Nationalismus und Supranationalismus
Die EWG/EU ist seit ihrer Gründung ein widersprüchliches Projekt: Sie verspricht ihren Mitgliedern die Aussicht auf Stärkung ihrer nationalen Macht, unter gleichzeitiger teilweiser Aufgabe derselben. Die Staaten, die sich der EU anschließen, sollen einen Teil ihrer Souveränität aufgeben, um sich im Rahmen eines größeren Ganzen zu stärken. Sie sollen Teil eines imperialistischen Blockes werden, sozusagen als Vereinigte Staaten von Europa die Schranken ihrer nationalen Produktion und Akkumulation überwinden und durch den Zusammenschluß mit anderen Nationen ihre eigene kapitalistische Prosperität voranbringen.
Mit diesem Zusammenschluß, und noch mehr durch die Einführung einer gemeinsamen Währung sollten einheitliche Konkurrenz- und Ausbeutungsbedingungen hergestellt werden, nach dem Ideal, das würde den nationalen Nutzen aller beteiligten Staaten befördern.
Nach einigen Jahrzehnten, Erweiterungen und der Einführung der Gemeinschaftswährung hat sich dieser Widerspruch zugespitzt, der auf dem Konzept der Nation beruht, als einer Gemeinsamkeit, die nach innen alle Gegensätze aufhebt, nach außen aber jede Menge Gegensätze schafft. Die Unternehmer der verschiedenen Nationen nahmen die vereinfachten Ausbeutungsbedingungen innerhalb der EU wahr und gingen dorthin, wo die Löhne am niedrigsten waren, bzw. warben Arbeiter derjenigen Nationen an, die sich zum billigsten Tarif zur Verfügung stellten. Das Lohnniveau, und das war auch so beabsichtigt, nivellierte sich nach unten, bei gleichbleibenden Preisen. Die Arbeitskraft verbilligte sich, die Kaufkraft schrumpfte, das Preisniveau erhöhte sich gleichzeitig, da die Anbieter der verschiedensten Produkte auf die Kaufkraft aller EU-Staaten zurückgreifen konnten. Die Arbeiterklasse als ganze wurde ärmer: Das Verhältnis von Löhnen und Preisen veränderte sich zu ihren Ungunsten.
Die Geschädigten dieser Veranstaltung interpretierten ihren Mißerfolg – entweder sie wurden arbeitslos, oder als Arbeitende wurden sie ärmer – als eine Schwäche ihrer Nation gegenüber den anderen. Sie appellierten – über Gewerkschaften, Wahlen und andere Transmissionsriemen der Staatsmacht – an ihre Führung, doch die anderen Staaten – und deren Bürger! – in ihre Schranken zu weisen, um ihre eigene Sache zu befördern. Der ständig wachsende Nationalismus innerhalb der EU war ein Ergebnis der schrankenlosen Konkurrenz zwischen den Lohnabhängigen der verschiedenen Staaten, die von der EU-Führung gewünscht war.
Man muß hier einmal festhalten, angesichts der Tatsache, daß das Proletariat aller Staaten nationalistisch ist: Der von den Regierungen – und Gewerkschaften! – erwünschte nationale Schulterschluß mit der eigenen Staatsmacht und die ständigen Appelle an sie, doch die Interessen des eigenen Landes vor Augen zu halten, ist eine zerstörerische Macht innerhalb der EU: Diejenigen Staaten, die sich als Verlierer des EU-Projektes herauskristallisieren, genauso wie diejenigen, deren nationales Kapital dabei gewonnen hat, sehen in den anderen EU-Staaten unrechtmäßige Betrüger und Schmarotzer des EU-Projektes. Während einzelne Unternehmer von den vereinheitlichten EU-Konkurrenzbedingungen profitieren, sieht ein großer Teil der Bevölkerung sich als Verlierer – und interpretiert das nicht als Klassenfrage, sondern als nationale Niederlage, mit den entsprechenden Schuldzuweisungen nach außen, aber auch an die Adresse ihrer eigenen Führung.
