EIN EU-MITGLIEDSSTAAT LÖST SICH AUF
Ich dokumentiere hier ab jetzt im Beitrag und in den Kommentaren die Ereignisse in Spanien im Zusammenhang mit den Unabhängigkeitsbestrebungen der katalanischen Separatisten und der Aktionen des spanischen Zentralstaates.
Das ist angebracht, weil wir sehen uns hier einem historisch einzigartigen Ereignis gegenüber (das natürlich seine Nachahmer finden kann und wird), der Zerlegung eines demokratischen Staates durch Zentrifugalkräfte und unter ratlosem Zuschauen der EU-Führung. Mit all den Folgen, die das für den Weiterbestand dieses imperialistischen Staatenbündnisses haben wird …
Die EU geht also nicht an einem äußeren Angriff zugrunde, sondern implodiert – ihre eigenen Widersprüche werden schlagend.
INFOS
Es stellt sich heraus, daß die Führung der Mossos, repräsentiert durch Josep Lluis Trapero, in ständigem Kontakt mit der Führung der Generalitat war, und nicht nur nix gemacht hat gegen die Abhaltung des Referendums in Schulen, und nicht nur die anderen Polizei-Einheiten behindert hat, sondern in einzelnen Fällen sogar selbst die Wahlurnen in die Wahllokale gebracht hat. Davon gibt es auch Fotos.
(El País, 9.10. 2017)
Um das Referendum zu ermöglichen, und die Abstimmungswilligen über ihre Wahllokale zu informieren, wählten die Independentisten eine Art Kettenbrief als Lösung. Alle Websites, wo sie die Orte bekanntgeben wollten, wurden natürlich vom spanischen Geheimdienst gesperrt.
Also wurden die Infos über die Wahlberechtigten – der Zensus der Wahlberechtigten Kataloniens – per Email und Kettenbrief verbreitet, was soviel heißt wie: alle persönlichen Daten – Name und Nachname, Geburtsdatum, Wohnort – wurden an ein privates Netz von Unterstützern weitergegeben.
Was da an Datenklau und Mißbrauch herauskommen kann, werden wir erst später erfahren.
Die Bürgermeisterin von Barcelona Ada Colau macht einen öffentlichen Auftritt, in dem sie die Separatisten darauf aufmerksam macht, daß mehr als 2 Millionen angeblicher Stimmen für die Unabhängigkeit deren Verkündigung nicht rechtfertigen.
(Katalonien hat 7,5 Millionen Einwohner)
Immer mehr spanische Banken und weitere Unternehmen versetzen ihren Sitz in andere Teile Spaniens.
Kategorie: Linke
Linke und die Nation
DER VÖLKISCHE CHARAKTER DER SELBSTBESTIMMUNG
Aus Anlaß der Unabhängigkeitsbestrebungen und Volksabstimmungen Kataloniens und des irakischen Kurdistan zeigen sich der nationalistische Charakter vieler „emanzipativer“ oder demokratischer Ideen.
Der wichtigste ist der der „Selbstbestimmung“. Unter dem Titel des „Selbstbestimmungsrechtes der Völker“ wurde die Landkarte Europas nach dem ersten Weltkrieg neu gestaltet. Während den Regierunden der neuen Staaten beschieden wurde, daß sie jetzt „selbst“ bestimmen könnten, was auf ihrem Territorium geschieht, war auf der anderen Seite genau genau vorgegeben, innerhalb welcher außenpolitischen und ökonomischen Bahnen sich diese neue Einheit zu bewegen habe.
Ähnlich wurde nach dem Ende des 2. großen Waffenganges die Landkarte des ganzen Globus im Zuge der Entkolonialisierung neu gezeichnet, und neue Staaten geschaffen, mit „eigenen“ Regierungen, also echten und richtigen Herrschaften. Deren Unabhängigkeit reichte genau so weit wie der Preis der Rohstoffe, die sie auf dem Weltmarkt verkaufen konnten, oder die Kredite, die sie zur Einrichtung ihrer neuen Staatswesen erhielten.
Das ist völlig folgerichtig und keine Ungerechtigkeit und kein Mißstand, wie viele Freunde von Unabhängigkeitsbewegungen beklagen.
„Selbst“ gibt nämlich gar keinen Inhalt vor, sondern nur ein Verfahren, wie geherrscht und gehorcht werden soll. Die Inhalte der solchermaßen geschaffenen Gebilde, ihre Staatsräson, muß von woanders kommen: Aus dem Willen der neuen Eliten, im Konzert der Nationen auf allen Ebenen mitzuspielen und sich dabei auch möglichst zu bereichern, und aus der imperialistischen Konkurrenz der Nationen, die solchen Anliegen Möglichkeiten bietet und Grenzen setzt.
