Ein angesichts der Euro-Krise fast vergessener Schuldnerstaat

AASGEIER KREISEN ÜBER ARGENTINIEN

Argentinien erklärte seinen Bankrott, oder besser: seine Zahlungsunfähigkeit im Januar 2002, da der IWF seinem Musterschüler Argentinien einen Kredit verweigerte, der notwendig gewesen wäre, um seine gerade fälligen Staatsanleihen auszuzahlen. Die damals in Umlauf befindliche argentinische Staatsschuld belief sich zu diesem Zeitpunkt auf 82 Milliarden Dollar, was damals über 90% seines BIP entsprach. (Die 82 Milliarden werden in spanischsprachigen Quellen angeführt, in deutschen ist stets von 100 Milliarden die Rede. Woher sich die Differenz ergibt, ist unklar.) Es war der bisher größte Staatsbankrott aller Zeiten. Argentinien konnte sich so sehr verschulden, weil seine Währung durch die unter der Regierung Menem mit dem IWF ausgehandelte Dollar-Bindung des Peso Argentinien sehr kreditwürdig gemacht hatte. Es erschien keinem Akteur der Finanzwelt als bedenklich, die Stützung einer Währung von außen als verläßliches Datum zur Einschätzung seiner Kreditwürdigkeit anzusehen. Argentiniens Staatsbankrott war ein Vorläufer der Euro-Krise, er wurde jedoch damals als einmaliger Betriebsunfall des Finanzgeschäfts weggesteckt, und die globalen Akteure wandten sich von Argentinien ab und machten ihre Geschäfte anderswo.

Die Folgen des verlorenen Kredits waren für die Bevölkerung Argentiniens verheerend. Hier könnten sich die Kritiker der Austerity-Maßnahmen ein Bild machen, was noch alles auf die EU-Staaten zukommt: de te fabula narratur! Dennoch wird Argentinien von als besonders menschenfreundlich angesehenen Ökonomen wie Paul Krugmann gerne als Vorbild hingestellt, wie gut ein Staat fährt, wenn er seine Schulden einfach streicht. Wachstum tritt ein, und es geht wieder aufwärts. Das ist ein gewisser Zynismus gegenüber den verelendeten Argentiniern, aber sogar dieser „Erfolg“ ist inzwischen gefährdet.

Unter der Regierung von Néstor Kirchner wurde eine Umschuldung mit den Gläubigern Argentiniens ausgehandelt, derzufolge sie mit ungefähr einem Drittel der Nominale der von ihnen gehaltenen Papiere abgefertigt wurden. Sie mußten also auf mehr als die Hälfte ihrer Forderungen verzichten. (Ein vor Wut geifernder Artikel der FAZ behauptet gar, es sei nur ein Viertel gewesen, mit dem die Gläubiger abgespeist wurden.) So gelang es Argentinien, seine Staatsschuld auf 19% seines BIP zu reduzieren. Das Fernziel der argentinischen Regierung ist es, seine Kreditwürdigkeit wiederherzustellen, um auf die Finanzmärkte zurückzukehren, also sich neu zu verschulden.

Dieser Schuldenstreichung stimmten allerdings nur 93% der Besitzer der argentinischen Staatspapiere zu. Unter den restlichen 7% befinden sich einige Hedgefonds, die spanisch Geier-Fonds heißen, und die sich der argentinischen Staatstitel habhaft gemacht haben, als sie kurz nach dem Bankrott völlig entwertet und daher sehr günstig zu haben waren. Manche der Gläubiger befinden sich in Deutschland und bestellen offenbar regelmäßig Artikel wie den erwähnten in der FAZ, der sich in Schmähreden über die mangelnde Zahlungsmoral der argentinischen Regierungen ergeht. Zwei Drittel der solchermaßen unerledigten argentinischen Staatsschuld wird von US-Bürgern oder -Institutionen gehalten, die seit fast einem Jahrzehnt dort gegen Argentinien prozessieren.

Und da hat ein Richter im Herbst beschlossen, daß aufgrund einer Gleichbehandlungsbestimmung auf diesen Anleihen – die vom argentinischen Staat garantiert wurde – die Einigung mit den 93% als gegenstandslos zu betrachten und die Auszahlungen an diese Gläubiger zu blockieren sind. Damit wird die gesamte Umschuldung Argentiniens in Frage und ein neuerlicher Staatsbankrott in Aussicht gestellt.

