Pressespiegel Izvestija, 2.5.: Verschuldung in der EU

„FÜR EINE HANDVOLL ZŁOTY: WARUM SICH OSTEUROPA VERSCHULDET

Polen, Ungarn und Rumänien stellten einen Weltrekord bei der Kreditaufnahme auf

Die osteuropäischen Länder stellten seit Jahresbeginn einen Rekord bei der Kreditaufnahme auf und verdreifachten ihre Ausgabe von Anleihen gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres.
Länder, die ihre Staatsverschuldung bisher in vertretbaren Grenzen hielten, erhöhen diese nun rapide – aufgrund des Konflikts in der Ukraine, steigender Energiepreise und steigender Militärausgaben.
Laut IWF wird es in naher Zukunft keine finanzielle Katastrophe durch die Erhöhung der eingegangenen Verpflichtungen geben, aber es ist möglich, dass die von den osteuropäischen Ländern angehäuften Schulden von der ganzen Welt bezahlt werden müssen.“

Die „ganze Welt“ wird wohl nicht zur Kasse gebeten werden können, aber die EU-Staaten möglicherweise schon.

„Kuriose Geschäfte

In den ersten dreieinhalb Monaten des Jahres 2023 wurden die osteuropäischen Staaten unter allen Schwellenländern weltweit führend bei der Staatsverschuldung.“

Auch bemerkenswert, daß manche Mitgliedsstaaten der EU finanztechnisch unter „Schwellenländer“ geführt werden. Damit ist schon ein negatives Urteil über ihren Weg nach Westen, in die fertige Marktwirtschaft ausgesprochen, in dem sie nach mehr als 30 Jahren noch immer nicht angekommen sind.

„Insgesamt liehen sie sich auf dem Schuldenmarkt 32 Milliarden Dollar (Käufer von Anleihen konnten sowohl Bürger dieser Länder als auch Ausländer sein). Polen (9 Mrd. $), Rumänien (6 Mrd. $), Ungarn (5 Mrd. $) und die Slowakei (4 Mrd. $) verkauften die meisten Anleihen. Im Vergleich dazu hat der Spitzenreiter dieser Schuldnerliste, Saudi-Arabien, rund 10 Milliarden Dollar aufgenommen – mit einer viel größeren Volkswirtschaft als jedes der genannten Länder.
Die Kreditaufnahme in Fremdwährung ist aufgrund deutlich niedrigerer Zinsen rentabler. Aber es gibt auch die Kehrseite der Medaille: Wenn der Wechselkurs der nationalen Währungen stark fällt, dann werden die Kosten für die Refinanzierung der eingegangenen Verpflichtungen stark steigen.
Übrigens verschulden sich Polen und Ungarn aktiv in Fremdwährungen, auch weil es aufgrund der begrenzten Größe ihrer Volkswirtschaften nicht genügend Nachfrage nach Inlandsschulden in nationalen Währungseinheiten gibt.“

Man weiß nicht so recht, was mit „sich aktiv verschulden“ gemeint ist. Jeder Staat und auch jedes Individuum nimmt Schulden „aktiv“ auf. Niemand nötigt ihn dazu.
Gemeint ist offenbar, daß die Kreditaufnahme in Fremdwährung die in Eigenwährung übersteigt.

„Die Situation eines starken Anstiegs der Fremdwährungsverschuldung löst bei den Investoren“ (d.h. den Käufern dieser Anleihen) „Besorgnis aus. Inzwischen notieren die Dollaranleihen Polens auf dem Niveau von Wertpapieren der Philippinen, Indonesiens und Uruguays – Ländern mit viel schwächerer Kreditwürdigkeit.“

„Notieren“ heißt hier: Sie müssen höhere Zinsen zahlen, um ihre Anleihen anzubringen, und die Kreditausfallsversicherungen schnellen ebenfalls in die Höhe.
Es ist übrigens auch bemerkenswert, daß Polen Anleihen in Dollar auflegt. Erstens zeigt es damit seine politischen Präferenzen. Zweitens verstößt es damit eigentlich gegen die EU-Vorgaben, seinen Wechselkurs und seine Währungspflege in Euro zu vollziehen. Drittens ist es genau dadurch eine Schwächung des Euro. Oder aber, falls die Anleihe platzt, ein Problem für den Dollar.
Viertens kann es natürlich auch eine Art Subvention eines Verbündeten sein, weil wer kauft diese Anleihen? Vermutlich US-Geldinstitute, die den Rückhalt der Fed haben.

„Ein Anstieg der Anleiheverkäufe führt zu einem proportionalen Anstieg des Budgetdefizits. Im Jahr 2023 könnte es im Durchschnitt der Region 4,1 % erreichen, wobei die EU-Grenze auf 3 % festgelegt ist.“

Darum kümmert sich schon seit geraumer Zeit niemand mehr. Das weiß die Izvestija andererseits auch:

„Natürlich kann das Defizit überschritten werden, was Brüssel gleichgültig ist, wenn es um Frankreich geht, aber wenn es um die Länder Süd- oder Osteuropas geht, so sieht das anders aus.“

Andererseits kann die EU-Kommission oder die EZB wenig dagegen machen, um so mehr, als Polen sich in Dollar verschuldet. Je weniger Geld Polen aus Brüssel über diverse Töpfe erhält, um so mehr wird es sich auf den internationalen Kreditmärkten Zahlungsfähigkeit verschaffen.

