Die Schulden der Ukraine

EIN FASS OHNE BODEN?
Kurz nach dem Triumphgeschrei der Medien über den Sturz der Regierung Janukowitsch und der Einsetzung der neuen Hampelmänner, die jetzt als „Regierung“ gehandelt werden, obwohl sie diesen Namen nicht verdienen, machte die Botschaft, die Ukraine sei praktisch pleite, die Runde. Sie benötige dringend einen IWF-Kredit, um ihren Zahlungsverpflichtungen nachkommen zu können.
Sofort drängen sich Fragen auf: Bei wem sind diese Zahlungsverpflichtungen aufgelaufen? Wer sind die Gläubiger der Ukraine? Wann, wie ist diese Schuld entstanden?
Man hörte dann nicht mehr viel von dem Thema.
Der IWF gewährte der Ukraine angeblich seit 1994 Kredite. Über diejenigen der 90er Jahre findet man wenig Information. Dennoch war ihre Gewährung an die „Politik des knappen Geldes“ gebunden und hatte zur Folge, daß in vielen Sektoren der Ökonomie und der Beamtenschaft jahrelang keine Gehälter gezahlt wurden, bevorzugtermaßen in den russischsprachigen Gebieten der Ukraine, wo die Identifikation mit der Regierung in Kiew von Anfang an gering bzw. inexistent war.
Ein Streik der Bergleute im Donbass 1996 für die Zahlung der ausstehenden Löhne wurde unter dem Ministerpräsidenten Lasarenko zu einem Akt des Landesverrates erklärt und durch Militäreinsatz beendet. Ebendieser Pawlo Lasarenko floh schließlich in die USA, wo er wegen Korruption und Geldwäsche zu einigen Jahren Haft verurteilt wurde. Vermutlich stehen die Vorwürfe gegen Lasarenko im Zusammenhang mit erhaltenen Krediten, die in private Taschen wanderten – ob vom IWF oder anderen Institutionen, weiß man nicht.
Überhaupt umgibt die gesamte Staatsschuld der Ukraine der Flair eines Mysteriums. Weder ihre Höhe noch ihre Herkunft ist bekannt. Generell läßt sich sagen, und das mußte auch der IWF erfahren, daß die Gelder weder widmungsgemäß verwendet, noch die Bedingungen der Vergabe eingehalten werden. Das hat mit der zerstörerischen Wirkung dieser Bedingungen sowie mit rasch wechselnden Koalitionen und Rotationen von Ministern zu tun – die jeweils nur kurzfristig tätigen Amtsinhaber sahen sich an die Verträge, die ihre Vorgänger unterschrieben hatten, nicht gebunden. Besonders augenfällig war das beim IWF-Kredit von 2008:
„2008 gewährte der IWF eine Kreditlinie über 17 Milliarden Dollar und setzte Bedingungen: Freigabe des Kurses der Landeswährung Hrywnja, Streichung von Staatsausgaben und eine Anhebung der inländischen Gaspreise. Das IWF-Geld floss, doch das Reformprogramm »lief rasch aus der Spur«, so ein IWF-Bericht. Kaum eine seiner Forderungen wurde erfüllt. Denn sie waren unpopulär: Die Freigabe der Hrywnja hätte eine deutliche Abwertung der Währung bedeutet. Importe würden dadurch teurer. Zudem hatten viele Ukrainer Kredite in Auslandswährung aufgenommen, deren Rückzahlung mit der Abwertung viel teurer würde.“ (Frankfurter Rundschau, 9.3.)
Damals waren noch die inzwischen zerstrittenen Lichtgestalten Timoschenko und Juschtschenko, die durch die „Orange Revolution“ an die Macht gekommen waren, im Amt. Die IWF-Verhandler hofften offenbar, bei einer solchen prowestlichen Führung endlich Vertragssicherheit zu haben. Aber das Gegenteil war der Fall. Zögerliche Versuche, die IWF-Bedingungen umzusetzen, hatten den Abgang beider von der politischen Bühne zur Folge, und die an die Macht gekommene Partei der Regionen sah sich an das Verelendungsprogramm, das der IWF verordnet hatte, nicht gebunden.
