Das Coronavirus und die Altersheime

ALTES EISEN?
Das Coronavirus hat besonders in den Altersheimen gewütet und tut es immer noch. Die Erklärungen dafür fallen bisher eher dürftig aus. Erstens sind alte Leute eine „Risikogruppe“, ohne daß man genau erfährt, warum. Es wird aus der Todesrate auf die Anfälligkeit geschlossen und aus der solchermaßen konstatierten Anfälligkeit auf die erhöhte Sterblichkeit. Eine Begründung im Sinne von „weil“ oder „deshalb“ fehlt. (Generell macht die Wissenschaft im Zusammenhang mit dem Coronavirus keine gute Figur.)
Eine spanische Ärztin spricht in diesem Zusammenhang von „vorgezogenen“ Todesfällen. Das heißt, diese Leute wären sowieso gestorben, aber eben später. Das trifft zwar auf alle Todesfälle zu: Entweder man stirbt früher, oder man stirbt später – hat aber auch wieder den Schein einer wissenschaftlichen Untermauerung.
Was sind das eigentlich für Institutionen, in denen die Leute so massenhaft sterben?
Angesichts dessen, daß jeder selber das Problem hat oder aus seinem Freundeskreis kennt, irgendwelche Eltern oder Großeltern entweder zu Hause pflegen zu lassen – mit Pflegerinnen vom Balkan oder aus Osteuropa, auf der iberischen Halbinsel kommen die Pflegerinnen aus Lateinamerika – oder in einem Altersheim unterzubringen, so ist es angebracht, nachzudenken, um was für eine Art von Einrichtung es sich dabei handelt?
1. Über das Alter überhaupt
In vielen Gesellschaften – in Asien, Afrika und auch im vorkolumbianischen Amerika – genossen und genießen die alten Menschen eine bevorzugte Stellung.
Sie sind deswegen geachtet, weil sie über Lebenserfahrung verfügen.
Sie haben gesellschaftliche – Naturkatastrophen, Kriege, Flucht und Deportation – und individuelle Krisen erlebt und bewältigt. Zu letzteren gehören der Tod von nahestehenden Menschen, die Aufzucht von verwaisten Kindern, der Umgang mit Armut, mit psychischen Problemen, Aggressionen usw. im näheren Umfeld. Diese Menschen, so sahen das die sogenannten „primitiven“ Gesellschaften, also Stammesverbände und auf ihnen aufbauende Reiche, wissen etwas, was den Jüngeren fehlt, aber was sie zur Bewältigung der anstehenden Probleme dieser Gesellschaften brauchen. Deswegen gab es dort Ältestenrate, die in schwierigen Situationen eingesetzt wurden – und manchmal, in modernerer Form, auch immer noch werden.
2. Die gesellschaftliche Reproduktion
Einen wichtigen Anteil hatten diese alten Leute in der gesellschaftlichen Reproduktion. Die jungen Menschen machten die Kinder, dann gingen sie auf die Jagd und bestellten den Acker. Die Aufzucht der Kinder besorgten größtenteils die Alten. Sie beschäftigten sich mit ihnen, während deren Eltern mit ökonomischen Tätigkeiten beschäftigt waren, die der Versorgung der Gemeinschaft mit notwendigen Gütern dienten. Sie kochten für die Kinder und lehrten sie die Fähigkeiten, die für diese Gemeinschaft wichtig waren: Pflanzenkunde, Tierkunde, wie man ein Haus oder Tipi oder eine Jurte baut, Kleidung herstellt, Krankheiten heilt, wie man sich den Jahreszeiten anpaßt usw. usf. Das gesellschaftliche Wissen wurde auf diese Weise weitergegeben, die alten Leute waren ein Teil der gesellschaftlichen Reproduktion. Sie waren keine Belastung, und es wäre unter normalen Umständen niemandem eingefallen, sie auf die Müllkippe zu schicken – außer unter ganz tragischen Umständen, wenn der Stamm ums Überleben kämpfte und allen Ballast, also auch Kleinkinder und Kranke, zurücklassen oder umbringen mußte.
