Pressespiegel Izvestija, 8.3.: Die Energiekanäle schließen:

„INDIEN REDUZIERT SEINE ÖLKÄUFE AUS RUSSLAND

Die US-Sanktionen haben eine Rückwirkung auf ganz Europa

Aufgrund der US-Sanktionen könnte Indien, der zweitgrößte Abnehmer von russischem Öl, seine Käufe reduzieren.“

„Könnte“. Es ist also noch nicht sicher, ob Indien das tun wird. Aber die Izvestija macht darauf aufmerksam, was die Folgen wären.

„Dies wird Rußland voraussichtlich keine Probleme bereiten, da der asiatische Markt bereits fast alle Mengen aufnimmt und außerdem der Wettbewerb zwischen Indien und China um russisches Öl zugenommen hat. Für Europa verheißt dieser Zustand allerdings nichts Gutes: Indien ist längst zum größten Lieferanten von Erdölprodukten für die EU geworden.
Die Lieferungen von Indien nach Europa sind aufgrund der Krise im Roten Meer bereits zurückgegangen, jetzt drohen sie aufgrund amerikanischer Sanktionen zusammenzubrechen. Die Izvestija hat herausgefunden, was eine mögliche Treibstoffknappheit für Europa bedeuten würde.

Ein zuverlässiger Kanal

Europa kauft weiterhin bereitwillig russisches Öl, das es sich selbst verboten hat. Moskau steigerte die Lieferungen nach Indien stark, und Europa erhöhte sofort die Importe von dort um ein Vielfaches. Zu den Käufern zählen alle großen europäischen Volkswirtschaften. Sie beziehen hauptsächlich Gasöl, das für die Herstellung von Dieselkraftstoff benötigt wird.“

Die Dieselpreise sind also deshalb so hoch, weil das Vorprodukt inzwischen aus Indien kommt – per Tanker. Und inzwischen vermutlich rund um Afrika herum.
Nur zur Rückerinnerung: Früher kam es per Pipeline direkt vor die Haustür. Aber man darf doch Rußland kein Öl abkaufen!

„Insgesamt steigerte die EU im Jahr 2023 die Einfuhren von russischem Öl aus Indien um 115%. Indien erhielt durchschnittlich 1,75 Millionen Barrel Rohöl pro Tag aus Rußland. Spitzenreiter sind die Niederlande (24% der »indischen Importe«), Frankreich (23%), Rumänien (12%), Italien und Spanien (jeweils 11%). Ein solch starker Anstieg erfolgte, als Indien, das erhebliche Preisnachlässe erhalten hatte, die Käufe von russischem Öl stark erhöhte – bis zu 40% aller Importe (zuvor waren es 2 %).
Laut Eurostat ist Indien zum zweitgrößten Exporteur von Erdölprodukten in die EU geworden, nur noch vor Saudi-Arabien. So importierte die EU 7,9 Millionen Tonnen Erdölprodukte in den ersten 9 Monaten des Jahres 2023 aus Indien, das ist 2,5-mal mehr als im Vorjahr und 3,3-mal mehr als im Jahr 2021. In Geld ausgedrückt stiegen die Lieferungen auf 6,1 Milliarden Euro gegenüber 3,3 Milliarden im Vorjahr und 1,2 Milliarden im Jahr 2021.“

Da merkt man, wer wirklich von den Sanktionen profitiert, als Weiterverkäufer von russischem Öl. Sollte Indien tatsächlich seine Käufe verringern, so würde Saudi-Arabien sie erhöhen.

„Verknappungs-Risiken

Der stabile Zufluss von Erdölprodukten aus Indien auf den europäischen Markt ist jedoch gefährdet. Laut Bloomberg sind Indiens staatliche Ölraffinerien bei langfristigen Verträgen zur Lieferung von russischem Öl vorsichtiger und der Handel wird aufgrund der strengeren Einhaltung der US-Sanktionen deutlich schwieriger.“

Hier merkt man auch, worauf die US-Sanktionen wirklich zielen: Auf die Schwächung Europas durch die Drosselung der Energiezufuhr aus Rußland.