Die herablassende Bemerkung deutscher Politiker, Griechenland sollte doch sein Territorium abverkaufen, um seine Schulden zu begleichen, hat den Nationalismus innerhalb der EU entfesselt: Nicht nur zwischen Deutschland und Griechenland, auch bei anderen Mitgliedsstaaten der EU und der Eurozone, die ebenfalls mit Schwierigkeiten beim Absatz ihrer Staatspapiere kämpfen. Eine weitere mögliche Verlaufsform des Konfliktes mit Griechenland könnte die sein, daß die griechische Bevölkerung ihrer Regierung die Botmäßigkeit aufkündigt, weil sie sie als Verräter an der nationalen Sache betrachtet. Das servile Auftreten Papandreus gegenüber der EU, der versucht, sein sinkendes Schiff vor dem Untergang zu bewahren, hat seine eigenen Untertanen jedenfalls sehr gegen ihn aufgebracht.
Der Versuch diverser, vor allem deutscher EU-Politiker, eine Schadensbegrenzung für den Euro vorzunehmen, indem sie Griechenland zu einem Ausnahmefall erklärt, und sehr eindeutige Schuldzuweisungen in Richtung Griechenland – Staat und Individuen, also ganz gewöhnlicher Rassismus – verkündet haben, könnte sehr nach hinten losgehen.
Weil was geschieht, wenn Griechenland seine Anleihen nicht mehr international plazieren kann? Und wenn es sie national, also seinen eigenen Banken verkaufen kann, sie aber von der EZB nicht mehr angenommen werden? Dann wird es nach außen wie nach innen zahlungsunfähig. Es kann seine vorigen Anleihen nicht mehr bedienen, diese sind dadurch entwertet. Angesichts der großen Mengen von griechischen Staatsanleihen, die Teil des Staatsschatzes anderer EU-Länder sind, käme es damit zu einer Entwertung des gesamten EU-Haushaltes.
Wenn der Staat sich keine finanziellen Mittel mehr beschaffen kann, so kann er seine eigenen Ausgaben nicht mehr tätigen: Die Staatsangestellten, die ganze Infrastruktur stünde ohne Zahlungsfähigkeit da. Gut, in Jugoslawien und Rußland wurde in den 90-er Jahren vorgeführt, wie man sich dann irgendwie durchwurstelt, unter großen Opfern für die Bevölkerung, aber diese Länder waren nicht Mitglieder einer Gemeinschaftswährung.
Im Falle Griechenlands würde der griechische Markt zusammenbrechen, Zahlungsverpflichtungen von Firmen für Lieferungen würden nicht mehr erfüllt, Privatschulden nicht mehr beglichen, der griechische Banksektor würde krachen, und wahrscheinlich den anderer Balkanstaaten mit sich reißen.
Was das für den Euro bedeuten würde, läßt sich noch gar nicht absehen.
Kategorie: Geld & Kredit
Das Weltwährungssystem, Fortsetzung
Rußland und der Euro
Ein Artikel in der „Izvestija“ vom 15.2. befaßt sich mit der Frage: Wie geht es weiter mit dem Euro und was bedeutet das für Rußland?
„Der Kollaps des Euro ist unausweichlich“ – so wird zunächst ein Bericht der französischen Bank „Société Générale“ zitiert.
Was heißt das, erstens für „uns“ und zweitens allgemein? fragt sich die Izvestija.
Sollte man seine Ersparnisse jetzt schnell in $ oder gar in Rubel umwechseln?
Hurra, Reisen nach Europa verbilligen sich?!
Im „think positive“-Denken setzt der Artikel fort: Solange der Euro mäßig fällt, so könnte das die Konkurrenzfähigkeit der Eurozone erhöhen, der EU neue Exportmärkte öffnen und so einen Aufschwung einleiten.
In den letzten Jahren gab es jedoch große Investitionen aus dem Euro-Raum in Rußland. Kommt der Euro unter Druck, so ist zu erwarten, daß sich die Direktinvestitionen erheblich verringern werden und außerdem Kapital aus Rußland abgezogen wird.
Der Rubel wird also nicht unbedingt gegenüber dem Euro zulegen, und Probleme der Eurozone könnten die Wirtschaftsentwicklung Rußlands deutlich beeinträchtigen.
