Sie betrachten also alle bewaffneten Kämpfer als Terroristen?

Al Assad: Immer, solange sie nicht bereit sind, sich den politischen Prozess einzubeziehen. Nur dann werden wir kein Problem mit ihnen haben.

El País: Unabhängig von ihrer Absichten, wenn sie ihre Waffen aufgeben und zurückkehren wollen, so können sie es tun?

Al Assad: Wir werden ihnen Amnestie gewähren, und dies hat bereits in den letzten zwei Jahren stattgefunden und sich in letzter Zeit beschleunigt. Viele von ihnen legten ihre Waffen nieder und einige traten in die Reihen der syrischen Armee ein und bekämpfen zur Zeit den IS. Sie werden dabei von der syrischen Armee und den russischen Kampfjets unterstützt.

El País: Wenn Sie also alle diejenigen, die die Waffen gegen die Regierung erhoben haben, als Terroristen betrachten, mit wem verhandeln Sie dann in Genf?

Al Assad: In Genf war eine Mischung geplant. Auf der einen Seite die Terroristen und Extremisten, die in Saudi-Arabien ausgebildet wurden und von denen einige Al-Qaida angehören. Die andere Seite sollten Oppositionelle stellen, die im Exil oder in Syrien leben. Mit Letzteren können wir verhandeln, als patriotische Syrer, die mit ihrem Heimatland verbunden sind, aber keinesfalls werden wir mit Terroristen verhandeln, und deshalb ist die Konferenz gescheitert.

El País: Und die Führer und Aktivisten der Opposition, die bereits vor dem Ausbruch des Konflikts 2011 in Syrien inhaftiert wurden und bis jetzt in Haft sind?

Al Assad: Die wurden alle längst entlassen und bilden heute einen Teil der Opposition.

El País: Alle?!

Al Assad: Jeder kam vor 2010 aus dem Gefängnis, darunter auch einige Terroristen, die bis zu mehreren Jahren Haft verurteilt worden waren, zum Beispiel auf fünf Jahre. Sie saßen die Haftstraße ab und kamen frei, und als die Krise begann, integrierten sie sich wieder in terroristische Gruppen.

El País: Haben Sie dafür Beweise?

Al Assad: Ja. Einer von ihnen starb vor kurzem, Zahran Alloush. Er wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, weil er in Verbindung mit Al Qaida war. Als die Krise begann, gründete er seine eigene Terrorgruppe.

El País: Nach einigen Schätzungen gibt es 35.000 ausländische Dschihadisten in Syrien, darunter 4.000 aus Europa. Die spanische Regierung erklärt, dass etwa 300 davon einen spanischen Paß besitzen. Was geschieht mit ihnen, wenn sie in die Hände der syrischen Armee fallen?

Al Assad: Die Spanier?

El País: Die ausländischen Dschihadisten im allgemeinen.

Al Assad: Zunächst verfahren wir uns mit ihnen wie mit anderen Terroristen. Aus rechtlicher Sicht gibt es keinen Unterschied aufgrund der Staatsangehörigkeit, aber wenn Sie die Frage der Auslieferung an ihre Heimatländer ansprechen, so wird diese im Rahmen der institutionellen Beziehungen zwischen den beiden Ländern stattfinden .

El País: In diesem Zusammenhang: Was ist es aus Ihrer Sicht, das so eine große Zahl an Ausländern nach Syrien zieht?

Al Assad: In erster Linie die Unterstützung, die sie erhalten. Sie erhalten echte Unterstützung von außen. Saudi-Arabien ist der wichtigste Financier dieser Terroristen. Sie setzen sie in Flugzeuge und schicken sie in die Türkei und dann nach Syrien. Der andere Faktor der Anziehungskraft liegt im Chaos, denn das ist ein Nährboden für Terroristen. Der dritte Faktor ist die Ideologie, auf Grundlage ihrer Verbindung mit Al-Qaida. Dieses Gebiet hier hat in unserer religiösen Kultur, der des Islam, eine sehr prominenter Lage nach Mekka, Jerusalem und anderen heiligen Stätten.(*2) Sie denken, sie können herkommen und hier ihren Staat einrichten und sich von hier in der Folge territorial ausbreiten. Aber die Idee ist zunächst, dass sie kommen können, um für Allah und den Islam zu kämpfen und zu sterben, das ist für sie der Dschihad.

El País: Wenn die Regierung wieder die Kontrolle über das gesamte Territorium Syriens erlangt, würden Sie dann einen politischen Prozess einleiten? Wären Sie bereit, wieder Wahlen zuzulassen?

Al Assad: Das Normalste wäre die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit, die alle politischen Strömungen versammelt, die daran teilnehmen wollen. Diese Regierung sollte die Bedingungen für die Ausarbeitung einer neuen Verfassung vorbereiten, weil wenn man über die Zukunft Syriens sprechen und sie mit den verschiedenen Parteien diskutieren will, und wie die internen Problem zu lösen wären, so muß eine Verfassung ausgearbeitet werden. Die Verfassung muss unbedingt mittels einer Volksabstimmung bestätigt werden. Und auf die neue Verfassung sollten vorgezogene Wahlen folgen. Wenn die Menschen oder die verschiedenen Parteien, Wahlen abhalten wollen, werden wir sie abhalten. Aber den politischen Teil des Problems zu lösen, hat nichts mit meiner persönlichen Meinung zu tun.

