RETTET DEN PLANETEN!
Der Klimawandel ist inzwischen von den verschiedensten Interessensgruppen als Rechtstitel entdeckt worden, um dem eigenen Anliegen mehr Nachdruck zu verleihen: Von der Autoindustrie über die Parteienkonkurrenz zu den Systemgegnern.
Alle möglichen Maßnahmen erhalten das Ettikett „Klimawandel“ aufgeklebt, von Hochwassermaßnahmen in Venedig über den Bau von Elektroautos bis hin zu Steuererhöhungen.
Es wäre gut, wenn man bei den geposteten Beiträgen ein bißl eine Struktur hineinbringen könnte …
Kategorie: Konkurrenz um die Macht
Serie „Lateinamerika heute“. Teil 15: Bolivien
BERGBAUNATION
Wenn man die Geschichte Boliviens nach denjenigen Produkten einteilen wollte, die nach Galeano „die Armut des Menschen als Ergebnis des Reichtums der Erde“ verursachen, so kann man dafür die Perioden des Silbers, des Zinns und die der Energieträger Erdöl und Erdgas ansetzen. In Zukunft vielleicht die des Lithiums. An diesen Bodenschätzen entlang entwickelte sich das heutige Bolivien.
1. Das Silber von Potosí
bestimmte die spanische Kolonialzeit, und prägte das damalige Gebiet des heutigen Bolivien insofern, als sich die ganze Organisation der Gesellschaft unter den spanischen Behörden um das Funktionieren dieses Bergwerks und den Abtransport des dort gewonnenen Silbers drehte. Die Landwirtschaft, das Transportwesen und das gesamte gesellschaftliche Leben wurden dem untergeordnet. Die Eingeborenen des Hochlandes wurden versklavt und in den Minen vernutzt. Die spanischen Kolonialherren bedienten sich dafür einer Institution, die die Inkas eingeführt hatten, um in gemeinschaftlicher Arbeit Straßen und Kanäle zu bauen.
Als die einheimische Bevölkerung aufgrund der für sie viel zu schweren Arbeit gehörig dezimiert war, wurden sie durch schwarze Sklaven ergänzt, vor allem aus dem Gebiet der heutigen Guineas. Der „Reiche Hügel“ von Potosí befindet sich nämlich noch dazu auf einer Höhe von über 4000 Meter, wo der Sauerstoffmangel im Zusammenhang mit schwerer Arbeit sehr verkürzend auf das Leben der Arbeitenden wirkt.
Auch die Arbeit in der 1572 in Potosí gegründeten Münzprägeanstalt, die das ganze spanische Kolonialreich mit Silbermünzen versorgte, wurde von Sklaven geleistet. Nach dem Niedergang der Silberproduktion blieb die Münzprägeanstalt weiterhin einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren des Kolonialreichs. Obwohl auch anderswo solche Häuser bestanden, war die Münze von Potosí mit Abstand die größte, mit dem größten Ausstoß an Münzen, weil sie eben an der Quelle stand. Sie war eine wichtige Beute der Unabhängigkeitskriege im 19. Jahrhundert, teilweise wurden die Prägestöcke abmontiert und woanders in Betrieb genommen.
Noch heute sagt man auf Spanisch, wenn man irgendwo eine wirkliche oder vermeintliche Goldgrube entdeckt zu haben scheint: „Es ist ein Potosí wert!“
Das Silber von Potosí war also nicht nur eine Ware wie andere Produkte des Kolonialreichs, wie Zuckerrohr oder Kakao, sondern eine der Grundlagen, mit der das Kolonialreich verwaltet und die Kolonialherrschaft finanziert wurde. Es trug dazu bei, daß Spanien bis zum Schluß den Silberstandard verwendete und der auf Gold beruhende Escudo eine untergeordnete Rolle gegenüber der Silbermünze Real spielte.
Die regionale und überregionale Bedeutung der Silberminen schlug sich jedenfalls nicht in irgendeiner Art von Wohlstand für die Eingeborenen – und der schwarzen, hmmm, Zwangseingeführten – nieder, und darin gleicht die Silber-Periode den nachfolgenden Perioden.
2. Die Epoche des Zinns, die MNR und die „Revolution“ von 1952
Das Silber verlor im Laufe des 19. Jahrhunderts aus verschiedenen Gründen an Bedeutung und außerdem waren auch im „Reichen Hügel“ langsam einmal die Vorkommen erschöpft.
Aber das Zinn löste als Geißel der Vielen und Reichtum der Wenigen das Silber gegen Ende des 19. Jahrhunderts ab. Auch heute noch ist Bolivien der 5-tgrößte Zinnproduzent der Welt.
Dazu trug auch der von Bolivien 1884 verlorene Pazifik- oder Salpeterkrieg bei, der Bolivien nicht nur seinen Teil am Salpetergeschäft kostete, sondern auch seinen Zugang zum Meer und damit den Abtransport seiner Bergbauprodukte erschwerte und verteuerte.
Die Bedeutung des Zinns für verschiedene Legierungen in der Industrie und im Maschinenbau war im Laufe des 19. Jahrhunderts gestiegen. Vor allem der Vormarsch der Konservendose erhöhte den Bedarf nach Zinn. Heute ist es zusätzlich für die Glasherstellung unverzichtbar.
So gelang es einem findigen bolivianischen Unternehmer, über Zinnfunde und den Ausbau des Zinnbergbaus zu einem der größten Zinnhersteller der Welt zu werden. Er erhielt auch Rückendeckung der bolivianischen Eliten, weil es ihm gelang, das chilenische Kapital aus dem bolivianischen Bergbau zu verdrängen.