Jedenfalls beginnt mit dem IWF-Kredit von 2008 – nach den offiziellen Zahlen – eine rasante Verschuldung der Ukraine, weil ihr dieser Kredit die Tore zu den Finanzmärkten öffnete. Von 6,3 Milliarden € im Jahr 2007 stieg sie bis 2013 auf 43,7 Mrd. €.
Der Versuch, einen neuerlichen IWF-Kredit auszuhandeln, und die Bedingungen, die er enthielt, sollen nach Aussage des damaligen Ministerpräsidenten Mykola Azarow der letzte Tropfen gewesen sein, der das Faß zum Überlaufen brachte und die Regierung bewog, sowohl die Verhandlungen mit dem IWF abzubrechen, als auch von der Unterzeichnung des Assoziationsabkommens mit der EU zurückzutreten. (New York Times, 22.11. 2013)
Die Pleite wurde inzwischen abgewendet und die Gläubiger, die mehrheitlich im Westen sitzen, können aufatmen:
„Der IWF will der Ukraine einen Kredit zwischen 14 und 18 Milliarden Dollar (rund 10 bis 13 Milliarden Euro) gewähren. Das teilte der Währungsfonds nach tagelangen Verhandlungen mit der Kiewer Regierung mit. Eigentlich hatte die Ukraine sogar auf bis zu 20 Milliarden Dollar gehofft. Der genaue Betrag werde festgelegt, wenn die ukrainischen Behörden ihre Bedürfnisse präzisiert hätten und geklärt sei, welche anderen Hilfen das Land bekommen werde, so der IWF. Im Gegenzug muss die Regierung in Kiew umfassende Wirtschaftsreformen im Land anpacken.“ (Tagesschau, 27.3.)
Es kann jedoch den Verhandlern von IWF und auch denen der EU nicht ganz entgangen sein, daß die derzeitigen Hampelmänner in Kiew sich nicht einmal in den Straßen Kiews Respekt verschaffen können, geschweige denn im Rest des Landes, und ihre Unterschrift unter irgendwelche Verträge daher nichts wert ist.
In diesem Zusammenhang ist folgende Meldung interessant:
„Goldreserven der Ukraine wurden in die USA transportiert. Das ukrainische Nachrichtenportal Iskra-News berichtet, dass die Goldreserven der Ukraine in die USA geflogen worden seien. Laut einem Augenzeugenbericht sei entsprechende Ware am Kiewer Flughafen Borispol auf eine Frachtmaschine verladen worden … Iskra-News erklärte zudem, dass man von einem leitenden Regierungsbeamten die Information erhalten habe, dass auf Befehl der »neuen Führung« in der Ukraine, alle Goldreserven des Landes in die USA geliefert worden seien. Die Goldreserven der Ukraine werden im jüngsten Bericht des World Gold Council mit 42,3 Tonnen beziffert. Das entspricht einem aktuellen Marktwert von 1,3 Milliarden Euro.“ (Goldreporter, 10.3.)
Soweit es ging, haben sich also die maßgeblichen Autoritäten die größtmögliche Sicherheit verschafft, bevor sie irgendwelche Zusagen gegeben haben. Der Goldschatz der Ukraine wurde eingesteckt, um westliche Gläubiger zu befriedigen. Es ist sogar wahrscheinlich, daß der IWF selber zu denjenigen Gläubigern gehört, deren Schuld unbedingt bedient werden mußte, um nicht seine Glaubwürdigkeit als Garant des Kredites einzubüßen. Mit einer Pleite der Ukraine hätte das ganze Weltwährungssystem gewackelt.
