Pressespiegel El País, 22.12.: Kolumbien, bedeutender weltweiter Söldnerexporteur

„»DER EINZIGE SCHULDIGE DAFÜR, DASS SO VIELE INS AUSLAND GEHEN, IST DIE REGIERUNG, DIE DEM GLEICHGÜLTIG GEGENÜBERSTEHT«“

Eine eigenartige Schuldzuweisung: Gerade ein Subjekt, das nichts tut, soll für irgendeine Sache verantwortlich sein?
Man merkt an solchen Dummheiten, daß hier erstens die Regierung schlecht gemacht werden soll und zweitens die wirklichen Subjekte nicht gestört werden wollen.

„Tausende ehemalige Militärangehörige werden für große Summen angeheuert, um in Kriegen zu kämpfen oder als private Leibwächter im Ausland zu dienen. Das Netzwerk hinter diesem Geschäft befindet sich im Visier der kolumbianischen Behörden.

Yeison Sánchez war bereit zu sterben, als er seine Reise in die Ukraine antrat. Dieser 31-jährige ehemalige kolumbianische Soldat hatte eine Rückführungsversicherung abgeschlossen und seine Familie vor seinem möglichen tödlichen Schicksal im Krieg gegen die russische Invasion gewarnt.
Seine Hauptmotivation war Geld. Er sah sich auf TikTok Videos von Landsleuten an, die versprachen, dass er als Freiwilliger in der ukrainischen Armee 19 Millionen Pesos (etwa 4.300 US-Dollar) im Monat erhalten würde.“

TikTok hat sich also von einem zunächst bei Kindern beliebten sozialen Medium u.a. zu einer Rekrutierungsplattform für Kriege und Söldner gewandelt.

„So sparte er etwa 2.300 US-Dollar, um einen Flug von Bogotá nach Madrid zu nehmen, von dort aus einen weiteren nach Polen und schließlich auf dem Landweg in die Ukraine einzureisen, um sich an einem Konflikt im Ausland zu beteiligen.
Wie Sánchez, der im letzten Jahrzehnt als Wachmann und Krankenpfleger gearbeitet hatte,“

sehr breites Berufsprofil …

„hat der finanzielle Anreiz Tausende Kolumbianer dazu gedrängt, im Ausland zu kämpfen, in Ländern wie der Ukraine oder dem Sudan. Andere arbeiten lieber als Begleitpersonen oder Sicherheitskräfte in den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Mexiko.

Ihre Fälle haben mehrere Gemeinsamkeiten: Es handelt sich um ehemalige Militärangehörige, die früh in den Ruhestand gehen“

– auch eine seltsame Formulierung.
Vermutlich handelt es sich um Berufssoldaten auf Zeit, deren Vertrag endet. Mit „Ruhestand“ hat das offensichtlich nichts zu tun, weil als Pension erhalten sie, wenn überhaupt, eine viel zu geringe, um davon existieren zu können:

„und kaum auf andere Aktivitäten als den Krieg vorbereitet sind. Als Veteranen erhalten sie vom kolumbianischen Staat ein kleines Ruhestandsgehalt, was Angebote, im Ausland bis zu 5x mehr zu verdienen, attraktiv macht.

In der Ukraine hielt Sánchez nicht lange durch. Nach sechs Monaten desertierte er, teils weil die tatsächliche Bezahlung weit unter den versprochenen 4.300 Dollar lag – »Ich fühlte mich betrogen« – teils weil er sich von seinen Vorgesetzten schlecht behandelt fühlte. »Wir blieben eingesperrt. Sie gingen im Morgengrauen mit uns raus, um Liegestütze zu machen, als Strafe dafür, dass einige Kameraden Spanisch mit den Einheimischen sprachen. Das war verboten. Ich habe ihnen gesagt, dass wir Freiwillige und keine Geiseln seien«, sagt er.“

Die Ukrainer wollen zwar Söldner, sie dürfen aber ihre Muttersprache nicht benutzen, zumindest im Gespräch mit Ukrainern?
Das weist auf ein grundlegendes Mißtrauen gegenüber diesen Leuten hin, die die ukrainische Armee zu jedem Zeitpunkt kontrollieren will.
Vermutlich ist davon vor allem Spanisch betroffen, weil Polnisch oder Englisch verstehen die Kommandeure eher.

„Mit ihm seien 40 Soldaten der Internationalen Legion gegangen, sagt er. Jetzt erwägt er mehrere Angebote, etwa nach Mexiko zu gehen, um mit den Kartellen zusammenzuarbeiten, oder »das Projekt« in Afrika, »das gerade viel Aufsehen erregt«.“

Was da wohl gemeint ist?!

„Das Interesse der Kolumbianer am Söldner- und Sicherheitsmarkt ist durchaus berechtigt. Kolumbien verfügt über eine der größten und am besten vorbereiteten Armeen der Welt. »Sie trainieren seit 60 Jahren nach der Doktrin der Aufstandsbekämpfung und kämpfen effektiv. Deshalb sind sie bei ausländischen Armeen und privaten Sicherheitsunternehmen so gefragt«, erklärt Laura Lizarazo, nationale Sicherheitsexpertin beim Beratungsunternehmen Control Risks. Seit dem Jahr 2000 wurde die Anwesenheit kolumbianischer Söldner in Dutzenden Ländern gemeldet, darunter Russland, Jemen, Libyen, Somalia und Afghanistan.

Der berüchtigtste Vorfall, an dem kolumbianische Söldner beteiligt waren, war die Ermordung des Präsidenten von Haiti, Jovenel Moïse, im Jahr 2021.
Aufgrund des Mordes sind in Port-au-Prince weiterhin 17 Kolumbianer inhaftiert. Mehrere behaupten, sie seien angeheuert worden, um den Präsidenten zu entführen und nicht, um ihn zu töten.
Zwei der Anführer der in den USA geplanten Operation wurden von Richtern in Florida zu lebenslanger Haft verurteilt. Für Gesprächsstoff sorgt auch der Fall zweier Söldner der ukrainischen Armee, die nach ihrer Auslieferung aus Venezuela in Russland inhaftiert sind.

