Pressespiegel El País, 25.6.: Prigozhins Rebellion

RUSSLAND ZWISCHEN DER »LANGEN NACHT« PUTINS UND DEM »FLÜCHTIGEN PHÄNOMEN DES BÜRGERKRIEGES«

Pilar Bonet

„Der Aufstand wurde offenbar beschleunigt, weil Prigozhin durch den systematischen Versuch von Präsident Putin und dem Verteidigungsministerium, dem Mann die Flügel zu stutzen, dessen Truppen bis vor kurzem für ihre entscheidenden Siege im Krieg in der Ukraine verherrlicht und von Kreml-Propagandisten gelobt wurden, schikaniert und in eine Sackgasse geführt wurde.“

Die Analystin meint also, der Aufstand wurde absichtlich p r o v o z i e r t .

„Diese Belästigungen hatten sich in den letzten Wochen verschärft. Diesen Monat hat die russische Duma ein Gesetz verabschiedet, das auf die Wiederherstellung des staatlichen Gewaltmonopols abzielt.
Demnach müssen sich alle Kombattanten, ob mobilisiert, freiwillig oder aus dem Gefängnis rekrutiert, der Hierarchie des Verteidigungsministeriums unterwerfen. Die Armee des tschetschenischen Führers Ramsan Kadyrow hat sich der Maßnahme diszipliniert unterworfen. Wagner nicht.
Dieses Unterhaus des russischen Parlaments hat außerdem Regelungen zur Rekrutierung (und auch zur Begnadigung) von Kriminellen während der Verbüßung ihrer Strafe verabschiedet.

Diese beiden Maßnahmen führten dazu, dass Wagner keine Möglichkeit mehr hatte, eine Privatarmee von Söldnern aufzustellen. Diese benützte bisher eine gewisse Grauzone, die Putin (in vielen Bereichen) unterhält, um den Subjekten – Verbündeten oder für ihn konjunkturell nützlichen – das Handeln zu erleichtern: Sie können hiermit nicht mehr im Rahmen des Rechts der Russischen Föderation handeln. Söldner sind somit in Russland verboten und alle Versuche des Parlaments, den Status und die Befugnisse von Wagner und privaten Militärunternehmen zu regeln, waren bisher erfolglos.“

Man muß hier ergänzen, daß diverse rechtliche Grauzonen dieser Art zwar vielleicht absichtlich
aufrechterhalten
, aber keineswegs in der Aera Putin e i n g e r i c h t e t wurden. Sie ergaben sich aus dem ganzen Zerfall der SU und dem Übergang zur Marktwirtschaft, bei dem der Staat viele Sphären aus der Hand gab und den Privatsubjekten überantwortete.

„In dieser Grauzone, außerhalb des Gesetzes, operierte Wagner, während er den russischen Behörden nützlich war, und dort verblieb er solange, bis er aufhörte, es zu sein – als Prigoschin nämlich eine Eskalation von Anschuldigungen und Verwünschungen gegen das Verteidigungsministerium und die herrschende Elite Russlands losließ und die Grundlagen und offiziellen Erklärungen zur Kriegsursache in Zweifel zog.

Vom Augenblick an, als der Kreml bei der Invasion in der Ukraine sich der Unterstützung Wagners bediente, bis zu dem Zeitpunkt, als er durch Prigozhins Selbstermächtigung alarmiert wurde, hat der sogenannte »Kremlkoch« seine eigene Armee mit mehreren Zehntausend Männern und Tausenden von Ex-Häftlingen aufgestellt, die von der Front zurückgekehrt sind und dank ihm begnadigt wurden.“

Damit hat Prigozhin sich sozusagen Hoheitsakte angemaßt und das ging zu weit.

„Von außerhalb der Szene, in der Prigozhin, der Kreml und russische Staatsinstitutionen agieren, ist es noch nicht möglich zu erkennen, ob der Aufstand dieses unflätigen Populisten die konkrete Tat eines trotzigen Putschisten ist oder ob er als Galionsfigur eines (oder mehrerer) Familien des Kremls operiert, oder beides gleichzeitig.

Im letzteren Fall wäre es notwendig zu wissen, welches Element das Gleichgewicht zwischen Prigozhins persönlichen Interessen und seinen Verbindungen zur Elite aus dem Gleichgewicht brachte. In seiner kurzen Ansprache bezeichnete Präsident Wladimir Putin die Meuterei als Verrat, und nur diejenigen, denen man vertraut, begehen Verrat. Putin erwähnte weder Prigozhins Namen noch den Namen von Verteidigungsminister Sergej Schoigu.