Auch wenn die ukrainische Pseudoregierung stürzt, es zu Bürgerkrieg kommen sollte, das Land geteilt wird, usw. – die Schuld wird bleiben:
„Die Staatsschuld, d.h. die Veräußerung des Staats – ob despotisch, konstitutionell oder republikanisch – drückt der kapitalistischen Ära ihren Stempel auf. Der einzige Teil des sogenannten Nationalreichtums, der wirklich in den Gesamtbesitz der modernen Völker eingeht, ist – ihre Staatsschuld. Daher ganz konsequent die moderne Doktrin, daß ein Volk um so reicher wird, je tiefer es sich verschuldet. Der öffentliche Kredit wird zum Credo des Kapitals. Und mit dem Entstehen der Staatsverschuldung tritt an die Stelle der Sünde gegen den heiligen Geist, für die keine Verzeihung ist, der Treubruch an der Staatsschuld.“ (Karl Marx, Das Kapital I, 24. Kapitel, S 782-783)

Erfolgsmeldung der Woche

GRIECHENLAND IST ZURÜCK AN DEN MÄRKTEN!
Um Griechenland war es in letzter Zeit recht ruhig. Keine Demos, keine Gewalttätigkeiten der Rechtsradikalen, keine ökonomischen Katastrophenmeldungen, keine Regierungskrise. Hin uns wieder ein Elendsreport. Der Eindruck war der: Griechenland wurde verarmt, und hat sich als eine der neuen Elendszonen Europas stabilisiert. Ein paar Urlaubsparadiese, Obst- und Olivenplantagen werden weiter betrieben, der Rest des Landes gammelt vor sich hin. Und das Allerwichtigste: Den Euro gefährdet das griechische Elend genausowenig wie das zypriotische Bank-Abspeckungsprogramm.
Mit diesem Erfolg waren aber die ehrgeizigen Betreiber – IWF und EU-Spitze – des griechischen Sanierungsprogrammes nicht zufrieden. „Sanierung“ heißt, daß dieser Staat doch gefälligst wieder etwas zu Wachstum und Euro-Erfolg beizutragen habe, sonst wirft er ein schlechtes Licht auf die Sanierer selbst. Der IWF und die EU selbst werden „unglaubwürdig“, wenn sich dort eine Dauerbaustelle etabliert.
Soweit zum Umfeld der letzten Begebenheiten. Es ist nicht, daß sich in Griechenland selbst etwas geändert hätte, sondern im Interesse des Gesamtkunstwerkes EU mußte Griechenland für etwas herhalten, was Vertrauen in dieses Staatenbündnis schafft.
Um so mehr, als an anderen Fronten derzeit große Aufgaben anstehen, und die EU an dem Brocken Ukraine würgt, den sie sich unbedingt einverleiben wollte und will. Griechenland wurde also präpariert, um die Selbstheilungskräfte der EU, das „Greifen“ ihrer Maßnahmen zu demonstrieren.
Die griechische Regierung selbst braucht natürlich auch dringend ein Erfolgserlebnis, wenn sie ihre Verarmungspolitik irgendwie rechtfertigen will. Inzwischen hat sich ja herausgestellt, daß überall in Europa die Bevölkerung mehrheitlich die Argumentation zu teilen scheint, daß man „den Gürtel enger schnallen“, also das Platzen von Illusionen über persönlichen Wohlstand akzeptieren muß, um die „Märkte“, also das Finanzkapital, zu befriedigen. Aber irgend so einen Demonstrationseffekt braucht die griechische Regierung scheints auch, und seis auch nur, um bei künftigen Wahlen gegen ihre Rivalen zu punkten.
Das war einmal das Interesse derer, die die Anleihe begeben ließen.
Am Tag nach dem Event überboten sich die Zeitungen vor Jubelgeschrei. Im Grunde war es eine Reuters-Meldung, die alle übernahmen und leicht abänderten, damit die Kopie nicht ganz so auffällig ist.
