Zu Italiens Budget-Entwurf

GRUNDEINKOMMEN ALS AUSWEG AUS DER KRISE?

Zu den Wahlversprechen der 5-Sterne-Bewegung gehörte ein Grundeinkommen für Arbeitslose. Mit diesem Versprechen kamen sie vor allem im Mezzogiorno gut an, weil dort Jobs an und für sich rar sind.
Nach ihrem Wahlsieg wurde das schon etwas abgespeckt und sollte sich auf eine Einkaufskarte reduzieren. Das blieb natürlich auch nicht lange im Gespräch, weil mit der kann man ja weder Miete noch Schulden noch die Stromrechnung bezahlen.

An dem, wie diese Sozialhilfe am Ende aussehen soll, wird noch herumgebastelt. Die EU ist auf jeden Fall dagegen, weil dafür angeblich kein Geld da sei, und die EU-Kommission hat den italienischen Budgetentwurf zurückgewiesen.

Was würde so ein Grundeinkommen volkswirtschaftlich gesehen bedeuten?

1. Grundeinkommen – Zahlungsfähigkeit auf Staatskredit

Ein Grundeinkommen würde einen Teil der Bevölkerung, der vom Standpunkt des Kapitals überflüssig ist – redundant population – mit einer wenngleich sehr beschränkten Zahlungsfähigkeit ausstatten. Ein Leben in Saus und Braus wäre also keinesfalls möglich, es ginge hier um das schlichte Überleben.
Ein Moment dieser Grundeinkommensidee ist in Italien sicherlich, damit den verschiedenen Mafia-Gruppen das Wasser abzugraben. Wenn die Bevölkerung Süditaliens mit einer Überlebenschance ausgestattet wäre, so würde damit die Motivation wegfallen, bei der Cosa Nostra oder sonstwo anzuheuern, um die Familie füttern zu können. Ein Grundeinkommen würde also die nationale Sicherheit erhöhen und geringere Kosten für den Sicherheitsapparat zum Ergebnis haben. So könnte eine Überlegung der italienischen Regierung oder zumindest der 5-Sterne-Mitglieder aussehen.

Es ist übrigens für diese Überlegung ganz gleichgültig, ob dieses Grundeinkommen bedingungslos oder an bestimmte Leistungen für die Gemeinschaft geknüpft wäre. Auch vom ökonomischen Standpunkt her ist es gleichgültig: Die Leute hätten eine auf niedrigem Niveau gesicherte Existenz und müssen nicht kriminell werden.
Man vergesse nicht den weiteren erwünschten Effekt dieses Grundeinkommens: Mit dieser beschränkten, aber gesicherten Zahlungsfähigkeit könnten die Betroffenen ihre Miete zahlen, also Immobilienbesitzern Geld in die Kassen spülen. Sie könnten sich ernähren und damit Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie helfen, ihre Waren zu versilbern. Und die könnten sich bekleiden und ihre Stromrechnung zahlen, was den Absatz der Produkte von Energiewirtschaft und Textilindustrie ermöglichen würde.

Sie wären also ein zwar beschränkter, aber immerhin sicherer und zahlungsfähiger Markt für das internationale, in erster Linie europäische Kapital. Das Grundeinkommen hätte eine wohltuende Wirkung in Bezug auf den „Salto Mortale“ der Waren, den Verkauf.

Die wichtige Frage ist jedoch, wie wird ein solches Einkommen finanziert? Es ist der Staat, der dieses Geld auszahlen würde, und nicht ein profitorientiertes Unternehmen.

Der Staat hat genau zwei Liquiditätsquellen: Erstens das, was er aus seiner Gesellschaft herausholt, in Form von Steuern, Abgaben, Gebühren usw. Zweitens, der Kredit.
Es ist klar, daß Leute, die nichts haben, dem Staat auch keine Einnahmen verschaffen können. Es bleibt also nur der Staatskredit für die Schaffung dieses Grundeinkommens.

2. Kredit als Quelle der staatlichen Zahlungsfähigkeit

Beim Kredit des Staates gibt es auch zwei große Gruppen von Krediteuren.