Patiño war also sozusagen der erste „Nationalisierer“ des Bergbaus. Die Regierung von Paz Estenssoro und die von ihm gegründeten MNR – Revolutionäre Nationalbewegung – verstaatlichte dann 1952 nicht nur die Patiño-Zinnminen, sondern die ganzen damaligen Bergbaubetriebe Boliviens.
Sie kann als ein direkter Vorläufer der MAS von Evo Morales betrachtet werden: Es war eine Regierung und Partei, die die Bodenschätze des Landes verstaatlichen wollte, mit der Absicht, einmal auch diejenigen am stofflichen Reichtum des Landes zu beteiligen, die ihn aus dem Inneren der Erde herausgeholt hatten. Diese Verstaatlichung und die damit einhergehende Absicht der Umverteilung war das, was sie als „Revolution“ bezeichneten.
Damit machten sich die Verstaatlicher nicht nur Freunde im In- und Ausland.
Das eigentliche Problem der MNR-Regierung war aber, daß die Bergleute Boliviens sich von dieser Verstaatlichung eine Verbesserung ihrer Lage erwarteten, die in Widerspruch zu den Anforderungen des Weltmarktes stand.
Die bolivianische Regierung wollte durch den Export der verschiedenen Metalle (außer Zinn und Silber auch noch Wolfram, Zink, Kupfer usw.) Devisen auf dem Weltmarkt erlösen, um damit verschiedene gute Taten, aber auch Investitionen in den Bergbau zu finanzieren.
Um an diese Devisen kommen zu können, hätten die Bergleute genauso weiter schuften müssen wie bisher, zu Hungerlöhnen und unter gesundheitsschädlichen Bedingungen. Letztere knüpften aber an die Verstaatlichung die Forderung, daß es ihnen jetzt besser gehen sollte, und so führte diese zu einer Serie von Streiks, dem Rückgang der Produktion und einer daraus folgenden Ebbe in der Staatskasse, was dann schließlich der Grund für den Militärputsch von 1964 war. Der Gewaltapparat selber stieß nämlich an die Grenzen seiner Finanzierung.
Dieser Zyklus holt früher oder später alle ein, die die nationalen Reichtümer in Staatshand zentralisieren, auf dem Weltmarkt verscherbeln, und die Gewinne dann mit der Gießkanne über die Bevölkerung ausschütten wollen.
Die Sache geht spätestens dann schief, wenn die Weltmarktpreise für diese national hergestellten Produkte fallen, und sich die Rechnung
Einnahmen => Staatsnotwendigkeiten + Investitionen + Versorgungsleistungen
nicht mehr ausgeht.
3. Statt Staat privat!
Auf den Sturz der Regierung von Paz Estenssoro folgten Militärregierungen, oftmals sehr kurzlebig, und Zivilregierungen, während sich das Mißverhältnis von Einnahmen und Ausgaben weiterhin reproduzierte. Solange, bis mit Hilfe von IWF und Weltbank die Reprivatisierung als Allheilmittel entdeckt wurde.
Um die Sache ganz gut zu machen, wurde zusätzlich zu auch noch das Wasser als Ressource entdeckt, mit der sich gut Geld machen ließe – zum Wohle der Allgemeinheit, selbstverständlich.
(Das Inka-Reich entstand und hielt sich deshalb, weil es die Kriege auf dem Andenhochland um das Wasser beendete und eine zentrale und effiziente Verwaltung des Wassers schuf. Dergleichen ist in Bolivien bis heute nicht gelungen.)
Das bescherte Bolivien im Jahr 2000 ff. den Wasserkrieg, wo die Bevölkerung von Cochabamba die Rücknahme der Wasserprivatisierung und des Wassergesetzes erzwang. Damals schloß sich Evo Morales als Vertreter der Coca-Bauern diesen Forderungen an – mehr oder weniger: Wasser für alle, Coca für alle – und begann seine politische Karriere.
4. Die Energieträger
Genauso wie mit den Bergbauprodukten ist in Bolivien das Interesse, die Energieträger aus Kohlenwasserstoffen – die seit Anfang des 20. Jahrhunderts in Bolivien untersucht und abgebaut worden waren – zu verstaatlichen, nicht neu. Bereits in den 30-er Jahren ging das ein Präsident an, ganz ohne soziales Engagement, sondern einfach, um diesen strategischen Rohstoff im Sinne von Militär und Staatskasse durch staatlich kontrollierte einheimische Firmen zu fördern. Damals wurde die US-Firma Standard Oil hinauskomplimentiert.
Damals bereits stellte sich aber heraus, daß ohne ausländisches Kapital weder die nötigen Prospektierungen noch die Förderung, noch die Raffinierung angegangen werden konnten. Dazu kam der erbärmliche Zustand aller Transportverbindungen. Eine aus den USA während des II. Weltkriegs zwecks Kooperation nach Bolivien geschickte Expertendelegation empfahl unter anderem, vielleicht einmal die wichtigsten Straßen zu asphaltieren.
Und so ging die gleiche Angelegenheit wieder los: Ohne ausländisches Kapital gibt es keinen Zugriff auf die nationalen Reichtümer. Ist es einmal da, hat investiert und sich breit gemacht, so will es eben auch möglichst viel Gewinn einstreifen und ihn nicht am Ende mit gierigen bolivianischen Steuerbehörden teilen.
Nach der Verstaatlichung und der Gründung der staatlichen Ölfirma YPFB dümpelte sie eine Zeitlang vor sich hin, bis sie die Regierung Paz Estenssoro als Finanzierungsquelle für die inzwischen verstaatlichte (sonstige) Bergbauindustrie entdeckte. Der Verkauf von Schürfrechten für Öl sollte das Geld in die Staatskasse bringen, das dort für die Entwicklung des Zinn-, Silber- und Sonstwas-Bergbaus nötig war. Und so wurden Konzessionen für 40 Jahre vergeben, bis in die 90-er Jahre also.
