Nebenschauplatz Georgien

GEZERRE UM EINEN STAAT, DER NICHT FRONTSTAAT SEIN WILL


1. Georgien in der SU

Das Land, das als die Heimat des sowjetischen Kaugummis, eines giftgrünen Estragon-Sprudelgetränks, der besten Küche der SU und vieler anderer Spezialitäten gilt, war immer ein kultureller Rivale Rußlands. Der Georgier, der die SU beherrschte, hielt seine Landsleute für höherwertiger als die versoffenen Russen – leider waren es zu wenige, um daraus eine Weltmacht zu formen. Bis lange nach Stalins Tod genoß Georgisch den Status einer Staatssprache der SU.

Diese Rivalität setzte sich fort auf dem Gebiet der Filmindustrie – Georgien war als Drehort populär, es besaß eine renommierte Filmindustrie, eines der ältesten Filmstudios der Welt und stellte viele Regisseure und Schauspieler der SU.
Die Moskauer Dominianz auf dem Gebiet des Schachs bekämpfte Tiflis mit einer Offensive im Frauenschach, die der Welt einige Schachweltmeisterinnen bescherte.
Sogar auf dem Gebiet der Dissidenz setzte sich diese Rivalität fort: Der Publizist und Übersetzer Swiad Gamsachurdia gab als erster den „Archipel GULAG“ Solschenizyns in einer Samisdat-Druckfassung heraus und inspirierte vermutlich damit die russische Dissidenz dazu, ein „Tamisdat“ in Frankreich in die Wege zu leiten, um gegenüber Georgien wieder die Nase vorn zu haben.

Neben dem Georgier, der die SU groß machte, sollte ein zweiter nicht vergessen werden, der zu ihrem Untergang beitrug und dann eine wechselhafte Karriere als georgischer Präsident hinlegte.

2. Die Rolle Georgiens beim Zerfall der SU

Obwohl Georgien nicht zu den Beschlußmächten der Auflösung der SU gehörte, betrieb die georgische dissidentische Fraktion dieselbe bereits vorher eifrig und veranstaltete im Herbst 1990 Wahlen, die von der Partei Gamsachurdias „Freies Georgien“ gewonnen wurde.

Ein Referendum im Frühjahr 1991, das die „staatliche Wiederherstellung“ Georgiens (lies: „Unabhängigkeit“) zum Thema hatte, wird mit widersprüchlichen Resultaten im Internet zitiert: Einerseits soll sich eine überwältigende Mehrheit dafür ausgesprochen haben, andererseits sollen sich Abchasien und Südossetien dagegen ausgesprochen haben. Man kann annehmen, daß die Fragen so formuliert waren, daß sie in dieser Frage Mehrdeutigkeiten zuließen.
Im April 1991, also 8 Monate vor dem offiziellen Ende der SU, erklärte Georgien seine Unabhängigkeit. Man kann also die Georgier als Beschleuniger des Zerfallsprozesses der SU ansehen.
Die Unabhängigkeit Georgiens wurde praktisch sofort von den USA anerkannt.

3. Das freie und unabhängige Georgien

Es folgten 1 bis 2 veritable Bürgerkriege in den und gegen die rebellischen Regionen, die ihren Anschluß an die SU verkündeten und sich gegen von der Zentralregierung in Tiflis entsandte „Besatzungs“-Truppen verteidigten. (Sogenannte „illegitime“ Separatisten, in der heutigen Leseart …)
Nach dem Zerfall der SU erklärten diese Regionen ihre Unabhängigkeit, die bis heute nur von Rußland anerkannt und auch militärisch abgesichert wird. De facto sind es Territorien Rußlands, in denen der Rubel zirkuliert, de jure gehören sie nach wie vor zu Georgien.

In den turbulenten Zeiten zwischen der Ausrufung der Unabhängigkeit und einer Beruhigung der Lage um 1994 wurde der erste gewählte Präsident Gamsachurdia erst gestürzt und dann ermordet. Seine Vorstellungen eines unabhängigen Georgiens, zwischen ethnischen Vertreibungen und Steinerscher Anthroposophie, erwiesen sich als undurchführbar. Die Putschisten wählten Schewardnadse zum Präsidenten, die dieses Amt mit einigen Aufs und Abs von 1992 bis 2003 ausübte, bis er auch durch einen Putsch, die sogenannte „Rosenrevolution“, gestürzt wurde.

