Der Schrei nach Inflation

GELDVERMEHRUNG ALS WACHSTUMSHEBEL?

Erinnert sich noch wer an die Maastricht-Kriterien? 60 % Gesamtschulden, 3 % Neuverschuldung pro Jahr, alles im Verhältnis zum BIP.

Heute liegt der ganze Euroraum bei über 90 % Gesamtverschuldung, manche Mitgliedsstaaten weit darüber. Bei der Neuverschuldung der Eurozone wird zwar behauptet, sie sei unter 3% gesunken, aber weder das eine noch das andere sind eigentlich mehr Thema in der Öffentlichkeit.

Die Inflationsrate darf nach diesen Konvergenzkriterien nicht mehr als 1,5 Prozentpunkte über derjenigen der drei preisstabilsten Mitgliedstaaten liegen.

Dabei wären die Währungshüter von der EZB heute heilfroh, wenn sie 1,5 % oder mehr hinkriegen. Damals, in Maastricht und später, sollte eine zu hohe Inflationsrate verhindert werden. Verantwortungsloses „Gelddrucken“ sollte unterbunden werden, mit Zinssätzen und Zugangsbeschränkungen zu EZB-Krediten.

Heute hat die EZB ganz andere Probleme, es gibt praktisch keine Inflation:

„Im Oktober waren die Preise in der Währungsunion lediglich um 0,1 Prozent gestiegen. Die Europäische Zentralbank strebt als idealen Wert für die Wirtschaft eine Teuerungsrate von knapp unter zwei Prozent an …“ (Standard, 20.11.)

„Draghi will Inflation mit allen Mitteln anheizen … Mario Draghi hat wegen der hartnäckig niedrigen Inflation in der Euro-Zone seine Bereitschaft zu einer weiteren Öffnung der Geldschleusen bekräftigt. … »Wir werden das tun, was wir machen müssen, um die Inflation so schnell wie möglich zu erhöhen.«“ (HB, 20.11.)

Wer vor 15 Jahren auch nur vermutet hätte, daß sich die EZB einmal mit solchen Problemen würde herumschlagen müssen, wäre für narrisch erklärt worden. Es geht gegen jedes Ökonomie-Lehrbuch, und mutet auch sonst reichlich absurd an, was der oberste Währungshüter Europas hier vermeldet.

Das alles, nachdem schon seit geraumer Zeit jede Menge Geld von der EZB in die Ökonomie gepumpt wurde, so eine Billion zwischen November 2011 und April 2012.
Außerdem wurden voriges Jahr die Zinsen gegen Null gesenkt, und der Wirtschaft weiteres Geld billig zur Verfügung gestellt.

Gebracht hat das bisher wenig:

„Die EZB und die nationalen Zentralbanken pumpen bereits seit gut neun Monaten Woche für Woche Milliarden in das Bankensystem, um Geldhäuser zur Vergabe von mehr Krediten an die Wirtschaft zu bewegen. Das würde die Konjunktur anschieben und für steigende Preise sorgen. Die Auswirkungen auf die Preisentwicklung blieben bisher aber mager.“ (ebd.)

Die Antwort der EZB: noch mehr davon!

„Bisher sollen die Käufe bis September 2016 laufen und alles in allem einen Umfang von mehr als einer Billion Euro erreichen.“ (ebd.)

Also, wieder 1000 Milliarden ins Geldsystem, und dann noch Straf- = Negativzinsen für Einlagen:

„Der Einlagenzins liegt aktuell bei minus 0,2 Prozent – Banken müssen also eine Strafe bezahlen, wenn sie über Nacht Geld bei der EZB parken. Der Einlagesatz ist also eines der Mittel, mit denen die EZB die Kreditvergabe an die Wirtschaft ankurbeln will.“ (ebd.)

Der Euro gab gleich nach der Bekanntgabe dieser Beschlüsse nach, was davon zeugt, daß diese Perspektiven die Akteure der Finanzmärkte nicht vom Stockerl hauen.