El País: Wo sehen Sie sich in 10 Jahren?

Al Assad: Das Wichtigste ist, wie ich mein Land sehe, weil ich ein Teil meines Landes bin. Deshalb möchte ich nach zehn Jahren sagen können: ich habe Syrien gerettet, aber das bedeutet nicht, dass ich dann noch Präsident sein muß. Ich spreche über meine Vision für diese Zeitspanne. Syrien wird in Ordnung kommen und ich werde die Person sein, die ihr Land gerettet hat. Das ist jetzt mein Job, und das ist meine Pflicht. So sehe ich mich in Bezug auf meine Stellung und für meine Person als syrischen Staatsbürger.

El País: Aber werden Sie in 10 Jahren an der Macht sein?

Al Assad: Das ist nicht mein Ziel. Mich interessiert mein Machterhalt nicht. Wenn das syrische Volk mich an der Macht will, ist, dann werde ich dort sein, und wenn nicht, dann nicht. Wenn ich meinem Land nicht helfen kann, dann müßte ich es sofort verlassen.

El País: Lassen Sie mich ein Teil des Berichts des Menschenrechtsrats der UNO zu Syrien zitieren, der am 3. Februar veröffentlicht wurde: „Einige von der Regierung Verhaftete wurden zu Tode geprügelt oder starben als Folge der durch Folter erlitten Verletzungen.“ Es wird hinzugefügt, daß die Regierung Kriegsverbrechen begangen hat.

Al Assad: Das ist ähnlich wie das, was Katar vor ungefähr einem Jahr in einem gefälschten Bericht mit nicht überprüfbaren Bildern von verletzten Menschen veröffentlicht hat, gestützt auf Informationen aus zweifelhaften Quellen. Diesen Bericht schickte es dann an die UNO. Dies ist Teil der Medienmanipulation gegen Syrien. Das ist das Problem, der Westen und seine Medienkampagne. Ungeprüfte Informationen werden verwendet, um Syrien zu beschuldigen und verantwortlich zu machen und dann Maßnahmen gegen Syrien zu ergreifen.

El País: Die Welt wurde durch das Bild des Buben Aylan Kurdi schockiert, eines syrischen Flüchtlings, die drei Jahre alt war, als er tot an einem Strand in der Türkei gefunden wurde. Was für Gefühle hat dieses Bild bei Ihnen ausgelöst?

Al Assad: Es ist eines der traurigsten Momente des syrischen Konfliktes, daß es Menschen gibt, die ihr Land aus verschiedenen Gründen verlassen. Aber jenseits der empfundenen Gefühle ist das die Frage, die die syrischen Staatsbürger uns als politisch Verantwortliche stellen: was werden wir tun? Welche Schritte wurden unternommen, um den Flüchtlingen die Rückkehr zu ermöglichen, oder gar nicht erst flüchten zu müssen?
Es gibt da zwei Gründe für die Flucht. Der erste, mit dem wir konfrontiert sind, ist natürlich der Terrorismus, weil die Terroristen nicht nur die Bevölkerung bedrohen, sondern den Menschen auch ihre Existenzgrundlage entziehen. Der zweite Grund ist das Embargo, das gegen Syrien durch den Westen, vor allem den USA, verhängt wurde und weitere Schwierigkeiten für das Leben der Menschen hier verursacht hat, vor allem im Gesundheitssektor. Wir müssen uns diese Gründe bewußt machen, um zu verhindern, daß diese Tragödie noch eine weitere lange Zeit andauert.

El País: Sie haben erwähnt, daß einige dieser Flüchtlinge vor dem IS fliehen, aber einige sagen, sie flüchten vor der Regierung oder den militärischen Angriffen, die die syrische Regierung in einigen Regionen durchführt.

Al Assad: Ich könnte Ihnen Tatsachen nennen, die dem widersprechen, was Sie auch während Ihres Aufenthalts in Syrien sehen können: die meisten Menschen aus Regionen unter Kontrolle von Terroristen sind in die Gebiete umgezogen, die unter Kontrolle der Regierung sind. Wenn sie vor der Regierung flüchten, warum dann in Gebiete unter deren Kontrolle? Da stimmt etwas nicht.
Jetzt hingegen, wenn es Kämpfe, Schießereien oder Auseinandersetzungen zwischen der Regierung und den Terroristen in bestimmten Gebieten gibt, so ist es natürlich, dass die meisten der Bewohner die Gegend verlassen, aber das bedeutet nicht, daß sie vor der Regierung fliehen. Manche von denen, die auf Gebiete unter der Kontrolle der Regierung flüchten, sind selbst Verwandte von Rebellen.

El País: Nach internationalen Schätzungen sind rund fünf Millionen Menschen aus Syrien geflüchtet. Eine Million haben Europa durchquert. Welche Garantien gibt es für diese Leute, frei und ohne Angst vor Repressalien zurückkehren zu können?

