Pressespiegel EL País, 11.1.: Völkermordanklage gegen Israel

„»GAZA VOM ERDBODEN TILGEN«: DIE SÄTZE ISRAELISCHER POLITIKER, AUF DIE SÜDAFRIKA SEINEN VÖLKERMORDVORWURF STÜTZT

Israelische Minister und Abgeordnete haben Erklärungen abgegeben, in denen sie die Ermordung palästinensischer Zivilisten entmenschlichten oder direkt oder indirekt verteidigten. Sie erscheinen in der dem Gericht vorgelegten Klage als Beispiel für »Anstiftung zum Völkermord«.

In der Anhörung, die diesen Donnerstag vor dem Internationalen Gerichtshof (IStGH) der UNO in Den Haag begann, stellte der Vertreter Südafrikas Tembeka Ngcukaitobi dar, daß »die Aufstachelung zum Völkermord von der höchsten Ebene« der israelischen Regierung ausgeht, weshalb sie nicht als vereinzelte Formulierungen von »außer Kontrolle geratenen Gruppen« dargestellt werden kann.

Der Entwurf Südafrikas umfasst öffentliche Erklärungen von (israelischen) Ministern, Abgeordneten, Soldaten und sogar Künstlern seit Kriegsbeginn nach dem Hamas-Angriff am 7. Oktober.“

Südafrika hat bereits vor Jahren das Rom-Statut des IStGH unterzeichnet, also damit auch seine Bereitschaft erklärt, sich den Urteilen dieses Gerichtshofes zu unterwerfen.
Südafrika hat sich offenbar – als eine Art Stimme des Globalen Südens – seit Monaten auf diese Klage vorbereitet und Zitate gesammelt.

Israel hat (ebenso wie die USA, Rußland und der Sudan) ebenfalls bereits vor geraumer Zeit erklärt, daß sie nicht vorhaben, irgendwelche Papiere zu ratifizieren: Sie wollen diesen Gerichtshof nicht anerkennen.
D.h., theoretisch könnte Israel sagen: Was Südafrika und der IStGH treiben, geht uns nichts an – ebenso wie das Rußland gemacht hat.
Das hätte allerdings eine sehr schiefe Optik, selbst wenn die USA Israel den Rücken stärken würden, weshalb sich Israel doch ein Stück weit auf dieses Spiel einläßt. Man behalte allerdings im Auge, daß es jegliche Urteile als nicht bindend auffassen würde.

„Einer von ihnen stammt von Nissim Vaturi, dem Stellvertreter und Vizepräsidenten des Parlaments. Obwohl Premierminister Benjamin Netanjahu laut dem israelischen Fernsehsender 12 in den letzten Tagen die Politiker gebeten hat, »ihre Worte sorgfältig« zu wählen, um dem Publikum in Den Haag keine Munition zu liefern, bekräftigte Vaturi an diesem Mittwoch in seinen Aufrufen, »Gaza auszulöschen«, »vom Erdboden zu tilgen« und »Gaza niederbrennen«.“

Das ist eigentlich schon geschehen, viel gibt es da nicht mehr zu tun …

„»Es ist besser, Gebäude in Brand zu setzen, als [israelische] Soldaten in Gefahr zu bringen.« »Es gibt dort keine Unschuldigen«, sagte er in einem Radiointerview, bevor er die »Eliminierung« der 100.000 Palästinenser forderte, die seiner Schätzung nach im Norden des Gazastreifens verblieben sind. »Ich habe keine Gnade für diejenigen, die noch da sind«, fügte Vaturi hinzu, der dem Likud angehört, der rechten Partei unter Netanjahu.
Auch der Finanzminister, der Ultranationalist Bezalel Smotrich, hielt sich dieser Tage nicht zurück. Letzten Sonntag versicherte er, daß es in Gaza zwei Millionen »Nazis« gebe – praktisch die gesamte Bevölkerung.
Der Premierminister selbst taucht in der Klage Südafrikas auf, weil er in mehr als einer Rede Amalek erwähnt hat, die feindliche Nation der Israeliten in der Bibel, deren Vernichtung Gott König Saul verlangte: »Sie müssen sich daran erinnern, was Amalek Ihnen angetan hat, sagt unsere Heilige Bibel. Und wir erinnern uns daran.« Es handelt sich um eine Referenz, die bisher vom radikalsten religiösen Nationalismus verwendet wurde. Auch Verteidigungsminister Yoav Gallant erscheint: »Wir stehen menschlichen Tieren gegenüber und handeln entsprechend.«

Nach Angaben des nationalen Fernsehsenders 12 wird das Team aus Israels Vertreter bei der Anhörung und seinem renommiertesten Richter, Aharon Barak, die Phrasen in ihrer Präsentation an diesem Freitag herunterspielen. Ein Teil, weil sie von Leuten geäußert wurden, die keine relevanten Positionen innehatten. Der Rest ist so zu verstehen, daß sie falsch interpretiert wurden.“

Na, da kann man ja neugierig sein, wie das gelingt …

„Kurz nach dem 7. Oktober meinte der Präsident des Landes, Jitzchak Herzog, ursprünglich von der Arbeiterpartei, daß »eine ganze Nation«“

– so, so, die Palästinenser sind also eine „Nation“, sogar für israelische Politiker, aber einen eigenen Staat dürfen sie nicht haben …

„in Gaza »verantwortlich« dafür ist, daß sie nicht gegen die Hamas rebelliert hat, die das Land seit 2007 mit eiserner Faust regiert.
Der Minister für kulturelles Erbe, Amihai Elijahu, erwog den Abwurf einer Atombombe auf dem Gazastreifen als Option. Netanjahu rügte ihn und schloss ihn von den Sitzungen des Ministerrats aus, behielt ihn aber im Amt.“