Als einzige Konstante in all diesen Auseinandersetzungen zwischen Separatisten, Clans, Paramilitärs und Mafiabossen erwies sich die Orthodoxe Kirche Georgiens als einigende und versöhnliche Kraft, weswegen auch bis heute keine Regierung an ihr vorbei kann.
Symbol dieser Entwicklung ist die Sameba-Kathedrale, zu der Schewardnadse den Grundstein legte, die von seinem Nachfolger Saakaschwili 2004 eingeweiht und vom heutigen starken Mann Georgiens, Bidsina Iwanischwili, finanziert wurde.

4. Klare Verhältnisse

Der in Rußland zu Geld gekommene Unternehmer Iwanischwili war der Mentor und finanzielle Unterstützer Saakaschwilis. Dessen Stern begann zu sinken, als sich Iwanischwili von ihm abwendete, vor allem nach dem mißglückten Ossetienkrieg 2008.

Mit der Partei „Georgischer Traum“ gewann Iwanischwili 2012 die Parlamentswahlen. Seither bestimmt er die Politik, zieht Präsidenten und Minister aus dem Ärmel und ernennt Regierungschefs. Das Präsidentenamt wurde durch eine Verfassungsänderung 2013 mehr oder weniger auf eine Repräsentations-Funktion reduziert.
Das stört die jetzige Amtsinhaberin sehr, die ihrer prowestlichen Einstellung kaum noch Geltung verschaffen und Taten folgen lassen kann.

5. Unruhe im Kaukasus

Der Ukraine-Krieg hat etwas Unruhe in diese prästabilisierte Harmonie gebracht.

Zunächst flüchteten Ukrainer mit georgischen Verbindungen und Russen, die dem Militärdienst entgehen wollten, nach Georgien. Anfängliche Streitereien zwischen diesen beiden Personengruppen wurden inzwischen beigelegt, mit dem notwendigen behördlichen Nachdruck.
Der Freie Westen entdeckte Georgien als einen russischen Hinterhof, in dem man Unruhe stiften und womöglich nationale Ressentiments anstiften könnte, Stichwort verlorene Territorien.

Die altbekannten Schlachtrosse der Homosexuellen-Rechte und der Menschenrechte sowie Korruptionsbeschuldigungen wurden losgeschickt. Die US-Botschafterin begann, etwas lauter zu werden und von Georgien Anschluß an die westlichen Sanktionen und Verurteilung Rußlands zu verlangen.

Der „Georgische Traum“ reagierte schließlich mit dem Gesetzesentwurf gegen ausländische Agenten, der weltweit als „russisches Gesetz“ gegen Oppositionelle gebrandmarkt wird, aber in Rußland selbst seinerzeit aus der US-Gesetzgebung übernommen und schöpferisch weiterentwickelt worden war.
Dieses angebliche „Knebelgesetz“ gegen die Opposition ruft seither Straßenproteste hervor, die vor allem von jüngeren Leuten getragen werden, die in internationalen Organisationen und NGOs arbeiten und um ihren Arbeitsplatz fürchten. Sie stehen aber, trotz aller medialen Aufmerksamkeit, auf verlorenem Posten.

Erstens, weil das georgische Parlament zersplittert ist. Dort sitzen neben 11 unabhängigen Abgeordneten und 10 leeren Sitzen (alles Ergebnisse verschiedener Spaltprozesse innerhalb der Parteien) 15 (!) verschiedene Parteien, viele von ihnen aus 1 oder 2 Abgeordneten bestehend. Davon besetzt der „Georgische Traum“ 75 Sitze aus 150. Die größte Oppositionspartei, diejenige des inzwischen inhaftierten ehemaligen Präsidenten Saakaschwili, besitzt 16 Sitze. Mit den restlichen sich als pro-europäisch bezeichnenden Parteien ist sie restlos zerstritten – so wie viele dieser Mini-Parteien untereinander auch. Das Gesetz geht also auf jeden Fall durch das Parlament, notfalls hilft der „Georgische Traum“ mit etwas Bakschisch bei einzelnen Abgeordneten nach.

