Off topic: Haustierhaltung als wachsender Geschäftszweig und Befriedigung des modernen Untertanengeistes

TIERLIEBE
„Wer die Menschen kennenlernt, liebt die Tiere.“ lautet ein vielzitierter chinesischer Spruch, der insofern ein Stück Wahrheit enthält, als die demonstrative Tierliebe oft mit einer abgeklärten Menschenfeindlichkeit einhergeht.
Es ist schon bemerkenswert: in Zeiten der europaweiten Krise, in der in manchen Ländern Südeuropas die Armenküchen wieder auftauchen, und in noch mehr Staaten der angeblich so wohlhabenden EU die Schulspeisung wieder eingeführt wurde – sogar in Deutschland –, weil offenbar immer mehr Menschen Schwierigkeiten haben, sich angemessen zu ernähren – in dieser Zeit stellt der Haustiermarkt ein ständig wachsendes Segment dar, das Kapital anzieht. Die Haustiere selber, die tierärztliche Versorgung derselben, das Tierfutter, Tierasyle, sonstiges Zubehör – das lassen sich die ständig ärmer werdenden Bewohner Europas einiges kosten, obwohl die Haustierhaltung eindeutig ein Luxusbedürfnis darstellt, auf das jeder Mensch gut und gern verzichten könnte.
Es stellt sich heraus, daß nicht nur die Armen und nicht nur die Reichen sich ein oder mehrere Haustiere leisten. Das Bedürfnis nach einem Haustier ist klassenübergreifend, es beruht nämlich auf der Mentalität des Staatsbürgers, seiner Moral und seinen sich daraus ergebenden Anforderungen an sein Umfeld.
Um Mißverständnisse zu vermeiden: hier geht es nur um diejenigen Tiere, die gehalten werden, um ein gesellschaftliches Bedürfnis zu befriedigen, nicht um daraus Nutzen zu ziehen, also nicht um Kühe, Hühner und dergleichen.
Bevor ich mich den Gründen für die Tierhaltung widme, nur einige Zahlen zu den marktwirtschaftlichen Dimensionen dieses Geschäfts: in Spanien wurden im Handel mit Haustieren, Tierfutter und Zubehör 2014 2,2 Milliarden Euro umgesetzt, was einem Zuwachs von 3% gegenüber dem Vorjahr bedeutet. Das ist weniger als ein Drittel dessen, was in Frankreich, Deutschland oder Großbritannien in dieser Sparte eingenommen wird. Der mit Abstand größte Markt sind die USA. Die Gruppe Mars/Banfield hat dort 900 Tiergeschäfte oder Veterinärkliniken und einen Umsatz von 33 Mrd. $ jährlich, die Gruppe PetSmart hat 1.400 große Verkaufsflächen in den USA und Kanada. Auch Nestle ist groß am Tierfuttergeschäft beteiligt.
Abgesehen vom Anstieg in absoluten Zahlen von Haustier per Haushalt zeigt sich ein Trend vom billigeren Trockenfutter zum teureren Konservenfutter, wo sich auch bereits eine Bio-Schiene und eine Billigschiene etabliert haben. In Spanien werden jährlich 1,100 € pro Haustier ausgegeben, in GB 2.500 €, in den USA 3.500 €. (El País, 27.6.)
I. TIER UND MENSCH – EIN LEISTUNGSVERGLEICH
1. Hund bzw. Katze versus Kind
Der immer noch weitverbreitete, aber zusehends abnehmende Kinderwunsch wird immer mehr durch die Haltung eines Haustieres befriedigt. Die Vorteile sind unübersehbar: erstens läßt sich das Tier leichter anschaffen: man geht in ein Tiergeschäft und kauft eines, oder zu einem Tierasyl, und besorgt sich von dort eines.
Das Tier gehört einem richtig, es ist also Eigentum und einem noch mehr ausgeliefert als ein Kind, bei dessen Befindlichkeit immer noch Vater Staat in Form von Fürsorge, Jugendgericht und Schule einiges mitzureden hat. Für einen Hund muß man nur Steuer zahlen, und dafür sorgen, daß er niemanden beißt. Inzwischen muß man noch mancherorten aufpassen, daß er keinen Schmutz macht.