„Die größte staatliche Raffinerie, Indian Oil, wird wahrscheinlich die Ölmengen reduzieren, die sie im Rahmen sogenannter langfristiger Verträge erhält, sagten Agenturquellen. Gleichzeitig haben Bharat Petroleum und Hindustan Petroleum beschlossen, keine festen Zusagen zur Lieferung von Vertragsöl im nächsten Geschäftsjahr zu machen.
Während Rußland Indiens größter Öllieferant bleibt, gibt es Anzeichen dafür, daß Raffinerien beginnen, mehr Rohöl von anderen Produzenten, darunter Saudi-Arabien, zu kaufen, sagten Bloomberg-Quellen. Auch Staatsunternehmen streben den Abschluss von Lieferverträgen aus dem Nahen Osten und Westafrika an.

Engpässe und steigende Preise

Es ist offensichtlich, daß solche Transaktionen Indien mehr kosten werden; die Kosten für Öl aus dem Nahen Osten und Westafrika sind höher als die aus Rußland. Es sind keine Preisnachlässe zu erwarten, was sich unmittelbar auf die europäischen Importeure auswirken wird: Auch deren Einkaufspreise werden steigen.

Das Angebotsvolumen auf dem Markt ist begrenzt, unter anderem aufgrund von Produktionskürzungen der OPEC+-Länder.
Die Umstellung von russischen auf andere Lieferungen wird den indischen Erdölproduktproduzenten wahrscheinlich zusätzliche Kosten verursachen, was sich wiederum auf ihre Rentabilität auswirken und zu höheren Kosten führen kann, die auf den Preis des Endprodukts übertragen werden“, betont Mikhail Bespalov, Analyst bei KPS Capital.

Andere Experten weisen außerdem darauf hin, daß Indien zwar auf einen Teil langfristiger vertraglicher Öllieferungen aus der Russischen Föderation verzichten, dieses Öl aber durchaus weiterhin auf dem Spotmarkt kaufen könnte.
»Auf dem europäischen Markt kann es tatsächlich zu einer Treibstoffknappheit kommen, aber auch ohne Treibstoffknappheit werden die Preise steigen, da sie auf dem Spotmarkt höher sind als bei langfristigen Vertragslieferungen und von anderen Exporteuren«, betont der Analyst Wladimir Tschernov bei Freedom Finance Global.

Letztendlich wird also russisches Rohöl wahrscheinlich weiterhin an indische Raffinerien geliefert, aber die Preise werden volatiler sein, wenn die Lieferungen nicht an langfristige Verträge gebunden sind, fügt Mikhail Bespalov hinzu.“

Der Ausstieg aus längerfristigen Lieferverträgen und die Einkäufe auf dem Spotmarkt waren ja genau die Preistreiber für Energieträger noch vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine.

„Laut der Ökonomin Olga Borisova könnte die Verknappung von Erdölprodukten besonders starke Auswirkungen auf die Hauptabnehmerländer haben: Frankreich, die Niederlande und Italien. Kurzfristig werden die Abnehmer in europäischen Ländern unter Druck geraten, was die Preise in die Höhe treiben könnte, bis neue Lieferungen etabliert sind.

Beschleunigung der Inflation
Es ist also unwahrscheinlich, daß indische Raffinerien ohne Rohöl dastehen werden. Für Europa können jedoch nicht die gleichen Mengen wie bisher garantiert werden. Erstens ist in Indien selbst die Nachfrage nach Erdölprodukten auf dem heimischen Markt in den letzten Jahren stark gestiegen. Und seit Anfang 2024 sind die Treibstoffexporte aus Indien nach Europa aufgrund von Problemen im Roten Meer bereits stark zurückgegangen. Laut Kpler betrug der Anteil Europas an den indischen Erdölproduktexporten im Februar etwa 22 %. Das ist deutlich weniger als im Vorjahr, als 32 % der indischen Exporte nach Europa gingen.