Das eine sind die eigenen Banken. Der Staat verschuldet sich bei seinen Banken und zahlt ihnen dann dafür Zinsen, und die Banken haben dadurch ein sicheres Zinseinkommen. Es wäre zumindest ein geschlossener Kreislauf, auch wenn die Staatsschuld immer mehr anwachsen würde. Solange die Banken dem Staat glauben, daß er weiter zahlen wird, so lange geben sie ihm auch diesen Kredit.

Dieses Schema setzt allerdings eine nationale Währung voraus, in der sich dieser Staat bei seinen eigenen Kreditinstituten verschulden kann. Hier sieht man sehr gut den Unterschied zwischen Italien und Großbritannien, den beiden EU-Mitgliedern mit der in absoluten Zahlen höchsten Staatsschuld: Die Verschuldungsfähigkeit der britischen Regierung ist praktisch unbegrenzt und kein Thema in den Medien. Italien hingegen ist an die Sparpolitik des europäischen Stabilitätspaktes gebunden. Zumindest sehen die anderen Staaten der Eurozone das so.

Die zweite Quelle des Kredits sind nämlich die internationalen Kreditgeber. Dazu gehören Fonds aller Art, Banken, Versicherungen, Stiftungen, die ständig die Welt nach Investitionsmöglichkeiten abgrasen, wobei ein Gesichtspunkt die Rendite ist, der andere die Zahlungsfähigkeit des Schuldners. Die beiden stehen in umgekehrten Verhältnis zueinander: Je schlechter die Zahlungsfähigkeit eingestuft wird, um so mehr Zinsen muß dieser „schlechte“ Schuldner zahlen.

Mit der Einrichtung der Gemeinschaftswährung verschmolzen diese beiden Kreditquellen bis zu einem gewissen Grad. Der Zins, den ein Staat für seine Anleihen entrichten mußte, glich sich an. Die nationalen Banken gaben sich nicht mehr mit einem geringeren Zinsfuß zufrieden, alle verlangten die gleichen Bedingungen.
Das störte damals niemanden. Die Staaten freuten sich, daß die ganze Welt ihre Anleihen nachfragte, die inzwischen in einer international anerkannten Währung auf allen Weltbörsen gehandelt wurden.
Die einheimischen Banken freuten sich, daß sie höhere Zinsen kriegten.
Die ausländischen Kreditgeber waren auch total scharf auf Anleihen in Euro. Sie machten zwar immer noch kleine Unterschiede zwischen den nationalen Fähnchen, die auf den Anleihen drauf waren, aber kauften auch die Anleihen Griechenlands und Portugals mit großem Eifer, weil dahinter stand ja, so die damalige Ansicht, die Wirtschaftskraft der gesamten EU, und eine bessere Rendite als die der Anleihen Deutschlands. Die Differenz, der sogenannte „spread“, war damals aber vergleichsweise gering und betrug 2-3%.

Diese vermeintliche Win-Win-Situation hielt genau bis 2008 an, als die Kreditgeber auf einmal genauer auf die nationalen Fähnchen achteten und die „spreads“ sich erhöhten. Die Krise brachte auch noch ein eigenes Wertpapier hervor, die Kreditversicherungs-Zettel, die die Zinsen der fragwürdigen Staaten weiter hinauftrieben.
Die einheimischen Banken waren jetzt entweder patriotisch und hilfsbereit, was sie in den Ruin trieb, wie in Griechenland oder Zypern. Andere bewiesen sich als vaterlandslose Gesellen und kündigten dem eigenen Staat den Kredit, wie in Portugal 2011, als die größten Banken sich weigerten, den Staat weiter zu kreditieren. (Es half übrigens den portugiesischen Banken nichts, sie gingen auch pleite und mußten mit EZB-Geldern gestützt werden.)

Aufgrund des internationalen Vertrauensverlustes gab es nur mehr eine Möglichkeit, die Pleitestaaten der Eurozone und damit den Euro selbst zu retten, und das war der kollektive Kredit der Eurozone. So wurden Rettungsfonds eingerichtet und der EZB-Kredit verstärkt in Anspruch genommen.

