Argentinien, der Weltmarkt und das Welt-Finanzsystem

FLEUNDSCHAFT!

Die argentinische Präsidentin hat sich im Februar dieses Jahres einen Scherz über die chinesische Aussprache erlaubt, der zwar in sozialen Netzen Entrüstung hervorgerufen, die chinesische Führung hingegen völlig kalt gelassen hat. Im System der Eroberung des Weltmarktes durch China, der schrittweisen Aufpäppelung des Yuan zur Weltwährung ist Argentinien ein viel zu wichtiger Baustein, um durch das lose Mundwerk eines etwas ausgeflippten Staatsoberhauptes die gegenseitigen Beziehungen gefährden zu lassen.

Im Juli 2014 wurde durch den Beschluß eines New Yorker Richters der gesamte Schuldendienst Argentiniens, der auf noch unter Néstor Kirchner geschlossenen Vergleichen mit der Mehrheit der Gläubiger beruhten, hinfällig. Noch vor Ende des Monats eröffnete China Argentinien einen Swap-Kredit über 7,5 Milliarden Dollar, der im Herbst 2014 noch erweitert wurde. Dieser Kredit wird in Yuan und Peso abgerechnet, aber nach Bedarf in Dollar ausgezahlt. China stellt damit Argentinien einen Teil seiner Devisenreserven zur Verfügung und nimmt dafür 6% Zins, was auf den heutigen Finanzmärkten ein gutes Geschäft für China bedeutet, aber auch für Argentinien weitaus bessere Konditionen als bei z.B. allen Verträgen vor dem Bankrott 2001 enthält. Argentinien plant dafür u.a. Kraftwerksprojekte, um seine Abhängigkeit von Energie-Importen zu verringern.

Das Besondere an diesem Kredit ist erstens, daß hier eine beträchtliche Summe an den Weltbörsen und dem IWF vorbei verliehen wird.
Zweitens ist zwar der Dollar noch im Spiel, aber nur als eine Art Monopoly-Geld, das Argentinien für Währungspflege und den Handel mit anderen Ländern zur Verfügung gestellt wird.

Der Yuan-Kreditrahmen bezieht sich nämlich drittens auch auf Einkäufe Argentiniens in China – fungiert also gleichzeitig als eine Art Exportstützungs-Kredit für Chinas Industrie. China ist inzwischen nach Brasilien der größte Handelspartner Argentiniens.
Im Rahmen von solchen Krediten, wie sie nicht nur an Argentinien vergeben werden, modernisiert China auch seit Jahren Infrastruktur, wie die Eisenbahnnetze, die unter den Jahrzehnten der IWF-Auflagen überall in Lateinamerika eingestellt wurden oder wirklich auf dem letzten Loch pfiffen:

„80 Milliarden US-Dollar hat China im vergangenen Jahr“ (d.h. 2013) „für Infrastruktur-Projekte in Lateinamerika gegeben, 13 Prozent des Geldes, das das Land weltweit verteilt. Das ist mehr als die Weltbank und die Interamerikanische Entwicklungsbank zusammen an die Region verliehen haben.“ (Die Zeit, 24.5. 2014)

Was heißt das für die Weltwirtschaft? Es heißt, daß wachsende Teile des Weltmarktes den bisherigen Weltwährungen entzogen werden. Sowohl im Handel, als auch in der Sphäre des Finanzkapitals. Im Falle eines schrumpfenden Volumens aufgrund von Rezession bedeutet das echte Einbußen für Dollar und Euro.
Die chinesische Entwicklungsbank als IWF-Konkurrenz des BRICS-Systems kann dabei nicht nur auf verläßliche Handelspartner zurückgreifen und gute Zinsen lukrieren, sondern verschafft der chinesischen Wirtschaft einen mit eigener Zahlungsfähigkeit gestifteten Markt. Gleichzeitig stellt die 6%-Verzinsung auch klar, daß es nicht ratsam ist, die Schulden bei China ins Unermeßliche wachsen zu lassen. Ein EU-Szenario will China nicht, die Kredite sollen auch regelmäßig getilgt werden. Ob und wie sehr sich das bewährt, ist noch nicht heraußen, da das chinesische bzw. BRICS-Kreditierungssystem erst am Anfang steht.

