Die Weltfinanzbehörde läßt einen Musterschüler durchfallen

DER IWF, TEIL 6: ARGENTINIENS ZAHLUNGSUNFÄHIGKEIT

Nach Jahren der Hyperinflation, die die Regierbarkeit Argentiniens ernsthaft in Frage stellten, weil niemand mehr Ware gegen diese wertlosen Zettel herausrücken wollte, entschlossen sich der Präsident Menem und sein Wirtschaftsminister Cavallo 1991 zu einem radikalen Schwenk in der Wirtschaftspolitik: Der „Plan Cavallo“ sah ein umfangreiches Privatisierungsprogramm und eine fixe Dollar-Bindung vor. Der Harvard-Absolvent Cavallo war also wirklich entschlossen, den „Washingtoner Konsens“ in Argentinien zur Anwendung zu bringen. Im Laufe des folgenden Jahrzehnts band Argentinien seine Geldemissionspolitik an seinen Devisenschatz, um die behauptete Dollar-Peso-Parität aufrechterhalten zu können. Es wurde zwar ein bißchen geschummelt, und die verelendeten Provinzen des Nordens gaben eigene „Anleihen“ genannte Geldscheine heraus, und manche Ökonomen des IWF problematisierten herum, ob die Wechselkursparität 1:1 wirklich die beste Lösung sei, aber im Grunde wurde Cavallos Plan als eine geniale Umsetzung von Privat – gut, Staat – schlecht und als äußerst erfolgreiches Programm zur Inflationsbekämpfung betrachtet.

Als dann das ausländische Kapital die Privatisierung oft zur Eliminierung von Rivalen behandelte oder aus anderen Gründen stillegte und dadurch die industrielle Basis Argentiniens immer mehr schrumpfte, während das Handelsbilanzdefizit und die Auslandsschuld wuchsen, trat Cavallo 1996 als Wirtschaftsminister ab. Die terms of trade Argentiniens verschlechterten sich weiter, aber in einer gewissen Unbeirrbarkeit, die Politikern zu eigen ist, wurde Cavallo 2001 wieder, diesmal von der Regierung de la Rúa zum Wirtschaftsminister berufen. Angesichts eines bevorstehenden Runs auf die Banken fror er die Guthaben der Bevölkerung bis zu einer gewissen Höchstsumme pro Woche ein. Das war das offizielle Eingeständnis, daß die Dollar-Peso-Parität vorbei war. Als nächstes weigerte sich der IWF, eine Kreditstützungstranche zu überweisen, weil Argentinien angeblich seine Defizit-Ziele nicht eingehalten hatte, und damit war der Salat fertig: Argentinien war zahlungsunfähig. (Eine genauere Darstellung der Gründe dafür findet man hier.)

Argentinien war ein Fall eines Landes, das über ein Jahrzehnt engst mit dem IWF zusammengearbeitet und alle seine Ratschläge befolgt hatte; bzw. lange Zeit über einen Minister verfügte, der sich die liberalen Grundsätze des IWF zu eigen gemacht hatte, aus Überzeugung vertrat und umsetzte. Und als sich die Absurdität bzw. nationalökonomische Unverträglichkeit dieser Grundsätze praktisch erwies, weigerte sich der IWF, seinen eigenen Offenbarungseid zu leisten, und ließ Argentinien fallen.
Diese De-facto-Widerlegung der neoliberalen Dogmen bzw. des Washington-Konsenses wurde – natürlich! – in den Medien der ganzen Welt als ein Versagen Argentiniens abgehandelt. Die immer und überall vorhandene Korruption wurde wie ein Kaninchen aus dem Hut gezogen und als Ursache allen Übels dingfest gemacht. Die seit fast einem Jahrzehnt ausgegebenen Regionalgelder tauchten auf zum Beleg, daß es mit der Geldhoheit Argentiniens nicht weit her war. Dann wurden noch die Evergreens Mentalität und „historische Gründe“ aufgefahren, und jede Menge Argentinien-Bashing ging los. Der Privatisierungswahn und die „Politik des knappen Geldes“, heute „Sparpakete“ genannt, als Allheilmittel gegen Inflation und Staatsverschuldung waren somit vom argentinischen Schmutz reingewaschen und konnten weiter verkündet werden.

