Lettlands Beitritt zur Eurozone

EIN MUSTERBEISPIEL FÜR BUDGETSANIERUNG UND VOLKSARMUT

Lettland, so liest man, sei ein vorbildliches Land, weil es sich mit einem harten Sparkurs „aus der Krise gekämpft“ habe. Dafür würde es jetzt sozusagen belohnt.

Zunächst empfiehlt es sich hier, einmal nachzuschauen, worin „die Krise“ in Lettland eigentlich bestanden hatte, bzw. wie sie zustandegekommen war. Die zweite wichtige Frage ist die, was es heißt, aus ihr „herauszukommen“.

Nach dem EU-Beitritt Lettlands strömte ausländisches Kapital in den Immobiliensektor und das in der EU allgemein übliche Spiel mit Krediten für Bauvorhaben begann: Banken pumpen Kredit in den Sektor, Baufirmen erhalten Aufträge, Beamte und kleine Angestellte verschulden sich bis über die Ohren für ein Eigenheim, und die Analysten und Medienfritzen können sich gar nicht beruhigen über das „Wachstum“ und den „Wohlstand“, die dadurch entstehen. Das vermeintliche Perpetuum mobile der Gewinne-Macherei wird in Bewegung gesetzt.
Um die hohen lettischen Kreditzinsen zu umgehen, vergaben die Banken Hypothekarkredite in Fremdwährungen, vor allem in Euro. Alle – Banken, Analysten, Wohnungskäufer – freuten sich über den Aufschwung im Bausektor. Lettland konnte hohe Wachstumsraten aufweisen, und wurde, wie seine Nachbarstaaten Litauen und Estland als „baltischer Tiger“ gefeiert.
Vor allem schwedische Banken beteiligten sich an diesem Bau- und Kreditboom:

„Der Zeitung Svenska Dagbladet zufolge hat sich das Kreditvolumen der Swedbank in der Region zwischen 2004 und 2009 mehr als verfünffacht. Das Institut hat demnach im Baltikum gut 22 Milliarden Euro verliehen. Ähnlich hoch ist diese Zahl bei der SEB, der Bank, die zum Einflußbereich der berühmten Unternehmerfamilie Wallenberg gehört. … Die schwedische Reichsbank schätzt die zu erwartenden Verluste für alle schwedischen Kreditinstitute auf etwa 17 Milliarden Euro. Wenn es »richtig schlecht« gehe, dann könnten daraus bis zu 30 Milliarden Euro werden, sagte Reichsbankchef Stefan Ingves.“ (Süddeutsche Zeitung, 17.5. 2010)

Die Krise von 2008/2009 wies jedoch noch weit über Verluste für schwedische Banken hinaus. Der gesamte Kreditsektor des Baltikums und der angrenzenden EU-Staaten stand auf dem Spiel. Um eine Abwertung der lettischen Währung, des Lat, abzuwehren, hatte die lettische Regierung ihren Devisenschatz aufgebraucht, und konnte auf dem Kapitalmarkt kein Geld mehr aufnehmen. Deshalb benötigte sie einen Kredit des IWF, – nicht wegen nicht bezahlbarer Schulden:

„Die Krise in Lettland hat sich in dieser Woche massiv zugespitzt, nachdem eine Emission von Staatsanleihen fehlgeschlagen war. Die Regierung kämpft derzeit gegen eine Abwertung der Landeswährung Lat zum Euro und musste bereits mehrmals am Devisenmarkt intervenieren. Viele Bürger des Landes haben sich vor der Finanzkrise in der Gemeinschaftswährung verschuldet und drohen bei einer Verteuerung des Euro in Zahlungsschwierigkeiten zu geraten – nach Einschätzung von Analysten lauten fast 90 Prozent aller Kredite auf Euro.“ (Focus, 5.6. 2009)

Es galt also erstens um jeden Preis den Kurs des Lat zu halten, um einen flächendeckenden Bankenkrach zu verhindern. Gewisse Parallelen mit Ungarn, das ja auch eine hohe Rate von Fremdwährungskrediten und jede Menge faule Kredite aufweist, sind unübersehbar. Aber erstens ist Lettland viel kleiner als Ungarn, sein Kreditwesen dadurch viel volatiler. Außerdem kommen noch andere Umstände hinzu.
Lettland grenzt an Rußland, hat einen hohen Anteil an russischsprachlicher Bevölkerung und war daher stets auch eine Anlaufstelle für russisches Kapital und russische Investoren.