3. Die EZB und die Rettungsfonds

Die Rettungsfonds wurden gegründet, als aufgrund der Zahlungsunfähigkeit Griechenlands, und dann Irlands und Portugals der Euro auf dem Spiel stand. Sie sehen so aus, daß die zahlungsfähigen Staaten Garantien für die zahlungsunfähigen übernehmen. Das heißt, daß die – damals! – zahlungsfähigen Staaten mit ihrer Kreditmacht Garantien für die Kredite der zahlungsunfähigen übernehmen und damit den Kredit – das in den Euro gesetzte Vertrauen – der gesamten Eurozone strapazieren.

Diese damals ziemlich ad hoc, d.h. anlaßgegeben aus der Taufe gehobenen Garantiekonstruktionen sind nicht erweiterbar. Italien kann das Geld der Rettungsfonds nicht in Anspruch nehmen. Abgesehen davon, daß die dort noch vorhandenen Summen zu gering für die Geldnöte Italiens wären, so ist Italien selbst Garantiemacht. Das heißt, es steht mit seinem Nationalkredit für den Kredit anderer Staaten gerade und kann deshalb selbst diesen Kredit nicht in Anspruch nehmen.

Das heißt, daß bloß die EZB als „lender of last resort“, letzter Kreditgeber, zur Verfügung steht.
In diesem Falle hieße das, daß die EZB Italien das Geld zur Verfügung stellen müßte, das Italien benötigt, um 1. seinen Schuldendienst weiter zu leisten, 2. seine Banken zu stützen, 3. seine Infrastruktur zu sanieren (man erinnere sich an die eingestürzte Brücke in Genua, die erdbebengeschädigten Ortschaften in den Abruzzen und die völlig veralteten Eisenbahnen) und 4. seine Bevölkerung mit Grundeinkommen und Pensionen funktional und ruhig zu halten.

4. Grundeinkommen für alle Überflüssigen geht nicht

Man sieht, Italien benötigt viel Geld, um weiter als Mitglied der EU halbwegs zu funktionieren – als Kapitalstandort, als Markt und als Beitragszahler.
Es ist jetzt sehr kleinlich, wenn die EU sich gerade an der Grundeinkommens-Frage ziert und sagt: Also nein, das geht jetzt wirklich nicht mehr!

Umgekehrt ist eben die Frage: Wie weiter?

Soll die EU ihren Kredit strapazieren, um ihre immer mehr strauchelnden Mitglieder aufrecht zu erhalten? Kann die EU so funktionieren, den Euro aufrecht erhalten?

Heute Italien, morgen Spanien, übermorgen Frankreich? Überall wächst die überflüssige Bevölkerung, inzwischen auch in den Kernstaaten der Eurozone, nicht nur an der Peripherie, dem Hinterhof der EU: Auch wenn die Medien fest hetzen, daß die „Sozialschmarotzer“ alle nicht arbeiten wollen und zur Arbeit gezwungen werden sollten, anstatt sie in der „sozialen Hängematte“ weiter durchzufüttern, auch wenn mit Hartz IV in Deutschland die Leute drangsalisiert werden, so gut es nur geht – die Tatsache bleibt, daß in der ganzen EU immer mehr Leute ohne Einkommen dastehen.

Italien ist da kein Sonderfall.

Was tun mit den Überflüssigen? Indische Zustände einreißen lassen, wo die Leute auf der Straße Hungers oder an Krankheiten sterben?
Lager einrichten, Arbeitshäuser, Privatgefängnisse wie in den USA, wo moderne Sklavenarbeit wieder an Unternehmen vermietet wird, die bei fast 0 Arbeitskosten profitabel produzieren können? Werden sich das alle Betroffenen gefallen lassen?

Es ist begreiflich, daß Italiens Regierung für ein Grundeinkommen oder eine flächendeckende Sozialhilfe optiert. Und es ist, angesichts der oben angeführten Alternativen, auch nicht unsympathisch. Sie möchten ihre Bevölkerung angesichts trostloser Perspektiven zumindest irgendwie am Leben und für etwaige spätere Inanspruchnahme durch das Kapital fit halten. Und wenn sich kein Anwender findet, so sollen die Menschen dennoch nicht krepieren.