„Rückkehr an den Kapitalmarkt: Anleger überschütten Griechenland mit Milliarden“ (Spiegel), „Investoren lieben Griechenland. Griechenland feiert seine Rückkehr an den Kapitalmarkt“ (Handelsblatt), „Griechenland feiert vier Jahre nach dem ersten Hilferuf an die EU eine erfolgreiche Rückkehr an den Kapitalmarkt“ (FAZ), „Griechenland-Anleihe: Investorenandrang riesig“ (Standard), „Investoren reißen sich um griechische Anleihen“ (Zeit), usw. usf.
Daß es sich hierbei um eine Auftragsarbeit an die Medien handelt, der alle folgsam nachkommen, ist offensichtlich. Man merkt auch, daß der große Zirkus um diese Anleihe der erwünschte Effekt ist, daß es also nicht um Griechenland und seine Schuldenprobleme, geschweige denn das Elend seiner Bevölkerung geht.
Das gleiche Handelsblatt legte einen Tag später einen ganz anderen Tonfall an den Tag:
„Am Tag nach der erfolgreichen Platzierung einer Anleihe ist die Euphorie über das Comeback Griechenlands am Kapitalmarkt wieder verpufft. Anleger warfen Bonds des Mittelmeer-Anrainers am Freitag wieder aus ihren Depots. Daraufhin stieg die Rendite der richtungsweisenden zehnjährigen Titel auf 6,333 Prozent von 5,858 Prozent am Vortag.“ (HB, 11.4.)
Man erfährt weiter: Griechenland verkaufte 5-jährige Titel in der Höhe von 3 Milliarden Euro zu 4, 75 %. „Das Angebot sei »mindestens acht Mal überboten« worden, frohlockte der griechische Vizeministerpräsident Evangelos Venizelos im griechischen Fernsehen. Der Zinssatz falle niedriger aus, als man ursprünglich erwartet hätte. Die Reaktion der Märkte sei „ermutigend“, sagte Venizelos.“ Man fragt sich, warum Griechenland dann nicht mehr Anleihen begeben hat. Offenbar wollte es seine Staatsschuld nicht weiter erhöhen, weil sich damit auch die Probleme mit der Bedienung der Schuld erhöht hätten:
„Bei ihrem Renditehunger sehen Investoren darüber hinweg, wie dramatisch die Lage Griechenlands weiter ist. Die Staatsverschuldung liegt bei 330 Mrd. Euro. Das sind mehr als 175 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Das Niveau liegt noch über dem Niveau von vor der letzten Umschuldung aus dem Jahr 2012, als es bei 156 Prozent gelegen hatte. Üblicherweise sinkt nach Umschuldungen von Staatsanleihen die Verschuldung im Verhältnis zum BIPs. Nicht so im Falle Griechenland. Das zeigt, dass Griechenland sich von bisherigen Umschuldungen in anderen Ländern deutlich abhebt. »Bei diesem Schuldenniveaus erscheint die Nachhaltigkeit der öffentlichen Schulden weiter zweifelhaft, es sei denn man unterstellt ein starkes nominelles Wachstum der Wirtschaft«, schrieben die Analysten der Citigroup zur Lage in Griechenland. Die Troika geht derzeit für 2014 aber von einem nominalen Wachstum von lediglich 0,5 Prozent aus.“ (Finanzen 100, 14.4.)
Man weiß eigentlich nicht, wie Griechenland diese Anleihe bedienen wird, aber vermutlich auch mit Hilfe des ESF oder dergleichen.
Wie schauts aus mit mit dem Interesse derer, die sie kauften?
„Die Emission wurde von der Bank of America Merrill Lynch, der Deutschen Bank, Goldman Sachs, HSBC, JP Morgan und Morgan Stanley organisiert, die die Anleihen direkt bei Großinvestoren untergebracht haben.“ (HB, 11.4.)
Man hat also nichts anbrennen lassen und bewährte Profis eingesetzt, die schon einemal einen Haufen Anleihen selber zeichnen, wenn die Nachfrage flau sein sollte, vermutlich mit Abkaufgarantie von der EZB.