Was das alles für katastrophale Folgen für die Bewohner Argentiniens gebracht hat, und mit welchen Schwierigkeiten die Politiker dort kämpfen, da das Land bis heute nicht an die Kapitalmärkte zurückgekehrt ist, soll hier nicht Thema sein. Auch nicht, wie diese trostlose Lage von manchen „kritischen“ Ökonomen als „Chance“ für andere zahlungsunfähige Staaten angepriesen wird – ein ziemlicher Zynismus angesichts der Zustände in Argentinien.
Das Interessante ist jedoch Folgendes: Ein Staat, und nicht irgendeiner, hatte Zahlungsversprechen ausgegeben, und die waren geplatzt. Ein Staat, der eine der größten Ökonomien Lateinamerikas war, ein Initiator und Mitglied des Mercosur, und ein Staat, dessen Führung aufs engste mit dem IWF zusammengearbeitet hatte. Und dennoch wurde er nicht, wie Mexiko in den 90er Jahren, gestützt und umgeschuldet.

Es war damit eine Art Wertpapier entwertet worden, die bisher unter die sichersten gerechnet worden war. Ein Staat kann nicht verschwinden, sich nicht in Luft auflösen, kann also nicht wie eine Firma Bankrott anmelden. Argentinien ist ja ein potentiell „reiches“ Land, dort ist was zu holen, und der IWF wirds schon richten – so ungefähr dachten die Besitzer argentinischer Staatsanleihen bis zum Schluß. Bis heute gibt es einen Haufen Aasgeier, die argentinische Staatsanleihen um Kleingeld aufgekauft haben, und darauf warten, daß sie irgendeine argentinische Regierung ihnen doch noch einmal zu einem guten Preis abkauft, um wieder Verschuldungsfähigkeit zu erlangen.
Der Präzedenzfall war jedoch eingetreten – eine große Nationalökonomie hatte ihre staatlichen Zahlungsversprechen nicht mehr bedient und dadurch indirekt für wertlos erklärt, und damit ein Zeichen gesetzt, das allerdings niemand lesen wollte. Argentiniens Zahlungsstop und Ausschluß aus den Finanzmärkten war das Menetekel für die Staatsschuldenkrise der EU und der USA, der argentinische Peso ist vielleicht das „Modell“, an dem sich die Weltgelder von heute einmal orientieren werden.

Die Weltfinanzbehörde als Retter der Freiheit

DER IWF, TEIL 5: PROBLEME IN ASIEN

Ein weiteres Moment des Washington-Konsenses war die Forderung nach der Liberalisierung der Finanzmärkte. Um die anvisierten Privatisierungswellen und das vom IWF geforderte Zurückfahren der Staatsausgaben überhaupt zu ermöglichen, war viel privates Kapital erforderlich, und dem sollte Tür und Tor geöffnet werden, damit es seine segensreiche Wirkung entfalten könne.

Diese Liberalisierung der Finanzmärkte, die seit Anfang der 90-er Jahre auf Druck des IWF auch in Südostasien einsetzte, erleichterte die Gründung von Kreditinstituten und brachte die vielen „Finanzdienstleister“ hervor, von denen man jetzt so oft hört: Immobilienbüros und Leasing-Firmen, Pensionskassen und Versicherungen. Bankkonzessionen wurden weitaus problemloser erteilt, und Banken entstanden aus dem Nichts. Und alle diese vermeintlichen Goldesel, die ihren Anlegern hohe Renditen versprachen, um deren anlagewilliges Geld an sich zu ziehen, machten sich auf die Suche nach Anlagemöglichkeiten, um diese Renditen zu „erwirtschaften“.

Daß sich Südostasien besonders anbot, lag daran, daß bezüglich der „blühenden Landschaften“ im Osten eine gewisse Ernüchterung eingetreten war, und Lateinamerika seit 1994 als eher riskant eingestuft wurde. Also setzte ein gewisser Hype um die „Tigerstaaten“ ein, bei denen alles zu klappen schien: Properierende Produktion (Autos, Schiffe, Textilien, u.a.), Märkte im goldenen Westen, stabile Regierungen und freie Bahn für Investitionen.

So entstand das, was heutzutage etwas begriffslos eine „Blase“ genannt wird: Jede Menge Anspruchstitel auf Zins und Gewinn waren in die Welt gesetzt, während die tatsächliche Produktion und die sonstige Wirtschaft hinter diesen Erwartungen zurückblieb. Der Auslöser für die Krise waren Wechselkursschwankungen, die Gewinnerwartungen platzen und die Börsen und nationalen Währungen Südostasiens einbrechen ließen.