Für Argentinien bedeutet der chinesische Kredit den rettenden Strohhalm, um wieder an internationale Zahlungsmittel zu kommen, für die Wirtschaft unabdingbare Importe tätigen und den Verfall der eigenen Währung bremsen bzw. steuern zu können.
Eine wirkliche Erfolgsstory ist das für Argentinien allerdings nicht. Bisher hat es zwar irgendwie seine Nationalökonomie am Laufen gehalten, ein Wirtschaftswachstum kriegt es jedoch nicht hin, und die Sozialprogramme zur Abfederung des schlimmsten Elends haben nach wie vor den Charakter einer Not- und Hungerhilfe. In einem Land, dessen Haupt-Exportgüter aus Agrarprodukten bestehen, hat ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung Schwierigkeiten, an die notwendigsten Nahrungsmittel heranzukommen.

Außerdem ist Argentinien zu einem großen Drogen-Umschlagplatz geworden, zu einem Transitland für Kokain, zu einem Produzenten und Exporteur von synthetischen Drogen, und darauf aufbauend zu einer großen Geldwäschemaschine für Gelder aus dem Drogenhandel, was wiederum die Bauindustrie beflügelt hat.
Die argentinische Regierung scheint dem nicht wirklich Widerstand entgegensetzen zu wollen – schließlich kommt über diese informelle Ökonomie auch viel Geld ins Land und zirkuliert hier. Das wird von Kritikern im In- und Ausland als Korruption und Bereicherungssucht der herrschenden Elite angeprangert, steht aber in unmittelbarem Zusammenhang mit den trostlosen Alternativen, die der Welthandel Argentinien bietet.

Die Verflechtung der argentinischen und chinesischen Ökonomie ist so bedeutend, daß sich argentinische Ökonomen bereits Sorgen machen, wie die jüngste Abwertung des Yuan Argentiniens Wirtschaft treffen könnte.

Westliche Importware auf den Scheiterhaufen!

LEBENSMITTELVERNICHTUNG
Die Medien, sogar einige russische, vor allem aber westliche, sind empört: In einem Land, wo „22 Millionen Russen unterhalb der Armutsgrenze leben, … wovon 80 % Familien mit Kindern sind,“ (El País, 7.8.) werden doch glatt Lebensmittel in großem Stil vernichtet. Anstatt sie wenigstens Waisenhäusern zu geben. Im Standard wird sogar der „Kommunistenführer“ Gennadij Sjuganow als Kronzeuge des Humanismus zitiert, „der vorschlug, konfiszierte Lebensmittel doch besser an Kirchen, Bedürftige oder die Bevölkerung in den Rebellengebieten im Donbass zu verteilen.“ Sonst wird Sjuganow eher als Politkasperl dargestellt, der außer ein paar Pensionisten kaum Anhänger für seine weltfremde Sowjetnostalgie um sich versammeln kann. Aber hier kommt er als Putin-Kritiker und Menschenfreund gerade recht.
Es ist schon eigenartig: in einem Wirtschaftssystem, in dem klar ist, daß alles auf der Welt nur für den Verkauf hergestellt wird, und wo regelmäßig entrüstete Berichte über die von den Supermärkten weggeworfenen Lebensmittel veröffentlicht werden, ist die Lebensmittelvernichtung in Rußland ein mittlerer Skandal.
Auch daß es in Rußland arme Menschen gibt, wird in diesen Berichten irgendwie als eine weitere Gemeinheit von Putins Regierung hingestellt. Die zunehmende Armut in Griechenland hingegen ist leider leider! marktwirtschaftlich notwendig und geht daher völlig in Ordnung. Selber schuld, hätten sie nicht vorher Party gemacht, jetzt müssen sie die Zeche zahlen.
Seinerzeit, in den 90-er Jahren unter Jelzin, waren Armut und Elend in Rußland kaum Thema in den Leitmedien, sie galten als Ergebnis schmerzlicher, aber unbedingt notwendiger Reformen auf dem Weg zur Marktwirtschaft.
Die russische BBC-Website erinnert zumindest daran, daß z.B. in Frankreich ständig von Bauern Lebensmittel vernichtet werden, um gegen den Verfall der Preise zu protestieren. Daß es in den USA gerade in der Big Depression unter Roosevelt im Rahmen des New Deal massenhaft zur Vernichtung von Lebensmitteln kam.
Diese Lebensmittelvernichtungs-Aktionen dienen einerseits dem Funktionieren des Marktes und der Geschäftskalkulation. Es geht oder ging darum, Landwirtschaft aufrechtzuerhalten, um einen Nährstand zu erhalten. Die Lebensmittelvernichtungen und Stillegungen des New Deal schufen die Grundlage des Agrarkapitalismus in den USA, weil stabile bzw. steigende Lebensmittelpreise den Agrarsektor für das Kapital attraktiv machten.
Vernichtung von Waren, um Preise in die Höhe zu treiben, gehört zum kapitalistischen Geschäft dazu. Die Stillegungsprämien der EU, die die agrarische Produktion drosselten, um nicht bereits produzierte Lebensmittel vernichten zu müssen, dienten auch diesem hohen Ziel.
Bei den Lebensmitteln ist besonders augenfällig, wie sehr jedes Bedürfnis nur vom Standpunkt der Zahlungsfähigkeit interessiert, und gegebenenfalls auch negiert wird, wenn es dem geschäftlichen oder auch dem übergeordneten nationalen Standpunkt zuwiderläuft.
Auch darum geht es in Rußland, aber es geht auch um mehr: es soll klargestellt werden, daß der Entschluß der russischen Regierung, die gegen Rußland verhängten Sanktionen ihrerseits mit Einfuhrverboten zu beantworten, ernst gemeint und unwiderruflich ist. Diese Botschaft soll erstens im Inland vernommen werden – Umdeklarieren und Einschmuggeln von EU-Lebensmitteln ist nicht nur ein Gesetzesverstoß, sondern eine Art Hochverrat. Das wird Importeuren, Grenzbeamten und dem russischen Handelskapital mit diesen Scheiterhäufen und Bulldozer-Plattmachungen zur gefälligen Kenntnisnahme übermittelt.
Zweitens hat diese Aktion auch Adressaten außerhalb der Landesgrenzen: der EU in allen ihren Abteilungen wird hiermit signalisiert, daß Rußland den ihm hingeworfenen Fehdehandschuh aufgehoben und angemessen reagiert hat und daß diese Entscheidung in Kraft bleibt, solange es sich die EU nicht anders überlegt. Die Vernichtung der Lebensmittel hat damit eine ähnliche Aussagekraft wie der Beschluß, Iskander-Raketen nach Kaliningrad zu verlegen und die Ankündigung, die Krim mit Atomwaffen zu verteidigen. Rußland steht zu seinen Interessen, ohne Rücksicht auf die Kosten! – das soll im In- und Ausland verstanden werden.
Damit das auch mit der nötigen Deutlichkeit wahrgenommen wird, wurden neben den russischen Medien auch solche aus der ganzen Welt eingeladen, an diesen Brandopfern teilzunehmen und darüber zu berichten. Vernichtung beschlagnahmter Lebensmittel fand übrigens bisher auch statt – diesmal jedoch wurde sie als demonstrativer Akt mit möglichst großer Öffentlichkeitswirkung inszeniert.
Angesichts dieser Show können alle Putin-Freunde wahrnehmen, daß hier eine politische Führung die Interessen der Nation über alles stellt und ihr dabei die Bedürfnisse der Untertanen ganz gleichgültig sind, und man kann auch sehen, daß die Herrschaft von Markt und Geld in Rußland heimisch geworden ist.

