WOJCIECH JARUZELSKI, 1923– 2014
Der Vergleich war in der Feindbildpflege des Kalten Krieges durchaus populär, vor allem wegen der Sonnenbrillen, die beide gerne trugen.
Gerade in Polen selber und unter seinen politischen Gegnern gab es jedoch stets einen Konsens, daß er mit seinem Staatsstreich und der Verhängung des Kriegsrechtes gewisse Dienste um die Nation erworben hatte.
Man rekapituliere: 1980 war Polen praktisch zahlungsunfähig. Der Schuldendienst für die im Westen aufgenommenen Kredite überstieg die Exporterlöse bei weitem. Gleichzeitig war ein großer Teil der polnischen Industrie von Westimport abhängig. Die Unfähigkeit, weitere Kredite zu erhalten und die alten zu bedienen, stellte also den Bestand der polnischen Wirtschaft in Frage. Während Polen Kohle und Lebensmittel exportierte und im Inneren die Preise erhöhte und ernsthafte Versorgungsmängel hervorrief, ging die polnische Regierung im westlichen Ausland um Kredite betteln. Die „brüderliche Hilfe“, um Polen vor dem Zusammenbruch zu bewahren, führte zu Versorgungsmängeln in den anderen Staaten des RGW. Streiks weiteten sich aus, Solidarnosc wurde gegründet … Die Kreditwürdigkeit, der Schuldendienst, die innere Versorgung stand auf dem Spiel. Polen war praktisch unregierbar geworden.
Der Parteivorsitzende Gierek wurde als Hauptverantwortlicher der Misere im September 1980 abgesetzt, sein Nachfolger Kania ein Jahr später. Sein Nachfolger wurde Jaruzelski, der im Dezember 1981 das Kriegsrecht über Polen verhängte.
Zum Unterschied von reifen Demokratien, die allesamt in der Verfassung die Verhängung des Ausnahmezustandes für den Fall des Staatsnotstandes verankert haben, besaß die polnische Verfassung eine solche Klausel nicht. Die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei glaubte fest genug an ihre Ideologie, die Partei des ganzen Volkes zu sein, daß ihr eine solche Entfremdung von den von ihr angeblich vertretenen Massen ganz unvorstellbar erschien. So sah weder der ursprüngliche Verfassungstext von 1952 noch die späteren Novellierungen so etwas wie einen Staatsnotstand vor. Man kann auch umgekehrt sagen: Hätte die Partei so etwas für möglich gehalten, so hätte sie damit ihren Führungsanspruch in Frage gestellt. Es lag also diesem Mangel der Verfassung eine gewisse Notwendigkeit zu Grunde, die mit dem System des Realen Sozialismus und dem Führungsanspruch der dortigen Staatsparteien zusammenhing.
Also verhängte Jaruzelski das Kriegsrecht. Von der Bevölkerung wurde dieser Schritt – zu Recht – so aufgefaßt, als ob die Regierung der eigenen Bevölkerung den Krieg erklärt, sie also als ihren Feind betrachtet hätte. Die Zeit des Kriegsrechts, das 1983 wieder aufgehoben wurde, bezeichneten die Polen als „den Krieg“.
Jaruzelski hat diesen Schritt immer wieder damit begründet, daß er damit einen sowjetischen Einmarsch, wie in Ungarn 1956 oder in der CSSR 1968, verhindert hätte. Er habe also das Vaterland vor einer Invasion bewahrt.
Russische Politiker behaupteten später, nach der Wende, es hätte keine Einmarschpläne gegeben. Jaruzelski konterte das damit, daß diese eben gar nicht erst ausgearbeitet worden seien, weil er und seine Mannschaft rechtzeitig gehandelt hätten.
Die Erignisse in Polen von 1980 an: Versorgungsmängel, Streiks, Flüchtlingswellen, Kriegsrecht, Einreiseverbot von polnischen Bürgern in andere RGW-Staaten, usw. trugen jedenfalls ihren Teil dazu bei, daß die Zweifler in den Reihen der sozialistischen Staatsparteien mehr und stärker wurden und daß die sowjetische Führung sich 1985 nach dem Tod ihres vorigen Vorsitzenden für einen Reformer entschied, der dann zum Totengräber des Realsozialismus werden sollte.