Zweitens, weil der Gewaltapparat fest hinter dem „Georgischen Traum“ steht. Erst seitdem Iwanischwili auf die politische Bühne Georgiens trat, werden Militär und Polizei nämlich anständig bezahlt und ordentlich ausstaffiert.

Drittens, weil die Präsidentin, die in ihrem Palast vor sich hintobt und ihre politische Ohnmacht verflucht, das Gesetz durch Vetos nicht ewig verhindern kann:
„Das Veto der Präsidentin kann nur erwirken, daß das Parlament es einer erneuten Abstimmung unterwirft, wonach der Text endgültig Gesetz wird.“ (El País, 14.5.)

Der extra angereiste US-Beamte O’Brien wurde von Iwanischwili nicht empfangen, weil er sowieso keine ausländischen (westlichen) Politiker sehen will, solange er das Geld nicht zurückkriegt, das ihm im Rahmen der Credit Suisse-Rettung vom Westen, der „Partei des Globalen Krieges“, gestohlen worden ist.

Pressespiegel Izvestija, 8.4.: Von der Geopolitik auf die Probe gestellt

„DIE FINANZMÄRKTE WERDEN DURCH DIE GLOBALEN EREIGNISSE ERSCHÜTTERT

Die Gold- und Ölpreise steigen, während die amerikanischen Aktien fallen.

Die globalen Finanzmärkte wurden diese Woche hart getroffen.
Der Ölpreis stieg auf 91 Dollar pro Barrel (Maximum seit 6 Monaten), Gold auf 2.300 Dollar pro Unze (historisches Maximum), die Börsennotierungen auf der ganzen Welt fielen stark, die Renditen amerikanischer Staatsanleihen stiegen und der sogenannte »Angstindex« stieg, der die Volatilität von Aktien und anderen Vermögenswerten auf dem Markt anzeigt.
All das kommt sehr selten gleichzeitig vor. Während jeder dieser Anstiege und Abstürze seine eigenen Gründe hat, ist ihnen gemeinsam, daß sie vor dem Hintergrund erneuter geopolitischer Spannungen stattfinden. Damit ignorierten die Märkte zum ersten Mal seit langem die schwierige internationale Lage nicht mehr. …

Öl: Kampfeinsätze in der Förderregion

Die Ölpreise stiegen zwei Wochen in Folge. Am Freitag, dem 5. April, stieg der Nordsee-Rohölpreis der Sorte Brent auf 91 USD pro Barrel.
Seit dem 27. März stiegen die Preise um 5 US-Dollar. Beachten Sie, daß die Preise nicht einmal durch die Weigerung der amerikanischen Regierung, ihre strategischen Reserven wieder aufzufüllen, beeinflußt wurden. Aus denen wurden in den vergangenen Jahren etwa 40% ihres Volumens entnommen, wodurch sie auf den niedrigsten Stand seit 1983 sanken. Das geschah in der Erwartung, daß der Leitzins in Amerika noch längere Zeit auf dem bisherigen Niveau bleiben würde, was sich normalerweise negativ auf die Rohstoffe auswirken würde. Aber Öl überwindet selbst solche hemmenden Wirkungen.“

Es wird also angenommen, daß bei hohen Leitzinsen die Rohstoffpreise sinken, weil die Spekulation sich auf die sicheren Einkünfte der Anleihen schmeißt.
Vergessen wird dabei, daß die Nachfrage nach Energie nicht nur aus spekulativen Gründen erfolgt.

„Einer der Faktoren, die sich positiv auf die Preise auswirken, ist eine stabile Nachfrage. In den USA beispielsweise sinken die industriellen Reserven sowohl an Rohöl als auch an Erdölprodukten stetig.“

Die „stabile“ Nachfrage schuldet sich also einer geringen Speichermenge, sodaß die Käufe zunächst aus Absicherungsgründen geschehen, und nicht aus Produktionsbedürfnissen.