Warum setzt der Euro-Bankchef auf eine Methode, die gegen alle bisherigen Gepflogenheiten geht und deren Wirkungslosigkeit eigentlich schon überdeutlich ist? Zumindest was die von der EZB angegebenen Ziele betrifft.
Die Antwort ist erstens: weil sie für die Ziele, die sie verfolgen, keine anderen Möglichkeiten haben. Außer mehr oder weniger Geld und höhere oder niedrigere Zinsen kann die EZB – oder auch die Fed – nicht allzuviel machen. Sie stellt ja nur Geld – Maß der Werte, Zahlungsmittel, Zirkulationsmittel – zur Verfügung, es ist die Aufgabe der Privatwirtschaft, damit Profit zu machen und deswegen zum Wachstum beizutragen.
Und da dergleichen nur beschränkt geschieht, kommt das Wachstum nicht auf Touren. Die Profiterzeugung scheitert an der mangelnden Zahlungsfähigkeit, sodaß das p.t. Publikum teilweise als Konsumverweigerer beschimpft wird, wenn es seiner obersten Pflicht als Käufer nicht nachkommt. Gleichzeitig wird durch Sparprogramme, Pensions- und Sozialkürzungen die allgemeine Zahlungsfähigkeit europaweit eingeschränkt. Die Kreditvergabe der Banken ist von den schlechten Erfahrungen des letzten Jahrzehnts gezeichnet, als jede Menge Kunden erst mit allen Mitteln gewonnen wurde und dann die Kredite nicht mehr bedienen konnte. Die Ausweitung der Zahlungsfähigkeit durch Kredit ist also auch stark eingeschränkt. Und die Stagnation im Konsumentenbereich hat natürlich seine Ergebnisse auf die Produktionsgüterindustrie.

Dazu kommen Sanktionen gegen Rußland, Strukturwandel und deshalb geringerer Importbedarf in China und überhaupt unerfreuliche Entwicklungen am Weltmarkt, die eine Exportoffensive wenig perspektivenreich erscheinen lassen.

Es läßt sich also – auf die Erfahrungen der letzten Jahre bauend – vorhersagen, daß den Maßnahmen der EZB in Sachen Inflationsbelebung und Wachstum kein Erfolg beschieden sein wird. Das wissen die obersten Währungshüter selber, ihre Aussagen klingen nicht überzeugt und überzeugen auch niemanden.

Warum also handeln sie trotzdem so?

Die Antwort ist zweitens: um Schlimmeres zu vermeiden. Mit dieser fortgesetzten Geldschwemme ermöglichen sie es den Banken, Staatsanleihen in großem Umfang auszukaufen und dadurch zwar von der Rate her eher geringe, von der Masse her jedoch letzlich profitable Geschäfte mit Staatsanleihen zu machen. Dadurch bleibt der Kredit der Pleitestaaten aufrecht, die Banken haben ein Geschäftsfeld und der Euro wird am Leben gehalten.

Das ist auch wichtig im Auge zu behalten angesichts der Politik, die gegenüber Griechenland und vielleicht auch bald Portugal betrieben wird, die von dieser unbeschränkten Geldversorgung ausgeschlossen sind.

