Pressespiegel Komsomolskaja Pravda, 24.7.: Das Schreckgespenst eines großen Krieges

„WARUM EUROPA DEN UKRAINE-KONFLIKT IN EINEN GLOBALEN KONFLIKT MIT RUSSLAND VERWANDELN WILL

Im Radiosender Komsomolskaja Prawda sprachen wir mit dem stellvertretenden Vorsitzenden des Föderationsrates, Konstantin Kossatschow. Vor seiner Tätigkeit im Parlament war er viele Jahre im diplomatischen Dienst tätig und leitet heute den Ausschuß für internationale Angelegenheiten der Föderation.“

Der Föderationsrat ist die obere Kammer des russischen Parlaments, vergleichbar dem Senat in den USA.

„Warum sprechen europäische Politiker täglich von der Unvermeidlichkeit eines »großen Krieges« mit Rußland? Wie werden sich die Beziehungen zu Donald Trump in Zukunft entwickeln? Welche Politik sollte gegenüber den Nachbarn im nahen Ausland verfolgt werden, die sich von unserem Land abwenden? All diese Themen diskutierten wir mit Konstantin Iosifowitsch.

Steuern wir tatsächlich auf einen großen Krieg zu?

KP: Der Westen bezeichnet Rußland bereits offen als seinen Feind. Politiker auf höchster Ebene sagen, wir müßten uns auf einen großen Krieg mit unserem Land vorbereiten. Sie nennen sogar den Zeitrahmen – in 3 bis 5 Jahren. Stehen wir wirklich am Rande einer Katastrophe?

KK: Trennen wir einmal bei diesem »Wir« in »Wir = Rußland« und »Sie« – diejenigen, die uns in diesen Abgrund ziehen.
Rußland weiß, wie man Kriege gewinnt, aber für uns ist Krieg kein Mittel, um die Probleme unserer eigenen Entwicklung zu lösen. Wir versuchen bis zuletzt, dieses extreme Szenario zu verhindern. Ein Beispiel dafür ist der Ukraine-Einmarsch. Im Dezember 2021 unterbreitete Moskau dem Westen Vorschläge für kollektive Sicherheit, die jedoch rundweg abgelehnt wurden, sodaß wir keine Chance hatten.
Und jetzt wird auf der anderen Seite alles getan, um den Konflikt in der Ukraine zum Zündstoff für eine Art globalen Krieg zu machen.
Dabei geht es überhaupt nicht um die Ukraine, das ist nur ein Vorwand.

Der Westen ist durch 5 Jahrhunderte der Dominanz völlig verdorben. Er sicherte seinen Wohlstand durch den schamlosen Raub an fast der gesamten übrigen Welt. Europa und später die USA betrachteten die restliche Welt als Nährboden, als Rohstoffquelle.“

Auch als Markt, wo man seine Produkte absetzen kann. Diese Form der Benützung kommt oft in Analysen des Imperialismus zu kurz – wohl weil auch die aufstrebenden neuen Mächte auf diese Funktion sehr viel Wert legen.

„Amerikas Staatsverschuldung beträgt 37 Billionen Dollar. Und sie wächst täglich um 4 Milliarden Dollar!

Nun entstehen weitere mächtige Machtzentren, darunter erneut Rußland, das der Westen stets als gefährliche Alternative betrachtete, als das einzige Land, das er über all die Jahrhunderte hinweg nicht unterwerfen konnte. Die westlichen Staaten können ihren geopolitischen Niedergang nicht zulassen und schließen extreme Maßnahmen daher nicht aus.

Warum braucht Europa den Konflikt mit Rußland?“

Es ist hier wichtig festzuhalten, daß die EU in der Tat diesen Konflikt benötigt, sie braucht ihn wie das liebe Brot, um ihren Laden zusammenzuhalten. Der äußere Feind, der wie der Teufel an die Wand gemalt wird, dient diesem Staatenbündnis als Klebstoff, um über die inneren Gegensätze hinwegzusehen und alle hinter den Führungsmächten zu versammeln.
Denn es kracht in der EU mächtig im Gebälk … Es ist festzuhalten, daß Deutschland, Frankreich, das UK, die skandinavischen Staaten und das Baltikum den Krieg wollen. Südeuropa, Osteuropa, der Balkan und Irland wollen ihn nicht.
Die Kriegstreiberei der ersteren ist also eine Form, die anderen an der Kandare zu halten.
Polen nimmt eine eigene Position ein. Es hält sich alle Möglichkeiten offen.