Im negativsten Szenario werden die Europäer mit den bereits bekannten Konsequenzen konfrontiert sein, mit denen sie bereits auf dem Höhepunkt der Energiekrise konfrontiert waren: Die Inflation wird für die Europäer zu einem Albtraum und zwingt europäische Hersteller dazu, ihre Produktion in andere Länder zu verlagern, was ihnen ermöglicht, die Kosten zu minimieren und Waren zu wettbewerbsfähigeren Preisen anzubieten. Infolgedessen sind nicht nur in den Ländern Osteuropas, sondern auch in den führenden Ländern der EU gravierende Probleme zu beobachten“, bemerkt Jurij Ljandau, Professor an der Russischen Wirtschaftsuniversität G.V. Plechanow.

Letztlich hat die EU die Verknappung von Erdölprodukten selbst verursacht. Mit der Entscheidung, ein Embargo gegen russisches Öl und Erdölprodukte zu verhängen, seien die EU-Länder in eine Sackgasse geraten, bemerkt Dmitrij Semjonov, Vorstandsvorsitzender von Transinvest.

Rußland wird damit umgehen können

Rußland, das seit langem daran gewöhnt ist, mit den harten Sanktionen des Westens umzugehen, wird einen Ausweg finden: Es muß seine »überschüssigen« Mengen in andere Ländern verkaufen und es gibt dafür auch Käufer.
Im Jahr 2023 belegte Rußland den ersten Platz unter den Ölexporteuren nach China und steigerte die Lieferungen in das Land um 24,1 % auf 107 Millionen Tonnen. Das sind 24,4 % mehr als die Importmengen des zweitplatzierten Saudi-Arabiens und mehr als 80 % mehr als die des Irak, der den dritten Platz belegt.“

Sieh da, sieh da: Der Irak hat in China seinen vermutlich wichtigsten Abnehmer.

„Rußland kann seine Lieferungen nach China sowie in die Länder des Nahen Ostens steigern. Saudi-Arabien beispielsweise kauft gerne russisches Öl für den Inlandsverbrauch und verkauft sein eigenes für den Export. Dieses System ist für sie von Vorteil, da russisches Öl viel billiger ist als saudi-arabisches Öl und dadurch den Inlandsverbrauch des teureren eigenen Öls reduziert und die Exporte steigert“, betont Nadjezhda Kapustina, Professorin der Abteilung für wirtschaftliche Sicherheit und Risikomanagement an der Finanzuniversität der Regierung der Russischen Föderation.

Der Meistbegünstigte der Sanktionen gegen Rußland ist also das Reich der Wüste, deren autokratischer Herrscher mißliebige Oppositionelle im Ausland umbringen und gegebenenfalls zersägen läßt …

„Nach Angaben des russischen Finanzministeriums beliefen sich die Öl- und Gaseinnahmen des russischen Bundeshaushalts im Februar 2024 auf 945,6 Milliarden Rubel, einen Monat zuvor, im Januar, lag der Wert bei 675,5 Milliarden.
Das Volumen der zusätzlichen Einnahmen aus dem Öl- und Gashaushalt wird sich im März auf 125,2 Milliarden Rubel belaufen.“

Wirtschaft heute: Vorne Investitionen und Gewinne, hinten Subventionen

DER UMGANG MIT DEN BAUERNPROTESTEN

Zunächst fällt auf, daß die Landwirte bei ihren Protestaktionen, die ja einiges durcheinanderbringen, weitaus sanfter behandelt werden als Klimakleber, Gelbwesten, ganz zu schweigen von G20-Gegnern.

Erstens handelt es sich um einen nicht unwichtigen Teil der Wirtschaft. Wie man an den Energieträgern gesehen hat, gibt es noch andere Faktoren als den quantitativen Beitrag zur Nationalökonomie und zum Wachstum.

Immerhin sorgen die Landwirte zunächst dafür, daß wir etwas zum Essen – und Trinken! – haben.

