GLEICHSCHALTUNG
Joan López Alegre / Nacho Martín Blanco
„Abschied aus den Kreisen des Hasses
Unsere Präsenz im katalanischen Fernsehen und Radio ist nutzlos, sie hat nur Alibifunktion
Katalonien steht am Abgrund der Trennung, es wehen Winde des Bruches mit Spanien und der EU, aber vor allem des Zwistes zwischen uns selbst, den Katalanen. (…) Eine Frage, die sich derzeit alle stellen, ist die: wie sind wir soweit gekommen? Die Gründe sind mannigfaltig, aber es gibt 2 grundlegende Faktoren, die systematisch die Schaffung eines mentalen Rahmens der Entfremdung, sogar der Abneigung gegenüber dem Rest von Spanien befördert haben: das Bildungssystem und diejenigen öffentlichen Medien, die von der Generalitat finanziert werden.
Als regelmäßige Mitarbeiter der katalanischen Medien – Repräsentanten dessen, was mit der Zeit den Schimpfnamen Unionsquote bekommen hat – sind wir zu dem Schluß gekommen, daß unsere Anwesenheit in Talkshows und runden Tischen von TV3 und Catalunya Radio kontraproduktiv ist, weil sie nur als Alibi für ihren angeblichen Pluralismus dient und dafür, die dominante Sichtweise zu untermauern.
Die offizielle Leseart in Katalonien ist, daß es sich hier um eine natürlich, zutiefst irdische, vom Wesen her gute Nation handelt, die seit mindestens 3 Jahrhunderten einer unterträglichen kolonialen Unterdrückung innerhalb eines künstlichen, niederträchtigen und (keltisch-)chauvinistischen Staates ausgesetzt ist – Spanien, aus dem wir entkommen müssen. Dafür ist jedes Mittel recht. In allen Programmen ist dauernd von Franco die Rede. Im Radio Catalunya wurden die Hörer befragt, ob sie bereit wären, mit körperlicher Präsenz zu verhindern, daß Artur Mas vor Gericht gestellt wird. Vor kurzem wurden sie aufgefordert, in den Tagen vor dem Referendum am 1. Oktober über die Ortswechsel der Guardia Civil zu informieren – diese Informationen wurden dann im Radio ausgestrahlt. Eine Brigade für Agitation und antispanische Propaganda, und inzwischen auch ein Büro für Rekrutierung und Denunziation.
Wenn die Wirklichkeit sich auf ein einziges Thema reduziert, die Abspaltung, und die Diskussionsrunden sich um ein einziges Thema drehen, dient die Anwesenheit eines einzigen Diskutanten, der dem Konsens des Restes widerspricht – der von den anderen 3 oder 4 Diskutanten getragen wird, sowie vom Moderator und vielleicht noch Anrufern während der Sendung unterstützt wird – nur dazu, ihn als Vertreter einer verschwindenden Minderheit, einer Randgruppe innerhalb der katalanischen Gesellschaft darzustellen. Unter diesen Bedingungen wird der Vertreter der abweichenden Meinung, auch wenn er sich auf den Kopf stellt, immer ein notwendiger Watschenmann, um nicht zu sagen, der nützliche Idiot des Abspaltungsprojektes.
Diese aufgenötigte und verzerrte Meinungsvielfalt wird auch in den Fernsehserien von TV3 präsentiert, wo – in den harten Worten des Spanienkorrespondenten des Wall Street Journal – nur die Huren und die Verbrecher Spanisch sprechen. Falls wirklich die Mehrsprachigkeit Kataloniens dargestellt werden sollte, müßten mindestens die Hälfte der Personen in diesen TV3-Serien regelmäßig Spanisch sprechen, und der abwechselnde Gebrauch von Spanisch und Katalanisch durch die Darsteller – am Arbeitsplatz, auf der Straße und zu Hause – wäre völlig natürlich. Aber genauso, wie den für den Separatismus werbenden Diskussionsrunden der Anspruch zugrundeliegt, daß es normal ist, für die Unabhängigkeit zu sein, so wird in diesen Serien unverhohlen die Absicht verfolgt, in der kollektiven Vorstellungswelt der Katalanen die Idee zu verankern, daß es normal ist, Katalanisch zu sprechen, und daß Spanisch nur die verwenden, die Randgruppen angehören oder nicht ganz dicht sind.
(…) Es ist traurig, das zuzugeben, aber das Zusammenleben in Katalonien, wenn jemand seinen Frieden haben will, besteht in der resignierten Übernahme der agressiven nationalistischen 10 Gebote, die auf der Verachtung Spaniens und der Spanier beruhen, aber vor allem derjenigen Katalanen, die sich als Spanier fühlen.
Man muß nur die Zeitungsartikel der letzten Jahre durchschauen, um zu begreifen, daß das Zusammenleben bereits jetzt völlig unmöglich wäre, wenn die mit Spanien verbundenen Katalanen die gleiche Verachtung gegenüber den Separatisten an den Tag legen würden wie diese uns gegenüber. So kommt es, daß viele Katalanen – möglicherweise die Mehrheit – lieber wegschauen und nicht mit Pilar Raholas oder Joan B. Cullas(1) diskutieren wollen – weder in Fernseh- und Radiosendungen, noch bei Abendessen und Treffen im Familien- und Freundeskreis.