In den sozialistischen Gesellschaften des 20. Jahrhunderts, die auf die 2-Kinder-Familie genormt waren, stellten die Großeltern ebenfalls einen unverzichtbaren Teil der gesellschaftlichen Reproduktion dar. Die jungen Menschen beendeten ihre Lehre oder ihr Studium, heirateten und produzierten ihre 2 Kinder. Oder auch nur eines, oder mehr. Die Norm waren jedoch 2, darauf waren die Institutionen eingestellt. Sie gingen ihrem Job nach, um die Kinder kümmerten sich die Eltern bzw. Großeltern. Das Pensionsalter war niedrig angesetzt, genau deswegen: Damit die Großeltern für die Kindererziehung zur Verfügung standen. Den Sommer verbrachte die Familie dann meistens auf der Datscha, oder auf dem Dorf. Die Großeltern und Enkel den ganzen Sommer, die Eltern wochenendweise. Dazu gab es Ferienlager, wo den Kindern etwas beigebracht wurde, auch dort kamen die Pensionisten als Erzieher zum Einsatz.
Die alten Leute stolzierten – zumindest in der SU – teilweise durchs Dorf mit ihren Auszeichnungen aus dem Krieg, und waren geachtet für ihre Verdienste.
Die Institution des Altersheims war in den sozialistischen Staaten ziemlich unüblich. Die Alten wurden von ihren Familienmitgliedern zuhause betreut, notfalls auch mit institutioneller Unterstützung. Es gab zwar Institutionen, die sich der unbetreuten Alten annahmen, aber sie stellten die Ausnahme dar, waren also nicht sehr zahlreich. (Sie sahen manchmal, wie in Rumänien, sehr schlimm aus, aber waren eben eine Ausnahme, weil die meisten Alten zu Hause blieben.) Diese Institutionen waren den Krankenhäusern angegliedert, stellten also einen Teil des staatlichen Gesundheitswesens dar.
Heute ist dieses System dank des Einbruchs der Marktwirtschaft auf eine absurde Weise immer noch nötig. Es kümmern sich immer noch Großeltern um Kinder, die praktisch ohne Eltern aufwachsen, weil dies im Westen irgendwelchen Berufen nachgehen, um mit dem heimgeschickten Geld die Familie zu ernähren.
Die Frauen sind oftmals selber in der Alten- oder Kinderbetreuung eingesetzt, während in ihren Herkunftsländern diesbezüglich beides im Argen liegt. Die Männer gehen handwerklichen oder landwirtschaftlichen Tätigkeiten nach, während in ihren Heimatländern Felder unbestellt bleiben und Dächer nicht mehr repariert werden.
Die gesellschaftliche Reproduktion ist dort also unterbrochen bzw. prekär geworden, während in den alten Heimatländern der Marktwirtschaft die Familie überhaupt nicht mehr als Ort der gesellschaftlichen Reproduktion angesehen werden kann. Bei den Migranten, die diesbezüglich noch engere Familienbande pflegen, fehlt oft ein Teil ihrer Familie, ist zu Hause geblieben oder umgebracht worden.
Mit den Einheimischen von Kerneuropa ist die Lage schon seit geraumer Zeit noch schlimmer. Die Generationen und Geschlechter können nicht mehr miteinander umgehen. Eltern sind unzufrieden mit ihrer Brut, Gewalt in der Familie und die Scheidungsrate steigt ständig, alleinerziehende Mütter, Patchworkfamilien und in Armut aufwachsende Kinder prägen das Landschaftsbild. Dazu kommt die ständig geforderte Mobilität der Arbeitskraft, die zur Zerrüttung der Verwandtschaftsverhältnisse beiträgt: Die Eltern sitzen da, die Kinder dort, oft sind die Eltern geschieden und die Kinder auch, wodurch die Betreuung der Enkel durch die Großeltern endgültig scheitert – und statt der zerbröselnden Familienstrukturen müssen immer öfter die Institutionen herhalten. Kindergärten und Horte, Heime und die Fürsorge, Schulspeisung und Tagesbetreuung sind immer mehr im Einsatz, um die Jugend irgendwie zu betreuen, was für beide Seiten unerfreulich und stressig ist.
Die Jungen wie die Alten stören in einer Gesellschaft, die möglichst alle ihre Mitglieder ins Juggernaut-Rad des Kapitals einspannen will, damit Profite gemacht werden und die Nation dadurch vorankommt.
So kommt am Ende heraus:
3. Die Altersheime sind Parkplätze für gesellschaftlich Überflüssige
In diesem gesellschaftlichem Rahmen sind die Altersheime Abstellplätze für alte Leute, die keiner mehr braucht, die man aber aus verschiedenen Gründen nicht sich selbst überlassen und zu Hause oder auf der Straße sterben lassen will.
