Die endgültige Umstellung auf Buchgeld

BARGELD ADE?

Seit geraumer Zeit befassen sich mediale Experten und politische Akteure mit der Idee, das Bargeld aus dem Verkehr zu ziehen, und die Bürger auf digitale Zahlung zu verpflichten.

Die dänische Regierung hat sich zum Vorreiter dieser Bewegung gemacht und möchte das erste Land sein, das das Bargeld auf seinem Territorium eliminiert. Dänemark kann sich das leisten, weil es kein Mitglied der Eurozone ist und deshalb Hoheit über das in seinem Lande im Umlauf befindliche Geld behalten hat. Der erste Akt dieser Hoheit ist paradoxerweise das Einstellen der staatlichen Druckerpresse: Dänemark druckt keine Kronen-Scheine und prägt keine Münzen mehr.

Der zweite Schritt geht ebenfalls recht einfach, wenn man ein Staat ist und ein Gewaltmonopol hat: Man verbietet einfach die Barzahlung.

Als erstes wurde in Restaurants, Geschäften für Gwand und an Tankstellen die Barzahlung verboten. Es ist anzunehmen, daß nach einiger Zeit weitere Transaktionen in Bargeld ebenfalls verboten werden. Ob es gelingt, es völlig zu verdrängen, ist noch nicht heraußen, ebensowenig, ob das in anderen Staaten durchführbar ist. Alle Bargeld-Eliminierer schauen inzwischen auf Dänemark, um aus dessen Erfahrungen zu lernen.
Wer sind die Betreiber und wer wären die Gewinner dieser Umgestaltung?

1. die Staaten selbst, einmal in Form ihrer Notenbanken. Mit der Eliminierung von Bargeld würde ein ziemlicher Aufwand und damit auch Kosten wegfallen, die der Bargeldumlauf in der Staatskasse verursacht. Das Drucken von Geld, das möglichst fälschungssicher sein soll, kostet die jeweiligen Notenbanken einiges an Personal, Gerät und Material. (Sie machten allerdings auch lange, vor allem nach 1990, sehr lukrative Geschäfte mit Staaten, die sich ihre Geld von echten Profis drucken ließen.)
Aber auch der Sicherheitsapparat und die Justiz könnten personell verschlankt werden, da einiges an Kriminalität nicht mehr möglich oder lukrativ wäre, vom Geldfälscher über den Einbrecher bis zum Taschendieb.
Schließlich auch in Bezug auf ihre Steuerhoheit. Steuerhinterziehung wäre praktisch unmöglich, weil alle Transaktionen im System erfaßt werden.

2. die Banken. Sie wären endgültig die einzigen Geldbesitzer, weil über ihre Server der gesamte Zahlungsverkehr des Landes abläuft. Ihr Monopol und ihre Systemrelevanz wären damit endgültig erwiesen, und auch Bankenrettungen ließen sich in Zukunft technisch, möglicherweise sogar juristisch noch leichter abwickeln.
Man sieht hier aber auch die Schwachstelle dieser Brave New World, von der Staat und Finanzkapital träumen – es funktioniert nur wirklich, wenn ALLE Staaten bargeldlos unterwegs sind. Sobald einer oder mehrere das bargeldlose System nicht übernehmen, werden sie zu einem Hort für Fluchtgeld. Die bargeldlosen Staaten müßten dann die Überweisungen in Bargeldstaaten verbieten und damit den Warenverkehr mit ihnen unterbinden.

Wer wären die Verlierer oder zumindest negativ Betroffenen des bargeldlosen Verkehrs?

1. alte oder behinderte Leute, die sich auf dieses System nicht mehr umstellen können. Sie würden dann teilentmümdigt und ihnen ein Finanzkurator zur Seite gestellt, der das alles für sie erledigt, wodurch jeder Art von Mißbrauch Tür und Tor geöffnet würden.