„Nach den Gründen, warum Investoren nach Zinsen von fünf Prozent gieren, muss man angesichts der Nullzinspolitik von EZB-Chef Mario Draghi nicht lange suchen. Denn die Verzinsung für deutsche Staatsanleihen mit einer Laufzeit von fünf Jahren liegt bei lediglich 0,6 Prozent. Da sind griechische Anleihen verständlicherweise heiß begehrt.“ (Finanzen 100, 14.4.)
Allerdings vermutlich auch nur deshalb, weil man sie schnell wieder irgendwohin mit Aufschlag loswerden kann. Weil wohin warfen die Investoren die Anleihen denn aus ihren Depots? Doch nur wohin, wo sie einen Gewinn machen, also einen höheren Preis erzielten. Der erste Verdächtige ist auch hier die EZB, die so lächerliche Sümmchen wie 3 Milliarden plus Zinsen aus der Kaffeekasse begleicht.
IWF und EU haben mit Hilfe der großen Finanzinstitute der Welt ein Theater vorgespielt. Die Frage ist nur, für welches Publikum. Die Finanzwelt weiß, worum es geht und hat mitgespielt. Es sind offenbar die Menschen da draußen auf der Straße, die mit dergleichen Schmarrn für dumm verkauft werden sollen.

Folgen der „Aktion Zypern“

MÖGLICHE HINTERGRÜNDE UND ERGEBNISSE DER ZERSCHLAGUNG DES GESCHÄFTSMODELLS VON ZYPERN
Voriges Frühjahr wurde der Staatskredit und Banksektor Zyperns mit großem Getöse unter dem Titel „Eurorettung“ ruiniert. Was hatte das eigentlich für Folgen? Auf für die europäischen Medien ganz typische Weise hört man nämlich seit geraumer Zeit nichts mehr von Zypern.
Man rekapituliere: Im Zuge der Rettung des Staatskredits, also der Verhinderung einer Zahlungsunfähigkeit Zyperns wurde die eine große zypriotische Bank, die Laiki Bank/Volksbank, abgewickelt, d.h. aufgelöst. Ihre Einlagen wanderten zur zweiten Bank, der Bank of Cyprus, die auch die gesamten Außenstände der Laiki Bank übernehmen mußte, die sich auf 9 Milliarden Euro belaufen:
„Die zypriotische Laiki-Bank hatte viele Filialen in Griechenland. Als griechische Kunden massenhaft Geld von der Laiki-Bank abhoben, glich die Europäische Zentralbank den Verlust mit Notfallkrediten in Höhe von neun Milliarden Euro aus. »Neun Milliarden Euro Schulden, das ist ein Riesenbetrag verglichen mit unserem Bruttoinlandsprodukt von 17 Milliarden Euro. … « erklärt der Finanzprofessor Michaelis.“ ARD, 3.4. 2013
Die 17 Milliarden waren aber das BIP vor der Ruinierung des Banksektors. Auf dieses BIP wird Zypern in absehbarer Zeit nicht kommen.
Wieviel Geld tatsächlich hinübergeschoben wurde, um die korrekte Bedienung der zypriotischen Staatsschuld sicherzustellen, ist nicht ganz klar. Kolportiert wurden verschiedene Summen:
„Laut einem Dokument der EU-Kommission kostet die Rettungsaktion 23 statt 17 Milliarden Euro, Zypern selbst soll 13 Milliarden Euro beisteuern.“ Die Presse, 10.4. 3013
Alle Besitzer von Einlagen von mehr als 100.000 € wurden zur Kasse gebeten – in welchem Umfang, ist auch nicht klar. 100%? 50%? Individuell angepaßt? Manche der so geschröpften Einlagenbesitzer konnten ihre Einlagen in Eigentumstitel der Bank umwandeln, sodaß die Bank of Cyprus jetzt auch russische und ukrainische Mitbesitzer hat.
