„Spardiktate“ gegen „Staatsinterventionismus“

KRISENBEWÄLTIGUNG
Es kam, was kommen mußte: Nachdem es erst einen Mords Hype um Syriza gegeben hat, was das für tolle und menschenfreundliche Typen seien und wie die jetzt Griechenland und die EU umkrempeln werden, und nachdem Alexis Tsipras zu einer Art Messias stilisiert wurde, der in Berlin und Brüssel andere Seiten aufziehen wird – sind jetzt lange Gesichter angesagt, die neue griechische Regierung sei „umgefallen“, populistische Versprechen hätten sie gemacht, eigentlich hätten sie genauso gelogen wie alle anderen, ihr Programm von Saloniki hätten sie verraten usw. usf.
Das wirft erstens ein bezeichnendes Licht auf Gesellschaftskritik heute, die hauptsächlich auf der Suche nach irgendwelchen Lichtgestalten ist, aber außer moralischem Gejammer nichts gegen die herrschenden Verhältnisse einzuwenden hat. Die ihren Frieden mit Eigentum und Ausbeutung gemacht hat und dafür bitte bitte! doch ein bißl Soziales oben drauf gestreut haben will. Und ihre Erfolge hauptsächlich im Beklatschen von woanders stattfindenden Ereignissen feiert.
Gerade angesichts dessen, wie Syriza erst bejubelt wurde und wie jetzt etwas an Patina abblattelt, ist doch einmal zu untersuchen, was heute als „linkes“ Konzept gilt, und warum es per se nur als Programm existieren kann, in der Wirklichkeit aber scheitern muß.
Die „4 Pfeiler“ des Saloniki-Programms
Die 4 wichtigsten Aufgaben, die sich Syriza damals gestellt hat, sind:
1. Maßnahmen gegen die humanitäre Krise,
2. Neustart der Realwirtschaft,
3. Ein nationaler Plan zur Neuschaffung von Arbeitsplätzen,
4. Vertiefung des demokratischen Systems durch Wiederherstellung und Erweiterung der Rechte der Arbeitenden sowie auch die Neukonstitutierung des Status des Bürgers gegenüber der staatlichen Verwaltung. (Dieser 4. Punkt wird auf verschiedenen Websites unterschiedlich benannt, die Stoßrichtung ist jedoch klar.)
1. Maßnahmen gegen die humanitäre Krise
Was ist mit „humanitärer Krise“ eigentlich genau gemeint? Massenarbeitslosigkeit, keine Sozialhilfe, Obdachlosigkeit, daraus resultierendes Elend aller Art Flüchtlingsströme, die in Griechenland hängenbleiben und von Behörden und Neonazis drangsalisiert werden, usw. usf. – die Liste ist lang und die Symptome für diesen einigermaßen diffusen Begriff sind mannigfaltig. Vor allem werden keinerlei Ursachen benannt – dabei wäre es doch nötig, die einmal zu erforschen, um wirksam Maßnahmen dagegen ergreifen zu können.
Ein paar Angebote:
Kapitalismus
Geldwirtschaft
EU-Mitgliedschaft
Europäische Einheitswährung
Finanzkrise
Überschuldung
Spardiktat der Troika bzw. der EU bzw. Deutschlands
Je nachdem, was man als Ursache annimmt, ergeben sich nämlich ganz unterschiedliche „Maßnahmen“.
2. Neustart der Realwirtschaft
Diese 3 Worte geben Anlaß zur Interpretation bzw. verlangen danach. Mit „Realwirtschaft“ wird inzwischen derjenige Teil der Wirtschaft verstanden, der brauchbare und greifbare Waren hervorbringt, zum Unterschied von luftigen Finanzspekulationen, mit denen sich windige Banker die Taschen füllen. Der Haupt-Irrtum besteht darin, daß letztere weniger „real“ seien. Im Gegenteil, die Dealer des abstrakten Reichtums, die mit derjenigen Materie Handel treiben, in der alle Güter gemessen werden, dem Geld – sind die wirklichen Herren über Handel und Produktion und von ihnen hängt es ab, ob Fabriken auf- oder zusperren.