Das internationale Finanzkapital

DAS SCHWANKEN DER GIGANTEN
Bis 2008 floß Kredit reichlich und wurde als Wachstumsmotor geschätzt, befördert und gelobt. Und ganz verabschiedet haben sich die Politiker und Ideologen in Medien, Universitäten und Think Tanks von dieser Vorstellung noch immer nicht. Kredit soll sein und muß sein, und alle sind seit 7 Jahren damit beschäftigt, weiterhin den Kredit schönzureden und sich Kredit für ihre Ziele zu beschaffen, während man die Unkosten des gescheiterten Kredits gerne auf andere abwälzen möchte.
Kredit ist Anspruch auf zukünftigen Gewinn, der seit geraumer Zeit nur mehr durch weiteren Kredit generiert wird, nicht durch wirklich gelungene Geschäfte.
Den ständig wachsenden Kreditberg schieben Staaten, Banken und Finanzdienstleister in immer schlechterem Einverständnis miteinander vor sich her, und hofften lange Zeit vermutlich, daß irgendein Wunder geschehen und die Konjunkturlokomotive von irgendwoher hereinrattern würde, oder sich in einer Felswand ein Safe öffnen, die ganzen faulen Kredite inhalieren und als Gold oder Diamanten, also echte und wahre Werte wieder ausspucken möge.
Man verzeihe das blumige Bild, aber die Verlautbarungen von Bankchefs, Politikern und Wirtschaftswissenschaftlern klangen in den letzten Jahren alle so, als ob so ein Wunder geschehen, ein deus ex machina den ganzen Schulden-Saustall auskehren würde.
Ewig läßt sich dieser naive Kinderglaube aber nicht aufrechterhalten und auch nicht endlos der Menschheit solchermaßen ein X für ein U vormachen. Irgendwann glaubt niemand mehr den Experten und schon gar nicht glauben die Akteure des Finanzsektors die Zwecklügen, die einem die Kollegen auftischen.
Es steht also eine Bereinigung an, und die wird nun von verschiedenen Institutionen und Geldinstituten in Angriff genommen. Was dabei herauskommt, läßt sich nicht abschätzen, klar ist jedoch, daß irgendwo abstrakter Reichtum = Zahlen auf Konten gestrichen werden müssen, weil sich die Behauptung, sie würden Wert repräsentieren, nicht länger aufrechterhalten läßt. Und dadurch alle Reichtumstitel, Aktiva, sogar das Geld selbst in Verruf geraten ist und jetzt irgendwie wieder vertrauenswürdig gemacht werden sollen.
1. Schuldenstreichung – für Griechenland nein, für die Hypo Alpe Adria schon?
So steht in Österreich seit geraumer Zeit eine Bankruine namens Hypo Alpe Adria herum, die irgendwie abgebaut werden soll. Das Hauptproblem ist, daß diese Bank in ihren besseren Zeiten Bankanleihen ausgegeben hat, die – weil sie etwas höher verzinst waren als vergleichbare Anleihen im deutschsprachigen Raum, aber als völlig solid galten – von diversen großen deutschen Banken und anderen Instituten gekauft wurden. Entweder diese Anleihen werden vom österreichischen Staat, der inzwischen Eigentümer der Hypo ist, bedient, d.h. der österreichische Staat muß aus seinem Budget die Gewinnansprüche von aus- und inländischen privaten Geldinstituten bedienen und dafür seinen eigenen Staatskredit strapazieren.
Um das zu vermeiden, soll hier eine Schuldenstreichung und ein Vergleich stattfinden. Verhandlungen und Klagen sind unterwegs. Es handelt sich um eine Summe von 10-15 Milliarden, und um einen Präzedenzfall: Eine mit Garantien des Bundeslandes versehene und von der staatlichen Aufsicht als gesund eingestufte Bank gibt Anleihen aus, die sie einige Jahre später nicht mehr bedienen kann und die der Staat nicht übernehmen will. Da die Hypo nicht die einzige Bank ist, die dergleichen gemacht hat, könnten andere Institute bzw. Regierungen ebenfalls einen solchen Haircut vornehmen, was die Aktiva der Banken, die aus solchen von anderen Banken ausgegebenen Wertpapieren bestehen, ziemlich alt aussehen ließe. Und man täusche sich nicht über den Umfang solcher Bankanleihen in den Depots: sie wurden munter ausgegeben, und ebenso heftig gekauft und den Bankschätzen einverleibt, weil sie neben Staatsanleihen als sicherste AAA-Anlage galten.
2. Die UniCredit verändert sich
Die größte bzw. zweitgrößte italienische Bank, die sich vor der Krise mit der deutschen Hypo-Vereinsbank auch die größte österreichische Bank einverleibt hat, will diese mehr oder weniger zusperren. Außerdem machen Gerüchte die Runde, daß sich die UniCredit in Italien mit der anderen Großbank, Intesa Sanpaolo und einem dritten Geldinstitut fusionieren will.