Al Assad: Selbstverständlich können sie zurückkommen, ich meine, sie haben das Recht dazu. Sie sind, sofern es sich nicht um Terroristen oder Mörder handelt, nicht vor der Regierung geflüchtet. Einige von ihnen, vermutlich eine große Anzahl, sind Anhänger der Regierung und flüchten nicht vor ihr, aber wie gesagt, die Lebensbedingungen haben sich in den letzten fünf Jahren beträchtlich verschlechtert. Sie können jedenfalls zurückkehren, ohne daß die Regierung irgendwelche Maßnahmen gegen sie ergreifen würde. Wir wollen, daß die Menschen nach Syrien zurückkehren.

El País: Was kann Ihre Regierung tun, um den Flüchtlingsstrom zu stoppen, der zum Ertrinken so vieler Menschen im Mittelmeer geführt hat?

Al Assad: Wie gesagt, das hängt nicht nur von Syrien, sondern auch vom Rest der Welt ab. Zunächst muss Europa das Embargo gegen das syrische Volk aufheben, denn es ist in Wirklichkeit nicht ein Embargo gegen die syrische Regierung, sondern gegen das syrische Volk. Zweitens sollte die Türkei aufhören, Terroristen nach Syrien zu schicken. Drittens, was uns als Regierung betrifft, so müssen wir unbedingt die Terroristen bekämpfen, und wir müssen die Lebensbedingungen der Bürger mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln verbessern, um zu ermöglichen, daß die Syrer zu Hause bleiben. Dies ist der einzige Weg, diese Menschen zurück zu bringen oder davon zu überzeugen, in ihre Heimat zurückzukehren. Ich bin sicher, dass die meisten von ihnen nach Syrien zurückkehren möchten.

El País: Als Sie Ihr Amt antraten, versprachen Sie demokratische Reformen in einer Zeit, die „Damaszener Frühling“ genannt wurde. Einige glauben, wenn diese Reformen schneller umgesetzt worden wären, hätte das viele Menschenleben retten können. Vor allem die Opposition und die USA behaupten: daß, wären Sie zurückgetreten, hätten viele dieser Leben gerettet werden können. Was sagen Sie dazu?

Al Assad: Die Frage ist die: Welches Verhältnis besteht zwischen dem, was Sie hier erwähnen und dem Senden von Geld und Waffen und direkter Unterstützung von Terroristen durch Katar? Wie ist das Verhältnis zwischen dem von Ihnen Erwähnten und der Rolle der Türkei als Unterstützer der Terroristen? Welcher Zusammenhang besteht zur Anwesenheit von IS und al-Nusra in Syrien? Der hier hergestellte Zusammenhang ist also nicht korrekt. Wenn Sie den Premierminister in einem beliebigen Regime ändern möchten, ob in Ihrem Land oder in jedem anderen Land, so müssen Sie das mittels eines politischen Prozesses tun. Nicht mit Waffen. Der Einsatz von Waffen kann nicht der Weg sein, ein Regime zu ändern oder eine Demokratie aufzubauen. Demokratie läßt sich nicht mit vorgehaltener Waffe einrichten, wie die Erfahrung der USA im Irak zeigt. Das Gleiche wie im Jemen. Präsident [Ali Abdullah] Saleh trat wegen der gleichen Vorwürfe zurück. Was ist im Jemen geschehen? Ist es dort vielleicht jetzt besser? Keinesfalls, und es gibt keinen Zusammenhang [zwischen erzwungenen Rücktritten und Demokratisierung]. Wir können Demokratie durch Dialog und gleichzeitig die Anhebung des Niveaus der Gesellschaft in Richtung Demokratie erreichen, um die Demokratie zu errichten. Wahre Demokratie muss auf der Grundlage der Gesellschaft selbst festgelegt werden: inwiefern wir uns gegenseitig akzeptieren. Diese Region ist ein Schmelztiegel, der die verschiedensten ethnischen Gruppen, Sekten und Religionen vereint. Können sich die alle gegenseitig akzeptieren? Wenn es gelingt, dann könnte die Akzeptenz eine politische Dimension erreichen und dann die wahre Demokratie einrichten. Es ist also keine Frage des Präsidenten. Sie haben versucht, das Problem zu personalisieren, nur um zu beweisen, dass es ein einfaches Problem ist und daß alles gut wird, wenn der Präsident sein Amt verlässt. Diese Ansicht entbehrt jeder Grundlage.

El País: Angesichts so vieler verlorener Leben und zerstörter archäologischer Stätten in den vergangenen 5 Jahren: hätten Sie etwas anderes getan?

Al Assad: Generell – wenn wir schon über Prinzipien reden wollen –, so haben wir von Anfang an gesagt, daß wir Terroristen bekämpfen werden und daß wir bereit sind für einen Dialog. Wir führen einen offenen Dialog mit allen, außer mit Terrorgruppen. Gleichzeitig haben wir auch den Terroristen eine Türe geöffnet, ihre Waffen niederzulegen und ins normale Leben zurückzukehren, indem wir eine allgemeine Amnestie angeboten haben. Das ist also der Beginn einer umfassenden Lösung. Jetzt, fünf Jahre später, kann ich nicht sagen, dass dies ein Fehler war, und ich denke, wir werden unsere Grundsätze nicht ändern. Die Durchführung der Maßnahmen muß man den Umständen anpassen, da das von verschiedenen Entscheidungsträgern, Institutionen, Personen und Individualitäten abhängt. Jeder kann Fehler machen, das kann passieren. Also, wenn wir etwas ändern wollen, wenn wir diese Fehler vermeiden könnten, die auf verschiedenen Gebieten begangen worden sind, hätten wir es getan; das ist es, was ich tun würde, wenn ich das Rad der Zeit zurückdrehen könnte.