Die Sorge für die Alten und Kranken wird von den staatlichen Institutionen vor allem deshalb übernommen, damit die Lohnabhängigen und Arbeitsfähigen dem Kapital zur Verfügung stehen und nicht mit Pflegetätigkeiten beschäftigt sind. Außerdem hält es die arbeitende Menschheit bei Laune, zu wissen, daß man bei Arbeitsunfähigkeit nicht gleich über die Klippe gestoßen, sondern wieder gesundgepflegt wird.
Die Altersheime sind also ein unabdingbarer Bestandteil der, und ein Instrument für das Funktionieren der kapitalistischen Klassengesellschaft.
Natürlich kommen die lieben Verwandten zum Muttertag und Geburtstag, bringen Blumen und Kuchen, und freuen sich mit der lieben Oma oder dem Opa, aber Hand aufs Herz: Die meisten sind froh, die Alten den Rest des Jahres los zu sein.
Man kann sie ja auch mit gutem Gewissen dort lassen, sie werden dort viel besser betreut, man selbst hat die Zeit ja gar nicht, – bei der inzwischen legal eingeführten 60-Stunden-Woche auch verständlich – und die Verwandtschaft zahlt zur Not auch einiges, um ihren lieben Vorfahren gut aufgehoben zu wissen.
So ist heute der Bedarf an Altenbetreuungsstätten dementsprechend groß und die Marktwirtschaft hat sich da ein neues Geschäftsfeld erschlossen: So wie es private Krankenhäuser gibt, in denen die Patienten für gutes Geld überbetreut und teilweise erst richtig krank gemacht werden, so gibt es auch private Altersheime, wo je nach Zahlungsfähigkeit von ganz grundlegenden bis zu gehobenen Bedürfnissen für die Insassen gesorgt wird.
Wenn manchmal ganz fürchterliche Mißstände in Altersheimen aufgedeckt werden, so kann man annehmen, daß es sich um solche für die unteren Einkommensklassen handelte. Dort schaut nämlich auch seltener ein Verwandter vorbei, um zu schauen, wie die Oma dort eigentlich behandelt wird.
Hierbei handelt es sich eher um staatliche Altersheime. Deren Qualität ist von Land zu Land verschieden, das hängt sowohl vom Zustand der Staatskasse als auch von den Prioritäten ab, die im betreffenden Land bezüglich der Verwendung öffentlicher Gelder gesetzt werden.
Die Altersheim-Betreiber machen, genauso wie ihre Klassenbrüder in Produktion und Handel, eine Kosten-Nutzen-Rechnung auf und sparen, wo es geht, vor allem aber beim Personal. Das hat sowohl für die Betreuer als auch für die Betreuten Folgen. Viele Altersheim-Beschäftigte haben nämlich noch andere Jobs, sind überlastet und machen Fehler – geben z.B. dem einen die Medikamente, die für die andere vorgesehen sind – und sind schnell genervt mit besonders schwierigen oder pflegebedürftigen Patienten.
4. Die Altersheim-Bewohner wissen, daß sie überflüssig sind, oder: Was ist eigentlich „Demenz“?
Die meisten Leute, die diese Institutionen bewohnen, wissen, daß sie lästig und überflüssig sind. Die immer mehr um sich greifende Demenz muß auch unter diesem Gesichtspunkt betrachtet werden.
Die beliebte Ausrede zur Erklärung dieses Phänomens ist: Die Leut werden halt immer älter!
Die gestiegene Lebenserwartung, ein Indikator für den Wohlstand eines Landes, wird hier als eine Art Problem, als Mangel besprochen. Es geht ihnen allen zu gut, sie leben zu lang! Und dann haben „wir“, die Jüngeren, das Gscher!
Daß immer mehr alte Leute dement werden, ihren Verstand aufgeben, ist überhaupt keiner wissenschaftlichen Untersuchung wert. Es wird als eine Art Naturerscheinung besprochen, obwohl es genug Erfahrungen aus Asien gibt, nicht nur von den Alten aus Okinawa, daß Menschen auch ein hohes Alter ohne Beeinträchtigung ihrer geistigen Fähigkeiten erreichen können.
Ähnlich wie mit anderen unerfreulichen Erscheinungen der kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft, (wie z.B. der stetig steigenden Selbstmordrate), geht die Psychologie und andere Geisteswissenschaften der Erforschung der zunehmenden Demenz aus dem Weg. Sie wird zu einer rein körperlichen Degeneration erklärt, die mit dem Alter „halt“ irgendwie einhergeht. Und die dementen Alten werden in den Altersheimen abgestellt, wo sich dann schlecht bezahlte Pfleger(innen) mit ihnen abplagen müssen.