Das wäre eine Elefantenhochzeit, der nicht wie vor 10 Jahren eine Expansionsstrategie zugrundeliegt, sondern im Gegenteil, ein (vermeintliches) Gesundschrumpfen mit jeder Menge Entlassungen, Filialschließungen usw. So in der Art, aus 2 Elefanten wird 1 Nashorn. Das wird schon den Kredit in Italien selber stark einschränken.
Was die vom Abbau bedrohte Bank Austria betrifft, so hatte die viel Engagement in den ehemals sozialistischen Staaten, das in Zukunft von Italien aus betreut und vermutlich auch stark reduziert wird. Das bedeutet, daß der Kredit dort ziemlich auf die heimischen Kreditquellen beschränkt werden wird. Das heißt wiederum, daß die allgemeine Zahlungsfähigkeit in Staaten wie Ungarn, Rumänien, der Slowakei, den Nachfolgestaaten Jugoslawiens usw. weiter zurückgehen wird, was sie als Märkte wenig leistungsfähig machen wird, – was wiederum diverse EU-Firmen vor allem in der Sphäre des Handelskapitals spüren werden, die dort präsent sind.
3. Die Deutsche Bank will abspecken
Die Deutsche Bank, immerhin auch eines der größten Finanzinstitute Europas, gab unlängst einen Rekordverlust von 6 Milliarden Euro nur für das noch gar nicht zu Ende gegangene Jahr 2015 bekannt, Streichung der Dividendenauszahlung und eine drastische Einschränkung der Geschäftstätigkeit, was Filialschließungen, Entlassungen und den Rückzug aus 10 Ländern beinhaltet, darunter auch denjenigen aus dem EU-Mitglied und Nachbarstaat Dänemark.
Die DB war eine der Stützen des Euro – dank ihrer Kreditierung innerhalb der EU wurde Zahlungsfähigkeit, Immobilienblasen und Vertrauen in diese Währung geschaffen.
Ihr Rückzug bedeutet daher einen Volumens- und Prestigeverlust für die europäische Einheitswährung.
4. Der IWF weiß nicht, was er mit der Ukraine machen soll
Die Ukraine ist praktisch pleite, wird aber mit IWF- und anderen Krediten über Wasser gehalten, weil sich einen Bankrott der Ukraine aus politischen Gründen niemand leisten will. Daraus könnte man ersehen, was es einem Land bringt, sich der EU und den USA um den Hals zu werfen, was das weltweite Prestige und damit auch den Einfluß dieser Mächte sehr einschränken könnte.
Das Über-Wasser-Halten der Ukraine um jeden Preis hat aber auch ökonomische Gründe, weil viele europäische, vor allem deutsche und österreichische Banken ukrainische Staatspapiere halten, die nach der Orangen Revolution und dem IWF-Kredit von 2008 als vergleichsweise hoch verzinste Wertpapiere von vielen Instituten gekauft wurden.
Manche IWF-Mitglieder, vor allem aus den BRICS-Staaten, aber auch Kanada, sind eher ungehalten über die Kreditierung von Pleitestaaten wie Griechenland und der Ukraine, und der IWF verliert mit dieser Politik zusehends an Boden, weil er als Garantiemacht der Kreditwürdigkeit von Staaten nicht mehr glaubwürdig ist.
Wenn jetzt die Ukraine ihren im Dezember fälligen Kredit an Rußland nicht tilgt und der IWF das nicht als Bankrott einstuft, sondern meint: Schwamm drüber! – so kommt das einer Bankrotterklärung des IWF gleich, und was das wieder für Folgen für die Eurokrise haben könnte – schließlich garantiert der IWF mit seiner Aufsicht für die Gültigkeit der griechischen und portugiesischen Staatsschuld …
5. Null- und Negativzinsen und Geldschwemme allerorten
Mit der Niedrig- bis Nullzins-Politik der EZB und Fed haben die großen Notenbanken klargestellt, daß ihre Geldinstitute sich bei ihnen unbegrenzt Kredit holen können. Diese Geldpolitik führt einerseits dazu, daß es unbegrenzte Mittel zum Ankauf von Staatsanleihen gibt, wovon in der EU Krisenstaaten wie Spanien, Italien oder auch Frankreich profitieren, von deren Kreditnöten man in letzter Zeit nichts liest. Es führt aber auch dazu, daß sich Banken, Versicherungen und Pensionsfonds in sehr riskante Spekulationen einlassen, weil man nur dort halbwegs gute Renditen erzielen kann.
Der Umstand, daß der Geldhahn so weit geöffnet wurde und vor allem zum Ankauf öffentlicher Schuld geführt hat, hat Besorgnis hervorgerufen, ob das nicht wieder die Banken destabilisieren könnte, die in ihren Portfolios soviel Staatsanleihen herumliegen haben. Die Wackelstaaten wollen keine Regulierung, um sich weiter verschulden zu können. Deutschland, unterstützt von Schweden hingegen versucht seinen Einfluß bei den Basel-Richtlinien geltend zu machen, um den Anteil der Staatsanleihen in den Bankportfolios zu beschränken – sie sehen einen hohen Anteil an Staatsanleihen als „riskant“ an.
Man fragt sich, welche Art von Wertpapieren das Risiko für die Banken verringern sollen?
VW-Aktien?