El País: Aus Ihrer Sicht waren also von Anfang an diese Proteste in Deraa und Damaskus terroristisch und durch ausländische Streitkräfte infiltriert. Wie haben Sie diese ersten Demonstrationen gegen die Regierung erlebt?

Al Assad: Am Anfang war es eine Mischung von Demonstranten. Zunächst bezahlte Katar Demonstranten, um sie dann auf Al Dschasira groß herauszubringen und im weiteren die Weltöffentlichkeit davon überzeugen, daß sich das Volk gegen den Präsidenten erhoben habe. Das Maximum waren 140.000 Demonstranten in ganz Syrien, das ist keine große Menge, und verursachte uns keine Besorgnis. Dann unterwanderten sie die Demonstrationen mit Bewaffneten, die Feuer auf Polizei und Demonstranten eröffneten, um weitere Proteste zu provozieren. Als das auch scheiterte, begannen sie die Terroristen mit Waffenlieferungen zu unterstützen. Gab es auch Demonstranten, die von lauteren Absichten bewegt waren? Was wollten sie? Sicher gab es solche auch, aber nicht alle waren so. Weder kann man sagen, daß alle ehrbar waren, noch kann man sagen, daß alle Terroristen waren.

El País: Sie besuchten Spanien zweimal. Die Präsidenten José María Aznar und Jose Luis Rodriguez Zapatero haben ebenfalls Syrien während Ihrer Amtszeit besucht. Wie gestalteten sich seither Ihre Beziehungen zu Spanien?

Al Assad: Spanien ist generell gegen eine riskante Lösung in Syrien. Das ist etwas, was wir zu schätzen wissen. Es hat keine militärische Aktion gegen Syrien unterstützt und sogar davor gewarnt, daß dergleichen die Situation weiter komplizieren würde. Nie brachte Spanien zur Sprache, den Präsidenten zu stürzen oder versuchte, sich in unserem inneren Angelegenheiten einzumischen. Die spanischen Politiker sagten, daß jede politische Lösung auf Basis eines politischen Prozesses erfolgen muss. Das ist sehr gut. Gleichzeitig ist Spanien ein Teil der EU und damit auf die Entscheidungen der Union verpflichtet. Wir erwarten, daß Spanien eine Vermittlerrolle spielen und unsere Botschaft weitergeben, und unsere politische Vision des Konflikts in Syrien in der EU verbreiten wird.

El País: Ist Lateinamerika die Region, von der Sie die meiste Unterstützung erhalten?

Al Assad: Generell ist es seltsam und bedauerlich zugleich, daß jene Länder, die am weitesten von Syrien entfernt sind, ein viel realistischeres Bild von dem haben, was in Syrien geschieht, als die Europäer, die uns von der Distanz her näher wären, uns jedoch als ihren Hinterhof betrachten. Ich spreche hier gleichermaßen von der offiziellen Ebene als auch von Bürgern. Die Lateinamerikaner kennen uns viel besser und unterstützen Syrien in allen internationalen Foren und haben ihre Position seit dem Beginn der Krise nie geändert.

El País: Die größte syrische Exilgemeinde befindet sich in Brasilien. Wie ist Ihr Verhältnis zur brasilianischen Regierung?

Al Assad:Die Beziehungen sind normal, genau wie mit Argentinien, Venezuela, Kuba und allen lateinamerikanischen Ländern. Unsere Beziehungen haben sich durch die Krise nicht geändert, sie verstehen die Situation mit jedem Tag besser und gewähren Syrien jede erdenkliche Unterstützung. Darin unterscheiden sie sich sehr von der europäischen Position.
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(*1) Es handelt sich um den Sicherheitsratsbeschluß 2254, der im Dezember 2015 gefaßt wurde.

(*2) Al Assad bezieht sich hier auf den Umstand, daß die erste Dynastie der Kalifen, die der Omayaden, ihren Sitz in Damaskus hatte. Dem Territorium Syriens kommt also eine große Bedeutung in den Anfangszeiten des Islam und seiner Verbreitung zu.

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Wenn die größte spanische Tageszeitung einen Sonderkorrespondenten nach Damaskus schickt und Baschar Al Assad die Gelegenheit gibt, sich in einem langen Interview von seiner Schokoladenseite zu präsentieren und ein befriedetes Syrien als möglichen Hort der Stabilität im Nahen Osten in Aussicht zu stellen, so hat die Redaktion dieser Zeitung etwas vor.

Sie will sich zum Vorreiter eines Schwenks in der Nahostpolitik machen. Zunächst will sie der spanischen Regierung und Außenpolitik ein Hölzl werfen, daß es hier die Möglichkeit einer Profilierung innerhalb der EU gibt. Sie will der Führungsmacht Deutschland ins Zeug flicken und die Ursachenbekämpfung des „Flüchtlingsproblems“ in den Vordergrund rücken.
Das Interview erwähnt auch, scheinbar am Rande, daß die bei uns in den Medien breitgetretene Sichtweise zum Syrienkonflikt nicht nur in Rußland oder China nicht geteilt wird, sondern auch in der ganzen spanischsprachigen Welt.