Jaruzelski war auch der Präsident des Überganges, der die Wende in Polen 1989/90 unspektakulär und in Form einer historischen Notwendigkeit über die Bühne gehen ließ.
Als sein Landsmann Wojtyla 2005 das Zeitliche segnete, betonte Jaruzelski noch einmal, wie gut die Zusammenarbeit seines Regimes mit der katholischen Kirche gewesen sei und wie sehr die Vereinigte Arbeiterpartei Polens und die Mannschaft des Pontifex zusammengeholfen hatten, um den Burgfrieden in Polen wiederherzustellen und die Aufmüpfigkeit der arbeitenden Massen im Zaum zu halten. (Wie anders dagegen die Sichtweise des geweihten Priesters Ernesto Cardenal, der über Johannes Paul II. die Aussage traf: „Dieser Papst war eine Katastrophe für Lateinamerika und ein Unheil für die ganze Welt!“)
Jaruzelski stand also für einen Staatsmann, der im Grunde ganz im Sinne der Demokratie und des Freien Westens handelte: Er trat dafür ein, dem Staat zu geben, was des Staates ist, und Gott, was Gottes ist: für den sozialistischen Staat (und die Bedienung von dessen Auslandsschuld) Arbeitsleistung, und als Erbauung in der Freizeit jede Menge Maria im Fernsehen.
In dieser Eigenschaft wird er sicher auch in den Medien gewürdigt werden.
Lesetipp:
Karl Held: Abweichende Meinungen zu Polen. Resultate Verlag 1982. Vergriffen, aber m Gebrauchtbücher-Handel erhältlich, z.B. hier.
Online zu lesen hier.
Kategorie: Nationalismus
Annexion, Teilung, Föderation – gar ein Einmarsch?
WAS HAT RUSSLAND IN DER UKRAINE VOR?
Rußland hat im März dieses Jahres die Krim heim ins Reich geholt. Das hat einen Sturm der Entrüstung in den westlichen Medien hervorgerufen, die seinerzeit nichts dabei fanden, als sich die Ukraine von der Sowjetunion abspaltete und die Krim dabei mitnahm. Um die Krim und deren Bewohner kann es also nicht gehen. Es ist einfach alles, was Rußland nützt oder Rußland Vorteile bringt, ein einziger völkerrechtlicher Skandal.
Seither wird der russischen Regierung nachgesagt, sie wolle sich die ganze Ukraine einverleiben, die Ukraine teilen, oder zumindest einen Teil der Ukraine einkassieren. Der Hunger des russischen Bären sei unersättlich, wird der westlichen Öffentlichkeit suggeriert. Putin ante portas! Vor allem in Polen und im Baltikum werden alte Ängste wieder erweckt und geschürt.
Und dafür, um diesen unersättlichen Landhunger zu stillen, würde Putin beinahe im Alleingang irgendwelche Agenten im Osten und Süden der Ukraine fernsteuern.
1. Rußland und die ostukrainischen Aufständischen
Es ist eine interessante Unterscheidung zwischen den Bewohnern der Ukraine, die hier vorgenommen wird: Während einige Tausend vom Westen unterstützte Krawallmacher eine Regierung stürzen dürfen und dabei als Repräsentanten des ukrainischen Volkes gehandelt werden, so, als hätten sie damit den Willen der Bevölkerung exekutiert – währenddessen sind ebensolche Aufständischen im Osten, die sich gegen die solchermaßen in Kiew eingesetzten Hampelmänner stellen, Separatisten, Agenten einer auswärtigen Macht, womöglich aus Rußland eingeschleust. Auf keinen Fall repräsentieren sie jedenfalls Volkes Willen.
Daß die „Separatisten“ überhaupt zu solchen geworden sind, hat sowohl mit der Haltung des Westens als derjenigen Rußlands zu tun.