Der Abwurf einer Atombombe auf Gaza würde vermutlich das israelische kulturelle Erbe stark in Mitleidenschaft ziehen, daher diese Rüge.
Und nicht nur das Erbe, auch das Lebendmaterial …

„»Es gibt keine Unschuldigen«

Mehrere Abgeordnete unterschiedlicher politischer Couleur haben öffentlich erklärt, daß es in Gaza »keine Unschuldigen oder … Unbeteiligten« (Zivilisten) gäbe, darunter Avigdor Lieberman, ehemaliger Verteidigungs- und Außenminister.
Er ist in der Opposition, ebenso wie Merav Ben-Ari, der Abgeordnete von Jair Lapids Partei Jesch Atid, der im Parlament sagte, daß »die Kinder von Gaza es sich selbst zuzuschreiben haben«.“

Was immer auch damit gemeint sein mag, die Botschaft ist klar: Bis hin zum Neugeborenen sind das alles Terroristen. Und gegen die ist alles erlaubt.

„Tally Gotlib von der Likud-Partei forderte »gnadenlose Bombenangriffe aus der Luft«, um die Soldaten nicht zu gefährden und »kein Mitleid mit den unbeteiligten Bewohnern des Gazastreifens zu haben«, weil »es keine gibt«.
Ihre Parteikollegin Galit Distel-Atbaryan, ehemalige Ministerin für öffentliche Diplomatie, forderte angesichts des Ausmaßes des Hamas-Angriffs ein »rachsüchtiges und grausames« Verhalten der Armee. »Es gibt nur eine Lösung, um Krebs zu heilen: alle Krebszellen zu eliminieren«, sagte UN-Botschafter Gilad Erdan.
Netanjahu veröffentlichte am Donnerstag eine Erklärung, in der er betonte, daß »Israel Terroristen bekämpft und Lügen bekämpft«, in »einer auf dem Kopf stehenden Welt«, in der »Israel des Völkermords beschuldigt wird, obwohl es Völkermord bekämpft«.

Es spiegelt wider, wie die Mehrheit des Landes die Verteidigung gegen ein Verbrechen erlebt, dessen Begriff während des Holocaust genau von einem jüdischen Juristen, dem Polen Raphael Lemkin, geprägt wurde.

Das Außenministerium bezeichnete die Anhörung als »eine der größten Heucheleien der Geschichte, bestehend aus einer Reihe falscher und unbegründeter Anschuldigungen« und nannte Südafrika »den legalen Arm der Terrororganisation Hamas«. Israel verteidigt, daß keiner der zivilen Todesfälle, die es in Gaza verursache, absichtlich geschähen, sondern vielmehr als das Ergebnis der »Nutzung der Bevölkerung als menschlicher Schutzschild« durch die Hamas zu betrachten seien. Ebenso wird darauf hingewiesen, daß sie im Kontext eines Konflikts auftreten.“

Kollateralschäden eben.

„Um das Verbrechen des Völkermords zu beweisen, muss die Absicht nachgewiesen werden, »eine nationale, ethnische oder rassische Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören«.

Politiker, Kommentatoren und die Bevölkerung [in Israel] sind sich darin einig, die Anklage als Affront und Ausdruck von Doppelmoral anzusehen.
Um so mehr, als in der Anklage die Ereignisse (23.000 Tote, hauptsächlich Minderjährige und Frauen, bei beispiellosen Bombenanschlägen in Jahrzehnten, die einen Großteil des Gazastreifens in Schutt und Asche gelegt haben) analysiert werden, die sich seit dem Hamas-Angriff ereignet haben, der in Israel normalerweise als eine Art Holocaust dargestellt wird.“

Da Israel selber die Angriffe der HAMAS als Genozid bewertet, können seine Angriffe auf die Palästinenser in Gaza (und dem Westjordanland!) ja unmöglich ein Genozid sein, so die Logik.
Es ist eine eigenartige Sichtweise, eine Art Allmachtsphantasie, nach der die eigene Interpretation für die ganze Welt zu gelten habe:

„Hamas-Mitglieder werden“ (von israelischen Medien und Politikern) „oft als »Nazis« oder »schlimmer als Nazis« beschrieben und der Angriff – mit 1.200 Toten, größtenteils Zivilisten – als »das größte Massaker an Juden an einem einzigen Tag« seit der Vernichtung durch die Nazis.“

Damit wird festgestellt, daß Mord an Israelis als verabscheuungswürdiger Terror einzustufen ist, die Ermordung von Arabern (im Verlaufe eines Konfliktes) jedoch als gerechte Selbstverteidigung.

Zwei unterschiedliche moralisch-rechtliche Auffassung der gleichen Ereignisse stehen sich hier also gegenüber.

8 Gedanken zu “Pressespiegel EL País, 11.1.: Völkermordanklage gegen Israel

  1. Der neueste Schrei der israelischen Politik ist, daß es die „freiwillige Emigration“ aus Gaza befördern will und mit verschiedenen Staaten verhandelt, ob sie Gaza-Bewohner aufnehmen würden.

    Erwähnt wird z.B. der Kongo.
    Das Ganze erinnert an die britische Regierung mit ihren Verhandlungen mit Ruanda.

