Serie „Lateinamerika heute“. Teil 7: Puerto Rico

VERWÜSTUNG

„Alles ist eine Wüste
Das Volk ist gestorben
an Not“ (Rafael Hernandez „El Jibarito“ – Puertorikanische Klage, 1929)

Zuletzt war Puerto Rico in den Medien, als der Hurrikan Maria im September des Vorjahres die Insel ohne Strom und Trinkwasser hinterließ und fast 3000 Tote forderte.
Heute, mehr als ein Jahr später, ist nur ein Teil des Schadens repariert. In erster Linie wurde diejenige Infrastruktur in Gang gesetzt, die mit dem Tourismus zusammenhängt, der dringend benötigte Einnahmen bringt.
Puerto Rico war, ungeachtet seines Namens („Reicher Hafen“), nämlich schon vorher ziemlich in Schwierigkeiten.


Teil der USA ohne Rechte

Puerto Rico gehörte seit den Anfängen desselben, also seit 1493 zum spanischen Kolonialreich und verblieb dort auch, nachdem sich das Festland von Mexiko bis Patagonien aus diesem gelöst hatte. Die Reste der spanischen Besitzungen in der Karibik wurden rund um die kubanischen Unabhängigkeitskriege von den USA annektiert, so auch Puerto Rico im Jahr 1898.
Die USA hatten lange kein Interesse daran, sich in die Karibik auszudehnen. Sie begnügten sich damit, das Festland Lateinamerikas zu ihrer Einflußzone zu machen, in Konkurrenz mit dem British Empire.

Das Interesse an der Karibik als Vorhof der USA erwachte gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als die USA sich eine Kriegsflotte zulegten und begannen, über einen Kanal durch Mittelamerika nachzudenken. Sie wollten sich die Karibik für Stützpunkte sichern, mischten sich deshalb in den kubanischen Unabhängigkeitskrieg ein und vertrieben die Spanier.
Damals besetzten die US-Streitkräfte Puerto Rico. Diese de facto-Inbesitznahme wurde durch den Pariser Vertrag von 1899 besiegelt. Seither gehört Puerto Rico den USA, als ihr Territorium.

Zunächst war Puerto Rico militärisch besetztes Territorium. Es war eine Art Kolonie, aber dieser Status wurde nie offiziell als solcher benannt.
Mit dem Foraker Act von 1900 wurde eine zivile Verwaltung mit sehr beschränkten Befugnissen eingesetzt. Die Regierung wurde von den USA ernannt, die Selbstverwaltung beschränkte sich – ähnlich wie in der spanischen Kolonialverwaltung – auf die Gemeindeebene. Wahlen für eine Art Parlament waren eine Farce. Das Rechtssystem wurde nach US-Recht konstruiert, aber mit einer Menge Ausnahmen, unter anderem, was die Steuerhoheit betraf.

Puerto Rico ist ein historisch einzigartiger Fall von beschränkter Souveränität, der bis heute als solcher besteht. Es ist ein Staat, der keiner ist, aber als solcher international anerkannt ist. Ein Fall von Souveränität, die jeden Staatsakt, sei es im Inneren, sei es nach außen, immer mit der übergeordneten Macht der USA koordinieren muß. Jede Freiheit, die sich die Regierung dieses Staates erlaubt, muß vorher mit den USA abgesprochen werden. Was jedoch die Verbindlichkeiten dieses Halb-Staates betrifft, ist er auf sich allein gestellt. Die USA stehen nicht gerade für die Schulden Puerto Ricos, und sie haben keinerlei Verpflichtung, für die Schäden auf der Insel aufzukommen, die Naturkatastrophen verursachen.