Nicht zu vergessen die ehemaligen sozialistischen Staaten, (also EU-Mitglieder ohne Euro,) mit denen ja Rußland auch mehr oder weniger intensive Wirtschaftsbeziehungen hat – wenn die jetzt auf einmal selbst zu Sanierungsfällen werden, so versetzt das der Ökonomie Rußlands einen weiteren Schlag.
Noch einmal kehrt die Autorin des Artikels zum Bericht der „Société Générale“ zurück: Demzufolge seien alle Maßnahmen, die zur Stützung Griechenlands ergriffen würden, nur ein vergeblicher Klebstoff für ein Kartenhaus, das bald zusammenbrechen werde. Sie stellen nur eine Verzögerung des unausweichlichen Zusammenbruchs des Europäischen Währungssystems dar.
Ganz so schlimm wird es schon nicht sein, meint die Autorin in der Izvestija. Und ergeht sich weiter in Vorstellungen eines möglichen guten Ausganges: Wenn die Spekulanten zu viel Druck auf den Euro machen sollten, so wird die EZB Stützungskäufe machen, d.h. ihre $-Bestände abverkaufen und € einkaufen, und dann wird sich der Euro wieder stabilisieren.
Es kann natürlich sein, daß das alles nichts nützt, und daß die wackeligen Staatshaushalte der Problemländer schließlich auch die Kernstaaten der EU, wie Frankreich, in Schwierigkeiten bringen könnten.
Es gibt, so der Schluß des Artikels, nur zwei Möglichkeiten: Entweder eine Menge Euro wird auf den Markt geworfen, oder die Eurozone wird verkleinert. Beides führt auf jeden Fall zu einer Schwächung des Euro.
Was kann man alles aus diesen Ausführungen folgern?
Erstens, es gibt offenbar auch innerhalb der EU und Eurozone Geldhändler (und vielleicht auch Politiker), die an einer Schwächung und Abwertung des Euro interessiert sind. Was sonst veranlaßt eine große europäische Bank dazu, den Euro gleichsam zu Grabe zu tragen? Sie setzt mit einer solchen „Analyse“ ja bewußt ein Datum, um Mißtrauen in diese Währung auszulösen.
Zweitens, in Rußland werden möglicherweise sowohl die Zentralbank als auch Privatbanken anfangen, Euro gegen $ zu verkaufen und dadurch einen Kursverfall des Euro in die Wege leiten. Es handelt sich bei Rußland ja nicht gerade um eine kleine Ökonomie und da lagert einiges an Geldmengen in den Kellern der Banken.
Drittens, Rußland ist inzwischen so gründlich in den weltweiten Kapitalismus eingebunden, daß bis nach Sibirien Produktion, Gewinn, Arbeitsplätze und Zahlungsfähigkeit wackeln, wenn in der Eurozone jemand hustet. Oder ernsthafter: Die Eckpfeiler der Ökonomie Rußlamnds sind nach wie vor die Weltwährungen $ und Euro, von denen ein guter Teil der eigenen Wirtschaftsleistung abhängt.
Rußland ist inzwischen ein interessanter Markt für europäische Investoren und Spekulanten, die dort Kredite plazieren.
Dadurch ist die Abhängigkeit des Rubel von Euro und $ aber auch wieder nicht ganz einseitig: Euroverkäufe in großer Menge sind in Rußland möglich und werden, sofern sie stattfinden, Wirkung auf den Euro haben.
(Es ist natürlich auch nicht ausgeschlossen, daß russische Banken mit den Euro-Hütern in Verhandlungen eintreten und sich eine eventuelle Stützung des Euro zu bestimmten Bedingungen abkaufen lassen.)
Staaten und Normalverbraucher sehen gleichermaßen, sollte eine Währung ins Gerede geraden, ihren Ausweg nur in einer anderen Währung. Es wird nicht angedacht, Gold zu horten, sondern $ gegen Euro zu tauschen. Das Vertrauen in die Geldausgabe- und Garantiefähigkeit gewisser Staatsgewalten bestimmt die Berechnungen aller „Marktteilnehmer“, von ganz oben bis ganz unten.
