Die Weltfinanzbehörde als Retter der Freiheit

DER IWF, TEIL 5: PROBLEME IN ASIEN

Ein weiteres Moment des Washington-Konsenses war die Forderung nach der Liberalisierung der Finanzmärkte. Um die anvisierten Privatisierungswellen und das vom IWF geforderte Zurückfahren der Staatsausgaben überhaupt zu ermöglichen, war viel privates Kapital erforderlich, und dem sollte Tür und Tor geöffnet werden, damit es seine segensreiche Wirkung entfalten könne.

Diese Liberalisierung der Finanzmärkte, die seit Anfang der 90-er Jahre auf Druck des IWF auch in Südostasien einsetzte, erleichterte die Gründung von Kreditinstituten und brachte die vielen „Finanzdienstleister“ hervor, von denen man jetzt so oft hört: Immobilienbüros und Leasing-Firmen, Pensionskassen und Versicherungen. Bankkonzessionen wurden weitaus problemloser erteilt, und Banken entstanden aus dem Nichts. Und alle diese vermeintlichen Goldesel, die ihren Anlegern hohe Renditen versprachen, um deren anlagewilliges Geld an sich zu ziehen, machten sich auf die Suche nach Anlagemöglichkeiten, um diese Renditen zu „erwirtschaften“.

Daß sich Südostasien besonders anbot, lag daran, daß bezüglich der „blühenden Landschaften“ im Osten eine gewisse Ernüchterung eingetreten war, und Lateinamerika seit 1994 als eher riskant eingestuft wurde. Also setzte ein gewisser Hype um die „Tigerstaaten“ ein, bei denen alles zu klappen schien: Properierende Produktion (Autos, Schiffe, Textilien, u.a.), Märkte im goldenen Westen, stabile Regierungen und freie Bahn für Investitionen.

So entstand das, was heutzutage etwas begriffslos eine „Blase“ genannt wird: Jede Menge Anspruchstitel auf Zins und Gewinn waren in die Welt gesetzt, während die tatsächliche Produktion und die sonstige Wirtschaft hinter diesen Erwartungen zurückblieb. Der Auslöser für die Krise waren Wechselkursschwankungen, die Gewinnerwartungen platzen und die Börsen und nationalen Währungen Südostasiens einbrechen ließen.

Der IWF, der gerne erst Brandstifter und dann Feuerwehr spielt, war auch hier nicht um eine Lösung verlegen: Er gewährte Kredite für Strukturanpassungsprogramme, die zur Bildung von Kommissionen zu verwenden waren, die den Finanzmarkt kontrollieren sollten! Ansonsten sei natürlich wieder einmal zu sparen, und die Staatsverschuldung einzudämmen. Auf internationaler Ebene wurde beschwichtigt: Thailand, Indonesien usw. seien „ungeschickt“ gewesen, hätten die falsche Wechselkurspolitik getrieben und „übersehen“, daß Liberalisierung auch mit Kontrolle einherzugehen habe.

So gelang es dem IWF, die Krise auf die betroffene Region zu begrenzen. Viele Fabriken sperrten, Leute wurden entlassen, der Traum der ständig wachsenden Tiger war mit der Blase zusammen geplatzt, aber das internationale Finanzkapital war beruhigt: Nur eine lokale, vorübergehende kleine Krise! – und machte sich auf die Suche nach neuen und besseren Anlagemöglichkeiten.

Außerdem überprüftem manche internationalen Investoren ihre Portfolios und stellten fest, daß es eigentlich ein Land gab, gegen das die gerade abgestürzten südostasiatischen Märkte geradezu Horte der Sicherheit und Prosperität waren, nämlich Rußland. Den Startschuß gab Soros in Form der Empfehlung, den Rubel abzuwerten, weil er „überbewertet“ sei. Eine sehr idiotische Feststellung angesichts einer Währung, die gar keine war, weil in ihr keine Geschäfte stattfanden. Sie überhaupt zu „bewerten“, verdankte sich politischen Beschlüssen, nicht ökonomischen Überlegungen. Der Rubel besaß nämlich nur deshalb einen Kurs, weil Rußland ständig Stabilisierungskredite vom IWF erhielt.
Was Soros dazu bewegte, weiß man nicht – wahrscheinlich wollte er billig in Rußland einkaufen, und dafür mußte der Rubel sich gegenüber dem Dollar verbilligen.