Die Ölfirma, die sich an die Bohrarbeit machte, entdeckte Erdgas – für das sie gar keine Konzession hatte, weil daran gar nicht gedacht worden war. Die US-Firma Gulf Oil Company bot an, der bolivianischen Industrie Erdgas kostenlos zu liefern, wenn sie nur mit dem Rest machen könne, was sie wolle.
Man muß hier erwähnen, daß sich der Gasmarkt erst in den späten 50-er Jahren entwickelte. Bisher hatte man das überschüssige Gas meistens abgefackelt. Sowohl bezüglich der Verwendungsmöglichkeiten als auch des Transportes und der Förderkosten war alles neu, was der Ölfirma sehr freie Hand bei der Festsetzung der Preise ließ.
Als die bolivianische Regierung 1969 die Verträge mit der Gulf Oil Company kündigte, mit Berufung auf neue Bedingungen, und die Energieträger wieder verstaatlichte, verhängten die USA ein Embargo über bolivianisches Erdöl und seine Derivate. (Kennen wir das nicht von irgendwo?)
Nach dem Putsch von Hugo Banzer 1971 wurden die Karten wieder neu gemischt. Die staatliche bolivianische Firma YPFB blieb bestehen, aber als eine Art leere Hülse, die Betrieb und Prospektion an Vertragspartner verpachtete.
Dem legte die zivile Regierung Paz Zamora 1990 noch ein Schäuferl dazu, indem sie Gewinn-Garantien gab, um Investoren in diesen Sektor anzuziehen.
Dann wurden noch Joint Ventures genehmigt, und so um das Millenium herum war auf einer viel höheren Stufenleiter die gleiche Situation da wie früher einmal beim Bergbau: Es war klar, daß Bolivien große Reserven an Öl und Gas hatte, sie wurden auf dem Weltmarkt auch nachgefragt, aber private ausländische (USA & Argentinien) Firmen hatten die Hand drauf und die Gewinne flossen größtenteils in ihre Taschen.
Neue Steuern sowie Gerüchte über geplante Exporte von Öl und Gas ins Ausland waren schließlich der Grund, warum der Volkszorn sich in Aufständen entlud. Nachdem der damalige Präsident Schießbefehl gegeben hatte, mit dem Ergebnis von 70 Todesopfern, war er genötigt, ins Ausland zu fliehen. Dort sitzt er bis heute.
Sein Nachfolger setzte zur Beruhigung der Gemüter ein Referendum über die Verstaatlichung der Energieträger an, das mit großer Mehrheit für dieselbige stimmte. Als das Parlament versuchte, diese zu verwässern, mußte wieder einmal gewählt werden, und so erstarkte auch die Partei von Evo Morales (MAS), mit dem Versprechen der Verstaatlichung der Energieträger, die bald darauf mit Mehrheit im bolivianischen Parlament als Gesetz beschlossen wurde.
Damals wurde auch festgelegt, daß zwischen Abgaben und Steuern 50% der Wertschöpfung in die Staatskasse fließen müssen.
Die Verstaatlichung geschah übrigens durch Aktienkäufe, nicht durch Enteignung, da es dafür gar keine gesetzlichen Grundlagen in Bolivien gibt. Sie ließen sich im Parlament nicht durchsetzen.
Mit den Einnahmen aus den Energieträgern wurde tatsächlich in Bolivien einiges in Bildung, Gesundheit und Infrastruktur investiert. Die Gießkanne funktionierte. Das gestehen der bolivianischen Regierung auch ihre Gegner zu.
Das Problem liegt auf der anderen Seite, bei den Einkünften.
Es wurden nicht alle Öl- und Gasfelder verstaatlicht, da der Staat gar nicht das nötige Kapital hätte, um sie alle zu erschließen und zu betreiben. Ähnliches gilt für die Raffinerien. Die Verträge wurden neu verhandelt, und eben um die staatliche Entnahme für soziale Zwecke nicht zu gefährden, wurde kein Prozentsatz für Investitionen hineingeschrieben. Das heißt, weder die privaten noch sie staatlichen Firmen investierten viel, und die Produktion und vor allem die Raffinerieleistung ging zurück. Das wiederum heißt, daß Bolivien teilweise Treibstoff zu Weltmarktpreisen importieren muß – während es seine Rohprodukte aus Mangel an Transportmöglichkeiten (Pipelines, Flüssiggas-Terminals, Hafenanlagen) unter dem Weltmarktpreis verkaufen muß.
2005 standen Öl- und Gaspreise ungefähr so hoch wie heute, nach einigen Höhenflügen und Einbrüchen. Dennoch hat sich aus den oben genannten Gründen die Ratio zwischen Einnahmen und Ausgaben für Energieträger seither verschlechtert.
5. Der Agrarsektor und Evo Morales
Der Agrarsektor stand in Bolivien aufgrund der Wichtigkeit der Bergbauprodukte immer im Hintergrund. Der Hunger und die Unterernährung gehören zur Folklore Boliviens. Auf dem für intensive Produktion ungeeigneten Hochland quälen sich die Eingeborenen mit Trockenheit und Kälte herum, in den Niederungen haben sich teilweise Großgrundbesitzer breit gemacht.
Bolivien verfügt aber wie viele andere Länder Lateinamerikas auch über Dschungel: Unbebaute Flächen, wo vielleicht noch irgendwelche traditionell lebenden Eingeborenen hausen, und deren Besitzverhältnisse nicht ganz geklärt sind. Und diese Gebiete bieten sich an, wenn andere Einkommensquellen versagen, so auch heute.
