Serie „Lateinamerika heute“. Teil 12: El Salvador

(ER)LÖSUNG NICHT IN SICHT
Der Name dieses Staates – „Der Erlöser“ steht in ziemlichem Kontrast zum Zustand, in dem es sich befindet.
Wie wir im Folgenden sehen werden, ist das nicht die einzige Ungereimtheit, der einem in El Salvador begegnet.

1. Land der Landlosen

Da das Gebiet des heutigen El Salvador keine Bodenschätze verbirgt, war es seit jeher auf die Landwirtschaft als Quelle der Bereicherung verwiesen.

Während der spanischen Kolonialherrschaft und noch einige Jahrzehnte später war das wichtigste Exportprodukt das Indigo, neben den üblichen Kolonialprodukten wie Kaffee, Kakao usw. Als die chemische Herstellung des Indigo die natürliche verdrängte, entwickelte sich der Kaffee zum wichtigsten Exportprodukt, und das ist er bis heute geblieben.
Rund um den Kaffeeanbau und -export entwickelte sich die Elite El Salvadors, und sie achteten auf ihre Einkommensquelle insofern, als sie sich nach und nach alles brauchbare Land für die Kaffee-Plantagenwirtschaft unter den Nagel rissen. Im Jahr 1882 schließlich wurde den indigenen Gemeinden ihr Land per Dekret weggenommen. Das führte dazu, daß die indigene, bäuerliche Bevölkerung ohne Land blieb, und entweder als Taglöhner oder als Kleinpächter der Großgrundbesitzer ihr Leben fristen oder in die Städte abwandern mußte. Es führte außerdem dazu, daß die Volksnahrungsmittel teilweise eingeführt werden müssen, was sie verteuert, weil das fruchtbare Land für Cash Crops verwendet wird.

Ein Präsident, der diese für die Mehrheit der Bevölkerung unerfreuliche Entwicklung mit Sozialprogrammen abfedern wollte, wurde 1913 umgebracht.

Das Mißverhältnis zwischen Armut und Reichtum mündete, verstärkt durch die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise, 1931/32 in einem von der kommunistischen Partei El Salvadors angezettelten und dann von den landlosen Bauern weitergetriebenen Aufstand.

Der neue starke Mann El Salvadors, Maximiliano Hernández Martínez, der sich im Dezember 1931 an die Macht geputscht hatte und auch vorher bereits den Repressionsapparat kontrolliert und ausgebaut hatte, machte kurzen Prozeß. Nachdem er den Gründer und Anführer der kommunistischen Partei El Salvadors, Agustín Farabundo Martí und einige seiner Genossen verhaften und ohne Verfahren erschießen hatte lassen, ging er mit aller ihm zur Verfügung stehender Gewalt gegen die Aufständischen vor.

Das ganze wirtschaftliche System El Salvadors, wo die Grundbesitzerklasse fast alles Land besaß und der Rest der Bevölkerung gar nichts, wollte verteidigt sein.

Bei der Niederschlagung des Aufstandes wurden Zehntausende von Menschen ohne irgendein Verfahren getötet. Dieses Vorgehen, das in El Salvador als „La Matanza“ bezeichnet wird – das Massaker, aber auch: Das große Morden – kam ganz ohne irgendwelche Beweise oder Rücksichtnahme aus. Es genügte, wenn jemand als Indigener erkennbar war, um ihn oder sie umzubringen, unabhängig vom Alter.
Die politische Klasse El Salvadors, die diesen Massenmord unterstützte, wollte ein für allemal klarstellen, daß die Nachfahren der Ureinwohner dieses Staates keinerlei Rechte besaßen, und jedes Einklagen derselben, geschweige denn Anspruch auf Land, mit dem Tod bestraft würden.

Das große Morden endete nicht mit der Niederschlagung des Aufstandes oder mit dem Jahr 1932. Hernández Martínez regierte bis zu seinem Sturz im Jahre 1944. Bis dahin blieb es lebensgefährlich, als Indigener erkennbar zu sein. Die indianischen Bewohner El Salvadors waren vogelfrei und konnten jederzeit von Militär, Polizei oder paramilitärischen Truppen liquidiert werden. Die Sprache der Ureinwohner, das Nahuat, wurde verboten.
Um zu überleben, legten die Indigenen El Salvadors ihre traditionelle Kleidung ab, gaben ihre Sprache auf und unterließen alles, was sie als Indigene kennzeichnen konnte. Das große Morden führte zur Auslöschung der indigenen Traditionen.
Ansonsten lebten sie weiter in großem Elend. Außerdem lehnte der Diktator jegliche Schulbildung für die bäuerliche Bevölkerung ab. Der Analphabetismus blieb das einzige Merkmal, das die Nachfahren der Ureinwohner von der kreolischen Oberschicht und den besser integrierten Mestizen grundlegend unterschied.

2. Die Kirche

a) Die Theologie der Befreiung in El Salvador
Als der Papst Johannes XXIII. das 2. Vatikanische Konzil einberief, um eine Erneuerung der Kirche einzuleiten, fielen die Beschlüsse dieses Konzils gerade in Lateinamerika auf sehr fruchtbaren Boden. Sie knüpften nämlich an die ruhmreicheren Traditionen der katholischen Kirche an, die vom Dominikanerpater Bartolomé de las Casas, dem „Vertreter der Indianer“ im 16. Jahrhundert begründet worden waren. Auf der Konferenz von Medellín verpflichteten sich die Bischöfe Lateinamerikas 1968 darauf, sich die Anliegen der Armen und Entrechteten zu eigen zu machen und sich um ihr Wohlergehen im Diesseits zu kümmern, anstatt sie bloß auf das Jenseits zu verweisen.

In keinem Land Lateinamerikas fanden diese Beschlüsse eine so flächendeckend positive Aufnahme wie in El Salvador. Ein guter Teil des Klerus’ El Salvadors, von den Barfuß-Geistlichen in den Dörfern bis zu den Seelsorgern in den Städten, und auch die Spitzen der Hierarchie machten sich daran, für ihre Schäfchen bessere Lebensbedingungen zu erstreiten. In Predigten, mit Initiativen zur Volksbildung, und mit Forderungen an die lokalen Behörden, doch Schulen zu errichten und die Landfrage auf die Tagesordnung zu setzen.
Sie arbeiteten dabei natürlich auch fallweise mit den in der Zwischenzeit entstandenen linken Guerillaorganisationen zusammen, die das Gleiche vorhatten.

b) Der Vatikan und El Salvador
Als Karol Wojtyla 1978 zum Papst gewählt wurde, war eines seiner wichtigsten Anliegen, die „Theologie der Befreiung“, sozusagen den Kommunismus innerhalb der Kirche, mit allen Mitteln zu bekämpfen. Ihm standen dabei Ernennungen von vakanten Posten, Hirtenbriefe und sonstige Anweisungen an die Diözesen zur Verfügung. Der Vatikan hatte es auch in der Hand, staatliche Repression gegen Geistliche zu rechtfertigen, als Willen Gottes gegen Abtrünnige, die den rechten Weg verlassen hatten.

