Neues vom Euro

DIE SACHE MIT DEN EUROBONDS
Der Euro bleibt weiter im Gerede, was seinem Kurs nicht gut tut. Während Irland gerade „gerettet“ wurde, unter heftigem Gerangel bezüglich der Bedingungen, die an diese Finanzhilfe geknüpft waren, stehen nicht nur die nächsten Kandidaten für dergleichen Manöver schon in der Warteschlange, sondern es zeigt sich auch am vorigen Problemfall, daß allen Sprachregelugen zum Trotz das Sparpaket, das Griechenland im Frühjahr verordnet wurde, nicht zu der angestrebten „Sanierung des Staatshaushaltes“ geführt, sondern die Wirtschaft des Landes weiter zerrüttet, und das Verhältnis von Staatseinnahmen und -ausgaben keineswegs verbessert hat.
Die Aussichten für die Zukunft sind also so, daß immer mehr Euro-Mitgliedsstaaten mit EU-Krediten gestützt werden müssen, und zwar als Dauerprogramm: Ihre Ökonomie ist aufgrund der internationalen und Inner-EU-Konkurrenz überwiegend zu einem Markt für die erfolgreicheren EU-Staaten geworden, die Handelsbilanz ist negativ, und ein immer größerer Teil der Staatsausgaben muß durch Kredit finanziert werden, weil bei schrumpfender Ökonomie notgedrungen auch das Steueraufkommen zurückgeht: Arbeitslose zahlen keine Steuern, und Unternehmen wandern ab. Und gekauft wird selbstverständlich auch weniger, wenn alle pleite sind.
Die erfolgreich produzierenden und exportierenden EU-Mitgliedsstaaten wie Frankreich und Deutschland finanzieren also auf lange Sicht ihre eigenen Absatzmärkte mit diesen „Rettungspaketen“.
Angesichts dieser Perspektive hat der luxemburgische Oberhäuptling Juncker vorgeschlagen, gemeinsame Anleihen unter dem Namen Eurobonds herauszugeben. Seine Idee dabei war offenbar, daß dann die Risikoaufschläge auf nationale Anleihen entfallen, der Zinssatz sich vereinheitlicht und dadurch erstens Rettungsaktionen unnötig werden, zweitens die einzelnen Volkswirtschaften durch diesen einheitlichen Zinssatz neue Impulse erhalten würden.
Das wiederum wurde von verschiedenen Staaten, die diese „Rettungspakete“ nicht brauchen, sondern schnüren, heftigst zurückgewiesen: Sie wollen nämlich ihren eigenen nationalen Kredit nicht dadurch gefährden, daß sie mit ihm für die Verschuldungsfähigkeit derjenigen Staaten einstehen, die sich wirtschaftlich auf dem absteigenden Ast befinden. Stattdessen wollen sie den betroffenen Regierungen noch mehr dreinreden dürfen als bisher. Am liebsten würden Merkel und Sarkozy Länder wie Griechenland und Irland unter ihr persönliches oder nationales Kuratel stellen.
Das ganze lebt erstens von der dummen Vorstellung, es läge nur an der richtigen Wirtschaftspolitik, um eine ins Hintertreffen geratene Nationalökonomie wieder in Schwung zu bringen. Zweitens ist es auch von der Lüge begleitet, daß man mit Einschränkungen die Wirtschaft voranbringt: „Angemessene haushaltspolitische Maßnahmen und Strukturreformen, die das Wachstum wieder anschieben“ (EZB-Ratsmitglied Mario Draghi) schauen nämlich nicht so aus, daß an allen Ecken gekürzt wird, sondern im Gegenteil, da wird fest hineingebuttert – das sah ja die BRD-Regierung vor ein paar Jahren genau so, als sie die Maastricht-Kriterien mißachtete. Auf diese Art, mit staatlichen Wirtschaftshilfen und Infrastrukturprojekten wird nämlich Zahlungsfähigkeit geschaffen, als Voraussetzung – aber nicht Garantie! – für lohnende Geschäfte.