Man muß sich einmal in die Verfassung dieser alten Leute hineinversetzen, um die Demenz zu begreifen.
Sie haben jahrzehntelang in Betrieben gearbeitet oder Unternehmen geleitet. Entweder sind sie durch eintönige Beschäftigungen total verblödet und haben im Ruhestand den sogenannten „Pensionsschock“ erlitten: Ihre vorherige Beschäftigung ist weg, sie haben aber verlernt, ihre Zeit mit anderen Beschäftigungen auszufüllen.
Oder aber, sie hatten gesellschaftliche Ambitionen, die zuschanden geworden sind. Sie wollten ihre Unternehmen ausbauen, oder dem Betrieb dienen, mit dem sie sich als Angestellte identifiziert hatten, ihre Kinder reich oder zumindest irgendwie verheiraten, und sich über diese Erfolge selber feiern. Das ist daneben gegangen, jetzt sind sie Niemande, der Betrieb hat zugesperrt, und die Kinder sind Alkoholiker oder drogensüchtig, oder nach woanders ausgewandert, oder an ihnen, den Eltern, desinteressiert.
Die Enkelkinder befassen sich mit Internetspielen oder Kampfsportarten und haben auch kein Interesse an den Geschichten der Alten.
Die Demenz ist die einfachste oder zumindest wirkungsvollste Form, seinen Verstand an den Nagel zu hängen und sich von der unerfreulichen Wirklichkeit freizuspielen. Man entfernt sich schrittweise von den alltäglichen Notwendigkeiten, macht sich dabei nicht zu sehr unbeliebt, sondern zieht Verständnis und Mitleid auf sich, und haust sich ein in die Welt seiner Hirngespinste.
Der/die demente Alte hat sich zurückgezogen aus der realen Welt und wurde zu einer Art pflegeintensiven Pflanze, die von den Pfleger(inne)n irgendwie weitergebracht wird.
Es ist verständlich, daß auch das Pflegepersonal mit diesen Menschen überfordert ist – um so mehr, als ihre Ausbildung, sofern vorhanden, ihnen kein Rüstzeug mit dem Umgang mit diesen Aussteigern aus der Konkurrenzgesellschaft mitgibt. Wie denn, wenn das Phänomen selbst gar nicht wissenschaftlich untersucht wird.
Ähnlich wie für die anderen zwar als solche eingestuften, aber nicht begriffenen „psychischen Krankheiten“ gibt es einen Haufen Medikamente, mit denen diese dementen Leute ruhiggestellt werden. Wenn wirklich Not am Mann ist, die Alten sich aufführen und zuwenig Personal da ist, so werden sie eben zugetörnt und festgebunden – auch wenn das gegen die Menschenrechte und das ganze PiPaPo verstößt.
Wenn man sich einmal bewußt gemacht hat, was Altersheime sind und wie die funktionieren, so ist es auch begreiflich, warum sie eine erhöhte Sterblichkeitsrate aufweisen. Das liegt nämlich nicht oder nur teilweise am Alter der Patienten.
5. Sind alte Menschen per se eine erhöhte Risikogruppe, oder liegt es nicht vielmehr an den Altersheimen?
So, rekapitulieren wir einmal: Da gibt es sozusagen geschlossene Einrichtungen, wo die Alten aufbewahrt werden. Natürlich können sie theoretisch hinaus, aber praktisch gehen sie höchstens im Garten spazieren, weil die restliche Welt wenig Interesse an ihnen hat. Sie sind also wie Kreuzfahrschiffe, Gefängnisse, Internate oder auch Krankenhäuser Institutionen mit einer Anzahl von Leuten, die Tag für Tag aneinander vorbeigehen, miteinander essen, wohnen usw. Wenn eine ansteckende Krankheit dort einmal eingedrungen ist, hat sie alle Gelegenheit, sich zu verbreiten.
Dazu kommt noch ein gesteigertes Hygienebedürfnis, weil die Alten sind oft inkontinent, brauchen mehr Bettwäsche und Reinigung überhaupt, und wenn da noch Krankheiten dazukommen, so unterbleibt aufgrund der knappen Kalkulation einiges an Putz- und Waschtätigkeit, was Infektionen begünstigt.