In den 80-er Jahren wurde der Spruch „Bring einen Priester um!“ zu einer Art Anweisung an die Militärs und Paramilitärs von El Salvador. Und sie befolgten diese Anweisung. Bis heute sind nur die Morde an wichtigen Vertretern der Kirche und ausländischen Priestern und Missionaren Gegenstand von Untersuchungen. Wie viele unbekannte, unbedeutende Geistliche dran glauben mußten, wurde nie erfaßt.

Als der Erzbischof von San Salvador, Óscar Romero, 1980 am Altar während der Zelebrierung eines Gottesdienstes erschossen wurde, konnte der Auftraggeber dieses Mordes, Roberto D’Aubuisson, sicher sein, dafür den Segen des Papstes zu haben. (D’Aubuisson wurde später eindeutig als der Mann im Hintergrund ermittelt, er starb nur rechtzeitig, um nicht zur Verantwortung gezogen zu werden.) Der polnische Papst kann also als direkter Komplize dieses Mordes bezeichnet werden. Romeros Tod machte den Weg frei für eine Neubesetzung seines Postens. Seither sind die Erzbischöfe von San Salvador und der gesamte höhere Klerus des Landes verläßliche Unterstützer der weltlichen Macht, und im Vatikan konnten alle ruhig schlafen.
Óscar Romero ist heute heiliggesprochen und hat auch einen Platz auf der Westminster Abbey, wo Märtyrer des 20. Jahrhunderts als Statuen verewigt wurden. Seine Heiligsprechung war aber lange umstritten, weil sich die Frage auftat: Wurde er wegen seines Glaubens ermordet oder aus politischen Gründen? Nur im ersteren Fall kann er nämlich heiliggesprochen werden. Unter Ratzinger ruhte das Gesuch, erst Papst Franziskius sprach ihn 2015 erst selig und dann 2018 heilig.

c) Die Kirche heute
Inzwischen hat der Klerus in El Salvador verstanden, auf welcher Seite er zu stehen hat.
El Salvador hat das strengste Anti-Abtreibungsgesetz der Welt. Unter keinerlei Umständen ist Abtreibung erlaubt. Abtreibung wird bis zu 8 Jahren Freiheitsentzug geahndet, aber wenn eine Abtreibung als beabsichtigter Mord qualifiziert wird – was sehr üblich ist – so drohen bis zu 40 Jahren Haft.
Viele Fehlgeburten werden auch als Abtreibung eingestuft und damit eröffnet sich die Möglichkeit, auch da Strafen bis zu 40 Jahren Freiheitsentzug zu verhängen.
Alle möglichen NGOs und Menschenrechtsanwälte laufen gegen dieses Gesetz Sturm, bisher ohne Ergebnis.

Das Interessante ist: Wie kommt es zu diesem Gesetz?

Die von D’Aubuisson gegründete Partei ARENA erließ dieses Gesetz unter ihrem Präsidenten Armando Calderón Sol im Jahr 1998. Im Jahr darauf erhielt dieses Gesetz auch Verfassungsrang.
Der damalige Erzbischof von San Salvador, Fernando Sáenz Lacalle, unterstützte dieses Gesetz, ebenso wie die inzwischen zahlreich vertretenen evangelikalen Kirchen des Landes. Es war eine Art Bund zwischen der geistlichen und der weltlichen Macht in El Salvador, mit der sie ihre Zusammenarbeit besiegelten: Mit Recht und Gesetz gegen die Armen, und mit Gott!
Dieser Bund ist als eine Art Distanzierung gegenüber den Irrwegen der 70-er und 80-er Jahre zu verstehen, als sich die Kirche auf die falsche Seite begeben hatte.

3. Bürgerkrieg
Seit den 60-er Jahren bildeten sich Widestandsnester, aus Bauern, Studenten, Journalisten und anderen Unzufriedenen. El Salvador befindet sich eigentlich schon seit damals in einem Zustand des Bürgerkrieges. Es ist verkehrt, den Bürgerkrieg erst mit dem Jahr 1980 anzusetzen, wie das allgemein üblich ist.

Ein Ergebnis des allgemeinen Terrors gegen die Bevölkerung war die fälschlicherweise als „Fußballkrieg“ bezeichnete Auseinandersetzung mit Honduras im Jahr 1969. Die Regierung des ebenfalls nicht sehr prosperierenden Honduras eröffnete in diesem Jahr eine Art Hetzkampagne und Vertreibung gegen die aus El Salvador geflüchteten Bauern, die sich in den Grenzgebieten niedergelassen hatten. Das Land sei nicht deshalb knapp, weil es auch in Honduras Großgrundbesitz und Plantagenwirtschaft für Cash Crops gibt, sondern weil die Salvadorianer sich dort breitgemacht hätten, wurde den Honduranern mitgeteilt.

Im Zuge von Fußballspielen der Nationalmannschaften wurde dieser Konflikt international bekannt. Der Grund dieser Auseinandersetzung war der Terror, den die Regierungen beider Länder gegen ihre Landbevölkerung führten. Den Medien weltweit gefiel es jedoch, das als eine Art Spinnerei der Bevölkerung beider Staaten zu qualifizieren, die einfach fußballnarrisch oder nationalistisch waren. So mußte nicht die unangenehme Wahrheit bemüht werden, daß Eigentum Ausschluß bedeutet, und daß der Grund und Boden in beiden Ländern im Besitz einer privilegierten Schicht ist.

Die Auseinandersetzung zwischen Militärs, Polizei, Gendarmerie und paramilitärischen Gruppierungen einerseits, und Studentenorganisationen, Gewerkschaften, Landarbeiterorganisationen und Guerilla andererseits erreichte nach der Ermordung Romeros einen neuen Höhepunkt. Damals verließen die Kommunistische Partei und mit ihnen verbündete Gruppen den Weg der demokratischen Wahl, der aufgrund des salvadorianischen Wahlsystems und des Klientelismus nie zu Wahlsiegen führen konnte, und wählten den Weg des bewaffneten Widerstandes.