Rußland erhielt zwischen 1991 und 1998 sehr viel politisch motivierten Kredit vom IWF. Diese immer wieder gewährten Kredite waren die „Belohnung“ für Jelzin, die Sowjetunion aufgelöst und die Marktwirtschaft eingeführt zu haben, zumindest der Absicht nach. Die Kredite des IWF und der Weltbank waren notwenig, um zu verhindern, daß womöglich doch eine andere Regierung an die Macht käme und sich den üblen Folgen der Freigabe der Preise und der wilden Privatisierung durch Rückbesinnung auf die nationalen Ressourcen entziehen und gegenüber dem Weltmarkt abschließen würde. Rußland mit seinem Waffenarsenal war zum Unterschied zu den anderen postsozialistischen Staaten immer in der Lage, „nein!“ zu sagen. Dies wollten alle maßgeblichen Politiker der USA und Europas verhindern, und eines der Mittel dazu waren die Kredite des IWF. Im Kielwasser dieser Kredite wagten sich auch Investoren nach Rußland, das inzwischen sogar über eine Börse verfügte. Auf dieser Börse kursierten „Aktien“, die wenig mit Aktien zu tun hatten, aber doch irgendwie Anteilstitel auf Firmen darstellten. Wer also wagemutig war und darauf vertraute, daß Institutionen wie der IWF Rußland schon auf Westkurs halten würden, konnte relativ günstig Anteile an ehemaligen Kombinaten der Grundstoffindustrie oder des Maschinenbaus erwerben. Es war natürlich auch nicht ganz risikolos für Leib und Leben, wenn es gerade ein russischer Geschäftsmann auf die gleiche Firma abgesehen hatte. Investments in Rußland – nichts für Leute mit schwachen Nerven.

Außerdem kursierten auf dieser Börse auch russische Staatsanleihen, für die es Garantien des IWF gab. Solche Garantien werden natürlich meistens in der Hoffnung gegeben, daß sie nicht schlagend werden, verleiten aber immer wieder „Marktteilnehmer“ dazu, diese Staatspapiere für „sicher“ zu halten.
Nach Soros’ „Empfehlung“ waren alle Stabilisierungsversuche vergeblich, der Rubel wurde abgewertet und stürzte richtig ab, die Staatsschulden konnten nicht mehr bedient werden, und viele Gläubiger schauten durch die Finger.

Auch hier eilte der IWF zu Hilfe. Ein Regierungschef wurde entlassen, ein neuer eingesetzt, der arbeitete mit dem IWF zusammen, und auf Kosten der Bevölkerung, deren Geld viel weniger wert war und die sich die ganzen Importartikel (damals wurde auch ein großer Teil der Lebensmittel importiert) nicht mehr leisten konnten, gelang es, den Rubel wieder zu „stabilisieren“. Und vor allem Rußland weiterhin auf Westkurs zu halten. Es wirkte auch vertrauensbildend, daß der schon stark angeschlagene Jelzin selbst einen gesundheitlich fiten Nachfolger ernannte, an dessen Antikommunismus und Orientierung in Richtung Marktwirtschaft bei aller sonstigen Kritik bis heute niemand Anlaß zu zweifeln hatte.

Mit der glücklichen Überwindung der Rubelkrise war endgültig klar, daß das Gespenst des Kommunismus mit finanzpolitischen Methoden weltweit vertrieben worden war.
Und der IWF legte eine härtere Gangart ein.