    „Die Idee“ [der erzwungenen Auswanderung] „nahm Anfang November Fahrt auf, nachdem Israel in Gaza einmarschiert war und mehr als eine Million Menschen gezwungen waren, in den südlichen Gazastreifen zu fliehen, wo die Grenze zu Ägypten verläuft. Der ägyptische Präsident Abdel Fattá Al Sisi weigerte sich kategorisch, den Grenzübergang Rafah zu öffnen, den einzigen, der nicht nach Israel führt. »Was in Gaza passiert, ist ein Versuch, Zivilisten zur Zuflucht und Auswanderung nach Ägypten zu zwingen […] Wir lehnen jeden Versuch ab, die Palästinenserfrage mit militärischen Mitteln oder durch Zwangsvertreibung aus ihrem Land zu lösen«, hatte er bereits im Oktober erklärt.
    Kurz darauf wurde der Presse ein Arbeitsdokument des Geheimdienstministeriums zugespielt – ausgearbeitet von einer aktuellen Befürworterin der »freiwilligen Auswanderung«, Gila Gamliel vom Likud –, in dem vorgeschlagen wurde, die Bevölkerung von Gaza gewaltsam und für immer auf den ägyptischen Sinai zu vertreiben.“

    Das war schon sehr dreist, einfach Ägypten – immerhin einen Staat mit 111 Millionen Einwohnern und einer Militärregierung – zu einer Art Abfallkübel für unerwünschte Bürger zu erklären.

    „Danny Ayalon, ehemaliger israelischer Botschafter in den USA und ehemalige Nummer zwei im Außenministerium, sprach von dem »fast unendlichen Raum«, den es in der Sinai-Wüste gebe, um Zelte aufzustellen. (…)

    Daß die“ [Idee der] „»freiwilligen Auswanderung« in Debatten und Fernsehsendungen immer mehr Raum einnimmt, liegt zum Teil daran, dass bis zu 5 Minister, fast alle Ultranationalisten, sie offen propagieren.“

    Die in letzter Zeit in Zusammenhang mit Politikern aufgekommenen Bezeichnungen von „Ultranationalisten“ zeigen, wie begriffslos der öffentliche Diskurs heute geworden ist, der nur mehr mit Freund- und Feindbildern operiert.
    „Nationalisten“, was immer das sein mag, sind schon störend, aber „Ultra“ drückt eine stärkere Mißbilligung aus – wenn es sich um Leute handelt, die man nicht ganz verprellen möchte.
    Geht es jedoch um Leute wie Viktor Orbán oder Mitglieder der AfD oder der FPÖ, so sind die bereits „rechtsradikal“ oder „neofaschistisch“ – auch wenn die nicht 2 Millionen Menschen in die Wüste schicken wollen.

    „Es ist derjenige Teil der Koalition, den der Präsident der USA, Joe Biden, Netanjahu letzten Monat öffentlich aufgefordert hat, aus der Regierung zu entlassen,“

    – auch nicht schlecht, einem verbündeten Staat nahezulegen, wen er in die Regierung aufnehmen darf und wen nicht. Bidens Größenwahn …

    „weil »sie die Bewegungsfreiheit der Regierung einschränkt«“

    – womit so getan wird, als sei Netanjahu ein Getriebener seiner Bündnispartner, die er sich ja genau deshalb ausgesucht hat, um seine Agenda der Vertreibung der Palästinenser durchzubringen –

    und »keine Zwei-Staaten-Lösung für den Nahostkonflikt will.«“

    Die will auch sonst niemand in Israel. Die Ermordung Rabins 1995 hat ein deutliches Zeichen gesetzt, daß keine Regierung so einen Schritt auch nur andenken soll.

    „Biden erwähnte dabei ausdrücklich den Chef der öffentlichen Sicherheit, Itamar Ben Gvir, der den Krieg vor zwei Wochen als »Gelegenheit, sich auf die Förderung der Migration der Gaza-Bewohner zu konzentrieren« bezeichnete, als die »richtige, gerechte, moralische und menschliche Lösung«.“

    Aus dergleichen Formulierungen sieht man, daß die „Gelegenheit“ geschaffen wurde, indem man den Angriff der HAMAS geschehen ließ, um Pläne umzusetzen, die schon lange in der Schublade waren.

    Shlomo Karhi, Kommunikationsminister und ebenfalls Minister der Likud-Partei, verteidigte sie kürzlich in einem Interview im Parlamentsfernsehsender: »Natürlich müssen wir die freiwillige Auswanderung fördern […] Es gibt Akteure, die zwar jetzt vielleicht nicht [an den Zusammenstößen] beteiligt sind, aber sie lieben Israel nicht und erziehen ihre Kinder zum Terrorismus. Sie wäre uns sehr recht.
    Und darüber haben wir in Regierungssitzungen gesprochen. Es gibt keine westlichen Länder, die sie beherbergen (!!!) wollen, auch wenn wir viel Geld bezahlen.“

    Surprise, surprise.

    „Die freiwillige Auswanderung ist wichtig. Es stellt keine Verletzung der Menschenrechte dar.«

    »Trotz allem, was wir hören, sagen Sie, es sei die Lösung …«

    »… zur freiwilligen Auswanderung zu ermutigen. Und ‚solange zwingen, bis er sagt, dass er es will‘« [ein Sprichwort auf Hebräisch] (…)

    Das Interview“ [mit Karhi im Fernsehen] „fand statt, kurz nachdem US-Außenminister Antony Blinken das Thema auf einer Pressekonferenz am Ende seines letzten Besuchs in Israel angesprochen hatte.