Am Samstagnachmittag versuchte Prigozhin, die Spannungen abzubauen, gratulierte sich selbst dazu, kein Blut vergossen zu haben und behauptete, den „Marsch für Gerechtigkeit“, der seine Männer nach Moskau führen sollte, aus Verantwortungsbewusstsein abgesagt zu haben.
Unabhängig vom Ausgang des Kampfes, der sich in seiner ganzen Härte manifestiert, wird die Situation in Russland jedoch nicht mehr dieselbe sein, denn wenn bis zu diesem 23. Juni das Epizentrum der Geschichte im Krieg gegen die Ukraine lag, konzentriert sich die Perspektive nun auf die Gespenst des innerrussischen Bürgerkriegs.

Die Tatsache, dass der Marsch auf seinem Weg in die Hauptstadt auf so wenig Widerstand gestoßen ist, lässt Zweifel an der Verteidigung des Staatsgebiets aufkommen und könnte Präsident Putin schwächen, berichten russische Medien in Moskau.

Wenn Prigozhin das Anhängsel einer der Kreml-Familien ist, fragt man sich, ob diese Familien zustimmen könnten, den unbequemen Meuterer zu opfern (und vielleicht andere Szenarien für das Ende des Konflikts in Betracht zu ziehen). Oder vielleicht würde sich eine dieser Familien gegen die anderen durchsetzen.

Neben diesen theoretischen Hypothesen lohnt es sich zu fragen, wie sich Wagners Rückzug von der ukrainischen Front auf die Kampffähigkeit der russischen Truppen und auch auf die bereits sinkende Moral der Männer auswirken wird, die im Namen der Wahnvorstellungen ihrer Vorgesetzten in den Kampf geschickt werden.“

Hier kommt die Propagandaabteilung Marke West zum Zug, der die Invasion und den Einmarsch als eine Art Wahnvorstellung abtut.
Aber es gibt natürlich Erklärungsbedarf für das Fallenlassen Prigozhins, der ja immerhin vor 2 Monaten noch als „unser Kämpfer an vorderster Front“ hochgehalten wurde.

„Wird es zu Spaltungen in den russischen Streitkräften kommen oder werden die Truppen im Gegenteil zusammenhalten?“

Es ist anzunehmen, daß dafür Vorsorge getroffen wurde, weil überraschend kam der Aufruhr ja nicht.

„Auswirkungen auf die Situation in der Ukraine

Es lohnt sich auch zu fragen, wie (oder ob) die Ukraine die aktuelle Situation in Russland ausnutzen wird (oder wissen wird, wie sie ausnutzen kann).

Ein weiterer Punkt, der geklärt werden muss – und der sich auf die Prozesse auswirkt, die hinter den Kulissen in Russland ablaufen könnten – sind die möglichen Versuche, Allianzen zwischen exilierten Oligarchen, die das ihnen vom Putin-Regime abgenommene Geld zurückerhalten wollen, und Teilen der russischen Regierung zu schmieden, die sie mit ihnen zusammenarbeiten und zu einem angenehmeren und weniger kriegerischen Leben mit der Welt zurückkehren möchten.“

Die sogenannten „Westler“ oder die marktwirtschaftsfreundliche Fraktion sind ja noch nicht ganz ausgestorben in Rußland.

„Interessant ist die Reaktion des Oligarchen Michail Chodorkowski, des ehemaligen Chefs des Jukos-Ölimperiums, der nach zehn Jahren Gefängnis aus Russland verbannt wurde.
Chodorkowski hatte den inzwischen abgesagten Marsch der Wagners von Rostow am Don nach Moskau unterstützt. Für den Fall, dass Prigoschin auf Moskau marschierte, empfahl Chodorkowski, »zu verhindern, dass er aufgehalten wird«, mit Treibstoff zu helfen und »diejenigen, die ihn aufhalten, davon zu überzeugen, dass man jetzt einen gemeinsamen Feind hat«.

Putins Rede zu dem Aufstand sollte als Drehbuch und Orientierung für die Regionalverwaltungen Russlands dienen und das Verhalten ihrer Führer bestimmen. Der Alltag in Moskau und St. Petersburg ist bereits verändert und in der russischen Hauptstadt, deren Sicherheit seit einigen Tagen sichtbar erhöht wurde, wurden die Werbetafeln und Straßenbanner, mit denen Wagner zur Rekrutierung aufrief, hastig entfernt.

In Provinzen wie Rostow am Don, Woronesch und Lipezk hingegen schien die Lage zunächst nicht so klar zu sein. Und für die russische Bevölkerung könnte es schwer zu verdauen sein, dass die Helden der Schlachten von Bachmut oder Soledar nun auf magische Weise aus dem offiziellen Gedächtnis verschwinden.“

Einmal sehen, ob sie retuschiert werden wie die in Ungnade gefallenen sowjetischen Führer von den offiziellen Fotos.