Rußlands Position ist seit Wochen, daß die Ukraine als einheitlicher Staat – allerdings ohne Krim – weiterbestehen soll, aber sich eine im Unterschied zur derzeitigen zentralistischen Verfassung eine föderalistische geben soll. Die Ukraine sollte sich nach dem Vorbild von zweifelsohne demokratischen Staaten wie der BRD, Österreichs oder der Schweiz organisieren, mit Regionalwahlen und eigenen Landesparlamenten. Diese Position wird aber von niemandem ernsthaft diskutiert, weder von den Kiewer Hampelmännern, noch von deren Gönnern in USA und EU. Eine solche Verfassung würde nämlich die imperialistische Benützung der Ukraine verunmöglichen, da es nicht mehr möglich wäre, mit der Zentralregierung Verträge auszuhandeln und dann auf diese Druck auszuüben, damit sie die unerfreulichen Bedingungen derselben landesweit durchsetzt.
Diejenigen Bewohner der Ukraine, die sich mit Autonomie begnügt hätten, wurden also von Kiew her schroff abgewiesen.
Rußland hingegen will von einem (weiteren) Anschluß von ukrainischen Gebieten nichts wissen. Es hat alle Hände voll zu tun, um die Krim administrativ und ökonomisch einzugliedern und legt keinen Wert auf weitere Gebiete. Das wurde den Bewohnern der Ostukraine auch klar mitgeteilt.
Denjenigen Unzufriedenen, die die Kiewer Putschisten, die „Junta“ nicht als rechtmäßige Regierung anerkennen wollen, blieb also praktisch kein anderer Weg als der der Eigenstaatlichkeit, weshalb auf die ominösen Abstimmungszettel auch nur mehr diese Variante Eingang fand.
Die Kiewer Regierung und ihre mediale weltweite Unterstützung betreiben weiterhin die Denunziation der ostukrainischen Aufständischen als fremde Elemente – von Rußland unterstützt, von Rußland eingeschleust, – um den verfassungswidrigen Einsatz des ukrainischen Militärs gegen die eigene Bevölkerung zu rechtfertigen. Obendrein werden sie als „Terroristen“ bezeichnet, also als Leute, die keinen politischen Zweck verfolgen, sondern nur den negativen, die bestehende Ordnung zu stören.
Wobei von einer Ordnung im Sinne eines staatlichen Gefüges in der Ukraine eigentlich keine Rede sein kann …
2. Rußlands Pläne und Vorgehen
Die Website des Kaukasus-Emirates veröffentlichte vor einigen Wochen angebliche Pläne Rußlands für einen militärischen Einmarsch in die Ukraine. Der Bericht war etwas zu detailliert, um der bloßen Einbildungskraft eines Dschihadistengehirns entsprungen zu sein: der mit der Planung beauftragte General wurde genannt, und auch einige Details, welche Truppen wie eingesetzt würden.
Solche Pläne gibt es sicherlich, und sie werden von der russischen und militärischen Führung ebenso sicher erwogen wie auch wieder verworfen. Erstens ist die politische und militärische Reaktion des Westens nicht absehbar. Die NATO könnte eine Besatzung der Ukraine durch Rußland als Anlaß für einen Dritten Weltkrieg nehmen. Zweitens ist auch die rein militärische Durchführbarkeit fraglich. Ein endloser Partisanenkrieg vor den Toren Rußlands könnte drohen. Afghanistan läßt grüßen, von Tschetschenien und anderen Kaukasus-Unruheherden ganz zu schweigen.
Rußlands Interesse an der Ukraine ist ebenso stark wie unentschieden. Strategisch ist die Ukraine ein unverzichtbarer Bestandteil der russischen Grenzsicherung, ein Gebiet, in dem es auf keinen Fall NATO-Truppen sehen will. Ökonomisch bezieht Rußland noch immer einen Haufen von Produkten aus der Ukraine, auf die die russische Führung nicht verzichten will. Neben Erzeugnissen der Schwerindustrie gehören dazu auch Bauteile für militärisches Gerät, die Rußland bis heute nicht auf dem eigenen Hoheitsgebiet herstellen kann. Schließlich kann sich Rußland auch keinen Bürgerkrieg in der Ukraine leisten, der gigantische Flüchtlingsströme nach Rußland verursachen würde. Schon heute wurden in den angrenzenden Gebieten Rußlands Anlaufstellen eingerichtet für den seit Jahresanfang stetigen Zustrom von Umsiedlern, die sich in Rußland sicherer fühlen als in der Ukraine.