Morales und seine Familie zogen als Kolonisten in den Dschungel und machten dort Flächen urbar, weil sie auf dem Hochland aufgrund von Mißernten und Frost nicht mehr überleben konnten Und sie widmeten sich – neben anderen Pflanzen – dem Anbau von Coca.
Die Cocapflanze ist ein traditionelles Grundnahrungsmittel des Andenhochlandes, wo vieles an Nährstoffen und Vitaminen drin ist, das sich die armen Leute, also die Mehrheit der Bevölkerung der Anden, auf andere Weise gar nicht besorgen könnten. Außerdem hilft es, die große Höhe zu ertragen und dennoch schwer arbeiten zu können. Ohne das Coca hätte die Silberproduktion von Potosí gar nicht funktionieren können. Schon die spanischen Kolonialbehörden sorgten deshalb dafür, daß es die Arbeiter der Bergwerke in ausreichender Menge erhielten. Es stellte sie aufgrund der beruhigenden und gleichzeitig anregenden Wirkung nämlich auch ruhig. Erst recht wurden sie von moderneren Bergbaufirmen dazu angehalten, ordentlich Coca zu konsumieren, um sich für die Anforderungen des Kapitals fit zu halten.
Außerdem hielt es die Ureinwohner seit jeher bei ihren Festen bei Stimmung, im Zusammenhang mit Tanz und Gesang, so wie bei uns der Alkohol.
Das Mitte des 19. Jahrhunderts erstmals erzeugte Derivat Kokain wurde als Anästhetikum und Droge für psychische Erkrankungen eingesetzt, und wird in der Medizin teilweise heute noch verwendet, während sein Konsum und Besitz in den meisten Ländern der Welt heute strafbar ist.
Die bolivianischen Bauern, die das Coca anbauten, gerieten dadurch in den 80-er Jahren zwischen 2 Feuer. Einerseits war das Zeug für die Bolivianer bitter notwendig, andererseits fragten es die kolumbianischen Drogenbarone als Rohstoff für Kokain nach – dual use, ideal für den Produzenten – und drittens versuchte die exterritorial agierende US-Drogenbehörde DEA, den Anbau zu verhindern und die Pflanzungen zu zerstören.
In diesem Hin und Her wuchs Evo Morales in Verteidigung der angestammten Traditionen der bolivianischen Bevölkerung zu einer kämpferischen Autorität heran und griff nach den Sternen des höchsten Amtes im Staat.
Er machte sich also erstens durch die als Aktienkauf betriebene Rückholung der Bodenschätze in bolivianischen Staatsbesitz bei den USA unbeliebt. (Es waren vor allem US-Unternehmen, deren Beteiligung hier reduziert wurde.) Zweitens durch Festhalten daran, daß die Bolivianer zu entscheiden hätten, was in Bolivien angebaut wird.
6. Der „Regionalismo“ und die Provinz Santa Cruz
Die Stadt, die irreführenderweise „Santa Cruz im Gebirge“ heißt – sie liegt in der Ebene – war lange eine Art vergessene Ecke Boliviens, ohne Bodenschätze und Bergwerke, und wegen der fehlenden Straßen auch ohne Handelsverbindungen. Die koloniale „Straße des Silbers“ führte über das heutige Argentinien, rund um Santa Cruz war nichts außer Urwald und Sümpfen. Die paar Grundherren und sonstigen Notabeln des Ortes versauerten hinter den 7 Bergen und konnten nicht einmal ihre landwirtschaftlichen Produkte in die ohnehin recht bescheidenen Metropolen in der näheren Umgebung transportieren, um irgendwelche kleineren Luxusgüter für sich einzukaufen. Auch ihr Lobbyismus für eine Eisenbahnlinie verhallte in Sucre und La Paz lange ungehört, weil einfach kein Geld dafür da war und auch kein ausländisches Kapital in diese Gegend investieren wollte.
Das änderte sich, als um die Wende zum 20. Jahrhundert in der Provinz Öl entdeckt wurde. Auf einmal kamen Fremde hierher, Kapital, bald eine Straße, schließlich gab es sogar einen Krieg wegen der Transportwege nach Süden, und Santa Cruz stieg zur wohlhabendsten Stadt Boliviens auf. Es stellte schließlich auch einen Präsidenten, den Diktator Hugo Banzer, der ein weiteres dazu beitrug, Santa Cruz Privilegien aller Art zuzuschanzen.
Hier in Santa Cruz machte sich Morales unbeliebt, weil mit seinem Amtsantritt das Gerangel losging, wem eigentlich die Einnahmen aus den so umstrittenen Energieträgern zustanden? Den regionalen Institutionen oder dem zentralen Budget? Das Ganze wurde von den international gut vernetzten Lokalpolitikern von Santa Cruz und deren medialen Sprachrohren mit schönen Titeln über „rückschrittliche“, Koka kauende Indianer, die nicht wirtschaften können, und „fortschrittliche“, mit dem Finanzkapital der Welt verschwägerte und moderne Glaspaläste errichtende lokale Unternehmer ausgetragen. Und ebenso mit Zentralismus gegen Föderalismus, „Selbstbestimmung“, usw.
Hier, in dieser Gegend hat Morales besonders wenig Freunde unter den Besitzenden, aber viele unter den Bloßfüßigen – die wiederum von der Mittelklasse aufwärts nicht wohlgelitten sind, und die viele Santacruzeños gerne von dort vertreiben möchten.
7. Das Militär
war zwar lange unterversorgt und entsprechend schwach, aber spielt in Bolivien eine doppelt wichtige Rolle.
Natürlich muß es die Einheit nach innen wahren und hin und wieder aufständische Bergarbeiter, Bauern oder Bewohner von El Alto, der Zwillingsstadt von La Paz, niederhalten, notfalls auch mit scharfer Munition und mit Toten.