Das Tier kann sich der Despotie seines Herrchens/Frauchens genausowenig entziehen wie deren Zuneigung – das Gefühl der totalen Übermacht befriedigt den Tierhalter sehr. Schließlich wird das Tier auch nicht „erwachsen“, es kommt in keine Pubertät, kann sich dem Willen seines Besitzers nicht widersetzen und bleibt immer gleich abhängig von ihm, was Unterkunft und Futter betrifft. Und es stirbt ja auch einmal natürlich, schneller als Menschen, sodaß eine gewisse Abwechslung garantiert ist.
Man kann es auch einfach wieder los werden, wenn man genug von ihm hat. Autotür auf und hinaus! – dergleichen geschieht landauf, landab in einem fort.
Die Tierfreunde, die sich über diese Behandlung der Tiere entrüsten, nehmen nicht zur Kenntnis, daß sich des Tieres oft aus den gleichen Gründen entledigt wird, wie es angeschafft wurde – zur Befriedigung der eigenen Moral, der Pflege der eigenen Persönlichkeit, die eine Zeitlang mit dem Vierbeiner geschmückt wurde.
2. Das Haustier als Partnerersatz
Auch in dieser Sphäre leistet das Haustier einiges. Durch das Betreten einer Verkaufsstätte für Haustiere spart man sich die Partnersuche im Wirtshaus oder am Internet. Man kann sich das Tier aussuchen, das einem am besten zusagt. Man kann ihm gegenüber Selbstlosigkeit und Hingabe praktizieren, und natürlich auch dann entsprechende Forderungen stellen bezüglich Gehorsam und Genügsamkeit. So werden oft viel zu große Hunde in viel zu kleine Wohnungen gezwängt, aber das muß der Wuffi halt aushalten als Preis, bei seinem Herrli/Frauli sein zu dürfen.
Unbedeutende Persönlichkeiten putzen sich durch besonders auffällige und oft sehr große Hunde auf. Es befriedigt sie, daß sie wegen dem Tier auf der Straße angestarrt werden oder sich nach ihnen umgedreht wird. Besitzer von Kampfhunden freut es, wenn andere sich vor dem Tier fürchten – sie haben sich also mit dem Vierbeiner denjenigen Respekt verschafft, der ihnen sonst von ihrer Umwelt gemeinerweise verweigert wird.
Umgekehrt können Hundebesitzer sich auch damit schmücken, daß sie sich besonders häßliche oder verkrüppelte Tiere anschaffen und damit aller Welt zeigen, daß sie ein Herz für die Außenseiter haben. Ihre Selbstlosigkeit und Güte wird sozusagen manifest, wenn sie sich mit dieser Kreatur auf der Straße oder im Park sehen lassen.
Schließlich kann ein Haustier auch die Partnersuche beflügeln. Die Vernarrtheit in den Vierbeiner schafft Gemeinsamkeiten zwischen Menschen, die sonst gar nichts gemeinsam haben, und zumindest auf Zeit über diese gemeinsame Leidenschaft zueinander finden. Solange, bis ein Partner entscheidet, daß er/sie doch mit dem Haustier besser bedient ist als mit der Person, an die einen das Haustier sozusagen vermittelt hat.
3. Das Haustier als Familienmitglied
Schließlich werden auch gerne von intakten Familien Tiere angeschafft. Entweder die Eltern wollen den Kindern „Verantwortung beibringen“, indem sie sie dazu verpflichten, für ein Tier zu sorgen. Das geht meistens schief, wenn das Kind nicht bereit ist, dieser Verpflichtung nachzukommen. Dann wird das Haustier eine Weile in der Familie zirkuliert, sorgt für schlechte Stimmung und wird schließlich entweder weitergegeben oder sonst irgendwie entsorgt.
Oder aber die Kinder wollen von sich aus unbedingt ein Haustier, weil sie gerne ein abhängiges Geschöpf haben, um das sie sich kümmern können. Sie haben bis dahin meistens schon gelernt, daß Tiere einfach „lieb“ sind, während Menschen – ob Gleichaltrige, ob Erwachsene – oft „böse“ oder zumindest unangenehm sein können. Tiere laufen damit im wortwörtlichen Sinn „außer Konkurrenz“. Auch in der sonstigen Erziehung läßt sich das Haustier gut benützen, als Vorbild fürs Kind, das seinen Teller nicht leer ißt oder sonst Scherereien macht: schau, wie brav der Wuffi ist!