Im Jones Act von 1917 wurde den Puertorikanern die US-Staatsbürgerschaft zugesprochen – sofern sie nach der Annexion von 1898 geboren waren. Damit verfestigten die USA ihren Anspruch auf die Insel und verwehrten sich gegen Unabhängigkeitsbestrebungen. Der unklare Status von Puerto Rico wurde damit weiter festgeschrieben.
Der unmittelbare Anlaß für diesen Beschluß – gegen den Willen der damaligen puertorikanischen Politiker – war der Wille, die Männer Puerto Ricos als US-Soldaten in den 1. Weltkrieg schicken zu können, in den die USA einen Monat nach dem In-Kraft-Treten des Gesetzes eintraten.
Seither ist die Emigration aus Puerto Rico in die USA ein taugliches Ventil für alle ökonomischen Nöte. Die Puertorikaner bevölkern die Slums der USA und ermöglichen durch ihre Überweisungen das Überleben der restlichen Bewohner der Insel.

Das zum gleichen Zeitpunkt, im Zuge des Krieges der USA gegen Spanien 1898 annektierte Hawai wurde 1959 unter der Präsidentschaft Eisenhowers zum 51. Bundesstaat der USA erklärt. Dem ging eine Abstimmung voraus, wo die Bewohner Hawais befragt wurden, ob sie den USA beitreten oder weiter in dem gleichen ungeklärten Status – wie Puerto Rico – verbleiben wollten. Die Idee der Unabhängigkeit wurde gar nicht zum Thema gemacht.

In Puerto Rico wurde anders vorgegangen. Versuche eines US-Politikers, über die Unabhängigkeit Puerto Ricos zu entscheiden, wurden sowohl in den USA als auch unter deren Parteigängern in Puerto Rico hintertrieben. 1948 wurde das sogenannte Knebelgesetz erlassen, das das Hissen der puertorikanischen Flagge und andere Äußerungen für die Unabhängigkeit Puerto Ricos sowie Vereine, die sich selbige zum Ziel setzten, unter Strafe stellten. Dieses Gesetz war bis 1957 in Kraft, als es vom US-Kongress aufgehoben wurde.
Eine Abstimmung über den Status der Insel fand während des gesamten 20. Jahrhunderts nicht statt. Anhänger der Unabhängigkeitsbewegung wurden ermordet oder zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Ein Referendum von 2012 zu dieser Frage wurde ignoriert.

Puerto Rico ist also bis heute ein annektiertes Territorium der USA, mit ungeklärten Zuständigkeiten.
Als Rufe nach Unabhängigkeit sowie Streiks überhandnahmen und die Stabilität und Funktionalität Puerto Ricos ernsthaft gefährdeten, dehnten die USA 1933 die New Deal-Maßnahmen auch nach Puerto Rico aus. Vor allem auf dem Gebiet der Infrastruktur und des Gesundheitswesens wurde in den 30-er Jahren einiges investiert. Damals wurde die Insel mit Staudämmen für die Elektrizitätsgewinnung versehen und ein Stromnetz aufgebaut. Eine angestrebte Landreform und der Aufbau einer Industrie scheiterten vor allem am Widerstand von Firmen und Politikern in den USA.
Damals wurden jedoch die Grundlagen für das ehrgeizige Projekt der Nachkriegszeit gelegt, und auch die Politiker erzeugt, die in der Zugehörigkeit zu den USA das Heil Puerto Ricos sahen und alle anderen Richtungen ausschalteten.


Operation „Ans Werk!“

Unter dem 1948 gewählten Präsidenten Luis Muñoz Marín, den man als einen Vorkämpfer der Idee der „Entwicklung“ betrachten kann, wurde in Puerto Rico ein Programm begonnen das die bisherige, auf Zuckerrohranbau und sonstige Agrarprodukten basierende Wirtschaft der Insel gründlich umkrempelte.
Muñoz Marín war der erste nicht vom Senat ernannte, sondern von der Bevölkerung gewählte Präsident Puerto Ricos. Mit der solchermaßen zustande gekommenen Autorität sah er sich befugt, nicht nur alle Unabhängigkeitsbestrebungen zu verfolgen und niederzumachen, sondern auch dem Segen des Privateigentums und des Kredits auf der Insel zum Durchbruch zu verhelfen. Er war ein bekennender Anhänger der freien Marktwirtschaft, und der USA als Wohltäter Puerto Ricos.