Unter den kapitalistischen Bedingungen und dem Euro als Einheitswährung ist dieses Verfahren aber nicht möglich. Es würde sowohl die Gewinnproduktion als auch das Kreditwesen ad absurdum führen. Und zwar deshalb, weil es keine Perspektive gibt, daß diese Menschen je wieder gebraucht würden. Das Grundeinkommen würde einen Dauerzustand bedeuten, und den Kredit, der auf Gewinn zielt, rein auf die Staatsgewalt gründen.

5. Die Anhänger des Grundeinkommens: Staats- und Marktfans

Abgesehen davon, daß die Idee des Grundeinkommens im Kapitalismus nicht machbar ist – ist ein solcher Zustand erstrebenswert?
Einen guten Teil der Bevölkerung zu staatlichen Almosenempfängern zu machen, ist erstens für die Betroffenen unerfreulich. Sie kriegen damit vorgeführt, daß sie unnötig und auf die Gnade der Staatsgewalt angewiesen sind, ohne jede Möglichkeit, dem zu entkommen. Die einzige Möglichkeit ist der Versuch, Nischen-Jobs zu finden, wie Rikschafahrer oder Fahrradbote, zum gleichen Verdienst. Kunsthandwerk verfertigen? Batik und Tiffany-Lampen, auf die keiner neugierig ist?

Es ist absehbar, daß sich ein guter Teil dieser Menschen mit Drogen und Alkohol zutörnen wird.

Beziehungen und Familiengründung, und sei es auch in alternativen Patchwork-Familien und Homo-Ehen, stehen für diese Leute ebenfalls unter keinem guten Stern. Wofür Kinder kriegen und aufziehen? Um Bettler in die Welt zu setzen?

Abgesehen von den trostlosen Aussichten für die Bezieher dieser Sozialhilfe stellen sie eine Klientel des Staates dar, die dieser dann nach Belieben einsetzen kann, weil diese Leute sind völlig abhängig von den staatlichen Zahlungen. Es hängt nur von den Zielen der jeweiligen Regierung ab, wofür sie diese Leute mobilisieren will.
Ab morgen werden Flüchtlinge zusammengesammelt und ins Meer geworfen! Du hast am Soundsovielten dort zu sein und dabei mitzumachen, diese Flüchtlinge zusammenzutreiben!
Was, du willst nicht? Na, dann streichen wir dir sofort das Grundeinkommen!
Roma und sonstige unerwünschte EU-Bürger werden dann und dann zusammengesammelt und in KZs gesperrt.
Was, das gefällt dir nicht? Na, dann schau, wie du ab morgen ohne Grundeinkommen weiterkommst!

Und seien wir ehrlich, Salvini und Co. ist dergleichen durchaus zuzutrauen.

Vielleicht wäre es doch besser, darüber nachzudenken, ob Staat, Privateigentum, Markt und Geld wirklich notwendig sind zum Funktionieren der menschlichen Gesellschaft, anstatt sich dauernd darüber den Kopf zu zerbrechen, wie man diese tollen Einrichtungen retten kann.

Serie „Lateinamerika heute“. Teil 3: Venezuela

EIN STAAT KOLLABIERT

Sehr viel hat sich nicht geändert seit letztem Jahr, was die Zustände in Venezuela angeht. Der Versuch der Regierung, die mangelnde eigene Produktion durch Kredit und Löcherstopfen zu behandeln, ist notwendig zum Scheitern verurteilt und führt inzwischen zu einem Massen-Exodus, der die benachbarten Staaten in Besorgnis versetzt.
Eine Sache ist, wozu der Chavismus geführt hat, aufgrund eigener Widersprüche und interner politökonomischer Opposition sowie Druck von außen.

Das Problem Venezuelas ist, kurz zusammengefaßt, daß seit dem Amtsantritt der Regierung Chávez ein Sozialstaat aufgebaut wurde, ohne daß eine Kapitalakkumulation zustande gekommen wäre, die die Finanzierung eines solchen tragen könnte.
Seither hat sich die Situation insofern verschärft, als seit 2014 2,3 Millionen Venezolaner das Land verlassen haben und die Auswanderung in den letzten beiden Monaten sprunghaft angestiegen ist.