Kontinent oder Weltfriedensmacht?

DIE EU UND EUROPA
Rund um das griechische Schuldendrama und die Verhandlungen wurde warnende Stimmen von Kommentatoren laut. Das Geschimpfe auf die unverantwortlichen Syriza-Politiker wurde zusehends abgelöst von Kritikern der Verhandlungsführung Deutschlands. Und zwar nicht, weil in Griechenland Steuern erhöht und Pensionen gestrichen werden sollen, die Bevölkerung also weiter verarmt wird, sondern weil „Europa“ in Gefahr ist.

Europas Karriere zur Wertegemeinschaft
Europa ist zunächst einmal ein geographischer Begriff. Es bezeichnet einen Kontinent, dessen Trennlinie zu Asien irgendwie zwischen dem Ural und dem Bosporus verläuft. Da gab es nach dem Fall des eisernen Vorhanges Änderungen. So ist nach verschiedenen Lexika heute der höchste Berg Europas nicht mehr der Montblanc, sondern der Elbrus, weil der Kaukasus als neue Grenze genommen wird und nicht mehr das Asowsche Meer.

Der Hunger nach Expansion bereitet sich sozusagen auf diese Art sein Terrain vor, um dann auch mit Georgien – fast schon in Europa – Anschlußverhandlungen führen zu können.
Von der Unschuld der „bloßen“ Geographie hat sich dieser bedeutungsschwangere Ausdruck allerdings schon sehr weit entfernt. „Europa“ ist seit geraumer Zeit, aber vor allem seit der Mauserung der EG zur EU 1991/92 ein imperialistischer Anspruch, der sich sehen lassen kann: Hier meldete sich ein rund um das wiedervereinigte Deutschland gegründetes Staatenbündnis auf der Weltbühne und verkündete bei verschiedensten Gelegenheiten, in der ganz obersten Liga der Weltmächte mitspielen zu wollen.