„KP: Trump lacht sich ins Fäustchen: Amerika ist weit weg vom Konflikt, auf der anderen Seite des Ozeans.
Aber warum braucht Europa diese Konfrontation mit Rußland? Verstehen sie nicht, daß sie selbst als erstes in Schutt und Asche liegen werden, wenn der Krieg, von dem sie sprechen, ausbricht?

KK: Es ist immer schwierig, das Verhalten von Menschen zu erklären, wenn es an gesundem Menschenverstand und Logik mangelt.
All diese Verrückten in der EU halten Rußland für eine Art Neuauflage der Sowjetunion – wenn auch kleiner an Größe und Potenzial, aber dennoch ein riesiges, autarkes Land. Im Gegensatz zu den meisten anderen postsowjetischen Staaten vereint es viele Völker, was bedeutet, daß es laut Europäern ein Imperium ist, dessen Ziel die Expansion ist.
Überraschenderweise sieht Europa, das selbst wiederholt versucht hat, Rußland zu erobern, darin die größte Bedrohung für sich selbst.
Die heutigen Macrons, Merzes und Starmers sind absolut davon überzeugt, daß unser Land offensichtlich imperialistisch und aggressiv ist und alle daran hindert, normal zu leben. Diese Leute sind an ihre politischen Programme gebunden und können nicht mehr anders handeln. Wenn sie morgen plötzlich erklären, daß ein normaler Dialog mit den Russen notwendig sei, werden die Wähler fragen: Warum habt ihr uns zuvor an der Nase herumgeführt? Warum habt ihr profitable Handelsbeziehungen zerstört, eurer eigenen Wirtschaft geschadet und uns Probleme bereitet? Die Folge wäre: Diese Herren werden gleich bei den erstmöglichen Wahlen abgewählt.“

Es ist etwas kurzsichtig, die Politik der EU nur an der Parteienkonkurrenz zu beurteilen.
Die Frage ist doch: Warum setzen sie überhaupt auf die Kriegskarte?

„KP: Vielleicht erwarten sie, daß Amerika trotz Trumps Zickzackkursen wie immer zur richtigen Zeit zu Hilfe kommt?

KK: Daß dies geschehen wird, ist keineswegs gesichert. Zu Beginn dieses Jahrhunderts war Europa für die USA absolut notwendig, um ihre Hegemonie in der Welt zu sichern. Washingtons Führung wurde weitgehend von den Europäern anerkannt und gewünscht, die, ob mit oder ohne Grund, Amerika als Licht am Fenster bezeichneten.“

Im Jahr 2000 war das sicher so, aber seither hat sich eben vieles verändert, und das Tandem USA-EU ist nicht mehr so maßgeblich wie bisher.

„Als ich die Sitzungen der berühmten »Münchner Sicherheitskonferenz« besuchte, sah ich, wie die US-Vertreter stets bequem in der ersten Reihe saßen und die europäischen Staats- und Regierungschefs auf sie zugingen und sich buchstäblich verbeugten. Es war demütigend.
Andererseits wurden 70% des NATO-Haushalts von den Amerikanern getragen. Trump hatte genug davon und schob all diese Ausgaben dreist in die Alte Welt ab. Zudem hat die Rolle der europäischen Länder als Puffer und Aufmarschgebiet für die USA ausgedient und deshalb für die US-Sicherheit deutlich abgenommen.
Kriege haben ihren Charakter verändert: Panzerarmeen gehören der Vergangenheit an, Raketen müssen nicht mehr in der Nähe potenzieller Feinde stationiert werden, der Schutz des Cyberspace ist viel wichtiger …

Es geht darum, Trump zu überzeugen

KP: Wir müssen also über ernste globale Probleme direkt mit den USA verhandeln. Aber Trump hat 7 Freitage in der Woche. Seine Meinung ändert sich wie ein Schuhwechsel. Er ist ein unglaublicher Narziss. Und vor allem glaubt er aufrichtig, der ganzen Welt seinen Willen aufzuwingen zu können.
Wie gehen wir mit ihm um?