„»Der Bürgerkrieg in Russland ist eine Norm und kann in latenter Form und im Wechsel mit akuten Phasen jahrzehntelang andauern«, schreibt der Analyst Wladimir Pastuchow, der der Ansicht ist, daß der letzte Zyklus der Verschärfung dieses Bürgerkriegs 1989 begonnen hat und noch nicht beendet ist.
»Die Prigoschin-Meuterei ist nur eine der Episoden dieses Bürgerkriegs, der fast ein halbes Jahrhundert andauert«, schreibt Pastuchov. Und der Politikwissenschaftler erinnert daran, dass es im Bürgerkrieg keine Zwischentöne und Schattierungen gebe und man »entweder bei den Roten oder bei den Weißen« sei. Die Wahl ist schmerzhaft. »Zwischen Putin und der langen Nacht Russlands« und »dem flüchtigen Phänomen von Prigozhins Bürgerkrieg«, so sieht er die Möglichkeiten.“

Womit der Ausgang ja schon bestimmt ist, wenn die Wahl zwischen „lang“ und „flüchtig“ ist.

In Rußland selbst wird nämlich von vielen Personen die Herrschaft Putins nicht als „Nacht“ empfunden. Das ist die Sichtweise der „Westler“, deren Zahl sich von Jahr zu Jahr verringert. Viele der ehemaligen Anhänger westlicher Kultur und Werte sind inzwischen im eurasischen Dunstkreis Dugins gelandet. Für diese Leute ging mehr oder weniger mit Putin die Sonne auf.

Bei diesem Vokabel fällt einem als historisch geschultem Geist eher die „Nacht der Langen Messer“ ein, mit dem sich Hitlerdeutschland der lästig gewordenen SA entledigte, die zwar bei der Machtergreifung nützlich gewesen, aber dann lästig geworden war.

Abgesehen vom weiteren Schicksal Prigozhins stellt sich auch die Frage nach seiner Wagner-Truppe – erstens sind sie sicher nicht ohne weiteres den regulären Einheiten einzugliedern. Zweitens sind sie auch außerhalb Rußlands im Einsatz – in Mali, in Libyen, in der Zentralafrikanischen Republik. Die ganze Außenpolitik Rußlands muß neu organisiert werden.

Pressespiegel Komsomolskaja Pravda, 14.6.: Ein Gespräch mit dem Politologen und Militärexperten Alexej Podberjoskin

WIE LANGE WIRD DIE WESTLICHE AUSRÜSTUNG FÜR DIE STREITKRÄFTE DER UKRAINE AUSREICHEN UND WAS WIRD ALS NÄCHSTES IN DER ZONE DER SPEZIALOPERATION PASSIEREN?

„KP: Was war für Sie das Interessanteste, was Ihnen bei dem Treffen zwischen Putin und Militärkorrespondenten aufgefallen ist?

AP: Das war die Frage der Mobilisierung, und Putin gab eine eindeutige Antwort. Er hat sich zu der derzeitigen Lage sehr konkret geäußert.
Ich sagte, dass wir drei Möglichkeiten haben, die Streitkräfte zu vergrößern: Vertragssoldaten, Freiwillige und private Sicherheitsdienst-Mitglieder. Putin nannte konkrete Angaben, es hätten sich ungefähr 160.000 Freiwillige und Vertragssoldaten gemeldet. Daher ist im Augenblick kein Bedarf für eine weitere Mobilisierung.

KP: Will Kiew unsere Reserven ausdünnen?

AP: Ja, entlang der Grenze zu Belgorod, Brjansk und Kursk soll militärisch möglichst Druck gemacht werden. Damit Moskau Reserven dorthin wirft.

Eine Pufferzone von 500 km

KP: Was sagt Putin über die Sicherheits-Pufferzone – mit welchen Kräften soll sie ausgestattet werden?

AP: Ich habe vor etwa zwei Monaten darüber gesprochen, dass wir eine »No-Go-Area« gegen feindliche Kräfte einrichten müssen.
Wir haben kein Recht, Bedrohungen zuzulassen, die sich in einer Entfernung von 500 Kilometern von unseren Grenzen befinden. Anscheinend hatte Putin genau das im Sinn. Ansonsten erwischen uns nicht nur vom Boden abgeschossene Raketen – die HIMARS können auch mit ballistischen taktischen Raketen mit einer Reichweite von bis zu 500 Kilometern ausgerüstet werden –, sondern auch Drohnen, für die 500 Kilometer keine Distanz sind.

KP: 500 Kilometer sollten unter der Kontrolle der russischen Streitkräfte stehen?

AP: Sicherheitszonen rufen auch andere Staaten aus. Israel zum Beispiel, zumindest teilweise.