„Ans Werk!“ war nicht mehr und nicht weniger, als eine Billiglohnzone für US-Kapital zu schaffen, – das, was später in Mexiko flächendeckend als „Maquiladoras“ stattfand. Puerto Rico und sein voraussehender Präsident schufen eine Art Mischung von Billiglohnsektor und Steuerparadies für US-Kapital. Der unklare Status Puerto Ricos wurde als Lockvögeli für das US-Kapital eingesetzt. Die Insel wurde – durchaus als eine Art Vorreiter für Verlagerung in Billiglohnländer – dem amerikanischen Kapital angeboten: zollmäßig Inland, und dennoch steuermäßig und gesetzesmäßig Ausland.

Den Bewohnern Puerto Ricos wurde dieses Programm verkauft als: Seid nur willig und billig, und schon kommt der Segen des Kapitals, schafft Arbeitsplätze und Wohlstand! Schon der Name dieses Programms war ein Aufruf an die Botmäßigkeit an die Bewohner der Insel: Es liegt an euch, macht doch etwas daraus!
Im Zuge dieses Programm wurde die Landwirtschaft heruntergefahren, sodaß Puerto Rico nicht nur bei allen Grundnahrungsmitteln, sondern auch bei seinen ehemaligen Exportprodukten Zucker und Kaffee importabhängig ist. Puerto Rico wurde damit auch zu einem Markt für US-Konsumgüter.

Um das US-Kapital anzulocken, schuf die puertorikanische Regierung noch einen zusätzlichen Attraktivitäts-Faktor: Unter dem Motto „Fortschritt“ und „Familienplanung“ wurde mehr als ein Drittel der weiblichen Bevölkerung zur Sterilisation überredet, was von USA-Organisationen großzügig finanziert wurde, um „Überbevölkerung“ und Armut zu lindern. Damit sollte das Einstellen von weiblichen Arbeitskräften befördert werden, die dem Kapital verläßlich das ganze Jahr hindurch zur Verfügung stehen würden. Auch „die Pille“ wurde zuerst in Puerto Rico großflächig ausprobiert, bevor sie in den USA zugelassen wurde. Die Frauen Puerto Ricos waren also in mehrerlei Hinsicht Versuchskaninchen für US-Firmen. Als Nebenprodukt dieser Vorgangsweise hat sich eine gewisse pharmazeutische Industrie dort angesiedelt.


Puerto Rico heute

Mit dem Abschluß des Freihandelsabkommens NAFTA mit Mexiko 1994 wurde Puerto Rico als Billiglohnland unbedeutend. Mexiko ist für die US-Firmen näher, größer, über den Landweg erreichbar. Neue Firmen siedelten sich in Puerto Rico nicht mehr an, manche alte sperrten zu und verlegten ihre Produktion nach Mexiko. In die Infrastruktur wurde nicht mehr viel investiert, die Abwanderung nahm zu.
Puerto Rico war lange eine Steueroase für US-Kapital. Das bedeutete jedoch, daß weder die Firmen, die nur ihren Firmensitz auf der Insel angemeldet hatten, als auch diejenigen, die dort tatsächlich Produktionsstandorte betrieben, Steuern bezahlten. Die Haupteinnahmen des Staates bestanden also sowieso lange Zeit – neben Zuschüssen aus den USA selbst – in den Steuern und Abgaben, die die arbeitende Bevölkerung in seine Kassen spülte.
2 Jahre nach dem Abschluß von NAFTA, 1996, strichen die USA die Steuervergünstigung für Puerto Rico, das damit endgültig unattraktiv für Investoren aller Art wurde.