„Aber die Konjunktur, vor allem die politische, spielt eine viel größere Rolle. Der Einsatz gegen die Ansarollah (Huthis) hatte zur Überraschung vieler Analysten praktisch keine Auswirkungen auf den Ölmarkt, obwohl sich der Handel im Roten Meer spürbar verschlechterte.“

Dieser letzte Satz gibt viele Rätsel auf.
Was hatte keine Auswirkungen auf den Ölmarkt? Die Kampfhandlungen der Ansarollah, die Bedrohung der Schiffahrt im Roten Meer –  oder der Einsatz gegen sie?
Wenn ersteres, so würde das heißen, daß die Verteuerung der Lieferwege für die meisten Waren keine Auswirkungen auf die Ölpreise hatte – was verwunderlich wäre. Weil immerhin ging 1. viel Öl durch den Suezkanal, und 2. wird für die Umfahrung Afrikas mehr Öl verbraucht.
Also bleibt eher 2. – und das heißt nicht mehr und nicht weniger, als daß die westlichen Mächte es nicht schaffen, einen der wichtigsten Seefahrtswege der Welt zu sichern, ist also ein Ausweis ihrer schwindenden Macht.

„Aber die sich verschlechternden Beziehungen zwischen Iran und Israel, die nach dem Angriff der israelischen Armee auf die iranische Botschaft in Damaskus eintraten, beeindruckten die Märkte viel mehr. Händler rechnen mit einer Ausweitung der Kämpfe in der wichtigsten Ölregion der Erde. Damit zusammenhängende Entwicklungen wie das Ende der diplomatischen Koordinierung zwischen den VAE und Israel gossen ebenfalls Öl ins Feuer.“

Die VAE kündigten ein Ende der Kooperation mit Israel nach dem Tod von den Mitgliedern der Hilfsorganisation an, was nicht wirklich den Weg in die hiesigen Medien geschafft hat.
Das könnte Folgen für die Ölversorgung Israels haben.

„Auch die Reaktion der Ölhändler auf ukrainische Drohnenangriffe auf russische Raffinerien wurde als einer der Gründe für einen möglichen Preisanstieg genannt, diese Schäden werden sich jedoch in keiner Weise auf die russischen Exporte auswirken.“

Damit ist gemeint, daß für Rußlands Budget der Export von Rohöl genauso einträglich ist wie der von raffinierten Produkten, da die Steuern auf die Rohölförderung erhoben werden. Die Gewinne aus der Raffinierung streifen die Ölunternehmen ein.
Wenn die jetzt weniger raffinieren können, werden sie gezwungenermaßen mehr Rohöl exportieren müssen, weil die Pumpe läuft ja weiter.
Das hat vielleicht Preisanstiege bei Diesel und Benzin zur Folge, bei Rohöl aber eher umgekehrt.

„Wichtiger ist, daß Rußland selbst im Einklang mit der OPEC+-Politik die Produktionsmengen reduziert – hier handelt es sich um einen »geplanten« Prozeß.“

Damit will der Autor sagen: Da fährt die Eisenbahn drüber, das ist politisch beschlossene Sache, unabhängig von Konjunkturen.

„Gold: die Investition der letzten Hoffnung

Das Edelmetall verzeichnet seit Jahresbeginn ein sehr solides Wachstum. Aber diese Woche beschleunigte sich der Preis noch einmal und erreichte während der Sitzung am 5. April 2.329 $ pro Feinunze. Das sind 5 % mehr als vor einer Woche.
Seit Ende letzten Jahres ist der Goldpreis um fast 15 % gestiegen. Dieser Anstieg war zum Teil auf die gestiegene Nachfrage der Zentralbanken zurückzuführen, die allein in den ersten beiden Monaten 64 Tonnen vom Markt kauften.“

Man würde gerne wissen, um welche Zentralbanken es hierbei gehandelt hat …

„Gleichzeitig läßt sich der rasante Preisanstieg der letzten Woche nur schwer mit etwas anderem als der Besorgnis der Anleger über die Lage in der Welt erklären.
Gold war schon immer ein Versicherungswert, und sein aktueller Kauf könnte ein weiteres Beispiel für die Verwendung des Edelmetalls als »Investition der letzten Hoffnung« sein.“

Vermutlich soll damit ausgedrückt werden, daß sich der „Investor“ hier nicht mehr Gewinne, sondern nur mehr das Geringhalten von Verlusten erwartet, weil er den restlichen Anlagemöglichkeiten überhaupt nicht mehr traut.

„Es ist auch erwähnenswert, daß der Anstieg des Goldpreises angesichts der Inflation und des Kaufkraftrückgangs des Dollars in den letzten drei Jahren gar nicht verwunderlich ist und eher wie eine Schadens-Minimierung aussieht.