KP: Nun, wir werden sie ein paar hundert Kilometer zurückdrängen – und dann stellt sich heraus, dass sie jetzt unser Charkow beschießen …

AP: Verwechseln Sie nicht Politik, militärische Sicherheit und Recht. Ich sage aus Sicht der militärischen Sicherheit, dass wir einen Abstand von mindestens 500 Kilometern zur Kontaktlinie“ (= Front/Grenze/Feindberührung?) „gewährleisten müssen, um uns in Sicherheit zu fühlen.

KP: Wo wird diese Linie dieses politischen Kontakts verlaufen?

AP: Sie sollte entlang der Grenze der UdSSR verlaufen, die vor 1991 lag. Einschließlich Transnistriens und Moldawiens.

KP: Warum genau dort?

AP: In Rumänien wird derzeit die 101. Luftlandedivision der USA gruppiert, militärische Ausrüstung angesammelt und Flugplätze vorbereitet.
Das Manöver, das jetzt in Europa begonnen hat, wird sich weitgehend auf die Möglichkeit einer Konzentration der Luftfahrt stützen. Dies ist die Hauptangriffsmacht der NATO in diesen Regionen. Wir müssen allen sagen, dass wir ihre Sicherheit garantieren, aber auch, dass sie uns eine Zone „außerhalb ihres Zugriffs“ 500 Kilometer von dieser Grenze entfernt garantieren.“

Ambitioniert.
Rußland fordert also eine demilitarisierte Zone bis zu 500 km und nennt das mehr oder weniger als Kriegsziel. Also eine Demilitarisierung nicht nur der Ukraine, sondern auch Moldawiens.

„Dem Westen geht der Nachschub aus?

KP: Nicht nur Russlands militärisch-technische Fähigkeiten, sondern auch die des Westens werden auf die Probe gestellt?

AP: Ja. Putin hat auch darüber gesprochen. Wir produzieren fünf- bis siebenmal mehr Munition als der gesamte Westen zusammen. Und die westlichen Kapazitäten an Munition und Waffen sind praktisch erschöpft.
Bereits jetzt werden die Bestände Israels und Südkoreas für die Versorgung der Ukrainischen Armee genutzt.“

Interessant, daß diese Staaten Waffen herausrücken – die sie ja auch selber benötigen könnten. Beide Staaten sind ja auch dauer-wehrhaft, wegen eines Feindes vor der Haustüre.

„Doch solange der Westen über militärisch-technische Fähigkeiten verfügt, wird er Widerstand leisten.

KP: Wie steht es um die Ukrainische Armee?

AP: Sie hat nur noch geringen Spielraum im operativen Bereich, für ca. 3 Wochen. Ich habe vor zwei bis drei Monaten gesagt, dass der Konflikt in derzeitiger Intensität alle verbleibenden Ressourcen verschlingen wird.
Als der Konflikt begann, schätzten wir die ukrainische Luftwaffe auf 150–200 aktive Flugzeuge. Nun wurden bereits 450 vernichtet – und zwar mit Nachschub aus osteuropäischen Beständen. Nun, sie werden sogar diese berüchtigten F-16 liefern …

KP: Stimmt es, dass sie nicht besser sind als MiG-29?

AP: Im Allgemeinen nicht stärker. Es geht um die Raketen, mit denen die F-16 für die Streitkräfte der Ukraine ausgerüstet werden sollen. Und unsere T-90-Panzer sind nicht schlechter als die Leopard-2, selbst die neuesten Modifikationen.

KP: Die Truppen loben den T-90 „Durchbruch“.

AP: Sein offensichtliches Plus ist das Gewicht, das 20 Tonnen geringer ist als das der »Leopard«. Er ist dadurch viel geländegängiger.
Dazu kommt die Frage der Reparatur. Wohin werden sie ihre kaputten Panzer tragen? Nach Polen, nach Deutschland? Wenn die Abrams geliefert werden, wird es die gleiche Geschichte sein.
Und dann die Frage der Munition. Sie haben dort bereits 25 Artilleriesysteme. Sie sind alle unterschiedlich groß. Noch schwieriger ist es, sie mit Munition zu versorgen. Nehmen wir eine Hochwassermarke von 3 Millionen Stück Munition pro Jahr, als Annahme – das ist eine Sache. Aber wenn man sie auf 25 Systeme aufteilt, sieht das ganz anders aus.

Eine andere Weltordnung

KP: Wir machen ihre Ausrüstung platt, sie können nicht mehr in Kolonnen weiterfahren und mit der Reparatur haut es auch nicht so hin – was kommt dann?