Gegen den Gewaltapparat des Staates hatten sie nie eine Chance. Viele Mitglieder des Militärs und Geheimdienstes von El Salvador waren in der School of the Americas ausgebildetet worden. Sie praktizierten eine Politik der verbrannten Erde gegenüber jeglicher Art von Widerstand. Gegen Studenten, Landarbeiter, Gewerkschafter und sonstige Subversions-Verdächtige wurde alles aufgeboten, was gut und teuer war: Entführungen, extrajudikale Hinrichtungen, Auslöschung ganzer Dörfer, Folter und Verstümmelung, usw. usf.

Es wurde dabei auch das Land verwüstet, das die Bauern genutzt hatten, sodaß heute in El Salvador viel Land brachliegt, das die landlosen Bauern nicht nutzen können und die Grundherren nicht nutzen wollen.

Der Bürgerkrieg in El Salvador hat nach offiziellen Angaben um die 75.000 Tote gefordert.

Vor diesem Terror flüchteten viele Bewohner El Salvadors: in die Nachbarländer Honduras, Guatemala, Nicaragua. Und mehr als eine Million in die USA.

4. Die Banden
Die Flüchtlinge aus El Salvador waren mehr oder weniger die unterste Schicht der lateinamerikanischen Flüchtlinge. Sie hatten gar nichts und keinen Staat, der sie irgendwie schützte. Die politische Klasse El Salvadors war froh, sie los zu sein. Sie betrachtet ja schon seit langem die Besitzlosen des Landes als überflüssig, unnötig und gefährlich für ihre eigene privilegierte Position.

Die Immigranten fingen also ganz unten an und wurden bald auf das US-Bandenwesen für die Armen und Elenden verpflichtet. Um überleben zu können, bildeten sie eigene Banden und brachten sich gegenüber Schwarzen und anderen Lateinamerikanern weiter, die alle mehr Erfahrung im Leben als Outlaw angesammelt hatten. Die Kids aus EL Salvador lernten schmerzhaft und verlustreich, wie man sich in der unmittelbaren Gewalt-Konkurrenz bewährt.

Im Jänner 1992 wurden die Friedensverträge von Chapultepec in Mexiko unterzeichnet. Sie stellten ein völlige Niederlage der Guerilla und der Landlosenbewegung dar. Alles blieb beim alten, das Land blieb bei den Großgrundbesitzern, und die Militärs und sonstigen Killer erhielten mehr oder weniger Straffreiheit. Um nicht eine ganz schiefe Optik zu erzeugen, wurden einige Schlichtungs- und Wahrheitskommissionen ins Leben gerufen.

Damit war die Duldung der El Salvadorianer in den USA vorbei – jetzt ist ja alles in Ordnung, keine Gefahr mehr in der Heimat! – und sie wurden in großen Mengen ausgewiesen und „nach Hause“ deportiert. Jede Menge armer Schlucker stand auf einmal in El Salvador auf der Straße und hatte nichts. Es ist begreiflich, daß sie zum Überleben das Einzige einsetzten, was sie aus den USA mitgebracht hatten: Organisierte Gewalt.

Die Banden beherrschen heute das Alltagsleben El Salvadors. Die größte, die Mara Salvatrucha, soll zwischen 50.000 und 100.000 Mitglieder haben. Sie operiert auch in den Nachbarländern.

Wer das nötige Kapital in El Salvador hat, kann sich bis an die Zähne bewaffnete Schutztruppen leisten. Außerdem wissen die Banden ganz genau, an welche wichtigen Leute sie sich nicht heranwagen dürfen.
So bleiben Kleingewerbetreibende als Objekt für Schutzgelderpressung, und wer nichts zu bieten hat, kann sich immer noch für Prostitution oder Mitgliedschaft in der Bande einspannen lassen. Wer nein sagt, wird bald tot in einem Straßengraben gefunden.

Der herrschenden Klasse El Salvadors kommt diese Selbstverwaltung der Armut durchaus gelegen, bei allem Gejammer. Die Maras bilden, ähnlich wie die Mafia und verwandte Organisationen in Italien, ein „Sottogoverno“, eine Sub-Regierung: Sie machen den Staatsterror gegen die Armen auf eigene Faust und kosten die Staatskasse nichts.

Gerade einmal ist ein junger Mann aus El Salvador mit seiner kleinen Tochter im Rio Bravo ertrunken, weil er unbedingt in die USA gelangen wollte.
Migration

Nun ja.
Es ist jedenfalls nachvollziehbar, warum jemand aus einem Land wie El Salvador abhauen möchte.

17 Gedanken zu “Serie „Lateinamerika heute“. Teil 12: El Salvador

  1. Hier wird deutlich gemacht, wofür Entwicklungshilfe gut ist, und daß die Beschränkung der Einwanderung eine reine Gewaltfrage ist:
    US-Regierung will Hilfsgelder zur Opposition in Venezuela kanalisieren
    Laut einem Bericht der US-Entwicklungsbehörde USAID an den Kongress sollen 41,9 Millionen US-Dollar, die als Entwicklungshilfe für El Salvador, Guatemala und Honduras bestimmt waren, wegen einer “akuten” Krise, die “das nationale Interesse” der USA betreffe, an die Opposition in Venezuela umgewidmet werden.
    https://amerika21.de/2019/07/229022/usa-leiten-hilfsgelder-zu-venezuela-um
    USAID ist, wie Kenner der Region wissen, immer eine Art Zusatzfinanzierung für CIA-Aktionen gewesen. Aber der Anzug dieser Gelder aus Mittelamerika in voller Anti-Immigrations-Politik ist doch erwähnenswert.

  2. El Salvador und Venezuela brechen diplomatische Beziehungen ab
    Vor seiner Wahl im Juni hatte Bukele angekündigt, er wolle “distanzierte” Beziehungen zu Caracas sowie ein enges Verhältnis zu den USA unterhalten. Nach seinem Amtsantritt erkannte die Regierung in San Salvador den venezolanischen Parlamentspräsidenten Juan Guaidó als Interimspräsidenten Venezuelas an. … Allerdings änderte dies vorerst nichts an den diplomatischen Beziehungen mit der Regierung des sozialistischen Präsidenten Nicolás Maduro.
    https://www.derstandard.at/story/2000110638694/el-salvador-und-venezuela-brechen-diplomatische-beziehugnen-ab
    Da hat wohl wer etwas Druck gemacht.