Rekapitulieren wir einmal, was einem solchen Schwenk gegenübersteht.

Würde man das Feindbild Assad beiseiteschieben und anerkennen, daß er die legitime Regierung Syriens dasteht, die von allen Minderheiten Syriens und praktisch allen säkulär eingestellten Syrern unterstützt wird, so müßte man die syrische Armee und die mit ihr verbündeten kurdischen Milizen gegen den IS, die al-Nusra-Front und andere islamistische Gruppierungen unterstützen.

Das hieße erstens eine völlige Abkehr von der bisherigen Nahostpolitik der USA – und auch der EU.
Es würde eine Brüskierung ihrer Verbündeten Saudi-Arabien und Katar bedeuten.
Es wäre eine Bestätigung der territorialen Integrität Syriens.
Es würde wahrscheinlich zum Zerfall der Türkei führen, was dieses Land als NATO-Partner unbrauchbar machen würde.

Rußlands Außenpolitik wäre triumphal bestätigt und ins Recht gesetzt.

Es würde, wie das Interview zeigt, auch innerhalb der EU weitere Gräben aufreißen, weil die ganze EU- und vor allem die deutsche Außenpolitik blamiert wäre.
Das hätte weitreichende Folgen auch für Beziehungen zwischen EU und USA, und die Ukraine-Politik der beiden westlichen Blöcke,
und damit auch auf TTIP und das System der gegenseitigen Kreditstützung.

Die endgültige Umstellung auf Buchgeld

BARGELD ADE?

Seit geraumer Zeit befassen sich mediale Experten und politische Akteure mit der Idee, das Bargeld aus dem Verkehr zu ziehen, und die Bürger auf digitale Zahlung zu verpflichten.

Die dänische Regierung hat sich zum Vorreiter dieser Bewegung gemacht und möchte das erste Land sein, das das Bargeld auf seinem Territorium eliminiert. Dänemark kann sich das leisten, weil es kein Mitglied der Eurozone ist und deshalb Hoheit über das in seinem Lande im Umlauf befindliche Geld behalten hat. Der erste Akt dieser Hoheit ist paradoxerweise das Einstellen der staatlichen Druckerpresse: Dänemark druckt keine Kronen-Scheine und prägt keine Münzen mehr.

Der zweite Schritt geht ebenfalls recht einfach, wenn man ein Staat ist und ein Gewaltmonopol hat: Man verbietet einfach die Barzahlung.

Als erstes wurde in Restaurants, Geschäften für Gwand und an Tankstellen die Barzahlung verboten. Es ist anzunehmen, daß nach einiger Zeit weitere Transaktionen in Bargeld ebenfalls verboten werden. Ob es gelingt, es völlig zu verdrängen, ist noch nicht heraußen, ebensowenig, ob das in anderen Staaten durchführbar ist. Alle Bargeld-Eliminierer schauen inzwischen auf Dänemark, um aus dessen Erfahrungen zu lernen.
Wer sind die Betreiber und wer wären die Gewinner dieser Umgestaltung?

1. die Staaten selbst, einmal in Form ihrer Notenbanken. Mit der Eliminierung von Bargeld würde ein ziemlicher Aufwand und damit auch Kosten wegfallen, die der Bargeldumlauf in der Staatskasse verursacht. Das Drucken von Geld, das möglichst fälschungssicher sein soll, kostet die jeweiligen Notenbanken einiges an Personal, Gerät und Material. (Sie machten allerdings auch lange, vor allem nach 1990, sehr lukrative Geschäfte mit Staaten, die sich ihre Geld von echten Profis drucken ließen.)
Aber auch der Sicherheitsapparat und die Justiz könnten personell verschlankt werden, da einiges an Kriminalität nicht mehr möglich oder lukrativ wäre, vom Geldfälscher über den Einbrecher bis zum Taschendieb.
Schließlich auch in Bezug auf ihre Steuerhoheit. Steuerhinterziehung wäre praktisch unmöglich, weil alle Transaktionen im System erfaßt werden.

2. die Banken. Sie wären endgültig die einzigen Geldbesitzer, weil über ihre Server der gesamte Zahlungsverkehr des Landes abläuft. Ihr Monopol und ihre Systemrelevanz wären damit endgültig erwiesen, und auch Bankenrettungen ließen sich in Zukunft technisch, möglicherweise sogar juristisch noch leichter abwickeln.
Man sieht hier aber auch die Schwachstelle dieser Brave New World, von der Staat und Finanzkapital träumen – es funktioniert nur wirklich, wenn ALLE Staaten bargeldlos unterwegs sind. Sobald einer oder mehrere das bargeldlose System nicht übernehmen, werden sie zu einem Hort für Fluchtgeld. Die bargeldlosen Staaten müßten dann die Überweisungen in Bargeldstaaten verbieten und damit den Warenverkehr mit ihnen unterbinden.