Der Weltmarkt war so weit fortgeschritten, daß Puerto Rico unwichtig für das USA-Kapital wurde, weil inzwischen anderswo in Lateinamerika auch die meisten Schranken für das US-Kapital niedergerissen worden waren.
Und Puerto Rico begann sich zu verschulden, ohne irgendeine Aussicht, diese Schuld jemals selbst bedienen zu können. Es erhielt Kredit, weil es für die Gläubiger ein Teil des US-Territoriums war und deshalb als relativ solider Schuldner eingestuft wurde. Vermutlich nahmen die Banken und Fonds, die puertorikanische Anleihen kauften, auch an, daß der Kredit Puerto Ricos von der Fed irgendwie gestützt werden würde, falls die die Regierung der Insel ihren Verbindlichkeiten nicht mehr nachkommen könnte.
Seit 2015 kann Puerto Rico seine Anleihen nicht mehr bedienen und erhält daher auch keinen Kredit mehr. Bezüglich einer Stützung durch den US-Staatskredit haben sich die Gläubiger genauso geirrt wie in Detroit oder Kalifornien. Puerto Rico kann jedoch aufgrund seiner ungeklärten rechtlichen Stellung auch keinen Bankrott anmelden oder seine Schuld mit den Gläubigern neu verhandeln. Es ist auf Zuschüsse aus den USA angewiesen, auf die es jedoch keinen konkreten Rechtsanspruch hat. Die Hilfen, die es von Budget und Katastrophenschutz der USA erhält, haben daher den Charakter eines Almosens.

Dieser unerfreuliche Zustand betrifft über 3 Millionen Menschen. Seit 2007 wurde keine Volkszählung mehr durchgeführt, damals wurden 3,7 Millionen gezählt. Seither ist die Einwohnerzahl wegen Abwanderung wahrscheinlich zurückgegangen.

Korruption als Mittel der Konkurrenz

WEM NÜTZT DIE KORRUPTION UND WEM NÜTZT IHRE BEKÄMPFUNG?
Unter dem kryptischen Begriff „Privatsektorkorruption“ bezeichnet Transparency International genau die gleiche Angelegenheit wie in Punkt 2 (siehe Stichwort „Korruption“, 2. Schmiergelder bei öffentlichen Ausschreibungen), tut aber so, als wäre es etwas ganz anderes, Schmiergeld zu zahlen oder Schmiergeld zu nehmen. Es ist fast schon komisch, wie da aus einem Akt des Händewechsels von Geld zwei verschiedene Delikte konstruiert werden, um dann gegen eine sehr übliche und weitverbreitete Praxis so zu Felde ziehen zu können, als handle es sich um verschiedene Dinge. Damit wird ein Mittel geschaffen, alle Sphären zu erfassen, die Politik wie die Wirtschaft, und jeden Fall größtmöglichst auszuschöpfen. (Dazu weiter unten.)

Die Krise verstärkt den Ruf nach Sauberkeit
Die Firmen zahlen also in irgendwelche Privatschatullen und Parteienkassen, um an Aufträge zu kommen. Diese Auslagen holen sie sich später beim Überschreiten ihrer Kostenvoranschläge zurück. Das war eigentlich schon immer üblich, und es ist auch gar nicht abzusehen, worin der große Schaden bestehen soll. Die Autobahnen, Brücken und Gebäude wurden schließlich fertiggestellt, übergeben und benutzt.
Die Gelder aus der Staatskasse, mit denen diese Aufträge bezahlt wurden, stammten entweder aus dem, was eine jeweilige Staatsführung aus ihrer Ökonomie an Steuern oder Abgaben herausholen konnte, oder aus dem, was sie auf den internationalen Finanzmärkten an Kredit aufstellen konnte.

Und hier liegt der Hund begraben, warum auf einmal so genau geschaut und nachgerechnet wird: Weil der Staatskredit ins Gerede gekommen ist, Staaten pleitegegangen sind und es deshalb vom Standpunkt des internationalen Finanzsystems und des Weltmarktes nicht mehr gleichgültig ist, was an öffentlichen Aufträgen vergeben wird, an wen, und wie das alles zustande gekommen ist und abgerechnet wurde.
Es ist übrigens in diesem Zusammenhang erwähnenswert, daß zu den Förderern von Transparency ausgerechnet Siemens gehört, das vor allem in den trüben postsozialistischen Zeiten am Balkan und in Osteuropa mit äußerst großzügigen Schmiergeldzahlungen örtliche und internationale Konkurrenten aus dem Weg räumte.