  3. El Salvadors Präsident Nayib Bukele: Skrupellose Macht

    Bis heute inszeniert sich Bukele als “Antipolitiker”, der mit dem alten System aufräumt. Ohne Krawatte und häufig mit Baseballkappe auftretend, vermittelt er ein Bild des Wechsels, das ihm nicht nur die Unterstützung seitens der jüngeren Wählerschichten sichert. Dass seine Politik wenig kohärent ist, stört seine Anhänger und Anhängerinnen nicht. Ebenso wenig, dass er bis heute, mehr als ein Jahr nach seinem Amtsantritt am 1. Juni 2019, kein Regierungsprogramm vorgelegt hat – sein Programm ist er selbst.
    Ähnlich wie sein US-Amtskollege verbringt er viel Zeit damit, sich selbst zu loben – und andere zu diskreditieren. In dutzenden Tweets pro Tag und aufwendig inszenierten Filmchen präsentiert der Präsident vermeintliche Wohltaten der eigenen Regierung und schmäht all jene, die es wagen, ihm zu widersprechen und Kritik an seiner Politik zu üben.
    Wie Donald Trump setzt auch Bukele auf Polarisierung. Doch an Rücksichtslosigkeit hat der salvadorianische Präsident sein Vorbild im Weißen Haus längst übertroffen.

    https://www.derstandard.at/story/2000118759887/el-salvadors-praesident-nayib-bukeleskrupellos-an-der-macht

  4. In El Salvador wenig Neues:

    Ein missratener Teufelspakt in El Salvador

    El Salvador, der Däumling Mittelamerikas, führte über Jahre hinweg die Rangliste der gewalttätigsten Länder der Erde an. Anfang 2021 sanken plötzlich die Mordraten rapide – von 50 Morden pro 100.000 Einwohner auf 19. Die Bevölkerung, die bis dahin in Geiselhaft der Kriminellen war, atmete auf.

    Präsident Nayib Bukele brüstete sich mit dem Erfolg und nutzte ihn für seine Wahlkampagne zur Eroberung der Parlamentsmehrheit. Vor zwei Wochen fand die Ruhe ein jähes Ende: Innerhalb eines Tages starben 87 Menschen bei einem brutalen Rachefeldzug der kriminellen Banden.

    "Sie zogen durch das Viertel und schossen wild um sich", berichteten Betroffene der Presse. Jeder, der sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen konnte, wurde zur Zielscheibe – eine Hausfrau, ein Surfer, ein Funktionär, eine Straßenhändlerin. Die Leichen wurden öffentlichkeitswirksam auf den Straßen liegen gelassen. Es war der blutigste Tag in der Geschichte des Landes seit Ende des Bürgerkriegs im Jahr 1992. (…)

    Pakt mit den Banden

    Was genau zur Eskalation führte, ist unklar. "Die Banden haben inzwischen gelernt, dass Morde eine makabre Methode sind, um die Aufmerksamkeit der Regierung zu bekommen", schrieb das auf Kriminalität spezialisierte Portal Insight Crime.

    Die Vermutungen reichen von einem möglichen Bruch des Pakts mit der Regierung bis zu einem Aufbegehren der unteren Ränge der Banden. "Bislang nutzte der Pakt vor allem den inhaftierten Bandenbossen", sagte der Anthropologe und Sicherheitsexperte Juan Martínez d’Aubuisson dem Nachrichtenportal. "Nun könnte die zweite Garde die gleiche Strategie benützen, um ihrerseits Zugeständnisse zu bekommen." (…)

    https://www.derstandard.at/story/2000134944991/ein-missratener-teufelspakt-in-el-salvador

  5. El Salvadors Präsident riegelt im Krieg gegen kriminelle Banden ganze Städte ab

    Mit harter Hand drückt Nayib Bukele die Mordraten in dem zentralamerikanischen Land nach unten. Der Preis dafür: ein ständiger Ausnahmezustand und die Allmacht der Sicherheitskräfte.

    8500 Soldaten und 1500 Polizisten haben am vergangenen Wochenende die im Grossraum San Salvador gelegene Stadt Soyapango durchkämmt. Die Sicherheitskräfte rückten mit gepanzerten Fahrzeugen und Überwachungsdrohnen an. Sie nahmen nach eigenen Angaben 140 Pandilleros fest, jugendliche Gangster, die kriminellen Banden angehören, sogenannten Maras. Ihr Geschäftsmodell besteht aus Erpressungen, Entführungen und Drogenhandel.

    Präsident Nayib Bukele räumt der Bekämpfung der Banden höchste Priorität ein. Sie agieren von diversen Gebieten Zentralamerikas bis in die USA hinauf. Die beiden wichtigsten Maras in El Salvador sind Barrio 18 und der Mara Salvatrucha, auch bekannt unter dem Kürzel MS-13. Nachdem die Banden im März das Land mit einer Mordwelle überzogen hatten, verhängte Bukele den Ausnahmezustand. Seitdem wurden rund 59 300 Personen festgenommen.

    Die jüngste Mobilisierung der Sicherheitskräfte stelle die fünfte Phase seines Planes zur territorialen Kontrolle dar, erklärte Bukele im November. Sein Ziel: Er will die Herrschaft der Gangs vor allem in den Armenvierteln brechen. Bereits im Oktober hatten rund 2000 Sicherheitskräfte die Stadt Comasagua abgeriegelt und rund 50 Verdächtigte festgenommen. «Es funktioniert», kommentierte Bukele erfreut den damaligen Testlauf für Abriegelungen noch grösserer Städte.

    Der 41 Jahre junge Bukele, der sich selbst als coolsten Präsidenten der Welt bezeichnet und das Land angeblich mithilfe seines Twitter-Accounts regiert, hat jeder Phase der Verbrechensbekämpfung ein Motto vorangestellt. Die erste der sieben geplanten Phasen stand 2019 unter dem Motto «Vorbereitung»: Sicherheitskräfte wurden in Verbrechens-Hochburgen entsandt, und Gang-Chefs in den Gefängnissen isoliert.

    In Phase 2, «Gelegenheit» genannt, investierte das Land in Viertel mit hohen Verbrechensraten und eröffnete unter anderem Jugendzentren. In Phase 3 wurde die «Modernisierung» der Sicherheitskräfte angegangen. Während der Phase 4 «Eindringen», die Mitte 2021 begann und bis 2026 dauern soll, wird die Zahl der Militärs von 20 000 auf 40 000 aufgestockt. Die neuste Phase heisst «Extraktion». Näheres zu den beiden ausstehenden Phasen verrät Bukele nicht.

    Ein von Gewalt gezeichnetes Land

    El Salvador gilt seit Jahrzehnten als eines der gefährlichsten Länder weltweit. Nach dem Ende des blutigen Bürgerkriegs 1992 nahm die Macht krimineller Banden rapide zu. 2015 wurde mit mehr als 6600 Morden, was 103 Opfern pro 100 000 Einwohnern entspricht, ein trauriger Rekord aufgestellt. Es waren die Zeiten der Bandenkriege um die Vorherrschaft in den Gebieten. Danach sank die Mordrate. Im Jahr 2019, als Bukele das Präsidentenamt übernahm, wurden nur noch rund 2400 Morde registriert. Trotzdem verbreitet Bukele das Narrativ, dass die Gewalt erst dank seiner Politik der harten Hand abnahm.