Natürlich unterstützt Rußland die Aufständischen in der Ostukraine mit Waffen und Beratern, vor allem von der und über die Krim. Natürlich hält es Truppen in Grenznähe in Bereitschaft. Ein tatsächlicher Einmarsch wäre aber nicht im Sinne Rußland, weil die Konsequenzen eines solchen Schrittes nicht berechenbar sind.
3. Der Kampf der Oligarchen und Rußland
Die ukrainischen Oligarchen haben sich die Reichtumsquellen der Ukraine in hartem Kampf unter sich aufgeteilt. Dieser Kampf ist natürlich nie zu Ende. Kaum zeigt sich bei einem Konkurrenten eine Schwäche, so versuchen andere, auf sein Terrain vorzudringen. Julia Timoschenkos Gefängnisaufenthalt hat sie z.B. aus der Gas-Transit-Branche hinausgedrängt und sie wird es wahrscheinlich nicht mehr schaffen, ihre frühere Position wiederzuerobern.
Jeder der Oligarchen hat eine „Sicherheitsdienst“ genannte private Schlägertruppe, die gegebenenfalls mit Fußballfans und Angestellten zu einer kleinen Privatarmee aufgestockt werden kann. Ihre Macht kann jedoch das in der Ukraine fehlende Gewaltmonopol nicht ersetzen. Jeder trachtet danach, notfalls in Koalition mit anderen, möglichst nahe an die politische Macht zu gelangen, Parteien zu gründen oder für sich zu kaufen, um die politischen Entscheidungen in seinem Sinne beeinflussen zu können.
Dieses labile Gleichgewicht ist durch die Ereignisse in Zypern sehr durcheinander gebracht worden. Alle ukrainischen Oligarchen machen den Großteil ihrer Geschäfte mit Rußland und anderen Staaten des ehemaligen COMECON, bzw. mit Nachfolgestaaten Ex-Jugoslawiens. Parken tun sie ihre Barvermögen, ihren „Reservefonds“ jedoch mehrheitlich in der Eurozone, um es in richtiges Weltgeld umzuwandeln. Da mußten sie schon in Zypern Federn lassen. Die lockere Art, mit der sich in Zypern ukrainisches und russisches Vermögen einkassieren ließ, hat womöglich die EU-Politiker erst so richtig wagemutig und frech werden lassen, der Ukraine diesen Assoziationsvertrag unbedingt aufs Aug drücken zu wollen.
Jetzt, rund um die Ereignisse des Maidan, hat die EU wiederum Druck ausgeübt: Wer nicht mit uns ist, wird als Verbrecher, Geldwäscher behandelt und sein Geld ist futsch! Und deshalb haben sich die meisten Oligarchen auf die Seite der EU bzw. der USA gestellt.
Nicht so der größte Oligarch der Ukraine, Rinat Achmetov. Achmetov kontrolliert wie kein anderer den Osten der Ukraine. Wenn er heute seine Arbeiter in verschiedenen Städten patrouillieren läßt, so handelt er im Einklang und in Absprache mit Rußland, und übrigens auch mit einem guten Teil der „Separatisten“ wider Willen, zumindest mit deren Führung.
Mit ihm wird sich auch Poroschenko einigen müssen, sollte er es irgendwie schaffen, diese Wahl-Farce als einen Sieg darzustellen und versuchen, die Ukraine zu regieren. Alle Versuche der Rivalen, Achmetov zu diskreditieren und zu entthronen, sind zum Scheitern verurteilt, eben weil er die Rückendeckung Rußlands hat. Er, nicht sein Hampelmann Janukowitsch, war und ist der eigentliche „Namestnik“, Statthalter Rußlands.
Auch Poroschenko muß sich mit Rußland arrangieren. Vermutlich hat er bereits Schritte in diese Richtung getan. Ohne den russischen Markt kann ein guter Teil seiner Unternehmen zusperren. Ohne Rußlands Zustimmung kann er die Ukraine nicht regieren.