Der Versuch russischer Geschäftsleute, ihre Gewinne im Ausland zu parken, wird hierzulande oft irreführenderweise als „Geldwäsche“ bezeichnet und damit so getan, als wären alle Geschäfte, die in Rußland gemacht würden, per se illegal und müßten deshalb vor den Behörden versteckt werden. Aber der überwiegende Teil der aus Rußland „flüchtenden“ Gelder ist nicht illegalen Aktivitäten geschuldet, sondern hat neben Steuerhinterziehung die Umgehung von Vorschriften für Investments in Rußland zum Ziel. In erster Linie jedoch ist es dem Bedürfnis geschuldet, sein Geld in einer „sicheren“ Währung zu parken, die der Geldpolitik Rußlands und den Wechselkursschwankungen des Rubel gegenüber den Weltwährungen entzogen ist. Nach Lettlands Beitritt zur EU wurde der Lat als eine an den Euro gekoppelte Währung zunehmends attraktiv, und das nach Lettland strömende russische Geld war zunächst auch jedem recht: den Banken, den Kunden, den Behörden. Es belebte genauso wie schwedische Kredite die Wirtschaft Lettlands, verursachte das so sehr geschätzte „Wachstum“ und verschaffte Banken Zinsen und Baufirmen Aufträge.

Die Parex Bank wurde 1987 von zwei russischstämmigen Letten als Reisebüro gegründet. 1991 erhielt es eine Lizenz als Wechselstube. 1992 wandelte sie sich zu einer Bank. Jahrelang war sie die profitabelste unter den einheimischen Banken. Sie unterhielt Filialen in Skandinavien, Deutschland, Rußland, zuletzt insgesamt in 15 Staaten. Es gibt kein anderes Geldinstitut in den ehemals sozialistischen Staaten, das eine solche Expansion vornahm. In Lettland selbst war sie ein wichtiger Player:

„Im Jahre 2008 hielt die Parex Bank 18 Prozent der Einlagen in Lettland und hatte 12 Prozent aller Kredite vergeben; sie war damit die zweitgrößte Bank des Landes.“ (Wikipedia, Parex Bank)

Als als Folge der Finanzkrise ein Run auf die Bank einsetzte und alle ihre Einlagen abzogen, wurde die Bank notverstaatlicht. (Bis heute versucht der lettische Staat, außenstehende Gelder der Bank einzutreiben, mit geringem Erfolg.) Die für die Rettung des lettischen Banksektors unumgängliche Finanzierung und Abwicklung dieser Bank hat den lettischen Staat bisher einige Milliarden Euro gekostet. Der IWF-Kredit war neben der Stabilisierung des Lat auch für die lettische Bankenrettung nötig. Natürlich war er an die bekannten harten Auflagen dieser menschenfreundlichen Institution gebunden, die auf Steuererhöhungen und Kürzungen von Sozialleistungen drang.

Diese Sparprogramme führten zu einer ziemlichen Verelendung der lettischen Bevölkerung und verstärkten den seit der Unabhängigkeit anhaltenden Exodus. Seit 1989 ist die Bevölkerung Lettlands von 2,66 auf etwas mehr als 2 Millionen gefallen, also um fast ein Viertel. Neben der Emigration trägt zu diesem Bevölkerungsrückgang auch der Geburtenrückgang und die Zunahme der Selbstmorde bei: Lettland hat – (übrigens einige Plätze hinter Litauen) – eine der höchsten Selbstmordraten der Welt. Noch ein paar weitere Zahlen: die Arbeitslosigkeit betrug 2013 12%, und Lettland führt die Liste der EU-Länder an, wo ein hoher Prozentsatz der Bevölkerung „armutsgefährdet“ ist, d.h. in völligem Elend lebt, noch vor Bulgarien, Griechenland und Ungarn. Beim Pro-Kopf-Einkommen liegt es mit 64% der EU-Durchschnitts nur noch vor Bulgarien, Rumänien und Kroatien.

Die Sparprogramme haben zwar das aktuelle Elend geschaffen, seine Grundlage ist jedoch, daß auch in den Boomjahren keine Kapitalakkumulation zustandegekommen ist, sondern das Land nur eine Art Wirtstier oder Durchhaus für spekulatives Kapital war, das sich dort Anlagemöglichkeiten schafft und dann wieder abzieht, sobald alles abgegrast ist; oder für Handelskapital, das dieses Land als Markt benützt hat, solange durch Kredite oder EU-Förderungen dort Kaufkraft geschaffen wurde.