    Tatsächlich kann er Erfolge verbuchen. Nachdem in 2021 noch etwa 1100 Morde registriert worden waren, waren es im laufenden Jahr bisher nur noch 600. Die verbesserte Sicherheitslage trägt zu Bukeles aussergewöhnlich hohen Beliebtheitswerten von über 80 Prozent bei. Nach Jahrzehnten unkontrollierter Gewalt empfinden viele Salvadorianer die neue Sicherheit als Moment des gesellschaftlichen Aufbruchs.

    Kritik am Ausnahmezustand

    Menschenrechtsgruppen wie Amnesty International beklagen hingegen, dass in den Armenvierteln junge Männer oft aufgrund ihrer Tätowierungen, ihrer Kleidung und ihres Haarschnitts willkürlich verhaftet würden. Diese gelten für die Sicherheitskräfte als Erkennungsmerkmale der Maras. Bereits im Juli hatte Amnesty beklagt, der Ausnahmezustand sei «ein Freibrief für die Regierung, jegliche Kritik an ihrer Politik zu kriminalisieren und mit Haft zu bestrafen». Durch die ständige Verlängerung des Ausnahmezustands würden wichtige Grundrechte ausgesetzt.

    Kritik an seinem zusehends autoritären Regierungsstil musste Bukele seit seinem Amtsantritt auch aus den USA und der EU hinnehmen. Daraufhin hatte er die Beziehungen zum Westen heruntergefahren. Zudem erwidert er, dass die Aktionen ausschliesslich Kriminellen gelten würden, ehrliche Bürger hätten nichts zu befürchten.

    Medienberichte aus den betroffenen Vierteln zeichnen jedoch ein anderes Bild. Statt wie früher Angst vor den Maras zu haben, fürchten die Bewohner nun die allmächtigen und unantastbaren Sicherheitsbehörden, die durch ihre Viertel patrouillieren. Es wird von willkürlichen Verhaftungen bis hin zu Folter durch die Beamten berichtet. Nach der Vertreibung der Maras sollen korrupte Beamte bereits deren illegale Geschäfte übernommen haben.

    https://www.nzz.ch/international/kriminelle-banden-el-salvadors-praesident-laesst-staedte-abriegeln-ld.1715585

    El Salvador scheint sich zu einem Modell-Land für einen Polizeistaat zu entwickeln. Man fragt sich nur, wie dieser ständig wachsende Gewaltapparat finanziert wird? Das Bitcoin-Experiment war ja auch ein Schlag ins Wasser.
    Wie im Artikel bereits angedeutet, vermutlich aus den gleichen Geschäften, die durch ihn unterbunden werden sollen.

  6. Seit der Verhängung des Ausnahmezustands im März oder April 2022 wurden über 60.000 Personen verhaftet, die kein Recht auf einen Anwalt und nicht einmal auf ein Gerichtsverfahren haben.

    Der Ausnahmezustand wird jeden Monat verlängert, dank einer bequemen Mehrheit für Bukeles Partei und Politik im Parlament. 180 Personen sind seither nach offiziellen Angaben verstorben, davon die Hälfte nach ihrer Verhaftung.

    (El País, 2.1.)

  7. "KRIEG GEGEN DIE BANDEN"
    El Salvador baut "Megagefängnis" für 40.000 Insassen als Zeichen gegen Bandenkriminalität

    Die ersten 2.000 Insassen sind am Freitag in das Riesengefängnis verlegt worden, das laut dem salvadorianischen Präsidenten das größte Amerikas sein soll

    Das neu eröffnete "Megagefängnis" in El Salvador soll das größte in ganz Amerika sein. Am Freitag hat die salvadorianische Regierung nun die ersten rund 2.000 beschuldigten Bandenmitglieder in das 40.000 Personen fassende Gefängnis in Tecoluca rund 75 Kilometer südöstlich der Hauptstadt San Salvador verlegt. Es ist der jüngste Schritt der Regierung El Salvadors in einem umstrittenen und harten Vorgehen gegen die Bandenkriminalität. Zum Vergleich: Die oberösterreichische Stadt Steyr fasst beinahe genauso viele Einwohner.

    (…)

    https://www.derstandard.at/story/2000143935924/el-salvador-baut-megagefaengnis-fuer-40-000-insassen-als-zeichen

    Man fragt sich, was dann in diesem Gefängnis mit den Leuten gemacht wird, die hier schon so, hmmm, wie Schlachtvieh versammelt sind.

  8. „Eine Anklageschrift der Staatsanwaltschaft gegen 13 Anführer der Mara Salvatrucha (MS-13) bei einem Bundesgericht im Bundesstaat New York wirft zwei hochrangigen Beamten der Regierung des salvadorianischen Präsidenten Nayib Bukele vor, mit der Bande zwischen den Jahren 2019 und 2021 eine Reduzierung von Tötungsdelikten ausgehandelt zu haben – im Austausch gegen“ (im Artikel nicht näher spezifizierte) „Vorteile.

    Laut dem Dokument, das das Justizministerium am Donnerstag veröffentlichte, entschied sich die Regierung des »Generation Y«-Präsidenten, der jetzt einen »Krieg« gegen Banden führt, zunächst mindestens zwei Jahre lang für Verhandlungen, um eine Reduzierung der Morde zu erreichen, was seiner Popularität zugute kommen sollte.“

    (El País, 26.2.)

    Was dieses Verfahren und diese Anklage wohl soll? Wird ein Sturz Bukeles vorbereitet, weil er den USA irgendwo in die Quere kommt?

    Die Welt würde nichts verlieren, aber auch nichts gewinnen.

  9. In El Salvador wurde Ende 2022 ein Nationales Bitcoin-Amt eingerichtet.

    Die Regierung Bukele zieht schon seit einiger Zeit alle möglichen Bitcoin-Gurus und -Esoteriker an.
    Ein Paar aus den USA, Max Keiser und Stacey Herbert, sind die Chefs dieses neuen Amtes. Vorher waren sie Bitcoin-Gurus und auch Investoren in den USA. Sie verbinden sich mit der Welt über Twitter und andere soziale Medien. So etwas wie eine offizielle Website oder irgendwie belastbare Informationen über die ganze Bitcoin-Business gibt es nicht.