Schließlich sind diese Menschen wirklich krank. Abgesehen von anderen Vorerkrankungen wie Diabetes, Rheuma, Arthritis usw. verschlechtert die Demenz selbst den körperlichen Zustand derer, die sie an sich hervorgebracht haben. Das Gehirn ist nämlich nicht nur der Ort, an dem geistige Tätigkeit stattfindet, wie Wahrnehmung, Vorstellung, Einbildung usw., sondern dort findet auch die Steuerung des gesamten Stoffwechsels statt. Wenn die eingehenden Informationen dort oben nicht mehr richtig verarbeitet werden und keine Befehle von dort in den Gliedmaßen und dem Verdauungsapparat mehr ankommen, so verfällt der Körper. Und das macht diese Leute noch anfälliger, weil auch das Immunsystem nicht mehr richtig funktioniert.
Die Infektionen kommen von außen auch leicht hinein in die Altersheime. Es nutzt wenig, Besuche von Verwandten zu untersagen, um die Ansteckungsgefahr hintanzuhalten. Es sind ja die Pfleger, die das Virus in die Altersheime hineingetragen haben, und aufgrund dessen, wie diese Heime funktionieren, schiebt sich da mit Abstandhalten überhaupt nichts. Um sich und ihre Betreuten vor Ansteckung zu schützen, würden sie genausolche Schutzanzüge benötigen, wie sie in Intensivstationen verwendet wurden.
Abgesehen davon, daß zum Zeitpunkt des Ausbruchs der Coronavirus-Pandemie nicht einmal die einfachste Schutzkleidung da war wie Masken oder Handschuhe, also weder in den Krankenhäusern oder Sanatorien, noch in den Altersheimen in ausreichender Quantität zur Verfügung stand, gibt und gab es noch andere Gründe, die nicht anzuziehen.
Es ist nämlich nicht so, daß die Dementen nichts mitkriegen, von den Nicht-Dementen ganz zu schweigen. Wenn auf einmal die Pflegekraft mit einem Mundschutz und Handschuhen daherkommt, oder gar mit einem Schutzanzug, so entsteht bei den Alten Paranoia und Panik. Was ist los, sind die Außerirdischen eingedrungen? Verwandelt sich dieser Ort jetzt in eine endgültige Vernichtungsanstalt? Was rennt da ab? Verkleiden sich die Henker, damit man sie nicht mehr erkennt? – und sie flippen endgültig aus.
Man darf ja auch nicht vergessen, daß die Menschen, die heute um die 80 oder darüber sind, noch als Kinder und Jugendliche den Nationalsozialismus bzw. Faschismus und den Krieg miterlebt haben. Die Idee der Vernichtung „unwerten Lebens“ ist ihnen in irgendeiner Form geläufig.
Die Atemnot oder der Herzinfarkt oder der Schlaganfall entstehen dann gar nicht mehr durch die Ansteckung, die ist dafür nicht notwendig, sondern durch die psychische Übertragung der Pandemie.
Dazu kommt die Situation der Pfleger(innen). Die Leute infizieren sich selber, erkranken und bleiben entweder zu Hause oder landen im Krankenhaus. Die sowieso am personellen Limit funktionierenden Altersheime sind auf einmal wirklich unterbesetzt. Die restlichen Betreuer(innen) sind erstens überlastet, wissen aber auch, daß sie Gefahr ausgesetzt sind. Sie wissen, daß sie genauso eine „Risikogruppe“ sind, aufgrund ihres Jobs.
In einem kanadischen Altersheim blieben einfach alle Angestellten zu Hause oder tauchten unter, und überließen die Alten ihrem Schicksal. Da es ein Besuchsverbot gab, merkten Verwandte erst nach Tagen, was da ablief, da waren viele der Betreuten bereits wegen der Unterversorgung gestorben.
Es ist als nicht das biologische Alter, was ältere Menschen zu einer Risikogruppe macht, sondern die Art und Weise, wie das Altern in der kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft gehandhabt wird.

Die politischen und rechtlichen Folgen der Coronakrise

WER DARF WAS? – DIE REISEFREIHEIT, DIE GRUNDRECHTE, DIE VERFASSUNGEN UND DIE EU
Es stellt sich heraus, daß die Coronavirus-Pandemie auch in und zwischen den Staaten einiges durcheinanderbringt.
Der Schengenraum und die Reisefreiheit in der EU müssen neu definiert werden.
Muß man frische CV-Tests mitbringen, um wo einreisen zu können?
Mit was für Recht werden Einreisende unter Quarantäne gestellt?
