Pressespiegel El País, 20.11.: Das befreite Cherson

„DIE UKRAINE SCHLIESST CHERSON, UM RUSSISCHE KOLLABORATEURE ZU IDENTIFIZIEREN

Zeugenaussagen der lokalen Bevölkerung berichten von Fällen von Verschwindenlassen, Raubüberfällen und Folterungen durch Moskauer Truppen

Cherson ist eine offiziell geschlossene, vom Rest der Ukraine abgeschnittene Stadt. Das Betreten und Verlassen ist nur mit Genehmigung des Heeres möglich. Die letzte Woche von der russischen Besatzung befreite Provinzhauptstadt kehrt allmählich zur Normalität zurück, wie die Tatsache zeigt, dass am Samstag der erste Personenzug seit mehr als acht Monaten – während derer sich die Stadt unter dem Joch Russlands befand – ihren Bahnhof erreichte.“

Man fragt sich, wer dann in dem Personenzug saß, wenn die Stadt so abgeschlossen ist? Um welche „Normalität“ geht es hier?

„Aber die Priorität der Militärverwaltung ist es, die Kollaborateure der Besatzer zu finden: Informanten, die Hunderte von Menschen verraten hätten, die mit den ukrainischen Streitkräften in Verbindung stehen. Laut von EL PAÍS gesammelter Zeugenaussagen werden viele dieser Menschen vermisst oder sie wurden von russischen Einheiten gefoltert.“

Vor ihrem Abzug haben die russischen Truppen Cherson größtenteils evakuiert. Nur diejenigen blieben, die unbedingt bleiben wollten. Die Kollaborateure, worin immer sie auch kollaboriert haben mögen, sind wahrscheinlich mit den Russen abgezogen.
Man fragt sich daher, welche Leute die Ukraine jetzt noch sucht? Und was inzwischen wohl alles als „Kollaboration“ gilt?

„Vitali Smirnov wurde zusammengeschlagen, weil er Leben gerettet hatte. Sein Körper ist von den Schlägen gezeichnet, die ihm eine Gruppe russischer Soldaten am 11. November in einem Keller in Cherson versetzt hat.
Smirnov war Techniker im Fernsehturm der Stadt. Am 10. November, einen Tag bevor die russischen Truppen die Stadt und das Westufer des Dnjepr verließen, platzierte das russische Militär Sprengstoff in und um den Turm. Smirnov gelang es seiner Geschichte zufolge, etwa 300 Einwohner der Umgebung zu warnen, die sie daraufhin verließen. Der Turm wurde in der Nacht vom 10. auf den 11. gesprengt.
Am Morgen danach hielt ein Fahrzeug Smirnov auf der Straße an. Die Insassen setzten ihm eine Kapuze auf und brachten ihn in eines der elf Haft- und Folterzentren, die laut ukrainischem Innenministerium von den Russen in der Region genutzt wurden.
Das Ministerium hat angegeben, dass es mindestens 436 mögliche Fälle von Kriegsverbrechen in der Provinz untersucht. »Sie haben mich so geschlagen, dass ich das Bewusstsein verlor. Ich bin Stunden später wieder zu mir gekommen, als sie mich bereits ins Freie gebracht und dort zurückgelassen hatten», sagt dieser Mann, der immer noch unter dem Trauma der Erfahrung steht. »Jemand hat mich verraten«, fügt er hinzu.“

Eine seltsame Geschichte. Am letzten Tag, wo die Russen schon abgezogen sind, verhaften und verprügeln sie noch Leute? Hatten die nicht da anderes zu tun?
Auch die Geschichte mit dem Fernsehturm und der Umgebung ist eigenartig. 300 Leute konnten ihre Häuser verlassen? Wären die überhaupt durch die Sprengung gefährdet gewesen?
Irgendwie entsteht der Eindruck, daß dieser Mann dafür von ukrainischen Truppen dafür verprügelt worden ist, weil er während der russischen Besatzung im Fernsehturm gearbeitet hat und die Prügel dazu dienten, die Namen weiterer „Kollaborateure“ dieser Art von ihm zu erfahren.