„Dabei kann man nicht sagen, daß die Verschuldung dieser Länder übermäßig wäre. Die osteuropäischen Staaten zeichnen sich nämlich spätestens seit 2000 (ebenso wie Russland) durch eine starke Fiskaldisziplin aus. In Ungarn zum Beispiel beträgt die Staatsverschuldung 73 % des BIP, was viel niedriger ist als in fast jedem westeuropäischen Staat. Und das ist das schlechteste Verhältnis in dieser Region. In Polen sind es 49 %, in der Slowakei 58 %, in Rumänien 47 %. Es gibt also noch genug Spielraum.“

Allerdings läßt sich die Verschuldungsfähigkeit eines Staates nicht quantitativ bestimmen, so sehr die Wirtschaftswissenschaft auf dieser These beharrt.
Der Kredit bemißt sich eben an verschiedenen Faktoren und hat keine objektiven Grundlagen.

„Für die Zukunft liegt die Gefahr jedoch genau darin, dass die derzeitige Verschuldung weit von einer kritischen Grenze entfernt ist und die Kreditaufnahme zunehmen wird. Von allen Ländern der Region will nur Ungarn in diesem Jahr keine Kredite mehr aufnehmen.“

Ist das nur eine Frage des Willens oder hat Ungarn andere Finanzierungsquellen?

„Rumänien, Polen und andere werden weiter in den Schuldenmarkt einsteigen müssen.“

Warum eigentlich? Bei Polen ist die Sache klar, hier wird gerüstet, was das Zeug hält. Aber Rumänien? Die Slowakei? Warum gibt es dort erhöhten Finanzbedarf?
Liegt das vielleicht daran, daß ihre Wirtschaft durch Pandemie und Ukraine-Krieg besonders in Mitleidenschaft gezogen wurde/wird?

„Darüber hinaus ist es vielen von ihnen nicht gelungen, die Probleme zu lösen, bei denen es zu Konflikten mit Brüssel kommt (die laut EU mit der unzureichenden Qualität der demokratischen Institutionen zusammenhängen), sodass eine zusätzliche Finanzierung durch EU-Töpfe unwahrscheinlich ist.“

Die anwachsende Verschuldung diverser osteuropäischer Staaten ist teilweise eine direkte Folge der Strafmaßnahmen gegen sie, betroffen sind vor allem Ungarn und Polen.
Die Kürzung von EU-Subventionen führt also zu einer stärkeren Hinwendung zu den internationalen Finanzmärkten, bzw. im Falle Ungarns auch zu China.

„Warschau gibt sich einem Ausgabenrausch hin

Besonders hervorzuheben ist Polen, die größte und eine der dynamischsten Volkswirtschaften der Region. Obwohl die Staatsverschuldung relativ niedrig ist, muss das Land seine externe Finanzierung weiter erhöhen. Dies liegt zum einen an der beschleunigten Aufrüstung der Armee – militaristische Stimmungen sind sehr teuer, zumal es aufgrund der gestiegenen Nachfrage zu einer Waffenknappheit auf dem Weltmarkt kommen kann.“

Polen kauft daher z.B. in Israel und Südkorea ein, was erstens sicher nicht billig ist und zweitens Abzug von der EU-Ökonomie bedeutet.

„Zweitens ist dieses Jahr ein Wahljahr, was üblicherweise bedeutet, dass die Regierungspartei »Recht und Gerechtigkeit« sich verstärkt um die Umsetzung staatlicher Programme bemühen wird.“

Damit ist offenbar gemeint, daß sich die Regierung als Hüter der nationalen Anliegen präsentieren möchte – die sie natürlich selber erst einmal auf die Tagesordnung gesetzt, also als solche definiert hat.

„Drittens dürften die Haushaltseinnahmen geringer ausfallen als erwartet – aufgrund des Konflikts in der Ukraine und seiner verschiedenen Folgen. Dazu gehören völlig unerwartete Probleme, wie die Überfüllung des nationalen Marktes mit ukrainischem Getreide und anderen Nahrungsmitteln, die die lokalen Landwirte schwer treffen.
Hinzu kommt, dass die Inflation, die derzeit 15 % übersteigt, den Lebensstandard im Land ziemlich beutelt: Die Gehälter halten damit nicht Schritt. Es erfordert auch mehr Ausgaben, da Sparmaßnahmen im aktuellen politischen Klima keine Option sind.“

Alle Achtung, 15% Inflation. Polen ist damit einer der Spitzenreiter in der EU. Diese massive Geldentwertung macht vermutlich auch eine erhöhte Verschuldung zur Währungspflege notwendig, um den Kurs des Złoty halbwegs stabil zu halten.