Daß Transparency versucht, unter Punkt 4 sich selber zu einer Art internationalen gesetzgebenden Behörde, einer Art Weltgericht zu machen, ist begreiflich und nicht weiter erklärungsbedürftig. Es ergibt sich aus dem Anspruch dieser Organisation und dem Interesse, das auch innerhalb der jeweiligen nationalen Eliten an dieser Art von Flurbereinigung erwacht ist.

Bleibt noch der Punkt 5, Armut und Entwicklung:

Die Selbstverwaltung der Armut mittels Bakschisch – ein Delikt gegen die Marktgerechtigkeit

Während es bei Ämterkauf und Bestechung bei Bauvorhaben usw. um Geld geht, das innerhalb der besitzenden Klasse herumgeschoben wird, so gibt es auch eine andere Form dessen, was gemeinhin als Korruption gehandelt wird. Ich würde es als die „Korruption der Armut“ bezeichnen.
Wenn Ärzte, die mit ihrem elenden Gehalt nicht bis zum Monatsende durchkommen, gegenüber Patienten die Hand aufhalten, damit die einen Operationstermin oder ein Bett im Krankenhaus bekommen, so wirft das ein bezeichnendes Licht auf diejenigen Staaten, wo selbiges geschieht.
Wenn Lehrer gegen ein kleines Bakschisch entweder Schülern, die nichts gelernt haben, positive Noten geben, oder Schülerinnen, deren Eltern sie nicht in die Schule schicken wollen, ein Zeugnis ausstellen und damit deren Abwesenheit vertuschen, so kann man daraus ebenfalls einige Schlüsse über den Zustand derjenigen Staaten ziehen, wo solches geschieht.
Es gibt auch Polizisten, die die Hand aufhalten, um Verkehrs- und andere Rechtsübertretungen unter den Tisch fallen zu lassen, oder die ihre Fahrzeuge gegen entsprechende Gegenleistungen – in Form von Augen zudrücken – gratis in Werkstätten reparieren lassen, weil es im staatlichen Budget kein Geld für die Renovierung des Fuhrparkes gibt.

Man könnte die Liste noch fortsetzen, aber die Sache läßt sich kurz zusammenfassen: Staatsangestellte aller Art unterschreiben falsche Bestätigungen, um sich ein Zusatzeinkommen zu verschaffen, weil sie mit ihrem normalen nicht über die Runden kommen, oder lassen Rechtswidrigkeiten durchgehen, um sich dabei zu bereichern.

Dazu kommen noch Anwälte und Notare, die Verträge und Grundbucheinträge manipulieren, um ihren Klienten gefällig zu sein.

Es ist ein Moment der Niedertracht von Organisationen wie Transparency International und ähnlich gestrickten NGOs, diese zwei Formen der Korruption überhaupt unter einen Hut zu bringen, d.h. zu behaupten, es handle sich um die gleiche Erscheinung in unterschiedlicher Form.

Es ist weiterhin niederträchtig, zu behaupten, die Staaten, in denen die Korruption der Armut – und natürlich auch die der Eliten – flächendeckend verbreitet ist, könnten sich nur deshalb nicht „entwickeln“. Da werden Ursache und Wirkung vertauscht. Der Kapitalmangel in Staaten wie Ungarn, Kosovo, Pakistan oder Marokko usw. wird als Ergebnis falschen Wirtschaftens besprochen und die verbreitete Armutskorruption wird zur Ursache dessen erklärt, warum dort keine ordentliche Kapitalakkumulation zustande kommt.

Die Länder, die angeblich an der „Schwelle“ zum „entwickelten“ Kapitalismus stehen, bringen das laut der Diagnose solcher parteilicher Idioten wie Transparency und ähnlichen nur deshalb nicht fertig, weil bei ihnen „Korruption“ herrscht. Die Entwicklungshilfe-Gelder – oder, im Falle der EU, die EU-Transfer-Gelder – können ihre segensreiche Entwicklung nicht entfalten, weil sich die Zuständigen vor Ort unrechtmäßig dieser Gelder bemächtigen.