Lettlands Beitritt zur Eurozone mag ihr einen unsicheren Kantonisten bescheren. Die EZB ist etwas reserviert. Zunächst muß Lettland jedoch gleich einmal ablegen und seine Quote in den Stabilitätsfonds einzahlen – wenngleich es dafür Raten zugestanden erhält.

Die EU-Granden sind jedenfalls begeistert. Lettland erfüllt alle Kriterien der Eurozone: Staatsverschuldung 39% des BIP, Neuverschuldung 1%, Inflation 2,1%. Ihr Lob für die lettischen Politiker und das leuchtende Beispiel, das Lettland für sie darstellt, läßt Böses für die weiteren Entwicklungen in der EU ahnen:

„Barroso unterstrich, Lettland sei ein «glänzendes Beispiel» für andere Mitgliedsstaaten, daß es möglich ist, gestärkt aus der Krise herauszukommen. EU-Wirtschaftskommissar Olli Rehn sagte, die lettischen Erfahrungen enthielten «wichtige Lehren für Länder, die immer noch vor großen Herausforderungen stehen».“ (Die Welt, 10.1.)

Die Berechnungen der lettischen Politiker und Banker bestehen unbestätigten Gerüchten zufolge darin, die Rolle Zyperns übernehmen zu können, die Vermögen russischer und anderer GUS-Unternehmer nach Lettland zu locken und damit Investitionen an Land zu ziehen. Dafür spricht, daß Lettland ebenfalls – auch dank der IWF-kreditierten Banken„rettungen“ – einen sogenannten „überdimensionierten“ Banksektor aufweist, dem wenig an realer Akkumulation gegenübersteht, und daß zwischen 40 und 50% der Bankeinlagen Ausländern gehören.

Die Elite des Landes setzt also weiterhin darauf, daß ein paar Brosamen für sie abfallen werden, wenn EU-Kapital nach Osten und russisches, kasachisches und anderes Kapital Richtung Westen wandert. Für den Rest der Bevölkerung wird dabei, soviel ist vorauszusehen, wenig übrig bleiben.

Die EU-Energiepolitik in der Krise 2

DIE ERNEUERBAREN ENERGIEN – EIN FLOP?

3. Erneuerbare Energien

Angesichts der Probleme mit fossilen Energieträgern und der Kernenergie wurden die erneuerbaren Energien umso wichtiger – sowohl unter dem Gesichtspunkt der autonomen Energieversorgung, als auch zur Verringerung der Kyoto-Protokoll-Vorgaben, als auch als Anlagesphäre des europäischen Kapitals.
Das Setzen auf die Wasser-, Wind- und Sonnenenergie ist ein historisches Paradox. In der Frühzeit des Kapitalismus stellte die mit Kohle betriebene Dampfmaschine deshalb eine Revolutionierung der Energiegewinnung dar, weil sie die Nachfrager von Energie, ob Schiffe, Fabriken oder Eisenbahnen von der Natur unabhängig machte. Heute wird die Natur wieder als Energielieferant entdeckt, und das hat seine Vor- und Nachteile, alles natürlich vom Standpunkt des Geschäftes aus, das damit befördert werden soll, und nicht vom Standpunkt der neutralen „Versorgung“.

3. a) Wasserkraft
Die Wasserkraft ist eine sehr von den geographischen Gegebenheiten abhängige Energieform. Man braucht Berge und aus denen entspringende Flüsse. Die Nutzung dieser Energieform ist also nicht überall möglich. Große Stau-Projekte bringen ganze Regionen durcheinander, setzen landwirtschaftlich genutzte Gebiete unter Wasser, machen die Evakuierung von Ortschaften notwendig. Der ambitionierte Aufstau der Donau zwischen Bratislava und Nagymaros war z.B. ein Auslöser von Unzufriedenheit und Moment des Systemwechsels in Ungarn.
In Österreich, wo alle Nutzung von Flüssen und gebirgigen Regionen, die für Energiegewinnung verwendbar sind, eigentlich bereits stattgefunden hat, gibt sich die E-Wirtschaft damit nicht zufrieden. Alles, was an Bergen, Flüssen und Schluchten vorhanden ist, soll ausgenutzt werden. Es gibt einen Haufen Projekte zur weiteren Staudämmen und Laufkraftwerken an Salzach, Inn und Donau, und kleineren Flüssen in Ostösterreich.
Ähnlich wie diese hat die EU-Energiepolitik andere vom Standpunkt der Umwelt schädliche, vom Standpunkt der Energiegewinnung relativ unproduktive Projekte in Bewegung gesetzt, um die heimische Energieproduktion weiterzubringen und EU-interne Energiequellen zu erschließen. Sie besitzen also den Widerspruch, daß sie von hohen Investitionen begleitet und im Verhältnis mit der daraus gewonnenen/noch zu gewinnenden Energie unrentabel und nur durch Subventionen für die Betreiber rentabel sind bzw. wären.
Vom Standpunkt der Investitionen zu den Erträgen verhält es sich ähnlich mit den