»Wir sind wie Fußballspieler«

»Was mit Fußballern passiert, ist dasselbe wie mit dem Militär. Viele Headhunting-Unternehmen kommen nach Kolumbien, um sich Ihre Arbeit anzusehen und Ihnen ein Angebot zu unterbreiten.« So beschreibt Dante Hincapié, der 21 Jahre lang in der kolumbianischen Marine gedient hatte, die Rekrutierungsphase.
Obwohl er den Rang eines Unteroffizier-Kommandanten erreicht hatte, war ihm sein Ruhestandsgehalt zu wenig.
Aus diesem Grund verfiel er 2014 auf das Söldnergeschäft und heuerte in die VAE als Kommunikations-Kommandeur eines Bataillons der emiratischen Armee an, das ausschließlich aus Kolumbianern bestand.
»Wir waren etwa 2.000 Mann, das Unternehmen Global Security Services Group (GSSG) etwa 30 Soldaten pro Woche«, sagt er.“

Unklar. Ein Verb fehlt.
Wurden pro Woche 30 Neue angeworben oder arbeiteten sie in Schichten?

„Einige Zeit später, im Jahr 2018, kam er in den Jemen – »einer der schlimmsten Orte, an denen ich je war« –, um Schiffe aus Europa und den USA zu eskortieren, die den Golf von Aden durchquerten und häufig von Piraten angegriffen wurden.
In den 3 Jahren als Söldner verdiente er fast 70.000 Dollar, während die Summe seiner Ersparnisse und seines Ruhestandsgehalts bei der Marine gerade einmal 15.000 Dollar betrug.
Hincapié, der inzwischen 48 Jahre alt ist, gibt zu, dass einige Unternehmen die Lage ehemaliger Soldaten ausnutzen. Er verweist auf die Fälle Sudan und Haiti, behauptet jedoch, dass dies nicht die Regel sei: »Ich wurde nie zum Narren gehalten. Für viele abgerüstete Soldaten ist das eine Option.«“

Mit einem Wort, viel anderes bleibt ihnen nicht übrig, da sie nur das Kriegshandwerk gelernt haben.
Das wirft ein bezeichnendes Licht auf das Ausbildungswesen in Kolumbien, wo Soldat bzw. Söldner offenbar der perspektivenreichste Beruf ist.

„Für ihn liegt »die Verantwortung für diese Entwicklung ausschließlich bei der Regierung. … Sie macht nichts, die Soldaten sind ihr egal.«“

Nun ja. Erst werden sie ja einmal angestellt, offenbar eine Art Arbeitsbeschaffungsprogramm der kolumbianischen Regierung.
Für die männliche Jugend gibt es anscheinend dank Land-Vertreibungen der indigenen Bevölkerung und mäßigen Job-Perspektiven in den Städten nur die Option, entweder beim Militär anzuheuern oder bei einer Drogen-Bande oder bei der Guerilla.
Also profiliert sich der Staat als Arbeitgeber und schickt sie nach ein paar Jahren mit etwas Almosen wieder weg.
Natürlich ist so eine Karriere dann vorgezeichnet.

„Und er scheut sich nicht, den kolumbianischen Staat zu kritisieren, weil er das Gefühl hat, dass das Militär schlecht gemacht wird: »Wir sind keine Terroristen. Soldat zu sein ist gleichbedeutend mit Tapferkeit.«“

Auch seltsam.
Erst werden sie angestellt und nachher schlecht gemacht?
Die Arbeitsmarktpolitik der kolumbianischen Regierung erscheint widersprüchlich, aber die Abwanderung als Söldner scheint beabsichtigt zu sein.

„Ein komplexes Unternehmensnetzwerk

Die Zunahme des Söldnertums, das große menschliche Verluste mit sich bringt – das Außenministerium schätzt, dass 300 Kolumbianer im Krieg in der Ukraine ums Leben kamen –,“

– will heißen, bisher

„hat die Regierung dazu veranlasst, ein Gesetz zum vollständigen Verbot dieser Tätigkeit – im Einklang mit einer UN-Konvention aus dem Jahr 1989 – einzuführen, da dadurch die Organisationen verboten werden, »die die pensionierten Soldaten instrumentalisieren«.”

Die kolumbianische Regierung rekrutiert also Soldaten auf Zeit, um sie von anderen Ttigkeiten fernzuhalten, und meint, daß das „Ruhestandsgehalt“ hoch genug sei, um sie ruhigzustellen – da täuscht sie sich offenbar.
Und jetzt hat sie das Problem des eigenartigen „Exports“, der von einigen Staaten der Welt genutzt, von anderen ungern gesehen wird.
Die kolumbianischen Söldner haben sich offensichtlich zu einem außenpolitischen Problem entwickelt.

Jovana Ranito, Präsidentin der Arbeitsgruppe der UNO für Söldnerwesen, begrüßt diese in Angriff genommene Maßnahme. »Die internationale Gesetzgebung ist der Ausgangspunkt, aber wenn sie nicht intern umgesetzt wird, ist es sehr schwierig, sie zur Bekämpfung dieses Phänomens anzuwenden«, erklärt er aus Genf.“

Ein Schicksal vieler UNO-Resolutionen und -Konventionen …

„Die Expertin hofft, daß die Länder, die dem Abkommen beitreten, ihrer Abteilung bei der UNO dabei helfen werden, die Personalvermittlungsunternehmen, den Hauptakteur auf diesem Markt, zu bekämpfen.
»Es gibt ein breites Spektrum an Unternehmen, die in unterschiedlichen Ländern und unter unterschiedlichen Namen registriert sind, und daher ist es schwierig, den Überblick zu behalten.«

Im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit stehen Länder des globalen Südens, die sich meist in einer fragilen Wirtschaftslage befinden und aus einer Konfliktsituation hervorgegangen sind.

In diesem Unternehmensnetzwerk ist Jaime Henao, ein 40-jähriger ehemaliger Sergeant der kolumbianischen Armee, seit mehr als einem Jahrzehnt beruflich tätig.

Er wurde von Blackwater – heute Academi, einem der größten privaten Sicherheitsunternehmen der Welt – ausgebildet und zusammen mit mehreren Dutzend Kolumbianern mitten im Krieg nach Afghanistan entsandt.
Dort arbeitete Henao als Wachmann im US-Konsulat in der Stadt Herat, dem Schauplatz eines Selbstmordanschlags der Taliban im September 2013. Nachdem sein Vertrag einige Monate nach dem Anschlag endete, kehrte er nach Kolumbien zurück und war dort weiterhin im privaten Sicherheitsgeschäft tätig.