Aber Bolivien hat seit seiner Unabhängigkeit mehrere Kriege geführt und sie allesamt verloren. Das Territorium dieses Staates ist deshalb geschrumpft, es verlor den Zugang zum Meer, die Salpetervorkommen und den Hafen von Antofagasta im Pazifikkrieg, in anderen Kriegen Teile Amazoniens und des Chaco. Jeder Nachbarstaat hat sich ein Stück von Bolivien genommen. Die nationale Schmach sitzt bei den Bolivianern tief und das Militär wird deswegen doch auf eine widersprüchliche Art akzeptiert und verehrt, als Bollwerk gegen äußere Feinde und letzten Garant für die nationale Selbstbehauptung.
Das war auch der Grund, warum die kämpferischen Gewerkschaften die Militärdiktaturen eine Zeitlang geduldet haben.
8. Die Demokratie, die Verfassung und der Putsch
Als Evo Morales seine erste Wahl gewann, ging er in den Präsidentenpalast und schaute sein zukünftiges Büro an.
Er fand, daß das Büro daneben vom CIA benutzt wurde. Seine Vorgänger, sicher jedenfalls „Goni“, fragten bei jeder Entscheidung nach, ob das den USA ohnehin recht wäre.
Morales forderte die US-Botschaft auf, das Büro zu räumen – was auch geschah.
Er machte sich auch hiermit unbeliebt.
Er war 14 Jahre an der Macht, aber vorher schon sehr präsent in der bolivianischen Politik, spätestens seit dem Wasserkrieg.
Er sah sich als eine Art Landesvater, ohne den gar nichts geht.
Deswegen sah er in der Amtszeitbeschränkung einen Verstoß gegen seine ureigensten Rechte als Führer.
Und er setzte diese Amtszeitbeschränkung außer Kraft, indem er erst ein Referendum ansetzte, in dem sein Anliegen mit knapper Mehrheit, aber doch zurückgewiesen wurde. Dann ließ er sich vom Obersten Gerichtshof bestätigen, daß damit gegen sein Menschenrecht auf praktisch unbeschränktes Regieren verstoßen würde. Und ging mit Schwung daran, sich wiederwählen zu lassen.
Er hat da etwas über die Demokratie nicht ganz verstanden, oder sie zumindest zu eigenwillig interpretiert.
Die Demokratie samt ihrem Procedere besteht nämlich nicht nur darin, daß sich die Regierenden wählen und dadurch in ihrer Machtausübung bestätigen lassen müssen.
Es geht auch darum, daß die Kontinuität der Macht über den Wechsel der sie ausübenden Figuren bewerkstelligt wird.
Damit ist klar, daß die abstrakten Prinzipien von Freiheit und Gleichheit – Freiheit des Eigentums und Gleichheit vor dem Gesetz, also Unterordnung unter das Gewaltmonopol – unabhängig von den jeweiligen Vollstreckern dieser Prinzipien gelten sollen.
Deshalb gibt es in den meisten demokratischen Verfassungen diese Beschränkung, meistens auf zwei Amtsperioden, die z.B. in den USA nach dem Ableben von FD Roosevelt eingeführt wurde, damit so etwas wie seine 4-malige Wiederwahl nicht mehr vorkommt. (Morales gratulierte allerdings Angela Merkel überschwenglich zu ihrer 4. Wiederwahl.)
Eine ständige und womöglich erbliche Herrschaftsausübung, wie sie Monarchen oder Diktatoren treiben, verbieten die Großmächte, die allen Staaten Demokratie vorschreiben wollen, und sind entsprechend sauer, wenn sich andere Staaten darüber hinwegsetzen.
In Bolivien wird so etwas nicht geduldet.
Nach einigen Fehlschlägen in Sachen Regime Change wurde jetzt sehr vorsichtig vorgegangen. Auf das Referendum, den Gerichtsbeschluß und die Ankündigung der Wiederwahl folgten keine Donnerwetter aus Washington, Brüssel und ähnlichen Metropolen der Meinungsbildung. Es wurden keine Medienkampagnen gegen den „Diktator“ angezettelt. Sein Wahlkampf wurde beinahe wohlwollend kommentiert. Er wurde dadurch in Sicherheit gewiegt.
Aber irgendwer sorgte dafür, daß alle wichtigen Institutionen wußten, was sie zu tun hatten. Daß nämlich Militär, Polizei, Gewerkschaftsführung, Santa Cruz-Politiker usw. an einem Strang ziehen, Kasperln mit Bibeln in der Hand auftauchen; daß plötzlich als Bauern verkleidete Oppositionelle oder „einfache Leute aus dem Volk“ vor laufenden Kameras Wahllokale stürmen usw. – das weist schon auf eine sehr weit gediehene Koordination hin, ebenso wie der Umstand, daß es Morales fast nicht gelang, das Land zu verlassen.
Die Frage ist, wer oder was kommt jetzt?
Eine neue Militärdiktatur?
Ein Bürgerkrieg?
Eine militärische Intervention?
Evo Morales konnte sich deswegen so lange halten, weil er viele Gegensätze im Land ein Stück weit schlichten konnte und das Vertrauen der Volksmassen hatte. Es wird nicht möglich sein, ihn durch eine ähnlich integrative Figur zu ersetzen.
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Che Guevara suchte sich deshalb Bolivien aus, weil er meinte, das Land sei zentral gelegen und vereinige alle Widersprüche Lateinamerikas in sich. Wenn es gelingt, dieses Land zu kippen, so seine Ansicht, dann würde der Rest der Nachbarstaaten folgen.
In einer sehr abstrakten Weise haben die Drahtzieher des Sturzes von Morales vielleicht ähnliche Pläne, um in Sachen Hinterhof voranzukommen.