Wer sorgt für im Ausland gestrandete Bürger?
Dürfen die einreisen, mit oder ohne Test?
Wer trägt die Kosten für Tests und Quarantäne?
Welche Tests werden anerkannt? Welche Behörden verfügen das, und was für Anforderungen stellen die?
Entscheidet das die EU oder die regionale Regierung?
Oder wird ab einem Stichtag alles aufgehoben? Wer ist dann für die Risiken verantwortlich?
Gegen die Gemeinde Ischgl und die Tiroler Landesregierung wurden Klagen eingereicht. Da werden Präzedenzfälle geschaffen, weil wer kann für was verantwortlich gemacht werden?
Für alle diese Themen gibt es hier eine eigene Pinnwand.

Der Streit um die Eurobonds

SCHULDEN IN DER EU – BELASTUNG FÜR DIE EINEN, KONKURRENZMITTEL FÜR DIE ANDEREN
Hier werden einige Statistiken der Schulden der EU-Staaten angeführt und interpretiert. Für die Euroländer wurde diese Quelle verwendet.
Da die Statistik vorige Woche zusammengestellt wurde, sind die Zahlen bereits veraltet, weil sie laufend aktualisiert wird.
Für die Nicht-Euro-Staaten wurde diese Quelle von Ende 2019 verwendet, die natürlich noch mehr veraltet ist und keine Daten zur Pro-Kopf-Verschuldung enthält.
1. Die Verschuldung in absoluten Zahlen
Frankreich 2 409 900 400 000 steigend
Italien 2 395 000 000 000 steigend
Deutschland 2 051,840.750.000 fallend
Spanien 1 273 217 400 000 steigend
Holland 522 736 020 000 steigend
Belgien 506 669 320 000 steigend
Griechenland 362 075 175 000 steigend
Österreich 313 980 830 000 steigend
Portugal 266 576 710 000 steigend
Polen 240 920 000 000
Irland 221 232 355 000 steigend
Finnland 163 485 022 000 steigend
Schweden 163 430 000 000
Dänemark 104 990 000 000
Ungarn 93 000 000 000
Rumänien 75 980 000 000
Tschechien 69 080 000 000
Slowakei 44 985 848 000 steigend
Kroatien 40 050 000 000
Slowenien 29 885 784 150 fallend
Luxemburg 19 566 598 500 steigend
Lettland 17 266 463 000 steigend
Zypern 16 223 047 600 fallend
Litauen 15 880 323 396 stagniert
Bulgarien 12 280 000 000
Malta 6 983 781 700 steigend
Estland 2 447 239 400 steigend
Von den Euroländern gibt es demzufolge nur 3 Staaten, deren Schulden fallen.
Während die Gründe bei Zypern und Slowenien unterschiedlich sein mögen, ist der Grund bei Deutschland der, daß die Bundesanleihe zu einer Referenzanleihe für Bonität geworden ist und sich daher zu Null- und Negativzinsen bedienen kann.
Je mehr Schulden Deutschland daher aufnimmt, um so mehr entschuldet es sich.
Von dieser kommoden Position her kann es natürlich andere Länder belehren, sie möchten doch gefälligst mehr einnehmen und weniger ausgeben, also ihren „Haushalt in Ordnung bringen“.
Es hat dadurch auch die Möglichkeit, die Schulden gegen andere als Druckmittel einzusetzen, weil es selbst über praktisch unbegrenzte Verschuldungsfähigkeit verfügt und aus dieser Position der Stärke anderen ihre Verschuldung begrenzen bzw. verteuern kann. Für diejenigen Staaten nämlich, deren Schulden steigen und die Zinsen zahlen müssen, erhöht sich die Schuld auch noch durch den Schuldendienst, also die zusätzliche Zinslast, die bei jeder neuen Schuldaufnahme hinzukommt.
Es ist daher begreiflich, daß Deutschland von Eurobonds nix wissen will. Es müßte dann auf einmal selbst wieder Zinsen zahlen.
Dieses Spiel mit: Ich kann ausgeben, soviel ich will, ihr hingegen müßt sparen! – läßt sich nur solange fortsetzen, als der Euro besteht und stabil bleibt. Sobald er in die Krise geraten würde, wären auch die Bundesanleihen nicht mehr so gefragt. Deutschland muß also immer genau so viele Zugeständnisse machen, daß dieser Fall nicht eintritt. Das wird dann eben von Treffen zu Treffen ausgetestet.