Im Jahr 2021 erhielt er einen Anruf von der Firma A4SI, als Escort in Abu Dhabi, der Hauptstadt der VAE, zu dienen. »Sie boten mir einen Vertrag mit der Firma GSSG im Wert von 2.300 US-Dollar an. Wir waren 8 Kolumbianer und sie machten bis zum letzten Moment ein Geheimnis daraus, für wen ich zuständig sein würde“, sagt er. Sein Schützling war schließlich ein ehemaliger afghanischer Präsident, dem in den VAE Asyl gewährt wurde.“

Offenbar Aschraf Ghani, weil Karzai lebt nicht in den VAE.

„Das Unternehmen A4SI wurde 2017 von Omar Antonio Rodríguez Bedoya, einem ehemaligen kolumbianischen Armeeoffizier, gegründet, sein Betrieb wird jedoch jetzt von Álvaro Quijano, einem pensionierten Oberst derselben Truppe, geleitet.

Dieses Unternehmen ist in den Mittelpunkt des Interesses geraten, weil es mindestens 300 kolumbianische Söldner angeheuert hat, die in den Sudan geschickt wurden, um dort im Bürgerkrieg zu kämpfen.
Viele berichten, dass sie mit falschen Versprechungen dorthin gelockt worden seien, da sie davon ausgegangen seien, dass sie wie Henao als private Leibwächter in den Emiraten arbeiten würden.
Die in der Angelegenheit befragten Experten geben an, dass diese Täuschungen regelmäßig vorkommen, da die solchermaßen Rekrutierten, sobald sie in einem anderen Land eintreffen, ohne Sprachkenntnisse und ohne eigenes Geld vollständig diesen Unternehmen ausgeliefert sind.

Ein endloser Kreislauf

Die Söldnertätigkeit wird in naher Zukunft nicht aufhören, prognostiziert Alfonso Manzur, Gründer von Veterans for Colombia, einer Organisation, die die Rechte pensionierter Militärangehöriger schützt. Er versichert, dass es Tausende von Kolumbianern gibt, die in diesem Geschäft gearbeitet haben, und dass es aufgrund der wachsenden Nachfrage in Ländern wie der Ukraine und Mexiko, in denen Sicherheitsunternehmen nicht eingreifen, immer schwieriger wird, eine allgemeine Zählung vorzunehmen.“

Auch diese Formulierung ist unklar.
Offenbar gibt es keine legalen oder offiziellen Sicherheitsunternehmen, wie Academi usw., die sich in diese Hotspots begeben wollen, weshalb es mehr Bedarf auf dem grauen Markt gibt.

„»Im ersten Jahrzehnt der 2000er Jahre wuchs die kolumbianische Armee um etwa 250.000 Mann, von denen viele derzeit aus dem Dienst ausscheiden.“

Damals wurden offenbar im Rahmen des Aussöhnungsprozesses viele Paramilitärs in die Reihen des offiziellen kolumbianischen Heeres aufgenommen, um ihnen eine berufliche Perspektive zu bieten – was natürlich den Staat einen Haufen Geld kostete und und noch immer kostet, weshalb die „Pensionen“ eher bescheiden ausfallen.

„Deshalb haben wir in den letzten Jahren weltweit eine Explosion kolumbianischer Söldner erlebt«, erklärt er. Auch er beschwert sich: Die Renten sind zu niedrig.
Doch Manzur warnt vor einem weiteren Problem. »Die verschiedenen kolumbianischen Regierungen haben keine angemessenen Maßnahmen ergriffen, um ehemalige Soldaten auf das zivile Leben vorzubereiten. Viele waren arme Menschen, die im Krieg ihren Lebensunterhalt fanden und wenn sie nicht umgeschult werden, in dieser Branche weitermachen werden.«
Der von der Regierung vorgelegte Gesetzentwurf sieht die Schaffung von Reintegrationsprogrammen für Veteranen und eine Erhöhung ihrer wirtschaftlichen Unterstützung vor.“

Man merkt, daß das Problem von einer kolumbianischen Regierung an die nächste als heiße Kartoffel weitergegeben wurde.
Weil Ausbildung schön und gut, aber für welche Berufe eigentlich?

„Trotz dieser Maßnahmen geben die drei befragten Söldner – die alle diese Berufsbezeichnung akzeptieren – zu, dass sie es vorziehen, auf dem Söldner-Markt zu bleiben.

Sánchez, zurück in Medellín, sagt, er werde sich eine Weile ausruhen, aber das Geld »hält ihn in Bewegung«. Der Plan, der ihn am meisten überzeugt, ist, nach Mexiko zu gehen, wegen der Nähe zu Kolumbien und weil einige seiner Kollegen bereits dort sind.

Henao seinerseits zog es inzwischen nach Libyen, um dort als Militärausbilder zu arbeiten. Obwohl er nicht in direkte Konfrontationen verwickelt ist, verdient er bis zu 4.000 US-Dollar.“

Man fragt sich, wer dort sein Dienstgeber ist?
Die Regierung in Tripoli oder eine internationale Organisation?

Hincapié ist seit mehreren Jahren wirklich im Ruhestand, aber nie zu weit vom Geschäft entfernt und sagt, er sei jetzt ein Aktivist für die Rechte von Veteranen. »Einmal als Soldat auf die Fahne schwören, und man ist bis zum Ende seiner Tage Soldat«, sagt er.“

Die Fahne ist dann ganz wurscht.

Serie „Lateinamerika heute“, Teil 22: Paraguay

PARAGUAY: LAND DER SOZIALEN EXPERIMENTE

Das Gebiet des heutigen Paraguay enthält bis heute keine besonderen Bodenschätze, die in der Kolonialzeit den Hunger der Eroberer hätten wecken können.

Allerdings ist der Paraná schiffbar und ebenso der Rio Paraguay, der in der Nähe der heutigen argentinischen Stadt Corrientes in den Paraná mündet. In einer Zeit, als die Flüsse die Haupt-Verkehrsadern waren, hätte diese Schiffahrtsroute die Feinde Spaniens bis in die Nähe der heutigen bolvianischen Grenzstadt Puerto Suárez und auf anderen Wasserwegen oder auf dem Landweg weiter bis zu den Silberminen von Potosí und den restlichen Bergbauzentren der Andenkette bringen können.