KK: Aus meiner Sicht ist es am vernünftigsten – und ich sehe, daß Rußland diese Position derzeit einnimmt –, nicht auf Worte, sondern auf Taten zu reagieren.
Wir müssen Trumps wahre Motivation viel genauer untersuchen.
Meiner Meinung nach ist sein Versuch, Europa und den Ukraine-Konflikt abzuschütteln, eine normale Voraussetzung für den Aufbau langfristiger Beziehungen zwischen der Russischen Föderation und den USA.
Europa hat uns jahrelang daran gehindert. Wenn dieser Faktor verschwindet – und Trump sorgt dafür –, werden unsere bilateralen Beziehungen eine etwas klarere Perspektive bekommen.“

Kossatschow bezieht sich hier darauf, daß „der Westen“ in Auflösung ist und nicht mehr als einiger Block dem Rest der Welt gegenübersteht.

„KP: Sie sprechen von Motiven. Doch nun gibt es Berichte, daß der US-Präsident von seiner Frau Melania gegen Rußland aufgehetzt wird …

KK: Ich würde das nicht als die ultimative Wahrheit betrachten. Tatsächlich reagiert Trump sehr oft auf die Argumente seines, sagen wir einmal, vorherigen Gesprächspartners. Er beginnt, etwas in etwa den gleichen Worten zu formulieren.
Aber warum sollten dann nicht auch Vertreter der russischen Führung zu diesen Gesprächspartnern gehören? Warum den Dialog unterbrechen, nur weil Trump, wie es uns scheint, etwas Falsches gesagt hat?
Es ist unerläßlich, diesen Dialog und Trump selbst so weit wie möglich fortzusetzen, innerhalb derjenigen Logik, die unseren nationalen Interessen dient.

Womit könnte man den »Oscar« ersetzen?

KP: Trump tritt drohend gegenüber den BRICS auf und versucht, sie zu spalten.
Wie tragfähig ist dieses Bündnis, solchen Ultimaten standzuhalten und die geplanten Programme fortzusetzen? Zum Beispiel eine schrittweise Abkehr vom Dollar im gegenseitigen Handel?

KK: Die Antwort liegt in der Frage, wie effektiv BRICS sein wird. Für mich besteht seine Hauptaufgabe darin, Multipolarität zu institutionalisieren.
Was meine ich damit? Unsere Gegner sichern ihre Führungsrolle seit Jahrzehnten, indem sie ihre Hebel formalisieren. Sie erfanden erst eine, dann zwei Weltwährungen. Sie schufen das Interbanken-Abrechnungssystem SWIFT und das Schiffsversicherungssystem Lloyd’s. Sie gründeten internationale Finanzinstitutionen – den IWF und die Weltbank – und nahmen damit die Zügel der Macht in die Hand.

Schließlich erfanden sie den Oscar für den Film, den Eurovision Song Contest, nach denen andere Länder sich die Finger abschlecken.

Während wir betonen, daß Multipolarität die globale Hegemonie ersetzen sollte, belassen wir es oft bei Slogans. Was sollte den Dollar ersetzen? Im Moment sprechen wir über die Umstellung auf nationale Währungen. Aber früher oder später werden wir uns mit dieser Frage auseinandersetzen müssen.
Das SWIFT-System sollte ersetzt werden – und ich betone, nicht nur für die BRICS-Staaten.
Die intellektuelle Herausforderung für unsere Gruppe besteht darin, eine Struktur vorzuschlagen, die für alle Staaten, auch für die westlichen, gleichermaßen komfortabel ist.“

Die Vorstellung, daß irgendein System, das die westliche Domininanz untergräbt, für den Westen „komfortabel“ sein könnte, ist etwas, gelinde gesagt, gutgläubig.
Aber Rußland ist eben von dem Gedanken getragen, daß man den bisherigen Herren der Welt irgendwie die multipolare Ordnung aufs Aug drucken könnte.
Die KP sieht das auch so:

„KP: Es fehlt nur noch ein kleiner Schritt: den Westen davon zu überzeugen.