Griechenland und Irland hat es erwischt, bald ist Portugal dran.
Was das für den Euro bedeutet, wird die Zukunft weisen. Eines kann man aber schon heute feststellen: Nichts Gutes.

Staat und Revolution, Teil 16

ZUM SCHLUSS NOCH EINMAL DIE RAETEBEWEGUNG, KAUTSKY UND PANNEKOEK
Lenin kommt schliesslich auf ein anderes Werk Kautskys zu sprechen: seine Polemik gegen Pannekoek.
(Anton Pannekoek war ein holländischer Astronom, der in der deutschen sozialdemokratischen Presse Artikel veröffentlichte und eine Zeitlang auf der Parteischule der Sozialdemokraten in Berlin lehrte. In Ablehnung der Haltung der Partei gegenüber dem Krieg schloss er sich der linken Opposition an und wurde zum Theoretiker der Rätebewegung, in der er sie angemessene Form der Selbstorganisation der Arbeiterklasse sah.)
Lenin zitiert Pannekoek, nicht ohne Vorbehalte:
“Der Kampf des Proletariats”, schrieb er, “ist nicht einfach ein Kampf gegen die Bourgeoisie um die Staatsgewalt als Objekt, sondern ein Kampf gegen die Staatsgewalt … der Inhalt dieser Revolution ist die Vernichtung und Auflösung der Machtmittel des Staates durch die Machtmittel des Proletariats … Der Kampf hört erst auf, wenn als Endresultat die völlige Zerstörung der staatlichen Organisation eingetreten ist. Die Organisation der Mehrheit hat dann ihre Überlegenheit dadurch erwiesen, daß sie die Organisation der herrschenden Minderheit vernichtet hat”
denn im Grunde vertritt Pannekoek hier eine den in dieser Schrift dargelegten Anschauungen Lenins entgegengesetzte Position. Es ist im Folgenden interessant zu verfolgen, wie Lenin sich erst Pannekoeks bedient, um Kautsky zu widerlegen, um dann Pannekoek selbst zu demontieren.
Interessant auch Kautskys Stellung:
“Bisher”, schrieb er, “bestand der Gegensatz zwischen Sozialdemokraten und Anarchisten darin, daß jene die Staatsgewalt erobern, diese sie zerstören wollten. Pannekoek will beides.”
Wenn Kautsky auch den Gegensatz zwischen den beiden Richtungen korrekt benennt, so ist jedoch nicht festzustellen, wie er zu dem Schluss kommt, dass Pannekoek die Eroberung der Staatsmacht auf seine Fahnen schreibt.
Lenin sieht die Sache anders: Pannekoeks „Darstellung“ (warum Darstellung? Es handelt sich hier nicht nur um ein unglücklich gewähltes Wort. Lenin deutet hiermit an, dass Pannekoeks Ausführungen – zum Unterschied von seinen eigenen, aber auch denen Kautskys, nicht den Stellenwert einer Theorie haben.) sei „nicht klar“, und Kautsky benennt den Unterschied der beiden Richtungen falsch:
Es folgt ein spitzfindiges Auseinanderklauben, dass die Anarchisten „nur“ den Staat zerschlagen wollen, die Marxisten hingegen sich zunächst seiner bedienen, ihn dann zerschlagen und schliesslich eine neue Staatsmacht an seine Stelle setzen.
Lenin redet hier von „Marxisten“, Kautsky von „Sozialdemokraten“: auch diesen Unterschied sollte man nicht übersehen. Lenins moralischer Vorwurf, dass die Sozialdemokraten den Marxismus „verraten“ hätten, hat eine reale Grundlage darin, dass sich die deutsche Sozialdemokratie eine eigene Interpretation der Klassiker vorbehalten hat, die sich von der Lenins unterscheidet.
Lenin erklärt sich also hier zum Marxisten, um dann Pannekoek als Vertreter seiner Position zu definieren.