4. Perspektiven
Es fragt sich allerdings, ob er es selbst mit Rußlands Rückendeckung schaffen wird. Denn die Karten für die Einflußnahme auf die Ukraine sind ja schon verteilt. IWF, EU und USA warten, um ihre miteinander, mit den Interessen der Ukraine und mit denen Rußlands unvereinbaren Ansprüche zu präsentieren.
Nicht zu vergessen ein Haufen bewaffneter Ukrainer, deren jeder die jeweils andere Fraktion als den ersten Feind betrachtet …
Großmachtpolitik gegen harmlosen Handel und Wandel?
IST RUSSLAND IMPERIALISTISCH?
Und wie! – behaupten die einen und können sich gar nicht beruhigen über den unerhörten Bruch des Völkerrechts, der mit der Einverleibung der Krim stattgefunden haben soll.
Auf keinen Fall! – meinen die anderen. Rußland verteidigt nur seine Interessen und weist die wirklichen Imperialisten in ihre Schranken.
Begriffsklärung
Der Duden definiert Imperialismus als „Bestreben einer Großmacht, ihren politischen, militärischen und wirtschaftlichen Macht- und Einflußbereich immer weiter auszudehnen“.
Damit wäre das Phänomen auf Großmächte beschränkt. Aber erstens, ab wann ist ein Staat eine Großmacht? und zweitens: wie ist das überhaupt mit dem „politischen, militärischen und wirtschaftlichen Macht- und Einflußbereich“ eines Staates? Ist der nicht jedem Staat zu klein? Ist es ein Privileg von Großmächten, diesen immer weiter ausdehnen zu wollen? Sind Kleinstaaten davor gefeit? Ab wieviel Einwohnern oder Quadratkilometern beginnt der Sündenfall?
Imperialismus kleinformatig
Nehmen wir doch einen Staat wie Österreich. Österreich hat seit der Wende einiges unternommen, um seinen „politischen, militärischen und wirtschaftlichen Macht- und Einflußbereich“ über seine Grenzen hinaus auszudehnen.
So war es sehr aktiv in der Zerschlagung Jugoslawiens. Es benützte seine Medien, um alle Versuche, den Zerfall des Landes aufzuhalten, als Terror und Unterdrückung durch „die Serben“ zu brandmarken. Die österreichische Regierung, aber auch die in Opposition befindlichen Grünen unterstützten mit allen – durchaus auch materiellen – Mitteln die Unabhängigkeitsbestrebungen Kroatiens. Es war federführend in der Anerkennungspolitik der austrittswilligen Teilrepubliken. Das offizielle Österreich jubelte der NATO bei ihren Bombardements 1999 zu. Zu diesem Anlaß entdeckte die österreichische Politik den Freiheitsdrang der Albaner. (Später wurden die albanischen Flüchtlinge wieder abgeschoben.)
Mittels der österreichischen Banken erschloß sich Österreich die Nachfolgestaaten Jugoslawiens. Die Bank, deren Pleite seit Jahren so viel Wirbel verursacht, war eine Speerspitze dieser nationalen Ambition.
Österreich beteiligt sich seit Jahrzehnten an den UNO-Missionen in Bosnien und dem Kosovo. Es unterhält, obgleich offiziell neutral, eine spezielle Eingreiftruppe für den Balkan. In Bosnien stellt die österreichische Diplomaten-Garde inzwischen schon den zweiten Hohen Repräsentanten in Bosnien.
Die Offensive der österreichischen Banken in die vormals sozialistischen Staaten tat ein weiteres, den „politischen … und wirtschaftlichen Macht- und Einflußbereich“ weit über die Grenzen Österreichs hinaus auszudehnen.
Am besten zeigt sich dieses Bestreben an Ungarn.
Kaum war Ungarn am Rande der Zahlungsunfähigkeit und eine Regierung kam an die Macht, die den Verfall der Ökonomie und Gesellschaft irgendwie in den Griff bekommen wollte, so ging das Geschrei in Österreich los: „Unsere“ Banken werden zur Kasse gebeten, Skandal! „Unsere“ Unternehmen müssen Sondersteuern zahlen! „Unsere“ Landwirte werden enteignet!