Wer wären die Verlierer oder zumindest negativ Betroffenen des bargeldlosen Verkehrs?

1. alte oder behinderte Leute, die sich auf dieses System nicht mehr umstellen können. Sie würden dann teilentmümdigt und ihnen ein Finanzkurator zur Seite gestellt, der das alles für sie erledigt, wodurch jeder Art von Mißbrauch Tür und Tor geöffnet würden.

2. verschiedene Kriminelle, wie Geldfälscher, Diebe, Drogenhändler, denen ihr Geschäftsmittel abhanden kommt. Die ganze „Schattenwirtschaft“. Auf diesen Effekt ist natürlich die Staatsgewalt besonders scharf.
Dafür schlägt die Stunde der Hacker, die irgendwelche Konten und Server knacken und sich dann ihre Beute irgendwo in einem Bargeldstaat herunterladen, um sie reinzuwaschen und bei Bedarf woanders wieder ins bargeldlose System einzuspeisen.

3. Sparer, Besitzer von Geldvermögen, die dem Bankensystem nicht trauen und ihr Geld lieber in der Matratze lagern oder im Garten vergraben. Dieser Effekt, den Abzug aus Banken zu verhindern, ist vor allem angesichts der Ereignisse der letzten Jahre in Griechenland und Zypern ein gewichtiger Pluspunkt für die Politiker, die Banken retten und Einlagen einkassieren wollen. Wenn nämlich eigentlich die Banken die einzigen autorisierten Geldeigentümer sind, so können die nominellen Eigentümer jederzeit mit einem Knopfdruck enteignet werden.
Die gesamte Eigentumsordnung würde somit von ihrem lästigen Beiwerk, dem Kleinvieh befreit und die Verwandlung von Geld in Kapital wäre gesamtgesellschaftlich abgeschlossen: nur mehr das ist Eigentum, was als Kapital verwertet wird, alles andere ist reines Lehen im Stirnerschen Sinne, eine Art Almosen, das per Gesetz oder Dekret jederzeit wieder zurückgezogen oder unterbunden werden kann.

Die Eliminierung des Bargeldes hätte auch sonst weitreichende Folgen. Das Geld als Maß der Werte, das allen Waren und Dienstleistungen als Preiszettel aufgedrückt ist, wäre endgültig aller materiellen Existenz beraubt und würde zu einem rein ideellen Zwang, dem sich keiner entziehen, dessen sich aber auch niemand mehr ohne weiteres bemachtigen kann. Das heißt, kein Privater, kein Normalverbraucher, auch kein Unternehmer, sondern nur diejenigen, die als Politiker über Macht oder als Bankiers über eine Konzession verfügen.

Auf das oben beschriebene Problem der Universalität oder räumlichen Begrenztheit des bargeldlosen Verkehrs bezogen würde die Eliminierung des Bargelds eine neue Dimension in der imperialistischen Konkurrenz einleiten. Wenn die bargeldlosen Staaten die „Guten“ sind, so sind die Bargeldstaaten die Schurkenstaaten, die mit allen Mitteln bekämpft gehören. Der IWF oder Einzelstaaten könnten Kredite davon abhängig machen, daß der Schuldnerstaat den bargeldlosen Zahlungsverkehr bei sich einführt.

Schließlich entsteht eine Art neue Klasse oder Kaste von Sicherheitsbeamten, die versuchen, das bargeldlose System ihres Staates sicherzustellen und die Bargeldsysteme der Verweigererstaaten zu beschädigen, um sie auf diese Art und Weise in das bargeldlose System zu zwingen. Professionelle Cyberwarriors.

Marx nannte das Geld einmal das „reale Gemeinwesen“, weil über das Geld die verschiedensten Akteure der Gesellschaft miteinander und auch mit den Mittellosen, der Manövriermasse von Staat und Kapital zusammenhängen.

Bargeldlos würde dieser Zwangszusammenhang noch viel drückender, eben gerade dadurch, daß er gar nicht mehr greifbar, sondern nur noch virtuell wäre.

Argentinien schifft wieder ab

RICHTUNGSWECHSEL IN ARGENTINIEN: MAURICIO MACRI, EIN HELD AUF ABRUF

Die internationalen Medien waren in den letzten Jahren immer mehr von Kritik am „Regierungsstil“ von Frau Kirchner erfüllt, die durch alle möglichen Eingriffe in die Wirtschaft die Investoren verschreckte, die Schulden Agentiniens nicht zahlte, sich den Chinesen an den Hals warf, und ihre Bevölkerung mit bevormundenden Subventionen „kaufte“, nur um ihres Machterhaltes willen natürlich, unnötige Geschenke an die Armen machte, die Inflationszahlen fälschte (im Unterschied zur EU, deren Statistiken von kristallklarer Wahrhaftigkeit sind) usw. usf.

Endlich, endlich kam die Erlösung in Form von Mauricio Macri, der sehr zur Freude der internationalen Beweihräucherer der Marktwirtschaft entschlossen war, den kirchnerschen Augiasstall auszukehren.
Ein paar Lobmeldungen:

„Kurz und sachlich – ein neuer Stil für Argentinien … Mit knappen und sachlichen Worten umriss er seine Ziele. Dazu gehört die Stärkung des Handels – was der Vertreter aus Deutschland gerne hört.“ (Tagesschau, 11.12.)