2. verschiedene Kriminelle, wie Geldfälscher, Diebe, Drogenhändler, denen ihr Geschäftsmittel abhanden kommt. Die ganze „Schattenwirtschaft“. Auf diesen Effekt ist natürlich die Staatsgewalt besonders scharf.
Dafür schlägt die Stunde der Hacker, die irgendwelche Konten und Server knacken und sich dann ihre Beute irgendwo in einem Bargeldstaat herunterladen, um sie reinzuwaschen und bei Bedarf woanders wieder ins bargeldlose System einzuspeisen.

3. Sparer, Besitzer von Geldvermögen, die dem Bankensystem nicht trauen und ihr Geld lieber in der Matratze lagern oder im Garten vergraben. Dieser Effekt, den Abzug aus Banken zu verhindern, ist vor allem angesichts der Ereignisse der letzten Jahre in Griechenland und Zypern ein gewichtiger Pluspunkt für die Politiker, die Banken retten und Einlagen einkassieren wollen. Wenn nämlich eigentlich die Banken die einzigen autorisierten Geldeigentümer sind, so können die nominellen Eigentümer jederzeit mit einem Knopfdruck enteignet werden.
Die gesamte Eigentumsordnung würde somit von ihrem lästigen Beiwerk, dem Kleinvieh befreit und die Verwandlung von Geld in Kapital wäre gesamtgesellschaftlich abgeschlossen: nur mehr das ist Eigentum, was als Kapital verwertet wird, alles andere ist reines Lehen im Stirnerschen Sinne, eine Art Almosen, das per Gesetz oder Dekret jederzeit wieder zurückgezogen oder unterbunden werden kann.

Die Eliminierung des Bargeldes hätte auch sonst weitreichende Folgen. Das Geld als Maß der Werte, das allen Waren und Dienstleistungen als Preiszettel aufgedrückt ist, wäre endgültig aller materiellen Existenz beraubt und würde zu einem rein ideellen Zwang, dem sich keiner entziehen, dessen sich aber auch niemand mehr ohne weiteres bemachtigen kann. Das heißt, kein Privater, kein Normalverbraucher, auch kein Unternehmer, sondern nur diejenigen, die als Politiker über Macht oder als Bankiers über eine Konzession verfügen.

Auf das oben beschriebene Problem der Universalität oder räumlichen Begrenztheit des bargeldlosen Verkehrs bezogen würde die Eliminierung des Bargelds eine neue Dimension in der imperialistischen Konkurrenz einleiten. Wenn die bargeldlosen Staaten die „Guten“ sind, so sind die Bargeldstaaten die Schurkenstaaten, die mit allen Mitteln bekämpft gehören. Der IWF oder Einzelstaaten könnten Kredite davon abhängig machen, daß der Schuldnerstaat den bargeldlosen Zahlungsverkehr bei sich einführt.

Schließlich entsteht eine Art neue Klasse oder Kaste von Sicherheitsbeamten, die versuchen, das bargeldlose System ihres Staates sicherzustellen und die Bargeldsysteme der Verweigererstaaten zu beschädigen, um sie auf diese Art und Weise in das bargeldlose System zu zwingen. Professionelle Cyberwarriors.

Marx nannte das Geld einmal das „reale Gemeinwesen“, weil über das Geld die verschiedensten Akteure der Gesellschaft miteinander und auch mit den Mittellosen, der Manövriermasse von Staat und Kapital zusammenhängen.

Bargeldlos würde dieser Zwangszusammenhang noch viel drückender, eben gerade dadurch, daß er gar nicht mehr greifbar, sondern nur noch virtuell wäre.