    »Bei meinen heutigen Treffen habe ich klar und deutlich zum Ausdruck gebracht: Palästinensische Zivilisten müssen in der Lage sein, nach Hause zurückzukehren, sobald die Bedingungen dies zulassen. Sie dürfen nicht unter Druck gesetzt werden, Gaza zu verlassen. Wie ich dem Premierminister sagte, lehnen die USA eindeutig jeden Vorschlag ab, der die Umsiedlung von Palästinensern aus Gaza fördert, und der Premierminister bekräftigte mir gegenüber, dass dies nicht die Politik der Regierung sei.«“

    Eine dicke Lüge.
    Die Sache weist jedenfalls auf stärkere Spannungen zwischen den beiden Regierungen hin.

    Die Vertreter Israels versuchen jetzt, den Rest der Welt für ihre Zwecke einzusetzen, mit zu Tränen rührender Argumentation:

    „Befürworter des Vorschlags greifen häufig auf humanitäre Argumente zurück. In einem Artikel im Wall Street Journal, in dem sie ihn im November vorstellten, erklärten Ben-Barak und Danon, dass »die internationale Gemeinschaft den moralischen Imperativ (und die Möglichkeit) hat, Mitgefühl zu zeigen und den Menschen in Gaza dabei zu helfen, sich auf ein Ziel zu bewegen.“

    Die internationale Gemeinschaft ist mehr oder weniger verpflichtet, sich an der Säuberung Gazas zu beteiligen! Israel verteilt Aufgaben an das Ausland!

    „Wir wollen eine Zukunft in Wohlstand haben und zusammenarbeiten, um mehr Frieden und Stabilität im Nahen Osten zu erreichen.«
    Die Autoren erinnerten daran, wie mehrere europäische Länder und die USA Flüchtlinge aus den Kriegen in Bosnien, im Kosovo und in jüngerer Zeit aus Syrien aufgenommen hatten, und forderten den Westen auf, »den Bewohnern des Gazastreifens, die eine Umsiedlung wünschen, Zuflucht zu bieten«.

    »Wir müssen es den Gaza-Bürgern erleichtern, in andere Länder auszuwandern«, was »die Dinge für diejenigen, die bleiben, und für die Bemühungen um den Wiederaufbau von Gaza einfacher machen würde«, argumentierte Danon im Dezember in einem Radiointerview.
    Die Zeitung Haaretz nannte dies in einem Leitartikel einen »schlechten Witz«. »Bei aller Betonung, dass es ‚freiwillig‘ wäre, schlagen Sie eine erzwungene Vertreibung der Bevölkerung in jeder Hinsicht vor […] Der einzige Wunsch, der hier eine Rolle spielt, ist der von Danon und seinen ideologischen Partnern, die die Bewohner des Gazastreifens rausschmeißen, und in die 2005 aus Gaza evakuierten jüdischen Siedlungen zurückkehren wollen, oder etwas dieser Art anstreben«, betont die Zeitung. (…)

    Der jüngste Vorstoß fand letzte Woche auf einer Konferenz in einem Jerusalemer Museum mit dem Titel »Lehren aus Gaza, das Ende der 2-Staatenidee« statt, an der laut der Zeitung The Jerusalem Post 1.000 Personen persönlich und weitere 5.000 online teilnahmen.
    Die Ministerin Gamliel versicherte, daß am Tag des Kriegsendes »ungefähr zwei Millionen Menschen in Gaza verbleiben werden, von denen viele für die HAMAS gestimmt und am 7. Oktober das Massaker an Männern, Frauen und Kindern gefeiert haben«, aber es stelle auch eine »Chance« für die Welt dar,“

    sich zum Handlanger Israels zu machen,

    „indem sie Ernst macht mit »ihrer Behauptung, sich um die Palästinenser zu kümmern … In drei Worten: Öffnet die Tür! (…) Ich sage der internationalen Gemeinschaft: Niemand drängt oder zwingt jemanden, das Land zu verlassen, aber Sie können dem Leid [der Palästinenser]“

    das die israelische Behandlung verursacht,

    „sicher nicht gleichgültig gegenüberstehen.«“

    Das ist das, was man auf gut Jiddisch „Chuzpe“ nennt.

    (El País, 17.1.)

  2. Man merkt an der IGH-Entscheidung sowohl die Parteilichkeit als auch die Machtlosigkeit der internationalen Justiz:

    „IGH-Entscheidung: Israel muss mehr tun, um zivile Tote zu vermeiden

    Der Internationale Gerichtshof hat Sofortmaßnahmen gegen Israel verordnet, von der Verhängung einer Waffenruhe aber abgesehen. (…)“

    (Standard, 26.1.)

    Vor einer Genozid-Verurteilung hat sich der Gerichtshof gehütet – Israel ist schließlich ein demokratischer Staat und darf sich verteidigen!
    Nicht einmal eine Waffenruhe wird gefordert – abgesehen davon, daß der Spruch des Tribunals nicht durchsetzbar wäre.

    Alle sind zufrieden – Südafrika hat sich als Akteur auf der Weltbühne präsentiert und damit seinen Führungsanspruch für Afrika wieder einmal zur Schau gestellt.

    Israel kann weitermachen wie bisher.

  3. Man könnte sagen, der Freispruch für Israel läßt die Unterstützung wieder ansteigen.

    Die UNO entläßt sofort einige ihrer Angestellten der UNRWA (Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten), nachdem Israel behauptet hat, sie seien in die Invasion vom 7. Oktober verwickelt. Angeblich 12 Personen.