„Um seine Entstellung des Marxismus zu bemänteln“,
macht Kautsky das gleiche wie Lenin: Er zitiert Marx. Damit bringt er sich als Vertreter des „marxistischen“ Prinzips des „Zentralismus“ ins Spiel, um Pannekoek als Zerstoerer des Zentralismus zu kritisieren.
Wahrscheinlich hat Kautsky recht, Pannekoek, oder überhaupt die Rätebewegung hatte es nicht mit dem Zentralismus. Das wiederum interessiert Lenin gar nicht. Er wird nur wütend, weil sich Kautsky der gleichen Argumentation wie er selbst bedient, gegen die Rätebewegung. Dieser Usurpator!
Kautsky wirft Pannekoek vor, die Beamten abschaffen zu wollen, und auch damit hat er vermutlich recht. Er argumentiert, warum Beamte immer notwendig sind. Auch hier stoert Lenin nicht der Inhalt von Kautskys Ausführungen, sondern der Umstand, dass seine eigenen, „marxistischen“ Argumente hier für antirevolutionäre Positionen „missbraucht“ werden. „Revolution“ wird durch „Opposition“ ersetzt, die Zerschlagung der Staatsmacht ist weg vom Fenster.
Auch Beamte sind ersetzbar, meint Lenin, durch andere Beamte, und wenn die aber der Revolution und dem Proletariat verpflichtet sind, so sind sie entweder gute Beamte, oder gar keine Beamten mehr …
Kautsky hingegen! Voellig der Bürokratie verpflichtet, und ohne die geringste politische Distanz zur bürgerlichen Bürokratie, die doch notwendig die Interessen der Bourgeoisie vertritt.
Es folgt ein Exkurs Lenins über die verkehrte Interpretation des Trade-Unionismus durch Kautsky und Bernstein.
Von Pannekoeks Gedanken ist nicht mehr die Rede. Es wird ein namensloser „Anarchist“ eingeführt, um auch gleich wieder gegen ihn zu polemisieren – Verzweiflungstaten statt kühne revolutionäre Arbeit …
Es folgt die Polemik um den Massenstreik. Die Anarchisten und auch die Rätebewegung sahen den Streik als Mittel, die Regierung zu stürzen. Kautsky wendete sich dagegen, weil er ja mit friedlichen Mittel die Macht erobern wollte.
Was hat Lenin dazu zu sagen? Nichts anderes, als dass Kautsky sich wieder einmal als Opportunist entlarvt und damit zu denen gehoert.
Damit, mit dieser nicht sehr überraschenden Entlarvung, mit entsprechendem Blitz und Donnerwetter, schliesst Lenins Schrift zu „Staat und Revolution“.
Der Taschenspielertrick, den er mit dieser Hereinholung“ Pannekoeks gemacht hat, dient dazu, sich selbst zum Vertreter der Rätebewegung zu stilisieren, die alle ihre revolutionären Ziele verwirklicht, während sie ihre unreifen und idealistischen Vorstellungen abschafft.

Irlands „Rettung“

DIE IM „HILFSPAKET“ VERSTECKTE SCHÄDIGUNG IRLANDS, ODER DIE STANDORTKONKURRENZ IN DER EU
Die EU-Schuldenkrise hat seit dem Frühjahr einige Fortschritte gemacht.
Irlands Schwierigkeiten lesen sich ein bißl wie die Chronik eines angekündigten Todes: Erst hörte man, sie haben ein hohes Budgetdefizit, dann las man, sie gehören zu den PIIGS, schließlich ging alles im Getöse der Griechenland-Krise unter, dann hörte man: Irlands Banken sind irgendwie kollabiert, und jetzt ist es so weit: Die Iren haben eine „Schuldenkrise“, und müssen „gerettet“ werden.
So wie sich Irlands Schuldenkrise von der griechischen unterscheidet, so auch die „Rettungsmaßnahmen“, die die irische Regierung komischerweise eine Zeitlang nicht wollte.