Bei der Nahrungsaufnahme handelt es sich um ein notwendiges Bedürfnis, das nicht rein durch Import bedient werden kann – selbst wenn man dafür die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung hat, die erst einmal durch andere wirtschaftliche Tätigkeit zustande kommen müssen.

Zweitens baut auf der Landwirtschaft die Lebensmittelindustrie und der Lebensmittelhandel auf, und diese beiden Wirtschaftszweige machen einen bedeutenden Teil des Wachstums und der Beschäftigung der Industrienationen aus, deren Ökonomen auf die Landwirtschaft etwas verächtlich herabblicken.
Die Wirtschaftswissenschaftler in ihrer unendlichen Dummheit, die auf der Fixiertheit auf den Tauschwert beruht, betrachten den Agrarsektor nämlich als einer Art krankes Kind der (potenziellen) blühenden Gewinn-Landschaften, das sie möglichst klein halten möchten.

Schließlich ist klar, daß es sich bei den protestierenden Bauern nicht um „Extremisten“ handelt, mit denen man nach Belieben verfahren kann, sondern das ganze Agrarium und die darauf aufbauenden Wirtschaftszweige relativ geschlossen hinter ihnen stehen.

Das heißt, es gibt nur eine Möglichkeit: ihnen möglichst entgegenzukommen, und das kostet einen Haufen Geld.

Die Forderungen der Bauern kann man in 2 Gruppen zusammenfassen: gesetzliche Regelungen und Subventionen.

1. Umweltauflagen

Nachdem die Landwirtschaft jahre-, jahrzehntelang vor allem unter der Vorgabe gestanden ist, möglichst viel möglichst billig zu produzieren, um das Proletariat mit billigen Lebensmitteln zu versorgen, damit sie mit den vorhandenen Löhnen irgendwie über die Runden kommen, haben sich die Landwirte darauf eingestellt. Die Bauern bzw. Agrarunternehmer, die weiterhin in dem Sektor tätig sein wollten, haben investiert, um genau dieser Vorgabe genügen zu können.

Dazu kam eine Bio-Schiene für das gehobene Publikum, das beim Einkaufen nicht so sehr auf den Preis schauen muß. Die Bio-Bauern sind am erfolgreichsten dort, wo es auch Tourismus gibt und sie ihre Produkte frei Hof verkaufen können. Es ist also weder nach Lage noch nach Betriebsgröße einem jeden möglich, in der Bio-Kategorie mitzuspielen.

Der Rest produziert eben mit viel Treibstoff und Chemie und gegebenenfalls Erntearbeitern aus den ehemals sozialistischen Staaten, die in eher abgefuckten Unterkünften untergebracht werden und deren Ausfall ganze Gemüsesorten vom Markt verschwinden lassen könnte, wie die Pandemie gezeigt hat.

Irgendwie hat sich über das Gesundheitswesen herumgesprochen, daß viele dieser höchst günstig angebotenen Lebensmittel gesellschaftliche Folgekosten haben, die manche Politiker zum Handeln bewogen haben. Dazu kommen noch Tierschutz-Maßnahmen, die bei der Wertegemeinschaft EU hoch im Kurs stehen. Elend verreckte oder mit Unmengen von Antibiotika abgefüllte Tiere werfen abgesehen von den häßlichen Bildern auch die Frage auf, wie viel Gift die ärmeren Gesellschaftsschichten eigentlich vertragen.

Aus einer Mischung aus Tier- und Menschenschutz wurden Umweltauflagen erlassen, die die Investititionen der letzten 2 Jahrzehnte ein Stück weit entwerten und die Masseproduzenten zur Änderung ihrer gesamten Ackerbau- und Viehhaltungspraktiken nötigen würden, was wiederum nur mit beträchtlichen Investitionen überhaupt machbar wäre.