„Cherson wurde am 2. März (von der russischen Armee) eingenommen, nur sechs Tage nach Beginn der russischen Offensive, praktisch ohne militärischen oder zivilen Widerstand. Die Regierung hält eine offene Untersuchung aufrecht, um das Ausmaß der internen Zusammenarbeit zu klären, die Moskau bei seinem blitzschnellen Vormarsch in der Südukraine hatte. Die prominentesten Personen der ukrainischen Zivilverwaltung, die Russland unterstützt haben, sind mit den Besatzungstruppen auf die andere Seite des Dnjepr geflohen. Diejenigen, die nicht geflohen sind, werden jetzt von den Kiewer Geheimdiensten gesucht. »Vorrangig gilt es, die Stadt zu sichern, damit keine Informationen an den Feind durchsickern«, sagt ein Sprecher des ukrainischen Militärkommandos in der Provinz Cherson. Die Armee schränkt die Arbeit der Medien in der Region unter dem Vorwand von Sicherheitsgründen stark ein.“

Rußland hat ja angekündigt, Cherson irgendwann wieder zurückerobern zu wollen. Die ukrainischen Behörden wollen jetzt offenbar sicherstellen, daß das nicht so einfach gelingt.
Dabei muß erwähnt werden, daß es nach der Einnahme durch die russischen Truppen schon einigen zivilen Protest gab und Cherson nie in dem Maße prorussisch war wie die Ortschaften des Donbass.
Aber jetzt werden alle Bewohner Chersons, die nicht mit den Russen abgezogen sind, unter den Generalverdacht gestellt, mögliche Kollaborateure einer möglichen Wiedereinnahme zu sein.
Eine sehr ungemütliche Situation für die Einwohner der befreiten Stadt, die uns blaugelbe Fähnchen schwingend und jubelnd in die Wohnzimmer geliefert wurden. Viel von der Euphorie könnte auch durch die Angst beflügelt worden sein, ansonsten in einem der Keller zu verschwinden, die angeblich von den Russen als Folterkammern benützt und jetzt wahrscheinlich zu ukrainischen Säuberungszellen umgeflaggt wurden.

„»75.000 Menschen bleiben in der Stadt, 25% derjenigen, die sie vor dem Krieg bewohnt haben«, so Jaroslaw Januschewitsch, Leiter der Militärverwaltung von Cherson. Tausende von ihnen drängen sich dieser Tage auf der Platz der Freiheit, um die von den Behörden und NGOs verteilte humanitäre Hilfe einzusammeln.
Kurz vor ihrem Abzug sabotierten die Besatzer nämlich die Strom- und Wasserversorgung.
Außerhalb des Platzes und der Uschakova-Allee ist Cherson eine wenig befahrene Stadt, die von Sicherheitskräften patrouilliert und vom Donnern der ukrainischen Artillerie begleitet wird: Russische Stellungen sind nur einen Kilometer von der Stadt entfernt, auf der anderen Seite des Dnjepr.
Vladislav Nedostup ist ausgebildeter Soziologe, leitete aber in seinem Vorkriegsleben ein Unternehmen, das Autoersatzteile online verkaufte. Am Freitag wartete er auf dem Platz der Freiheit darauf, dass Journalisten ihm einige Flaschen Zhyvchyk“ (ein Birnen-Sprudelgetränke aus einer Kiewer Getränkefabrik), „ein ukrainisches Erfrischungsgetränk, sein Lieblingsgetränk, aus Odessa brachten.
Menschen kamen, um sich mit ihm fotografieren zu lassen: Nedostup war Mitglied des Netzwerks von Partisanen, die während der Besatzung ihr Leben riskierten, um den ukrainischen Streitkräften alle möglichen Informationen über die Bewegung der Besatzungseinheiten sowie über die mit den Russen kollaborierenden Ukrainer zu geben. »Unter Kollaborateur verstehen wir eindeutig diejenigen, die Informationen an die Russen weitergegeben haben, oder die Unternehmen, die mit ihnen zusammengearbeitet haben, um sich bei ihnen einzuschmeicheln«, erklärt Nedostup, »aber nicht die kleinen Unternehmen, die vorankommen mussten.«“

Ein Kind erwartet Brot in der Menge auf dem Freiheitsplatz in Cherson.

Der ukrainische Kollaborateur wird weiterhin Informationen über angebliche Russen-Kollaborateure an die ukrainischen Sicherheitskräfte weitergeben. Er ist ja eine bereits bewährte Quelle.
Möglicherweise kann man sich gegen etwas Bakschisch von dem auf ganz Cherson lastenden Generalverdacht bei ihm freikaufen und damit einen Persilschein erhalten.
Eine neue Geschäftssphäre tut sich hier in der befreiten Stadt auf …

„Igor Otschorski verließ seine Wohnung fast nie, aus Angst vor einer Verhaftung. Er habe Glück gehabt, sagt er, weil ihn kein Nachbar verraten habe und weil er nicht in der Volkszählung der Regionalregierung auftauchte, weil er in Kiew registriert war: Otschorski diente 2016 in der ukrainischen Armee im Donbass, während des Krieges gegen prorussische Separatisten. Hunderte dieser Cherson-Veteranen sind laut Nedostup in den Monaten unter russischer Kontrolle verschwunden. »Die wahren Kollaborateure sind die, die hier das Sagen hatten und noch haben«, sagt Otschorski und fährt mit einer zum Nachdenken anregenden Frage fort: »Kann man dem kleinen Bürger, der arbeitslos und hungrig war, und eine Familie zu erhalten hat, Kollaboration vorwerfen?«“

Vermutlich sind das genau die, die der Kollaboration bezichtigt werden werden, weil sie nicht das Geld haben, sich bei Herrn Nedostup und anderen Patrioten freizukaufen.