Argentinien schifft wieder ab

RICHTUNGSWECHSEL IN ARGENTINIEN: MAURICIO MACRI, EIN HELD AUF ABRUF

Die internationalen Medien waren in den letzten Jahren immer mehr von Kritik am „Regierungsstil“ von Frau Kirchner erfüllt, die durch alle möglichen Eingriffe in die Wirtschaft die Investoren verschreckte, die Schulden Agentiniens nicht zahlte, sich den Chinesen an den Hals warf, und ihre Bevölkerung mit bevormundenden Subventionen „kaufte“, nur um ihres Machterhaltes willen natürlich, unnötige Geschenke an die Armen machte, die Inflationszahlen fälschte (im Unterschied zur EU, deren Statistiken von kristallklarer Wahrhaftigkeit sind) usw. usf.

Endlich, endlich kam die Erlösung in Form von Mauricio Macri, der sehr zur Freude der internationalen Beweihräucherer der Marktwirtschaft entschlossen war, den kirchnerschen Augiasstall auszukehren.
Ein paar Lobmeldungen:

„Kurz und sachlich – ein neuer Stil für Argentinien … Mit knappen und sachlichen Worten umriss er seine Ziele. Dazu gehört die Stärkung des Handels – was der Vertreter aus Deutschland gerne hört.“ (Tagesschau, 11.12.)

Die NZZ kann sich fast nicht einkriegen über die wirtschaftliche Vernunft, die sich endlich auch in Argentinien durchsetzt:

„Das interventionistische Korsett und die populistische Subventionspolitik des Kirchnerismus hatten zur Stagnation der Wirtschaft und zu Rekorddefiziten im Staatshaushalt geführt. Macri verfügte deshalb die Freigabe des Dollarkurses, entlastete die Agrar- und Industrieproduzenten von Exportsteuern und strich die Verbilligungen für bedürftige Konsumenten bei der Energie.“

ähnlich euphorisch der „Spiegel“:

„Die Argentinier haben für einen radikalen Wechsel gestimmt, nicht nur von links nach rechts, sondern auch und vor allem in der Kultur der Macht.“

Macri versprach auch, die Verhandlungen mit den Geierfonds wieder aufzunehmen, und gab als erstes einmal den Wechselkurs zum Dollar frei.

Man muß an dieser Stelle erklären, warum die Regierungen Kirchner eine Devisenbewirtschaftung einführten und bis zum Ende ihrer Amtszeit beibehielten.
Vor 2002 herrschte in Argentinien die Politik des „currency boards“, der 1:1-Bindung des Peso an den Dollar, die mit dem IWF ausgehandelt worden war. Sie wurde aufrechterhalten durch strikte Austeritätspolitik und der Möglichkeit, sich an internationalen Börsen in Devisen zu verschulden. Das Zusperren fast der gesamten Industrie – weil nicht effizient, nicht profitabel! – kippte Argentiniens Handelsbilanz, und die steigenden Importe konnten nur durch immer höhere Verschuldung bezahlt werden. Der IWF entzog Argentinien 2001 seine Gunst, damit auch die internationalen Kreditgeber. Argentinien konnte seine Schulden nicht mehr begleichen und meldete Zahlungsunfähigkeit an.
Seither ist Argentinien von den (traditionellen) internationalen Finanzmärkten abgeschnitten und der Staat kann sich nur aus der internen Reichtumsproduktion des Landes finanzieren, durch Steuern, Abgaben, Zölle und die unter diesen Umständen unvermeidlichen Schmiergelder.
Weiters können Importe – die unumgänglich notwendig sind, da die produktive Basis des Landes in Folge der IWF-Auflagen bis 2001 ziemlich geschrumpft war und sich bis heute unter den Bedingungen des Kapitalmangels nicht wirklich erholt hat – können also diese Importe nur mit denjenigen Devisen bezahlt werden, die durch Export erlöst werden. Da aber viele Devisenexporteure, vor allem im Agrarbereich, ihr Geld lieber im Ausland parken, sofern es möglich ist, gab es an dieser Front ständig Streit zwischen der Regierung und den exportierenden Unternehmen.

Das hatte mehrerlei Folgen: erstens eine Devisenbewirtschaftung zur Eindämmung der Kapitalflucht, und einen offiziellen Wechselkurs, der durch Interventionskäufe gestützt wurde, neben einem Dollar-Schwarzmarkt, der gegen entsprechendes Bakschisch geduldet wurde.