„Ein ebenso wichtiger Umstand ist das große Volumen der polnischen Staatsverschuldung außerhalb der offiziellen Bilanz. Wir sprechen von mehreren staatlichen Fonds, die große Schulden angehäuft haben. So haben allein zwei Institutionen für die Entwicklung des Landes in den Jahren der Pandemie Schulden in Höhe von 214 Milliarden Złoty oder etwas weniger als 50 Milliarden US-Dollar gemacht.
Ein Teil der Verteidigungsausgaben wird auch durch außerbudgetäre Fonds ausgegeben, deren Schulden sollten bald etwas weniger als 200 Milliarden Złoty erreichen.
Es gibt auch einen Fonds, der für Straßenbau und -instandsetzung zuständig ist, der ebenfalls Geld braucht. Das Gesamtvolumen der außerbudgetären Kreditaufnahme bis 2026 könnte 638 Mrd. Złoty oder etwa 150 Mrd. Dollar erreichen.
Zusammen mit der offiziellen Verschuldung könnte das Verhältnis der Schulden zum BIP 75% erreichen, was bereits ziemlich hoch ist. Dies kann besonders gefährlich in Zeiten wirtschaftlicher Turbulenzen sein, falls Anleger beginnen, aus Schwellenmärkten zu fliehen. Die Polen“ (d.h., die Mitglieder der polnischen Regierung) „glauben, dass ein solches Problem angesichts ihrer starken und gut entwickelten Wirtschaft nicht auftreten sollte, aber eine solche Hypothese wird sich erst mit der Zeit weisen.“

Polen betreibt also Budgetkosmetik durch Auslagerung von Schulden in separate Institutionen. Es ist sicher nicht das einzige Land, wo dergleichen praktiziert wird.

„Der IWF ermahnte Warschau bereits im Januar, seine Ausgaben zu zügeln. Im Falle unvorhergesehener Folgen hat das globale Finanzinstitut jedoch interessante Vorschläge. Im März veröffentlichte der Fonds ein Papier, in dem er für Europa die Möglichkeit erwog, ein einheitliches Schuldensystem zu schaffen, in dem die Anleihen der einzelnen Länder von allen Mitgliedern der Union garantiert würden.
Darin geht es zwar nur um die Eurozone. Polen und andere osteuropäische Staaten haben allerdings keine Eile, sich dieser anzuschließen, angesichts der Lage, in die Griechenland geraten ist.“

Hier ist anzumerken, daß bei der Einführung des Euro eigentlich alle Mitgliedsstaaten der Eurozone beitreten sollten. Dänemark, Schweden und Großbritannien mußten sich Ausnahmen genehmigen lassen, um draußen bleiben zu dürfen. Tschechien wurde bei seinem Beitritt 2005 übelgenommen, daß es sich nicht anschließen wollte, obwohl die EU es aufgrund seiner guten Wirtschaftsdaten aufnehmen wollte.
Es war daher gerade in der Zeit der Eurokrise wichtig, daß ökonomisch schwache Staaten wie diejenigen des Baltikums, und in jüngerer Zeit Kroatien, der Eurozone beitraten.

„In Zukunft kann jedoch ein solches System“ (der Schuldenumwälzung auch auf Staaten außerhalb der Eurozone) „ausgeweitet werden, was bedeutet, dass die angehäuften Schulden der gesamten EU umgehängt werden können, wo die Staaten mit dem stabilsten Finanzsystem schließlich zahlen werden (zuallererst natürlich Deutschland).“

Ob Deutschland immer der Staat mit dem stabilsten Finanzsystem sein wird, ist auch nicht in Stein gemeißelt. Allerdings – wenn dort die Finanzen ins Trudeln geraten, ist wirklich Feuer am Dach.

Pressespiegel El País 23.4.: Kriegstraumata

„UKRAINISCHE SOLDATEN MÜSSEN SICH OHNE UNTERSTÜTZUNG MIT DEN PSYCHOLOGISCHEN TRAUMATA DES KRIEGES AUSEINANDERSETZEN

Die Behörden des angegriffenen Landes beginnen zu begreifen, daß sie ein Problem ersten Ranges haben, aufgrund von Hunderttausenden Soldaten, die ohne angemessene Unterstützung kämpfen.“

Es stellt sich im Lauf des Artikels heraus, daß es sich um die psychologische Unterstützung handelt, nicht um die militärische.
Obwohl der Autor es durchaus offen läßt, ob nicht vielleicht die militärische auch mitgedacht sein könnte.

„Der Krieg in der Ukraine wird nicht nur an der Front ausgetragen, seine Explosionen und Toten finden sich auch in den Köpfen der Soldaten.
Der größte Konflikt, den Europa seit dem II. Weltkrieg erlebt hat, wird Hunderttausende von Soldaten auf beiden Seiten lebenslang gezeichnet hinterlassen, sagen Experten und Soldaten, die von EL PAÍS interviewt wurden. Auf ukrainischer Seite beginnen die Behörden davon auszugehen, daß die Folgen für die Zukunft, nach der Rückkehr des Militärs in das zivile Leben, ein Problem ersten Ranges sein wird.

In der Ukraine sind jetzt fast eine Million Männer und Frauen in irgendeiner Form in die Verteidigung des Landes eingebunden.
Der ukrainische Generalstab nennt keine konkreten Zahlen, aber militärische Quellen schätzen gegenüber dieser Zeitung, daß fast 500.000 Soldaten Kampferfahrung an der Front haben. Tausende von ihnen leiden bereits an psychischen Störungen, die auf das zurückzuführen sind, was sie miterlebt haben. »Was uns bevorsteht, hat unvorstellbare Ausmaße, und das Land ist darauf nicht vorbereitet«, folgert Robert van Voren, einer der führenden Experten für Psychiatrie in den ehemaligen Mitgliedstaaten der Sowjetunion.“

Um so mehr, als das Gesundheitswesen der Ukraine seit geraumer Zeit ohnehin nur für Zahlungsfähige da war, und sich irgendwo zwischen Leihmutter-Firmen und Biolaboren eingerichtet hat.