1. Medienhetze

Eine andere Sache ist, wie darüber berichtet wird und welche Lösungsvorschläge dem p.t. Publikum von den Medien nahegelegt werden. Schuld an allem ist der Berichterstattung zufolge die regierende Partei (PSUV) und deren Vorsitzender und gleichzeitig Präsident Venezuelas Nicolás Maduro.
Das Schema ist sehr einfach und dümmlich, aber es wird aus allen Rohren über die Menschheit ausgegossen. Die Politiker Venezuelas sind mehr oder weniger Verrückte, und der mehrmals gewählte Präsident ein gefährlicher Diktator, der sein Land aus purer Machtgier ins Verderben führt.
Beweis: Die Leute rennen weg!

Es ist wichtig, sich die Dummheit und Unhaltbarkeit dieser Auffassung deutlich zu machen, als ob der wirtschaftliche Zustand eines ganzen Landes nur den verfehlten Entscheidungen einzelner Politiker geschuldet sei. In ähnlicher Weise wurde gegen Saddam Hussein und Ghaddafi gehetzt, um sie dann wegräumen zu können.
Wenn dann dort im Land Bürgerkrieg, Mord und Totschlag ausbrechen, so wird das noch eine Zeitlang als Erbe des wahnsinnigen Diktators besprochen und dann verschwindet das Land aus den Schlagzeilen.

Es ist das Ideal der guten Herrschaft, die gerade darüber befestigt wird, daß man überall schlechte oder nur halbgute vorfindet. Der gütige Landesvater und seine selbstlosen und ums Allgemeinwohl beflissenen Mitarbeiter – Minister usw. – sollten sich um das Gedeihen ihrer Untertanen bemühen. Vor diesem Ideal schauen alle Regierungen der Welt schlecht aus, und der kritische Journalismus geht zum guten Teil darin auf, immer ein Mißverhältnis zwischen den vorgestellten ehrbaren und den wirklich vorgefundenen „korrupten“ oder „unfähigen“ oder „popularistischen“ Regierungen festzustellen.
Nach diesem Einheitsschema und mit fertigen Textbausteinen wird heute gegen Erdogan und Orban, Putin, Assad, Ortega und Maduro vom Leder gezogen. Über Regierungen, die „uns“, also der EU-Führung genehm sind, hört und liest man dagegen nichts Nachteiliges, obwohl es über Staaten wie Ägypten, die Ukraine oder Myanmar auf jeden Fall diesbezüglich einiges zu berichten gäbe. von den von USA und EU in trauter Zusammenarbeit geschaffenen Failed States ganz zu schweigen.
Über unerfreuliche Entwicklungen in befreundeten Staaten wird jedoch der Mantel der Diskretion gebreitet.

Durch diese Art der Berichterstattung entsteht auch die Ansicht, man brauche nur den obersten Bösewicht und vielleicht einige seiner eingeschworenen Unterstützer wegräumen, und schon würde alles gut.
In diesem Geiste ist auch das etwas stümperhafte Attentat zustandegekommen, das vor einigen Wochen anläßlich einer öffentlichen Veranstaltung gegen Maduro begangen wurde. Ob das jetzt vom Ausland gesteuert wurde oder nicht, ist zweitrangig. Wichtig ist, daß die Attentäter sich sicher sein konnten, daß sie vom Ausland und der inländischen Opposition beklatscht werden würden, wenn es ihnen gelingt. Daß die PSUV und Maduro auch nach wie vor viele Anhänger haben, bedachten sie gar nicht.

Dieses Resultat ihrer eigenen Hetze war den Medien offenbar etwas unangenehm, sodaß von Anfang an so getan wurde, als hätte die Regierung dieses Attentat aus Propagandazwecken selbst in Auftrag gegeben.
Warum sie das tun sollte, ist zwar nicht einsichtig, aber im Rahmen des allgemeinen Einheitsbreis von den verrückten Machthabern, die an ihren Sesseln kleben, läßt sich so ein widersprüchlicher Unsinn auch unterbringen.