Die Börse ist vorübergehend zu verlassen

Die Anleger begannen, vor allem über den Aktienmarkt, von Anlagen in Wertpapiere aller Art auf Gold umzusteigen. So fiel der amerikanische S&P 500 am 4. April um mehr als 1,2% – der stärkste Rückgang seit zwei Monaten.
Alle Faktoren kamen zusammen: Erstens warnte Neel Kashkari, Vorsitzender der Federal Bank of Minneapolis (eine der Banken, aus denen die Fed besteht), daß der Leitzins die nächsten 6 Monate nicht gesenkt werden würde.“

D.h., jemand aus dem Inneren der Fed widerspricht den ganzen Kaffeesudlesern aus der Wirtschaftswelt, die ein baldiges Sinken der Leitzinsen prophezeien.

„Darüber hinaus entschieden die Anleger, daß der Markt bereits »überkauft« sei (die Rallye der letzten Monate war ziemlich schwerwiegend).“

Bei all dem handelt es sich offenbar vor allem um die New Yorker Börse.
Mit einem Wort, die ganzen Spekulanten meinen, bald geht es bergab, weil die Preise von Wertpapieren überhöht seien.
Sie bewerten also ihre eigene Tätigkeit der letzten Monate als eine Art Schwindel …

„Aktienverkäufe wurden auch durch die allgemeine Nervosität in der Welt beeinflußt. Ähnliche Verkäufe fanden in anderen Märkten auf der ganzen Welt statt.
Das Ungewöhnliche an dieser Situation war, daß auch die Renditen von US-Anleihen stiegen. Typischerweise sinken die Renditen, wenn die Aktienindizes fallen, und umgekehrt.“

Die Renditen steigen, wenn der Wert der Anleihen auf den Anleihenmärkten sinkt. Da sie fix verzinslich sind, wird somit eine 3%-ige Anleihe zu 100 $ auf einmal nur zu 80$ gehandelt. Wenn jemand diese Anleihe um 80$ kauft, aber 4% von 100$, also 4$ pro Jahr erhält, so verzinst sich für ihn dieses Wertpapier für ihn um 5%.
D.h., das Steigen der Renditen ist ein Zeichen des Mißtrauens in den Anleihenmarkt.
Der behauptete Zusammenhang zwischen sinkenden Aktienkursen und steigenden Rendite erschließt sich nicht ganz. Die Idee scheint zu sein, daß Anleger aus Aktien hinaus und in Anleihen hineingehen, was die Anleihenkurse steigen und in Folge dessen die Renditen sinken läßt.
Wenn das nicht geschieht, so heißt das eben, daß die Aktienflüchtigen in andere Vermögenswerte investieren, nicht in Anleihen.

„Nun weigern sich Anleger, in amerikanische Staatsanleihen zu investieren, was die Nachfrage entsprechend verringert hat. Am 5. April rentierten 10-jährige US-Wertpapiere bei 4,39 %, verglichen mit 4,2 % eine Woche zuvor und 3,9 % Anfang Februar. Das ist zwar weit entfernt von den jahrzehntelangen Rekordwerten vom Oktober 2023 (fast 5 %), dennoch beunruhigt ein solcher Ausbruch die Anleger.

Reaktion in der Welt und Deglobalisierung in der Russischen Föderation

In den vergangenen Monaten und Jahren waren die Auswirkungen geopolitischer Faktoren auf die Märkte moderat. Im Februar-März 2022, im Zusammenhang mit dem Ausbruch des Ukraine-Konflikts, waren die Erschütterungen recht erheblich, aber die Lage beruhigte sich schnell.
Daraus entstand die Idee, daß die Finanzmärkte vor solchen Einflüssen seitens der großen internationalen Politik geschützt seien, zum Unterschied zu früher.
Die Ereignisse der letzten Woche, als sich eine Vielzahl von Indikatoren schnell synchron änderten und nicht in die Richtung, in die sie sich im Falle rein finanzieller und wirtschaftlicher Turbulenzen bewegen, zwingen jedoch zu der Annahme, daß eine solche Einschätzung verfrüht war.
Wenn sich die Lage auf der Welt weiter verschlechtert, wird das Ausmaß der Umwälzungen unweigerlich zunehmen: Investoren werden sich dem Einfluß geopolitischer Kämpfe und der militärischen Bedrohung nicht mehr entziehen können. Das ist der aktuelle Trend.