Am Schlußlicht dieser Liste, Estland, kann man sehen, daß dieses Land offenbar von Verschuldung nichts hält. Seine Politiker sehen Schulden nicht als Mittel der Konjunkturförderung an, und auch nicht als eines der Krisenbewältigung.
Es ist wahrscheinlich, daß die Schulden, die es hat, vor allem aus der Zeit vor der Euro-Einführung stammen und der Währungspflege dienten – Estland gab Anleihen in Euro heraus, um den Wechselkurs der Estnischen Krone gegenüber dem Euro zu halten.
Aber nicht einmal diese Schulden wird es seither los, sondern sie steigen an. Es ist allerdings möglich, daß die estnischen Politiker nicht unangenehm auffallen wollen als praktische Kritiker der Schuldenpolitik und deshalb diese kleine Schuldenlast weiter mit sich herumschieben.
2. Die Verschuldung in Prozent in Bezug auf das BIP
Griechenland 176,9
Italien 132,7
Portugal 128,9
Zypern 109,1
Irland 106,5
Belgien 106
Spanien 103
Frankreich 96
Österreich 86,2
Slowenien 83,2
Kroatien 74,9
Deutschland 71,2
Ungarn 68,2
Holland 65,2
Finnland 63,7
Malta 63,9
Slowakei 52,9
Polen 47,4
Litauen 42,7
Lettland 36,4
Rumänien 35,4
Schweden 35,1
Dänemark 34,1
Tschechien 32
Luxemburg 22,8
Bulgarien 20,6
Estland 10
Unter den ersten 5 Staaten finden sich außer Italien die 4 Rettungsschirm-Opfer. Der „Rettungsschirm“ war nämlich eher ein Hinkelstein, der ihnen in die Arme gelegt wurde. An dieser Statistik sieht man, daß diese Staaten aus der Schuldenfalle nicht mehr herauskommen, welche Jubelmeldungen der Art „X ist zurück an den Märkten!“ auch immer in den Medien verkündet werden. Sogar Portugal, das kurzfristig auch Negativzinsen verlangen konnte, oder Irland, das sich schon seit längerer Zeit zu einem vergleichsweise moderaten Zins verschulden kann, können diese einmal aufgebürdete Last nie mehr abschütteln.
Italien ist zwar, was die absolute Schuld angeht, inzwischen von Frankreich überholt worden, aber die relative Schuldenlast wird sich weiter in Richtung auf den Spitzenreiter zubewegen, weil die Wirtschaftsleistung Italiens immer mehr zurückgeht und dieses Land wahrscheinlich auch in der Coronakrise noch schwerere Einbußen als die anderen EU-Industriestaaten verzeichnen wird.
An der hohen relativen Verschuldung Sloweniens und Kroatiens sieht man, daß diese Staaten offenbar ihre Möglichkeiten überschätzt haben und ihre Wirtschaft sich nicht so entwickelt hat wie ursprünglich erwartet.
Während Slowenien lange als eine Art Ausreißer und Vorzeige-Land galt, das seine sozialistische Ökonomie erfolgreich in die Marktwirtschaft hinübergerettet hat, ist es im Zuge der Finanzkrise 2008 ff. von der Realität eingeholt worden, weil seine Märkte sowohl in den EU-Staaten als in den ehemaligen Teilrepubliken Jugoslawiens geschrumpft sind.
Belgien und Spanien sind seinerzeit knapp an einer Zahlungsunfähigkeit und einem Rettungsschirm vorbeigeschrammt. Sie hatten das Glück, daß diese Stützungsfonds-Politik damals aufgegeben wurde, weil sich das Verhältnis von stützenden zu gestützten Staaten nicht noch weiter nachteilig verändern sollte. Damals wurde dann auf das Anleihen-Aufkaufprogramm durch die EZB umgestellt, das diese beiden seither über Wasser hält. Mehr aber auch nicht. Sie sind ständig davor gefährdet, daß ihre Anleihen von den Rating-Agenturen auf Ramsch-Status (BB) heruntergestuft werden.
Vermutlich mit diesen beiden Staaten im Blickfeld hat Christine Lagarde deshalb vor einigen Wochen verkündet, daß die EZB auch solche Anleihen aufkaufen wird, um eine Abwärtsspirale und eine neue Eurokrise schon im Vorfeld abzuwehren. Spanien ist nämlich eine große Nationalökonomie, Belgien ein Gründungsmitglied der EU und ihr Sitz, Schuldenprobleme in diesem Land hätten eine sehr schiefe Optik.