Dazu kommen noch auf der anderen Seite Großhändler, die die Agrarproduzenten möglichst billig abfertigen wollen, weil die infolge Inflation zurückgegangene Kaufkraft ihnen bereits herbe Verluste beschert hat und sie nicht weitere Preissteigerungen dadurch verursachen wollen, daß sie womöglich den Landwirten ihre gestiegenen Kosten angemessen abgelten.

Die Forderungen der Landwirte gehen also einerseits dahin, ihnen nicht gesetzlich Praktiken und Techniken vorschreiben zu wollen, für die sie weder Gerät noch Geld haben.

2. Subventionen

Um die gestiegenen Preise für Treibstoff irgendwie stemmen zu können, verlangen die Bauern eine Verringerung der Mineralölsteuer – zumindest auf Diesel. Das ist aus ihrer Sicht der Dinge durchaus begreiflich, bringt aber den Staat als Steuereintreiber in eine mißliche Lage.

Man kann schwer die Mineralölsteuer nur für Landwirte senken, für den Individualverkehr und die Transportindustrie jedoch bestehen lassen.

Der Staat würde sich also auf einen Schlag um bedeutende Konsumsteuer-Einnahmen bringen, während seine Ausgaben steigen und die Kreditwürdigkeit fast jeden Staates vor allem auf der Wirtschaftsleistung und dem Steueraufkommen beruht.

Auch bei Lebensmitteln wurde EU-weit gefordert, die Mehrwertsteuer zu senken. In manchen Staaten ist diese Maßnahme auch ergriffen worden.

Aber das Senken von Konsumsteuern reißt große Löcher in die staatlichen Budgets. Diese scheinbar alle betreffenden Steuern waren bis zur jetzigen Inflation gar nicht so recht im Bewußtsein der Staatsbürger verankert. Das große Geschrei von „Wir Steuerzahler!“ oder „Meine Steuern!“ bezieht sich nämlich stets auf die Einkommenssteuer, die aber im heutigen Steueraufkommen gar keine so prominente Rolle einnimmt. Die Konsumsteuern oder indirekten Steuern machen jedoch – zumindest in Österreich – die Hälfte des Steueraufkommens aus. Die restliche Hälfte teilen sich Grund- und Körperschaftssteuer, Einkommens- und Kapitalertragssteuer, KFZ- und Hundesteuer, und was es sonst noch alles an direkten Steuern gibt.

Also bleibt als einzige Möglichkeit das Locker-Machen von Geld in Form von Subventionen und Stützungen, wie es ja auch schon bei anderen Sektoren in der Pandemie geübt wurde.

So entsteht langsam ein seltsames Wirtschaftssystem: Vorne wird verkündet, Kapital, Gewinn, Markt und Wachstum seien alles, ohne das wäre die Menschheit heute noch im finsteren Mittelalter.
Bei der Hintertür wird Geld in Kübeln und Gießkannen an verschiedene Sektoren der Wirtschaft ausgeschüttet, von Wohn- und Heizbeihilfen für die Minderbemittelten über Agrarsubventionen und Stützungsgeldern für den Immobiliensektor (werden gerade vehement gefordert) bis hin zu den gewaltigen Bankenrettungspaketen.

Der Staat muß sich mehr und mehr verschulden, damit sich seine Gesellschaft die Marktwirtschaft überhaupt noch leisten kann.

3. Polen

Eine Besonderheit sind die Proteste in Polen. Dort und in anderen osteuropäischen Staaten gingen die Landwirte schon vor einiger Zeit gegen ukrainische Billigimporte auf die Straße. Es folgten die Transportunternehmen gegen billige Konkurrenz aus der Ukraine. Wenn man sporadisch wieder etwas aus Polen hört, so scheinen dort alle Ost-West-Verbindungen permanent blockiert zu sein.

Dazu gehört, daß die abgetretene PiS-Regierung die Landwirtschaft nach Kräften gefördert hat, weil sie Polen auch auf diesem Gebiet zu einem wichtigen Player in der EU machen wollte.