AP: Was als nächstes passiert, hängt von den Kräfteverhältnissen ab. Auf die Lage, auf das Gleichgewicht der politischen Kräfte, die sich rasch verändern. Bisher haben wir über die militärisch-technische Seite gesprochen, aber versuchen Sie, einen Schritt weiter zu gehen und diese Veränderungen in den internationalen Beziehungen in der allgemeinen Weltordnung zu betrachten.

KP: Bis vor kurzem waren die Änderungen nicht zu unseren Gunsten.

AP: Betrachten wir nur die sowjetische Besatzungszone in Deutschland – unter welchen Bedingungen wurde sie Teil der NATO-Koalition? Dort nahm das Problem seinen Anfang, das wir nun lösen müssen. Sie werden uns nicht in Ruhe lassen. Sie werden uns immer weiter zurückdrängen. Solange, bis wir uns am Ende eben selbst eine Sicherheitszone und eine Flugverbotszone schaffen.

KP: In welchem Umfang?

AP: Zumindest bis Warschau. Ein amerikanischer Experte, der Berater von Reagan war und dann mit dem Establishment in Konflikt geriet, machte kürzlich die gleiche Vorhersage – die meinige wurde im Wesentlichen bestätigt.
Wir müssen diese natürlichen Grenzen besetzen, wie Kljutschewski sagte, die im Russischen Reich bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden sind. Das alles gehörte natürlich uns. Alles, was in den späten 1980er- und 1990er-Jahren getan wurde, widersprach den nationalen Interessen Russlands. Und wir sind jetzt damit beschäftigt, das zurückzubekommen, was uns rechtmäßig zusteht.

KP: Und die baltischen Staaten müssen wieder Teil Rußlands werden?

AP: Selbstverständlich. Ich spreche zwar nicht von Finnland und auch nicht von Polen, aber darüber kann man streiten.

KP: Die Polen haben eine starke Armee …

AP: Aber was, es gibt dort keine starke Armee. Es ist eine Sache, 2.500 bis 3.000 Dummköpfe und Kriminelle in die Ukraine zu schicken, die Geld verdienen wollen. Im Moment bilden sie dort“ (= in Polen) „ein Korps. Im Juli und August wollen sie es ohne Koordination irgendwohin schicken. Drei polnische Brigaden, die nach ein paar Tagen aufgerieben sein werden.

KP: Wenn die Rückkehr an die Grenzen der Sowjetunion angestrebt wird, so werden das ehemalige Preußen, das Großfürstentum Litauen und das Rzeczpospolita (das polnisch-litauische Königreich) auch wieder aktuell werden.

AP: Die militärisch-politische Lage wird nicht von den Wünschen einzelner Länder und auch nicht von historischen Hinterlassenschaften und Erfindungen bestimmt, sondern von den Realitäten, die sich in der Welt abzeichnen. Wir bewegen uns nirgendwo hin – wir müssen diese Probleme vor Ort lösen.“

Schöne Aussichten.

Pressespiegel El País, 12.6.: Russische Freischärler in ukrainischen Diensten

„»DAS BÜNDNIS ZWISCHEN DEN UKRAINERN UND DEN SIE UNTERSTÜTZENDEN RUSSEN IST AUF BLUT GEGRÜNDET«

Pilar Bonet

Denis Sokolov rekrutiert über die Plattform des Bürgerrats Freiwillige aus dem Land der Invasoren, die bereit sind, auf der Seite Kiews zu kämpfen

Die obenstehende Überschrift ist die Aussage von Denis Sokolov, der für die Rekrutierung kampfbereiter Russen zuständig ist – unter der Aufsicht der »Generaldirektion für Aufklärung« (die Abkürzung auf Ukrainisch ist GUR) des Verteidigungsministeriums der Ukraine.
Russische Kämpfer behaupten, an den jüngsten Angriffen auf Belgorod, einer russischen Provinz an der Grenze zur Ukraine, teilgenommen zu haben.“

„Teilgenommen“ weist darauf hin, daß sie nicht die einzigen waren, die in diese Aktion einbezogen waren, und sie haben sie auch nicht geleitet. Das waren ukrainische Militärs, und auch die Ausrüstung stammte von den Streitkräften der Ukraine.
Außerdem sollen sich auch Soldaten/Freiwillige aus Polen und englischsprachigen Ländern daran beteiligt haben, was weiters darauf hinweist, daß diese russischen Kämpfer nicht sehr zahlreich und auch nicht sehr professionell sind. Allein kann man sie nicht losschicken.