Wenn eine öffentliche Rundfunkanstalt einen Teil der Bürger, für die ihr Programm gemacht wird, als schlechte Katalanen hinstellt, oder sogar als antidemokratische 5. Kolonne, weil sie die von der Provinzregierung betriebene Abschaffung des Rechtsstaats nicht unterstützt, bleibt nichts anderes übrig, als das auszusprechen und ihr den Rücken zu kehren.
Mit diesem Artikel wollen wir unseren Abschied von den öffentlichen Medien Kataloniens kundtun, solange diese ihrer Verantwortung nicht nachkommen, die gesamte Bevölkerung Kataloniens zu respektieren und ihr mit einem Minimum an Ehrlichkeit eine Stimme zu verleihen. Lieber verzichten wir auf unsere Einkünfte, um nicht weiter den emotionellen Verschleiß ertragen zu müssen, den die Teilnahme in Kreisen, die Haß auf Spanien verbreiten, verursacht, und die moralische Belastung, daß wir mit unserer Anwesenheit dieses Treiben legitimieren.“
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(1) Katalanische Journalisten, die regelmäßig das p.t. Publikum auf die Eigenständigkeit und Großartigkeit Kataloniens einpeitschen.
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Man muß nur immer wieder darauf hinweisen: wenn genau das Gleiche in Ungarn von der Fidesz-Regierung und in Polen von der Kaczynski-Partie betrieben wird, so schreien sowohl die EU-Politiker als auch die fortschrittliche Intelligenzia der EU Zetermordio, und die Demokratie! und die Menschenrechte! sind in Gefahr!
In Katalonien hingegen faseln sie vom Selbstbestimmungsrecht der Völker, den braven fleißigen Katalanen und den post-franquistischen Madrider Unterdrückern.
Kategorie: Nationalismus
Die Ereignisse in Katalonien
EIN EU-MITGLIEDSSTAAT LÖST SICH AUF
Ich dokumentiere hier ab jetzt im Beitrag und in den Kommentaren die Ereignisse in Spanien im Zusammenhang mit den Unabhängigkeitsbestrebungen der katalanischen Separatisten und der Aktionen des spanischen Zentralstaates.
Das ist angebracht, weil wir sehen uns hier einem historisch einzigartigen Ereignis gegenüber (das natürlich seine Nachahmer finden kann und wird), der Zerlegung eines demokratischen Staates durch Zentrifugalkräfte und unter ratlosem Zuschauen der EU-Führung. Mit all den Folgen, die das für den Weiterbestand dieses imperialistischen Staatenbündnisses haben wird …
Die EU geht also nicht an einem äußeren Angriff zugrunde, sondern implodiert – ihre eigenen Widersprüche werden schlagend.
INFOS
Es stellt sich heraus, daß die Führung der Mossos, repräsentiert durch Josep Lluis Trapero, in ständigem Kontakt mit der Führung der Generalitat war, und nicht nur nix gemacht hat gegen die Abhaltung des Referendums in Schulen, und nicht nur die anderen Polizei-Einheiten behindert hat, sondern in einzelnen Fällen sogar selbst die Wahlurnen in die Wahllokale gebracht hat. Davon gibt es auch Fotos.
(El País, 9.10. 2017)
Um das Referendum zu ermöglichen, und die Abstimmungswilligen über ihre Wahllokale zu informieren, wählten die Independentisten eine Art Kettenbrief als Lösung. Alle Websites, wo sie die Orte bekanntgeben wollten, wurden natürlich vom spanischen Geheimdienst gesperrt.
Also wurden die Infos über die Wahlberechtigten – der Zensus der Wahlberechtigten Kataloniens – per Email und Kettenbrief verbreitet, was soviel heißt wie: alle persönlichen Daten – Name und Nachname, Geburtsdatum, Wohnort – wurden an ein privates Netz von Unterstützern weitergegeben.
Was da an Datenklau und Mißbrauch herauskommen kann, werden wir erst später erfahren.
Die Bürgermeisterin von Barcelona Ada Colau macht einen öffentlichen Auftritt, in dem sie die Separatisten darauf aufmerksam macht, daß mehr als 2 Millionen angeblicher Stimmen für die Unabhängigkeit deren Verkündigung nicht rechtfertigen.
(Katalonien hat 7,5 Millionen Einwohner)
Immer mehr spanische Banken und weitere Unternehmen versetzen ihren Sitz in andere Teile Spaniens.
Das Gewaltmonopol des Staates
GEWALT ODER VÖLKISCHER KONSENS?
In jüngerer Vergangenheit konnte man innerhalb der EU beobachten, wie es um das Verhältnis von oben und unten bestellt ist, wenn es ans Eingemachte eines Staates geht, weil die Staatsräson zum Zug kommt oder in Frage gestellt wird.