KK: Wir sehen, daß sich der Westen sowohl demografisch als auch wirtschaftlich in einer Minderheitsposition befindet. Und er kann seine dominante Stellung nur dank der Existenz unipolarer Institutionen behaupten.
Wird er selbst auf seine Dominanz verzichten? Unwahrscheinlich.
Sollten jedoch andere Institutionen entstehen, denen sich die Mehrheit der Welt anschließen wird, wird der Westen keine andere Wahl haben.

Das Problem der Nachbarn

KP: Ich kann nicht anders, als nach unserem Nahen Ausland zu fragen.“

Unter dieser Bezeichnung laufen ehemalige Sowjetrepubliken, die nach dem Zerfall der SU selbständig wurden. Es geht hier vor allem um Armenien und Aserbaidschan, die sich zu anti-russischen Bastionen entwickeln.

„Leider sind einige dieser Länder in einen offenen Nationalismus abgeglitten, der von Russophobie geprägt ist. Rußland wird »jahrhundertealte Unterdrückung« und »Kolonialismus« vorgeworfen.
Und wir alle murmeln irgendwie: »Ruhig Blut, keine Panik.« Vielleicht ist es an der Zeit, endlich Entschlossenheit zu zeigen und die Situation zu korrigieren, die viele in Rußland als beleidigend und zutiefst ungerecht empfinden?

KK: Ich stimme zu, daß die Situation in einigen Fällen tatsächlich so ist. Wenn Länder, deren Völker wir immer als brüderlich betrachtet haben, anfangen, sich mit antirussischer Politik danebenzubenehmen, empfinde ich das als Verrat. Aber ich bin nicht der Meinung, daß wir darauf kategorisch, unhöflich und mit einem umfassenden Schlag reagieren sollten.

KP: Aber genau das tun die Amerikaner.“

Eine komische Bemerkung, Rußland hier mit den USA zu vergleichen.
Erstens waren die USA kein Staat, der zerfallen ist.
Zweitens gehören sie nicht zum „nahen Ausland“.
Drittens reagieren sie vielleicht unfreundlich, aber aus ganz anderen Motiven.

KK: Ich denke, daß unsere Strategie nicht die Unterordnung oder Einschüchterung unserer Nachbarn sein sollte, sondern eine Rückkehr zu den Grundlagen. Denn die überwiegende Mehrheit dieser Nationen hat in der Geschichte mit der Unterstützung des russischen Volkes und aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Russischen Reich und später zur UdSSR überlebt.

Ich bin überzeugt, daß wir langfristig arbeiten müssen. Wir haben die letzten 30 Jahre vergeudet, weil wir glaubten, unsere Nachbarn würden sich nicht bewegen, weil sie eine gemeinsame Sprache, Geschichte und Geographie mit uns teilen. Es stellte sich heraus, daß sie in dieser Zeit ihre Verbindungen zu anderen Kräften verstärkt haben, die jahrelang aktiv daran gearbeitet haben, sie von Rußland zu trennen.
Dies muß dringend korrigiert werden, unter Einsatz von Stärke und sogar Leben.“

Klingt beunruhigend …

Pressespiegel El País, 11.7.: Das Ende der PKK

DIE KURDISCHE PKK BEGINNT EINEN HISTORISCHEN ENTWAFFNUNGSPROZESS

Kämpfer der bewaffneten Gruppe verbrennen ihre Waffen im Irak. Die türkische Regierung betrachtet dies als einen »unumkehrbaren« Schritt auf dem Weg zum Frieden

Mit einer symbolträchtigen Kapitulationszeremonie und dem Verbrennen von Waffen hat die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ihre Entwaffnung begonnen: ein wichtiger Schritt im historischen Prozess, der mit der türkischen Regierung ausgehandelt wurde, um den über 4 Jahrzehnte andauernden Konflikt zu beenden, der über 40.000 Menschenleben gefordert hat.