Aber auch der „Neustart“ hats in sich. Es tut ja so, als wäre eine nationale Wirtschaft etwas wie ein funktionierendes Räderwerk, in dem alle zusammenarbeiten und bei Schwierigkeiten muß ein Knopf gedrückt werden, das Gerät wird kurz heruntergefahren, und nachher flutscht wieder alles.
Eine Wirtschaft wie diejenige Griechenlands, die unter dem Druck der Konkurrenz auf dem Weltmarkt inzwischen ziemlich wenig produziert, soll also ho-ruck mit irgendwelchen Maßnahmen wieder zu einer florierenden – ja was nur? – Kapitalakkumulation? aufgepäppelt werden? Das würde ja bedeuten, daß man sowohl die Verwertungsinteressen des Finanzkapitals als auch die Konkurrenz des produktiven Kapitals in der EU für nichtig erklärt. Weil diese beiden Faktoren waren es ja, die die griechische Wirtschaft dorthin gebracht haben, wo sie jetzt ist. Als Mittel des ambitiösen Projektes bleibt also nur der gute Wille aller Beteiligten, ohne jede materielle Basis.
3. Ein nationaler Plan zur Neuschaffung von Arbeitsplätzen
Das klingt wie aus einem sozialdemokratischen Wahlkampf der 70-er Jahre. Das Evergreen der „Schaffung von Arbeitsplätzen“ zieht als Slogan ebensosehr, wie es in der Verwirklichung scheitern muß. Im Kapitalismus ist es nämlich das Kapital, das darüber entscheidet, wen es einstellt und wen es entläßt, und nicht der Staat.
Das keynesianische Ideal geht davon aus, daß es dem Staat als dem Schöpfer des nationalen Geldes und Garant des Kreditapparates möglich sei, sich als eine Art Ersatz-Unternehmer zu betätigen und damit Leben in die Akkumulations-Bude zu bringen. Das war schon in den Zeiten der vorigen Weltwirtschaftskrise verkehrt. Das Ende der Krise brachte der Krieg, nicht die konjunkturfördernden Maßnahmen. Dennoch hatte der „New Deal“ und ähnliche, von Keynes in seinem bekanntesten Werk „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ (1936) angeregte Maßnahmen durchaus seine Wirkung, zumindest auf die proletarischen Massen, aber auch auf den Rest der Gesellschaft: Sie nährte die Vorstellung, bei weiser väterlicher Staatsführung ließen sich die gesellschaftlichen Gegensätze harmonisieren, und schließlich käme wieder eine funktionierende Ökonomie zustande. Der Keynes selbst oder Galbraith zugeschriebene Ausspruch, Keynes habe so den Kapitalismus gerettet, ha da durchaus etwas für sich.
Und auch heute scheinen sich diese mit Keynes etwas aufgeputzten Ideale weiterhin zu bewähren, obwohl die Umstände weniger denn je dazu Anlaß geben, ihnen anzuhängen: Inzwischen ist Griechenland in einem Maße überschuldet, wie es in Vor-Euro-Zeiten für einen so beschaffenen Staat gar nicht möglich gewesen wäre, und ist nicht mehr der Herr über seine Kreditschöpfung oder sogar das nationale Budget. Daher soll dann das nationale Konjunkturprogramm gleich direkt aus Brüssel oder von der EZB finanziert werden.
Um so wichtiger der besonders schwammig formulierte Pfeiler 4:
4. Vertiefung des demokratischen Systems durch Wiederherstellung und Erweiterung der Rechte der Arbeitenden
Einerseits soll damit der Status quo ante, also der Zustand vor den durch die Troika erzwungenen Gesetzesänderungen wiederhergestellt werden. Sogar erweitern will Syriza die Arbeiterrechte. Damit ist eines einmal festgelegt: Am prinzipiellen Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit will diese Partei nicht rütteln. Daß die einen für die anderen arbeiten und sich die anderen mittels der von ihnen eingekauften Arbeit bereichern – das ist für Syriza erwünscht und das halten sie auch für eine gute Sache für die Betroffenen. Ebenso wie Punkt 3 ist die Lohnarbeit als Quelle des Einkommens für sie das Um und Auf einer gelungenen Volkswirtschaft. Ihre Kritik bezieht sich darauf, daß es davon viel zu wenig gibt.