    Man weiß nur so viel, daß bisher 200 Millionen US$ in die Bitcoin-Infrastruktur – für Geldautomaten und eine Mobilanwendung – ausgegeben wurden. Keiser und Herbert behaupten, in El Salvador ehrenamtlich tätig zu sein, aus Interesse an der guten Sache. Sie sind aber fest im internationalen Bitcoin-Geschäft drinnen. Bukele verbreitet, echte Spezialisten ins Land geholt zu haben.
    Das Amt in El Salvador ist für die beiden Bitcoiners eine politische Aufwertung, es verleiht ihrer bisher recht luftigen Tätigkeit sozusagen Gewicht. Es gibt bereits salvadorianische Bitcoin-Botschaften in der Schweiz und in Texas.

    Der IWF, die Rating-Agenturen und die US-Regierung beobachten diese ganzen Entwicklungen mit etwas Bauchweh.

    „Im Juni 2021 hatte der Präsident von El Salvador angekündigt, daß die digitale Währung neben dem Dollar die offizielle Währung in seinem Land sein würde. Es war während der Welt-Bitcoin-Konferenz in Miami, einem Mega-Event mit Konzerten, Sumo-Ringern, Präsentationen im Stil von Televangelisten und Slogans wie »Tod dem Dollar« oder »Alle gegen die Federal Reserve«. Kryptoevangelisten hassen den Staat, weil sie ihn für den Feind dessen halten, was sie »individuelle Souveränität« nennen. (…)
    Der messianische Ton und die Tendenz zur Show sind auch bei Bukele vorhanden. In Anlehnung an die Veranstaltung in Miami fand Ende des Jahres die »Bitcoin Woche von El Salvador« statt. Zum Ende der Party projizierte eine riesige Leinwand auf der Hauptbühne am Fuße des Strandes in neonblauen Buchstaben die Worte: „Der Präsident“. Eine Batterie von Laserlichtern, Rauchkanonen und Feuerwerkskörpern tauchte den Himmel in Farbe und Lärm, als der Präsident das Mikrofon ergriff: »Als Alexander der Große die Welt eroberte, beschloss er, 20 Alexandrias in seinem gesamten Reich zu errichten. Diese Städte waren Hoffnungsträger für den Rest des Planeten. Wir müssen unser erstes Alexandria hier in El Salvador errichten. Lasst uns Bitcoin City bauen.«

    Beim Entwurf von Bukeles Atlantis wird die Stromversorgung von geothermischer Energie aus einem nahe gelegenen Vulkan abhängen.
    Und das Geld für die Einrichtung von Schulen, Krankenhäusern und dem Rest der Dienstleistungen wird aus den sogenannten Vulkananleihen oder Bitcoin-Anleihen kommen: neue salvadorianische Staatsschuldverschreibungen, die durch das Bitcoin-Portfolio gedeckt sind. Anderthalb Jahre nach der Ankündigung und trotz der Warnungen des IWF ist das Gesetz fertig, das Emissionen von bis zu 1 Milliarde Dollar erlaubt.“

    Der Dollar ist – neben dem Bitcoin – El Salvadors offizielle Währung.

    „An diesem ganzen Prozess war auch das Ehepaar Keiser-Herbert beteiligt. Laut einer Untersuchung des Wall Street Journal wird die Muttergesellschaft ihrer beiden Fonds, Bitfinex, nicht nur die technologische Plattform für Emissionen bereitstellen, sondern auch eine Lizenz für den Handel als Händler beantragen.“

    Ein früherer Bitcoin-Geschäftsmann ist eingefahren bei dem Versuch, die Überweisungen der Arbeitsmigranten – die 20% des BIP in El Salvador ausmachen – über Bitcoin zu organisieren, das hat nicht geklappt. Nur 2% der gesamten Überweisungen werden in Bitcoin gemacht.
    Auch ein Versuch, das Land als Innovations-Paradies zu bewerben und darüber Touristen anzuziehen, ist schiefgegangen.

    (El País, 2.4.)

  10. Anläßlich der Verhaftung des Mara-Bosses in Mexiko erfährt man auch einiges über El Salvador:

    „Die US-Behörden behaupten, der Einfluss von El Indio und einem Dutzend Anführern der Führungsspitze der MS-13 hatte ging bis in die Regierung von El Salvador. Sobald sie einen ihrer Anführer gefangen nahmen, lösten sie Chaos und Gewalt aus. Wenn die Behörden sich weigerten zu verhandeln, griffen sie Beamte, Soldaten, Polizisten und Zivilisten an und töteten sie. Selbst inhaftiert, setzten sie Masken auf, um ihre Gesichter zu bedecken, und Kleidung, um ihre Tätowierungen zu verbergen, und gingen in ihre Zellen ein und aus, um sich mit Spitzenpolitikern zu treffen.
    »Die Angeklagten waren aktiv an öffentlichen Gewaltdemonstrationen beteiligt, um die Zivilbevölkerung zu bedrohen und einzuschüchtern, Territorien zu gewinnen und zu kontrollieren und den Wahlprozess in El Salvador zu manipulieren«, verlautet von der der Staatsanwaltschaft des Eastern District of New York.
    Das ist das Gericht, vor dem Joaquín »El Chapo« Guzmán und Genaro García Luna, der ehemalige mexikanische Minister für öffentliche Sicherheit, angeklagt und verurteilt wurden.

    Im Jahr 2012, während der Regierung von Mauricio Funes, organisierte die linksgerichtete Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) Geheimverhandlungen mit der Führung der MS-13 und mit Barrio 18, ihren wichtigsten Rivalen, laut Gerichtsdokumenten, die El País erhalten hat.“

    Die FMNL war damals eine legale Partei, der auch Funes angehörte. Sie war also Regierungspartei und war den ewigen Bürgerkrieg, auch gegen Banden, satt.

    „Ziel war es, einen Waffenstillstand zu erreichen, um die Mordrate in El Salvador zu senken. Im Gegenzug versprach die Regierungspartei, Bandenmitglieder in weniger strenge Gefängnisse zu verlegen, bessere Haftbedingungen, eheliche Besuche und Barzahlungen zuzulassen.
    Die Behörden verweisen auf den »Indianer« Ayala als Schlüsselfigur der Vereinbarung mit »Beamten, Politikern und Nichtregierungsorganisationen innerhalb und außerhalb des Gefängnisses«. Innerhalb eines Jahres sank die Mordrate von knapp über 70 pro 100.000 Einwohner im Jahr 2011 auf 41 im Jahr 2012.