Hier sei noch erwähnt, daß innerhalb der Haustierwelt sich Hunde einer noch größeren Wertschätzung erfreuen als Katzen, weil sie für diese ganzen Demonstrationen und Gefühle weitaus besser einzusetzen sind.
II. DIE HAUSTIERHALTUNG: ERGEBNIS UND GLEICHZEITIG SELBSTBEWUSSTES BEJAHEN DER KONKURRENZGESELLSCHAFT
1. Misanthropie als Mittel der Selbstdarstellung

Es ist nicht zu übersehen, wie ein gepflegtes Heruntermachen der Menschen und der menschlichen Gesellschaft inzwischen zum guten Ton des selbstbewußten Staatsbürgers gehört. Aus den Medien, auf dem Sachbuchmarkt und in der bürgerlichen Wissenschaft wird in einem fort angeführt, wie verantwortungslos der Mensch eigentlich ist und warum es der Staatsgewalt und aller möglichen Zwangsmaßnahmen bedarf, damit diese verlotterten Individuen nicht den Zusammenhang der Gesellschaft überhaupt gefährden.
Auch im Privaten, im Freundeskreis und im Wirtshaus und bei öffentlichen Veranstaltungen hört man immer wieder, wie dumm oder rücksichtslos „die Leut“ eigentlich seien. Ob Nachbarn, die sich alles auf Pump kaufen oder Arbeitskollegen, die die falschen Fernsehsendungen anschauen oder die falschen Zeitungen lesen, bis zu anonymen „anderen“, die zuviel wegschmeissen – dauernd hat der brave Bürger irgendwen anderen in der Reissn, an dem er etwas auszusetzen hat.
Diese solchermaßen bekrittelten Verhaltensweisen werden nie deshalb angeführt, um sich zu überlegen, warum diese Leute eigentlich diese Handlungen setzen. Da wäre in der Tat vieles erklärenswert. Nein, sie werden erwähnt, um die eigene Vortrefflichkeit gegenüber den anderen herauszustreichen, und die anderen als negatives Abziehbild der eigenen Gelungenheit auszumalen. Gleichzeitig wird damit unterschwellig das eigene Wertesystem propagiert und den anderen unterstellt, sie wären ja auch Teil dieser Wertegemeinschaft, die sparsam, fleißig und verantwortungsbewußt durchs Leben geht. Das Geschimpfe auf Abwesende ist somit gleichzeitig das Angebot an Anwesende, sich doch auch in diesem Moral-Sumpf zu suhlen und als anständige Menschen zu genießen.
Die Misanthropie hat auch in der ehemaligen politischen Linken Fuß gefaßt und wurde zur Begründung dafür, sich entweder völlig aus dem politischen Leben zurückzuziehen oder bei der politischen Rechten anzuwanzen. Das Proletariat ist verbürgert und verdummt, die Jugend denkt nur mehr an ihr Smartphone, man kann mit diesen Saftsäcken eh nichts mehr machen – so geht die allgemeine Leier an dieser Ecke.
Hier dient die Publikumsbeschimpfung der Feier der eigenen Abgeklärtheit, mit der man sich sowohl in seinem ultimativen Wissen über die Gesetze des Kapitals sonnt als auch über die Illusionen der früheren Jahre erhebt.
Diese trostlose bürgerliche Selbstbespiegelung kommt zwar ohne Tierliebe auch aus, paßt jedoch als Ergänzung gut zu ihr.
2. Mensch versus Tier – die Beantwortung der Schuldfrage
Der in den Geisteswissenschaften stets sehr beliebte Mensch-Tier-Vergleich war immer eine intellektuell anspruchslose und leicht durchschaubare Veranstaltung, mit der sich die Wissenschaft gegen die wohlbekannten Unterschiede dumm- und den Menschen als ein Mängelwesen hinstellte, der einen ihm nicht zukommenden Platz in der Hierarchie der Lebewesen einnimmt. Der Vergleich Mensch-Tier dient immer dem gleichen Zweck, dem Anprangern der menschlichen Hybris.