Die Weltfinanzbehörde übernimmt den bisher unfreien Teil der Welt

DER IWF, TEIL 4: DIE AUFLÖSUNG DES OSTBLOCKS
Vor 1989 waren nur 4 sozialistische Staaten Mitglieder des IWF: Jugoslawien, seit seiner Gründung; Rumänien, seit 1972; Ungarn, seit 1982; und Polen, seit 1986. (Der IWF-Beitritt wurde von der SU nicht gern gesehen, und Frontstaaten wie der Tschechoslowakei verboten.)
Jugoslawien wurde ab 1987 verstärkt unter IWF-Aufsicht gestellt, und durch die vom IWF verordneten Maßnahmen praktisch in die Selbstzerstörung getrieben, da sich im Interesse des Schuldendienstes alle Ausgleichszahlungen innerhalb der Teilrepubliken aufhören mußten und überhaupt das ganze System der Selbstverwaltung – also eigentlich die Staatsraison des sozialistischen Jugoslawien – nach den IWF-Vorgaben aufzulösen und durch Privateigentum zu ersetzen war. Die Zwänge des Schuldendienstes lieferten in Jugoslawien, ähnlich wie mehr als ein Jahrzehnt zuvor in Afghanistan, den Zündstoff zum Bürgerkrieg.
Rumänien ruinierte sich in den 80-er Jahren durch die Schuldenrückzahlung. Seine Regierung machte sich im Westen und beim IWF total unbeliebt mit diesem praktisch gemachten Entschluß, sich der Einflußnahme durch die Weltfinanzbehörde zu entziehen, und wurde schließlich von ihren eigenen Gefolgsleuten in Militär und Partei gestürzt.
Ungarn hatte zum Zeitpunkt der Wende 1989 die höchste pro-Kopf-Verschuldung aller sozialistischen Staaten. Seine Regierung zog aber daraus den umgekehrten Schluß, nämlich noch mehr Marktwirtschaft, und noch mehr Schulden, um endlich damit eine ordentliche Kapitalakkumalation à la Westeuropa hinzukriegen. Die ungarische Regierung wurde zur Vorreiterin der Auflösung des Ostblocks. (Man erinnere sich an Gyula Horn, wie er demonstrativ den Stacheldraht zerschnitt, um die DDR-ler in die Freiheit zu entlassen.)
Polen schließlich hatte seinerzeit mit der Solidarnosc-Bewegung einiges zur Zerstörung der sozialistischen Völkerfamilie geleistet. Es war aber schon vorher bei privaten Banken verschuldet und seine Ökonomie war von westlichen Importen abhängig, was eine bedeutende Rolle für das Aufkochen des Volkszorns und die Bildung dieser Gewerkschaft spielte. Nach Aufhebung des 1981 verhängten Kriegsrechts bettelte Polen förmlich um den Beitritt zum IWF, um seine Schuldenprobleme zu lösen und aus der internationalen Isolation herauszukommen, und der Beitritt wurde 1986 gnädig gewährt.
In allen Fällen hatte sich der IWF also als eine wirkungsvolle Waffe der Propagierung und Durchsetzung von Marktwirtschaft und Freiheit erwiesen.
Anläßlich einer Konferenz 1990 wurde die bereits in Lateinamerika und anderen Ländern der „Peripherie“ oder „3. Welt“ – wohin manche Länder eben durch die Betreuung durch den IWF abgestiegen waren – bewährte Strategie im sogenannten Washington-Konsens zum Leitfaden der Behandlung der ehemals sozialistischen Länder durch den IWF, und darüberhinaus auch zum ökonomischen Glaubensbekenntnis der Politiker Europas und der USA.
Die in diesem Konsens entwickelten Methoden zielten darauf ab, daß der Staat sich möglichst aus allen Bereichen der Wirtschaft, also auch aus den bisher als staatliche Domäne anerkannten Infrastrukturunternehmen wie Post, Telefongesellschaften oder Eisenbahnen, oder Institutionen des Sozialstaates zurückzuziehen und alles dem privaten Unternehmertum zu überantworten habe. Nur in Privateigentum könne das alles „effizient“ betrieben werden, würde schließlich zum Aufblühen „der Wirtschaft“ und zu „Wachstum“ führen.
Ein interessanter Aspekt des Zustandekommens dieses Konsenses ist der, daß er vor allem von lateinamerikanischen Ökonomen ausgearbeitet worden war. Es war dem IWF und der USA-Entwicklungspolitik also gelungen, im Rahmen ihrer Politik des „Containment“, der Kommunismusbekämpfung in Lateinamerika die Eliten dieser Länder auf den Standpunkt der Privatinitiative gegenüber demjenigen des nationalen Interesses zu verpflichten. Sicher gab es da jede Menge Stipendien für Harvard und ähnliche Institute. Es ist dennoch bemerkenswert, wie sich Staatsmänner und Wirtschaftslenker zu einer Überzeugung durcharbeiteten, derzufolge die zerstörerischen Folgen des kapitalistischen Handels und Wandels auf Land und Leute nur eine Art Strafe für die Sünden der Vergangenheit, den „Etatismus“ oder staatlichen „Dirigismus“ darstellen. Infolgedessen gingen sie mit unerschütterlichem Gleichmut rücksichtslos gegen ihre eigene Bevölkerung vor, deren existenzielle Bedürfnisse gegenüber den „Regeln“ des Marktes für nichtig erklärt wurden.
Diese Gehirnwäsche wurde nach 1989 auch auf die Politiker der postsozialistischen Staaten angewendet, mit durchschlagendem Erfolg. Manche osteuropäischen Politiker, z.B. der Tscheche Václav Klaus, versuchten sich sogar als Vorreiter des marktwirtschaftlichen Denkens zu präsentieren, indem sie ihre westlichen Kollegen im Klopfen von neoliberalen Sprüchen noch übertrafen.
Der IWF wurde überall mit offenen Armen aufgenommen – bitte kommt und bringt uns das Wirtschaften bei! – und seinen Mitarbeitern wurden Schlüsselpositionen in Ministerien eingeräumt. „Berater“ aller Art propagierten die neue Heilslehre: Staat – schlecht, privat – gut! in Seminaren und Symposien und Universitäten.
Und die Politik des Zusperrens und Entlassens, des Privatisierens um jeden Preis, manchmal auch mit Gewalt, nahm ihren Lauf. Osteuropa wurde desindustrialisiert und teilweise auch agrarisch stillgelegt, durch das Verbot von Subventionen – Etatismus! – und verwandelte sich dadurch zu einem aufnahmefähigen Markt für die Produkte des „alten“ Europa.
Lateinamerika verfolgte diesen „Erfolgsweg“ ebenfalls weiter. Das Ergebnis war die beinahe-Zahlungsunfähigkeit Mexikos 1994. Diese sogenannte Tequila-Krise wurde vom Kreditsektor unter der Leitung des IWF mit den inzwischen schon fast reflexartigen Methoden abgewendet: Stützungskredite gegen weitere Privatisierungen und Kürzungen im Unterrichts- und Sozialbereich. Der Zustand, in dem sich Mexiko heute befindet, ist eine direkte Folge dieser Maßnahmen.
Der nächste Kandidat für Zahlungsunfähigkeit wäre Ungarn gewesen. Diese Krise wurde bereits im Vorfeld durch weitere Stützungskredite abgewendet, da der IWF und die gesamte Finanzwelt – zu Recht! – einen Dominoeffekt befürchtete, wenn das erste postsozialistische Land, noch dazu ein absoluter Musterschüler des IWF, bereits 6 oder 7 Jahre nach der Wende einen solchen Mißerfolg vorweisen müßte. Der weltweit aufgehäufte Schuldenberg brach dann woanders ein – erst in Südostasien, und dann in Rußland.