Unabhängig davon ist festzustellen, daß der russische Markt in der vergangenen Woche kaum auf ausländische Ereignisse reagierte: Russische Anleger waren hauptsächlich an der Inflation und den Erwartungen an die künftigen Maßnahmen der Bank von Russland in Bezug auf den Zinssatz interessiert.
Dies stellt einen deutlichen Kontrast zum Bild vor zehn Jahren dar, als das globale Marktumfeld den heimischen Markt viel stärker beeinflußte als fast alle inländischen Ereignisse. So sieht der Prozeß der Deglobalisierung und Entkopplung der Finanzsysteme voneinander aus.“

Die Entglobalisierung gefällt den russischen Analysten offensichtlich und entspricht den Erwartungen der politischen Führung.
Rußland möchte auch im wirtschaftlichen Bereich agieren, und nicht reagieren müssen.

Afrika – der umkämpfte Kontinent

NEUAUSRICHTUNG

1. Die militärische Betreuung der Welt

Es war vor allem die alte Welt, die sich jahrzehntelang den Zugriff auf die Rohstoffe Afrikas sicherte und das hierzulande als „Entwicklungshilfe“ verkaufte.

Mit den Abkommen von Yaoundé, Lomé und schließlich Cotonou sicherte sich die EWG und dann EU den Zugriff auf die Rohstoffe und Agrarprodukte Afrikas. Gleichzeitig sicherte sich die EU die Staaten Afrikas als Märkte und überschüttete sie mit ihren eigenen Produkten. Dazu wurde ein Kredit- und Bankwesen eingerichtet, um diese Staaten mit Zahlungsfähigkeit auszustatten, damit sie überhaupt als Markt funktionieren konnten. Das hat zu Schuldenkrisen geführt und Afrikas Staaten in Sachen Abhängigkeit noch über die Abkommen hinaus in europäische Schuldknechtschaft geführt.

Dieses ganze Verfahren wurde in den europäischen Medien paternalistisch als eine Art „Hilfe“ an die Staaten Afrikas verkauft, mit der sich die ehemaligen Aussauger sozusagen jetzt als Förderer ihrer ehemaligen Unterdrückten betätigen und ihnen helfen würden, auf eigenen Füßen zu stehen.

Dieses schiefe Verhältnis wollte natürlich militärisch betreut sein, was spezielle militärische Einrichtungen wie die französische Fremdenlegion oder zypriotische Basen und Ghurka-Einheiten der britischen Streitkräfte notwenig macht, – die sich natürlich nicht nur auf Afrika konzentrieren, sondern auch in anderen Gebieten eingesetzt werden, wo die westliche Staatengemeinschaft Ordnungsbedarf sieht.

Das alles ging so lange halbwegs gut, als sich in den afrikanischen Staaten Eliten fanden, die sich mit dieser subalternen Rolle abfanden oder gleich ihre Stellung für feste Bereicherung benutzten. Als die Sowjetunion von der Bildfläche verschwand, war auch keine Alternative mehr da.

2. Afrika seit 1991

Aber in den mehr als 30 Jahren seit 1991 hat sich erstens das Entwicklungsideal gründlich blamiert, was sich vor allem in Flüchtlings-Strömen und den entsprechenden Tragödien äußert. Es ist inzwischen klar, daß Afrika von Europa nichts Gutes mehr zu erwarten hat. (Das wird übrigens in den Medien hier gar nicht mehr behauptet. Das Entwicklungs-Ideal wurde leise begraben.)

In dieser Zeit hat weiters China Afrika als Handelspartner entdeckt. Rußland hat eine aktive Außenpolitik entwickelt, in der es verlorengegangene Verbündete wieder zurückgewinnen will (Kuba, Nordkorea), auch in Afrika, und sogar neue rekrutiert.

Man kann sagen, daß es sich hier um eine Art Arbeitsteilung handelt: China will Afrika ökonomisch benützen und damit auf sich verpflichten, während Rußland eher strategisch ausgerichtet ist und rußlandfreundliche Regierungen mit dem nötigen militärischen Rückhalt versieht.