Serie „Lateinamerika heute“. Teil 13: Uruguay
DIE SCHWEIZ SÜDAMERIKAS
Anfänge: Niemandsland
Während der Kolonialzeit entbehrte das Territorium des heutigen Uruguay jeglicher Bedeutung. Es finden sich nämlich dort keine Bodenschätze oder sonst etwas, das man unter den damaligen Bedingungen zu Geld machen konnte. Es war eine Art Grenzmark des spanischen Kolonialreichs gegen das portugiesische, mit unklaren Grenzen nach Norden und Osten hin.
Hin und wieder fielen portugiesische Menschenjäger ein, aber auch diese Besuche hatten Seltenheit: Das „Ostufer“, wie die Provinz im Osten des Rio Uruguay genannt wurde, war weit entfernt von den Metropolen des damaligen Brasilien, und die Gegend war dünn besiedelt.
Die Unabhängigkeitskriege einten zunächst die beiden Ufer des Río de la Plata gegen das spanische Mutterland. Später aber entwickelten sich zentralistische und föderalistische Vorstellungen zu einem Zankapfel zwischen Buenos Aires und dem Ostufer. Diesen Streit nutzten portugiesisch-brasilianische Truppen, um ihrerseits dieses Gebiet zu beanspruchen. Im Streit um die Gegend zwischen dem Rio de la Plata und der Stadt Porto Alegre verblutete und verschuldete sich vor allem das junge Argentinien, das sich diesen Krieg nicht leisten konnte.
So wurde schließlich unter Vermittlung Großbritanniens, die einen schwachen und willigen Staat an strategisch wichtiger Stelle wollten, das heutige Uruguay 1830 als unabhängiger Staat gegründet.
Bis heute gibt es Grenzstreitigkeiten zu Brasilien, und bis ins 20. Jahrhundert galt Großbritannien als eine Art Schutz-, aber auch Kontrollmacht Uruguays. Von dieser Schutzmacht wurde Uruguay in den Krieg des Dreibunds (1864-70) gegen Paraguay getrieben, der dieses Land völlig zerstörte.
Land ohne Leute
Die Gründer Uruguays, eines Staates von fremden Gnaden, waren allesamt Militärs, die in den verschiedenen Kriegen, Revolten und gegen die brasilianische Besatzung gekämpft hatten. Als neue Herren des Landes gingen sie ans Werk und teilten das Land unter sich auf. Eingeborene wurden verfolgt, versklavt und ausgerottet.
Bis heute ist Uruguay ein Land der Latifundien. Der größte Teil der Flächen von Uruguay – die alle recht flach und fruchtbar sind – wird von Rindern und Schafen bewohnt. Der daneben auch betriebene Ackerbau wird mit modernen Geräten unter möglichst geringem Einsatz von Menschen betrieben.
Die menschliche Bevölkerung Uruguays versammelt sich in den Städten: Von den dreieinhalb Millionen Einwohnern leben fast 2 im Großraum von Montevideo. Der Rest verteilt sich auf kleinere Städte, von denen nur zwei die 100.000-Einwohner-Grenze überschreiten.
Bunte gegen Weiße
An der Stellung zur Schutzmacht und zum Grundbesitz arbeiteten sich die beiden Parteien ab, die das Land mit jahrzehntelangen Bürgerkriegen überzogen, weil sich immer eine oder die andere Seite bei der Aufteilung des Kuchens übergangen fühlte.
Diese beiden Interessensgruppen bemühten sich gar nicht um besondere Programme, und benannten sich konsequenterweise nach Farben, die sie in der Schlacht aufgezogen hatten. Ihre Führer betrachteten Uruguay als ein Schachbrett, auf dem man sich durchsetzen mußte, und gerieten sich auch untereinander in die Haare. Nach jahrzehntelangen Bürgerkriegen unter Einbeziehung der Nachbarstaaten, die auch Flüchtlingswellen auslösten, einigten sich schließlich Großgrundbesitzer und Vertreter des inzwischen erstarkten Handelskapitals und Bürgertums von Montevideo auf eine Art Verteilungsschlüssel und Zusammenarbeit. Mit dem Präsidenten Battle beginnt auch der Umbau der Bunten Partei zu einer Art Wohlfahrtsstaat-Partei, mit Sozialgesetzgebung und Arbeitsrecht.
Hier zeigt sich eine Besonderheit Uruguays: Der Gegensatz zwischen Großgrundbesitz und städtischer Bourgeoisie nahm nie die Ausmaße an wie in anderen Nachfolgestaaten des spanischen Kolonialreiches. Uruguay zeichnet sich bis heute durch rege Zusammenarbeit zwischen den Eliten aus, wo das landwirtschaftliche Kapital in Industrie und Handel investiert wird, und umgekehrt das Handelskapital an der Modernisierung der Landwirtschaft beteiligt war.
Agrarwohlstand
Und siehe da, es stellte sich heraus, daß sich mit dem Export der Agrikulturprodukte – hauptsächlich Fleisch und Wolle – ein gutes Geschäft machen ließ, wenn nicht alle paar Jahre das Vieh durch marodierende Truppen dezimiert wurde. Uruguay verzeichnete in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts einen bescheidenen Wohlstand, der auch durch Einführung von Arbeitsschutzgesetzen und politischen Reformen sozialen Frieden bescherte. Im Schatten zweier Weltkriege funktionierte das Modell, und mit den Erlösen aus dem Wolle-, Leder- und Lebensmittelexport ließen sich auch die nötigen Importe finanzieren.
Uruguay stellt bis heute eine gewisse Besonderheit oder Anomalie des Weltmarkts dar. Auf Grundlage des Großgrundbesitzes und einer auf dem so organisierten Agrarsektor beruhenden Wirtschaft hat sich dieses Land ohne besondere Schuldenkrisen bis heute weitergebracht.