„Als Wladimir Putin am 24. Februar den Beginn der Invasion der Ukraine befahl, meldeten sich Nedostup und sein Vater freiwillig zu den Territorialverteidigungskräften (TVK), den paramilitärischen Einheiten, die von Zivilisten auf Befehl der Regierung gebildet wurden. Etwa 600 Männer aus Cherson bildeten laut Nedostup die lokale Territorialverteidigung. »Am 1. März, als die Russen die Stadt umzingelten und wir bereits den Rückzug der 59. (motorisierten) Brigade an der Antonov-Brücke verteidigt hatten, erhielten wir den Befehl zur Demobilisierung, dann begann das Überleben«, erzählt Nedostup.

Tägliche Verhaftungen

Nedostup erklärt, daß es eine Regel der Partisanen war, möglichst wenig über ihre Kameraden zu wissen, für den Fall, daß sie von den Russen gefangen genommen würden. Während des Besuchs dieser Zeitung war der 28-Jährige auch mit der Übermittlung von Nachrichten an Agenten des Sicherheitsdienstes der Ukraine (SBU) aus. Der SBU verhörte einen seiner Kollegen von den TVK: »Er ist eine Person, die die Russen festgenommen und freigelassen haben, und der SBU will wissen, warum – ob er Informationen geliefert hat.« Nedostup bestätigt, dass es jeden Tag Verhaftungen wie die seines Kollegen gibt. »Die Polizeiarbeit zur Gewährleistung der Sicherheit der Stadt hat gerade erst begonnen«, erklärte Gouverneur Januschewitsch.“

Nicht einmal die Mitglieder der TDK entkommen dem Generalverdacht, Kollaborateure gewesen zu sein. Und wenn man von den Russen nicht mißhandelt wurde, so ist das schon ein schwerwiegendes Indiz.

„Plötzlich taucht auf dem Freiheitsplatz eine alte Frau auf, tadelt die ukrainischen Soldaten, beschuldigt sie, »Nazis« zu sein, wie die russische Propaganda wiederholt: »Ich bin 1943 geboren und in der Sowjetunion hatten wir alles, nicht wie jetzt«“, schreit die Frau: »Ihr bombardiert unsere Leute im Donbass, in Russland gibt es eine Zukunft und hier nur Elend, die Mädchen der Ukraine erwarten nur, in Europa Prostituierte zu sein.« Niemand tadelte die Frau und Nedostup erinnerte den Journalisten daran, dass so etwas im umgekehrten Fall während der russischen Besatzung bedeutet hätte, auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden.“

Seltsam. Wenn jemand unter den Russen die russische Propaganda auf dem Freiheitsplatz verkündet hätte, wäre er/sieliquidiert worden?
Oder, was heißt „umgekehrter Fall“? Wenn man behaupten würde, in der Sowjetunion hätte man nichts gehabt und in der Ukraine alles? Prostitution für Ukrainerinnen? Niemals! (Wobei derzeit in Polen die Behörden damit beschäftigt sind, zu verhindern, daß ukrainische Frauen von Prostitutions-Netzwerken einkassiert werden, deren Kunden angeblich schon auf sie warten …) Der Donbass würde nicht bombardiert?
In diesem Falle hätte die Frau vermutlich von den Umherstehenden ein paar Ohrfeigen bekommen. Dergleichen kann man nur in geschützten Rundfunkanstalten verbreiten, nicht auf belebten Plätzen.
Was hingegen mit der jetzigen Frau passiert, wenn sie die schützende Öffentlichkeit verläßt, wissen wir nicht.

„Oleg Timkov, Journalist und Dichter, berichtete letzten Montag vom Platz der Freiheit, dass mehrere Veteranen der ukrainischen Armee im Donbass in seinem Gebäude“

Um welches Gebäude es sich wohl handelt? Anscheinend geht es um ein mehrstöckiges Wohnhaus, aber es könnte sich auch um einen Arbeitsplatz handeln

„festgenommen wurden, ohne dass jemand weiß, wo sie jetzt sind.“

Wann wurden die eigentlich verhaftet?