Es hatte also strategische Beutung und wurde auf eigenartige Weise zu einer Art Militärgrenze des Spanischen Kolonialreiches.

Das erste Experiment waren die jesuitischen Reduktionen

Die spanischen Könige waren daher durchaus kooperativ, als die Jesuiten den Vorschlag machten, dieses wirtschaftlich uninteressante, aber strategisch wichtige Gebiet mit ihren Missionen zu besiedeln. Die Jesuiten bedungen sich für ihre Missionen die Befreiung ihrer indigenen Missionierten von der Encomienda aus, der offiziellen Erlaubnis der Eroberer zur Versklavung der einheimischen Bevölkerung.

Außerdem unterstanden sie direkt der spanischen Krone und nicht den verschiedenen Verwaltungseinheiten des Spanischen Kolonialreiches.

Die Missionen erhielten auch die Erlaubnis, sich zu bewaffnen und gegen Eindringlinge zu verteidigen. Sie stellten sogar bewaffnete Milizen, mit denen Rechte der Krone gegen gierige Kolonialbeamte verteidigt, oder Einfälle anderer, nicht bekehrter Indianerstämme abgewehrt wurden. Die Verteidigung gegen die Sklavenjäger aus Brasilien war der wichtigste Beitrag zum Schutz der spanischen Grenzen und die Grenzen der Nachfolgestaaten verlaufen oftmals entlang dieser jesuitischen Missionen.

Die Jesuiten gingen, ihr Erbe blieb: Paraguay ist zweisprachig – Spanisch und Guaraní – und die Harfe ist das beliebteste Musikinstrument Paraguays.

Das zweite Experiment: Unabhängigkeit = Autarkie

In den Jahren von 1811 bis 1816 gab es einige mißglückte Versuche, die politischen Eliten von Asunción der Oberhoheit von Buenos Aires zu unterwerfen. Dazu kamen Machtkämpfe unter den Eliten Asuncions, die durch die Wahl von Gáspar Rodríguez de Francia zum Diktator beendet wurden. Er herrschte dann diktatorisch bis zu seinem Tod 1840.

Die argentinischen Provinzen und die argentinischen Regierungen versuchten die Regierung in Asunción durch Blockade weichzuklopfen. Das betraf vor allem den wichtigen Wasserweg des Paraná. Darauf reagierte Paraguay mit verstärkter Abschottung. So schaukelte sich die Sache zu einer außenpolitischen Isolation und wirtschaftlichen Autarkie auf.

Es ist im Nachhienein nicht mehr eindeutig festzustellen, wie sehr sich das politische System Paraguays aus den Vorstellungen des Diktators oder als schrittweise Reaktion auf die Feindseligkeiten des Auslands entwickelte. Die gesamte Wirtschaft Paraguays wurde umgekrempelt, um die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Das Bemerkenswerte dabei ist: Es gelang.

Aller Grund und Boden wurde verstaatlicht: Die Haciendas der Großgrundbesitzer und auch die Ländereien der Kirche. Die Bauern erhielten Land zur Verfügung, aber nicht im Eigentum. Später wurden Staatsfarmen gegründet, wo die großen Viehbestände verwaltet wurden. Aussaat und Ernte wurden kontrolliert und dafür gesorgt, daß für alle genug da war. Beamte, so auch Priester oder Lehrer, wurden teilweise in Lebensmitteln bezahlt. Überhaupt spielte Geld eine geringe Rolle, da die Bauern eine Art Subsistenzwirtschaft betrieben und wenig Bedarf nach käuflichen Waren hatten. Paraguay hatte jahrzehntelang keine eigene Währung. Für den Außenhandel genügten die Währungen der Nachbarstaaten, im Inneren wurde spanisches Münzgeld verwendet, dessen Ausfuhr verboten war.

Es wurde eine Art Außenhandelsmonopol eingerichtet. Die privaten Kaufleute hatten wenig zu lachen und wurden entweder ins Gefängnis geworfen oder in den Ruin getrieben. Nur an bestimmten Grenzübergängen durften Waren aus- und eingeführt werden, unter strikter Kontrolle von Grenzbeamten.

Unter Rodríguez de Francia erblühte das Handwerk und es kam zu einer bescheidenen Art der Versorgung mit dem Nötigsten.
Die Erziehung wurde verstaatlicht, alle sollten Lesen und Schreiben lernen – von höherer Bildung hielt er wenig und auch der Import von gedruckten Publikationen unterlag einer strengen Kontrolle.

Nach dem Tod von Rodríguez de Francia nahm sein Nachfolger López einige Maßnahmen vor, die Paraguay als Staat etablierten: So wurde formell eine Staatsgründung verkündet, eine Fahne und ein Wappen geschaffen und erste außenpolitische Gehversuche gemacht, um diplomatische Beziehungen zu anderen, vor allen den benachbarten Staaten zu etablieren. Im Inneren wurde schließlich eine Art Verfassung durch das „Gesetz der öffentlichen Verwaltung“ erlassen, in dem eine Art Parlament, Rechte und Pflichten der Bürger und ein Präsident festgesetzt wurden.

Eine Druckerei wurde gegründet, die eine Regierungszeitung druckte, um durch ein öffentliches publizistisches Organ den Unabhängigkeitsanspruch Paraguays zu untermauern, zu Hause und im Ausland.

Während unter Rodríguez de Francia vor allem das Territorium zwischen dem Río Paraguay und dem Paraná besiedelt war und verwaltet wurde, wendete sich die Regierung unter López dem Chaco zu, der praktisch unerschlossen und von spärlichen indigenen Stämmen besiedelt war. Versuche, den Chaco mit Hilfe ausländischer Siedler zu erschließen, schlugen jedoch fehl.
Unter der Regierung von López wurde eine Gießerei gegründet und verschiedene Manufakturen ins Leben gerufen. Er versuchte, ausländische Experten ins Land zu locken und schuf auch ein System von Stipendien, um die bescheidenen Erziehungsanstalten Paraguays durch den Besuch paraguayanisher Studenten in ausländischer Bildungsinstitutionen zu ergänzen.