Was für die EU besonders ärgerlich ist, ist der Umstand, daß diese beiden Mächte sich hier sehr gut ergänzen und überhaupt nicht in die Quere geraten.

Außerdem bilden sich lokale Ambitionen bei den größeren afrikanischen Staaten. Der erste, der sein Land mit Ölgeld zur Führungsmacht machen wollte, wurde ziemlich gewalttätig von der westlichen Welt weggeräumt.
Der Sturz Ghaddafis war jedoch Rußland und China eine Lehre. Und auch den afrikanischen Staaten. Sie wurden darauf aufmerksam gemacht, daß der Westen ein Afrika mit eigenständigen politischen Vorstellungen nicht zu dulden bereit ist. Und sie wandten sich verstärkt den neuen Freunden zu. Vor allem zwei Staaten, die sich auf ihrer Größe bzw. Wirtschaftskraft zu Höherem berufen fühlen: Algerien und Südafrika.

Rußland verstärkte seine Militärpräsenz in Folge mit seiner eigenen Fremdenlegion, den Wagner-Einheiten. Diese haben anscheinend das Ableben ihres Führers überstanden und werden jetzt der russischen Armee als spezielle Auslands-Truppen eingegliedert. Es ist wahrscheinlich, daß Rußland in Zukunft auch um die Ausbildung einheimischen Militärs kümmern und das möglicherweise sogar finanzieren wird.

Ob das jetzt für die Bevölkerung Afrikas Gutes verspricht, sei dahingestellt.

Das Wichtige ist, daß der Einfluß Europas hiermit verdrängt und auch die ganzen Wirtschaftsbeziehungen mit der EU neu und für die EU unvorteilhaft gestaltet werden.

China prescht mit seiner eigenen bzw. der BRICS-Entwicklungsbank daher und sagt mehr oder weniger „Fuck the IWF!“ – was sich für die ganzen Schuldenberge und deren Gültigkeit negativ auswirkt.

3. Machtwechsel

Die EU ist bezüglich Afrikas offenbar mit ihrem Latein am Ende:

„Laut diplomatischen Quellen konnten sich die 27 nicht auf eine Verlängerung der EUTM-Mission in Mali über den 18. Mai hinaus einigen, wenn ihr derzeitiges Mandat endet. Obwohl die diese Woche in Brüssel abgehaltenen Treffen technischer Natur waren, hat Frankreich deutlich gemacht, dass es sich weigert, eine Operation fortzusetzen, die 2013 begann und in jüngster Zeit auf ein Minimum reduziert wurde, was zu ihrer endgültigen Einstellung führte – da Einstimmigkeit notwendig wäre, um sie fortzusetzen.

Der von den befragten Quellen als selbstverständlich angesehene Abzug europäischer Ausbilder aus Mali markiert das Ende der militärischen Präsenz der EU in einer strategischen Region. Ein Gebiet, das einen beispiellosen Anstieg des dschihadistischen Terrorismus und eine starke Ausweitung von Netzwerken zum Handel mit Waffen, Drogen und Einwanderern verzeichnet, das aber auch große Reserven an Mineralien wie Uran und Gold birgt: Dies erklärt nach Ansicht von Experten das Interesse von Russland, aber auch China, diese Lücke zu schließen.“ (El País, 28.3.)

All diese schönen Begleiterscheinungen des friedlichen Handels und Wandels sind die Ergebnisse desselben, obwohl sie immer als unwillkommene Hindernisse der Benutzung dieser Weltgegenden gehandelt werden, für die die EU den betroffenen Staaten militärische „Hilfe“ gewähren mußte.

Was Gold und Uran betrifft, so sind die für beide Staaten zweitrangig, was den eigenen Gebrauch betrifft. Es geht höchstens darum, sie in den eigenen Einflußbereich zu holen, um dann sie dann der EU zu anderen Konditionen als den bisherigen verkaufen zu können – was schlechte Nachrichten für die Wettbewerbsfähigkeit der EU auf dem Weltmarkt sind.

Wie sich Afrika weiter entwickelt, sollte man genau beobachten. Es scheint nämlich eine Art Modell oder zumindest ein Vorreiter für die multipolare Welt zu werden.