Das alles soll aber von viel mehr Mitspracherechten und Basisdemokratie begleitet sein. Auch hier ist wieder ein Ideal über Demokratie und Klassengesellschaft zugegen: letztere soll genau dann gut funktionieren, wenn diejenigen, die durch ihre Arbeit den konkreten und damit auch den abstrakten Reichtum der Nation schaffen, durch Mitspracherechte ihr Einverständnis in diese Zusammenarbeit geben und damit ihr Gelingen ermöglichen.
Das alles kommt aus den Frühzeiten der Arbeiterbewegung und versieht seinen ideologischen Dienst auch heute: die Leute strömen zu den Urnen, machen ihr Kreuzerl und warten, daß irgendetwas Gutes von oben kommt. Wenn nicht, so warten sie auf die nächste Wahl – um sich wieder von jemandem anderen falsche Hoffnungen machen zu lassen – oder auch nicht.
Daß von Syrizas Plänen so wenig übriggeblieben ist, liegt nicht daran, daß sie gelogen haben, Verräter oder sonstwas sind: die Konstruktion des Euro, die Lage Griechenlands und die Vorgaben zur Eurorettung sind das enge Korsett, in dem sich eine griechische Regierung zu bewegen hat, und deshalb wird sich ihre Politik vermutlich nicht sehr von der von derjenigen der Regierung Samaras unterscheiden.
Es fragt sich natürlich auch, wie lange sie sich durchziehen läßt, weil die Schuldenpolitik Griechenlands hängt nicht allein von der dortigen Regierung oder Bevölkerung ab. Neben allem Elend, das in Griechenland herrscht, belastet der griechische Schuldendienst die restlichen Euro-Länder, und damit auch deren Kredit.
Wer wissen will, wie Keynes selbst den Zusammenhang von Kredit und Nachfrage sah, hier ein alter Vortrag.

Rechtsradikale, Antifas und die Ukraine

DIE NEUE RECHTE UND DER DRANG DER EU NACH OSTEN
Wenn die Linken in Europa etwas verdattert sind und sich nicht auskennen, was da eigentlich los ist und wie sie sich positionieren sollen, so ist das eine Sache. Es kann jedoch dem aufmerksamen Beobachter nicht entgehen, daß es am anderen Ende des politischen Spektrums ähnlich aussieht.
Wenn man den Teufel, den die Antifas über die Neonazis und rechten Parteien seit Jahren an die Wand malen, auch nur irgendwie ernst nehmen würde, so müßten diese doch anläßlich der Ereignisse in der Ukraine jubeln: Rechte Gruppierungen stürzen eine gewählte Regierung, Angehörige einer sich offen zu den faschistischen Traditionen des Landes bekennenden Partei formen einen Teil der neuen Regierung in wichtigen Positionen, und die Perspektiven, daß sie sich noch weiter ausbreiten können, sind nicht schlecht.
Wäre also an dem ganzen Tamtam über die Gefährlichkeit und die „Vernetzung“ dieser rechtsradikalen Gruppierungen in Mitteleuropa etwas dran, so müßten sich die Gratulationsdelegationen von Jobbik, FPÖ, NDP, Front National usw. in Kiew bei den Mitgliedern der Swoboda doch nur so die Klinke gegenseitig in die Hand drücken.
Aber seltsamerweise ist davon keine Rede, und die Führer und Sprecher dieser Fraktionen beobachten äußerste Zurückhaltung im Kommentieren der Lage in der Ukraine. Geert Wilders in Holland schimpft auf Marokkaner, Mölzer in Österreich bezeichnet die EU als Negerhaufen, aber zur Ukraine schweigen sie. Marine le Pen hingegen äußert sich und gibt der EU die Schuld an der „Krise“ in der Ukraine und begrüßt den Anschluß der Krim an Rußland.