Der IWF, der gerne erst Brandstifter und dann Feuerwehr spielt, war auch hier nicht um eine Lösung verlegen: Er gewährte Kredite für Strukturanpassungsprogramme, die zur Bildung von Kommissionen zu verwenden waren, die den Finanzmarkt kontrollieren sollten! Ansonsten sei natürlich wieder einmal zu sparen, und die Staatsverschuldung einzudämmen. Auf internationaler Ebene wurde beschwichtigt: Thailand, Indonesien usw. seien „ungeschickt“ gewesen, hätten die falsche Wechselkurspolitik getrieben und „übersehen“, daß Liberalisierung auch mit Kontrolle einherzugehen habe.

So gelang es dem IWF, die Krise auf die betroffene Region zu begrenzen. Viele Fabriken sperrten, Leute wurden entlassen, der Traum der ständig wachsenden Tiger war mit der Blase zusammen geplatzt, aber das internationale Finanzkapital war beruhigt: Nur eine lokale, vorübergehende kleine Krise! – und machte sich auf die Suche nach neuen und besseren Anlagemöglichkeiten.

Außerdem überprüftem manche internationalen Investoren ihre Portfolios und stellten fest, daß es eigentlich ein Land gab, gegen das die gerade abgestürzten südostasiatischen Märkte geradezu Horte der Sicherheit und Prosperität waren, nämlich Rußland. Den Startschuß gab Soros in Form der Empfehlung, den Rubel abzuwerten, weil er „überbewertet“ sei. Eine sehr idiotische Feststellung angesichts einer Währung, die gar keine war, weil in ihr keine Geschäfte stattfanden. Sie überhaupt zu „bewerten“, verdankte sich politischen Beschlüssen, nicht ökonomischen Überlegungen. Der Rubel besaß nämlich nur deshalb einen Kurs, weil Rußland ständig Stabilisierungskredite vom IWF erhielt.
Was Soros dazu bewegte, weiß man nicht – wahrscheinlich wollte er billig in Rußland einkaufen, und dafür mußte der Rubel sich gegenüber dem Dollar verbilligen.

Rußland erhielt zwischen 1991 und 1998 sehr viel politisch motivierten Kredit vom IWF. Diese immer wieder gewährten Kredite waren die „Belohnung“ für Jelzin, die Sowjetunion aufgelöst und die Marktwirtschaft eingeführt zu haben, zumindest der Absicht nach. Die Kredite des IWF und der Weltbank waren notwenig, um zu verhindern, daß womöglich doch eine andere Regierung an die Macht käme und sich den üblen Folgen der Freigabe der Preise und der wilden Privatisierung durch Rückbesinnung auf die nationalen Ressourcen entziehen und gegenüber dem Weltmarkt abschließen würde. Rußland mit seinem Waffenarsenal war zum Unterschied zu den anderen postsozialistischen Staaten immer in der Lage, „nein!“ zu sagen. Dies wollten alle maßgeblichen Politiker der USA und Europas verhindern, und eines der Mittel dazu waren die Kredite des IWF. Im Kielwasser dieser Kredite wagten sich auch Investoren nach Rußland, das inzwischen sogar über eine Börse verfügte. Auf dieser Börse kursierten „Aktien“, die wenig mit Aktien zu tun hatten, aber doch irgendwie Anteilstitel auf Firmen darstellten. Wer also wagemutig war und darauf vertraute, daß Institutionen wie der IWF Rußland schon auf Westkurs halten würden, konnte relativ günstig Anteile an ehemaligen Kombinaten der Grundstoffindustrie oder des Maschinenbaus erwerben. Es war natürlich auch nicht ganz risikolos für Leib und Leben, wenn es gerade ein russischer Geschäftsmann auf die gleiche Firma abgesehen hatte. Investments in Rußland – nichts für Leute mit schwachen Nerven.

Außerdem kursierten auf dieser Börse auch russische Staatsanleihen, für die es Garantien des IWF gab. Solche Garantien werden natürlich meistens in der Hoffnung gegeben, daß sie nicht schlagend werden, verleiten aber immer wieder „Marktteilnehmer“ dazu, diese Staatspapiere für „sicher“ zu halten.
Nach Soros’ „Empfehlung“ waren alle Stabilisierungsversuche vergeblich, der Rubel wurde abgewertet und stürzte richtig ab, die Staatsschulden konnten nicht mehr bedient werden, und viele Gläubiger schauten durch die Finger.