Heute ist diese Sichtweise schon fast common sense, wer sich ihr nicht anschließt, ein Außenseiter. An ihrem Elend sind die Menschen selber schuld, ob in Afrika, Griechenland oder hier, sie sind faul, dumm, denken nur an ihr unmittelbares Wohlergehen und wählen die Falschen. Jeder Gedanke an andere, bekömmlichere Gesellschaftsformen wird bereits im Vorfeld abgeschmettert, weil von dem Menschenmaterial, das heute auf der Welt herumgeistert, ist diesbezüglich nichts zu erwarten. Das liberale Credo der Marktwirtschaft paart sich ideal mit dem Lob der Tüchtigen, die Wohlstand verdienen, und der Verachtung der Untüchtigen, die mit ihrem Elend auch noch gut bedient sind.
Die armen Viecherln hingegen! Ausgebeutet, mißbraucht, nicht artgerecht gehalten, ausgesetzt – das füllt Kinder- und Jugendliteratur und ist längst in die Schulbücher eingegangen. Tiere sind unschuldig, sie können nichts dafür, wie mit ihnen umgegangen wird. Jeder anständige Mensch ist aufgerufen, die Tiere gegen seinesgleichen, die Zweibeiner zu beschützen. Die radikalsten Gesellschaftskritiker sind heute die Tierschützer.
Menschen hingegen sind schuldig, gehören ein- und weggesperrt, wenn sie was angestellt haben, und verdienen null Toleranz, wenn sie sich nicht nahtlos einfügen in unsere feine humanistisch orientierte Gesellschaft.
So schließt sich der Kreis zwischen politischem Konservatismus, bürgerlichem Selbstbewußtsein, veganer Ernährung und Haustierhaltung – alles, wie die obigen Zahlen zeigen, im Einklang mit dem Prosperieren der Marktwirtschaft.
Tierliebe
Naturliebe und Tierliebe kombiniert

„Spardiktate“ gegen „Staatsinterventionismus“

KRISENBEWÄLTIGUNG
Es kam, was kommen mußte: Nachdem es erst einen Mords Hype um Syriza gegeben hat, was das für tolle und menschenfreundliche Typen seien und wie die jetzt Griechenland und die EU umkrempeln werden, und nachdem Alexis Tsipras zu einer Art Messias stilisiert wurde, der in Berlin und Brüssel andere Seiten aufziehen wird – sind jetzt lange Gesichter angesagt, die neue griechische Regierung sei „umgefallen“, populistische Versprechen hätten sie gemacht, eigentlich hätten sie genauso gelogen wie alle anderen, ihr Programm von Saloniki hätten sie verraten usw. usf.
Das wirft erstens ein bezeichnendes Licht auf Gesellschaftskritik heute, die hauptsächlich auf der Suche nach irgendwelchen Lichtgestalten ist, aber außer moralischem Gejammer nichts gegen die herrschenden Verhältnisse einzuwenden hat. Die ihren Frieden mit Eigentum und Ausbeutung gemacht hat und dafür bitte bitte! doch ein bißl Soziales oben drauf gestreut haben will. Und ihre Erfolge hauptsächlich im Beklatschen von woanders stattfindenden Ereignissen feiert.
Gerade angesichts dessen, wie Syriza erst bejubelt wurde und wie jetzt etwas an Patina abblattelt, ist doch einmal zu untersuchen, was heute als „linkes“ Konzept gilt, und warum es per se nur als Programm existieren kann, in der Wirklichkeit aber scheitern muß.
Die „4 Pfeiler“ des Saloniki-Programms
Die 4 wichtigsten Aufgaben, die sich Syriza damals gestellt hat, sind:
1. Maßnahmen gegen die humanitäre Krise,
2. Neustart der Realwirtschaft,
3. Ein nationaler Plan zur Neuschaffung von Arbeitsplätzen,
4. Vertiefung des demokratischen Systems durch Wiederherstellung und Erweiterung der Rechte der Arbeitenden sowie auch die Neukonstitutierung des Status des Bürgers gegenüber der staatlichen Verwaltung. (Dieser 4. Punkt wird auf verschiedenen Websites unterschiedlich benannt, die Stoßrichtung ist jedoch klar.)