Während Bolivien und Brasilien die Unabhängigkeit Paraguays 1843 und 1844 anerkannten, weigerte sich Argentinien, dies zu tun, mit dem erklärten Ziel, die vermeintlich abtrünnige Provinz dem argentinischen Staatsverband einzugemeinden, so oder so. Uruguay erkannte 1845 Paraguay als unabhängigen Staat an.
Nach Interventionen von Großbritannien und den USA und verschiedenen Alianzen zwischen Nachbarstaaten und Provinzgouverneuren Argentiniens wurde der argentinische Diktator de Rosas gestürzt und Paraguay schließlich 1852 auch von Argentinien anerkannt. Darauf folgten auch die Anerkennungen durch England und Frankreich.

Alle diese Versuche der Öffnung und der internationalen Kooperation riefen jedoch Reibereien mit den europäischen Mächten und den USA hervor, die die Anerkennung als Freibrief für Einmischung betrachteten und versuchten, sich Paraguay über den Paraná als Markt zu erschließen und kommerzielle und militärische Stützpunkte in Paraguay zu gründen, – sich also dort als Macht in Form von Stützpunkten festzusetzen.
Es stellte sich heraus, daß die Feindseligkeiten seitens des argentinischen Caudillos de Rosas ein Schutz für Paraguay gewesen waren, der Paraguay gegenüber den imperialistischen Mächten Europas und den USA abgeschirmt hatte.

Als Carlos López 1862 verstarb, sah sich sein Sohn, der sich zu Lebzeiten seines Vaters als militärischer Arm der Regierung betätigt hatte, bereits mit bedeutenden außenpolitischen Schwierigkeiten konfrontiert.

Paraguay hatte sich zu einem Störfall im Süden Lateinamerikas entwickelt. Das Beharren der paraguayischen Politker auf einer eigenständigen Entwicklung beunruhigte die imperialistischen Mächte und die Eliten der Nachbarstaaten.

Paraguay behinderte die Allianzen zwischen England und den liberalen Eliten Argentiniens und Brasiliens, vor allem durch sein Beispiel der Abschottung, auf die seine Politiker immer wieder zurückgriffen. Die Erpressung mit Blockaden funktionierte nicht, das Land war autark und konnte sich selbst versorgen.

Die Geschichte der Gründung Paraguays ist ein Lehrstück über den Imperialismus in nachkolonialer Zeit. Und über Staatsgründungen überhaupt.

Jeder Staat ist nur so viel wert, als er sich erhalten und seine Grenzen verteidigen kann. Dafür benötigt er eine Wirtschaft, die das ermöglicht, also ihre Bewohner ernähren und sonstwie versorgen kann. Und ein Zusatzprodukt erzeugen kann, das eben die Rüstung und die Erhaltung einer bewaffneten Truppe ermöglicht.

Die Politiker des jungen Paraguay wußten das. Diese Einsicht ist bemerkenswert angesichts der Entwicklungen in der jüngeren Vergangenheit, wo verschiedene Politiker gerne „Unabhängigkeit!“ ausrufen, um sich dann schnell von einer Abhängigkeit in die andere zu begeben.

Schluß mit lustig: Der Krieg des Dreibundes gegen Paraguay

Das Problem Paraguays war Gegenstand in den Parlamenten der USA und Großbritanniens. Beide Staaten hatten Bürger entsandt, teilweise in Absprache mit der Regierung in Asunción, die sich in Paraguay breitzumachen versuchten und in Folge von der Regierung in Asunción hinausgeworfen worden waren.

Der Vorwand für die Kriegserklärung war der Eingriff Paraguays in politische Querelen in Uruguay und eine Invasion paraguayischer Truppen in Brasilien, aber das war nur der Funke, der den schon lange vorbereiteten Scheiterhaufen entfachte.

Zu all dem kam eine inzwischen relativ einflußreiche paraguayische Diaspora, die sich vor allem in Buenos Aires breitgemacht hatte – enteignete Großgrundbesitzer, vertriebene Kaufleute, u.a.

Am 1. Mai 1865 wurde in Buenos Aires – im Geheimen – der Vertrag des Dreibunds gegen Paraguay unterzeichnet. Darin wurden gegen Paraguay Reparationen für alle Schäden des Krieges festgelegt. Außerdem sollte alle Kriegsbeute – die Plünderung Paraguays wurde also hiermit geplant – und alle Waffen Paraguays unter die Sieger aufgeteilt und alle Befestigungen Paraguays zerstört werden.

Im Zuge der Mobilisation kam es zu massiven Desertionen, vor allem in Argentinien, weil sich die Soldaten weigerten, sich an diesem Feldzug gegen Paraguay zu beteiligen. Während des Feldzuges starben unzählige Soldaten aller Armeen an der Cholera. Genaue Zahlen sind nicht bekannt. Alle Versuche, einen Friedensschluß zu erreichen, scheiterten, weil sich die Invasoren ihrer Überlegenheit bewußt waren.
Im Jänner 1869 wurde Asunción erobert, geplündert und gebrandschatzt. Von der Hauptstadt Paraguays blieben rauchende Trümmer.

Der Krieg dauerte vom Juni 1865 bis zum März 1870. Die letzten Reste der paraguayischen Truppen, geführt von López Solano, wurden an der Grenze zu Brasilien niedergemacht.

Paraguay wurde zunächst zu einer Provinz Brasiliens erklärt. Dieser Zustand dauerte bis 1876. Paraguay wurde nur deshalb als Staat wiederhergestellt, weil die anderen Beteiligten (Argentinien und die USA bzw. die europäischen Mächte) an einer territorialen Erweiterung Brasiliens nicht interessiert waren.

Die Schätzungen des Bevölkerungsverlustes durch diesen Krieg reichen von einem Viertel bis 3 Viertel der Bevölkerung – durch Kriegsgeschehen, Seuchen und Emigration.

Das vorher bereits keineswegs dicht besiedelte Paraguay wurde jedenfalls durch diesen Krieg massiv entvölkert. Die männliche Bevölkerung reduzierte sich weitaus stärker als die weibliche, was sich auf die spätere Reproduktion negativ auswirkte. Die Bevölkerung Paraguays fiel angeblich – nach der Enzyclopedia Britannica von 1.337.439 Bewohnern (angebliche Volkszählung von 1857) auf 28.746 Männer, 106.254 Frauen über 15 Jahre und 86.079 Minderjährige unter 15 – d.h., auf 221.079 Personen.

Was immer die unter den Historikern umstrittenen Zahlen betrifft – Paraguay war erledigt.
Bis heute hat sich dieses Land nicht mehr von dieser Zerstörung erholt.