Der zypriotische Banksektor ist ein direktes Ergebnis des 1975 ausgebrochenen Bürgerkriegs im Libanon. Als die „Schweiz des Nahen Ostens“ unter den Gewehrsalven und Granaten christlicher und schiitischer Milizen, Palästinensern und israelischer Invasionstruppen zusammenkrachte, flüchteten die dort investierten Gelder, vor allem Petrodollars, nach Zypern, das sie bereitwillig aufnahm. Der zypriotische Banksektor, der sich ausschließlich auf den griechischen Teil der Insel konzentrierte, war ein Katalysator für die Teilung der Insel und deren Aufrechterhaltung. Die mit der Zeit auf fetten Safes sitzenden Zyperngriechen wollten mit den türkischstämmigen Ziegenhirten und Basarhändlern möglichst wenig zu tun haben. Das solchermaßen mit der Zeit ausgebaute Banken- und Investmentsystem bewährte sich noch einmal in der Zeit nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, als die zu Geld gekommenen Glücksritter und Oligarchen ihre frisch erworbenen Vermögen irgendwo parken und in Weltgeld anlegen wollten. Zypern wurde zu einer Art Tunnel für die Kapitalflucht aus den ehemals sozialistischen Ländern. Dank der rechtlichen Grauzone in diesen Transformationsstaaten, wo Kapital nur auf verschlungenen Wegen und unter Einsatz aller Mittel erworben werden konnte, hatte dieses Geld immer etwas Anrüchiges an sich. Das störte aber niemanden in der EU, als der Beitritt Zyperns zu EU und Eurozone als Mittel diente, die Besitzer dieser dort geparkten Kapitalien als Investoren in die EU zu locken, und das starke zypriotische Pfund zur Stützung des Euro demselben einzuverleiben.
Wer sind jetzt – nach Ländern aufgeteilt – alles die Geschädigten bzw. Betroffenen der Aktion vom Frühjahr? Man kann nur aus den spärlichen Informationen mutmaßen und schlußfolgern.
1. Zypern
Laut ARD-Bericht vom April 2013 hing jeder zweite Arbeitsplatz in Zypern direkt am Banksektor. Die gesamte Bautätigkeit auf der Insel beruhte auf dem reichlich fließenden Hypothekarkredit und wurde seit dem Frühjahr großflächig eingestellt. Ein übriges taten auch die Kapitalverkehrsbeschränkungen, die zwar die Kapitalflucht stoppen sollten, aber auch das Hereinkommen von Geld und Kredit erschweren bis verunmöglichen. Bankgeschäft, Handel, Bautätigkeit wurden auf einen Bruchteil des vorigen Volumens heruntergefahren, auch Fischfang und Tourismus sind notgedrungen vom Rückgang der Zahlungsfähigkeit und dem versiegten Kredit betroffen. Außerdem gehörten zu den Mehr-als-100.000-Euro-Einlegern auch zypriotische (und vielleicht auch nicht-zypriotische) Pensionsfonds. Die Auswirkungen der Banken-Ruinierung auf das zypriotische Pensionssystem sind noch nicht absehbar, oder werden zumindest nicht an die große Glocke gehängt.
2. Großbritannien
Wem gehörten die großen zypriotischen Banken, und vielleicht auch kleinere? Zypern war von 1914 bis 1960 britische Kolonie und beherbergt bis heute zwei exterritoriale britische Militärbasen. Außerdem ist die Haupt-Drehscheibe für Petrodollars die Londoner City. Es gibt also gute Gründe anzunehmen, daß im zypriotischen Banksektor britisches Kapital – sowohl in Form von Aktienbeteiligungen an Banken als auch in Form von Einlagen-Vermögen – veranlagt war. Im Zuge der Banken-Umstrukturierung sind also sicherlich die Telefone zwischen London und Brüssel, Berlin usw. heißgelaufen. Ein großer Teil der Einlagen wurde jedenfalls, als die Banken in Zypern bereits geschlossen waren, über die weiterhin geöffneten Londoner Filialen der Laiki Bank und der Bank of Cyprus von Zypern abgezogen.