Die Weltfinanzbehörde und der amerikanische Hinterhof

DER IWF, TEIL 3: DIE ZURICHTUNG LATEINAMERIKAS

Zu den ersten 29 Unterzeichnern der IWF-Satzungen, also Gründungsmitgliedern im Dezember 1945 gehörten Bolivien, Kolumbien, Honduras, die Dominikanische Republik, Ecuador, Paraguay, Guatemala, Chile, Mexiko und Peru. Im Laufe des folgenden Jahres folgten Costa Rica, Brasilien, Uruguay, Kuba (das nach der Revolution wieder austrat), El Salvador, Nicaragua, Panama und Venezuela. Alle Staaten Mittel- und Südamerikas mit Ausnahme der Guayanas und Argentiniens waren also Mitglieder der ersten Stunde.

Eine Leistung der Einrichtung des Dollars als Weltgeld und die Bindung anderer Währungen an ihn war die Propagierung des Freihandels bzw. die Nötigung zu demselben. Auch andere Teile der Welt, ehemalige Kolonien wurden so für die Bedürfnisse des amerikanischen Kapitals erschlossen. In Lateinamerika wurde damit die Forderung der Monroe-Doktrin „Amerika den Amerikanern!“ endgültig verwirklicht. Die Ökonomien Lateinamerikas wurden zu Rohstofflieferanten für die Erfordernisse der US-Wirtschaft eingerichtet, und zu Märkten für US-Waren – sie wurden entwickelt, nicht gemäß irgendwelchen eigenen nationalen Bedürfnissen, sondern gemäß denen des US-Kapitals. Unter der Flagge des „Handels und Wandels“, der ja angeblich beiden Seiten zugute kommen würde, wurden mit amerikanischem Kapital Transportwege ausgebaut, Ölquellen gebohrt und Agrarflächen für Exportbedürfnisse hergerichtet – nach Vertreibung der Einheimischen, die sich bisher davon ernährt hatten.

Bei aller Freude der lateinamerikanischen Regierungen über die „Modernisierung“ und „Entwicklung“, – der manchmal auch mit US-Geheimdienst-Aktionen zur Beseitigung widerspenstiger Regierungschefs nachgeholfen wurde –, entging den Politikern des Subkontinents nicht, daß sie aufgrund der Kapitalarmut im eigenen Land bei den Investitionen in Infrastruktur und Produktion wenig mitzureden hatten.