2. Was tun? Interventions-Überlegungen

Seit geraumer Zeit, bereits vor Trumps Amtsantritt, wurden Pläne zu einer militärischen Intervention in Venezuela gewälzt. Trump selber fragte vor einem Jahr ziemlich unverblümt herum, ob man nicht dort einfach einmarschieren könnte?
Sowohl seine eigenen Berater als auch die ebenfalls zu Rate gezogenen lateinamerikanischen Politiker erteilten diesem Plan eine schlichte Absage.

Auch die sehr amerikafreundlichen Regierungen Brasiliens und Kolumbiens haben klargestellt, daß sie selbst nicht daran denken, dort militärisch einzugreifen, weder im Alleingang noch mit den USA zusammen.
Erstens sind die USA nach mehreren Invasionen, die für das US-Budget sehr kostspielige Failed States erzeugt haben, selber etwas vorsichtiger geworden, was Einmärsche anbelangt. Die Besatzung eines Landes bindet außerdem Truppen, die dann woanders nicht zur Verfügung stehen, und kann sich, wie man an Afghanistan oder dem Irak sieht, sehr lange hinziehen.
Zweitens liegen die Gründe, warum die USA vor einer Intervention zurückschrecken, auch in Venezuela selbst. Venezuela hat ein recht hochgerüstetes Militär, das bisher loyal zur Regierung stand, und diese Regierung hat auch einen großen Rückhalt in der zivilen Bevölkerung. Eine Invasion wäre daher verlustreich für die eigenen Truppen, würde Gemetzel unter der Zivilbevölkerung zu Folge haben und ein Erfolg wäre völlig unsicher.
Es ist keineswegs so, wie die Medien vorspiegeln, daß Invasoren willkommen wären und die Bevölkerung sie mit offenen Armen empfangen würden, und das wissen Pentagon und CIA genau so gut wie die Regierungen der Anrainerstaaten.

3. Migranten

Immer mehr Leute verlassen Venezuela und verursachen damit ein Problem für die Staaten in Südamerika.
Zunächst für die unmittelbaren Anrainerstaaten.
Sie überfluten Grenzstädte in Kolumbien und Brasilien, die ohnehin eher Armenhäuser der jeweiligen Staaten sind. Die Venezolaner kommen teilweise unterernährt und krank an, weil in Venezuela Grundnahrungsmittel knapp sind und weil die medizinische Versorgung in Venezuela von Haus aus mangelhaft war und inzwischen aufgrund des Mangels an Medikamenten in vielen Gegenden zusammengebrochen ist.
Dazu kommen bei der Weiterreise in andere Staaten Probleme der Bekleidung und Ausrüstung, weil Venezuela ein Land des ewigen Sommers ist, wohingegen Ecuador und Peru Teile der Andenhochebene sind und ein Hochgebirgsklima haben, für das die Venezolaner schlecht gerüstet sind.

Im brasilianischen Grenzdorf Pacaraima gibt es inzwischen eine ziemlich elende Zeltstadt, die vor allem durch NGOs mehr schlecht als recht versorgt wird, und es kam auch bereits zu einem Pogrom gegen die venezolanischen Auswanderer. Die Polit-Mannschaft des Bundesstaates Roraima macht ihre Politkonkurrenz inzwischen über das „Flüchtlingsproblem“ und, ähnlich wie hierzulande, geschieht in Sachen Flüchtlingsversorgung sehr wenig.
In Kolumbien ist es vor allem die Grenzstadt Cúcuta, die von venezolanischen Migranten überlaufen wird. Kolumbien fühlt sich deshalb berufen, besonders gegen die venezolanische Regierung Stimmung zu machen, die Probleme Cúcutas werden aber nicht gelöst.