3. Rußland
Für die russische Geschäftswelt war Zypern bekanntermaßen ein wichtiger Zwischenstopp für russisches Kapital, das sich damit in eine Weltwährung begab, um dann entweder weiter in die westliche Welt zu wandern, oder aber als ausländisches Kapital verkleidet wieder in Rußland selbst investiert zu werden. Dieses russische Geld war der Haupt-Aufhänger, mit dem die EU ihre Enteignungsaktion in Zypern begründete. Die EU stellte sich damit als Vertreter einer Art universeller Gerechtigkeit dar, indem sie sowieso illegal erworbenes Vermögen konfiszierte. Das war erstens ein gewaltiger Affront gegenüber Rußland, das damit zu einer Art ökonomischem Schurkenstaat erklärt wurde, und das Vermögen seiner Bürger zu vogelfreiem Gut, das von jedem ehrbaren Staat eingezogen werden kann.
4. … und andere
Zweitens aber wurde damit der Umstand verdeckt, daß sich jede Menge sonstiges internationales Kapital in den Büchern der zypriotischen Banken befand, das im Prinzip gleichermaßen – entgegen allen bisherigen Gepflogenheiten der Bankenwelt und der EU-Politik – einkassiert werden sollte. Das betraf sowohl Kapital aus EU-Staaten als solches aus Nicht-EU-Staaten. Auch hier sind vermutlich verschiedene Telefone heißgelaufen, mit Israel, den Golfstaaten, anderen GUS-Staaten, und einer unbekannten Anzahl von EU-Mitgliedsstaaten.
Die geöffneten Londoner Bankfilialen waren also ein Ventil, mit dem die Empörung über die Enteignung irgendwie kanalisiert und die Enteignung selbst verhindert wurde. Wer wieviel dort abgezogen hat, ist auch unbekannt, und man weiß auch nicht, wieviel überhaupt noch in den zypriotischen Banken verblieben ist und als Gegengewicht der Kreditstützung Zyperns verwendet werden konnte.
5. Die Ukraine
Die aufgrund der im Vergleich zu Rußland mangelnder Geschäftsgelegenheiten und Rohstoffvorkommen bescheideneren ukrainischen Vermögen, die in Zypern veranlagt wurden, waren zwar nie ein Thema in der Presse. Es ist aber durchaus möglich, daß die ukrainischen Oligarchen gutgläubiger waren, ihr Geld nicht rechtzeitig abgezogen haben und deshalb kräftig Federn lassen mußten. Die mangelnde Begeisterung der ukrainischen Elite für das Assoziationsabkommen mit der EU muß auch vor diesem Hintergrund betrachtet werden. Erstens war überhaupt das Bedürfnis, sich der überlegenen EU-Konkurrenz auszusetzen, von Haus aus gering. Zweitens aber mußten die ukrainischen Unternehmer feststellen, daß ihr Geld in der EU nicht sicher ist: es wird als Eigentum nicht respektiert. Genau in diese Kerbe schlugen auch Äußerungen im österreichischen Fernsehen in den letzten Tagen, gegebenenfalls ukrainisches Vermögen in Österreich zu beschlagnahmen, wenn die ukrainische Regierung sich gegenüber den Anmaßungen der EU nicht gefügig zeigen sollte.
6. Serbien
Für Serbien zur Zeit der Blockade war Zypern eine essentielle Offshore-Destination. Die aus Schmuggel erlösten Gelder wurden in Zypern geparkt und für Einkäufe von für das Funktionieren der serbisch-jugoslawischen Ökonomie (damals gehörten dazu noch der Kosovo und Montenegro) unverzichtbaren Gütern, vor allem für Ölimporte, verwendet. Das Geld wurde in Koffern nach Zypern transportiert und dort bei den Banken eingezahlt. Von dort wurde es irgendwie für Schmuggel-Importe eigesetzt, vermutlich über Überweisungen an griechische Banken. Der zypriotischen und griechischen Bankiers halfen also der Milosevic-Regierung, die Blockade auszuhalten.