Während über die Bewohner Griechenlands aus allen Rohren vermeldet wurde, sie seien faul, verwöhnt, mediterran eben, hätten ein korruptes Klientelsystem usw., und deshalb eine Schuldenkrise, so wird man bei Irland von dergleichen rassistischer Völkerkunde verschont.
Der „keltische Tiger“, warum ist er denn bitte so in Schwierigkeiten geraten? Lang galt doch Irland als Erfolgsstory, zum Unterschied von Griechenland als eine Art europäisches Silicon Valley, mit zukunftsweisenden Industrien und stolzen Wachstumsraten.
Alles nicht so gut, wie es ausgeschaut hat, erfährt man jetzt.
Der Hype um Irland und seine aufstrebende Ökonomie hat nämlich jede Menge Spekulation ins Leben gerufen, aus dem In- und Ausland – wie im Grunde überall anders auch, wo ein Land so über den (in Irland besonders verbreiteten) grünen Klee gelobt worden ist. Die Grundstückspreise in Dublin und Umgebung und an lauschigen Plätzchen schossen in die Höhe, ebenso wie die auf ihnen errichteten Erst- und Zweitwohnsitze, Hotels und Bürogebäude. Und dieser ganze Boom wurde – wie überall anders auch – mit Kredit finanziert. Das Hypothekargeschäft wurde zum lukrativsten Geschäftszweig der sonst eher national beschränkten irischen Banken, die gerade nicht an schwindligen ausländischen Wertpapieren in ihrem Portfolio gestrauchelt sind, sondern an ihrer eigenen hausgemachten Grundstücksspekulation. Und natürlich haben sich dann auch in ihren Bilanzen nicht nur hypothekarisch besicherte Kredite gefunden, sondern auch noch jede Menge Wertpapiere, die irgendwie auch auf den Hypotheken gefußt haben.
Gut, soweit die in den Nachrichten einfach nur als „marod“ abgehandelten Banken und deren Probleme.
Wie schauts jetzt mit dem irischen Staat? Er mußte seine Banken retten, und ebenso wie woanders, große Geldmengen flottmachen, Garantien geben usw. Soweit die Ausgaben.
Bei den Einnahmen wird’s echt spannend. Hieß es bei Griechenland noch, die Leute hätten eine „laxe Steuermoral“ – als ob Steuern zahlen eine Sache der Moral wäre und dem Belieben der Bürger anheimgestellt würde; und Steuerhinterziehung wäre dort ein „Volkssport“ – mit einem Wort, keiner zahlt dort Steuern und deshalb ist die Staatskasse leer.
Anders auf der Kleeinsel: Sie sei ein „Steuerparadies“.
Ein und der gleiche Umstand – zuwenig Steuereinnahmen für den Staat – wird zweimal ganz anders besprochen.
Den Unterschied kriegt man dann auch bald mitgeliefert: Irland bittet, anders als Griechenland seine lohnabhängigen Bürger sehr wohl zur Kasse, und auch bei den Verbrauchssteuern kommt einiges an Einnahmen zustande.
Aber bei den Lieblingsbürgern aller Regierungen, den Unternehmern, übt der irische Fiskus vornehme Zurückhaltung, und verfügt deshalb über gewisse Anziehungskraft bei Unternehmens-Ansiedlungen.
Obwohl das nach allen Regeln der Volks- und Betriebswirtschaftslehre in Ordnung geht – zu viel Steuern für die Unternehmen ruinieren doch den Profit, den Aufschwung, UNS ALLE!! – ruft es Kritik bei der EU-Konkurrenz hervor, die meint, daß sich Irland hier einen unfairen Standortvorteil sichert, der ihm schleunigst weggenommen gehört.
Es sei noch erinnert an das Getöse, das losgegangen ist, als Ungarn eine Bankensteuer erlassen hat, also etwas Ähnliches, wie Irland jetzt aufgenötigt werden soll – da war das auch wieder nicht recht, da fühlten sich diverse Banken geschädigt.
Es ist in der Tat schwer, alles richtig zu machen für die ganzen Medien, Experten und Politiker.