Es ist nur natürlich, daß die Eliten, die die Unabhängigkeit ihrer Ministaaten anstreben, ihren Anhängern Milch und Honig versprechen, während sie möglichst trachten werden, in Zukunft in ihre eigenen Taschen zu wirtschaften. Weder die katalanische Bourgeoisie noch der Barzani-Clan in Kurdistan haben ja vor, Kommunismus einzuführen. In beiden Fällen ist weiter Privateigentum und dessen kommerzielle Verwertung vorgesehen.
Sie versprechen nur, die Einkünfte „im eigenen Land“ zu halten und nicht an irgendwelche fernen Hauptstädte zu versenden. In wessen Händen sie dann bleiben, ist dann Frage des zukünftigen inneren Machtkampfes.
So weit, so schlecht.
Die Frage ist jetzt, warum so viele Linke diese Ambitionen unterstützen, anstatt sie zu bekämpfen.. Die katalanischen Anarchisten unterstützen den „Proces“ in Richtung Abspaltung, genau unter dem Titel „Selbstbestimmung“. Auch andere Linke in Europa geraten in gröbere Verlegenheit, wenn sie zu den Vorgängen in Katalonien und Kurdistan Stellung beziehen wollen. Gegner der Unabhängigkeit Kataloniens werden gerne als Faschisten bezeichnet und mit dem Franco-Totschläger erledigt.
Kritik an Privateigentum und staatlicher Herrschaft ist offenbar „out“, „Nation“ und „Volk“ sind „in“.
Da sind aber die Rechten alleweil glaubwürdiger, die haben nie anderes gefordert. Kein Wunder also, wenn ihnen die Herzen der Staatsbürger zufliegen.
Wer also Volk oder Nation nicht gehörig kritisieren will, der soll vom Faschismus schweigen.
Kritik des Artikels aus GSP 2/17, Teil 2
KOMMUNISMUS ODER DOCH NICHT?
Schon der erste Satz hats in sich:
„Gut 70 Jahre waren in Rußland, ca. 45 Jahre in etlichen osteuropäischen Ländern Kommunisten an der Macht.“
In manchen Ländern nannten sie sich gar nicht Kommunisten, wie in Ungarn oder der DDR. Gerade Honecker mit seiner SED prägte den Begriff des „Realen Sozialismus“, um sich nicht immer an irgendwelchen kommunistischen Idealen messen zu müssen. Es gab also sowohl in der jüngeren Vergangenheit als auch in den Anfängen eine begrenzte Begeisterung gegenüber dem Kommunismus.
Ursprünglich startete die KPdSU als „Russische Sozialdemokratische Partei (Mehrheitler)“ in die Revolution. Später war dann die Rede von einem „Übergang zum Kommunismus“, den dann Chrustschow für beendet erklärte. Man konnte den Politikern und Ideologen der entsprechenden Staaten immer ein gewisses Unbehagen mit dem Begriff Kommunismus anmerken. „Sozialismus“ war ihnen auf jeden Fall lieber, das ist ein schwammiger Begriff, in den man viel hineinfüllen kann. „Kommunismus“ enthält jedenfalls immer einen Hinweis auf Gemeineigentum und damit eine Gegnerschaft gegenüber dem Privateigentum.
Wer jedoch immer gegen den „Kommunismus“ dort drüben wetterte, waren die imperialistischen Gegner und die ihnen ergebene Presse.
Man kann also sagen, diese Bezeichnung entspricht mehr einer Definition der Gegner als dem eigenen Selbstverständnis. Das gleich an den Anfang zu stellen, sich damit also einerseits mit ihnen auf eine Stufe zu stellen, nachdem man sich vorher von ihnen distanziert hat, und gleichzeitig die Wortwahl von Reagan & Co. zu übernehmen, der die letzte Seite im Buch des Kommunismus schreiben wollte und das, wenn man sich seiner Definition anschließt, auch getan hat – was erfährt der Leser hier eigentlich?
Im Weiteren wird ihm mitgeteilt, dieses System da drüben sei eine „Alternative“ gewesen. Alternative zu was? Zur Marktwirtschaft bzw. dem westlichen System von Geschäft und Gewalt?
Das unterstellt einerseits ein Gemeinsames. Das gleiche wird gemacht, nur auf andere Art. Was ist also das Gleiche? und was ist das andere?