1. Maßnahmen gegen die humanitäre Krise
Was ist mit „humanitärer Krise“ eigentlich genau gemeint? Massenarbeitslosigkeit, keine Sozialhilfe, Obdachlosigkeit, daraus resultierendes Elend aller Art Flüchtlingsströme, die in Griechenland hängenbleiben und von Behörden und Neonazis drangsalisiert werden, usw. usf. – die Liste ist lang und die Symptome für diesen einigermaßen diffusen Begriff sind mannigfaltig. Vor allem werden keinerlei Ursachen benannt – dabei wäre es doch nötig, die einmal zu erforschen, um wirksam Maßnahmen dagegen ergreifen zu können.
Ein paar Angebote:
Kapitalismus
Geldwirtschaft
EU-Mitgliedschaft
Europäische Einheitswährung
Finanzkrise
Überschuldung
Spardiktat der Troika bzw. der EU bzw. Deutschlands
Je nachdem, was man als Ursache annimmt, ergeben sich nämlich ganz unterschiedliche „Maßnahmen“.
2. Neustart der Realwirtschaft
Diese 3 Worte geben Anlaß zur Interpretation bzw. verlangen danach. Mit „Realwirtschaft“ wird inzwischen derjenige Teil der Wirtschaft verstanden, der brauchbare und greifbare Waren hervorbringt, zum Unterschied von luftigen Finanzspekulationen, mit denen sich windige Banker die Taschen füllen. Der Haupt-Irrtum besteht darin, daß letztere weniger „real“ seien. Im Gegenteil, die Dealer des abstrakten Reichtums, die mit derjenigen Materie Handel treiben, in der alle Güter gemessen werden, dem Geld – sind die wirklichen Herren über Handel und Produktion und von ihnen hängt es ab, ob Fabriken auf- oder zusperren.
Aber auch der „Neustart“ hats in sich. Es tut ja so, als wäre eine nationale Wirtschaft etwas wie ein funktionierendes Räderwerk, in dem alle zusammenarbeiten und bei Schwierigkeiten muß ein Knopf gedrückt werden, das Gerät wird kurz heruntergefahren, und nachher flutscht wieder alles.
Eine Wirtschaft wie diejenige Griechenlands, die unter dem Druck der Konkurrenz auf dem Weltmarkt inzwischen ziemlich wenig produziert, soll also ho-ruck mit irgendwelchen Maßnahmen wieder zu einer florierenden – ja was nur? – Kapitalakkumulation? aufgepäppelt werden? Das würde ja bedeuten, daß man sowohl die Verwertungsinteressen des Finanzkapitals als auch die Konkurrenz des produktiven Kapitals in der EU für nichtig erklärt. Weil diese beiden Faktoren waren es ja, die die griechische Wirtschaft dorthin gebracht haben, wo sie jetzt ist. Als Mittel des ambitiösen Projektes bleibt also nur der gute Wille aller Beteiligten, ohne jede materielle Basis.
3. Ein nationaler Plan zur Neuschaffung von Arbeitsplätzen
Das klingt wie aus einem sozialdemokratischen Wahlkampf der 70-er Jahre. Das Evergreen der „Schaffung von Arbeitsplätzen“ zieht als Slogan ebensosehr, wie es in der Verwirklichung scheitern muß. Im Kapitalismus ist es nämlich das Kapital, das darüber entscheidet, wen es einstellt und wen es entläßt, und nicht der Staat.
Das keynesianische Ideal geht davon aus, daß es dem Staat als dem Schöpfer des nationalen Geldes und Garant des Kreditapparates möglich sei, sich als eine Art Ersatz-Unternehmer zu betätigen und damit Leben in die Akkumulations-Bude zu bringen. Das war schon in den Zeiten der vorigen Weltwirtschaftskrise verkehrt. Das Ende der Krise brachte der Krieg, nicht die konjunkturfördernden Maßnahmen. Dennoch hatte der „New Deal“ und ähnliche, von Keynes in seinem bekanntesten Werk „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ (1936) angeregte Maßnahmen durchaus seine Wirkung, zumindest auf die proletarischen Massen, aber auch auf den Rest der Gesellschaft: Sie nährte die Vorstellung, bei weiser väterlicher Staatsführung ließen sich die gesellschaftlichen Gegensätze harmonisieren, und schließlich käme wieder eine funktionierende Ökonomie zustande. Der Keynes selbst oder Galbraith zugeschriebene Ausspruch, Keynes habe so den Kapitalismus gerettet, ha da durchaus etwas für sich.