    Die Banden versprachen der FMLN auch Stimmen von Verwandten und Freunden der Bandenmitglieder sowie von Menschen, die in von ihnen kontrollierten Vierteln leben.
    Parallel dazu klopfte die salvadorianische Führung der MS-13 auch an die Tür der rechtsgerichteten Nationalen Republikanischen Allianz (Arena), der politischen Rivalin der FMLN, und machte ihnen dasselbe Versprechen. Der Waffenstillstand endete 2015, ein Jahr nachdem Salvador Sánchez Cerén – von derselben Partei wie Funes, der FMLN – Präsident geworden war.
    Die MS-13 warf damals der salvadorianischen Regierung vor, dem Druck Washingtons nachgegeben zu haben, el Salvador jede finanzielle Unterstützung zu verweigern, wenn das zentralamerikanische Land den Pakt mit den Banden nicht beende.
    Wütend ordneten Salvatrucha-Führer mehrere Attentate in El Salvador und den USA an. Die Leiter der Mara schufen eine spezielle Zelle, um die Polizei anzugreifen, errichteten militärische Ausbildungslager und kauften Maschinengewehre, Granatwerfer und Bomben, um die Behörden zu unterwerfen.“

    Die USA, die seinerzeit viel dazu beigetragen hatten, um das Entstehen dieser Banden zu befördern, durch ihre Unterstützung gegen die damals als Guerilla auftretende FMLN, stürzte durch ihre Forderung El Salvador in einen neuen Bürgerkrieg.

    „Die Waffen wurden aus Mexiko eingeführt, wo die Banden aus El Salvador laut Gerichtsakten seit 2007 Fuß gefaßt haben. Und die Gewalt begann erneut. 2015 kamen 103 Tötungsdelikte auf 100.000 Einwohner. Es wurde als das gewalttätigste Jahr in der Geschichte des Landes angesehen.“

    Das sind bei der geschätzten Einwohnerzahl von El Salvador – 6,5 Millionen – 6700 Tote.

    „Nayib Bukele trat bei den Präsidentschaftswahlen 2019 mit der Losung an, die Korruption der traditionellen Parteien beseitigen zu wollen.
    Laut US-Behörden hörten die MS-13-Verhandlungen mit Politikern aus dem gesamten Spektrum zu diesem Zeitpunkt nicht auf. In einer weiteren Runde geheimer Verhandlungen mit der scheidenden Regierung von Sánchez Ceren in den Gefängnissen von Zacatecoluca und Izalco demonstrierten die Bandenmitglieder, dass sie die Oberhand hatten: Sie verließen das Gefängnis, ohne sich auszuweisen, durften ihre Zellen unter falschem Vorwand verlassen und sich in Krankenhäusern behandeln lassen und amtliche Ausweise vorlegen, die sie als Polizei- oder Geheimdienstagenten ausweisten.
    Das alles, während sie von den Sicherheitskräften selbst eskortiert werden. Sie forderten neue Gesetze, um mildere Strafen zu erhalten und Auslieferungsverfahren zu verhindern.

    Als Bukele an die Macht kam, wurden diese Pakte nach Angaben der USA fortgesetzt. Anstatt Arena und FMLN Stimmen zu bringen, hatten die Banden auf »Neue Ideen«, die Partei des neuen Präsidenten gesetzt. Die US-Behörden sagen, dass MS-13 maßgeblich zum Sieg von »Neue Ideen« bei den Parlamentswahlen 2021 beigetragen hat. Die Regierungspartei gewann mit 56 Abgeordneten, das sind zwei Drittel der Parlamentssitze.“

    Gegen die Maras kann man in El Salvador offenbar keine Wahl gewinnen.

    „Im selben Jahr wurde“ in den USA „ eine neue Anklage gegen 14 Mitglieder der Ranfla Nacional veröffentlicht, und die Regierung von Bukele versicherte, dass sie bei der Auslieferung von Elmer Canales Rivera, alias »El Crook de Hollywood«, zusammenarbeiten werde. Der Bandenchef wurde im Juni 2021 in San Salvador festgenommen, nachdem ein roter (= sehr dringlicher) Interpol-Haftbefehl gegen ihn ausgestellt worden war.
    Einen Monat später ließen ihn die salvadorianischen Behörden frei. Zuvor, im Mai, entließ die von der Regiungspartei kontrollierte Legislative den Generalstaatsanwalt und fünf Minister des Obersten Gerichtshofs. Washington weist darauf hin, dass das klare Beweise für die geheimen Absprachen sind, die zwischen den Behörden und den Banden bestehen.

    Im Juli 2020, ebenfalls während der Bukele-Administration, veröffentlichte die salvadorianische Presse unter Berufung auf Justizminister Rogelio Rivas, dass der »Indianer von Hollywood« gefangen genommen worden sei. »Das einzige, worauf er hoffen kann, ist das Gefängnis«, sagte Rivas laut den veröffentlichten Aussagen.
    Im Februar dieses Jahres weihte die Regierung von Bukele ein Mega-Gefängnis für bis zu 64.000 Bandenmitglieder ein, Bilder, die um die Welt gingen und zum Symbol des im vergangenen Jahr vom Präsidenten verhängten Ausnahmezustands wurden.“

    Bukele trat offenbar in gewisser Weise die Flucht nach vorn an, verhaftete das Fußvolk und ließt die Führer frei mit der Aufforderung, El Salvador zu verlassen.

    „Im selben Monat erließen die USA eine Anklage gegen 14 MS-13-Führer, darunter den Indianer. Drei Jahre nach seiner angeblichen Gefangennahme erschien Ayala frei in Mexiko.

    In El Salvador häufen sich die Fragen nach seinem mysteriösen Erscheinen mehr als 1.300 Kilometer von der Stelle entfernt, an der er 2020 gefangen genommen worden war. Der Waffenstillstand zwischen Bukele und den Banden wurde im Mai 2022 beendet, laut offiziellen Sprechern der MS-13 und Audioaufnahmen der Verhandlungen, die von El Faro, einem der renommiertesten Medien des zentralamerikanischen Landes, veröffentlicht wurden.“

    El Faro mußte – vermutlich deshalb – inzwischen El Salvador verlassen.

    „Der Präsident hat wiederholt die Existenz eines solchen Pakts mit den Gangmitgliedern bestritten.“

    Natürlich. Zugeben darf er ihn nicht.
    Man versteht aber jetzt Bukeles Setzen auf Bitcoin, um von dem in El Salvador als landesweite Währung zirkulierenden Dollar wegzukommen.

    (El País, 21.4.)