Quellen innerhalb der türkischen Regierung sind der Ansicht, der Friedensprozess befinde sich damit auf einem »unumkehrbaren« Weg zur Lösung.“

Man beachte auch die Namesgebung der PKK: Sie bezeichnete sich als „Arbeiterpartei Kurdistans“, was im ersten Teil auf ein sozialistisches Programm hinwies und keineswegs alle Mitglieder der kurdischstämmigen Bevölkerung ansprechen sollte. Die PKK steht daher von Anfang an im Gegensatz zu den stammesmäßig organisierten Eliten des irakischen Kurdistans.
Zweitens aber „Kurdistans“, und das heißt, daß sie sich auf ein Gebiet bezog, das sich weit außerhalb der Grenzen der Türkei erstreckt und daher auch die Regierungen und Behörden der benachbarten Staaten beunruhigte.
Dennoch gewährte noch Hafiz Al-Assad ihm eine Zeitlang Zuflucht in Syrien, wahrscheinlich mit der Vorstellung, damit die PKK ein Stück weit kontrollieren und für die Interessen Syriens einsetzen zu können.

„Die Veranstaltung fand diesen Freitag in der Nähe einer Höhle in der Provinz Sülejmanija in der Autonomen Region Irakisch-Kurdistan statt.

Dort versammelten sich rund dreißig PKK-Kämpfer, darunter mehrere Kommandeure, die unter Aufsicht irakischer Sicherheitskräfte Kalaschnikows, Raketenwerfer und andere Langwaffen in einen Kessel legten und in Brand setzten. »Wir haben unsere Waffen in Ihrer Gegenwart freiwillig zerstört, als Zeichen unseres guten Willens und unserer Entschlossenheit«, hieß es in einer Erklärung, die die Kommandantin Bese Hozat auf Türkisch und der Anführer der bewaffneten Gruppe, Nedim Seven, auf Kurdisch vorlas.

Sie betonten ihre Unterstützung für den im Februar verkündeten Friedensaufruf des Gründers und ideologischen Führers der PKK, Abdullah Öcalan, der seit 1999 auf einer türkischen Insel inhaftiert ist.

Die Kommandanten betonten, dies sei ein Schritt vom bewaffneten Kampf hin zu »legalen und demokratischen Methoden« der Politik. Im Gegenzug erwarteten sie von der türkischen Regierung die Umsetzung von Gesetzen, die die »demokratische Integration« der Kurden fördern. »Angesichts des zunehmenden faschistischen Drucks und der Ausbeutung weltweit sowie des Blutvergießens im Nahen Osten braucht unser Volk mehr denn je ein demokratisches, gleichberechtigtes, freies und friedliches Leben. In diesem Kontext liegt die Bedeutung und Dringlichkeit unseres Schrittes«, heißt es in der Erklärung weiter.

An der Veranstaltung nahm auch eine große Delegation von Mitgliedern der Zivilgesellschaft und der Partei für Gleichheit und Demokratie des Volkes (DEM), der wichtigsten legalen pro-kurdischen Partei in der Türkei, teil.

Die Vorbereitung des Entwaffnungsprozesses wird von den türkischen Geheimdiensten in Zusammenarbeit mit ihren irakischen und kurdisch-irakischen Sicherheitspartnern überwacht, mit deren Regierungen Ankara gut zusammenarbeitet.“

Einer der Gründe für die Kapitulation der PKK ist offensichtlich, daß die kurdische Führung im irakischen Kurdistan – die Barzani– und Talabani-Clans – der PKK die Unterstützung entzogen haben und mit den türkischen Behörden, vor allem dem Militär, kooperieren.
Dazu kommt, daß das irakische Kurdistan de facto ein vom Irak abgespaltener Staat unter US-Schutzherrschaft ist und daher dem Führungsanspruch der PKK Fakten entgegensetzen kann. „Kurdistan“ sind wir!