Anläßlich der Wahlen in der Ukraine
PORTRAIT EINES OLIGARCHEN: RINAT ACHMETOV
Rinat Achmetov gilt als der eigentliche Königsmacher der Ukraine. Der Wahlsieg Janukovitschs geht zu einem großen Teil auf sein Konto. Während der Orangen Revolution wurde Justschenkos Wahlkampf mehr oder weniger von Boris Berezovski finanziert, und Justschenko konnte einen Etappensieg verbuchen. Achmetov stand auch damals auf der Seite Janukovitschs. Er hatte den längeren Atem. (Berezovsky hat seinen Schützling längst fallengelassen, weil der ihm nach seinem Wahlsieg gemeinerweise die triumphale Übersiedlung in die Ukraine verweigert hat.) Inzwischen hat sich also der einheimische gegen den auswärtigen Oligarchen durchgesetzt, in der Politik jedenfalls.
Wie kam der Sohn eines Bergarbeiters und Absolvent einer sowjetischen Wirtschaftsuni zu seinem Vermögen?
Zunächst einmal – Mitte der 90-er Jahre – gründete er, ähnlich wie andere der neuen Großunternehmer der ehemaligen SU, eine Bank.
(Hier erinnert man sich an Brechts Spruch aus der Dreigroschenoper: „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank? “)
Damit verschaffte er sich Kredit und begann, Betriebe zu kaufen.
Man muß sich vor Augen führen, wie die Situation in der Ukraine damals war.
Nachdem Kravtschuk, Schuschkievitsch und Jelzin auf einer weißrussischen Datscha bei Konsum von einigen Flaschen Wodka beschlossen hatten, nach der Devise „small is beautiful“ die Zerschlagung der Sowjetunion einzuleiten, wurde die Ukraine 1991 unabhängig. Sie war gleichzeitig mehr oder weniger pleite. Zunächst ließ die Regierung 1992 im Ausland – auf Kredit selbstverständlich – hübsche Banknoten drucken. Die ukrainische Regierung verschuldete sich also schon einmal ordentlich, um sich ein nationales Geld zuzulegen. Die Kosten für den Druck der Hrivna bei zwei kanadischen Firmen sollen sich auf ca. 200 Millionen US-Dollar belaufen haben.
Dabei wäre das, wie sich herausstellte, gar nicht nötig gewesen. Die Hrivna wurde nämlich erst viereinhalb Jahre später in Umlauf gebracht. Bis dahin lagerten die Geldscheine in diversen Kellern von öffentlichen Gebäuden. Man wollte das gute Geld nämlich nicht durch eine schlechte Wirtschaft verderben.
Im Umlauf waren von 1992 bis 1996 die Kupony-Karbowanzy, die aus irgendeiner ukrainischen Druckerei stammten. Und ihren Dienst, die Menschen von den Waren fernzuhalten, sofern sie keinen Karbowanez in der Hand hatten, auch tadellos versahen.
Der Staat war der Eigentümer seiner gesamten Wirtschaft, für deren Produkte es auf einmal keine Absatzmärkte mehr gab, da die meisten von ihnen Ausland geworden und nach den neuen, plötzlich geltenden Prinzipien genauso zahlungsunfähig wie die Ukraine waren: Auch sie verfügten nur über nationales Geld vom Schlage der Karbowanzy und nicht über die im zwischenstaatlichen Zahlungsverkehr nötigen Devisen.
Der Internationale Währungsfonds, die Weltbank, diverse Experten und andere menschenfreundliche Institutionen nahmen das frische Mitglied der internationalen Staatenfamilie unter ihre Fittiche, kreditierten es, um diese Nationalökonomie vor dem völligen Kollaps zu bewahren, und erteilten ihre bewährten immergleichen Ratschläge: Nicht zu viel Geld drucken, um eine Inflation zu vermeiden, und möglichst rasch alles privatisieren. Und ja keine Erhöhungen von Löhnen und Gehältern!
Die Löhne und Gehälter vieler Ukrainer wurden nicht nur nicht erhöht, sie wurden oft jahrelang nicht gezahlt. Die Regierung durfte ja nicht so viel Geld drucken! Also woher nehmen? Und so arbeiteten ukrainische Professoren, Bergarbeiter, Ärzte und so weiter jahrelang mehr oder weniger gratis und versuchten sich mit Kleinhandel oder anderen Nebenerwerbstätigkeiten irgendwie über Wasser zu halten.