3. b) Windparks
Wenn heute auf die Windenergie gesetzt wird, so begibt man sich wieder in eine extreme Abhängigkeit von der Natur. Die Windparks werden zwar natürlich tunlichst in Gegenden gesetzt, wo viel Wind weht, haben aber dennoch das Handicap, daß bei Flaute dort tote Hose ist. Gibt es jedoch starken Wind oder Sturm, so sind die Netze oft mit der produzierten Energie überfordert. Die Einrichtung von Windparks setzt daher nicht nur hohe Investitionen bei der Einrichtung voraus, die sich erst langsam amortisieren. Es ist darüberhinaus eine eigene Netzanpassung notwendig, damit Stromerzeugung in Spitzenzeiten aufgefangen und verarbeitet werden kann. Da die Windenergie von wechselnder Intensität, die Nachfrage jedoch relativ konstant ist, muß hier eine Art Überlaufbecken eingerichtet werden, um zu Spitzenzeiten erzeugten Strom zu speichern. Die Einrichtung von Windparks erfordert also gleichzeitig große Investitionen an Umspannwerken und dem Netz, die die Windpark-Investoren im Allgemeinen nicht übernehmen und die daher von der öffentlichen Hand getätigt werden müssen.
Der dritte große Star unter den erneuerbaren Energien ist die

3. c) Solarenergie
Die Idee, die Sonne zur Energiegewinnung zu nutzen, ist naheliegend. Unter den Bedingungen kapitalistischer Wertproduktion erhält diese Vorgangsweise jedoch eine eigenartige Verlaufsform. Solaranlagen auf Hausdächern sind eine einmalige Investition für die Hausbesitzer, die oftmals auch subventioniert werden, um den Absatz von Solarzellen zu befördern und diese Industrie aufzubauen. Diese Kleinverbraucher sind jedoch nicht der Witz der geschäftlich genutzten Solarenergie. Sie fallen ja dann als Energiekunden größtenteils aus.
Die technische Schwierigkeit der Solaranlagen besteht darin, aus der durch die Bestrahlung gewonnenen Wärme eine universeller nutzbare Energieform zu erzeugen, wie Strom oder Gas. Die Herstellung der Solarzellen, die das bewerkstelligen, ist technisch anspruchsvoll, materialintensiv und entsprechend teuer. Außerdem müssen Speicherkapazitäten aufgebaut werden, weil die Sonne scheint ja in unseren Breiten nicht immer. Der Solarstrom ist bis heute sehr teuer in der Erzeugung und wird durch massive Stützungen am Leben erhalten und ausgebaut.
Diese Art von Energiequelle sprudelt erst so richtig, wenn sie in sonnenreichen Gegenden gebaut und genügend groß angelegt ist. Im Brennpunkt des Interesses der europäischen Solarindustrie ist daher die Sahara. Da hat man natürlich wieder das Problem, daß man diese Energie ein ziemliches Stück transportieren muß und sie auch den politischen Konjunkturen vor Ort ausgesetzt ist. Regierungswechsel, Militärputsche, islamische Fundamentalisten können hier in die Suppe spucken. Weder die Sicherheit des investierten Kapitals noch die nationale bzw. EU-weite Energie-Sicherheit sind in der Sahara 100%ig gewährleistet.

Zwischen den Kleinverbrauchern mit ihren Solarzellen am Dach und riesigen Anlagen in Wüsteneien gibt es noch die mittelgroßen Anlagen, deren Ausbau ebenfalls eifrig betrieben wurde, um die Energiesicherheit zu erhöhen und etwaige Netzausfälle leichter überbrücken zu können.