Und auch heute scheinen sich diese mit Keynes etwas aufgeputzten Ideale weiterhin zu bewähren, obwohl die Umstände weniger denn je dazu Anlaß geben, ihnen anzuhängen: Inzwischen ist Griechenland in einem Maße überschuldet, wie es in Vor-Euro-Zeiten für einen so beschaffenen Staat gar nicht möglich gewesen wäre, und ist nicht mehr der Herr über seine Kreditschöpfung oder sogar das nationale Budget. Daher soll dann das nationale Konjunkturprogramm gleich direkt aus Brüssel oder von der EZB finanziert werden.
Um so wichtiger der besonders schwammig formulierte Pfeiler 4:
4. Vertiefung des demokratischen Systems durch Wiederherstellung und Erweiterung der Rechte der Arbeitenden
Einerseits soll damit der Status quo ante, also der Zustand vor den durch die Troika erzwungenen Gesetzesänderungen wiederhergestellt werden. Sogar erweitern will Syriza die Arbeiterrechte. Damit ist eines einmal festgelegt: Am prinzipiellen Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit will diese Partei nicht rütteln. Daß die einen für die anderen arbeiten und sich die anderen mittels der von ihnen eingekauften Arbeit bereichern – das ist für Syriza erwünscht und das halten sie auch für eine gute Sache für die Betroffenen. Ebenso wie Punkt 3 ist die Lohnarbeit als Quelle des Einkommens für sie das Um und Auf einer gelungenen Volkswirtschaft. Ihre Kritik bezieht sich darauf, daß es davon viel zu wenig gibt.
Das alles soll aber von viel mehr Mitspracherechten und Basisdemokratie begleitet sein. Auch hier ist wieder ein Ideal über Demokratie und Klassengesellschaft zugegen: letztere soll genau dann gut funktionieren, wenn diejenigen, die durch ihre Arbeit den konkreten und damit auch den abstrakten Reichtum der Nation schaffen, durch Mitspracherechte ihr Einverständnis in diese Zusammenarbeit geben und damit ihr Gelingen ermöglichen.
Das alles kommt aus den Frühzeiten der Arbeiterbewegung und versieht seinen ideologischen Dienst auch heute: die Leute strömen zu den Urnen, machen ihr Kreuzerl und warten, daß irgendetwas Gutes von oben kommt. Wenn nicht, so warten sie auf die nächste Wahl – um sich wieder von jemandem anderen falsche Hoffnungen machen zu lassen – oder auch nicht.
Daß von Syrizas Plänen so wenig übriggeblieben ist, liegt nicht daran, daß sie gelogen haben, Verräter oder sonstwas sind: die Konstruktion des Euro, die Lage Griechenlands und die Vorgaben zur Eurorettung sind das enge Korsett, in dem sich eine griechische Regierung zu bewegen hat, und deshalb wird sich ihre Politik vermutlich nicht sehr von der von derjenigen der Regierung Samaras unterscheiden.
Es fragt sich natürlich auch, wie lange sie sich durchziehen läßt, weil die Schuldenpolitik Griechenlands hängt nicht allein von der dortigen Regierung oder Bevölkerung ab. Neben allem Elend, das in Griechenland herrscht, belastet der griechische Schuldendienst die restlichen Euro-Länder, und damit auch deren Kredit.
Wer wissen will, wie Keynes selbst den Zusammenhang von Kredit und Nachfrage sah, hier ein alter Vortrag.

Rechtsradikale, Antifas und die Ukraine

DIE NEUE RECHTE UND DER DRANG DER EU NACH OSTEN
Wenn die Linken in Europa etwas verdattert sind und sich nicht auskennen, was da eigentlich los ist und wie sie sich positionieren sollen, so ist das eine Sache. Es kann jedoch dem aufmerksamen Beobachter nicht entgehen, daß es am anderen Ende des politischen Spektrums ähnlich aussieht.
Wenn man den Teufel, den die Antifas über die Neonazis und rechten Parteien seit Jahren an die Wand malen, auch nur irgendwie ernst nehmen würde, so müßten diese doch anläßlich der Ereignisse in der Ukraine jubeln: Rechte Gruppierungen stürzen eine gewählte Regierung, Angehörige einer sich offen zu den faschistischen Traditionen des Landes bekennenden Partei formen einen Teil der neuen Regierung in wichtigen Positionen, und die Perspektiven, daß sie sich noch weiter ausbreiten können, sind nicht schlecht.