    „Die Agentur untersucht die Vorwürfe der israelischen Behörden, die zu einer sofortigen Aussetzung der US-Finanzierung für die Agentur geführt haben, und zwar vor dem Hintergrund einer humanitären Krise und einer Zeit, in der mehr als 2 Millionen Einwohner des Gazastreifens für ihr Überleben auf die Hilfe der Agentur angewiesen sind. Die Anschuldigung, die untersucht wird, ist Wasser auf die Mühlen Israels in ihrer Abneigung gegen diese internationale Organisation, die seit Beginn des Krieges stark in Frage gestellt wurde.“

    Auch die WHO gerät ins Visier der israelischen Regierung, sie soll angeblich „auch mit der HAMAS zusammengearbeitet“ haben.
    No na, die HAMAS stellte ja jahrelang die gesamte zivile Verfassung Gazas, an der konnte man nicht vorbei.

    (El País, 26.1.)

    Israel ist freigesprochen, jetzt werden die Palästinenser angeklagt und gleichzeitig sich auf die UNO eingeschossen, deren Finanzierung stark von den Beiträgen der USA abhängig ist.

  4. Jetzt legt Israel so richtig los:

    Israels UN-Botschafter attackiert Guterres via X

    Israels Botschafter bei den Vereinten Nationen, Gilad Erdan, erhebt auf X schwere Anschuldigungen in Richtung von UN-Generalsekretär António Guterres:

    »Der UN-Generalsekretär hat wieder einmal bewiesen, dass die Sicherheit der Bürger Israels für ihn nicht wirklich wichtig ist. Nachdem er jahrelang die ihm persönlich vorgelegten Beweise für die Unterstützung der UNRWA und seine Beteiligung an Aufwiegelung und Terrorismus ignoriert hat, und bevor er eine umfassende Untersuchung durchgeführt hat, um alle Hamas-Terroristen in der UNRWA ausfindig zu machen, hat er dazu aufgerufen, eine Organisation zu finanzieren, die zutiefst mit Terrorismus kontaminiert ist.

    Jedes Land, das die UNRWA weiterhin finanziert, bevor eine umfassende Untersuchung der Organisation stattgefunden hat, sollte wissen, dass sein Geld für den Terrorismus verwendet werden könnte und dass die Hilfe, die an die UNRWA überwiesen wird, möglicherweise die Hamas-Terroristen statt die Menschen in Gaza erreicht.

    Ich fordere alle Geberstaaten auf, ihre Unterstützung auszusetzen und eine gründliche Untersuchung zu verlangen, die die Verwicklung aller UNRWA-Mitarbeiter in den Terrorismus aufdeckt.«“

    Was immer „Verwicklung“ heißen mag: Israel geht jetzt in die nächste Phase über, nachdem Gaza mehr oder weniger unbewohnbar geworden ist: Jetzt soll offenbar als nächstes die UNRWA aufgelöst und der mißliebige UNO-Generalsekretär abgeschossen und durch einen genehmeren ersetzt werden:

    Mehrere Länder stoppten bereits Hilfszahlungen an UNRWA

    Wegen das Verdachts, einige Mitarbeiter könnten Überfall der Hamas gegen Israel am 7. Oktober beteiligt gewesen sein, gerät das UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) zunehmend unter Druck. Nach den USA und Kanada setzten auch Australien, Italien, Finnland und Großbritannien am Samstag ihre Zahlungen an das Hilfswerk aus. Und Israel will sich sogar dafür einsetzen, dass die UN-Organisation ihre Arbeit im Gazastreifen nach Kriegsende vollständig einstellen muss.

    Israel hatte den UN Informationen vorgelegt, wonach zwölf seiner Mitarbeiter in den brutalen Angriff verwickelt gewesen sein sollen. Laut UNRWA-Chef Philippe Lazzarini wurden die Verträge der Betroffenen aufgekündigt und eine Untersuchung eingeleitet. UN-Generalsekretär António Guterres will das Hilfswerk »unverzüglich und umfassend« überprüfen lassen. Die USA setzten ihre Finanzhilfen sofort aus, Kanada, Australien und Italien folgten. Deutschland äußerte sich »zutiefst besorgt«.

    Die Hamas sprach von einer Hetzkampagne Israels gegen internationale Organisationen, die den Palästinensern helfen. »Das skrupellose Nazigebilde« versuche damit »alle Lebensadern unseres Volkes abzuschneiden«. Sie rief die Vereinten Nationen und andere internationalen Organisationen auf, den »Drohungen und Erpressungen« Israels nicht nachzugeben.“

    (Standard, 28.1.)

  5. Der Internationale Gerichtshof hat einen Eilantrag Südafrikas auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Israels geplanter Rafah-Offensive abgelehnt.
    Die bisherigen Aufforderungen des Gerichts, etwa zum Schutz der Zivilbevölkerung, hätten auch für Rafah Gültigkeit.
    ———————

    Israelische Soldaten sind am Donnerstag in das Nasser-Spital in Khan Younis eingedrungen. Die UN-Menschenrechtsprecherin Ravina Shamdasani warf Israel vor, Angriffe auf diese und andere lebenswichtige zivile Infrastruktur seien “Teil eines Musters”. Israel meldete, im Spital rund 100 Terrorverdächtige verhaftet und Waffen sichergestellt zu haben, Geiseln wurden bisher nicht gefunden.

    Die Zahl der im Gazastreifen getöteten Palästinenser ist nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums auf mehr als 28.800 gestiegen. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen, Fachleute gehen aber eher von einer Unter- als einer Überschätzung der Opferzahlen aus.

    Laut WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus ist das Nasser-Krankenhaus in Gaza nicht mehr funktionsfähig.

    (Standard, 18.2.)