Die jetzige Regierung weiß offenbar nicht, wie sie mit den Bauernprotesten umgehen soll. Das Importverbot gegen ukrainische Agrarimporte zu bekräftigen, ist einerseits gegen die EU-Linie, auf die Tusk & Co. unbedingt einschwenken wollen. Aufheben wollen sie es auch nicht, weil dann wäre endgültig die Hölle los. Hinter den Bauern steht nämlich ein guter Teil des Gewaltapparates und der Bevölkerung, die es nach 2 Jahren satt ist, „für die Ukraine“ Opfer bringen zu müssen.

Zwischen der Ukraine und Polen ist außerdem seit geraumer Zeit kein gutes Einvernehmen – Stichworte Massaker von Wolhynien und stehende Ovationen im kanadischen Parlament für einen der Teilnehmer an ihnen.
Hinzu kommt der für die Ukraine unvorteilhafte Gang des Kriegsverlaufes.

Von Moskau unterwandert?

Ähnlich steht es mit den Subventionen. Die Kaczyński-Regierung hat die Bauern offenbar gestützt. Nach ihrem Abgang stehen ein Haufen Schulden im Raum (u.a. für große Waffenbestellungen in den USA und Südkorea) und die EU betrachtet bestimmte Bereiche mit Argusaugen, um sicher zu gehen, daß jetzt wieder eine EU-konforme Regierung am Ruder ist.
Tusks Mannschaft kann weder die vorherigen Verträge kündigen, noch die Kreditaufnahmen – teilweise in $ –, dazu kommt noch die Energiefrage, die auch nicht gelöst ist, und die Bauern fordern u.a. verbilligten Diesel …

Die EU ist auch praktisch gelähmt angesichts der polnischen Proteste und Blockaden.

1. hat sie in anderen Staaten ein ähnliches Problem. Die sind aber weniger heikel, weil sie keine Anrainerstaaten der Ukraine sind. Die Blockaden betreffen ja direkt die Waffenlieferungen des Westens in die Ukraine. Die müssen praktisch alle durch Polen durch.

2. Die Frage der Subventionen. Die EU hält seit geraumer Zeit wegen Rechtsstaatlichkeit u.a. Geld zurück, das Polen aus den gemeinschaftlichen Töpfen eigentlich zustünde. Seit der Regierungsbildung Tusks wird damit gewunken, dieses Geld auszuzahlen – es ist aber bisher nicht geschehen, warum wohl? Offenbar ist es der neuen Regierung gar nicht so einfach möglich, die Vorgaben der EU zu erfüllen.
Außerdem: Polen hat auf Dollar-Börsen Schulden aufgenommen, um seine Waffenkäufe zu finanzieren. Da sind jede Menge Verbindlichkeiten entstanden, die die jetzige Regierung nicht ignorieren kann.

Mit welchem Geld soll sie also Bauern subventionieren? Woher nehmen und nicht stehlen?

Die Lage wird noch dadurch kompliziert, daß der derzeitige Verteidigungsminister Polens gleichzeitig der Vorsitzende der Bauernpartei PSL ist. Er muß also das Verteidigungsbudget irgendwie zusammenkriegen, kann aber nicht gut gegen die Bauern vorgehen und will das vermutlich auch nicht.

Das alles dürfte auch für feste Spannungen in der Regierungskoalition sorgen. Sie kann weder vor noch zurück.

Landwirtschaft heute

BAUERNPROTESTE

Seit Wochen gehen bzw. besser gesagt fahren die Bauern auf die Straße und protestieren.

Gegen was eigentlich?

Die Berichterstattung über die Ursachen und Ziele der Landwirte, die immerhin für die Lebensmittel in Europa sorgen, ist sehr uninformativ und tendenziös. Vor irgendwelchen möglichen Folgen wird gewarnt – womöglich von rechts mißtbraucht und manipuliert, oh weh, oh weh! –, bezüglich der Ursachen gibt es eine Art Wasserscheu.
Es ist, als hätten die Reporter und Analysten die Befürchtung, bei Fragen nach dem Grund der Unzufriedenheit des Landvolks auf unangenehme Wahrheiten bezüglich Marktwirtschaft, Energiefragen und EU-Außenpolitik zu stoßen.