„Sokolov stammt aus Sankt Petersburg und arbeitete als Anthropologe im Kaukasus, bevor er ins Exil ging. Heute operiert es von einer Plattform namens Bürgerrat (Citizen Council, CC) aus, wo es die Aufnahme und Verbringung in die Ukraine derjenigen Russen organisiert, die sich der sogenannten Internationalen Legion der Ukraine anschließen wollen.
Sokolov unterhielt sich mit der Verfasserin dieses Artikels aus Warschau über ein soziales Netzwerk, das das CC offen für die Rekrutierung nutzt. Die Aussagen dieses Aktivisten für den bewaffneten Kampf geben einen Einblick in die internen Beziehungen der Freiwilligengruppen und ihre Verbindungen zur GUR. Die Daten über die Zahl der Angehörigen der bewaffneten russischen Kontingente und die Befehlsübertragungskette, in die sie eingefügt werden, sind schwer zu überprüfen. Auch die Bezeichnungen »Bataillon«, »Regiment« oder »Korps« erlauben es nicht, auf die Anzahl der Personen zu schließen, die diesem Ruf von CC und GUR gefolgt sind.“

Hier wird elegant ausgedrückt, daß sich diese Organisation über ihre tatsächlichen Erfolge bei der Rekrutierung sehr bedeckt gibt.
Es ist nämlich eine Sache, sich gegen den Krieg Rußlands in der Ukraine zu empören und eine andere, dafür auch seinen Kopf hinzuhalten.
Das Zentrum für die Anwerbung von Freiwilligen für die Ukrainische Fremdenlegion befindet sich also in Polen. Das ist zwar nicht überraschend, sollte aber dennoch festgehalten werden. So erklärt sich auch die vergleichsweise große Anzahl an polnischen Freiwilligen bzw. Vertragssoldaten in dieser Fremdenlegion.

„Die der GUR unterstellte Internationale Legion der Ukraine besteht aus Einheiten unterschiedlicher Herkunft, darunter aus den Ländern der ehemaligen UdSSR wie Georgien oder Weißrussland. Diejenigen aus Russland haben sich größtenteils dem Russischen Freiwilligenkorps (russische Abkürzung: RDK) angeschlossen.
Aber »das RDK hat den Bürgerrat im gegenseitigen Einvernehmen verlassen, weil sie sich nicht an die Grundsätze des Manifests gehalten hat, das wir (d.h., das CC) unterzeichnet hatten (das betrifft die Respektierung der Europäischen Menschenrechtskonvention)«, sagt Sokolov, der sich nicht näher mit den diesem Beschluß zugrundeliegenden Unstimmigkeiten befassen möchte. Er räumt jedoch ein, dass diese »mit der Haltung dieser Gruppierung gegenüber Muslimen, gegenüber anderen Nationalitäten und gegenüber sexuellen Minderheiten«“ zu tun hätten.
Der Gründer der RDK ist Denis Kapustin (auch Denis Nikitin genannt), ein rechtsextremer Aktivist, der in den Schengen-Raum nicht einreisen darf.“

Mit einem Wort, dieses Russische Freiwilligenkorps hält nichts von Menschenrechten, Schwulen und Lesben, und nationalen Minderheiten.
Diese Personen haben also nichts anderes vor, als im Rahmen dieses Krieges möglichst viele russische Zivilpersonen und Militärs umzubringen, ohne sich dabei von irgendwelchen humanitären Überlegungen bremsen zu lassen.
D.h., die „Kriegsverbrechen“, deren die russische Seite in einem fort bezichtigt wird, sind bei diesem Korps selbstverständiche Momente der Kriegsführung.

„Aufgrund seiner Ideologie lehnte das RDK Vladislav Amosov ab, einen ehemaligen Offizier der russischen Streitkräfte, der jakutischer Herkunft (= der vorwiegend in der Sibirischen Republik Sacha-Jakutien lebenden Volksgruppe/Minderheit) ist, erklärt Sokolov. Daher wurde das »Sibirische Bataillon« unter der Führung von Amosov gebildet, zu dem auch Ildar Dadin gehörte, der erste Aktivist, der 2015 in Russland wegen Verstoßes gegen die Regeln für Kundgebungen und Streikposten zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde.“

Aus dem ganzen Artikel wird nicht klar, in welchem Verhältnis diese Mörderbande RK und das Sibirische Korps zu der Ukrainischen Fremdenlegion stehen.
Gehören sie dazu, stellen sie eine Untereinheit derselben dar oder sind sie direkt dem Ukrainischen Verteidigungsministerium unterstellt? Welche Institution verpflegt und behaust sie, versorgt sie mit Waffen, wer koordiniert ihre Aktionen?