Hätten sie das nicht getan, wären sie nicht an ihrem Arbeitsplatz erschienen, wären sie nämlich laut Dienstvertrag sofort entlassen worden, ohne irgendwelche Ansprüche auf Wiedereinstellung, Abfertigung oder Arbeitslosenunterstützung. Dies war ein Erbe der sowjetischen Wirtschaftsordnung, in der Entlassung nicht vorgesehen war und man einen Arbeitsplatz auf Lebenszeit hatte. Lang ists her …
Alle Betriebe warteten also auf den rettenden Investor. Und er erschien, in Gestalt von Achmetov und seinen Geschäfts- und Bankpartnern. Da es in der Ukraine kein Kapital gab, so erschufen sie es durch Kredit, den sie sich über ihre neugründeten Banken gewährten.
Man sieht hier sofort, daß es tatsächlich nur den richtigen Unternehmergeist braucht (und natürlich die nötige staatliche Unterstützung für ein solches Unterfangen), und dann ist das lumpigste Geld auch gerade gut genug, um zum Schmiermittel einer frisch angeleierten Kapitalakkumulation zu werden. Durch die Erteilung der Bankkonzession hat auch der Staat grünes Licht zur Kreditschöpfung gegeben und klargestellt, daß er auf dem seiner Hoheit unterstehendem Territorium auf Kapitalakkumulation Wert legt und für die Gültigkeit der zu diesem Zweck geschöpften Kredite qua dieser seiner Hoheit als lender of last resort geradesteht.
Natürlich gab es in der Anfangsphase einige Schwierigkeiten für Achmetov, sich durchzusetzen. Da kam es ihm sicherlich zugute, daß er früher einmal eine Zeitlang professioneller Boxer gewesen war. Die Idee, eine Bank zu gründen, aus nichts Kredit zu schaffen und dann einkaufen zu gehen, hatten nämlich sicher auch andere. So wahnsinnig originell ist sie ja nicht, wie überhaupt der ganze in den Medien stets hochgerühmte Unternehmergeist, näher betrachtet, eine ziemlich eintönige Angelegenheit ist.
Aber es wäre kleinlich, ihm das vorzuwerfen, wie das heute manche seiner Neider tun. So etwas gehört zu einer Gründerphase dazu, da gibt es eben eine natürliche Auslese, in der sich der Weizen der zukünftigen Kapitalistenklasse von der Spreu derjenigen Möchtegern-Unternehmer trennt, die dann in irgendeinem Wald oder Straßengraben enden.
Nachdem Achmetov so zum Besitzer einiger großer metallurgischer Kombinate und anderer Unternehmen geworden war und daran arbeitete, sie profitabel zu machen, legte er sich eine Fußballmannschaft zu, die seiner Heimatstadt: Schachtjor Donetsk.
Weil diese Affinität neureicher Unternehmer zu Fußballmannschaften oft als Spleen belächelt wird, ist es einmal angebracht, darauf hinzuweisen, daß der Besitz einer solchen Mannschaft zunächst eine ausgezeichnete Geldwaschmaschine ist, und nicht nur in der Ukraine, sondern weltweit. Die Ausgaben für Transferkosten, Spielergehälter, Sozialversicherung, Stadionbauten usw. sind ebenso gewaltig wie manipulierbar. Ebenso die Einnahmen von Sponsoren, Übertragungsrechten, Prämien und was es da noch so gibt. Da ist viel Platz, um Summen hineinzustecken und wieder herauszuziehen, die man woanders verdient hat und weder den Steuerbehörden noch der Justiz unter die Nase halten will.
Außerdem schafft einem das Sponsoring und der Betrieb von so einem Fußballteam viele Sympathien und eröffnet einem gute Beziehungen, auf die man als Unternehmer immer angewiesen ist. Wer liebt nicht den Fußball?! Und das Herz jedes Patrioten schlägt höher, wenn die eigenen Burschen sich im internationalen Wettbewerb bewähren. Das läßt die Armen im Land ihre leeren Speisekammern vergessen, und schwellt den glücklichen neuen Reichen die Brust, nicht nur Geldfürsten und einflußreiche Leute zu sein, sondern auch einen Stolz auf ihr Heimatland zu entwickeln.