Eine weitere Folge war der Abschluß umfangreicher Handelsabkommen mit China, das im Gegenzug gegen Importe von Energie und LW-Produkten, vor allem Soja, Argentinien einen Kreditrahmen in Dollar sowie unmittelbaren Warentausch auf Verrechnungsbasis, ohne faktische Geldflüsse eröffnete.
Macri interpretierte in braver nationalökonomischer Manier diese Versuche, den Warenumlauf in Argentinien überhaupt am Laufen zu halten, als eine schädliche Knebelung der Wirtschaft, die Investoren verschrecke und deshalb das Gedeihen der Wirtschaft behindere. Er vertauscht also Ursache und Wirkung. Die Maßnahmen der Vorgängerregierung waren für ihn nicht Reaktionen auf ein Scheitern der Wirtschaft, sondern sind die Ursache dafür, daß sie nicht vorankommt. Er selber zeigt damit ein sehr kurzes Gedächtnis und setzt dieses auch bei seinen Landsleuten voraus, weil er die Ursachen und Folgen des Staatsbankrotts mehr oder weniger aus dem Bild herausretuschiert, und alle Mißstände in „schlechtes Regieren“ auflöst.

Sein erster großer Schritt in ökonomischer Hinsicht war das Ende der Devisenbeschränkungen und die Freigabe des Wechselkurses.
Auch das wurde begrüßt:

„Was die Freigabe des Peso für Argentinien bedeutet … Für die unternehmerische Mittel- und Oberschicht ist Macris Kurswechsel deshalb eine lange erwartete Glücksnachricht.“ (SZ, 17.12.2015)

„Er macht die Währung frei handelbar und reduziert Handelsbarrieren – ein Hoffnungsschimmer für Anleger und Unternehmen.“ (Wirtschaftswoche, 18.12.)

Die Folgen waren zwar irgendwie unerfreulich:

„Schon am Donnerstag (Ortszeit) rutschte der Peso um mehr als 40 Prozent zum Dollar ab,“ – gehen aber zweifelsohne in Ordnung: „Die neuen Notierungen entsprechen ungefähr den vorherigen Schwarzmarktkursen,“ also hat sich eigentlich ohnehin nicht viel geändert, oder?

Ausgerechnet das Handelsblatt hält sich weniger beim Geschimpfe auf die Vorgängerregierung und der Nährung des Prinzips Hoffnung auf, sondern redet Klartext:

„Die Regierung hofft, so die Exporte anzutreiben. Doch die Abwertung könnte die galoppierende Inflation weiter antreiben.“

Einfache Logik: Im Rahmen der Devisenbewirtschaftung konnten die Importeure bisher zum offiziellen Wechselkurs importieren. Jetzt müssen sie 40% – oder mehr – über dem vorigen Preis berappen und das an ihre Kunden weitergeben. Entweder die Gehälter in Argentinien werden erhöht, oder die meisten Leute können sich das Zeug nicht mehr kaufen, was den inneren Markt drastisch reduziert und Argentinien für Investoren sehr unattraktiv macht. Die Freigabe des Wechselkurses wird also zwangsläufig eine neuerliche Verelendung der Bevölkerung und einen Anstieg der Kapitalflucht zur Folge haben.

Aber der „Reformwille“ des neuen Besens ist ungebrochen und vorige Woche räumte er mit einer weiteren Altlast des „Kirchnerismus“ auf, den beschränkten und subventionierten Energiepreisen, zumindest für den Großraum Buenos Aires:

„Marcri nimmt seine erste große Preisanpassungs-Maßnahme in Angriff, die Erhöhung der Elektrizitätspreise auf bis zu 300%, wenngleich die Details erst am 1. Februar bekanntgegeben werden.“