„Van Voren ist Exekutivdirektor der »Federation for the Global Initiative in Psychiatry«, einer Organisation, die mit der Verteidigung der Menschenrechte in Russland und Osteuropa verbunden ist.“

Menschenrechte in der Pychiatrie?
Da hätte dieses Institut vermutlich nicht nur in ehemaligen Mitgliedstaaten der SU zu tun, obwohl das offenbar seine Bestimmung ist. Um die Menschenrechte wird sich vor allem in Staaten gekümmert, wo alles nicht so nach Plan für Washington und Brüssel läuft.

„Die Einrichtung, erklärt der Experte, sei vom ukrainischen Justizministerium beauftragt worden, ein Behandlungsprogramm für Kriegsveteranen zu fördern, die im Gefängnissystem des Landes inhaftiert werden.“

Damit wird offenbar gerechnet bzw. es ist schon geschehen. Außerdem gibt es ja Richtwerte aus anderen, verbündeten Staaten:

„Sein Team wird Einheiten für den Einsatz in Gefängnissen mit Methoden ausbilden, die in Großbritannien angewendet werden. »17 % der britischen Veteranen aus Afghanistan und dem Irak sind im Gefängnis gelandet«, betont dieser niederländische Sowjetologe. Angesichts dieser Daten sei das Ausmaß des Problems klar, sagt er.

In der Ukraine gibt es nur ein Zentrum, das auf die psychologische Behandlung von Kriegsteilnehmern spezialisiert ist. Es wurde im Juni 2022 eingeweiht und ist der Armee unterstellt. Sein Gründer, Oberst Oleksandr Vasilkovskij, präsentiert das Charkower Rehabilitations-Zentrum eher als private Initiative denn als staatliche Dienstleistung, da es keine öffentlichen Mittel erhält, sondern auf Spenden angewiesen ist. Diese Klinik wurde in einem ehemaligen sowjetischen Sanatorium am Rande Charkows, 30 Kilometer von der russischen Grenze entfernt, eingerichtet. In den neun Monaten ihres Bestehens hat sie mehr als 2.700 Soldaten versorgt, mit einem einwöchigen“ (!) „Betreuungsprogramm, das sie auf die Rückkehr in den Kampf vorbereiten soll.“

Das Hauptziel dieser Klinik ist also, das Kanonenfutter wieder für den Einsatz zu befähigen. Da wird also auch darauf geachtet, daß keine Simulanten versuchen, sich der wichtigsten Vaterlandspflicht zu entziehen.

„Sergej Fjedoretschk wird vorerst nicht an die Front zurückkehren, weil er durch eine Explosion taub geworden ist. Am vergangenen Freitag verabschiedete er sich emotional von Vasilkovskij, nachdem er seine Genesungstage in der Charkower Einrichtung beendet hatte. Seine neue Partnerin, eine Krankenschwester, die ihn im Krankenhaus behandelte, holte ihn ab. Fjedoretschk ist ein Sergeant der Spezialeinheit der Luftwaffe. Er kann kaum sprechen, er sieht aus wie ein Boxer, der nach einem K.o. aufsteht. Aber er lächelt, weil er im Rehabilitationszentrum die erste friedliche Woche seit über einem Jahr hatte.
Vasilkovskijs Ziel ist es, daß das Militär wieder Stabilität gewinnt, damit es sich sicher fühlen kann, wieder zu kämpfen. Sowohl dieser Oberst als auch der Spezialist Van Voren und andere in den letzten Monaten befragte Soldaten stimmen darin überein, daß die Rotationen an der Front weniger häufig sind als nötig.“

Man fragt sich, wer eigentlich entscheidet, wie viele Pausen ein Soldat „nötig“ hat? Und „nötig“ wofür? Für den Soldaten? Für den wäre es das Beste, von der Front dauerhaft wegzukommen.
Oder für den Endsieg? Da sind Kampfpausen ganz schädlich, weil die schwächen die kämpfende Einheit.

„Das bedeutet, daß es Soldaten gibt, die monatelang einem Dauerdruck ausgesetzt sind. »In einer idealen Welt«, betont Vasilkovskij, »sollten Rotationen alle zwei oder drei Monate stattfinden, aber das ist nicht der Fall, weil unser Feind viel mehr Ressourcen hat als wir.«“

Hier wird also von kompetenter und unverdächtiger Seite bestätigt, daß die Ukraine diesen Krieg nicht gewinnen kann und ihre Leute ohne wirkliche Perspektive an der Front verheizt.
Die „ideale Welt“ ist offenbar eine, in der Dauerkrieg herrscht …

„Das Verfahren zu einem Aufenthalt im Charkower Rehabilitations-Zentrum beginnt an der Front. Dort müssen Militärpsychologen diejenigen Soldaten identifizieren, die unter Panikattacken, Demoralisierung oder Selbstmordgedanken leiden.“

Es fragt sich, was genau unter „Demoralisierung“ zu verstehen ist? Desertationsgefahr?