Die Veranstaltung am Freitag war sorgfältig choreografiert, um sicherzustellen, dass sich die bewaffnete Gruppe durch die auf dem Verhandlungsweg zustandegekommene und hiermit öffentlich gemachte Kapitulation nicht gedemütigt fühlt: Ankara hat sich nämlich im Austausch für die Auflösung und Entwaffnung der PKK zu nichts Konkretem verpflichtet, doch den kurdischen Militanten blieben nicht viele andere Optionen, nachdem das türkische Militär dank seiner militärisch-industriellen Fortschritte im vergangenen Jahrzehnt praktisch alle Aktivitäten der PKK in der Türkei neutralisiert hatte.“

Nicht nur die Bewaffnung, auch die Diplomatie hat das Ihrige dazu beigetragen, siehe oben.
Was die „militärisch-industriellen Fortschritte“ betrifft, so bezieht sich der Autor offensichtlich auf die ständige Erweiterung und Weiterentwicklung der Drohnenproduktion, die es ermöglicht hat, die Kämpfer der PKK überall auszuspionieren und dann mit gezielten Militärschlägen – sowohl mit Drohnen als auch durch Bombardements durch Flugzeuge – praktisch zu vernichten.

„Wenngleich die Führung der bewaffneten Gruppe die Auflösung auf ihrem Kongress im Mai einstimmig akzeptierte, ist bekannt, dass es innerhalb der PKK einige gibt, die dem Prozess misstrauisch gegenüberstehen. Daher besteht stets die Gefahr von Spaltungen, insbesondere angesichts der Tatsache, dass Israel angeboten hat, den bewaffneten Kampf der Kurden in Syrien und der Türkei zu unterstützen, um seine Gegner zu schwächen, wie Öcalan bei einem Treffen mit einer DEM-Delegation im April warnte (dessen Notizen an die Presse durchgesickert sind).
Andererseits wollen sie auch das vermeiden, was die türkischen Medien als »Show« oder »Provokation« bezeichnen, um den türkischen Nationalismus nicht weiter zu schüren, da ein Teil der türkischen Gesellschaft Verhandlungen mit einer Organisation missbilligt, die als terroristische Vereinigung gilt.

Dies gilt insbesondere in einer Woche, in der 12 türkische Soldaten in einer Höhle im Nordirak an einer Methanvergiftung starben, als sie nach der Leiche eines anderen Soldaten suchten, der 2022 bei einer Operation gegen die PKK ums Leben kam.

Allerdings ist dieser Schritt rein symbolisch, weil die PKK verfügt über ganz andere Waffenlager als diese öffentlich vernichteten Waffen.
Für eine vollständige Entwaffnung muß der türkische Staat also tatsächlich Vorleistungen erbringen.

„Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan bezeichnete die Waffenvernichtung der PKK in einem Beitrag auf der Social-Media-Plattform X als »wichtigen Schritt« auf dem Weg zu einer »terrorismusfreien Türkei«. Er betete darin auch um Gottes Hilfe für einen Prozess, dessen Ziel es sei, »die Sicherheit des Landes zu gewährleisten« und »einen dauerhaften Frieden in der Region« zu schaffen.

Türkische Regierungsquellen erklärten, der Beginn der Waffenabgabe markiere einen »unumkehrbaren Wendepunkt« im Prozess und die Türkei sei »zu allen Bemühungen um Abrüstung, Stabilität und dauerhafte Versöhnung in der Region verpflichtet«. Im Plan der Exekutive ist diese Abrüstung der dritte Schritt nach dem Aufruf zu Verhandlungen der Regierungskoalition im Herbst und dem Aufruf Öcalans zur Auflösung der PKK im Februar (der vom PKK-Kongress positiv aufgenommen wurde).

Der Prozess der »Entwaffnung und Beschlagnahmung« der Waffenarsenale der PKK und der »Auflösung ihrer bewaffneten Strukturen« werde mehrere Monate dauern, heißt es in Ankara. Anschließend sollen zwei weitere Schritte zur Reintegration der kurdischen Guerillamitglieder und längerfristig zur Versöhnung der betroffenen Gemeinschaften folgen.