Es war allen Politikern, Medienfritzen und braven Patrioten klar, daß Österreichs Interessen in Ungarn eigentlich sakrosankt zu sein hätten und jeder Versuch der Regierung eines anderen Staates, den Einfluß Österreichs zurückzudrängen, ein Affront und eine Unerhörtheit sei.
Diese Arten der Einflußnahme gelten aber denen, die jetzt gegen den Imperialismus Rußlands zu Felde ziehen, keineswegs als „Imperialismus“. Nein, das ist mehr oder weniger „Entwicklungshilfe“, mittels derer die Nachbarstaaten mit der Marktwirtschaft beglückt werden.
Imperialismus der nachrangigen Gewalten
Das „Bestreben …, ihren politischen, militärischen und wirtschaftlichen Macht- und Einflußbereich … auszudehnen“, findet sich auch bei denjenigen Staaten, die die Bühne des Weltmarktes und der Staatenkonkurrenz im Zuge der Entkolonialisierung betreten haben.
Diverse Staaten Lateinamerikas und Afrikas haben bis heute offene Grenzfragen mit ihren Nachbarstaaten. Das hat im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte schon zu einer Reihe von Kriegen geführt, bei denen mißliebige Regierungen vertrieben und andere, den aggressiven Nachbarn genehme eingesetzt wurden. Grenzen wurden verschoben, wichtige Häfen oder Bergbaugebiete waren Ziel des begehrlichen Blickes der dortigen Souveräne. Man erinnere sich an den Falkland-Krieg. Bis heute streiten sich Argentinien und Chile um Teile der Antarktis.
Nach der Wende 1989 erwachten in diversen ehemals sozialistischen Staaten alle möglichen als „Nationalismus“ und „Revanchismus“ gebrandmarkte Begierden, den „politischen, militärischen und wirtschaftlichen Macht- und Einflußbereich … auszudehnen“, um so mehr bei solchen Staaten, denen gerade Teile ihres vormaligen Staatsgebietes abhanden gekommen waren.
Ungarn sieht seine ehemaligen Gebiete als Einflußgebiete, die es leider nicht annektieren kann, aber wo es unbedingt mitreden will – nicht erst seit Orbán. Polen mischte sich eine Zeitlang sehr kräftig in Weißrußland und der Ukraine ein. Usbekistan und Kirgisien sind sich überhaupt nicht grün über das Fergana-Tal, das beide gerne exklusiv beherrschen würden. Armenien gibt Berg-Karabach nicht an Aserbaidschan zurück. Usw. usf.
Für die braven Staatsbürger, die die „Völkerfamilie“ gerne als eine durchs Völkerrecht geregelte friedliche Ansammlung von „zivilisierten“ Gesellschaften sehen wollen, wo „Gewalt kein Mittel der Politik sein darf“, sind alle diese Vorkommnisse Verstöße gegen ihre schönen Prinzipien, gegen die gerne die wirklichen Welt- und Großmächte als Hüter der Weltordnung angerufen werden.
Dieser staatsbürgerliche Idealismus, der immer gerne Prinzipien gegen die Wirklichkeit in Anschlag bringt und Abweichungen bejammert, hat sich als eigenes Staatssystem einst eine Zeitlang etabliert.
Der Imperialismus der sozialistischen Staaten
wollte nie einer sein. Sie hielten sich an die andere Definition, den der Duden auch bereit hält. Laut der „marxistischen Wirtschaftstheorie“ ist nämlich „Imperialismus“ die „zwangsläufig eintretende Endstufe des Kapitalismus mit konzentrierten Industrie- und Bankmonopolen“.
Was Staaten machen, ist also gar nicht das Thema dieser hier etwas verkürzt wiedergegebenen Theorie, die – dies sei der Vollständigkeit halber erwähnt – nicht von Marx, sondern von Lenin stammt. Nach dieser Definition sind es nur Banken und Industrie, die „Imperialismus“ betreiben. Staaten sind unschuldige Macht-Hülsen, denen so etwas von selbst nie einfallen würde. Wenn sie es trotzdem tun, so nur deshalb, weil sie von „Monopolen“ dazu getrieben werden. Wo es also keine Banken und profitgierigen Unternehmer gibt, kann es also laut dieser Definition gar keinen „Imperialismus“ geben.