4. Das Gwirxt mit der Solarenergie in Spanien

Nach Deutschland ist Spanien der EU-Staat, der sich am meisten für die erneuerbare, und besonders für die Solarenergie stark gemacht hat. Unter fester Strapazierung des Staatskredites – auch dem der autonomen Provinzen – wurden ganze Armeen riesiger Spiegelflächen in die Landschaft gestellt, zu einem guten Teil mit deutscher Technologie, da die spanischen Erzeuger gar nicht die nötigen Kapazitäten dafür hatten. Spanien war also ein großer Abnehmer für deutsche Solarenergie-Technologie, und die heutige Krise des Sektors ist nicht nur durch die chinesische Konkurrenz verursacht, sondern auch dadurch, daß Spanien als Kundschaft inzwischen ausgefallen ist.
Für die mittelgroßen Solarkraftwerke mobilisierten die Banken und Sparkassen ihre Kunden: statt ihr Geld auf ein Sparbuch zu legen, investieren sie doch in so ein Solar-Kleinkraftwerk! Eine bombensichere Investition, soundsoviel garantierte Rendite! Zehntausende Normalverbraucher wurden so zu Sonnenenergie-Investoren. Die sichere Rendite beruhte jedoch auf der Voraussetzung, daß der spanische Staat den dort erzeugten Strom großzügig stützte und damit diese Kleinkraftwerke wettbewerbsfähig machte. Inzwischen hat die Regierung Rajoy diese Subventionen gestrichen, keiner kauft den dadurch sehr teuren Solarstrom, die Anlagen sperren zu und die Investoren schauen durch die Finger.
Auf einmal fallen dem Staat, der sein Budget und seine Solarindustrie retten will, die Normalos mit ihren Sonnenkollektoren oder Solarzellen am Dach ein. Die holen sich ja gratis Energie, das darf nicht sein! Sie sollen jetzt alle ihre Zellen melden, ans Netz anschließen und einen Netz-Nutzungs-Beitrag zahlen, was schon manche von ihnen zur Demontierung der Dachenergieerzeuger veranlaßt und eine Flut von Klagen nach Luxemburg auf den Weg geschickt hat.

Außerdem hat die spanische Energie-Industrie 15 Milliarden Euro in den Bau von Gas-Kraftwerken gesteckt, die Strom aus Erdgas erzeugen sollen, und heute nicht einmal mehr zu 10% ausgelastet sind. Manche wollen abschalten, um wenigstens die Verluste los zu werden, und es gibt sogar schon Pläne, das eine oder andere zu demontieren. Diese Kraftwerke wären dafür dagewesen, erstens die Kohlekraftwerke zu ersetzen und zweitens im Falle von Windflauten (Spanien hat auch Unmengen von Windparks in die Landschaft gestellt) und wenig Sonne mit ihrer Leistung einzuspringen. Sie waren also dafür ausgelegt, eine flächendeckende Versorgung mit erneuerbarer Energie zu ergänzen. Dabei wurde natürlich auch ein ständig wachsender Energieverbrauch angenommen.

Die Energienachfrage ist jedoch aufgrund der Krise stark zurückgegangen, Betriebe wurden geschlossen, Baustellen aufgelassen, und auch der private Verbrauch ist mit der Zahlungsfähigkeit gesunken.

***

Spanien ist ein Extremfall, aber die Petitionen der Energieerzeuger, unterausgelastete und deshalb verlustbringende Kraftwerke – Gas- und erneuerbare – schließen zu dürfen, häufen sich in ganz Europa.
Lustigerweise sind die einzigen Kraftwerke, die sich halbwegs halten, die Kohlekraftwerke: der Weltmarktpreis für Kohle ist gesunken, es ist inzwischen die billigste Form der Stromerzeugung.

Die EU-Energiepolitik in der Krise 1

„ALTE “ ENERGIEGEWINNUNG – NOTWENDIG, ABER LÄSTIG

Die Widersprüchlichkeit der kapitalistischen Ökonomie zeigt sich sehr schön an der Energiepolitik der EU.