Die NZZ kann sich fast nicht einkriegen über die wirtschaftliche Vernunft, die sich endlich auch in Argentinien durchsetzt:

„Das interventionistische Korsett und die populistische Subventionspolitik des Kirchnerismus hatten zur Stagnation der Wirtschaft und zu Rekorddefiziten im Staatshaushalt geführt. Macri verfügte deshalb die Freigabe des Dollarkurses, entlastete die Agrar- und Industrieproduzenten von Exportsteuern und strich die Verbilligungen für bedürftige Konsumenten bei der Energie.“

ähnlich euphorisch der „Spiegel“:

„Die Argentinier haben für einen radikalen Wechsel gestimmt, nicht nur von links nach rechts, sondern auch und vor allem in der Kultur der Macht.“

Macri versprach auch, die Verhandlungen mit den Geierfonds wieder aufzunehmen, und gab als erstes einmal den Wechselkurs zum Dollar frei.

Man muß an dieser Stelle erklären, warum die Regierungen Kirchner eine Devisenbewirtschaftung einführten und bis zum Ende ihrer Amtszeit beibehielten.
Vor 2002 herrschte in Argentinien die Politik des „currency boards“, der 1:1-Bindung des Peso an den Dollar, die mit dem IWF ausgehandelt worden war. Sie wurde aufrechterhalten durch strikte Austeritätspolitik und der Möglichkeit, sich an internationalen Börsen in Devisen zu verschulden. Das Zusperren fast der gesamten Industrie – weil nicht effizient, nicht profitabel! – kippte Argentiniens Handelsbilanz, und die steigenden Importe konnten nur durch immer höhere Verschuldung bezahlt werden. Der IWF entzog Argentinien 2001 seine Gunst, damit auch die internationalen Kreditgeber. Argentinien konnte seine Schulden nicht mehr begleichen und meldete Zahlungsunfähigkeit an.
Seither ist Argentinien von den (traditionellen) internationalen Finanzmärkten abgeschnitten und der Staat kann sich nur aus der internen Reichtumsproduktion des Landes finanzieren, durch Steuern, Abgaben, Zölle und die unter diesen Umständen unvermeidlichen Schmiergelder.
Weiters können Importe – die unumgänglich notwendig sind, da die produktive Basis des Landes in Folge der IWF-Auflagen bis 2001 ziemlich geschrumpft war und sich bis heute unter den Bedingungen des Kapitalmangels nicht wirklich erholt hat – können also diese Importe nur mit denjenigen Devisen bezahlt werden, die durch Export erlöst werden. Da aber viele Devisenexporteure, vor allem im Agrarbereich, ihr Geld lieber im Ausland parken, sofern es möglich ist, gab es an dieser Front ständig Streit zwischen der Regierung und den exportierenden Unternehmen.

Das hatte mehrerlei Folgen: erstens eine Devisenbewirtschaftung zur Eindämmung der Kapitalflucht, und einen offiziellen Wechselkurs, der durch Interventionskäufe gestützt wurde, neben einem Dollar-Schwarzmarkt, der gegen entsprechendes Bakschisch geduldet wurde.

Eine weitere Folge war der Abschluß umfangreicher Handelsabkommen mit China, das im Gegenzug gegen Importe von Energie und LW-Produkten, vor allem Soja, Argentinien einen Kreditrahmen in Dollar sowie unmittelbaren Warentausch auf Verrechnungsbasis, ohne faktische Geldflüsse eröffnete.
Macri interpretierte in braver nationalökonomischer Manier diese Versuche, den Warenumlauf in Argentinien überhaupt am Laufen zu halten, als eine schädliche Knebelung der Wirtschaft, die Investoren verschrecke und deshalb das Gedeihen der Wirtschaft behindere. Er vertauscht also Ursache und Wirkung. Die Maßnahmen der Vorgängerregierung waren für ihn nicht Reaktionen auf ein Scheitern der Wirtschaft, sondern sind die Ursache dafür, daß sie nicht vorankommt. Er selber zeigt damit ein sehr kurzes Gedächtnis und setzt dieses auch bei seinen Landsleuten voraus, weil er die Ursachen und Folgen des Staatsbankrotts mehr oder weniger aus dem Bild herausretuschiert, und alle Mißstände in „schlechtes Regieren“ auflöst.

Sein erster großer Schritt in ökonomischer Hinsicht war das Ende der Devisenbeschränkungen und die Freigabe des Wechselkurses.
Auch das wurde begrüßt:

„Was die Freigabe des Peso für Argentinien bedeutet … Für die unternehmerische Mittel- und Oberschicht ist Macris Kurswechsel deshalb eine lange erwartete Glücksnachricht.“ (SZ, 17.12.2015)

„Er macht die Währung frei handelbar und reduziert Handelsbarrieren – ein Hoffnungsschimmer für Anleger und Unternehmen.“ (Wirtschaftswoche, 18.12.)

Die Folgen waren zwar irgendwie unerfreulich:

„Schon am Donnerstag (Ortszeit) rutschte der Peso um mehr als 40 Prozent zum Dollar ab,“ – gehen aber zweifelsohne in Ordnung: „Die neuen Notierungen entsprechen ungefähr den vorherigen Schwarzmarktkursen,“ also hat sich eigentlich ohnehin nicht viel geändert, oder?