Paraguay ist hier ein weiteres Lehrstück über den Imperialismus, wie er nach dem Ende der Kolonialmächte von ebendiesen eingerichtet wurde. Die sogenannte „Entlassung in die Unabhängigkeit“ richtete nur andere Abhängigkeiten zwischen ehemaligen Mutterländern und Kolonien ein.

Es gibt keine „friedliche Koexistenz“ zwischen Staaten, wie sie von Vertretern des Völkerrechts, von den Politologen und sonstigen Vertretern der modernen Staatensysteme vorgegaukelt wird. Die der Herrschaft des Kapitals verpflichteten Staaten Europas und der USA dulden keine Abweichungen vom System des Privateigentums, der Klassengesellschaft und des Profits. Auch ihre Nachahmer und inzwischen auch erfolgreichen Konkurrenten sind in dieser Frage genauso unterwegs.

Das sieht man an Paraguays Schicksal: Die frischgebackenen neuen Staaten Lateinamerikas hatten die Kolonialmächte als Vorbild. Sie wollten durch die Unabhängigkeit genauso erfolgreich werden wie diejenigen Staaten, die sie einst kolonisiert hatten. Die kreolischen Eliten maßen sich an den europäischen und versuchten es ihnen gleichzutun.

Die Einwanderung – weitere Experimente

Das zerstörte und entvölkerte Land fand nach einigen Wirren unter Überlebenden und Emigranten zu einer neuen Führung. Paraguay blieb als eigener Staat nur deshalb bestehen, weil keiner der beteiligten Staaten, auch in Europa und den USA, Brasilien oder Argentinien einen solchen Zuwachs zugestehen wollte.

Noch unter der brasilianischen Oberhoheit und auch später herrschte darüber Konsens bei den Regierenden, daß man unbedingt Einwanderer anlocken mußte, um wieder so etwas wie eine Besiedlung, eine Bevölkerung und eine Wirtschaft zustande zu bringen.

Dazu kam, und das bestimmte bzw. behinderte im Weiteren die Einwanderungspolitik, daß der verlorene Krieg auch eine andere schwerwiegende Folge gehabt hatte, nämlich die Einführung des Privateigentums.
Unter de Francia und den Solanos war aller Grund und Boden staatlich gewesen. Der aus der spanischen Kolonialzeit übernommene Großgrundbesitz und alle mit ihm einhergehenden Besitztitel waren für nichtig erklärt worden.
Nach 1870 ging ein Wettlauf los, wo sich Bürger der Siegerstaaten oder aus dem Exil heimgekehrte Paraguayer Besitztitel auf Land sicherten, das sie oftmals gar nie gesehen hatten. Es fand ein Ausverkauf derjenigen Gegenden statt, die irgendwann einmal besiedelt gewesen waren, in der Nähe von Flußläufen und Straßen lagen und irgendwie erreichbar waren.

All diese solchermaßen verscherbelten Gründe mit unklaren Grenzen oder Ausmaßen lagen jedoch östlich des Rio Paraguay – der Chaco blieb weiterhin mehr oder weniger Niemandsland. 

1872 wurde ein Einwanderungsamt eingerichtet, 1881 ein Einwanderungsgesetz erlassen und alles Mögliche angeboten, Landzuteilungen und Hilfen aller Art, meistens ohne jegliche Grundlage. Es war vielen anvisierten Siedlern klar, daß hier das Blaue vom Himmel versprochen wurde und nichts dahinter war. Paraguay hatte noch dazu den Nachteil, schwer erreichbar zu sein. Die Siedler tröpfelten eher, die Sache kam nicht recht voran.

Nietzsches Schwester und ihr Mann gründen eine antisemitische Kolonie

Nach Vorarbeiten seit 1883 traf 1886 eine Gruppe von Siedlern ein, die von der Schwester Friedrich Nietzsches, Elisabeth, und deren Mann, Bernhard Förster, angeführt wurden. Das Ziel dieser Gruppe war, eine judenfreie deutsche Kolonie im paraguayischen Dschungel zu gründen.
Warum sich die Försters ausgerechnet Paraguay aussuchten, ist vermutlich eine Reihe von Zufällen geschuldet. Der Umstand, daß Bernhard Förster auch noch an diesem Projekt festhielt, nachdem er sich auf einer Reise dort umgesehen hatte, ist im Nachhinein schwer zu begreifen.

Vermutlich dachten die Betreiber dieser antisemitischen Kolonie, daß ihr Projekt nur in einem Land gedeihen könnte, wo sich mit ziemlicher Sicherheit noch keine Juden angesiedelt hatten, weil es hier einfach nichts gab, womit ein Kaufmann oder Bankier Geschäfte machen konnte.

Erst nach der Ankunft der ersten Gruppe von Einwanderern stellte sich heraus, daß das anvisierte Land jemandem gehörte. Dieser Umstand war vorher offenbar weder den Behörden noch den Kolonisten bekannt gewesen.
Einerseits wollte niemand diesen Besitztitel überprüfen – mit gutem Grund –, andererseits sollte daran das Kolonisierungsprojekt nicht scheitern.
Eine Lösung wurde gefunden, derzufolge der paraguayische Staat das Land kaufte und die Försters einen Kredit aufnahmen, um dieses Geld abzuzahlen. Bevor ihr Projekt also überhaupt erst in die Gänge gekommen war, hatten sie sich bereits mit einem Kredit belastet. Findige Bankiers – in Asunción oder einem Nachbarland? – hatten sich mit der Einwanderung ein Geschäftsmittel erschlossen.

Die einzige Möglichkeit, sich aus der Affäre zu ziehen, bestand für die Försters darin, neue Siedler anzuwerben. Sobald sie innerhalb bestimmter Fristen erfolgreich wären, so würde ihnen der Kaufpreis erlassen, so lautete die Zusicherung des Einwanderungsministeriums.
Deswegen begannen sie eine Werbekampagne in deutschen Zeitungen, die aber erstens nur mägig erfolgreich war, und zweitens durch einen unzufriedenen Heimkehrer durch verschiedene Artikel in deutschen Zeitungen als Lüge und Humbug bezeichnet wurde.