Peru und Ecuador sind ebenfalls Zielländer für die venezolanische Emigration. Sie haben inzwischen beschlossen, Pässe beim Grenzübertritt zu verlangen, um den Zustrom zu unterbinden bzw. zu kontrollieren.
In Venezuela hatten die meisten Einwohner nie einen Pass. Sogar die Erlangung eines Personalausweises war jahrzehntelang für die meisten ärmeren Venezolaner zu teuer. Es stellte eine Leistung der Chávez-Regierung dar, die Leute überhaupt mit letzterem Dokument auszustatten, um ihnen Zugang zu Sozialleistungen zu ermöglichen.
Internationale Pässe auszustellen ist eine Dienstleistung, die erst in jüngerer Zeit sozusagen in Mode gekommen ist. Die Behörden sind mit dem Ansturm überfordert, und die venezolanische Regierung benützt diesen Umstand auch, um die Auswanderung zu behindern. Man kommt in Venezuela heute nur an einen Pass, wenn man einen Haufen Geld dafür ablegt.
Infolgedessen verlassen die meisten Venezolaner das Land nur mit einem Personalausweis, oder nicht einmal diesem. Sie treten also bereits als „sin papeles“, Undokumentierte, in den Nachbarländern auf.

Die Beschränkungen Ecuadors und Perus stoppen jedoch den Zustrom an Migranten nicht, sondern eröffnen nur ortskundigen Schleppern ein Geschäftsfeld, um die venezolanischen Migranten über Schleichwege auf das Territorium des Zielstaates zu bringen.

So präsentiert sich das „Problem Venezuela“ heute sowohl für die USA, die aus den oben beschriebenen Gründen nicht intervenieren will und kann, als auch für die Staaten Lateinamerikas, die zusätzlich zu ihrer eigenen Armut und „überflüssigen Bevölkerung“ im Marx’schen Sinn – Leute, die keine andere Existenzmöglichkeit als den Verkauf ihrer Arbeitskraft haben, für die das Kapital aber keine Verwendung hat – mit dem Problem der venezolanischen Emigration konfrontiert sind.
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siehe auch: Imperialismus heute: VENEZUELA UND DIE WELT (Jänner 2019)
Radiosendung zu Venezuela in 2 Teilen: Vom Glück und Pech, über Ressourcen zu verfügen (April 2019)
https://cba.fro.at/400802
https://cba.fro.at/401945

Entenproduktion, Marke West

DIE KONSTRUKTION EINER „RUSSISCHEN SPUR“

An den „Beweisen“, wie hinter der Vergiftung eines ehemaligen – inzwischen für Rußland wertlosen – Doppelagenten Skripal das alte und neue Reich des Bösen, also Moskau stecken soll, kann man den Verfall der Medien studieren, und auch, für wie blöd die Produzenten dieser Fake News ihr Publikum inzwischen halten.

Nachdem der Typ und seine Tochter unter sehr mysteriösen Umständen bewußtlos auf einer Parkbank aufgefunden worden waren, wurde sofort gesagt: da steckt sicher Rußland dahinter!
Dabei könnte man an den Umständen ihrer Vergiftung und Lokalisierung als erstes ablesen, daß es offenbar in Großbritannien seltsam zugeht, wenn dort so einfach in der Öffentlichkeit mit tödlichen Giften hantiert werden kann, ohne daß es jemandem auffällt.

Bevor irgendwie auch nur klar ist, wie die Betroffenen mit dem Gift in Berührung kamen und dann auf einer Parkbank landeten, haben die „Experten“ schon herausgefunden, daß es sich um ein russisches Nervengift handelt, womit der Beweis für die Hand Moskaus geliefert ist!

Um was für eine Art von „Experten“ handelt es sich hier? Um Chemiker offenbar nicht, sondern um Propaganda-Fachleute, denen kein Trick zu plump ist.

Diese Expertenmeinung wurde von der britischen Premierministerin im Parlament verkündet, um ihre Experten offentlich zu stützen und dem ganzen Schmarrn eine Art Objektivität verleihen – wenn sogar die Regierungschefin den Unsinn glaubt, so muß er doch die reine Wahrheit sein!

Für dieses angebliche Nervengift „Novitschok“ existiert (seit wann?) ein englischer Wikipedia-Eintrag und ein russischer Pseudo-Wikipedia-Eintrag, weil die redaktionelle Gestaltung der russischen Wikipedia doch einiger Qualitäts-Kontrolle zu unterliegen scheint. Es war nur peinlich, und ist vielen Lesern auch aufgefallen, daß sich auf Russisch unter dem Ausdruck „Novitschok“ nur Tomaten und einen Zeichentrickfilm fanden. In Rußland wußte man also bis dato gar nichts von diesem angeblich so wirksamen Gift, was natürlich wieder ein Beweis ist, wie top secret das ganze war!