Kleines Finanz-Erdbeben in Österreich

ÖSTERREICHS BANKSEKTOR SCHRUMPFT
„Überraschend kommt, dass die Veränderungen im Kreditapparat von der Nummer eins der Branche ausgehen und zur Demontage selbiger führen dürften: Von der Bank Austria bleibt – wenn die vom Standard enthüllten Pläne umgesetzt werden – wenig übrig.“ (Standard, 20.10.)
Wenn die der Bilanzsumme nach größte Bank Österreichs mehr oder weniger ihre Auflösung bekannt gibt, so ist das erstens eine Auskunft über den Zustand des Finanzkapitals überhaupt und zweitens über den Zustand der österreichischen Wirtschaft.

1. Kredit und Bankgeschäft 2015

„Der Rückzug ist seit Langem sichtbar: Ein Drittel der Bank-Austria-Filialen sperrte in den vergangenen Jahren zu. … Doch dass die Bank Austria so weit gehen würde, ihr gesamtes Privatkundengeschäft an die Bawag zu verkaufen, wie Der Standard berichtet, war dann doch ein Schock für die rund 7000 Beschäftigten der Bank in Österreich und deren Kunden“ (– vermutlich nicht nur für die). (Kurier, 20.10.)
Als Grund führt der Schreiber des Artikels das Mißverhältnis zwischen niedrigen Zinsen und hohen Kosten an. Mit einem Wort: die Bank macht aus dem Privatkunden, also den Normalverbrauchern, kein Geschäft mehr, hat aber zu viele und teure Mitarbeiter.
Nun ja. Es werden nicht nur die niedrigen Zinsen sein, die das Geschäft nach unten ziehen. Schließlich zahlen die Banken ja praktisch keine Zinsen mehr auf Einlagen, erhalten also Betriebskapital zum Nulltarif. Daß dieser Nulltarif gegenüber den Kunden auch in Anschlag gebracht würde, kann man jedoch nirgends bemerken. Die Banken könnten also doch jede Menge Kredit zu höheren Zinsen vergeben, meint man. Das scheint aber sowohl an den Banken als auch an den Kunden zu scheitern, die sich nicht mehr in Massen Hals über Kopf verschulden wollen. Ebenso werfen die Banken auch nicht mehr jedem armen Schlucker, der über seine Verhältnisse leben will, das Geld nach. Das gesamte Kreditvolumen der Banken ist im Privatkundenbereich (und vermutlich nicht nur dort) gewaltig geschrumpft, und damit auch ihr Umsatz. Zu einer verringerten Profitrate gesellt sich also auch eine geringere Profitmasse.
Also will die Bank Austria dieses Geschäft aufgeben und noch einen guten Preis für diesen Sektor erzielen.
Wer soll diesen Kundenstock kaufen, den die größte italienische Bank nicht gewinnträchtig machen kann?
So „… soll es schon konkrete Sondierungsgespräche zwischen der UniCredit und dem US-Fonds Cerberus, dem die Bawag gehört, geben.“ Angeblich wollen „die Italiener 800 Mio. Euro für das Retailgeschäft der Bank Austria haben … Den Amerikanern sei der Kaufpreis aber noch zu hoch. Das Retailgeschäft der Bank Austria würde die Bawag deutlich aufwerten und damit den von Cerberus beabsichtigten Wiederverkauf der früheren Gewerkschaftsbank erleichtern. Die Bawag allein soll nicht attraktiv genug sein, um den Kaufpreis, den sich die Amerikaner vorstellen, zu erzielen.“ (Presse, 20.10.)
Auch das will verdaut sein. Cerberus hat die Bawag seinerzeit gekauft, um sie umzustrukturieren und weiterzuverkaufen. Dann kam die Finanzkrise und keiner wollte eine Bank, schon gar nicht um das Geld, das Cerberus gerne erhalten hätte.
Jetzt will die Bawag den Kleinvieh-Sektor quasi verdoppeln. Sie kauft die Kunden ohne ihre Betreuer. Die Idee ist offenbar, die gleiche Menge an Kunden durch weniger Betreuer zu verwalten und dadurch an der Rendite-Schraube zu drehen.
Leute entlassen und die verbliebenen mit neuen Produktionsmethoden mehr produzieren lassen – dieses Prinzip kennt man aus dem Kapitalismus. Unüblich ist, daß es hier auf den Bank- und Kreditsektor angewandt wird. Die Privatkunden, die ein Girokonto und vielleicht einen Kredit bei der BA und bald bei der Bawag besitzen, werden als eine Art Waren-Ausstoß betrachtet, der mit weniger Betreuern-Produzenten sein Auslangen finden muß. Diese eigenartige Übertragung von Rationalisierung kann unter anderem daran scheitern, daß viele dieser solcherart übersiedelten Kunden mit ihrer neuen Bank nicht zufrieden sind und ihr den Rücken kehren.