„In Charkow angekommen, werden diese Männer – eventuell in Begleitung eines Angehörigen – ab sieben Uhr morgens mit verschiedenen individuellen und kollektiven Therapien behandelt: Sie führen unter anderem physiotherapeutische Maßnahmen durch, um den Körper zu entspannen; Übungen in einem Pool bei einer Temperatur von 32 Grad, der den vorgeburtlichen Zustand simuliert;“ (!!!) „Ruheräume mit Aromen, Salzen und auch mit Lasertechniken.“

Ein Wellnesszentrum für ausgepowerte Soldaten, wie neckisch.

„Maxim Baida, seit 2011 Militärpsychiater und verantwortlich für die psychologische Betreuung von Internierten der Charkower Klinik, betont, daß sie sich nicht um Langzeitfälle von posttraumatischer Belastungsstörung kümmern können, der häufigsten psychischen Erkrankung, unter der Soldaten in jedem Krieg leiden.
Ihre Priorität ist, daß sie ohne Albträume wieder einschlafen, daß sie aufhören, sich für ihre toten Kameraden schuldig zu fühlen und vor allem, daß sie ihre Angst verlieren, wann sie an die Front zurückkehren müssen, wenn sie die Straße entlang gehen, – oder wenn sie von Zukunftsängsten angesichts einer äußerst ungewissen Zukunft gequält werden.“

Na, da hat der Psychologe sicher viel zu tun und das in nur einer Woche!

„Julija Sobolta ist Therapeutin beim DoLadu-Projekt, das sich um Verwundete in Militärkrankenhäusern in Kiew kümmert. Sobolta arbeitet seit 2017 einen Monat lang mit Soldaten, während sie ins Krankenhaus eingeliefert werden. In DoLadu arbeiten sie nicht grundlegend an den Traumata, die die Soldaten erleiden. Sie konzentrieren sich darauf, Patienten zu stabilisieren, ihnen Entspannungstechniken näherzubringen, sobald sie an die Front zurückkehren, und Meditation – etwas, das das Militär zum ersten Mal akzeptiert. »Es ist immer noch etwas ungewöhnlich, weil die Ukraine eine konservative Gesellschaft ist, die vom orthodoxen Christentum beeinflusst ist, und Meditation als eine von außen kommende religiöse Praktik angesehen wird«, sagt er.“

Meditation und Entspannungstechniken im Schützengraben und unter Raketenbeschuß – sehr innovativ.
Auch bei DoLadu (was soviel heißt wie „Wieder ins Lot bringen“) steht offenbar die Wiederherstellung der ramponierten Wehrtauglichkeit im Vordergrund.

„Sobolta weist darauf hin, daß die Haupttraumata unter den Soldaten die Schuld wegen verlorener Freunde ist, sowie in einer zivilen Umgebung überleben zu können, und nicht bei ihren Kameraden zu sein.“

Das ist etwas erklärungsbedürftig. Also erstens, wenn es an der Front einen Kameraden erwischt, so geben sich diese Patienten selbst die Schuld. Warum er und nicht ich?
Zweitens, die begründete Sorge, daß man nach allem, was man an der Front erlebt – und auch getan – hat, vielleicht nicht so einfach mehr in ein Leben als Ehemann, Sohn, oder in den Beruf zurückfindet.
Der 3. Punkt wirkt etwas aufgesetzt und soll anscheinend dem ausländischen Journalisten klarmachen, daß alle ukrainischen Soldaten ihre Landesverteidigung und die Kameradschaft im Schützengraben über alles stellen.
Aber im Zusammenhang mit Punkt 2 ist auch klar, daß das zivile Leben vorher und die Monate an der Front zwei Wirklichkeiten schaffen, die nur schwer miteinander vereinbar sind.
Die Mitarbeiter von DoLadu

„haben auch ein neues Problem in Bezug auf diejenigen entdeckt, die im Donbass-Krieg (seit 2014) gekämpft haben (…): »Jetzt sehen wir mehr Hoffnungslosigkeit, sie haben das Gefühl, daß es keinen sicheren Ort gibt, die Unsicherheit betreffend Leib und Leben ist viel größer«.“

Auch das ist etwas unklar.
Im Donbass hatte man als Soldat – oder auch Mitglied eines paramilitärischen Bataillons – das Gefühl, Separatismus zu bekämpfen und konnte ohne große Schwierigkeiten Scharfschützen auf Babuschkas und Kleinkinder schießen lassen.
Der Donbass-Krieg lief nämlich 8 Jahre lang als „Antiterroristische Operation“, man hatte also ein gewisses Rechtsbewußtsein und Gefühl der Stärke. Im Grunde verstieß es allerdings gegen die ukrainische Verfassung, Militär im Inland einzusetzen. Der Großteil der dort im Einsatz befindlichen Soldaten war freiwillig und aus Überzeugung dort.
Heute hingegen steht man einer gut gerüsteten Großmacht und deren Dauerfeuer gegenüber, und auf die Freiwilligkeit wird von der ukrainischen Regierung und Armeeführung auch verzichtet.