Laut Auskunft eines serbischen Antikorruptions-Jägers sollen nach dem Sturz Milosevics 18 Milliarden Euro von der Nachfolgeregierung aus Zypern abgezogen und bei der Hypo Alpe Adria veranlagt worden sein. (Wirtschaftsblatt, 6.12. 2013) Wenn das stimmt, Pech gehabt. Von enem sinkenden Schiff auf das andere umgepackt. Vermutlich blieb aber immer noch weiteres Geld in Zypern, oder aber die Hypo AA diente nur als Zwischenlager, um dieses Geld sozusagen reingewaschen wieder nach Zypern zu transportieren. Es ist jedenfalls auffällig, daß die serbische Regierung, die eine Koalition zweier seinerzeitiger Anti-EU-Parteien ist, seit dem Frühjahr 2013 einen völligen Schwenk vollzogen hat und alles unternimmt, um in die EU aufgenommen zu werden.
Fazit
Die Aktion der Banken-Umstrukturierung bzw. -Ruinierung in Zypern hat also eminente ökonomische und politische Dimensionen. Mit ihr wurde klargestellt, daß Kredit innerhalb der EU von Brüssel her politisch beglaubigt sein muß. Keine Bank, kein Staat hat mehr Kredit, wenn er nicht bei der Zentrale nachgefragt hat, ob dieser dort genehm ist. Es ist also ein gewaltiger Eingriff in die Souveränität der EU-Mitgliedsstaaten.
Weiters wurden auch einige Neuerungen in Sachen Recht und Eigentum vorgenommen. Das Privateigentum als solches existiert nur, weil die überlegene Gewalt des Staates es garantiert. Ab jetzt ist aber klar, daß nicht jedes Eigentum gesichert ist. Die Staatengemeinschaft EU, und da ihre potenteren Mitglieder, entscheiden, welches Eigentum rechtmäßig ist und welches nicht. Erstens gibt es Staaten, wo das Eigentum der Bürger weniger gilt als das anderer. Zweitens ist auch das Eigentum der EU-Bürger nicht mehr sicher. Einlagen können im Prinzip jederzeit eingezogen werden – wer sein Geld in die falsche Bank legt, riskiert, es zu verlieren. Und was die „falsche“ Bank war, stellt sich erst im Nachhinein heraus, wenn es schon zu spät ist. Außerdem kann Eigentum auch sehr leicht zu illegal erworbenem erklärt werden, wenn man sich der Steuerhinterziehung schuldig gemacht oder sonst irgendeinen Fehler begangen hat, wobei auch hier nicht sicher ist, was einem alles als Steuerhinterziehung oder Fehler angekreidet werden kann.
Was wirklich bemerkenswert ist, ist der Umstand, daß alle diese Klarstellungen über das Primat der Politik über die Ökonomie den Euro gestärkt haben. Der hier praktisch deklarierte Wille der EU-Politiker, alles Althergebrachte in Frage zu stellen, um die Gemeinschaftswährung zu retten, wurde von den „Märkten“ positiv aufgenommen. Sie anerkennen damit den imperialistischen Willen, sich die Ökonomie untertan zu machen. Das macht mehr Eindruck als das demokratiepolitisch bedingte Hin und Her in den USA, mit der die Verschuldungsfähigkeit der Weltmacht Nr. 1 problematisiert und gefährdet wird.
Es kann natürlich sein, daß irgendwann einmal genau diese Entschlossenheit der EU auch die gegenteilige Reaktion der international agierenden Geldbesitzer hervorruft, wenn die ökonomischen Erfolge sich nicht einstellen.