„Timkov versorgte EL PAÍS auch mit Einzelheiten über einen Mord, der um die Welt ging, nämlich den von Jurij Kerpatenko, dem Dirigenten des Cherson-Orchesters. Kerpatenko, der sich öffentlich gegen die Invasion ausgesprochen hatte, weigerte sich, bei einem von den Besatzern organisierten Konzert mitzuwirken. »Russische Soldaten gingen zu seinem Haus, um ihn zu verhaften, und er weigerte sich, die Tür zu öffnen«, erklärt Timkov: Das Militär eröffnete das Feuer, um die Tür aufzubrechen, und verletzte ihn tödlich. Wo sich seine Leiche befindet, weiß niemand.“

Kerpatenko war russischsprachiger Ukrainer, seine Weigerung scheint die von Rußland eingesetzte Zivilverwaltung besonders provoziert zu haben, weil man ihn nicht als ukrainischen Nazi diffamieren konnte.

„Geplünderte Schulen

Anja Alexandrovskaja unterrichtete ihre Schüler an einer Grundschule in Cherson heimlich im Zeichenunterricht. Der Unterricht war online. Sie zeigte uns den Ort in ihrem Haus, an dem sie die Schulsachen versteckt hatte. »Für die ukrainische Verwaltung zu arbeiten bedeutete, verhaftet zu werden. Niemand in meinem Gebäude wusste, dass ich immer noch Unterricht gebe – für alle Fälle. Hier gibt es viele Leute, die in der Sowjetunion geboren und aufgewachsen sind, Sie wissen, was ich meine,«, erklärt Alexandrovskaja.

Frau Alexandrovskaja erklärt hier die vorherige SU zu einem einzigen Spitzelstaat, wo jeder jeden verriet – zum Unterschied von der heutigen unabhängigen Ukraine, wo dergleichen nie vorkommen würde.

„Die Einrichtungen ihre auf Kinder mit Körperbehinderung spezialisierten Schule wurden geplündert und ukrainische Bücher vernichtet.
Alexandrovskaja hat einen Zweitwohnsitz am Ostufer des Dnjepr. Eines Tages Anfang November ging sie hin, um den Zustand des Hauses zu überprüfen, und was sie sah, wird sie nicht vergessen: »Meine Datscha liegt auf der Straße, die zur (von Russland 2014 illegal annektierten Halbinsel) Krim führt. Dort verkehrten in einem fort Konvois eskortierter Lastwagen mit allerlei aus Cherson gestohlener Fracht, von Metall für öffentliche Arbeiten bis hin zu Tonnen von Getreide.« EL PAÍS bestätigte auch am vergangenen Donnerstag die Plünderung der wichtigsten Sammlungen des kulturellen Erbes von Cherson, die auf die Krim gebracht wurden.
Alexandrovskajas Überlebensregeln waren einfach, aber grundlegend: Lassen Sie sich auf der Straße nicht mehr als notwendig sehen, und niemals nach zwei Uhr nachmittags, um willkürliche Verhaftungen zu vermeiden.
Tragen Sie Ihr Handy niemals bei sich, um dessen Beschlagnahmung zu vermeiden. Ukrainische Symbole oder andere Erkennungsmerkmale sind zu vermeiden.
Eines der detailliertesten Folterzeugnisse, die in den ukrainischen Medien erschienen sind, ist das eines Sympathisanten des Rechten Sektors, einer politischen Gruppe mit Ursprüngen in der extremen Rechten, die heute als Bataillon in die ukrainischen Streitkräfte eingegliedert ist.“

Nazis in den ukrainischen Streitkräften?! Niemals!

„Diese Person wurde möglicherweise verraten und in seinem Haus wurden Symbole des Rechten Sektors gefunden. Er wurde in einem Gebäude in der Teploenergetikiv-Straße eingesperrt und erlitt zusammen mit einem weiteren Dutzend Gefangenen, mit denen er die Haft teilte, brutale Misshandlungen.
Dmitro Lubinetz, der Ombudsmann in der Ukraine, hat diese Woche angeprangert, dass es in den von den Russen in Cherson eingerichteten Haft- und Strafzentren sogar Zellen für Jugendliche gibt.“

Worin sich die wohl von denen für Erwachsene unterscheiden?