Auch hier eilte der IWF zu Hilfe. Ein Regierungschef wurde entlassen, ein neuer eingesetzt, der arbeitete mit dem IWF zusammen, und auf Kosten der Bevölkerung, deren Geld viel weniger wert war und die sich die ganzen Importartikel (damals wurde auch ein großer Teil der Lebensmittel importiert) nicht mehr leisten konnten, gelang es, den Rubel wieder zu „stabilisieren“. Und vor allem Rußland weiterhin auf Westkurs zu halten. Es wirkte auch vertrauensbildend, daß der schon stark angeschlagene Jelzin selbst einen gesundheitlich fiten Nachfolger ernannte, an dessen Antikommunismus und Orientierung in Richtung Marktwirtschaft bei aller sonstigen Kritik bis heute niemand Anlaß zu zweifeln hatte.

Mit der glücklichen Überwindung der Rubelkrise war endgültig klar, daß das Gespenst des Kommunismus mit finanzpolitischen Methoden weltweit vertrieben worden war.
Und der IWF legte eine härtere Gangart ein.

Die Weltfinanzbehörde übernimmt den bisher unfreien Teil der Welt

DER IWF, TEIL 4: DIE AUFLÖSUNG DES OSTBLOCKS
Vor 1989 waren nur 4 sozialistische Staaten Mitglieder des IWF: Jugoslawien, seit seiner Gründung; Rumänien, seit 1972; Ungarn, seit 1982; und Polen, seit 1986. (Der IWF-Beitritt wurde von der SU nicht gern gesehen, und Frontstaaten wie der Tschechoslowakei verboten.)
Jugoslawien wurde ab 1987 verstärkt unter IWF-Aufsicht gestellt, und durch die vom IWF verordneten Maßnahmen praktisch in die Selbstzerstörung getrieben, da sich im Interesse des Schuldendienstes alle Ausgleichszahlungen innerhalb der Teilrepubliken aufhören mußten und überhaupt das ganze System der Selbstverwaltung – also eigentlich die Staatsraison des sozialistischen Jugoslawien – nach den IWF-Vorgaben aufzulösen und durch Privateigentum zu ersetzen war. Die Zwänge des Schuldendienstes lieferten in Jugoslawien, ähnlich wie mehr als ein Jahrzehnt zuvor in Afghanistan, den Zündstoff zum Bürgerkrieg.
Rumänien ruinierte sich in den 80-er Jahren durch die Schuldenrückzahlung. Seine Regierung machte sich im Westen und beim IWF total unbeliebt mit diesem praktisch gemachten Entschluß, sich der Einflußnahme durch die Weltfinanzbehörde zu entziehen, und wurde schließlich von ihren eigenen Gefolgsleuten in Militär und Partei gestürzt.
Ungarn hatte zum Zeitpunkt der Wende 1989 die höchste pro-Kopf-Verschuldung aller sozialistischen Staaten. Seine Regierung zog aber daraus den umgekehrten Schluß, nämlich noch mehr Marktwirtschaft, und noch mehr Schulden, um endlich damit eine ordentliche Kapitalakkumalation à la Westeuropa hinzukriegen. Die ungarische Regierung wurde zur Vorreiterin der Auflösung des Ostblocks. (Man erinnere sich an Gyula Horn, wie er demonstrativ den Stacheldraht zerschnitt, um die DDR-ler in die Freiheit zu entlassen.)
Polen schließlich hatte seinerzeit mit der Solidarnosc-Bewegung einiges zur Zerstörung der sozialistischen Völkerfamilie geleistet. Es war aber schon vorher bei privaten Banken verschuldet und seine Ökonomie war von westlichen Importen abhängig, was eine bedeutende Rolle für das Aufkochen des Volkszorns und die Bildung dieser Gewerkschaft spielte. Nach Aufhebung des 1981 verhängten Kriegsrechts bettelte Polen förmlich um den Beitritt zum IWF, um seine Schuldenprobleme zu lösen und aus der internationalen Isolation herauszukommen, und der Beitritt wurde 1986 gnädig gewährt.
In allen Fällen hatte sich der IWF also als eine wirkungsvolle Waffe der Propagierung und Durchsetzung von Marktwirtschaft und Freiheit erwiesen.
Anläßlich einer Konferenz 1990 wurde die bereits in Lateinamerika und anderen Ländern der „Peripherie“ oder „3. Welt“ – wohin manche Länder eben durch die Betreuung durch den IWF abgestiegen waren – bewährte Strategie im sogenannten Washington-Konsens zum Leitfaden der Behandlung der ehemals sozialistischen Länder durch den IWF, und darüberhinaus auch zum ökonomischen Glaubensbekenntnis der Politiker Europas und der USA.