Auf Grundlage des englischen Wikipedia-Eintrags erschienen innerhalb von 2 Tagen in allen möglichen Zeitungen Artikel, die die Leser mit dieser heißen Information versorgten. Niemand schien es zu stören, daß sie erstens von Wikipedia ohne weitere Überprüfung abschrieben und auch die „russische Spur“ praktisch als bewiesen ansahen, obwohl nach wie vor völlig unklar ist, wie diese beiden Personen überhaupt zu dieser Vergiftung kamen.

Wenn man dem ganzen am Internet ein wenig nachgeht, so scheint es sich bei diesem „Novitschok“ um eine Abart von Senfgas zu handeln, was ja leider weltweit überhaupt nichts Besonderes in der chemischen Kriegsführung ist. Ob es diese besondere Art in der SU jemals gegeben hat oder das eine Erfindung von Agenten und Geheimdienstlern war, die sich seinerzeit damit wichtig machen wollten, daß sie schrieben: „Ich weiß was!“, bleibt dahingestellt. Zumindest für den westlichen Leser.

Die Frage stellt sich aber, ob es überhaupt bei einer nachträglichen Untersuchung von „gewöhnlichem“ Senfgas zu unterscheiden ist, das in diversen Arsenalen westlicher Streitkräfte lagert. Um so mehr, als dieses „Novitschok“ ja derart top secret war, daß über seine chemische Zusammensetzung gar nichts bekannt sein kann.
Senfgas wurde z.B. vom Irak im Krieg gegen den Iran und 1988 gegen die irakisch-kurdische Stadt Halabdscha eingesetzt. Auch Großbritannien, die USA und diverse andere NATO-Staaten besitzen und erzeugen Senfgas. Gerade deshalb ist es vermutlich so wichtig, eine besondere russische Art davon zu erfinden und „nachzuweisen“, um von anderen Beständen, die ja noch dazu sehr in der Nähe sind, abzulenken.

Die „Komsomolskaja Pravda“ ist der Sache nachgegangen und kommt zu folgenden Ergebnissen: Über dieses Novitschok gab es bereits seit den 70-er Jahren Gerüchte, es sollte sich um ein super-wirksames Nervengift handeln. Ob das überhaupt existierte, oder ein Flop war und nach dem Zusammenbruch der SU zerstört oder die Forschung danach aufgegeben wurde, ist auch unbekannt. Ein georgischer Unternehmer soll damit vergiftet worden sein, aber vielleicht wollte sich mit dieser Information nur jemand wichtig machen. Auch bei diesem Vergiftungsfall wurde nie etwas Genaues nachgewiesen.

Schließlich weist die „KP“ wie auch schon beim Fall Litvinenko darauf hin, daß es zum Umbringen mißliebiger Leute im Ausland heute wahrlich unkompliziertere und weniger auffällige Methoden gäbe.
Ein von der „KP“ befragter Chemiker und Experte für Chemiewaffen, Anton Utkin, macht auf folgenden Umstand aufmerksam:
Das Gift kann nur dann eindeutig nachgewiesen werden, wenn seine chemische Zusammensetzung bekannt ist.
Wenn sie jedoch den Chemikern, die diese Substanz diagnostiziert haben, bekannt ist, so können sie selber sie auch herstellen.

Es läßt sich also dann nicht mehr feststellen, daß diese Substanz aus Rußland kommt, sondern sie könnte von jedem hergestellt werden, dem ihre Zusammensetzung bekannt ist.

Schließlich erinnert Utkin auch noch im Vorbeigehen an Litvinenkos Fall und weist darauf hin, daß es kein gutes Licht auf die britischen Geheimdienste wirft, wenn Leute mit tödlichen chemischen oder radioaktiven Substanzen einfach so frei im Lande herumlaufen können.

Vielleicht ist es auch nicht zufällig, daß Skriapl in Salisbury lebte und daß unweit dieser Stadt, in Porton Down, das Giftwaffen-Forschungszentrum des UK befindet.