1. Energie – eine Grundlage der Ökonomie – und ein bombensicheres Geschäft?

Der Energiesektor wird zwischen zwei Polen hin- und hergerissen.
Erstens ist er seit den heftigen Privatisierungen der letzten Jahrzehnte eine ganz normale Geschäftssphäre, in der satte Gewinne eingefahren werden oder zumindest eingefahren werden sollten. Die Privatisierung des Energiesektors war eine Aufgabe, die sich die EU explizit vorgenommen hat. Damit sollte Kapital in diesen Sektor gelockt und zu Investitionen veranlaßt werden, die dann die Energie reichlich sprudeln lassen und gleichzeitig verbilligen sollten.
Denn der Energiesektor ist zweitens eines der Schmiermittel der Ökonomie. In jeder Ware, die hergestellt, in jeder Dienstleistung, die geboten wird, ist Energie enthalten und geht somit in den Preis dieser Ware ein. Wenn es jetzt durch Verbilligung der Energie gelingt, den Preis der in der EU hergestellten Waren zu verbilligen, so erhöht das die Wettbewerbsfähigkeit der EU auf dem Weltmarkt, trägt zur Eroberung neuer Märkte bei und stärkt den Euro.
Eine Win-Win-Situation, so dachten die EU-Politiker. Damit das drittens alles klappt, sahen sie auch eine großzügige Subventionierung dieses Sektors vor. Der Kredit der Banken und der Staaten sollte strapaziert werden, um die Energieherstellung günstiger zu machen. Damit eröffnete sich natürlich ein neuer Sektor für das Finanzkapital, das sich nicht lange bitten ließ. Ein drittes „Win“ war somit in die Welt gesetzt.

2. Traditionelle Formen der Energiegewinnung: „Alte“ Energiequellen

Unter diesen Gesichtspunkten wurden die gesamten Formen der Energiegewinnung neu sortiert.

2. a) Die Kohle
Die Kohle geriet auf die Abschußliste der Energiepolitik und -subventionierung. Zu teuer, nicht nur in der Gewinnung, sondern auch in der Anwendung, und außerdem mit schlechten Werten vom Standpunkt des CO2-Ausstoßes behaftet. So wurden Staaten, die über diese Energiequelle verfügten, wie Polen, Tschechien, Rumänien, Spanien usw. dazu angehalten, diesen Sektor möglichst zurückzufahren und auf Dauer sogar stillzulegen. Das bedeutete in diesen Staaten Schließung von Bergwerken, Arbeitslosigkeit unter den Bergleuten und eine Belastung der Handelsbilanz, da die bisher mit Kohle betrieben Kraftwerke jetzt nach Möglichkeit umgestellt und mit Öl- und Gas-Importen betrieben werden mußten.

2. b) Öl und Gas
Diese beiden Formen von Energie sind zwar im Betrieb weitaus günstiger, haben aber Nachteile, die schwer ins Gewicht fallen: sie müssen importiert werden, belasten die Handelbilanzen und bringen Abhängigkeit von den Lieferanten mit sich, die Transportwege beeinträchtigen die Sicherheit der Versorgung, (Naher Osten, Ukraine-Transit-Probleme) und diese Energiequellen sind auch politisch nicht frei von Störfaktoren, weil es die EU von Staaten abhängig macht, die ihrerseits mit dem Energie-Export unangenehme Abhängigkeiten herstellen können (Rußland). Deswegen betrieb und betreibt die EU Pipeline-Projekte mit Staaten wie Turkmenistan, Kasachstan, Aserbaidschan, der Türkei und dem Balkan als Lieferanten und Transit-Länder, um auf nähere und berechenbarere Lieferanten umzusteigen. (Auf diesem Gebiet gingen nicht alle Berechnungen auf, wie das Einstellen des Nabucco-Projektes zeigt.)
Bei diesen beiden Energiequellen wurde dem Gas Priorität eingeräumt, weil es im Ausstoß von CO2 gegenüber dem Öl die Nase vorn hat. Für die Umstellung auf Gas ist ebenfalls, wie schon bei der Umwandlung von Kohlekraftwerken, einiges an Umbau oder der Neuerrichtung von Kraftwerken notwendig.

2. c) Atomkraft
Auf die Atomkraft wurde in den meisten Staaten nicht aus rein energiepolitischen Gesichtspunkten gesetzt. Die ultimative Waffenkategorie, die an Zerstörungspotential alles Bisherige in den Schatten stellte, war der bestimmende Faktor, aus dem heraus sich Staaten wie die USA oder Frankreich für diese Energieform entschieden. Andere Staaten, wie Schweden oder Spanien sahen darin eine moderne und kostengünstige Energieform. Daß die Atomenergie in Deutschland Gegenstand zahlreicher Kontroversen wurde, liegt an dem unentschiedenen Verwendungszweck: Sie sollte zwar die heimische Industrie beflügeln, vom waffentechnischen Einsatz mußte Deutschland aufgrund internationaler Verpflichtungen jedoch Abstand nehmen. Was nicht ist, kann noch werden, dachten sich vermutlich viele Politiker. Erst es einmal haben, das Zeug, ist auf jeden Fall wichtig.