Die in diesem Konsens entwickelten Methoden zielten darauf ab, daß der Staat sich möglichst aus allen Bereichen der Wirtschaft, also auch aus den bisher als staatliche Domäne anerkannten Infrastrukturunternehmen wie Post, Telefongesellschaften oder Eisenbahnen, oder Institutionen des Sozialstaates zurückzuziehen und alles dem privaten Unternehmertum zu überantworten habe. Nur in Privateigentum könne das alles „effizient“ betrieben werden, würde schließlich zum Aufblühen „der Wirtschaft“ und zu „Wachstum“ führen.
Ein interessanter Aspekt des Zustandekommens dieses Konsenses ist der, daß er vor allem von lateinamerikanischen Ökonomen ausgearbeitet worden war. Es war dem IWF und der USA-Entwicklungspolitik also gelungen, im Rahmen ihrer Politik des „Containment“, der Kommunismusbekämpfung in Lateinamerika die Eliten dieser Länder auf den Standpunkt der Privatinitiative gegenüber demjenigen des nationalen Interesses zu verpflichten. Sicher gab es da jede Menge Stipendien für Harvard und ähnliche Institute. Es ist dennoch bemerkenswert, wie sich Staatsmänner und Wirtschaftslenker zu einer Überzeugung durcharbeiteten, derzufolge die zerstörerischen Folgen des kapitalistischen Handels und Wandels auf Land und Leute nur eine Art Strafe für die Sünden der Vergangenheit, den „Etatismus“ oder staatlichen „Dirigismus“ darstellen. Infolgedessen gingen sie mit unerschütterlichem Gleichmut rücksichtslos gegen ihre eigene Bevölkerung vor, deren existenzielle Bedürfnisse gegenüber den „Regeln“ des Marktes für nichtig erklärt wurden.
Diese Gehirnwäsche wurde nach 1989 auch auf die Politiker der postsozialistischen Staaten angewendet, mit durchschlagendem Erfolg. Manche osteuropäischen Politiker, z.B. der Tscheche Václav Klaus, versuchten sich sogar als Vorreiter des marktwirtschaftlichen Denkens zu präsentieren, indem sie ihre westlichen Kollegen im Klopfen von neoliberalen Sprüchen noch übertrafen.
Der IWF wurde überall mit offenen Armen aufgenommen – bitte kommt und bringt uns das Wirtschaften bei! – und seinen Mitarbeitern wurden Schlüsselpositionen in Ministerien eingeräumt. „Berater“ aller Art propagierten die neue Heilslehre: Staat – schlecht, privat – gut! in Seminaren und Symposien und Universitäten.
Und die Politik des Zusperrens und Entlassens, des Privatisierens um jeden Preis, manchmal auch mit Gewalt, nahm ihren Lauf. Osteuropa wurde desindustrialisiert und teilweise auch agrarisch stillgelegt, durch das Verbot von Subventionen – Etatismus! – und verwandelte sich dadurch zu einem aufnahmefähigen Markt für die Produkte des „alten“ Europa.
Lateinamerika verfolgte diesen „Erfolgsweg“ ebenfalls weiter. Das Ergebnis war die beinahe-Zahlungsunfähigkeit Mexikos 1994. Diese sogenannte Tequila-Krise wurde vom Kreditsektor unter der Leitung des IWF mit den inzwischen schon fast reflexartigen Methoden abgewendet: Stützungskredite gegen weitere Privatisierungen und Kürzungen im Unterrichts- und Sozialbereich. Der Zustand, in dem sich Mexiko heute befindet, ist eine direkte Folge dieser Maßnahmen.
Der nächste Kandidat für Zahlungsunfähigkeit wäre Ungarn gewesen. Diese Krise wurde bereits im Vorfeld durch weitere Stützungskredite abgewendet, da der IWF und die gesamte Finanzwelt – zu Recht! – einen Dominoeffekt befürchtete, wenn das erste postsozialistische Land, noch dazu ein absoluter Musterschüler des IWF, bereits 6 oder 7 Jahre nach der Wende einen solchen Mißerfolg vorweisen müßte. Der weltweit aufgehäufte Schuldenberg brach dann woanders ein – erst in Südostasien, und dann in Rußland.