  6. „15 Kinder im Gazastreifen an Unterernährung in Spital gestorben

    Mindestens 15 Kinder sind in den letzten Tagen im Kamal-Adwan-Spital im Gazastreifen an Unterernährung und Dehydrierung gestorben. Das teilte die Gesundheitsbehörde der militanten Palästinenserorganisation Hamas in Gaza mit. Man fürchte um das Leben von sechs weiteren Kindern, die auf der Intensivstation lägen und unter Mangelernährung und Durchfall litten. Kurz zuvor hatte der UNO-Sicherheitsrat hat im Gaza-Krieg Soforthilfe eingemahnt.

    Der Stromgenerator und Sauerstoff stünden in dem Spital nicht mehr zur Verfügung; es gebe weniger medizinische Möglichkeiten, sagte ein Sprecher. Der Weltsicherheitsrat in New York mahnte auch den Schutz der Not leidenden palästinensischen Zivilisten in dem abgeriegelten Küstenstreifen im Krieg zwischen Israel und der militanten Palästinenserorganisation Hamas ein. "Die Parteien wurden nachdrücklich aufgefordert, den Zivilisten im Gazastreifen die Grundversorgung und humanitäre Unterstützung nicht vorzuenthalten", heißt es in einer am Samstag (Ortszeit) in New York veröffentlichten Mitteilung der UNO. Erneut wurde humanitäre Hilfe gefordert.

    Ratsmitglieder äußern "große Besorgnis"

    In ihrer Erklärung hätten die Ratsmitglieder ihre "große Besorgnis" zum Ausdruck gebracht, dass die mehr als zwei Millionen Bewohner von Gaza einem "alarmierenden Ausmaß an akuter Ernährungsunsicherheit ausgesetzt sein könnten".“

    Was heißt „könnten“?! Sie SIND es!

    „Der Weltsicherheitsrat forderte erneut, "die sofortige, schnelle, sichere, nachhaltige und ungehinderte Bereitstellung" humanitärer Hilfe in großem Umfang zu ermöglichen und zu erleichtern. Israel wurde zudem in der Erklärung aufgefordert, die Grenzübergänge für humanitäre Hilfe geöffnet zu halten und die Öffnung zusätzlicher Übergänge zu ermöglichen.

    Hindernisse bei Verhandlungen

    Bei den indirekten Verhandlungen über eine befristete Feuerpause im Gaza-Krieg und eine Freilassung weiterer Geiseln gibt es nach Darstellung der HAMAS noch immer Hindernisse. Sie machte dafür die israelische Seite verantwortlich. In Kairo sind Delegationen der HAMAS und der vermittelnde Vertreter der USA und Katar für Verhandlungen über eine Waffenruhe im Gaza-Krieg eingetroffen. Für eine neue Runde von Gesprächen ist in der ägyptischen Hauptstadt geplant wie der Sender Al-Qahera News und Sicherheitskreise am Sonntag berichteten.

    Israel nimmt einem Medienbericht zufolge an den Gesprächen in Kairo nicht teil. "Es hält sich keine israelische Delegation in Kairo auf", zitierte "Ynet" aus israelischen Regierungskreisen. "Die HAMAS weigert sich, klare Antworten zu geben, und deshalb gibt es keinen Grund, eine israelische Delegation zu entsenden." Zwar trafen am Konferenzort im Laufe des Tages Vertreter der radikal-islamischen Hamas an. Eine israelische Delegation war jedoch nicht zu sehen.“

    Man fragt sich, wie dann bei diesen Verhandlungen überhaupt etwas weitergehen soll?

    „Das Haupthindernis bei den indirekten Verhandlungen mit Israel sei das Zeitlimit für eine Waffenruhe. Das sagte ein Vertreter der HAMAS in Beirut, der namentlich nicht genannt werden wollte, in der Nacht auf Sonntag der DPA. Israel manövriere bei dem Thema herum, hieß es. Ranghohe Vertreter der US-Regierung, die zusammen mit Katar und Ägypten zwischen Israel und der HAMAS vermittelt, hatten dagegen am Samstag gesagt, der Rahmen für eine mögliche Einigung stehe und die Israelis hätten diesen "mehr oder weniger akzeptiert". Eine mögliche Einigung hänge allein an der Hamas.

    Vermittlungsgespräche über Feuerpause sollen weitergehen

    Zuvor hatte ein hochrangiger US-Vertreter erklärt, der Rahmen für eine sechswöchige Waffenruhe im Gazastreifen stehe. Er erklärte wiederum, die Zustimmung Israels sei da, der Deal hänge aber davon ab, ob die … HAMAS einer Freilassung der Geiseln zustimme. "Der Deal ist im Grunde schon da. Aber ich möchte keine Erwartungen in die eine oder andere Richtung wecken." Eine HAMAS-Stellungnahme liegt nicht vor. Israel kündigte an, Militäraktivitäten für humanitäre Zwecke einzustellen.

    Die Vermittlungsgespräche über eine Feuerpause sollen nach Informationen des ägyptischen Fernsehsenders Al Qahera News TV an diesem Sonntag in Kairo weitergehen. Einen Tag darauf wird der israelische Minister Benny Gantz, Mitglied des Kriegskabinetts, zu Gesprächen mit US-Vizepräsidentin Kamala Harris im Weißen Haus erwartet, wie unter anderem die "New York Times" am Samstag (Ortszeit) berichtete. Harris dürfte demnach mit Gantz über die Dringlichkeit eines Abkommens zur Befreiung von Geiseln, das eine vorübergehende Feuerpause zwischen Israel und der Hamas ermöglichen würde, sowie über die Notwendigkeit von mehr Nahrungsmitteln und Hilfsgütern für die palästinensische Zivilbevölkerung sprechen, hieß es.