Eines war der G 20-Gipfel in Hamburg. Da waren die schwarz-rote Bundesregierung und die rot-grüne Hamburger Stadtregierung sich darin einig, daß hier wieder einmal demonstriert werden muß, wer der Herr im Haus ist.
Im Vorfeld wurden Unmengen an Polizei aus allen Bundesländern dort hingekarrt. Was de facto eine Machtdemonstration war, wurde über die Medien als eine Aktion zur Verteidigung der Demokratie gegen die Gewalt der Straße verkauft. Die Subjekte wurden vertauscht, die Monopolisten der Gewalt stellten sich als Betroffene, die sich wehren müssen, dar.
Ein Teil der Stadt wurde abgesperrt, sodaß keinerlei Demonstrationen dort abgehalten werden konnten. Dieses Demonstrationsverbot wurde von den Gerichten abgesegnet.
Dann wurde auch durch das Agieren der Polizei klargestellt, daß auch friedliche Demonstranten Leib und Leben in Gefahr bringen, wenn sie gegen einen G 20-Gipfel demonstrieren wollen.
Als wahrscheinlich kann angesehen werden, daß auch Provokateure eingesetzt wurden, um sicher zu gehen, daß man diejenigen Szenen und Bilder produzieren kann, die nachher durch die Medien gingen.
Die Medien stellten sich – mit wenigen Ausnahmen – einhellig auf die Seite des „angegriffenen“ Gewaltmonopols, das unter Einsatz aller Kräfte gerade noch einmal verteidigt werden konnte. Die Demokratie ist wieder einmal gerettet.
Dazu einige Berichte der jW, die das untermauern.
Uniformierte Chaoten drehten frei – Rechtswidriger Einsatz – Polizei verliert Deutungshoheit – »Der Apparat vergisst nicht«
Was bleibt als Fazit? Das Gewaltmonopol in Deutschland ist intakt, die demokratisch gewählte Regierung hat klargestellt, daß sie Herrschaft ist, und auf den Konsens pfeift, der ihr immer als Regierungsmethode nachgesagt wird. Und das Volk wurde darauf aufmerksam gemacht, daß es dafür da ist, zu arbeiten und Steuern zu zahlen und hin und wieder die Herrschaft zu ermächtigen, aber nicht dazu, sich in Regierungsangelegenheiten einzumischen oder die Repräsentation der Macht zu stören.
Ganz anders sieht es aus in Spanien.
Da will sich ein Landesteil abspalten. Um sich gegenüber der Zentralgewalt einen Rechtstitel zu verschaffen, rufen die katalanischen Politiker zu einer Abstimmung auf, die sie trotz Verbots durch das Verfassungsgericht organisieren.
Bayern hat auch einen Antrag auf so eine Abstimmung gestellt, sie wurde verboten.
Auch andere Staaten haben solche Probleme.
Es liegt an der Art, wie sich die EU und das in ihr stattgefunden habende Niederreißen aller Schranken für das Kapital auf die Mitgliedsstaaten ausgewirkt haben. Manche Regionen sind völlig abgeschifft, fast jeder Staat hat seine Mezzogiornos, und versucht die aus dem Budget irgendwie funktional zu halten. Bayern wollte eben auch nicht mehr für den abgewrackten Ruhrpott oder die Nebulae Mittel lockermachen.
Um was es hier geht, ist die Verfaßtheit der EU-Staaten an sich. Viele Staatenlenker haben ihre Staatsräson eingebüßt oder völlig neu überdacht. Und die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens und anderer Regionen stellen die jetzigen Staaten und ihre Landesgrenzen in Frage. Es stellt sich heraus, daß diese Staaten gar nicht mehr über die Mittel verfügen, diese Zentrifugalkräfte gewaltmäßig zu bändigen.
Diese Entwicklung erwischt die Eliten der EU irgendwie am falschen Fuß, und das betrifft nicht nur die Politiker, sondern vor allem die Medienfritzen. Während das Zuschlagen der deutschen Polizei in Hamburg für die meisten deutschsprachigen Medien völlig in Ordnung geht, wird der spanischen Regierung von Ungeschicklichkeit über Unverhältnismäßigkeit bis Unfähigkeit alles Mögliche vorgeworfen. Die relative Erfolglosigkeit oder Schwäche der spanischen Exekutivkräfte gegenüber dem illegalen Referendum wird ihnen zum Vorwurf gemacht.
Aus der medialen Aufarbeitung der Ereignisse kann man schließen, wie wenig Rückhalt Regierungen, die ihr Volk nicht mehr im Griff haben, bei den EU-Meinungsmachern genießen.
Schon haben baskische Nationalisten Aufwind und rufen zu Ungehorsam gegenüber Spanien und Solidarität mit Katalonien auf. Sie wollen also die katalanischen Bestrebungen für ihre eigenen Ambitionen nutzen.
Sehr bürgerkriegsträchtig, das „Europa der Regionen“.