„Am nördlichen Stadtrand von Cherson gibt es einen Supermarkt, in dem Dutzende von Einwohnern Schlange stehen und darauf warten, Wasserkrüge zum Trinken und Waschen nachzufüllen. Unter ihnen teilten sie am Freitagmorgen Terrorerfahrungen, insbesondere psychologische, die sie erlitten hatten. Der 30-jährige Jevhenij Babitsch, vermißt 2 Freunde: Einer ist ein Ex-Polizist, sein Name wurde als solcher in die Akten des Rathauses aufgenommen; der andere war ein Aktivist, der in den ersten Tagen der Kapitulation der Stadt auf der Straße gegen die russischen Soldaten demonstrierte. »Unser Leben war in den Monaten der Besatzung wertlos«, sagt Babitsch.

Sascha Medvedjev, 33, wartet im Supermarkt, um jemandem zu helfen, der es brauchte. Er ist ein Flüchtling aus einem Dorf in der von Rußland besetzten Provinz Saporischschja. »Ich kenne niemanden, der verschwunden ist, aber sie könnten dich ohne Vorwarnung erschießen, das weiß ich aus erster Hand«, sagt Medvedjev. Auf die Frage nach dem Risiko einer erneuten Invasion von Cherson mit lokaler Unterstützung macht Medvedjev darauf aufmerksam, dass viele Kollaborateure aus der Stadt geflohen seien, »und viele andere von den Partisanen getötet wurden«.“

Mit „Partisanen“ werden diejenigen bezeichnet, die mit den ukrainischen Sicherheitskräften kollaborieren.
Es gab also rund um den Abzug der Russen und dem Einmarsch der Ukrainer eine Art freies Abrechnungswesen, das sicher von vielen genutzt wurde, die offene Rechnungen mit Nachbarn und Konkurrenten zu begleichen hatten.

Pressespiegel El País 17.11.: Russische Offensive in der Ukraine

DIE VEREINIGTEN STAATEN HALTEN EINEN MILITÄRISCHEN SIEG DER UKRAINE IN DEM KRIEG KURZFRISTIG FÜR UNWAHRSCHEINLICH

Russland verliert an allen Fronten und in allen Aspekten des Krieges – operativ, taktisch und strategisch –, aber das bedeutet nicht, dass die Ukraine in absehbarer Zeit große Chancen auf einen militärischen Sieg hat, sagte an diesem Mittwoch der Chef des US-Generalstabs, General Markus Milley.

Das höchste US-Militärkommando und Verteidigungsminister Lloyd Austin veranstalteten eine Pressekonferenz nach einem virtuellen Notfalltreffen der Kontaktgruppe für die Verteidigung der Ukraine – die aus mehr als fünfzig Ländern besteht –, 24 Stunden nach der Explosion eines Projektils in einem an die Ukraine grenzenden Gebiet in Polen, bei der zwei Menschen getötet wurden. Bis zum Abschluß einer Untersuchung sind die polnische Regierung und die NATO, mit den Vereinigten Staaten an vorderster Front, der Ansicht, dass es sich um eine ukrainische Flugabwehrrakete handelte, die abgefeuert wurde, um eine russische Rakete zu neutralisieren, und dass die Rakete zufällig auf der anderen Seite der Grenze landete. Allein an diesem Tag feuerte Moskau in der bisher intensivsten Bombardierung des Konflikts Dutzende von Raketen auf Ziele in dem Land, dessen Teile es seit Februar besetzt hat.
Die Ukraine hingegen besteht darauf, dass es sich um ein russisches Projektil gehandelt hat.

Washington ist der Ansicht, daß „unabhängig von den endgültigen Schlussfolgerungen klar ist, dass die letztendliche Verantwortung für diesen Vorfall bei Russland liegt, das eine Raketenlawine auf die Ukraine abgefeuert hat, die speziell darauf abzielt, ihre zivile Infrastruktur zu treffen. Die Ukraine hat jedes Recht, sich zu verteidigen.“ Diese Botschaft wurde im Sicherheitsrat des Weißen Hauses, im Außenministerium und im Pentagon immer wieder wiederholt.

„Was wir wissen, ist der Kontext, in dem all dies passiert ist. Russland häuft Rückschläge auf dem Schlachtfeld an und hat ukrainische Zivilisten und zivile Infrastruktur ins Visier genommen“, erklärte Austin bei der Eröffnung eines virtuellen Dringlichkeitstreffens der Kontaktgruppe für die Verteidigung der Ukraine, die für mehr als fünfzig Länder gebildet wurde.