    Der HAMAS-Vertreter sagte, man sei mit den Vermittlern in Kontakt und weiter bestrebt, eine Lösung zu finden, "um die Aggression gegen unser Volk zu beenden". Die Gespräche liefen noch, sagten auch Vertreter der US-Regierung. Laut Medienberichten sollte einem Vorschlag der Vermittler zufolge möglichst noch vor dem muslimischen Fastenmonat Ramadan, der um den 10. März beginnt, eine sechswöchige Waffenruhe in Kraft treten. In der Zeit sollten 40 israelische Geiseln gegen rund 400 palästinensische Häftlinge ausgetauscht werden.“

    Die Geiseln sind mit Ausnahme derjenigen, die es vor einigen Monaten geschafft haben, ausgetauscht zu werden, noch immer nicht befreit, nach 5 Monaten – nur um einmal daran zu erinnern.

    (TT, 4.3.)

    „Netanyahu: Werden vor HAMAS-Forderungen nicht kapitulieren

    Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu hat vor weiteren Verhandlungen über einen Geiseldeal ein Einlenken der HAMAS gefordert. »Wir unternehmen große Anstrengungen, um erfolgreich zu sein, aber eines ist Ihnen klar – wir werden vor den wahnhaften Forderungen der HAMAS nicht kapitulieren«, sagte er gestern Abend in Tel Aviv. Während US-Vizepräsidentin Kamala Harris eine sofortige Waffenpause forderte, verkündete Israels Armee die Tötung weiterer Terroristen.“

    (TT, Newsletter)

    Israels Führung gibt damit auch zu Protokoll, daß sie sich um die Einwände aus den USA, der EU und der UNO nicht schert.

  7. Bombardement einer diplomatischen Vertretung in Damaskus und Attacke gegen humanitäre Helfer: Die israelische Führung legt Wert auf die Demonstration, daß sie sich von nichts und niemanden beschränken läßt.

  8. Angesichts solcher Freunden kann Israel sich viel erlauben:

    „Berliner Polizei löst Palästina-Kongress auf

    Berlin erlebte am Freitagnachmittag Szenen, die an die Zeiten des Nazi-Regimes erinnern. Hunderte von Polizisten terrorisierten einen Palästina-Kongress, der sich gegen den israelischen Genozid in Gaza richtete, um ihn nach zwei Stunden aufzulösen und zu verbieten.

    Zu dem Kongress, der von der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden im Nahen Osten angemeldet worden war und an dem sich mehrere pro-palästinensische Organisationen beteiligten, wurden prominente Redner erwartet, darunter der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis, der irische Abgeordnete Richard Boyd Barrett, der britisch-palästinensische Arzt und Rektor der Universität Glasgow Ghassan Abu-Sitteh, der 86-jährige Palästina-Experte Salman Abu Sitta, ein ehemaliges Mitglied des Palästinensischen Nationalrats, der jüdische Filmemacher Dror Dayan und die palästinensische Journalistin Hebh Jamal.

    Medien und Politik hatten bereits im Vorfeld eine wütende Hetzkampagne gegen den Kongress entfesselt. Vom Boulevard-Blatt Bild bis zum „respektablen“ Tagesspiegel denunzierten sie die Teilnehmer pauschal als „Israelhasser“. Bild titelte am Freitagmorgen: „Israelhasser-Kongress. Diese Terror-Fans treten heute in Berlin auf.“

    Ein überparteiliches „Bündnis gegen antisemitischen Terror“, dass sich über Politiker von Union bis hin zur Linkspartei erstreckt, erklärte, vom Kongress sei die „Verbreitung antisemitischen Hasses“ zu erwarten und Berlin dürfe sich nicht „zum Zentrum der Terrorverherrlichung“ entwickeln. Für die Linkspartei unterschrieben der ehemalige Berliner Kultursenator Klaus Lederer sowie die ehemalige Berliner Arbeitssenatorin Elke Breitenbach den Aufruf.

    Die Polizei agierte entsprechend. Ghassan Abu-Sitteh wurde am Berliner Flughafen die Einreise verweigert. Der Arzt, der nach Kriegsbeginn im Al-Shifa Krankenhaus in Gaza gearbeitet und noch am 6. Dezember dem Spiegel ein erschütterndes Interview über seine furchtbaren Erlebnisse dort gegeben hatte, sollte am Abend einen Vortrag auf dem Kongress halten. Stattdessen wurde ihm erklärt, dass er bis zum 14. April nicht nach Deutschland einreisen dürfe.

    Als am Freitagvormittag der Tagungsort des Kongresses bekannt gegeben wurde (die Veranstalter hatten ihn aus Sicherheitsgründen geheim gehalten), wurde ein Großaufgebot von Polizei hin mobilisiert. Von den 2500 Polizisten, die für das gesamte Tagungswochenende eingeplant waren, umringten knapp 900 Einsatzkräfte die Kongresshalle in Tempelhof und stellten Absperrungen auf. Zu einer Gegendemonstration gegen den Kongress, die von der CDU und zionistischen Gruppierung organisiert worden war, erschienen rund 25 Personen.

    Unter dem Vorwand von „Brandschutzvorschriften“ beschränkte die Polizei den Zutritt zur Kongresshalle. Obwohl der Saal für 1000 Personen ausgelegt ist, gewährte sie nur 250 Personen den Zutritt. Die Schlange von weiteren 250 Personen, die nicht hineingelassen wurden, wertete die Polizei kurzerhand als Versammlung, die bis 15 Uhr aufzulösen sei. Gleichzeitig nahm sie Personen fest, die in der Schlange warteten, darunter ein Mitglied der jüdischen Stimme, das ein Banner mit dem Text „Juden gegen Genozid“ hochhielt.