Straßenblockade in Spanien

1. Landwirtschaft heute

Unter dem Druck der EU-Agrarpolitik und des Lebensmittelhandels haben sich die Landwirte in der EU genötigt gesehen, entweder kräftig zu mechanisieren und zu investieren, oder ihren Beruf an den Nagel zu hängen und sich auf dem freien Arbeitsmarkt um andere Erwerbsmöglichkeiten umzuschauen.

„Weniger Arbeitskräfte leisten immer mehr
Insgesamt sind in Deutschland knapp 1 Million Menschen in der Landwirtschaft beschäftigt – etwa 2 Prozent aller Erwerbstätigen. Zu Anfang des 20. Jahrhunderts sah das noch ganz anders aus. Damals beschäftigte die Landwirtschaft noch rund 38 Prozent der Erwerbstätigen. Seither ist im landwirtschaftlichen Sektor viel passiert. Traktoren, Mähdrescher und andere Maschinen, Hilfsmittel wie Dünger und ⁠Pestizide⁠, aber auch die zunehmende Spezialisierung der Betriebe machten immer mehr Personal entbehrlich.
Seit Beginn der 1990er Jahre hat sich mit dem landwirtschaftlichen Strukturwandel, das heißt der Konzentration der landwirtschaftlichen Tätigkeit auf immer weniger und größere Betriebe, die Zahl der Arbeitskräfte halbiert.“
(Umweltbundesamt Deutschland, 2020)

Die französische Landwirtschaft hat in den letzten Jahren eine Zeit schwerer Störungen durchlaufen, was sich in den starken Ausschlägen der Durchschnittseinkommenskurve landwirtschaftlicher Betriebe widerspiegelt. Aber auch über diese jüngste Instabilität hinaus ist festzustellen, dass das landwirtschaftliche Einkommen mittelfristig (seit 1998) einem Abwärtstrend folgt.“
(Französische Landwirtschaft 2012)

Noch einige Zahlen aus Polen, wo es bereits vorher zu Protesten aufgrund von Getreideimporten gekommen war:

„1996 waren 59% oder za.18,5 Millionen ha der Gesamtfläche Polens von 31,1 Mio. ha landwirtschaftliche Nutzfläche. (…) Von der landwirtschaftlich genutzten Flächen in Polen ist 76% Ackerland, während der entsprechende Wert in den alten EU-Ländern nur 56% ist. (…) Die durchschnittliche Betriebsgröße in Polen liegt auf 8 ha. (zum Vergleich liegt der EU-Durchschnitt von 18,7 ha).“
(Dänische Website von 1996)

„Etwa 13 Prozent der erwerbstätigen Polen arbeiten in der Landwirtschaft (Deutschland etwa 3 Prozent). (…) Die Regierung schätzt, dass die polnische Agrarwirtschaft ohne Probleme um 40 Prozent gesteigert werden kann. (…) Dafür stehen erhebliche Fördermittel zur Verfügung. (…) Polen könnte bis zum Jahr 2025 zu einem der größten Lebensmittelproduzenten in Europa aufsteigen, schätzen Experten.“
Landwirtschaftliches Wochenblatt, 2016)

Innerhalb von 20 Jahren hat sich die Anzahl der Beschäftigten in der Landwirtschaft in Polen also halbiert, in Deutschland ist sie auf ein Drittel geschrumpft.
Die polnischen Regierungen waren sich offenbar aller Differenzen zum Trotz darin einig, in den Agrarsektor investieren zu wollen.

Was heißt hier „Modernisierung“?

Man liest und hört das auch seit einigen Jahrzehnten: Möglichst viel Vieh auf relativ wenig Raum, Agrarchemie noch und nöcher, aber vor allem, was zu den derzeitigen Protesten führt: energieintensive Bewirtschaftung. Mähdrescher und Silage-Verpackungen, Traktoren verschiedener Größe und Einsatzfähigkeit, automatisierte Fütterungs- und Melkmaschinen, eine elaborierte Transportlogistik, usw. usf.
Der Ersatz von Mensch durch Maschine ist mit hohem Energiebedarf verbunden.