Die Verwendung des Begriffes Alternative ist deswegen seltsam, weil es ein bekannter Einwand gegen jede Gesellschaftskritik ist, man hätte ja keine „Alternative“. Der Begriff gehört in die bürgerliche Parteienkonkurrenz, wo sich jede Partei als bessere Alternative zu den anderen präsentiert. Für Sowjetunion & Co. wäre eher „Gegenentwurf“ oder „praktische Kritik“ oder „staatlich gelenkte Wirtschaft“ oder so etwas in der Richtung angebracht.
Dann erfährt man, dieses Staatssystem war als Alternative „ziemlich haltbar“. Was soll eigentlich damit gesagt werden? Sie hats gegeben, Honecker läßt grüßen? Immerhin war es da, das andere System!
Umgekehrt ist es jetzt weg, also könnte man auch sagen – und so sieht es ja die triumphierende bürgerliche Welt – es war eben unhaltbar.
Dann erfährt man, die Alternative sei „radikal“ gewesen. Was heißt denn das? Es gab doch kein Gemeinsames? Ja, dann war es auch keine „Alternative“! Oder soll damit ausgedrückt werden, daß sie weiter links waren als die SPD? Sind damit die SU und die mit ihr verbundenen Staaten irgendwie befriedigend charakterisiert?
In dieser Wischiwaschi-Wortwahl geht es dann weiter, immer entlang an dem schon in der Überschrift angekündigten Widerspruch. Im Hauptsatz werden die Genossen da drüben umarmt, im Nebensatz werden sie abgewatscht. Einmal wird ihnen zugestanden, sie wären schon in der richtigen Richtung unterwegs gewesen, dann kommt unweigerlich die Distanzierung.
Das Perestroika-Buch wird beworben mit den Worten, in ihm erhielte man „Auskunft über die absolute Untauglichkeit des Ideals der Gerechtigkeit als Motiv und Leitfaden für die Beseitigung des Regimes der Privatmacht des Kapitals und der öffentlichen Gewalt, die sich deren systematisches Gelingen zum Anlaß macht.“ (S 100)
Pfff!
Das Ideal der Gerechtigkeit ist also angeblich untauglich für irgendetwas. Ist es dann für etwas anderes tauglich? Und wenn es „absolut“ untauglich ist, so ist es vielleicht relativ tauglich?
Gibt es eigentlich ein Ideal, das für irgendetwas Vernünftiges tauglich ist?
Umgekehrt, um Staat zu machen, ist dieses Ideal offenbar sehr tauglich.
Und dafür, die Privatmacht des Kapitals in der SU abzuschaffen, hat es offensichtlich auch getaugt.
Ich würde mir das Buch nach so einer Bewerbung nicht kaufen.
Der Rest des Artikels ist eine aufgewärmte Variation eines Abschnitts aus dem Polen-Buch von 1982. Da kann zwar einerseits nicht viel schiefgehen. Damals waren die Einsichten der MG wirklich bahnbrechend und stellten gegenüber der marxistisch-leninistischen Apologetik oder Anklage etwas Neues und Aufklärendes dar. Sie bezogen sich aber eben auf das fertige System des Realsozialismus. Man drückt sich also um eine Analyse des Ausgangspunktes herum, wenn man mit so einem alten Hadern anrückt, und ein rundes Datum als Aufhänger verwendet – noch dazu im Frühjahr!
Der Satz
„Die Staatsräson des realen Sozialismus galt der Herstellung neuer gesellschaftlicher Verhältnisse“
ist irreführend, weil als die Verhälnisse neu waren, gab es den Realen Sozialismus noch nicht, und als es ihn gab, waren sie nicht mehr neu,
„– einer Wirtschaftsordnung, die in ihren Zielsetzungen und Verkehrsformen ausdrücklich in Gegensatz zu den ökonomischen Maßstäben des Kapitalismus steht.“ (S 106)
Aha. Da merkt man, so toll wurde der nicht „redaktionell überarbeitet“, weil da müßte hier stehen: „stand“. Da wurde doch eher mit Copy-Paste gearbeitet. 😉
In so einem ausdrücklichen Gegensatz stand sie vielleicht doch nicht zum Kapitalismus, weil da hätte sie sich nicht immer mit ihm gemessen.
Das Polen-Buch erschien 3 Jahre vor dem Amtsantritt Gorbatschows, da war noch nicht absehbar, daß die SU sich selbst demontieren würde. Aber die Polen-Krise zeigte schon auf, daß der Handel mit dem Westen dieses angeblich so gegensätzliche Wirtschaftssystem aufweichte, ökonomisch als auch ideologisch.
Auf einen aufklärenden Artikel zur Oktoberrevolution selbst wartet das gespannte Publikum nach wie vor.