Die Regierung hat die PKK-Mitglieder zur Kapitulation aufgefordert, da diejenigen, die keine Blutverbrechen begangen haben, begnadigt werden und keine Gefängnisstrafen zu erwarten haben.
Eine weitere, heikle Frage ist, was mit denjenigen Militanten geschehen wird, die nachweislich getötet haben, da die Türkei beabsichtigt, sie strafrechtlich zu verfolgen.
Der Regierung von Recep Tayyip Erdoğan nahestehende Medien haben jedoch die Möglichkeit angedeutet, ihnen in Drittländern Zuflucht zu gewähren.

Die Entwicklung der PKK

Die PKK wurde 1978 gegründet, griff aber erst 1984 zu den Waffen gegen den türkischen Staat, nachdem sie andere rivalisierende kurdische Gruppen ausgeschaltet und ihr Anführer Abdullah Öcalan in Damaskus, Syrien, Zuflucht gefunden hatte.
Ursprünglich forderte die Gruppe die Unabhängigkeit Kurdistans – eines Gebiets, das sich über die Türkei, den Iran, den Irak und Syrien erstreckt –, gab diese Forderungen jedoch im Laufe der Jahre allmählich auf.“

Oder auch nicht, so genau läßt sich das nicht feststellen.

„Zunächst erklärte sie sich für Autonomie,“

– in der Türkei, aber dieses Konzept gewann mit der Etablierung der Autonomie in Syrien sozusagen Substanz und bedrohte dadurch die territoriale Integrität der Türkei

„dann für das vage Konzept des »demokratischen Konföderalismus« und in jüngerer Zeit für das Versprechen einer »demokratischen Gesellschaft«, die die Türken und Kurden der Türkei als »Gründervölker« der Nation integriert.“

Damit ist angesprochen, daß der Separatismus und jede Form lokaler Selbstverwaltung als Forderung aufgegeben, und auch die Vereinigung mit anderen kurdischen Gebieten nicht mehr angestrebt wird.

„Von ihrem anfänglichen Guerillakrieg ging die PKK zu Angriffen auf Städte über, worauf die türkische Regierung mit einer Strategie der verbrannten Erde – der Räumung Hunderter Ortschaften und der Vertreibung ihrer Bewohner – und einem schmutzigen Krieg reagierte, der in 4 Jahrzehnten Konflikt Zehntausende Tote und Tausende Vermisste forderte.

Die PKK nutzte die Instabilität in der Region zudem aus, um – nach dem Ersten Golfkrieg“

– gemeint ist der 2. Golfkrieg von 1991, der erste, zwischen Iran und Irak, dauerte ca. 8 Jahre und endete 1988 –

„ihre Stützpunkte auf den Nordirak auszuweiten und Verbündete im Iran (die PJAK) und in Syrien zu gründen: die PYD und ihre YPG-Milizen, die während des dortigen Bürgerkriegs sehr aktiv waren und parallel zum Friedensprozess in der Türkei nun Gespräche mit der neuen Regierung in Damaskus über eine Integration in den syrischen Staat aufgenommen haben.“

Auch in Syrien wird also das Autonomieprojekt zumindest Gegenstand von Verhandlungen.
Mit der Entwicklung in Syrien und dem Sturz Baschar Al-Assads verlor die PKK also auch ihre Unterstützung in Rojava.

„Die PKK sowie ihre Tochter- und Schwesterorganisationen (sowohl zivile als auch bewaffnete) sind in einer vielschichtigen Struktur mit mehreren Entscheidungsträgern organisiert. Die hierarchische Struktur und der Personenkult um Öcalan, der aus den maoistischen Wurzeln der PKK stammt,“

– so ein Unsinn.
Der „Personenkult“, was immer man darunter verstehen mag, ist die logische Folge eines „Volkes ohne Staat“, das sich mangels Grenzen und Gewaltmonopol um eine Integrationsfigur schart.

„haben es dem Gründer jedoch ermöglicht, einen starken Einfluss auf die Anhänger und Sympathisanten der PKK auszuüben und trotz seiner Inhaftierung seit 1999 eine wichtige Rolle bei den Friedensverhandlungen zu spielen.