    Während sie angemeldeten Teilnehmern den Zutritt zur Versammlung verwehrte, schmuggelte die Polizei durch einen Hintereingang mehrere Dutzend nicht akkreditierte Journalisten ins Gebäude, die überwiegend aus dem Umfeld der Springer-Presse stammten, die am übelsten gegen den Kongress hetzt.

    Auch uniformierte und bewaffnete Polizisten hielten sich im Versammlungsraum auf, um die Teilnehmer einzuschüchtern. Aufgrund der Behinderungen durch die Polizei konnte der Kongress nur mit großer Verspätung starten. Als Vorwand für seine Auflösung diente dann ein Video-Vortrag von Salman Abu Sitta, dem die Einreise ebenfalls verweigert worden war.

    Abu Sitta, der 1948 als Kind aus Palästina vertrieben wurde, hat sich Zeit seines Lebens um die Sache der Palästinenser bemüht und dabei öffentliche Debatten mit israelischen Friedensaktivisten, wie Uri Avnery and Rabbi Michael Lerner, geführt.

    Zwei Minuten nach Beginn des Video-Vortrags stürmten gegen halb fünf 30 bis 40 Polizisten das Podium, um die Übertragung zu blockieren. Zur Begründung führten sie angeblich illegale Inhalte an. Im Anschluss brach die Polizei gewaltsam den Steuerungsraum auf und stellte Strom und Licht in der Kongresshalle ab, um auch den Livestream vom Kongress zu unterbrechen.

    Knapp eine Stunde später, um 17:24 Uhr, löste die Polizei den Kongress auf und forderte die Teilnehmer auf, den Versammlungsraum zu verlassen. Vor Ort gab die Polizei keinen Grund dafür an. Später begründete sie ihre Willkür mit der Gefahr, dass Redner den Holocaust leugnen oder Gewalt verherrlichen könnten.

    Kurze Zeit später wurde Udi Raz festgenommen, Vorstandsmitglied der Jüdischen Stimme und Mitorganisatorin des Palästina-Kongresses. In einem Interview mit der Jungen Welt berichtete sie, ihre Festnahmen sei damit begründet worden, dass sie einen Polizisten antisemitisch genannt habe und dies als Beleidigung aufgefasst worden sei.

    Die Polizeieinsätze im Stil einer Diktatur wurden aufs engste mit der Berliner Landesregierung und der Bundesregierung koordiniert. Innenstaatssekretär Christian Hochgrebe (SPD) hatte in Bezug auf den Palästina-Kongress bereits im Innenausschuss angekündigt, „alles in unserer Macht Stehende zu unternehmen, Straftaten wie etwa Volksverhetzung und das Verwenden verbotener Symbole zu unterbinden“.

    Der Regierende Bürgermeister Berlins, Kai Wegner (CDU), bedankte sich am Freitagnachmittag bei der Polizei „für das entschlossene Einschreiten bei dieser Hass-Veranstaltung“. Es sei klar gemacht worden, „welche Regeln in Berlin gelten. Wir haben klargemacht, dass Israel-Hass in Berlin keinen Platz hat. Wer sich nicht daran hält, wird die Konsequenzen spüren.“

    Die Berliner Innensenatorin Iris Spranger (SPD) erklärte: „Ich trage die Entscheidung der Polizei uneingeschränkt mit.“ Und das Bundesinnenministerium von Nancy Faeser (SPD) schrieb im Vorfeld des Kongresses auf Twitter: „Es ist gut, dass die Berliner Polizei ein hartes Durchgreifen beim sogenannten Palästina-Kongress in Berlin angekündigt hat. Wir behalten die islamistische Szene sehr eng im Visier.“

    Auch die Jugendorganisationen von SPD, Union, FDP und Grünen stellten sich hinter den Polizeieinsatz. Sie hatten bereits im Vorfeld des Kongresses ein gemeinsames Statement „gegen den Antisemitismus und die Terrorverherrlichung“, die angeblich vom Kongress ausgingen, veröffentlicht.

    Die autoritären Methoden, mit denen die Herrschenden gegen den Palästina-Kongress vorgehen, hängen untrennbar mit ihrer Rückkehr zum Militarismus zusammen. Man kann Deutschland nicht „kriegstüchtig“ (Verteidigungsminister Pistorius) machen, ohne die Meinungsfreiheit und die Demokratie abzuschaffen.

    Deutschland ist nach den USA der größte Waffenlieferant Israels und Geldgeber der Ukraine. Die Regierung ist dabei, Milliardenbeträge aus dem Sozial- in den Militärhaushalt zu verschieben und die Wehrpflicht wieder einzuführen, um Kanonenfutter für weitere Kriege zu haben. Obwohl sich nicht mehr leugnen lässt, dass Israel einen Genozid an den Palästinensern begeht, unterstützt sie das Netanyahu-Regime bedingungslos und kriminalisiert jede Opposition dagegen.

    Der Angriff auf den Kongress richtet sich gegen die wachsende Opposition gegen diese Kriegspolitik. Einer jüngsten Umfrage zufolge lehnen 69 Prozent in Deutschland das militärische Vorgehen Israels im Gazastreifen ab. Doch je größer die Opposition in der Bevölkerung ist, desto wilder schlägt die herrschende Klasse um sich. Mit diktatorischen Polizeimaßnahmen, soll jeder eingeschüchtert werden, der das militaristische Programm ablehnt.“

    (WSWS, 13.4.)

    Wenn man sich dann noch an die Riesen-Demos „für die Demokratie“ erinnert, kommt einem das Gruseln …

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