Dieses Sperrfeuer von Angriffen auf das Stromnetz und andere grundlegende Infrastrukturen stellt eine Kampagne des „Terrors“ dar, die von Moskau gestartet wurde, nachdem es beim Erreichen seiner Ziele eine Reihe von Rückschlägen einstecken mußte. Nach dem russischen Rückzug aus Cherson, seiner beschämendsten Niederlage in den neun Monaten des Krieges, nutzt die Armee „die Zeit, um zu versuchen, ihre Streitkräfte neu zu formieren, und hat der ukrainischen Zivilbevölkerung eine Kampagne des Terrors mit maximalem Leid aufgezwungen, um sie zu demoralisieren“, fügte der oberste US-Militärchef hinzu. Seiner Meinung nach stellen diese Handlungen „Kriegsverbrechen“ dar.

Die Häufung russischer Niederlagen ging Hand in Hand mit den Erfolgen der ukrainischen Armee. Während seine defensive Reaktion in den ersten Monaten die Kommandeure anderer verbündeter Länder aufgrund seiner Stärke überraschte, wie Milley selbst zugab, hat die seit September unternommene Gegenoffensive es ihm ermöglicht, Tausende von Quadratkilometern zurückzuerobern, die von Russland besetzt waren. Kiew hat versprochen, den Druck auf die russischen Streitkräfte fortzusetzen, bis es gelingt, das gesamte von Moskau eingenommene Territorium zurückzuerobern. Einschließlich der Halbinsel Krim, die die Regierung von Wladimir Putin 2014 illegal annektierte.

Doch das US-Kommando hat davor gewarnt, einen militärischen Sieg in dem Konflikt zu erwarten. Trotz der Tatsache, dass Moskau in den Kriegsmonaten große Mengen an Ausrüstung, Fahrzeugen und Waffen verloren hat – „ich kann nicht sagen, wie viele, es handelt sich um geheime Informationen, aber es sind beträchtliche Zahlen“, erklärte der Militäroffizier –, ist seine Armee immer noch da und mächtig.

„Die Wahrscheinlichkeit eines militärischen Sieges der Ukraine, definiert als der Rauswurf der Russen aus ihrem gesamten Territorium, einschließlich des Teils, den sie mit der Krim beanspruchen – die Wahrscheinlichkeit, dass dies in naher Zukunft geschieht, ist aus militärischer Sicht nicht sehr hoch“, erklärte der General. Milley hat sich öffentlich dafür ausgesprochen, die kommenden Wintermonate, in denen voraussichtlich weniger Aktivitäten auf dem Schlachtfeld stattfinden, zu nutzen, um zu versuchen, einen Weg für Verhandlungen zu ebnen, die eine diplomatische Lösung des Konflikts ermöglichen.

„Und zwar aus politischen Gründen: Es könnte eine politische Lösung geben, wo sich die Russen aus politischen Gründen zurückziehen. Das ist möglich“, betonte Milley auf der Pressekonferenz im Pentagon. Russland „steht jetzt an der Wand“ und die Ukraine in einer Position der Stärke, die ideal für Verhandlungen ist.

Aber sowohl Militärführer als auch die US-Regierung haben wiederholt betont, dass die Entscheidung, „wann, wie und ob verhandelt wird“, von der Ukraine, dem angegriffenen Land, getroffen werden muß. Und Kiew ist im Moment nicht interessiert. Unterdessen beharrt Washington darauf, dass es der Ukraine jede notwendige Hilfe leisten werde, um sich zu verteidigen, „so lange es nötig ist“. Bisher haben die Vereinigten Staaten der Regierung von Präsident Wolodymyr Selenskyj mehr als 18 Milliarden US-Dollar an Militärhilfe zur Verfügung gestellt. „Die Ukraine wird weiterhin Widerstand leisten. Die Ukraine wird nicht klein beigeben“, meinte der US-General.

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Sowohl die ukrainische Provokation als auch die Äußerungen der US-Militärs sind offensichtlich ein Ergebnis des Treffens der Geheimdienstchefs Rußlands und der USA in Istanbul. Da wurden die Claims anscheinend abgesteckt und jeder legte seine Karten auf den Tisch.  

Die USA geben damit erstens der Ukraine zu verstehen, daß sie auf False Flag-Operationen nicht hereinfallen. Mit den USA kann die ukrainische Führung nicht wedeln wie der Schwanz mit dem Hund.
Zweitens schätzen sie die Erfolge der Ukraine als temporär ein und signalisieren auch, daß sich die USA für die ukrainischen – sehr maximalen – Kriegsziele nicht sehr weit aus dem Fenster hängen wird.
Mit dem Hinweis, Rußland stünde „mit dem Rücken zur Wand“ – der gleichzeitig in der ganzen Pressekonferenz dementiert wird – signalisieren sie der Ukraine, daß in ein paar Monaten die Bedingungen möglicherweise weitaus ungünstiger für die Ukraine wären.