Ausgerechnet das Handelsblatt hält sich weniger beim Geschimpfe auf die Vorgängerregierung und der Nährung des Prinzips Hoffnung auf, sondern redet Klartext:

„Die Regierung hofft, so die Exporte anzutreiben. Doch die Abwertung könnte die galoppierende Inflation weiter antreiben.“

Einfache Logik: Im Rahmen der Devisenbewirtschaftung konnten die Importeure bisher zum offiziellen Wechselkurs importieren. Jetzt müssen sie 40% – oder mehr – über dem vorigen Preis berappen und das an ihre Kunden weitergeben. Entweder die Gehälter in Argentinien werden erhöht, oder die meisten Leute können sich das Zeug nicht mehr kaufen, was den inneren Markt drastisch reduziert und Argentinien für Investoren sehr unattraktiv macht. Die Freigabe des Wechselkurses wird also zwangsläufig eine neuerliche Verelendung der Bevölkerung und einen Anstieg der Kapitalflucht zur Folge haben.

Aber der „Reformwille“ des neuen Besens ist ungebrochen und vorige Woche räumte er mit einer weiteren Altlast des „Kirchnerismus“ auf, den beschränkten und subventionierten Energiepreisen, zumindest für den Großraum Buenos Aires:

„Marcri nimmt seine erste große Preisanpassungs-Maßnahme in Angriff, die Erhöhung der Elektrizitätspreise auf bis zu 300%, wenngleich die Details erst am 1. Februar bekanntgegeben werden.“

Der Artikel befaßt sich im weiteren mit den erwarteten positiven Effekten: Die Energie-Unternehmen können endlich wieder marktwirtschaftliche Preise festsetzen (stillschweigend wird unterstellt, daß die Kunden sie auch bezahlen können) und das Netz verbessern und ausbauen, und die Regierung ist einen Subventionsposten los. Ein Win-Win-Effekt wie im Bilderbuch.
Man muß hier hinzufügen, daß in Argentinien derzeit Sommer ist und zwar Klimaanlagen in Betrieb sind, aber das Heizproblem nicht aktuell ist. Wenn bei uns der Sommer einzieht und dort der Winter, kann man mit Meldungen über Erfrierungstote rechnen, sofern die marktwirtschaftsgeile Presse das überhaupt für berichtenswert hält.

Während sich die deutschsprachigen Medien über das nach wie vor virulente Schulden- und Devisenproblem Argentiniens eher bedeckt geben, und der Hoffnung Ausdruck verleihen, daß sich bei entsprechendem guten Willlen schon eine Lösung finden lassen wird, meldet El País, daß sich die Regierung Macri bereits im December, anläßlich der Peso-Freigabe, in der Finanzwelt umgehorcht hat:

„In der argentinischen Presse wurde spekuliert, daß die argentinische Zentralbank ein Abkommen zum Währungsaustausch mit der US-Fed oder den Zentralbanken Mexikos oder Brasiliens aushandeln könnte, aber bisher hat sich nur China in Sachen Aushilfe bereit erklärt.“

Nebenbei bemerkt wird der neue Wind zur Liberalisierung in den restlichen Staaten des Mercosur nämlich übel aufgenommen, weil er den Bestrebungen nach Schaffung eines gemeinsamen Marktes zuwiderläuft.

Die Perspektiven Argentiniens sind also:
weitere Verelendung der Bevölkerung, Tote durch Verhungern und Erfrieren
galoppierende Inflation, wie unter der Regierung Alfonsín
Bankrotte von Importfirmen und Energieversorgern
infolgedessen Streiks und Aufstände, und ein Anstieg der Gewaltverbrechen
und Händezusammenschlagen der Jubelpresse, wie jemand wie Macri in so kurzer Zeit sein „Kapital“ so habe verspielen, die in ihn gesetzten Erwartungen so sehr enttäuschen können! Nötigenfalls kann man noch die Schuld dem „Bremsern“ in Behörden und Parlament zuschreiben, die immer noch dem „Kircherismus“ verpflichtet sind und alles behindern.

Leichte Vorahnungen gibt es, manche Medien warnen vor der „Durststrecke“, die die argentinische Regierung und ihr Oberhaupt noch vor sich haben.

Frühere Beiträge zu Argentinien

Zum Prozeß der Gläubiger in New York:

Der Countdown läuft
https://nestormachno.alanier.at/der-argentinien-krimi-neueste-folge/ – 11.7. 2014

Das weltweite Kreditsystem wackelt wieder einmal
https://nestormachno.alanier.at/argentinien-am-scheideweg – 19.6. 2014

Aasgeier kreisen über Argentinien – 24.2. 2013

Der IWF und Argentinien:
Argentiniens Zahlungsunfähigkeit 2001/2
https://nestormachno.alanier.at/die-weltfinanzbehoerde-laesst-einen-musterschueler-durchfallen/– 2.8. 2011
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Argentinische Bankiers zur Euro-Schuldenkrise
https://nestormachno.alanier.at/ein-grosses-pyramidenspiel – 15.5. 2011