Und die Fußball-Anhängerschaft schafft auch das nötige Wähler-Klientel, wenn man seine bevorzugten Politiker ins Parlament und die Regierung hieven will.
Schließlich sieht man auch, wie heute das Proletariat weltweit bei der Stange gehalten wird: Von „panem et circenses“, mit denen die alten Römer ihre Besitzlosen zum Mitmachen brachten, ist nur letzteres übriggeblieben. Das moderne Proletariat ist bescheidener als seine antiken Namensgeber.
Bei der Geldwäsche und den illegalen Geschäften, für die sie nötig ist, muß man nicht immer an das Schlimmste denken, also an den im Zusammenhang mit postsozialistischen Staaten immer wieder beschworenen Menschen-, Waffen- oder Drogenhandel. Nein, auch Produzenten von ganz biederen Gebrauchsgegenständen, wie Schuhen oder Autoreifen, oder womöglich Lebensmitteln haben oft die größten Absatzschwierigkeiten, wegen mangelnder Zahlungsfähigkeit des p.t. Zielpublikums.
Ein Unternehmer in der Ukraine hat Unkosten, die z.B. ein österreichischer nicht kennt, und steht wegen seiner Staatszugehörigkeit immer schon mit einem Fuß im Kriminal.
Die oben erwähnten menschenfreundlichen Institutionen wie IWF usw. wollen zwar unbedingt, daß in der Ukraine Marktwirtschaft herrscht und ja nichts produziert wird, wo nicht am Ende Geschäft und Gewinn dabei herausschauen. Gleichzeitig werden aber viele Türen verschlossen, die dazu beitragen könnten, daß das Unternehmertum in der Ukraine vorankommt: Gerade diejenigen Staaten, die über „richtiges“, also Weltgeld verfügen, auf deren Märkte also jeder Unternehmer drängt, schützen ihren Markt und ihre Produktion durch Zölle und Quotenregelungen und verweisen die neuen Kapitalisten auf ihren inneren Markt und auf die genauso schwachbrüstigen Märkte ihrer ehemaligen Bruderländer.
Will also so jemand wie Achmetov irgendeines seiner Produkte in die EU verscheppern, so muß er zu Methoden greifen, für die das altertümliche Wort Schmuggel mit all seiner Romantik schon etwas überholt wirkt. Da müssen Ursprungszertifikate gefälscht, Partnerstaaten – meist auf dem Balkan – eingeschaltet werden, dann muß man noch irgendwo Zöllner bestechen – jede Menge Unkosten also, die aber nicht in der Bilanz aufscheinen dürfen, und nicht zum Abschreiben von der Steuer taugen. Und ist die Ware dann irgendwo „drüben“ glücklich an den Mann gebracht – wie weiter? Diesen Gewinn kann man ja auch wieder nicht durch die Bücher gehen lassen, und will ihn ja auch gar nicht versteuern. Die exportierte Ware muß aber doch irgendwo deklariert werden … Also muß man wieder was fälschen, usw.
Und da ist so ein Fußballklub der ideale Filter, durch den alle Tätigkeiten, die den Blick der Behörden scheuen müssen, durchgedrückt werden können.
Der Sieg Janukovitschs über Timoschenko wird von westlichen Medien aus politischen Gründen als problematisch besprochen – zuviel Nähe zu Moskau, „unserer“ Einfluß ist gefährdet, usw. Das sind aber innerimperialistische Konkurrenzgedanken. Ökonomische Bedenken, wie es sie noch in den 90-er Jahren gab, ob die Enttäuschung über die Auswirkungen der Marktwirtschaft womöglich jemanden Falschen an die Macht bringen würde und ein Liebäugeln mit „sozialistischen“ Experimenten als Folge zeitigen können, sind heute längst vom Tisch.
Dafür sorgen politische Paten wie Achmetov. Sie garantieren, daß in der Ukraine weiterhin alle Prinzipien des Kapitalismus in Kraft sind, auch wenn die Erfolge in der nationalen Bilanz eher spärlich ausfallen.