Rußland gegenüber signalisieren sie Verhandlungsbereitschaft und stellen etwaige Gebietsabtretungen in Aussicht.

Gleichzeitig ist aber auch mit dem Hinweis auf Kriegsverbrechen ausgesprochen, daß an eine Rückkehr zum Status Quo Ante nicht zu denken ist. Rußland bleibt der Feind, auch wenn in der Ukraine die Waffen schweigen.
Wahrscheinlich ist auch kein dauerhafter Frieden angedacht, sondern lediglich ein Waffenstillstand.
Die Finanzministerin Janet Jellen hat vor einigen Tagen angekündigt, daß die Sanktionen bestehen bleiben werden, auch wenn der Krieg endet.

Allerdings wird auch anerkannt, daß Rußland in Zukunft – wenn das Training der derzeit Mobilisierten abgeschlossen ist – durchaus über militärische Schlagkraft verfügt. Diese Botschaft ist sowohl für die Verbündeten – Polen, Ukraine, UK – bestimmt als auch für Rußland selbst.

Was waren eigentlich die Kriegsziele der USA?

Das offizielle Ziel, Rußland zu schwächen, ist nur ein Teil der Strategie, derjenige, mit dem die NATO hinter den USA versammelt wurde.
Der Konflikt hat auch dazu gedient, die europäischen Verbündeten auf Linie zu bringen, die Geschäftsbeziehungen zu Rußland zu zerstören und die EU-Staaten in verstärkte Abhängigkeit von den USA zu bringen. Auf diesem Gebiet war die Politik der USA sehr erfolgreich, und das ist auch einer der Gründe, warum die letzten US-Wahlen sehr zugunsten der Regierung Biden ausgefallen sind.
Im Rest der Welt wurden auch Verbündete auf Linie gebracht.

Die USA bereiten sich langsam für das nächste Szenario vor, nämlich die Beziehungen Chinas zur EU zu unterbinden. Der Ukraine-Konflikt ist da im Weg. Deshalb wird der ukrainischen Regierung signalisiert: Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen.

Der Wiederaufbau des zerstörten Landes wird mit Sicherheit der EU überlassen werden.

Ein neuer Akteur im Ukraine-Krieg / 3. Weltkrieg

DER IRAN – BOMBENLIEFERANT, UND ÜBERHAUPT, STÖRENFRIED PER SE

Ganz so neu ist der Iran natürlich nicht in diesem ganzen Szenario. Immerhin kooperiert der Gottesstaat seit Rußlands Eingreifen in den Krieg in Syrien mit Moskau, und die Zusammenarbeit erstreckt sich auch auf militärische Kooperation und Rüstungsindustrie.

Durch die Feindschaft des Wertewestens werden seit geraumer Zeit die verschiedensten Staats- und Gesellschaftssysteme einander förmlich in die Arme getrieben. Für die westliche Meinungsmacherei sind das natürlich alles „Autokraten“, die sich gegen die Demokratie zusammentun, um ihre miesen Spiele weitertreiben zu können. Aber wenn man sich diesem einfachen und dümmlichem Freund-Feind-Schema nicht verschreibt, so ist unschwer festzustellen, daß in Rußland, im Iran, Nordkorea, Venezuela, Kuba, China oder Syrien sehr unterschiedliche Prinzipien von Herrschaft und überhaupt dem Verhältnis von Oben und Unten herrschen.

Der Iran und Rußland – lange Zeit eine unfriedliche Geschichte

Das Verhältnis des Iran zu Moskau war lange sehr schlecht. Zu Zeiten der Sowjetunion sahen die Mullahs da ein atheistisches System am Werk, das genauso abzulehnen sei wie das des großen Teufels USA.
Aber auch nach dem Zerfall der SU wurde man lange nicht warm miteinander. Dazu mögen historische Ressentiments ihren Teil beigetragen haben.

Immerhin war ein guter Teil des Transkaukasus persisches Staatsgebiet, bevor es der damaligen Safawiden-Dynastie von Rußland abgeknöpft worden war. Mit Berufung auf Hilfegesuche der christlichen Kaukasus-Völker wurden so unter Peter dem Großen und seinen Nachfolgern Georgien, Aserbaidschan und Armenien Teil Rußlands. Eine Zeitlang besetzten russische Truppen sogar die ganze kaspische Küste des damaligen persischen Reiches. Der einzige Grund, sich dann hin und wieder doch zu einigen, war der gemeinsame Feind Türkei – Persien war als Verbündeter gegen das Osmanische Reich gefragt.