Ungarn betrat das Nach-Wende-Europa mit einem großen Schuldenberg, nachdem es bereits 1982 dem IWF beigetreten war, um seine Verschuldungsfähigkeit zu erhöhen. Nachher kam auch noch einiges dazu, und da sich die Wirtschaftsleistung nicht so entwickelt, wie es sich Viktor Orbán bei seinem Amtsantritt vorgenommen hatte, wird es diese Schuld auch nicht los. Außerdem muß es wie andere Nicht-Euro-Staaten auch eine Euro-Verschuldung zum Zweck der Währungspflege betreiben und Euro-Anleihen auf Euro-Börsen herausgeben, um den Wechselkurs des Forint stabil zu halten.
Genaugenommen handelt es sich um 2 Wechselkurse, da sich das Mißtrauen der Finanzwelt in die ungarische Währung darin ausdrückt, daß ein ziemlicher Unterschied zwischen dem Ankaufs– und dem Verkaufspreis des Forint besteht. Mit dem heutigen Tag muß man 356 Ft für einen Euro hinlegen, für einen Euro erhält man aber nur 328 Ft – wenn überhaupt, weil hohe Wechselgebühren werden auch noch abgezogen. Vor allem der Verkaufspreis des Forint ist seit den Anti-Corona-Maßnahmen Mitte April stark gestiegen.

3. Die Pro-Kopf-Verschuldung der Euro-Staaten

Irland 43.509
Belgien 38.565
Italien 35.721
Österreich 33.864
Frankreich 31.605
Griechenland 28.805
Deutschland 26.523
Holland 26.133
Finnland 23.895
Spanien 23.088
Zypern 22.390
Portugal 22.299
Luxemburg 19.848
Slowenien 15.546
Malta 13.091
Slowakei 7.619
Litauen 5.437
Lettland 4.467
Estland 1.717
Bei der Pro-Kopf-Verschuldung führt nach wie vor Irland. Die Euphorie über den wirtschaftlichen Aufschwung und die Einführung des Euro, was auch als Unabhängigkeit von GB wahrgenommen wurde, hat dem Land erst eine Immobilienspekulation und dann einen Crash beschert. Die Gewinne aus dem Immobilienboom blieben größtenteils bei deutschen Landes- und Kommunalbanken, die dort groß eingestiegen waren, und die bei der Schuldenübernahme durch den Rettungsfonds mit einem blauen Auge davonkamen. Die Kosten für den ganzen Spaß wurden den künftigen Generationen in Irland aufgebürdet.
Noch ein Wort zu den Niederlanden. Holland liegt bei absoluten Schulden im Spitzenfeld, relativ zu BIP und Bevölkerung im Mittelfeld. Es kann sich also seine hohe Verschuldung leisten, ohne ins Gerede zu kommen. Warum eigentlich? Was kann Holland, was dem benachbarten Belgien nicht gelingt?
Wie sich schon bei der Griechenland-Krise und auch jetzt wieder gezeigt hat, scheint Holland ein Sonderverhältnis zu Deutschland zu pflegen, als eine Art Schildknappe, und das könnte auf einem Kreditstützungs-Deal beruhen. Die Bundesbank kauft holländische Anleihen zu einem sehr niedrigen Zins oder Nullzins, und Holland betätigt sich als Scharfmacher, um die Rolle Deutschlands als Schulden-Champion und Schulden-Diktator nicht allzu deutlich hervortreten zu lassen.
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Das ist also das Szenario, auf das die Eurobonds-Vorstellungen Italiens stoßen und vor dem sie zuschanden werden.
Irgendetwas müssen Deutschland und seine Flügeladjutanten Italien aber auch geben. Erstens wäre die Verfahrensweise von 2012-2015 mit Troika und Bedingungen nicht wiederholbar, schon allein deshalb, weil der IWF nicht mehr mitspielen würde. Zweitens ginge das auch mit einem Land von der Bedeutung Italiens nicht.
Es war nur einer besonderen Konstellation der italienischen Innenpolitik zu verdanken, daß Monti und Renzi, die Supersparer, überhaupt ihr Programm durchziehen konnten. Der Schock über das Zerplatzen der Euro-Illusionen und aller darauf aufbauenden Kreditblasen machte die italienischen Eliten diesbezüglich willfährig.
Aber die jetzige Politikermannschaft und der strauchelnde Banksektor Italiens stellen diesbezüglich eine etwas härtere Nuß dar.