Die Grundherren betreiben auf Grundlage großer Flächen eine extensive Landwirtschaft, mit moderner Technologie, kommen aber mehrheitlich ohne Monsanto und ähnliche Manipulationen des Ertrages aus. Sie können ihre Produkte daher als „Bio“ verkaufen. Die hauptsächlichen Abnehmer uruguayischer Agrarprodukte sind Argentinien, Kanada und die EU.
An Uruguay kann man sehen, wie sich auf großen Flächen rationell produzieren läßt, ohne Agrarchemie aller Art ein- und den Endverbraucher diesem Zeug auszusetzen.
Obwohl einige seine Agrarproduzenten in den letzten Jahren auch auf den Chemie-Zug aufgesprungen sind, scheint dort inzwischen die Einsicht um sich zu greifen, daß man sich mit dem Ersatz von Qualität durch Masse eine wichtige Marktposition verspielt.
Handelsmetropole
Bereits in der Kolonialzeit war Montevideo ein wichtiger Hafen, unter anderem für den Sklavenhandel. Die afrikanischen Gefangenen wurden über Montevideo, den Paraná und den Rio Paraguay zu den Bergwerksdistrikten im spanischen Kolonialreich, im heutigen Peru und Bolivien transportiert. Vor allem nach der Unabhängigkeit baute Uruguay seinen Handel zwischen Großbritannien und den nunmehr unabhängigen Staaten Südamerikas aus. Es wurde zu einer Art Drehscheibe zwischen Brasilien, Argentinien, Großbritannien und dem Inneren des Kontinents. Außerdem wurde es eine wichtige Anlaufstelle für Migranten aus Europa. Gegenüber dem gegenüber am Rio de la Plata gelegenen Buenos Aires hatte Montevideo den Vorteil, weniger in die Machtkämpfe der Nach-Unabhängigkeitskriege hineingezogen zu werden.
Schließlich trug zur Entwicklung als Handelsmetropole auch die armenische Immigration bei. Bereits im 19. Jahrhundert hatten sich viele Armenier in Montevideo niedergelassen, und die armenische Immigration stieg nach dem armenischen Völkermord von 1915 sprunghaft an. Die Armenier brachten internationale Handelsverbindungen und ein eigenes Kreditwesen mit, und trugen dazu bei, daß Montevideo weit mehr fremden Reichtum an sich ziehen konnte, als es seinem eigenen Hinterland entsprach.
Uruguay war auch das erste Land der Welt, das das armenische Genozid anerkannte.
Aufgrund seiner liberaleren Gesetzgebung zog Uruguay auch viel Tourismus aus Argentinien an. Montevideo, Colonia de Sacramento und Punta del Este wurden zu Wochenend-Destinationen der argentinischen Oberschicht, die einiges an Geld in deren Vergnügungsvierteln ließen.
Mit britischem und einheimischem Kapital wurde ein Eisenbahnnetz ausgebaut. Die flache bis hügelige Landschaft und das gemäßigte Klima (in Uruguay gibt es auch im Winter keinen Frost) setzte dem Ausbau eines Eisenbahn- und Straßennetzes wenig Hindernisse entgegen, sodaß die nötige Infrastruktur zustande kam, um die Agrarprodukte zu den Häfen, und Importwaren in alle Richtungen des Landes zu bringen.
Industrie und Gewerkschaften
Nach dem zweiten Weltkrieg setzte eine Industrialisierung ein. Seither wurde eine bedeutende Lebensmittelindustrie und sonstige Konsumgüterindustrie aufgebaut, die über den Inlandsbedarf hinaus auch über Exporte Devisen ins Land spült.
Eine weitere Besonderheit Uruguays ist, daß diese Industrie nicht über Kredite und Auslandsverschuldung aufgebaut wurde, sondern daß sich im Land selbst genug Kapital fand, um diese Industrialisierung zu stemmen.
Die Arbeiterklasse Uruguays ist also ein Produkt der jüngeren Geschichte. Daher haben die Gewerkschaften erst ab den 50-er Jahren nennenswerten Einfluß in Uruguay.
Die erste Gewerkschaft Uruguays, die anarchistische FORU (Regionaler Arbeiterbund Uruguays) wurde 1905 gegründet. Nach der russischen Oktoberrevolution spalteten sich kommunistisch orientierte Teile ab. Alle diese Gewerkschaften waren zwar legal, aber schwach und hatten wenig Einfluß. Erstens hatten sie wenige Mitglieder, die zweitens in verschiedensten Sektoren organisiert waren, von Landarbeitern über Handels- bis Hausangestellte oder Lehrer. Erst in den 60-er Jahren wurde die landesweite Gewerkschaft CNT (Nationaler Zusammenschluß der Arbeit) aus verschiedenen Einzelgewerkschaften gegründet, und setzte sich eine Agrarreform – also das Infragestellen des bisherigen Latifundien-Systems – und Verstaatlichung von Infrastruktur und Kühlhäusern zum Ziel.
Diese Gewerkschaft hatte also das Ziel, die bisherigen Besitzverhältnisse in Uruguay zu verändern.
Die Tupamaros und die Militärdiktatur 1973-1985
Aus dem Schoß der Gewerkschaftsbewegung formierte sich eine revolutionäre Studentenbewegung, die sich „Tupamaros“ nannte. Sie knüpften damit an eine uruguayische Guerillaarmee gegen die spanische Kolonialmacht aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts an, die sich nach dem indianischen Aufständischen Tupac Amaru (auf der Anden-Hochebene) gegen die spanische Kolonialmacht benannte. Sie waren das Vorbild der Bewegung 2. Juni, der RAF und der Roten Brigaden in Europa.