Die Sowjetunion betrieb von allem Anfang an Imperialismus in der ersten Definition: Sie bemühte sich, „ihren politischen, militärischen und wirtschaftlichen Macht- und Einflußbereich immer weiter auszudehnen“. Der Idee der Weltrevolution begab sie sich bereits 1922, nicht erst unter Stalin. Mit der Festlegung des „Sozialismus in einem Land“ strebte sie Anerkennung als Staat im Konzert der Nationen an. Sie definierte damit die kommunistischen Parteien anderer Länder zu Instrumenten der Außenpolitik der Sowjetunion.
Falls es dennoch zu Revolutionen in anderen Ländern kam, wie in Jugoslawien oder China, so führte das früher oder später zum Bruch mit der SU. Diese Staaten beharrten auf einem eigenen Weg und wurden selber imperialistisch, wie Jugoslawien mit der Blockfreien-Bewegung oder China mit seinem eigenen Weg der Unterstützung derer, die sich gegen das „Großmachtstreben“ der SU verwehrten.
Die SU bemühte sich, weltweit Verbündete zu schaffen, die der SU und nicht den USA und deren europäischen Verbündeten verpflichtet waren. Für die Außenpolitik bzw. den Imperialismus der SU war es gleichgültig, wie diese Staaten im Inneren verfaßt waren. Sie unterstützten im Interesse ihrer Bündnispolitik auch Mörderregimes wie dasjenige Saddam Husseins im Irak oder dasjenige Mengistus in Äthiopien. Ebenso unterstützte China im Versuch, seinen Einfluß über die Landesgrenzen hinaus auszudehnen, unter anderem die Roten Khmer in Kambodscha. Bis heute hält es aus geostrategischen bzw. imperialistischen Absichten heraus seine schützende Hand über Nordkorea.
Die Anhänger der SU jedoch beharrten darauf, daß die SU eine „Weltfriedensmacht“ und keineswegs aggressiv sei. Die verdeckten Interventionen – Lieferungen von Waffen und Militärberatern – wurden verschwiegen, die weniger verdeckten des CIA angeprangert. Die Parteilichkeit für „gute“ Staaten machte sie blind für die imperialistischen Handlungen ebendieser Staaten.
Diese Imperialismus-Definition geht ähnlich vor wie die aller guten Demokraten und Staats-Anhänger: Staaten sind an und für sich super-friedliche und gutwillige Institutionen, nur wenn Profit-Interessen bei der Einflußnahme auf andere Souveräne vorliegen, so wurde „Imperialismus“ verortet.
Imperialismus heute
Der Fall des Eisernen Vorhangs hat den Imperialismus entfesselt. Die Konkurrenz um die Eroberung von Einflußsphären ging jetzt so richtig los. Die USA als verbliebene Weltmacht Nr. 1 intervenierte rund um den Globus, um sich genehme Vasallen zu schaffen. Die EU versucht, im Windschatten der NATO zu expandieren, so gut sie kann. Die anderen Großmächte versuchen, durch Zusammenarbeit ihre Einflußsphären zu sichern und zu erweitern. Das betrifft nicht nur die Aufrüstung, sondern auch die Bündnis- und Währungspolitik. Rußlands Zollunion-Projekt oder der Versuch Chinas, ihre Währung zu einem Weltgeld zu machen, gehören genauso in die Rubrik „Imperialismus“ wie der Versuch der EU, die Ukraine mittels eines Assoziations-Abkommens in sich zu binden.
All das wird unter den Tisch gekehrt, wenn Rußland die Annexion der Krim als „Imperialismus“ vorgeworfen wird, während der von außen alimentierte Sturz einer gewählten Regierung in der Ukraine als „Volkswille“ und „Selbstbestimmung“ definiert wird.
Fazit
Rußland ist natürlich imperialistisch – genau so, wie die USA, die EU, deren Mitgliedsstaaten und der Rest der Welt es auch sind: Weil nämlich Staaten ohne Imperialismus nicht zu haben sind.