Dies ist nicht der erste Versuch eines Friedensprozesses zwischen Ankara und der bewaffneten Gruppe, aber er ist derjenige, der am weitesten fortgeschritten ist: Frühere Versuche scheiterten an der Zustimmung zur Auflösung oder zur Abgabe der Waffen.“

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Eine gewichtige Stimme meldet sich zu der Sache:

„Bahçeli lobt PKK-Entwaffnung: »Schritt von historischer Bedeutung«

Nach der symbolischen Waffenabgabe der PKK hat MHP-Chef Devlet Bahçeli den Schritt als „historisch“ begrüßt. Er würdigte das Einhalten von Öcalans Friedensaufruf und lobte Regierung und Opposition gleichermaßen für ihren Beitrag.

Nach der symbolischen Entwaffnungszeremonie der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) hat der Vorsitzende der ultranationalistischen MHP, Devlet Bahçeli, in einer ersten Reaktion das Vorgehen als „historisch“ bewertet. Besonders hob er hervor, dass der inhaftierte PKK-Begründer Abdullah Öcalan mit der Initiative sein Versprechen eingelöst habe.

»Tatsächlich erleben wir gegenwärtig Tage von außergewöhnlicher Bedeutung – für die Türkei ebenso wie für die gesamte Region«, erklärte Bahçeli in Ankara. Der Rückzug der PKK aus dem bewaffneten Kampf sei ein Beleg dafür, dass die Organisation »im Einklang mit dem Aufruf für Frieden und demokratische Gesellschaft vom 27. Februar« sowie den Beschlüssen ihres 12. Kongresses vom Mai 2025 nun ihre Strukturen auflöse und zur Entwaffnung schreite.
»Wie zuletzt in seiner Videobotschaft deutlich wurde, hat der Gründungsführer der PKK sein Wort gehalten, seine Zusagen eingehalten und die globalen und regionalen Bedrohungen rechtzeitig erkannt«, sagte Bahçeli mit Blick auf Abdullah Öcalan.

Der Vorsitzende der ultranationalistischen MHP, die in der Regierungskoalition mit der AKP steht, lobte zugleich die Rolle von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan und seiner Regierung. Sie hätten, so Bahçeli, die Linie einer »terrorfreien Türkei« von Beginn an konsequent verfolgt und den Prozess mitgetragen. Auch die DEM-Partei erwähnte er ausdrücklich – positiv. Sie habe mit einem »verantwortungsbewussten und ausgewogenen Kurs« zur Stabilität beigetragen und damit „ihren Platz an der Seite einer gemeinsamen Zukunft“ eingenommen.

»Ein neuer Abschnitt beginnt«

Mit Blick auf die nächsten Schritte sagte Bahçeli, man befinde sich nun am Beginn einer neuen Ära. Gruppenweise Übergaben von Waffen seien zu erwarten. »Ein dunkles Kapitel beginnt sich zu schließen«, so der MHP-Chef. Gleichzeitig warnte er vor möglichen Versuchen, die positive Entwicklung zu untergraben. »Politisch motivierte Kreise, die auf Provokation, Verleumdung und Verweigerung setzen, werden angesichts des wachsenden Klimas der Hoffnung und des Friedens enttäuscht sein.«

Bahçeli spricht von Meilenstein

Die aktuellen Entwicklungen seien ein Wendepunkt, so Bahçeli weiter: »Was wir erleben, ist ein Meilenstein, der das kollektive Gewissen der Gesellschaft mit Zuversicht erfüllt.« Zum Abschluss bedankte er sich bei allen, die zu diesem Prozess beigetragen haben und wünschte der Bevölkerung eine friedliche neue Phase.“

(Firat News Agency, 11.7.)

Wer sich noch weiter für die Türkei interessiert, sei auf die sehr ausführlichen Radiosendungen mit Max Zirngast verwiesen:

Parteien, Innenpolitik, Verfassung: https://cba.media/448949

Parteienkonkurrenz, die Kurden und die Debatte um den Völkermord an den Armeniern, das Aghet: https://cba.media/450725

Der Völkermord an den Armeniern, Nordzypern und der Konflikt in Syrien: https://cba.media/452301 und
https://cba.media/462106

Außerdem ist auch an das einige Jahre zurückliegende Ende einer anderen bewaffneten Truppe zu erinnern.