Was die Kosten betrifft, gilt die Atomenergie als sehr günstig – das ist aber nur deshalb so, weil die faux frais, die toten Kosten für die Wartung und Entsorgung vom Staat übernommen oder gestützt werden. Das war, solange der Kredit der betreffenden Staaten außer Frage stand, nie ein Problem. Man muß sich nur vor Augen halten, daß die kapitalistisch kalkulierten Kosten der Atomenergie deshalb niedrig sind, weil die Zahlungen und Garantien des Staates in den Energiepreis nicht eingerechnet werden.

Mit der Neuausrichtung der EU-Energiepolitik der 90er Jahre hatte die Atomenergie gute Karten. Der Import der Brennstäbe ist kostengünstig im Vergleich zur daraus gewonnen Energie. Frankreich bezieht sein Uran aus dem Niger, der praktisch bis heute französische Kolonie ist, was die Versorgung als sicher erscheinen läßt. (Die geschwinde Niederbügelung von Aufständischen in Mali muß auch unter dem Gesichtspunkt betrachtet werden, daß Frankreich seine Uranversorgung sichern wollte.)
Deutschland erhielt mit der DDR Uranvorkommen, die aber heute angeblich erschöpft sind. Uran wird in verschiedenen Ländern gewonnen, die als politisch verläßlich gelten, wie Südafrika oder Australien. Außerdem läßt sich aus den Brennelementen viel und lange Energie gewinnen, einer geringen Importmenge steht eine Masse an heimischer Wertschöpfung gegenüber. Die Grünen nahmen von ihrer Anti-Atom-Politik Abstand, nachdem sie die Kommandohöhen der Macht erklommen hatten: Atomenergie war als eine autonome und wettbewerbsfördernde Form der Energiegewinnung etabliert, dem wollten sich diese verantwortungsvollen Politiker nicht entziehen.

Neu auf den Weltmarkt getretene und in die EU aufgenommene Staaten wie Tschechien, die Slowakei, Slowenien, Bulgarien und Litauen boten sich als Märkte der Atom-Industrie der Atomenergie-Kapitale Westeuropas an, weil sie dadurch ihre sowjetischen oder westlichen, meistens mit US-Technologie errichteten Kraftwerke erneuern und für ihre Energieversorgung nutzen wollten. Die Atom-Industrie boomte und die Atomkraft erschien als ideale Energieform für die Weltmarkt- und Weltmacht-Ambitionen der EU.

Diese Euphorie in Sachen Atomenergie hat durch den Tsunami in Japan einen Dämpfer erlitten. Die Katastrophe von Fukushima bestätigte das, was die Gegner der Atomenergie stets ins Feld geführt hatten: daß sich die Kettenreaktion letztlich nicht kontrollieren lasse und daß Atomkraftwerke extrem anfällig für Naturereignisse wie Erdbeben – oder eben Flutwellen – seien. Fukushima führt bis heute allen Atommächten vor Augen, daß das ganze Territorium und die Bevölkerung eines Staates durch ein kaputtes AKW gefährdet sind und daß dieses ruinierte AKW nicht kalkulierbare Kosten für die geschäftlichen Gewinne und den staatlichen Handlungsbedarf mit sich bringt. (Japans Entschluß, seinen Kredit unbegrenzt zu strapazieren, ist eine Folge der Kosten, die Fukushima dem japanischen Staat aufhalst. Japan leistet sich diesen riskanten Schritt auch nur deshalb, weil die Krise des Weltwährungssystems ihn möglich macht. D.h., das schlechte Licht, in das Dollar und Euro aufgrund ihrer jeweiligen Krisen geraten sind, ermöglicht dem Yen als dritter Weltwährung diesen Gewaltakt, der die Währung auch so innerhalb eines Jahres um ein Viertel gegenüber den anderen beiden zurückfallen hat lassen.)

Die Atomenergie ist also heute ein wenig in Mißkredit geraten. Um so wichtiger werden die erneuerbaren, also von der Natur sozusagen auf ewig zur Verfügung gestellten Energien.

Fortsetzung: Die „Erneuerbaren“ in der Krise