Die Tupamaros waren zunächst eine aktive Studenten- und Gewerkschaftsbewegung, bis sie sich 1968 aufgrund staatlicher Repression in einen Stadtguerilla umwandelten und zum bewaffneten Kampf übergingen. In einem Land, in dem außerhalb der Städte nur Vierbeiner leben, ist das eine logische Entwicklung. (Der Theoretiker der Stadtguerilla in Lateinamerika war der Brasilianer Carlos Marighella.) Der Höhepunkt ihrer Aktivitäten war der Überfall auf die der Kleinstadt Pando im Jahr 1969, wo einiges an Geld erbeutet wurde. Auch ein CIA-Agent wurde von ihnen entführt, verhört und die Ergebnisse dieses Verhörs der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Die Tupamaros beschlossen eine duale Strategie, mit einem außerparlamentarischem und einem legalen Flügel.
Es ist hier festzuhalten, daß die lateinamerikanischen Studenten-Revolutionäre, in erster Linie die Tupamaros, das Vorbild der europäischen waren.
Die Gefahr eines Wahlsieges bzw. einer Machtübernahme der linken Revolutionäre war schließlich der Grund für den Militärputsch von 1973. Die Militärregierung, die bis 1985 an der Macht war, arbeitete mit dem CIA im Rahmen der „Operation Condor“ zur Bekämpfung linker Bewegungen in Lateinamerika zusammen. Der sich zum Diktator erklärende, ursprünglich gewählte Präsident Bondaberry war erklärter Anhänger diktatorischen Regierens. Dennoch setzte ihn das Militär 1979 ab, weil er ihnen nicht die nötigen Freiheiten im Rahmen einer Verfassungsänderung zugestehen wollte.
Die uruguayische Diktatur zeichnet sich wiederum durch einige Besonderheiten aus.
Erstens gelang es den Militärs nie, die zivile Regierung völlig auszuschalten.
Während der Diktatur wurden Wahlen abgehalten, die aber von der Bevölkerung boykottiert wurden, da keine relevante Partei zugelassen war. Außerdem wurde ein Versuch gemacht, eine neue Verfassung zu erlassen, die die Militärregierung abgesegnet und als Regierungsform etabliert hätte. Diese Verfassung wurde einer Volksabstimmung ausgesetzt und von den Wahlberechtigten zurückgewiesen.
Die Militärregierung versuchte sich also durch Volksentscheid zu legitimieren und scheiterte dabei.
Zweitens führte die Übernahme durch das Militär zu einem Niedergang der uruguayischen Wirtschaft, deren größte Trumpfkarte stets Offenheit und freier Handel gewesen waren. Die Beschränkungen des Militärregimes, Kontrollen über Personen- und Warenverkehr und Unsicherheit über die weitere Entwicklung schreckten viele Handelspartner ab. Während der Militärdiktatur verzeichnete die uruguayische Wirtschaft einen Abschwung, das ausländische Kapital mied das Land.
Das war schließlich auch der Grund, die Militärherrschaft zu beenden und zum System der gewählten Regierungen zurückzukehren. Die Politiker und Militärs entschieden das frei, ohne Druck von außen, nachdem die linken Kritiker ausgeschaltet worden waren.
Während der Militärherrschaft wurden einige Hunderte Oppositionelle verhaftet, ermordet oder verschwanden spurlos. Die uruguayische Militärdiktatur erscheint dennoch, nach Zahlen und Methoden, relativ zurückhaltend im Vergleich zu anderen Staaten des Südzipfels Südamerikas.
Ihre Machthaber nutzten allerdings den Freiraum, der ihnen für den Kampf gegen die Subversion zugestanden worden war, auch für interne Machtkämpfe. Einige bürgerliche Politiker wurden von Todesschwadronen weggeräumt, auch im benachbarten Argentinien.
Die neue zivile Regierung einigte sich 1986 auf ein Gesetz der Nicht-Verfolgung der Militärs, die am Aufräumen gegen die Opposition teilgenommen hatten.
Die Unterlegenen entschieden sich für den parlamentarischen Weg und gründeten die „Breite Front“, ein Konglomerat aus linken, Umweltschutz- und sogar christlichen Gruppen, die seit 2005 in Uruguay regiert, und die beiden traditionellen Parteien Uruguays in die Opposition gedrängt hat.
Uruguay heute
Uruguay ist nach internationalen Studien der Staat Lateinamerikas mit der höchsten Alphabetisierungsrate und der geringsten Korruption Lateinamerikas. Auch in Sachen Medizin, Sozialwesen usw. kriegt Uruguay ausgezeichnete Noten.
An Uruguay bewahrheitet sich das Urteil seines bekanntesten Autors, Eduardo Galeano, über die „Armut des Menschen als Ergebnis des Reichtums der Erde“: Uruguays Glück war es, daß seine Erde keine besonderen Reichtümer verbarg, deshalb gibt es dort auch nicht die extreme Armut, die in vielen andere Staaten Lateinamerikas üblich ist.
Uruguay hat übrigens eine der liberalsten Drogengesetzgebungen der Welt – der Besitz und Konsum von Marihuana ist straffrei, und sogar Anbau und Handel sind erlaubt.
Außenpolitisch positioniert sich die heutige Regierung Uruguays vorsichtig gegen die US-Hinterhof-Politik und deren Vertreter in Lateinamerika, sehr zum Ärger des ehemaligen Parteikollegen Luis Almagro, der heute als Vorsitzender der OAS die USA hofiert und deren Einmischung in Venezuela begrüßt.
Es steht zu erwarten, daß Uruguay bald in die Turbulenzen zwischen seinen Nachbarstaaten, dem aussichtslos überschuldeten Argentinien und dem von Faschisten und Größenwahnsinnigen regierten Brasilien gerät.