Der Artikel befaßt sich im weiteren mit den erwarteten positiven Effekten: Die Energie-Unternehmen können endlich wieder marktwirtschaftliche Preise festsetzen (stillschweigend wird unterstellt, daß die Kunden sie auch bezahlen können) und das Netz verbessern und ausbauen, und die Regierung ist einen Subventionsposten los. Ein Win-Win-Effekt wie im Bilderbuch.
Man muß hier hinzufügen, daß in Argentinien derzeit Sommer ist und zwar Klimaanlagen in Betrieb sind, aber das Heizproblem nicht aktuell ist. Wenn bei uns der Sommer einzieht und dort der Winter, kann man mit Meldungen über Erfrierungstote rechnen, sofern die marktwirtschaftsgeile Presse das überhaupt für berichtenswert hält.

Während sich die deutschsprachigen Medien über das nach wie vor virulente Schulden- und Devisenproblem Argentiniens eher bedeckt geben, und der Hoffnung Ausdruck verleihen, daß sich bei entsprechendem guten Willlen schon eine Lösung finden lassen wird, meldet El País, daß sich die Regierung Macri bereits im December, anläßlich der Peso-Freigabe, in der Finanzwelt umgehorcht hat:

„In der argentinischen Presse wurde spekuliert, daß die argentinische Zentralbank ein Abkommen zum Währungsaustausch mit der US-Fed oder den Zentralbanken Mexikos oder Brasiliens aushandeln könnte, aber bisher hat sich nur China in Sachen Aushilfe bereit erklärt.“

Nebenbei bemerkt wird der neue Wind zur Liberalisierung in den restlichen Staaten des Mercosur nämlich übel aufgenommen, weil er den Bestrebungen nach Schaffung eines gemeinsamen Marktes zuwiderläuft.

Die Perspektiven Argentiniens sind also:
weitere Verelendung der Bevölkerung, Tote durch Verhungern und Erfrieren
galoppierende Inflation, wie unter der Regierung Alfonsín
Bankrotte von Importfirmen und Energieversorgern
infolgedessen Streiks und Aufstände, und ein Anstieg der Gewaltverbrechen
und Händezusammenschlagen der Jubelpresse, wie jemand wie Macri in so kurzer Zeit sein „Kapital“ so habe verspielen, die in ihn gesetzten Erwartungen so sehr enttäuschen können! Nötigenfalls kann man noch die Schuld dem „Bremsern“ in Behörden und Parlament zuschreiben, die immer noch dem „Kircherismus“ verpflichtet sind und alles behindern.

Leichte Vorahnungen gibt es, manche Medien warnen vor der „Durststrecke“, die die argentinische Regierung und ihr Oberhaupt noch vor sich haben.

Frühere Beiträge zu Argentinien

Zum Prozeß der Gläubiger in New York:

Der Countdown läuft
https://nestormachno.alanier.at/der-argentinien-krimi-neueste-folge/ – 11.7. 2014

Das weltweite Kreditsystem wackelt wieder einmal
https://nestormachno.alanier.at/argentinien-am-scheideweg – 19.6. 2014

Aasgeier kreisen über Argentinien – 24.2. 2013

Der IWF und Argentinien:
Argentiniens Zahlungsunfähigkeit 2001/2
https://nestormachno.alanier.at/die-weltfinanzbehoerde-laesst-einen-musterschueler-durchfallen/– 2.8. 2011
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Argentinische Bankiers zur Euro-Schuldenkrise
https://nestormachno.alanier.at/ein-grosses-pyramidenspiel – 15.5. 2011