Das Erkenntnis des New Yorker Richters wurde wegen der Berufung Argentiniens ausgesetzt. Nächste Woche soll in einer neuerlichen Verhandlung beschlossen werden, ob der Berufung stattgegeben wird oder nicht. Die dort versammelten Richter entscheiden nicht nur über das Schicksal Argentiniens, sondern auch über die weitere Entwicklung der Kreditwürdigkeit der Staatsschulden weltweit.

Der Eiertanz um Zypern

GELD RIECHT NICHT
Zypern ist angeblich in der Krise, obwohl man gar nicht so recht weiß, worin diese besteht:
„Was das Land fordere, sei »Solidarität für ein Land, das Opfer des europäischen Beschlusses für einen Schuldenschnitt der griechischen Schulden geworden ist«, sagte Stefanou im staatlichen Rundfunk. Er bezog sich mit den Äußerungen auf die zyprische Überzeugung, dass die Banken des Eurolandes in die Griechenland-Krise hineingezogen worden seien und Zypern dadurch erst in Schwierigkeiten geraten sei.“ (FAZ, 20.1.)
Es ist schon einmal eine interessante Auskunft, daß der Schuldenschnitt Griechenlands, von dem es hieß, er sei rein freiwillig gewesen, die zypriotischen Banken so stark betroffen hat, während offenbar französische und deutsche Banken und Versicherungen ihre Schäfchen rechtzeitig aufs Trockene gebracht haben. Zweitens liegt es aber nicht nur an den Banken, daß der Kredit des zypriotischen Staates in so ein schiefes Licht geraten ist. Die ganze Griechenland-Rettung und Euro-Krise haben nämlich den Blick der Finanzwelt auf die Geschäftsgrundlage dieses Staates gelenkt – und die besteht außer Tourismus und etwas Halloumi-Käse vor allem darin, ein Offshore-Gebiet für russisches – und, wie auch inzwischen durchsickert, europäisches – Kapital zu sein:
„Der Bundesnachrichtendienst (BND) stellt Zypern in einer Untersuchung ein vernichtendes Urteil aus. In einem geheimen Bericht legt der Auslandsgeheimdienst den Schluss nahe, dass von den Hilfsmaßnahmen, die die Europäische Union dem Land möglicherweise schon bald zahlen wird, vor allem Inhaber russischer Schwarzgeldkonten profitieren würden.“ (Spiegel, 3.11. 2012)
Nein, so eine Überraschung! Da hat sich der BND aber echt angestrengt, um das herauszukriegen – was in russischen Zeitungen seit jeher völlig offen besprochen wird. Als Zypern 2004 der EU und 2008 der Eurozone beitrat, war das ja gerade seine Attraktivität, daß sein Banksektor Tummelplatz russischen Kapitals war. Der Beitritt Zyperns sollte doch gerade diese Gelder für die EU nutzbar machen, und russische Investoren hereinbitten – was ja auch geschehen ist. Zypern hat sich daher eine Zeitlang sehr gut bewährt.
Aber im Rahmen der Euro-Krise hat der Umstand, daß der Kredit Zyperns auf fremdem Reichtum beruht, jenen untergraben. Wenn die russischen Geschäftsleute – hierzulande oft mit so häßlichen Namen wie „Oligarchen“ oder „Mafia“ bezeichnet – vielleicht eines Tages die Offshore-Dienste Zyperns nicht mehr brauchen, oder sich auf das daneben gelegene und ebensolche Dienste anbietende Israel beschränken, dann verliert Zypern seine Haupt-Einnahmequelle. Und dadurch ist Zyperns Kreditwürdigkeit futsch.
Die Summen, um die es stützungsmäßig geht – zwischen 16 und 17 Milliarden Euro ¬ sind vergleichsweise zu anderen offenen Baustellen wie Italien oder Spanien ein Klacks. Dennoch fängt ein seltsames Getue an, die erst auszuzahlen, wenn Zypern eine EU-interne Geldwäsche-Prüfungskommission alle seine Konten durchleuchten läßt. Sehr seltsam. Bisher durfte, ja sollte Zypern Geldwäsche betreiben und die blühendweißen Scheine dann in die EU einschleusen. Jetzt soll es seinen gesamten Banksektor dem prüfenden Auge von EU-Beamten öffnen, und damit seinen wichtigsten Wirtschaftssektor eigentlich für die finanzkapitalistische Konkurrenz innerhalb der EU zur Verfügung stellen.
Zypern verwehrt sich dagegen und beruft sich auf Verfassung und Menschenrechte – ja, die Menschenrechte sind offensichtlich in erster Linie Bankenrechte!
Also was geschieht? Läßt die EU Zypern pleite gehen, um zu prüfen, ob die EU das übersteht? Wartet sie, ob eine neue Regierung sich kooperativer erweist und Zyperns Banksektor dem ausländischen Kapital öffnet? Oder wartet sie, ob Rußland etwas macht, um die Schwarzkonten seiner Kapitalisten zu sichern?