Im Zuge des „Great Game“ zwischen dem British Empire und dem Zarenreich um den Einfluß in Mittelasien wurde Persien zu einem Pufferstaat, von dem beide Seiten auch gerne Stücke abbissen. Während des I. Weltkriegs nutzten diese beiden Mächte die Gunst der Stunde, um Persien zu besetzen – offiziell natürlich nur mit den besten Absichten, um es nicht dem Feind in die Hände fallen zu lassen. Ähnlich trieben es die beiden Mächte (bzw. statt des Zarenreiches eben die SU) im 2. Weltkrieg, und zogen erst nach dessen Ende wieder ab. Um die SU zum Abzug zu bewegen, schalteten sich die USA unter Truman ein, angeblich sogar mit einer Atombombendrohung. (Damals besaß die SU diese Waffe noch nicht.)

Damit begann der Einfluß der USA auf den Iran, die SU war ausgemischt. Um nicht ganz im Abseits zu landen, arrangierte sie sich im Laufe der Jahre mit dem Schah und ließ ihre persischen Anhänger der Tudeh-Partei mehr oder weniger im Stich. Die Unterstützung des Schah war einer der Gründe, warum die Islamische Republik mit der SU von Anfang an kein gutes Verhältnis hatte.

Der Zerfall der SU änderte zunächst an dem Verhältnis zwischen Moskau und Teheran wenig. Aber verschiedene Veränderungen in Rußland leiteten ein Tauwetter ein.

Man kommt einander näher

Unter Jelzin wurde 1997 ein Religionsgesetz erlassen, das den Islam als autochthone Religion Rußlands anerkannte (– zum Ärger des Wertewestens wurden Katholizismus und Protestantismus nicht als solche eingestuft, sondern als Importware betrachtet).

Als nächstes wurde der islamische Terrorismus zu einem Problem, das beide Seiten betraf. Immerhin war der sunnitische Fanatismus lange von den USA als Waffe gegen ihre Gegner eingesetzt worden, was Rußland im Kaukasus und der Iran an seinen Grenzen zu spüren bekam.

Schließlich brachten Krieg und Bürgerkrieg in Syrien die beiden Staaten näher zusammen. Die ersten, die Assad unterstützten, waren der Iran und die Hisbollah. Erst auf das ausdrückliche Hilfeersuchen Assads griff Rußland in Syrien ein. Das war weiten Kreisen der syrischen Bevölkerung sehr recht, weil damit eine säkuläre Macht dem iranischen Gottesstaat ein Gegengewicht entgegensetzte. Aber die Kooperation zwischen Rußland und dem Iran hat darunter nicht gelitten, man einigte sich auf gedeihliche Arbeitsteilung.

Ein sanktionsresistenter Staat

Was man vom Iran wirklich lernen kann, ist der Umgang mit Sanktionen. Die iranische Führung sieht sich seit Jahrzehnten der Feindschaft des Westens gegenüber und hat das alles ausgesessen.

In zwei Nachbarstaaten war US-Besatzung, auch das schwächte die Mullahs nicht. Im Gegenteil, der Einfluß des Iran im Irak und auch in Syrien ist gewachsen. Man wird sehen, wie sich das Verhältnis zu den Taliban entwickelt, da ist noch Luft nach oben.

Israel führt Terrorakte auf iranischem Gebiet aus, mit Stuxnet wurde ein sehr effizienter Computervirus auf die iranische Atomwaffenproduktion losgelassen. Auch das hat der Iran bewältigt, vermutlich auch mit Hilfe Chinas und Rußlands.

Der sanktionsbedingte Boykott der iranischen Energieträger hat dazu geführt, daß der Iran Methoden gefunden hat, ihn zu umgehen.

Jetzt schreien alle Zeter Mordio, weil der Iran Waffen an Rußland verkauft. Die EU erwägt neue Sanktionen.

Aber man fragt sich, womit kann der Westen diesem Land eigentlich noch drohen?

Regime-Change-Versuche durch unschuldige Opfer

Die Proteste wegen der angeblich in Polizeigewahrsam gestorbenen jungen Frau kurdischer Herkunft flauen allmählich ab, obwohl viele Akteure im Ausland versuchen, sie mit Telegram und anderen Diensten weiter anzufeuern.

Man muß hier daran erinnern, daß es nicht der erste Versuch war, im Iran einen Regime-Change durch Straßenproteste zu erreichen. Bereits 2009 gab es ähnliche Versuche nach dem Tod einer Demonstrantin, die unter dem Namen Neda zu einem Symbol für die angeblich nach Freiheit lechzende iranische weibliche Bevölkerung wurde.

Das Drehbuch ist gleich geblieben, die technische Ausführung der Anstachelung der Proteste hat Fortschritte gemacht.