Mit diesen Korruptions-Indices und den Klagen über die angeblich weitverbreitete Korruption werden die Staaten, die als Rohstoff- und Energie-Lieferanten für die Heimatländer des Kapitals vorgesehen sind, für ihren Zustand selber verantwortlich gemacht und damit wird der weltweite Herrschaftsanspruch von USA, EU und Japan – in dieser Reihenfolge! – wieder einmal bekräftigt. Sie haben ein Recht auf Weltgeld und damit auch darauf, daß die Gewinne, die ihre Unternehmen rund um die Welt einfahren, sich bei ihnen zuhause als Wachstum zu Buche schlagen.
Dieser Rechtsanspruch wird mit dem Korruptionsvorwurf nicht nur theoretisch erhoben, sondern auch praktisch wahr gemacht.

Die Aufmischung Lateinamerikas über den Vorwurf „Korruption“

Inzwischen werden in Lateinamerika Regierungen wegen des Korruptionsvorwurfes gestürzt. Im Hinterhof der USA ersetzt die Justiz solchermaßen die Straßenrevolten und Farb-„Revolutionen“, mit denen woanders mißliebigen Regierungen der Garaus gemacht wird.

Mit den Operationen „Lava Jato“ gegen die staatliche brasilianische Ölfirma Petrobras und angeschlossene Unternehmen bzw. ihre Geschäftspartner, und mit den Untersuchungen gegen den brasilianischen Baukonzern Odebrecht werden die Karten in Lateinamerika neu verteilt und die nationalen Eliten aufgemischt.
Es geht um nicht weniger als eine Rückabwicklung der ökonomischen Entwicklung der letzten 2 Jahrzehnte. Der Ölkonzern Petrobras ist einer der größten der Welt, er hat die 7 Schwestern längst überholt, und das als Staatsunternehmen. Die dort erzielten Gewinne stehen daher, ähnlich wie in Venezuela, zur Verfügung der jeweiligen Regierung, die außerdem ihre nationale Industrialisierung durch die Bereitstellung von günstiger Energie befördern konnte.

Odebrecht und Petrobras entwickelten sich Hand in Hand unter den PT- (Arbeiterpartei-) Regierungen seit 2003. Die Baufirma baute Ölplattformen für die Ölfirma, und die Ölfirma versorgte die Baufirma mit billiger Energie, damit die in vielen Staaten Lateinamerikas die Infrastruktur ausbauen und andere große Bauvorhaben realisieren konnte.
Als das brasilianische Wirtschaftswunder in die Krise geriet – die genauen Gründe dafür sind noch zu klären –, entdeckten zunächst politische Konkurrenten in Brasilien selbst die Justiz als probates Mittel, sich wieder besser zu positionieren. Aber damit nicht genug, die „Ermittlungen“ breiten sich inzwischen über ganz Lateinamerika aus. Viele Firmen werden einfach dadurch ruiniert, daß gegen sie ermittelt wird, sie also der Korruption bezichtigt werden. Was dann dabei herauskommt, und sie womöglich zu Unrecht beschuldigt wurden, ist gleichgültig.
Unter dem Stichwort „Korruptionsbekämpfung“ ist in Lateinamerika eine Hetzjagd gegen Politiker und Unternehmensführungen losgegangen, die diese Region durch Verstärkung der wirtschaftlichen Abhängigkeit wieder zu einem aufnahmefähigen Markt und einem politisch gefügigen Hinterhof der USA machen sollen. Mit dem liberalen Macri und dem bekennenden Faschisten Bolsonaro sind auch schon Akteure aufgetreten, die diese Entwicklung in ihren jeweiligen Staaten nach besten Kräften befördern wollen.
Daß diese Integration und wirtschaftliche Aufholjagd in Lateinamerika auf wackligen Beinen stand, habe ich schon früher einmal erwähnt:

ROLLBACK IN LATEINAMERIKA (31.5. 2016)