EU ohne Großbritannien?

GEHT DAS UND WILL DAS ÜBERHAUPT WER?
David Cameron hat eine Volksbefragung über die Mitgliedschaft Großbritanniens in der EU angekündigt – für 2017.
Das sind ja noch 4 Jahre, in denen alles mögliche passieren kann. Das erste, was auffällt, ist der drohende Charakter der Ankündigung, gepaart mit der Versicherung, daß die Sache ja noch Zeit hat. Cameron will also was von der EU. Was wohl?
1. mißtraut GB dem EU-Projekt angesichts der sich auftuenden Abgründe zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten, vor allem innerhalb der Eurozone. Damit steht die britische Regierung nicht allein da. Ferner hat sie gute Gründe, anzunehmen, daß die zunehmenden Kontrollmaßnahmen für den Finanzsektor viel von dem scheuen Finanzkapital aus Europa und an andere Weltbörsen treiben könnte.
2. bezieht die britische Wirtschaft ihre ganze Bedeutung aus der EU. Die Londoner City könnte mehr oder weniger zusperren, die Börse würde auf den Status einer der vielen mittleren Börsen der Welt herabsinken, auf jeden Fall hinter Frankfurt zurückfallen, sobald Großbritannien die EU verlassen würde.
Die wirtschaftlichen Probleme, die Großbritannien hat, würden sich durch einen EU-Austritt nicht verbessern, es würden aber neue hinzukommen.
Vor allem hat die Ankündigung, mit einem Austritt zu spielen, keine gute Wirkung auf die auf dergleichen makroökonomische Wirkungen sehr hellhörigen Finanzmärkte, und das wurde Cameron ja auch vorgeworfen: Daß er den gerade mühsam irgendwie angeblich befestigten Kredit der EU von neuem gefährdet.
Cameron selbst hat wahrscheinlich keinerlei Absichten, diesen ökonomischen Salto mortale tatsächlich zu vollziehen. Er möchte sich weiter dem Kapital der ganzen Welt als Umschlagplatz dienen, sich aber gegen alle Eingriffe, Steuern usw. aus Brüssel verwehren. Ob er das erreicht, und ob das internationale Kapital dieses Angebot auch reichlich wahrnimmt, wird sich erst weisen.
Die internationalen Reaktionen zeigen zunächst einiges über die nationalen Berechnungen anderer Staaten.
Die USA ermahnen Cameron, daß sie erstens kein Interesse am Auseinanderbrechen der EU haben, da sie ein wichtiger Handelspartner der USA ist, und erinnern ihn daran, daß GB gerade als trojanisches Pferd innerhalb der EU für sie Wert hat.
Deutschland versteht die Absicht der Erpressung, die hinter der Austrittsdrohung steht, bietet gleich bereitwillig Verständnis an und wachelt mit Sonderkonditionen für den Fall, daß GB sich in anderen Fragen hinter die deutsche Position stellen möge. Hier entstehen mögliche Allianzen zwischen dem Hüter der Eurozone und dem des Pfundes …
Italiens Monti wiederum sieht in Camerons Ankündigung Widerstand gegen Deutschlands und Frankreichs dominante Stellung und „Diktate“, während Frankreich sich über die unverschämte Erpressung, die es – zu Recht – darin erkennt, aufregt, allerdings sehr folgenlos, weil es keine ähnliche Erpressung parat hat.
Eine entzückende Völkerfamilie, die EU, isn’t it?
Die Journaille wiederum ergeht sich je nach Land und politischer Orientierung entweder in genüßlich ausgewalzten Schilderungen des miesen Charakters von Cameron und seiner angeblichen innenpolitischen Bedrängnis, die ihn zu derlei angeblichen Kamikaze-Schritten treibt. Oder sie greift gleich zur nationalistischen Hetze der Art: „So schleichts euch doch, ihr Deppen!“ – als ob die EU wegen der Vorlieben irgendwelcher Zeitungsschmierer zustandegekommen wäre.
Berechnungen aller Art, Dienst am Kapital, nationalistische Nebelgranaten, und handfeste Erpressungsversuche – ein harmonisches Bild beim Friedensnobelpreisträger 2012.