Das Projekt war diskreditiert, Förster beging 1889 Selbstmord, seine Frau kehrte nach Deutschland zurück. Die Kolonie prosperierte nie. Später soll sich Josef Mengele eine Zeitlang unter einem falschen Namen in der Kolonie aufgehalten haben …

Mehr Erfolg war einer Gruppe von Einwanderern im 20. Jahrhundert beschieden, den Mennoniten.

Der Chaco und die Mennoniten

Die Mennoniten sind eine prostantische Glaubensgemeinschaft, die im 16. Jahrhundert im Zuge der Reformation im heutigen Grenzgebiet zwischen Deutschland und Holland entstand.
Sie verließen oftmals in geschlossenen Gruppen ihre Wohnorte und sahen sich nach neuen Siedlungsgebieten um. Ein Grund dafür war der reiche Kindersegen dieser frommen Menschen, der ganze Generationen zur Auswanderung veranlaßte. Andere Gründe waren in den jeweiligen Staaten erlassene Gesetze bezüglich Schulpflicht oder Wehrdienst.

So zogen große Gruppen im 17. Jahrhundert nach Rußland, weil die deutschstämmige Zarin Katharina die Große gezielt deutsche Siedler einlud, um die neu eroberten Gebiete Neurußlands (in der heutigen Ukraine) zu besiedeln.

Die ersten mennonitischen Aussiedler aus Rußland wanderten im 19. Jdh. in die USA und nach Kanada aus, weil Rußland 1874 eine allgemeine Wehrpflicht eingeführt hatte. (Das z.B. in Preußen übliche System des Freikaufs wurde in Rußland nicht geduldet.) Ihnen folgten nach dem russischen Bürgerkrieg ab 1922 Wellen von Mennoniten aus der Ukraine, die während des Bürgerkrieges bedrängt und verfolgt worden waren und denen ihre neue kommunistische Umgebung nicht geheuer war.

Aus Kanada wiederum wanderten viele von ihnen aus, weil Kanada in den 20er Jahren die allgemeine Schulpflicht einführte und die mennonitischen Kinder aus ihren Bibelkreisen herausholen und mit der Landessprache Englisch vertraut machen wollte.
So kamen die ersten mennonitischen Siedler 1927 in den Chaco, weil Paraguay in seinem Hunger nach Einwanderung, aber auch aus einer allgemeinen Gleichgültigkeit gegenüber der eigenen Bevölkerung weder Wehr- noch Schulpflicht von ihnen verlangte.

Die nächste große Welle mennonitischer Siedler kam 1929-30, sie flüchteten vor der Kollektivierung in der Sowjetunion.

Als die Mennoniten in den 20-er Jahren des 20. Jahrhunderts aufkreuzten, war auch der Chaco nicht mehr ganz Niemandsland.
1883 hatte eine argentinische Firma, die zum Zwecke des Handels mit dem Holz des Quebracho-Paums eine Eisenbahn in den Chaco gebaut hatte, sich Besitztitel von 6,5 Millionen Hektar im nordöstlichen Teil des Chaco gesichert.

Der Grund, den die Firma besaß, war nichts wert, solange niemand den Chaco besiedeln wollte. Also war die Firma an Siedlern interessiert.
Die Eisenbahn diente den mennonitischen Siedlern für ihre Erkundungsfahrten in den Chaco und war von entscheidender strategischer Bedeutung im Chaco-Krieg 1932-35, der auch als der „Krieg der nackten Soldaten“ in die Geschichte eingegangen ist, weil keiner der beiden Staaten genug Geld für die nötige Ausrüstung seiner Streitmacht hatte und diese entsprechend zerlumpt daherkam.

Die Besiedlung durch die Mennoniten ereignete sich vor und während des Krieges um den Chaco und war ein weiterer Faktor, warum der paraguayische (nördliche) Chaco bei Paraguay landete, obwohl Bolivien ihn aus rein strategischen Gründen – Zugang zum Rio Paraguay – ebenfalls beanspruchte.

Der Chaco-Krieg hatte sich lange angekündigt und war aber nie bis zu offenen Kampfhandlungen ausgeartet.
Es bedurfte der ersten Anfänge der Besiedlung, um die Sache wirklich heiß werden zu lassen. Der paraguayische Präsident war bis zum ersten Kriegstag ein ausgesprochener Pazifist gewesen. Die Mennoniten wollten mit Krieg nichts zu tun haben und waren deshalb nach Paraguay gekommen.

Unter diesen eigentlich absurden Umständen führte der Krieg zu einem wirtschaftlichen Aufschwung im paraguayischen Chaco: Die Mennoniten konnten ihre landwirtschaftlichen Produkte an das Militär verkaufen, die paraguayischen Soldaten lernten diese bislang ziemlich unauffälligen Siedler kennen und schätzen, die Verkehrswege belebten sich, Straßen entstanden und die Grundlage für weitere Besiedlung war geschaffen.

Die nächsten mennonitischen Siedler kamen als Flüchtlinge des 2. Weltkrieges, auch meistens ursprünglich aus der Sowjetunion. Manche hatten in der Wehrmacht gedient und waren auch deshalb daran interessiert, möglichst weit weg von sowjetischen Behörden zu kommen.

So unwirtlich auch der nördliche Chaco sein mag – die Mennoniten haben ihn erschlossen.
Beinahe der gesamte paraguayische Chaco ist mit Feldern übersät. Dem Wassermangel begegneten die Mennoniten durch Reservoire, die das Regenwasser während der durchaus heftigen Regenzeit auffangen und dann in geschlossenen Tanks speichern.
Sie führten in Paraguay die Milchwirtschaft ein. Fast die gesamte Milchproduktion Paraguays stammt aus den mennonitischen Kolonien des Chaco.

Paraguay unter Stroessner

Unter der 35 Jahre lang – von 1954 bis 1989 – andauernden Diktatur von Alfredo Stroessner spielte Paraguay eine bedeutende Rolle bei der Kommunismusbekämpfung in Lateinamerika im Rahmen der Operation Condor der USA. Paraguay konnte sich als eine Art verläßliche Basis und Ausgangspunkt für verschiedene Aktionen des CIA, der Militärs und der Geheimdienste der Nachbarstaaten etablieren.