Bei einer Konferenz von Rechtsextremen stellte ein Vertreter der britischen Rechten (BNP) gar fest, daß sich die europäische extreme Rechte hinter Putin zu stellen habe. Und ausgerechnet die NDP, die sich früher dezidiert mit der Swoboda verbündet hatte, verurteilt die „Wühlarbeit des Westens“ und distanziert sich von „prowestlichen und antirussischen Kräften“ in der Ukraine. (Tagesschau, 12.3.)
Das medienwirksame Händeschütteln des Swoboda-Chefs Tjahnibok mit einer strahlenden Catherine Ashton hat also die Swoboda ordentlich Sympathien gekostet. Es hat sie bei ihren vermeintlichen Gesinnungsgenossen im Westen desavouiert. Die Swoboda hat nämlich gemeinsame Sache mit den Regierungsparteien der EU und den USA gemacht und damit neben der regierungskritischen Position der Rechten auch den antiamerikanischen Ressentiments von NDP, Front National usw. Nahrung gegeben.
Den Vogel schießen die ungarischen Jobbik ab, die mit dem Hinweis auf die offen nationalistische und minderheitenfeindliche Position der Swoboda den Anschluß der Karpatoukraine an Ungarn fordern, zum Schutz der ungarischen Minderheit und mit Hinweis auf die Russen der Krim, die das ja auch dürfen. Sie nennen das eine „historische Chance“, die man tunlichst beim Schopf packen müsse.
An Jobbik und Swoboda merkt man sehr gut, daß sich Nationalisten verschiedener Nationen letztlich immer mißtrauisch bis feindselig gegenüberstehen, auch wenn sie gemeinsamen politischen Prinzipien huldigen.
Man könnte fast den Eindruck gewinnen, die Politik Rußlands und gerade Putin als Person – ein starker Führer, der weiß, was er will! – erfreuen sich bei den Rechten einer weitaus größeren Beliebtheit als bei den Linken. Diese wiederum sehen sich in eine unangenehme Nähe zu ihren politischen Gegnern gerückt, wenn sie sich kritisch zur EU-Politik in der Ukraine äußern.
Schließlich schätzen die Rechtsradikalen vermutlich – und das ist wirklich bemerkenswert – die Situation weitaus realistischer ein als die Regierungsparteien der EU: Ein wirtschaftlicher Anschluß auch nur der halben Ukraine würde das EU-Budget enorm belasten, wenn man die Gegend auch nur irgendwie brauchbar erhalten oder machen will. (Vor allem deutsche Rechtsextreme erinnern sich vielleicht an den Anschluß der DDR.) Und auf die EU könnten Flüchtlingswellen zukommen, die alles, woran die Xenophoben heute schon laborieren, in den Schatten stellen würden. Immerhin hat die Ukraine auch ohne die Krim immer noch 43 Millionen Einwohner. Die Ukraine-„Krise“ könnte also die „Überfremdung“ in Westeuropa verstärken. Dem mit allen Mitteln betriebenen „Drang nach Osten“ der EU könnte ein ganz anderer „Drang nach Westen“ folgen, sobald die Einreisebeschränkungen gelockert würden.

Zum Jahresausklang

LEBEN MIT DER KRISE
Unter den Linken, vor allem den marxistisch-leninistisch inspirierten, gab es einmal so etwas wie Verelendungstheorien. Sie stützten sich auf die von Marx und vor allem von Engels vertretene Vorstellung, die Konzentration des Kapitals würde zu einer Polarisierung der Gesellschaft führen, die die Weiterexistenz der Arbeiterklasse verunmöglichen und deswegen unweigerlich zum Aufstand und zur Umwälzung der Produktions- und Eigentumsverhältnisse führen müßte.
Die erste Enttäuschung war, daß die – durchaus stattfindende – Konzentration des Kapitals nicht die Folgen für die bürgerliche Gesellschaft zeitigte, die von den Theoretikern des Sozialismus angenommen worden waren: Die Arbeiterklasse verelendete nicht, sondern konsolidierte sich als Ausbeutungsmaterial des Kapitals. Dazu trug das Wirken der Sozialdemokratie ein Wesentliches bei, auch die Herausbildung staatlicher Sozialpolitik, Arbeitsgesetzgebung usw.