Dazu kommt noch, daß im Agrarsektor nach wie vor der Familienbetrieb vorherrscht. Diese Unternehmen praktizieren daher eine Art von Arbeitsregime, in der bezüglich Arbeitszeit, Beanspruchung und Einkommen große Elastizität herrscht.
Die folgende Statistik zeigt, wie sehr der Anteil der Familienmitglieder in den letzten 30 Jahren angestiegen ist, während derjenige der Saisonarbeiter stark zurückgegangen ist.

Auf der anderen Seite sehen sich die Landwirte mit einem Agrarmarkt konfrontiert, wo die Großhändler – wenige Firmen kontrollieren einen Großteil des EU-Agrarmarktes, wie sich bei den Lebensmittelskandalen der letzten Jahre herausgestellt hat – und Handelsketten ständig die Aufkaufpreise drücken wollen und aufgrund ihrer Monopolstellung den Produzenten keine Chance lassen.

Wollen Landwirte auf die Bioschiene umsteigen, wo der Preisdruck geringer ist, so müßten sie viele ihrer Investitionen der letzten Jahre abschreiben, was wegen dafür aufgelaufener Schulden schwer möglich ist, und versuchen, mit Qualität statt Quantität über die Runden zu kommen, was auch gründlich schiefgehen kann, falls Wetter und Klima ihnen bei ihren Berechnungen einen Strich durch die Rechnung machen.

Das war alles schon vor der Pandemie so. Dann kamen noch Schwierigkeiten mit den sogenannten „Erntehelfern“, schlecht bezahlten und untergebrachten Halb-Sklaven aus Osteuropa, mit deren Hilfe sich die Agrarbetriebe in mehreren westeuropäischen Staaten über Wasser gehalten hatten.

Und jetzt die

2. Inflation

In der EU war die Inflationsrate im Dezember 3,4 %, in den einzelnen Mitgliedsstaaten liegt sie laut statista.com zwischen 0,4% (Dänemark) und 7,6 % (Tschechien).
In den Medien wird freudig verkündet, daß das ja ein Fortschritt sei gegenüber den mehr als 10% Inflation im Vorjahr.
Die darin enthaltene weniger frohe Botschaft ist die, daß die Preise seit ca. 2 Jahren in einem fort steigen und damit jeder Mensch für seine Lebensnotwendigkeiten mehr und mehr ablegen muß.
Und zwar ist die derzeitige Inflation dadurch bedingt, daß die Energiepreise seit geraumer Zeit hoch sind und sich das auf alle Güter niederschlägt.

Für die Bauern heißt das einerseits, daß ihre ganzen Kosten steigen, sie dieses aber nicht in dem Maße an die Käufer ihrer Produkte weitergeben können, die ihre gesteigerten Kosten auch nur annähernd decken würde.

Der Lebensmittelhandel kann und will nämlich die Aufkaufpreise nicht erhöhen, weil er die wieder nicht an die Kunden weitergeben kann, dann würde der Endkunde sie nämlich nicht mehr kaufen.

Sodaß die Bauern nur eine Möglichkeit sehen: Der Staat muß einspringen und sie subventionieren, damit sie weiter produzieren können.

Dieses Begehr trifft auf ein Budget, daß für Ukraine-Hilfen und Rüstungsausgaben schon sehr strapaziert wurde, und eine stagnierende bzw. schrumpfende Wirtschaft.

Fortsetzung: Wie diese Bauernproteste besprochen werden

————–

Weiterführende Artikel:

Zum Thema Landwirtschaft:
Suitbert Cechura: Die Fleischindustrie – 2020

Zum Thema Inflation:
Inflation droht!“ – 2012
Der Schrei nach Inflation“ – 2015
Serie Daten und Statistiken, Teil 4“ – 2021