„»Die rechtsextreme Haltung der RDK ist abschreckend, selbst für rechte Freiwillige, ganz zu schweigen von Liberalen«, meint Sokolov. »Der russische Faschismus hat den russischen Nationalismus an den Rand gedrängt und verhindert die Bildung einer nationalen und regionalen Identität, die für die Mehrheit der russischen Gesellschaft akzeptabel ist.«“

Es ist nicht klar, welche Art von russischem Nationalismus hier angesprochen ist?
Russische Nationalisten, Vaterlandsverteidiger, stehen doch offenbar auf der Seite der russischen Regierung und unterstützen deren Politik, wie in verschiedenen anderen Medien und sogar im El País wiederholtermaßen beklagt wird.
Es ist also nicht klar, was diese russischen Rechtsradikalen eigentlich bewegt. Oder auch, welche Art von Freiwilligen das CC anwirbt und anwerben will – was ist deren Perspektive?
Was will das „Sibirische Bataillon“? Die Unabhängigkeit Sibiriens? Ist das ein populärer Gedanke in Sibirien selbst oder soll er erst durch die Heldentaten dieses Korps populär gemacht werden?
Was streben die Nazis vom RK für Rußland selbst an? Die Unterdrückung aller Minderheiten, die Russifizierung des Vielvölkerstaats – ähnlich dem Programm, das die ukrainischen Regierungen seit dem Majdan verfolgen?

„Michailo Podoljak, ein Berater von Präsident Wolodimir Selenskij, hat sich von den bewaffneten Einfällen in Russland distanziert. Ihm zufolge hätten die teilnehmenden Russen ihre Verträge mit den Streitkräften der Ukraine bereits beendet. Der Berater räumte jedoch ein, dass die Russen für ihre Aktivitäten das Gelände der Ukraine nutzen.“

Man fragt sich, warum Podoljak diese Distanzierung für nötig hält?

Man erinnere sich zurück: Der Einfall dieser, hmmm, angeblich russischen Freischärler in die russische Region Belgorod wurde in den westlichen – zumindest in den englisch- und deutschsprachigen – Medien zunächst als Erfolg und genialer Schachzug der ukrainischen Führung beglückwünscht. Die Ukraine hätte den Krieg nach Rußland getragen und gezeigt, daß sie zu Offensiv-Schlägen fähig ist. Die russischen militärischen Kapazitäten würden dadurch von der Ukraine-Front abgezogen und dadurch würde die ukrainische Offensive auf geschwächte Verteidigungslinien treffen und hätte bessere Chancen.
Einige ukrainische Grenzsoldaten und Bewohner wurden dabei getötet, einige Dörfer durch Bombardements getroffen, dann war der Spuk wieder vorbei. Die Bewohner wurden inzwischen größtenteils evakuiert, die betroffene Region verstärkte den Zivilschutz.

Einige Zeit später ist Katzenjammer angesagt.
Westliche Unterstützer drückten ihre Bedenken aus, daß ihre an die Ukraine gelieferten Waffen für diese Aktion eingesetzt wurden.
Es stellt sich heraus, daß der Überfall militärisch gesehen nullwertig war.
Unter westlichen Militärbeobachtern hat sich inzwischen die Einsicht durchgesetzt, daß der Überfall ein Ablenkungsmanöver gegenüber den westlichen Verbündeten war, um die Schwäche des ukrainischen Militärs zu verbergen.

In der ukrainischen Führung hat offenbar eine Diskussion über die Unterstützung von dergleichen Freischärlern eingesetzt, die inzwischen eher als sowohl militärische als auch ideologische Belastung erkannt wurden.

„Sokolow zeigt sich zurückhaltend gegenüber den sogenannten russischen »demokratischen Kräften«, die sich aus dem Exil gegen den Krieg aussprechen. Er weist darauf hin, dass die Anführer dieser Gruppen mit den im Exil lebenden russischen Oligarchen verbunden sind, die »ihre Beziehungen zu Mitgliedern des Sicherheitsdienstes, zu Beamten des Justiz- und Verwaltungsapparats pflegen und glauben, dass die Zukunft Russlands von der Spaltung der Machteliten abhängen wird.«“

Kurz gesagt, der russische Freischärler-Anwerber sieht die Vorstellung, den russischen Machtapparat zu spalten, als ziemlich perspektivlos an.
Er erkennt damit an, daß die russische Führung einig ist.

„Die Einfälle in Belgorod, die die Evakuierung mehrerer russischer Städte an der Grenze erzwangen, zeigten laut Sokolov, dass »der russische Befehlsmechanismus sehr langsam ist«, dass »es ihm an Humanressourcen mangelt« und dass »ihm die Bombardierung seiner eigenen Städte und Gemeinden gleichgültig ist«.“

Der letzte Satz lautet eigentlich im spanischen Original: „daß es der russischen Führung gleichgültig ist, seine eigenen Städte und Dörfer zu bombardieren“ – als ob es die russische Führung gewesen wäre, die sich diesen Überfall bestellt, oder ihn sogar selber ausgeführt hätte.
Das ist eigentlich eine hilflose Art, auszudrücken, daß dergleichen grenzüberschreitende Überfälle eine Schnapsidee sind, die militärisch nichts ausrichten.