Pressespiegel: El País, 23.1. 2016

ITALIEN FÜRCHTET EINEN ZUSAMMENBRUCH DER BANKEN DURCH NOTLEIDENDE KREDITE
Matteo Renzi versucht, eine Finanzkrise in der drittgrößten Volkswirtschaft der Eurozone zu vermeiden
Die italienische Wirtschaft birgt eine Zeitbombe, die die von Premierminister Matteo Renzi eingeleiteten geschickten Ablenkungsmanöver nicht mehr verstecken können. Seit Anfang dieses Jahres (also innerhalb von 3 Wochen) haben Italiens Banken im Durchschnitt 20% ihres Börsenwertes verloren – im Fall des Monte dei Paschi (MPS) sogar 40%. Das fällt besonders schwer ins Gewicht, wenn man zwei damit zusammenhängende Aspekte berücksichtigt:
Einerseits entfallen 30% der Mailänder Börse auf den Banksektor, andererseits sind die Banken erste Anlaufsstelle für die Finanzierung der Klein- und Mittelbetriebe, noch lange vor dem Kapitalmarkt. Es ist daher nicht überraschend, daß die Krise es vielen Schuldnern verunmöglicht, ihre Kredite zurückzuzahlen, wenn man in Betracht zieht, daß Italiens BIP seit 2008 um 8% zurückgegangen ist und die Industrieproduktion um ein Viertel eingebrochen ist.
Die Summe der geplatzten Kredite wird auf 200 Milliarden geschätzt – 16,7% der gesamten Kreditmenge, und damit mehr als doppelt so hoch wie in Spanien (7%) oder Frankreich (4%). Hinzu kommen weitere 160 Milliarden, deren Rückzahlung laut italienischer Nationalbank unwahrscheinlich ist. Teil einer Lösung – oder des Löcherstopfens – wäre die Schaffung einer Bad Bank. Als Spanien oder Irland eine solche einrichteten, verwehrte sich Italien dagegen, aber derzeit verhandelt der italienische Wirtschaftsminister Pier Carlo Padoan in Davos unter Zeitdruck die Bedingungen für die Errichtung einer solchen Institution. Seine wichtigste Trumpfkarte ist der Umstand, daß die Explosion der italienischen Banken-Bombe die gesamte Eurozone schwer treffen würde.
Es ist bemerkenswert, daß Renzi den Bankencrash in Italien – der teilweise durch eine Anfrage der EZB bei einigen Instituten betreffend ihr Kreditrisiko ausgelöst wurde – mit einer scharfen, wenngleich inhaltsleeren Polemik mit Jean Claude Juncker verbunden hat. Die solcherart gezündeten Nebelgranaten verflüchtigten sich innerhalb von 48 Stunden, es gelang aber, von dem entscheidenden Problem abzulenken, dem sich Renzi seit seinem Amtsantritt gegenübersieht.
Die Reform des Banksektors erweist sich inzwschen als Fiasko. Einige Banken, wo wichtige Mitglieder der Regierung in irgendeiner Form involviert sind, wurden im letzten Augenblick vor dem Zusammenbruch bewahrt. Ein gutes halbes Dutzend Banken steht zum Verkauf, es ist aber weit und breit kein Käufer in Sicht. Am schwersten wiegt der Umstand, daß es keine verläßlichen Daten über den Zustand des Banksektors gibt und sich die Lage dadurch kaum einschätzen läßt. …
Die Attacke auf Juncker und die EU kann als Versuch Renzis gewertet werden, vor einem euroskeptischen Publikum zu punkten und sich dadurch an der Regierung zu halten.
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Angesichts der solcherart drastisch geschilderten Situation des italienischen Banksektors sei daran erinnert, daß Italiens Rating bei BBB liegt und der Verlust des dritten Bs laut EU-Vorschriften für Finanzdienstleister alle institutionellen Anleger wie Pensionsfonds und Versicherungen sowie Treuhänder in der EU zum Verkauf der Papiere nötigt, die damit Ramsch-Status erlangen.
Der italienische Staat refinanziert sich nur dank des Anleihen-Aufkaufs-Programms der EZB. Die Einrichtung einer Bad Bank würde den italienischen Staatskredit belasten, es sei denn, die EZB übernimmt deren Finanzierung gleich selbst. Die in Frage stehenden Summen sind, wie man dem obigen Artikel entnehmen kann, jedenfalls gewaltig.