„Der Schmerz wegen toter Gefährten

Vjatschislav Melnikov ist 27 Jahre alt und Scharfschütze in einem Infanteriebataillon. Vor dem Krieg war er Maurer. Eine Granate eines feindlichen Panzers traf seine Stellung und die Prellungen, die er erlitt, hinterließen seelische Narben. Er wurde in das Rehabilitationszentrum Charkow eingeliefert, weil er jede Nacht Alpträume hatte und an Zittern in seinen Extremitäten litt. Er leidet unter den Selbstvorwürfen, nicht genug getan zu haben, um Gefährten vor dem Tod zu bewahren.
Er will nicht an die Zukunft denken, weil sie ihm Angst macht, und er erklärt, daß ihm Methoden beigebracht wurden, seinen Kopf auf ein Ziel zu konzentrieren. Sein Ziel ist es, so schnell wie möglich in den Kampf zurückzukehren. »Es ist wichtig, daß ich meine Familie nicht mit dem Hass anstecke, den ich empfinde. Ich möchte diesen Hass an der Front spüren, nicht zu Hause.« Er kann die Zahl der von ihm getöteten feindlichen Soldaten nicht nennen, aber er beteuert mit einem Blick, der Gewalt ahnen läßt, daß es kein Trauma sei, das Leben anderer Menschen beendet zu haben: »Diese Leute marschieren in mein Land ein. Ich bin nicht nach Russland gegangen, um Zivilisten zu töten. Ich beschütze unsere Familien.«“

Vorbildlich. Solche Leute muß man mit allen Mitteln wieder einsatzfähig machen.

„Sobolta betont, Experten, daß die Ukraine viel zu wenig“ (psychologische) „Experten habe: Nach ihren Schätzungen kommt in Militärkrankenhäusern auf 100 Soldaten ein Psychologe. In DoLadu halten sie es für wesentlich, daß dringend neue Gruppen von Experten für militärische psychische Gesundheit ausgebildet werden.“

Eine schwere Aufgabe. Weil die Lust am Töten psychologisch zu vermitteln, setzt erstens Freiwilligkeit bei den solchermaßen „Behandelten“ voraus. Die liegt aber möglichweise nicht vor … Außerdem steht sie in einem krassen Gegensatz zum bisher Gelehrten und Gelebten, wo Mord strafbar ist.
Und dann noch Leute zu finden, die diese schwere Aufgabe der Umerziehung beherrschen …

„Diese Einrichtung (DoLadu) arbeitet mit der Unterstützung der US-Regierung und verweist auf Israel als Referenz.
Die von Olena Selenskaja, der Ehefrau des Präsidenten, geleitete Stiftung hat in Zusammenarbeit mit der israelischen Regierung ein Programm erarbeitet, durch das sie bereits etwa dreißig Therapeuten im Tel Aviv NATAL-Zentrum für die Behandlung von Opfern in Konfliktgebieten ausgebildet hat.“

Jetzt wird eines für die Behandlung von Tätern fällig.

„Um den Therapieplan für das Charkov-Zentrum zu entwerfen, hat Vasilkovskij Pflegeprogramme für amerikanische Veteranen des Vietnamkriegs studiert. Und er ist überzeugt, daß die Ukraine seit 2014 bereits genug Erfahrung hat, um ihre Experten auszubilden, – mehr als jede NATO-Armee.
Sowohl er als auch die Therapeutin betonen die Bedeutung der Kriegsveteranen des Donbass-Konfliktes, die sich als psychisch belastbarer erwiesen haben. »Diese Männer vermitteln Sicherheit an die Einheit und wissen, wie man sich verhält, wenn zum Beispiel ein Kollege eine Blockade hat«, sagt Oberst Vasilkovskij.“

Es handelt sich vermutlich um eine Blockade beim Töten.

„Das Positive sei, sagt Van Voren, daß die ukrainischen Behörden sich des Problems bewusst seien, weil sie sich seit 2014 damit befassen und sich seit 30 Jahren schrittweise den Standards der EU annähern.
Der Nachteil hingegen sei, fügt er hinzu, ist, daß »psychische Gesundheit nie eine Priorität war«.“

Man fragt sich, was die „psychische Gesundheit“ bei einem Scharfschützen sein soll? Kill, kill, kill – sowas wird doch den Leuten eingehämmert. Und wenn das nicht mehr funktioniert, so sind sie „krank“?

„Nach seinen Schätzungen hat ein Drittel der psychiatrischen Einrichtungen kriegsbedingt geschlossen und viele ihrer Mitarbeiter sind inzwischen Flüchtlinge im Ausland. Auf Seiten der Eindringlinge ist das Problem sicherlich größer, weil sich die russische Psychiatrie isoliert hat und weil die Position ihrer Soldaten schlechter ist, wie Van Voren“ mit Krokodilstränen „erwähnt: »Sie kämpfen in einem anderen Land, in einer Umgebung, in der sie gehasst werden und sie kommen aus einer Gesellschaft, in der die Menschen keine moralische Unterstützung haben.“

Nun ja, das ist natürlich ein Trost: Beim Feind ist alles viel schlimmer, der hat ja nicht einmal die fachliche Unterstützung der EU, der USA, des UK und Israels.