Dennoch oder vielleicht gerade deshalb blieb der Traum von der Verelendung bestehen, – die, sollte sie doch einmal eintreten, allen Erniedrigten und Ausgebeuteten die Augen öffnen würde. Die Arbeiterklasse sei verbürgerlicht, „gekauft“, aber irgendwann würde denjenigen, die sie mit Geld und Arbeitsplätzen „bestechen“, das Geld ausgehen, und dann käme der Big Bang. Die bisher unter den Teppich gekehrten Gegensätze würden unüberwindbar, und den Armen und Elenden bliebe gar keine andere Wahl, als die Produktionsverhältnisse umzukehren.
Schon die letzte Weltwirtschaftskrise war diesbezüglich ein großer Flop. Die verelendeten Massen liefen beliebigen Rattenfängern hinterher, ergaben sich dem Alkoholismus, und pflegten ihren Nationalismus im großen Völkerschlachten.
Die jetzige Krise liefert ebenfalls ein bezeichnendes Sittenbild der arbeitenden Menschheit. Steigende Arbeitslosenzahlen – in Griechenland und Spanien mehr als 25%, EU-weit mehr als 10% – ohne Aussicht auf Verbesserung, und ein System der Arbeitslosenversicherung, das diese Last bald nicht mehr stemmen kann, prägen das Bild. Eines ist klar: das Kapital ist durch den gehorsamen Einsatz der Arbeitenden von gestern inzwischen so erfolgreich geworden, daß es alle Waren und Dienstleistungen, die auf dem Markt absetzbar sind, mit immer weniger Personen weltweit produziert und daher – nicht nur in Europa – immer mehr Menschen überflüssig macht.
Die Reaktionen der Betroffenen fallen völlig systemkonform aus: mit Demonstrationen und Petitionen fordern sie ihre Wieder-Benützung ein: Der Staat oder das Kapital soll gefälligst Arbeitsplätze für sie schaffen! Jugendliche „Empörte“ fordern Jobs, in denen sie sich bewähren können. In Ost- und Südeuropa demonstrieren die Massen gegen „Korruption“ und fordern gute und anständige Führer, die man wählen und denen man sich dann unterordnen kann. Systemkritiker fordern eine „gerechtere Verteilung“ der Steuerlast, ebenfalls von den Politikern, die gerade an der Macht und mit der Aufrechterhaltung der Klassengesellschaft beschäftigt sind.
Als Schuldige des Elends werden mit ungebrochenem Nationalismus die Elendsgestalten anderer Nationen dingfest gemacht: faule Griechen und andere parasitäre EU-Bürger, und Immigranten aus Afrika ff., die es auf „unseren“ Wohlstand abgesehen haben.
Zwischen Fast-Food, Reality-Shows, Krimis und Fußballmatchen hält sich die arbeitende Menschheit bei Laune für den Tag X, wenn sie doch wieder vom Kapital gebraucht werden könnte. An einem Fest wie Weihnachten zeigt sich noch einmal die grundlegende Zufriedenheit mit den Zuständen: Religion, Moral, Kitsch und Kaufwut bilden den vertrauten Kreis der Bedürfnisse des modernen Bürgers, der auf seine Illusionen genausowenig verzichten möchte wie auf seinen Anspruch, als anständiger Mensch anerkannt zu werden. In diesem rührseligen Schmarrn werden alle ökonomischen und politischen Gegensätze ertränkt, und jeder Außenstehende als Spielverderber gebrandmarkt. Religions- und andere Gemeinschaften, die sich dieser alljährlich wiederkehrenden Hysterie entziehen, sind per se höchst verdächtig.
Natürlich stünden die solchermaßen denkenden Menschen auch für andere Dienste zur Verfügung, wenn sie jemand einfordern sollte: Krieg gegen die Angehörigen anderer Nationen, oder Strafexpeditionen gegen Ungehorsame aller Art.
All das beweist nur eines: es liegt am Bewußtsein der Menschen, wie sie sich zu ihren Lebensumständen verhalten, nicht an Klassenlage, Herkunft, Geschlecht, Einkommen und Ähnlichem. Und nur wenn dieses Bewußtsein sich ändert, ist eine Änderung der Gesellschaftsordnung möglich.