Stroessner baute einerseits auf die Traditionen Paraguays, denen Diktatur als Staatsform nicht fremd war, machte aber nie den Fehler De Francias oder der beiden López’, sich in seiner Politik gegen die Weltmächte zu stellen. Seine bedingungslose Kooperation mit den USA sicherte ihm eine lange und ungestörte Regierungszeit. Auch verschiedene höhere Chargen des Nationalsozialismus, die es über die Rattenlinien nach Lateinamerika geschafft hatten, wurden in Paraguay willkommen geheißen und konnten in Paraguay Karriere machen.

Auch hier knüpfte Stroessner an paraguayische Traditionen a la Foerster-Nietzsche an und warb gerade in Deutschland und gerade unter Leuten mit unschönem Lebenslauf Einwanderer an, denen er aus dem immer noch in staatlichem Besitz befindlichen Landflächen einiges zu günstigen Preisen veräußerte, um ihnen eine Existenz zu ermöglichen.
Ähnlich gelang es ihm, für seinen Gewaltapparat Leute zu rekrutieren. Stroessner regierte Paraguay im Ausnahmezustand, den er bald nach seiner Machtübernahme verhängt hatte. Folter, Mord und das Verschwinden mißlieber Personen war an der Tagesordnung. Das richtete sich nicht nur gegen politisch Verdächtige, sondern auch gegen Indigene, die im Weg waren.
Abgerüstete Soldaten wurden mit billigem Land belohnt. So sicherte er die Loyalität des Militärs, von denen viele eine Ausbildung zur „Aufstandsbekämpfung“ in der School of the Americas durchlaufen hatten.
Für die ganz groben Sachen bediente er sich der Paramilitärs der Colorado-Partei, die er zur Staatspartei erhoben hatte.

Es ist unbestreitbar, daß Stroessners Amtszeit einen wirtschaftlichen Aufschwung für Paraguay gebracht hat: Straßen wurden gebaut, die Infrastruktur überhaupt wurde modernisiert. Die beiden großen, hauptsächlich von den beiden Nachbarn gebauten und genutzten Staudämme und Wasserkraftwerke am Paraná, Itaipú und Yacyretá, gehen auf die Regierungszeit Stroessners zurück. Auch die Einwanderer brachten Geld mit und veranlaßten wirtschaftlichen Aufschwung.
Viel von den notwendigen Mitteln soll ihm dafür auf US-Zuruf von IWF und Weltbank zur Verfügung gestellt worden sein, zu sehr günstigen Bedingungen.

Bei all diesen guten Diensten ist es zumindest verwunderlich, daß die USA eines Tages doch genug von diesem nützlichen Diktator hatten.

Das hatte seinen Grund in der veränderten internationalen Situation. Unter Gorbatschow wurden im Versuch, sich der Feindschaft der USA zu entziehen, viele Zugeständnisse gemacht. Nach dem Ende der Militärdiktaturen des Cono Sur wurde auch Stroessners Paraguay überflüssig und unzeitgemäß. Die Kürzung der Militärhilfe und anderer Unterstützungen aus den USA traf die Wirtschaft Paraguays. Daher ist es nur angemessen, daß sich genau aus seiner Umgebung einige gegen ihn erhoben und seiner Herrschaft 1989 ein Ende setzten.

Auch Stroessner hat ein Erbe hinterlassen: Seine Einheitspartei, das Partido Colorado, regiert mit einer Unterbrechung Paraguay bis heute und läßt sich regelmäßig bei Wahlen bestätigen.

Paraguay heute

Das politische System Paraguays ist einfach und wirksam: Das Partido Colorado hat alles im Griff, und wird auch bei Wahlen immer stärkste Partei, ungefährdet von den anderen. Dafür hat der Präsident nur eine Amtszeit von 5 Jahren.
So ist gleichzeitig Abwechslung und Kontinuität sichergestellt. Die Kontinuität wird durch ein auf Abhängigkeiten beruhendes Wahlsystem sichergestellt.

Der einzige Unfall in dieser prästabilisierten Harmonie ereignete sich 2008, als der Geistliche und Anhänger der Befreiungstheologie Fernando Lugo mit Hilfe einer sehr breiten Regierungskoalition zu Präsidenten gewählt wurde.

Lugo hatte eine Agrarreform vor, da in Paraguay viele Leute wenig bis gar kein Land besitzen, wenige jedoch sehr viel. Daraus wurde allerdings nichts. Das regierungsmäßige Intermezzo dauerte nicht lange: Lugo wurde nach 4 Jahren Regierungszeit aufgrund einer Landbesetzung, bei der einige Leute starben, abgesetzt. Seine Regierungskoalition löste sich auf, das Partido Colorado kam wieder an die Macht.

Heute ist Lugo Parlamentspräsident von Paraguay.
Er hat also auch seinen Frieden mit der Einheitspartei gemacht.

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Eine ausführlichere Variante dieses Artikels findet sich hier.

Weitere Artikel zu Lateinamerika kann man hier finden.

Pressespiegel Moskovskij Komsomljets, 12.12.: Friedensstifter

„EIN RUSSISCHER POLITIOLOGE ERÖRTERT DIE MÖGLICHE STATIONIERUNG VON NATO-TRUPPEN IN DER UKRAINE

NATO-Truppen würden unmittelbar nach einem Friedensabkommen in die Ukraine einmarschieren (…) und das Besatzungskorps wird als Friedenstruppen bezeichnet werden, sagte der russische Politikwissenschaftler Sergej Markow in seinem Telegram-Kanal.

Laut Markov ist geplant, eine 40.000 Mann starke Gruppe von NATO-Truppen in die Ukraine zu entsenden. Der französische Präsident Emmanuel Macron bespricht diesen Plan heute in Warschau, teilte ein Experte seinen Standpunkt mit. »Der endgültige Plan für die Besetzung der Ukraine sollte nächste Woche verabschiedet werden«, schrieb Markov.

Der Analyst wies darauf hin, dass man versuchen werde, eine Entscheidung über den Einsatz von Friedenstruppen in der Ukraine zu treffen, bevor Donald Trump sein Amt als Präsident der USA antritt.

Zuvor hatte Olga Stefanischina, stellvertretende Premierministerin der Ukraine für europäische und euroatlantische Integration, in einem Interview mit Politico erklärt, Kiew sei bereit, über den Einsatz ausländischer Streitkräfte auf dem Territorium der Republik zu diskutieren.“

Allerdings müßte Rußland dem zustimmen, was unwahrscheinlich ist. Einen Friedensschluß kann man nämlich nicht einseitig verkünden.