Pressespiegel El País, 2.4.: Ukrainische Offensive

DIE UKRAINE SENKT DIE ERWARTUNGEN EINER UNMITTELBAR BEVORSTEHENDEN GROSSEN GEGENOFFENSIVE,

die eine Wende im Krieg bringen soll.

Mitglieder der Selenskij-Regierung, der Streitkräfte und Analysten warnen davor, dass die Bedingungen für einen endgültigen Gegenangriff der Kiewer Truppen noch nicht gegeben sind.

Die ukrainischen Behörden befürchten, dass das Fell des Bären verkauft wird, bevor er erlegt ist. Das Problem sind die Erwartungen, die rund um die Gegenoffensive geweckt werden, die die Streitkräfte der Ukraine vorbereiten. Analysten und Medien gehen davon aus, dass es in diesem Frühjahr zu einem großangelegten Angriff auf russische Truppen kommen wird, der sogar unmittelbar bevorsteht, aber die Außen- und Verteidigungsminister haben bereits begonnen, die Gemüter abzukühlen. „Wir müssen der Wahrnehmung, dass diese Gegenoffensive die entscheidende Schlacht des Krieges sein wird, auf jede erdenkliche Weise entgegenwirken“, sagte der ukrainische Außenminister Dmitro Kuleba am Mittwoch in einem Interview mit der Financial Times.

Oleksij Reznikov, der ukrainischerVerteidigungsminister, betonte am 27. März im estnischen Fernsehen ERR den Druck, den er bei der öffentlichen Meinung und den Sicherheits-Analysezentren hinsichtlich der bevorstehenden Gegenoffensive feststellt.
Reznikov merkte an, dass die Operation eher im Mai beginnen werde, obwohl dies von den Wetterbedingungen und davon abhänge, ob die Truppen über genügend Waffen für die Durchführung verfügen werden. Der Präsident, Volodímir Zelenski, äußerte sich vergangene Woche mit ähnlichen Worten. Der Frühling ist die schlechteste Jahreszeit für die Bewegung von Bataillonen, weil die starken Regenfälle das Land und die unbefestigten Straßen in einen Sumpf verwandeln, in dem die gepanzerten Fahrzeuge stecken bleiben.

Reznikov betonte auch, dass seine Armee noch britische Leopard- und Challenger-Panzereinheiten, neue Artilleriegeschütze und gepanzerte Infanterieträger erhalten muss, die ihren westlichen Verbündeten zur Verfügung gestellt werden sollen.
Zudem wollen die USA die Auslieferung ihrer Abrams-Panzer beschleunigen. Insgesamt werden neun europäische Länder in einer ersten Phase 150 Leopard-Panzer entsenden – Spanien hat sich zu 10 verpflichtet –, wie Mitte März vom US-Verteidigungsminister Lloyd Austin angegeben; Washington hat zugesagt, 31 Abrams und das Vereinigte Königreich 14 Challenger 2 zu liefern. Die ukrainische Armee gibt nicht bekannt, wie viele dieser gepanzerten Fahrzeuge bereits im Land sind, aber es ist immer noch eine geringe Anzahl. Das Training auf dem Challenger 2 sei abgeschlossen, aber es gebe noch Panzereinheiten, die im Umgang mit dem Leopard, dem Hauptstück der ukrainischen Offensive, trainieren.

Die Entsendung von rund 700 gepanzerten Infanteriefahrzeugen wurde zwischen der Ukraine und ihrer Koalition von Verbündeten, angeführt von Deutschland und den USA, vereinbart. Die Zahl kommt dem Bedarf nahe, den der Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, Valerij Zaluzhnij, Ende 2022 in Bezug auf die Ressourcen erhoben hat, die zur Befreiung aller von Russland bei der aktuellen Invasion besetzten Gebiete erforderlich sind: 700 gepanzerte Infanterie Fahrzeuge und 300 schwere Panzer.
Hinzu kommt eine neue Bedingung, wie der Sprecher der Luftwaffe, Juri Ihnat, am 17. März erklärte: Die Ukraine müsse Nato-Kampfflugzeuge erhalten, »um eine erfolgreiche Gegenoffensive zu starten, die Kontrolle über den Luftraum zu haben«. Sowohl die USA als auch die wichtigsten EU-Mächte haben sich aus Angst vor einer Eskalation der Spannungen mit Russland bisher geweigert, diese Flieger bereitzustellen.

Der Juni wird ein Schlüsselmonat sein

Mikola Bjelieskov, einer der führenden Experten des Nationalen Instituts für Strategische Studien, einer Einrichtung der ukrainischen Präsidentschaft, erklärte am 28. März im Sender »Nastojaschtschije Vremia«,“

– ein von Radio Free Europe aus Prag betrieber russischsprachiger Sender –

warum die Gegenoffensive Ende des Frühjahres stattfinden wird. »Eine Offensive dieser Art erfordert eine sehr ernsthafte Vorbereitung. Es dauerte bis letzten Januar, bis [die Verbündeten] sich verpflichteten, der Ukraine Panzer, gepanzerte Fahrzeuge und Artilleriesysteme zu schicken. Außerdem brauchen wir Munition von ihnen«, sagte Bielieskov und fügte den Zeitrahmen hinzu, den er sich vorstellt: »Realistischerweise wird die Gegenoffensive spät im zweiten Quartal oder früh im dritten [zwischen Juni und Juli] stattfinden.«

Bjelieskov hob ebenfalls die Bedingungen des Geländes im Frühjahr als hindernden Umstand hervor und kam zu dem Schluß, dass sich zwischen Juni und Juli, der Zeit vor der Eingliederung der neuen Soldaten, die von den Invasoren mobilisiert werden, »ein Fenster der Gelegenheit« öffnen werde.
Der russische Präsident Putin hat diese Woche nämlich ein Dekret zur Rekrutierung von 145.000 Männern unterzeichnet, die zwischen April und Juli in die Armee eintreten werden.