„Das Sibirische Bataillon Das sibirische Bataillon ist bereits »eine vollwertige Kampfeinheit«, die auf »politischen, regionalen und nationalen Grundsätzen aufgebaut ist«, kommentiert er, und »sie wird durch das Eintreffen von Freiwilligen aus den verschiedenen Regionen Sibiriens vervollständigt«. Er werde von »kleinen und mittleren Geschäftsleuten und im Exil lebenden Fachkräften unterstützt, die für Ausbildung und Unterhalt aufkommen«, sagt er. Ihr Modell sei das einer »aus der Bevölkerung rekrutierten Truppe von Freiwilligen, ähnlich den Territorialverteidigungs-Bataillonen, die 2014 in der Ukraine entstanden.
Ursprünglich war die einzige Rekrutierungsmöglichkeit das RDK, aber mittlerweile geht die überwiegende Mehrheit der Rekrutierungsanfragen an das Sibirische Bataillon, das auch Leute aus anderen russischen Regionen aufnimmt. Aus der Sicht eines umfassenden politisch-militärischen Projekts ist das Sibirische Bataillon dasjenige mit den besten Aussichten.«“

Mit anderen Worten, die russischen Freiwilligen wollen inzwischen mit dem RDK nichts zu tun haben und ziehen das Sibirische Batallion vor.

„»Ich kann nicht sagen, wie viele Mitglieder das sibirischen Bataillon hat«, sagt Sokolov. Auf Nachfrage fügt er hinzu, dass das Ziel von 300 noch nicht erreicht sei. Für die »vielen weiteren, die kommen wollen«, erklärt er, »sei das Hauptproblem, wie sie von Russland über Drittländer in die Ukraine kommen. Wenn das gelöst wird, wäre die Zahl der Freiwilligen viel höher.«
Doch es geht nicht nur um komplizierte Transportrouten, sondern auch um das Misstrauen der Ukrainer, die in ihnen ein verdächtiges Kontingent sehen.“

Begreiflich.
Es ist anzunehmen, daß der russische Geheimdienst dort seine Leute einschleusen wird, ähnlich wie mit denen, die sich dem IS in Syrien anschlossen. Auch diese Leute waren völlig vom Geheimdienst unterwandert.
D.h., der ukrainische Geheimdienst hat mit diesen Leuten einen Haufen Arbeit: Sie müssen genau durchleuchtet werden, um sicherzugehen, daß sie nicht die ukrainische Verteidigung hintertreiben.
Im Vergleich dazu ist ihr wirklicher Kampfwert gering, weil ausbilden muß man diese Leute ja auch:

„»Sobald die Freiwilligen als solche akzeptiert werden, erhalten sie Waffen, Ausrüstung und Gehalt, entsprechend ihrem Vertrag«, fügt Sokolov hinzu. »Ihr Vorbereitungsniveau ist unterschiedlich, es gibt diejenigen mit militärischer Erfahrung und andere ohne diese«. Für die im Exil lebenden Liberaldemokraten »ist der Weg von der Couch in den Graben etwas länger, obwohl ihn viele gehen.«“

Really really?
Das erscheint etwas unwahrscheinlich. Wenn wirklich solche Leute sich in das Freiwilligenkorps integrieren, so ist ihr Kampfwert vermutlich sehr gering …

„»Es besteht ein sehr erheblicher Unterschied zwischen denen«, die kämpfen, und den Politikern und Ex-Oligarchen, die »die demokratischen Sektoren im Exil manipulieren und den bewaffneten Widerstand als eine Angelegenheit von Söldnern, Terroristen und Verrätern betrachten«.“

D.h., die Oligarchen geben gerne Geld her für Widerstand, liefern aber – natürlich! – keine Kämpfer.
Diese Spenden für den Widerstand sind offenbar eine Art Ablaßhandel, um ihre eingefrorenen Aktiva freizukriegen und sich als Agenten des freien Westens darzustellen.

„»Die Position der Letzteren (= Oligarchen) besteht darin, »die Ukraine gewinnen zu lassen und dann durch Wahlen eine Demokratie aufzubauen«.“

Diese bewußten Oligarchen versuchen sich also der NATO bzw. USA und EU anzudienen für die „Zeit danach“, wenn die Ukraine bzw. die NATO bzw. der Westen den Krieg gewinnen und sich nach Statthaltern für Rußland unter westlicher Aufsicht in Position bringen wollen.

„»Unsere Freiwilligen sind sehr unterschiedliche, sehr junge Menschen, die ihre Überzeugungen und ihre Freiheit über das Leben und den Komfort stellen«, versichert Sokolov.“

Es ist sehr fragwürdig, daß sich für dieses Programm viele Leute finden.