Nach der Logik, daß soviel Hunger nach Macht und der erklärte Wille, alles dafür zu tun, sehr ehrenwert ist, hat das Nobelpreiskomitee 2012 der EU den Friedenspreis verliehen. Es sollte damit gewürdigt werden, daß die Staaten Europas in absehbarer Zeit nicht aufeinander losgehen wollen. Diese Gefahr war zwar in den letzten Jahrzehnten gering, aber der Vorsatz, gemeinsam die Welt für den europäischen Einfluß durch Handel und Wandel erobern zu wollen und sich dort mit allen Mitteln Respekt zu verschaffen, erschien den Komitee-Mitgliedern ausgesprochen lobenswert.

Auf diesen Anspruch, die Welt erobern zu wollen – der zu keiner Zeit geheimgehalten wurde und sich in letzter Zeit u.a. durch recht aggressives Drängen auf Assoziationsverträge manifestiert hat – gesellt sich natürlich ein Sammelsurium höherer Werte, mit denen sich diese Staatengemeinschaft schmückt. Die EU ist der Hort der Menschenrechte, des Guten, Wahren und Schönen, ist unheimlich tolerant gegenüber Homosexuellen und läßt sich bei Frauenrechten nicht lumpen. Ein geförderter und gepushter Kulturzirkus, zu dem Österreich so Lichtblicke wie Elfriede Jelinek und Conchita Wurst beitragen durfte, dient der steten Beschwörung und Bebilderung dieser humanistischen Nebelgranaten.

Eine seltsame Spaltung in Rechts und Links hat sich angesichts dieses tollen Angebots gebildet. Ein rechtes, nationalistisch ausgerichtetes Lager, dem dieser Liberalismus entschieden zu weit geht und auch gar nicht genug zur Größe der eigenen Nation beiträgt. Und ein linkes, kosmopolitisches, das in echt wasserdicht-idealistischer Manier jede unerfreuliche Handlung der EU als „Versäumnis“, „gegen den Geist der EU“, „Versagen“, ja gar anklagend „Schande!“ interpretiert und gerade aus dieser sich kritisch gebärdenden Haltung von sich und allen anderen ein unbedingtes Bekenntnis zur EU abverlangt: ein „trotz alledem!“, ohne auch nur einen Grund dafür angeben zu können.

Hannibal ante portas!
Anläßlich der Griechenland-Verhandlungen hat sich die Absurdität dieser Rechts-Links-Polarisierung wieder einmal deutlich gezeigt. Während die rechten, die EU ablehnenden Parteien einen Grexit und ein Abdrehen der Kreditstützungen für Griechenland forderten, – was dem Ende der EU gleichkäme –, so hebt in den Reihen der EU-Fans ein Gejammer an, wie böse die Deutschen und die Eurogruppe überhaupt über die griechischen Anliegen drübergefahren seien und wie sehr sie dadurch die EU in Gefahr bringen. Griechenland gehört doch zu Europa! – als ob Merkel und Schäuble mit einer großen Stichsäge angerückt wären, um Griechenland vom Kontinent abzusägen.

Niemandem fällt bei dieser Europa-Duselei ein, daß es ja auf dem zweifellos zu Europa gehörenden Balkan einige Länder gibt, die nicht zur EU gehören und auf die – und deren Bewohner! – die EU auch gar nicht neugierig ist, wie zum Beispiel Kosovo.

Bei diesen händeringenden Gutmenschen fällt auch gar nicht ins Gewicht, daß die Bedingungen für das neue Kreditstützungsprogramm härter sind als die für das vorige, daß es Griechenland keine Perspektive einer Besserung bietet und alle Bedingungen für einen endgültigen Crash sowohl der griechischen Wirtschaft als auch derjenigen der Eurozone enthält. Die Folgen vor Ort treten völlig in den Hintergrund angesichts des Image-Schadens, den dieses imperialistische Bündnis erlitten hat, das seinerzeit angetreten ist, um dem Dollar Konkurrenz zu machen.

Es ist eine bemerkenswerte Demonstration der Untertänigkeit, die diverse Meinungsmacher und Intellektuelle einem da in Wort und Schrift ins Haus liefern. Die eigene gute Herrschaft ist in Gefahr, oh Schreck oh Graus!

Das einzige, was inzwischen die Kommentatoren interessiert, sind Fragen der folgenden Art: schafft es Syriza, diese Bedingungen durchs Parlament zu bringen? Raufen sich die Euro-Gruppen-Mitglieder wieder zusammen, und das Allerwichtigste: hoffentlich können die Rechten aus diesen Zerwürfnissen kein Kapital schlagen und unsere schöne EU zerlegen!