Die meisten westlichen militärischen Analysezentren sind sich einig, dass die russische Offensive, die im Winter begann, ihren Höhepunkt erreicht hat und die Angriffe an den Fronten von Lugansk und Donezk aufgrund des Mangels an materiellen Ressourcen und der erlittenen Tausenden von Opfern im Kampf um die Kontrolle der Stadt Bachmut an Intensität verlieren.
Das American Institute for the Study of War, eines der am häufigsten zitierten Forschungszentren zur Überwachung des Konflikts in der Ukraine, berichtete am 20. März, dass die russische Offensive bereits ihre maximale Intensität erreicht habe, mit geringen Fortschritten, und dass sich die Invasoren nun auf die Verstärkung ihrer Verteidigungspositionen konzentrieren würden.

Diese Meinung wird von Luke Coffey, Experte am Hudson Institute und pensionierter US-Militär, geteilt. »Ich denke, die russische Offensive hat begonnen und wird bald enden. In diesem Moment werden wir eine russische Verlagerung hin zu Verteidigungsoperationen sehen«, erklärt Coffey gegenüber EL PAÍS.
Dara Massicot, eine Forscherin bei RAND, einer kalifornischen Organisation für Sicherheits- und soziologische Studien, erklärte im vergangenen Februar in einem Dokument, was das Schlachtfeld bestätigt hat: »Russland scheint sich auf begrenzte Offensiven zu konzentrieren.«

Coffey ist wie Bjelieskov davon überzeugt, dass die ukrainische Gegenoffensive noch in weiter Ferne liegt: »Ich glaube nicht, dass die ukrainische Gegenoffensive starten wird, solange die Situation in Bachmut nicht stabil ist, der Schlamm nicht trocknet und westliche Panzer und gepanzerte Fahrzeuge mit ihren ausgebildeten Besatzungen nicht einsatzbereit sind.

Das Ziel ist Melitopol

Da Russland im Frühjahr nicht in der Lage ist, große Fortschritte zu erzielen,“

– ist das so sicher? Man wird sehen.

„welche wesentlichen Änderungen können am kriegerischen Schachbrett vorgenommen werden? Coffey zweifelt nicht daran, dass der eigentliche Schachzug, die Zurückdrängung der Invasoren, darin bestehen würde, von der Südfront, von Saporischschja, in die von den Russen seit einem Jahr besetzte Stadt Melitopol und an die Küste des Asowschen Meeres vorzudringen.
Die US-amerikanischen und britischen Geheimdienste beharren seit letztem Januar darauf, dass sich die ukrainische Gegenoffensive auf einen Angriff auf Melitopol konzentrieren sollte, um feindliche militärische Nachschubrouten abzuschneiden, die von der russischen Provinz Rostow entlang der Küste des Asowschen Meeres bis zur Krim verlaufen.

Während eines Besuchs dieser Zeitung im Februar an der Zaporoschje-Front versicherten mehrere ukrainische Militäreinheiten, dass die Einnahme von Melitopol ein Vorher und Nachher im Krieg bedeuten würde.
Männer der 65. motorisierten Brigade räumten ein, dass die Belagerung dieser Stadt – mit 160.000 Einwohnern vor dem Krieg – und die Rückeroberung der 80 Kilometer bis Melitopol eine gewaltige Herausforderung wären.
Es wäre schon ein Erfolg, weit genug vorzurücken, um das gesamte von Russland besetzte Gebiet an der Küste des Asowschen Meeres und in der Provinz Cherson in Reichweite von Artillerie und Himars-Präzisionsraketen mit einer Reichweite von 80 Kilometern zu bringen.

Bjelieskov betonte, dass die ukrainische Gegenoffensive Ablenkungsoperationen des Feindes erfordern werde, sodass jeder Plan mehr Vorbereitungszeit erfordere, da er seine Rückseite haben müsse. Dies geschah im September 2022, als die ukrainische Armee den Feind täuschte, indem sie eine Großoffensive in der Provinz Cherson im Süden des Landes ankündigte, während sie eine geheime Operation zur Befreiung der Provinz Charkow im Osten abschloss.“

Die Offensive bei Cherson gab es damals ja tatsächlich, sie wurde nicht vorgetäuscht, und da ist auch ein Haufen ukrainische Soldaten draufgegangen.
Es ist fraglich, ob die Ukraine für so eine Ablenkungsoffensive genug Leute zusammenkriegen würde, da das Militär schon für die Haupt-Offensive Personalprobleme hat.
Außerdem werden sich die Russen ein zweites Mal nicht so einfach überrumpeln lassen.