Wäre also an dem ganzen Tamtam über die Gefährlichkeit und die „Vernetzung“ dieser rechtsradikalen Gruppierungen in Mitteleuropa etwas dran, so müßten sich die Gratulationsdelegationen von Jobbik, FPÖ, NDP, Front National usw. in Kiew bei den Mitgliedern der Swoboda doch nur so die Klinke gegenseitig in die Hand drücken.
Aber seltsamerweise ist davon keine Rede, und die Führer und Sprecher dieser Fraktionen beobachten äußerste Zurückhaltung im Kommentieren der Lage in der Ukraine. Geert Wilders in Holland schimpft auf Marokkaner, Mölzer in Österreich bezeichnet die EU als Negerhaufen, aber zur Ukraine schweigen sie. Marine le Pen hingegen äußert sich und gibt der EU die Schuld an der „Krise“ in der Ukraine und begrüßt den Anschluß der Krim an Rußland.
Bei einer Konferenz von Rechtsextremen stellte ein Vertreter der britischen Rechten (BNP) gar fest, daß sich die europäische extreme Rechte hinter Putin zu stellen habe. Und ausgerechnet die NDP, die sich früher dezidiert mit der Swoboda verbündet hatte, verurteilt die „Wühlarbeit des Westens“ und distanziert sich von „prowestlichen und antirussischen Kräften“ in der Ukraine. (Tagesschau, 12.3.)
Das medienwirksame Händeschütteln des Swoboda-Chefs Tjahnibok mit einer strahlenden Catherine Ashton hat also die Swoboda ordentlich Sympathien gekostet. Es hat sie bei ihren vermeintlichen Gesinnungsgenossen im Westen desavouiert. Die Swoboda hat nämlich gemeinsame Sache mit den Regierungsparteien der EU und den USA gemacht und damit neben der regierungskritischen Position der Rechten auch den antiamerikanischen Ressentiments von NDP, Front National usw. Nahrung gegeben.
Den Vogel schießen die ungarischen Jobbik ab, die mit dem Hinweis auf die offen nationalistische und minderheitenfeindliche Position der Swoboda den Anschluß der Karpatoukraine an Ungarn fordern, zum Schutz der ungarischen Minderheit und mit Hinweis auf die Russen der Krim, die das ja auch dürfen. Sie nennen das eine „historische Chance“, die man tunlichst beim Schopf packen müsse.
An Jobbik und Swoboda merkt man sehr gut, daß sich Nationalisten verschiedener Nationen letztlich immer mißtrauisch bis feindselig gegenüberstehen, auch wenn sie gemeinsamen politischen Prinzipien huldigen.
Man könnte fast den Eindruck gewinnen, die Politik Rußlands und gerade Putin als Person – ein starker Führer, der weiß, was er will! – erfreuen sich bei den Rechten einer weitaus größeren Beliebtheit als bei den Linken. Diese wiederum sehen sich in eine unangenehme Nähe zu ihren politischen Gegnern gerückt, wenn sie sich kritisch zur EU-Politik in der Ukraine äußern.
Schließlich schätzen die Rechtsradikalen vermutlich – und das ist wirklich bemerkenswert – die Situation weitaus realistischer ein als die Regierungsparteien der EU: Ein wirtschaftlicher Anschluß auch nur der halben Ukraine würde das EU-Budget enorm belasten, wenn man die Gegend auch nur irgendwie brauchbar erhalten oder machen will. (Vor allem deutsche Rechtsextreme erinnern sich vielleicht an den Anschluß der DDR.) Und auf die EU könnten Flüchtlingswellen zukommen, die alles, woran die Xenophoben heute schon laborieren, in den Schatten stellen würden. Immerhin hat die Ukraine auch ohne die Krim immer noch 43 Millionen Einwohner. Die Ukraine-„Krise“ könnte also die „Überfremdung“ in Westeuropa verstärken. Dem mit allen Mitteln betriebenen „Drang nach Osten“ der EU könnte ein ganz anderer „Drang nach Westen“ folgen, sobald die Einreisebeschränkungen gelockert würden.