Deshalb wurde die Umgestaltung des IWF in den Jahren 1969-73 in Lateinamerika als Chance wahrgenommen, die angestrebte Kapitalisierung ihrer Nationalökonomien endlich in Angriff nehmen zu können. Mit dem Ersatz der Goldbindung durch Sonderziehungsrechte wurde nämlich ein sehr elastisches Verrechnungsmedium geschaffen, dessen Schranken nur durch die Entwicklung der Handelsströme und die Beschlüsse des IWF-Vorstandes gesetzt, also beliebig dehnbar sind.

„Mit der Einführung der SZR wurde zusätzliche Liquidität für das internationale Finanzsystem geschaffen.“ (Wikipedia, Sonderziehungsrecht)

Und diese Liquidität wollte genutzt werden. Die „Entwicklungsländer“, wie sie inzwischen offiziell genannt wurden, begannen, Kredite beim IWF aufzunehmen. Der IWF verteilte sie bereitwillig, weil er sich davon eine Belebung des Welthandels erhoffte. Die privaten Banken stiegen in der Folge gern in dieses Geschäft ein, weil der internationale Kreditmarkt durch die steigenden Ölpreise mit Petrodollars überschwemmt wurde und sich Kredite an Entwicklungsländer als Geldanlage anboten.

Die Vorstellung der Politiker der sich verschuldenden Staaten war die, daß diese Kredite durch mit ihnen angeleierte Produktion und daraus folgende Exporte bedient und abgezahlt werden könnten. Dafür wurden jede Menge Staatsbetriebe eingerichtet. Der Staat trat als Ersatz für das im Lande nicht vorhandene produktive Kapital auf. Der erwartete Exportschub trat aber nicht ein, oder nicht in dem erwarteten Maße, vor allem deshalb, weil die Weltmarktpreise derjenigen Güter, die diese Staaten für den Export anzubieten hatten: Rohstoffe und Agrarprodukte – beständig sanken. So wurden die alten Kredite durch neue bedient, in der Hoffnung, daß sich einmal ein Durchbruch ergeben würde.

„Hatte die Auslandsverschuldung (Mexikos) 1970 noch bei nur 3,7 Milliarden US-Dollar gelegen, so lag sie 1982 bei über 86 Milliarden US-Dollar.“

Dazu fielen die Ölpreise stark, und die internationalen Zinssätze machten einen Sprung nach oben. Im Gefolge der 1982 von Mexiko angemeldeten Zahlungsunfähigkeit gerieten auch andere Länder ins Strudeln, da das gesamte Lateinamerika-Engagement für die Banken und den IWF fragwürdig geworden war. Auch in Lateinamerika selbst trat eine Ernüchterung bezüglich der Segnungen des Schuldenmachens für Wirtschaftswachstum und nationalen Erfolg ein. Die Schulden waren jedoch da und mußten bedient werden. Die lateinamerikanischen Staaten verwandelten sich in Nettozahler: Von 1982 an zahlten Brasilien, Argentinien, Mexiko mehr an Zinsen zurück, als sie an Neuschulden aufnahmen.

Für den IWF bedeutete die Krise von 1982 eine weitere Wende: Erstmals seit dem Bestehen dieser Einrichtung war Zahlungsunfähigkeit eines Landes, sogar einer ganzen Region eingetreten. Der Rest der 80-er Jahre stand im Zeichen der Entwicklung von Strategien, um diese Zahlungsfähigkeit wiederherzustellen und aufrechtzuerhalten. Das Rezept für die Garantie des Schuldendienstes, das sich in Zusammenarbeit von Mitarbeitern des IWF und Ökonomen der betroffenen Länder entwickelte, lautete: Verkauf oder Schließung von Staatsbetrieben, verstärkte Investitionen in exportorientierte Wirtschaftszweige, völlige Freiheit des Kapitalverkehrs und Abbau aller noch aufrechter Zollschranken. Die Produktion für den Binnenmarkt ging zurück, die Importabhängigkeit wuchs, und der Traum von „Entwicklung“ war zu Ende, er wich dem harten Zwang zum Schuldendienst, um weiterhin am Welthandel teilnehmen zu können.

Diese an Lateinamerika entwickelte und in Lateinamerika praktizierte Strategie des Zusperrens und Entlassens, des knappen Geldes und des Sich-Zurückziehens des Staates aus der Wirtschaft wurde die Strategie, mit der sich der IWF seinem nächsten großen Aufgabenfeld widmete: Der Abwicklung des Realen Sozialismus.