Man muß dazu vielleicht hinzufügen, daß die Bawag seinerzeit – vor der Pleite – für ihren großen Privatkunden-Sektor bekannt war und ihn als Geheimnis ihres Erfolges anpries, und daß Cerberus nach der Übernahme einiges tat, um ihn abzuschlanken und nur die profitableren Kunden zu halten.
Jetzt gehts also wieder in die andere Richtung, was darauf hinweist, daß auch bei der Bawag die anderen Geschäftszweige nicht so gut laufen. Jetzt soll also ein großer Privatkunden-Sektor die Bawag attraktiv machen, auf einem EU-Markt, wo alle Banken in den Miesen sind und viele von ihnen versuchen, einander den Schwarzen Peter zuzuspielen?
Es ist allerdings möglich, daß Cerberus in Wirklichkeit ganz anders kalkuliert und sich eine beherrschende Stellung im österreichischen Kleinkundengeschäft sichern will, um dann den österreichischen Staat ins Gebet zu nehmen.
2. Der Bankensektor Österreichs
Zunächst wird so getan, als seien die 7000 Beschäftigten, deren Arbeitsplätze bei der BA in Gefahr sind, das wirkliche Problem. Und natürlich wäre eine solche Menge von Entlassungen ein herber Schlag für die Einkommensstruktur und Kaufkraft Österreichs. Noch dazu handelt es sich nicht – wie bei den rund 5000 Beschäftigten der Alpine 2013 – um Leute, die man dann am Bau einsetzen kann.
Den wirklichen Hammer aber stellt die Entwicklung im Banksektor überhaupt dar. Die – u.a. mit Hilfe von Landeshaftungen – nach 1990 rapide gewachsenen österreichischen Banken haben durch das Platzen diverser Immobilienblasen in Osteuropa, vor allem in Ungarn und ihr Engagement in der Ukraine und andere negative Entwicklungen in Sachen Schulden und Kredite herbe Verluste einstecken müssen. Mit dem Konkurs und der Verstaatlichung der Hypo Alpe Adria ist immerhin die damals sechstgrößte Bank Österreichs weggebrochen und belastet seither das Budget und den Ruf des Bankplatzes Österreich. Man erinnere sich noch an Kommunalkredit und Volksbanken … Und jetzt sperrt Österreichs größte Bank zu – weil auch für die anderen Sparten der BA schaut es schlecht aus: Die UniCredit scheint sich aus Österreich zurückziehen zu wollen.
Das hat Folgen für die Verschuldungsfähigkeit des österreichischen Staates, der dabei vor allem auf seinen Banksektor angewiesen ist. Er findet jetzt weniger Käufer für seine Anleihen im Inland.
Die Bawag ist noch dazu die Bank der Republik, über die aller Zahlungsverkehr des österreichischen Staats abläuft. Wenn sie jetzt noch den Großteil des Zahlungsverkehrs der Privaten auf sich zieht, so ist Cerberus in einer Position, den Staat zu erpressen: entweder du zahlst mir so und so viel für die Bank und übernimmst sie, oder ich sperre auch zu, wie die BA.
Man wird auch sehen, wie das Beispiel der UniCredit in der EU Schule machen wird: Ob andere Großbanken ihre unprofitablen Filialen schließen werden und so ein Teil der Bankenexpansion der letzten 2 Jahrzehnte rückabgewickelt wird. Das wäre ein Abbau des abstrakten Reichtums und eine Flurbereinigung des Finanzkapitals.
Einmal sehen, was herauskommt. Für die österreichische Volkswirtschaft, dann für das ganze Gefüge der EU im Verhältnis von Finanzkapital zur politischen Gewalt, für die Staatsschuldenkrise und schließlich für die Medien und „Experten“, die seit Jahrzehnten nicht müde werden, Privatisierungen als die einzige Möglichkeit für Wachstum und Prosperität anzupreisen.
Frühere Artikel zum Thema Banken und Finanzkrise:
Die Ostexpansion der österreichischen Banken (2010)
Fremdwährungskredite (2011)
Kredit und Konsum (2011)
Warum verabschiedet die EU einen Fiskalpakt und verordnet Sparpakete? (2012)
Die Eurokrise ist vorbei! (2013)
Die endlose Geschichte einer kaputten Bank (2013)
Die Zinspolitik der EZB (2014)
Die Ukraine und der europäische Banksektor (2014)