  11. El Salvador: Ex-Präsident wegen Kooperation mit Banden verurteilt

    El Salvadors Ex-Präsident Mauricio Funes ist wegen rechtswidriger Verhandlungen mit kriminellen Jugendbanden in Abwesenheit zu 14 Jahren Haft verurteilt worden. Das teilte die Generalstaatsanwaltschaft des mittelamerikanischen Landes gestern mit. Der von 2009 bis 2014 regierende Funes kommt jedoch vorerst nicht ins Gefängnis. Der ehemalige Staatschef lebt im Asyl in Nicaragua. Sein ehemaliger Sicherheits- und Justizminister David Munguia wurde zu 18 Jahren Haft verurteilt.

    Laut Anklage soll die Regierung von Funes mit den Jugendbanden Mara Salvatrucha und Barrio 18 illegal eine Waffenruhe im Gegenzug für bessere Haftbedingungen und andere Vorteile für Gangmitglieder ausgehandelt haben. Davon habe auch die Regierung politisch profitiert. „Wir konnten nachweisen, dass diese beiden früheren Funktionäre, die die Pflicht hatten, die Salvadorianer zu schützen, deren Leben gegen Wahlvorteile eingetauscht haben“, schrieb Generalstaatsanwalt Rodolfo Delgado auf Twitter.

    Auch der amtierende Präsident Nayib Bukele soll zu Beginn seiner Amtszeit mit den Maras verhandelt haben, wie aus einem Bericht des Portals El Faro und einer Anklageschrift des US-Justizministeriums gegen Bandenmitglieder hervorging. Bukele wies die Vorwürfe zurück und verwies auf sein hartes Vorgehen gegen die Gangs. Während seiner Amtszeit sind Tötungsdelikte deutlich zurückgegangen.

    (ORF, 29.5.)

  12. At least 153 died in custody in El Salvador’s gang crackdown

    The human cost of El Salvador’s controversial “war on gangs” has been laid bare in a new report which claims dozens of prisoners were tortured and killed in jail after being caught up in the year-long security crackdown.

    The detailed 107-page report from human rights group Cristosal said at least 153 people had died in custody after being arrested as part of President Nayib Bukele’s year-long offensive against the Central American country’s notorious “pandillas”.

    The NGO said it had confirmed 29 of those fatalities as violent deaths and another 46 were considered suspicious. In most of those 75 cases, Cristosal said the bodies of the victims showed signs of torture, beatings or strangulation. Other dead inmates also showed signs of injuries but were classified as having died of “undetermined” or “natural” causes meaning the true number of violent deaths could be higher.

    The report came as one of Bukele’s predecessors as president, Mauricio Funes, was sentenced in absentia to 14 years in jail for allegedly negotiating with the gangs during his 2009-2014 administration.

    The rights group, Cristosal, said it had obtained photographs and mortuary reports showing bodies with signs of “asphyxiation, [bone] fractures, significant bruising, lacerations and even perforations”. Some appeared to have died of malnutrition. Nearly half of the victims were men aged between 18 and 38. The NGO claimed some prisoners had been tortured with electric shocks.

    Cristosal’s director, Noah Bullock, said its findings highlighted how human rights violations were “a systematic practice rather than an exception” under El Salvador’s current government.

    The human rights group based its report on interviews with dozens of relatives of the deceased and former inmates, as well as official forensic reports and field work.

    El Salvador’s government has rejected criticism of its anti-gang campaign, which has seen more than 67,000 people arrested since its began in March 2022. It dismisses critical NGOs and media organizations as defenders of gangs and “terrorists”.

    North American crypto enthusiasts have championed El Salvador’s bitcoin-loving authoritarian leader and his gang clampdown, as have rightwing populists in other Latin American countries struggling with violent crime.

    Even government critics admit the crackdown – which looks set to guarantee Bukele a second term in next year’s presidential election – has brought dramatic change to poor Salvadorian communities which for years lived under the brutal rule of gangs.

    “The dismantling of gangs has enormous life-changing potential for the country,” the trailblazing news outlet El Faro reported earlier this year after chronicling the groups’ apparent dissolution in a 5,000-word investigation. “They have ruined the gangs as you knew them,” one senior gang boss told El Faro.

    However, those advances have come at a high cost for El Salvador’s democracy, human rights, civil liberties and the thousands of broken families whose members have been caught up in the government offensive.

    (…)

    (The Guardian, 29.5.)

  13. El Salvadors Präsident sagt Korruption den Kampf an

    Neben dem harten Vorgehen seiner Regierung gegen Jugendbanden hat El Salvadors Präsident Nayib Bukele nun auch ein entschlossenes Vorgehen gegen die Korruption angekündigt. Dazu solle ein spezielles Gefängnis für Korruptionsstraftaten errichtet werden, kündigte der konservative Staatschef in seiner Rede nach vier Jahren Amtszeit in der Nacht zu heute (Ortszeit) an.

    Die Beschlagnahmung des Vermögens von Ex-Präsident Alfredo Cristiani (1989-1994) wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder sei bereits im Gange. Bukele kündigte auch an, die Zahl der Parlamentssitze und Bürgermeister in dem mittelamerikanischen Land zu reduzieren.

    Der Kampf gegen die Korruption soll eine neue Phase der Politik der harten Hand des Präsidenten einläuten, die bei der Bevölkerung auf große Zustimmung stößt. Zuvor hatte er vor mehr als einem Jahr den Ausnahmezustand verhängt, um gegen die berüchtigten Jugendbanden vorzugehen. Menschenrechtler prangern allerdings willkürliche Festnahmen und mehr als 150 Todesfälle in Haftanstalten an.

    Ex-Präsident Cristiani wird vorgeworfen, sich in seiner Regierungszeit bereichert zu haben. Sein Vermögen in Höhe von 10,6 Millionen US-Dollar (knapp 10 Mio. Euro) soll beschlagnahmt werden, wie die Generalstaatsanwaltschaft mitteilte. Der 75 Jahre alte Cristiani lebt Medienberichten zufolge seit 2021 im Ausland.

    (Zeit, 2.6.)

  14. Scharfe Warnung von Präsident Bukele an Kolumbianer in El Salvador

    Der Präsident von El Salvador, Nayib Bukele, hat "falsche Touristen" mit kolumbianischer Staatsbürgerschaft eindringlich aufgefordert, sofort das Land zu verlassen, "denn unsere Gefängnisse warten auf sie". Bukele zielte mit diesen Worten auf ein kriminelles Netzwerk der Geldwäsche, das mutmaßlich vor allem von kolumbianischen Drogenhändlern aufgebaut worden ist.

    Die salvadorianischen Medien berichteten jüngst über die Ermittlungen und Festnahmen im Zusammenhang mit dem System "gota a gota"  (tropfenweise), das von kolumbianischen Banden zum Waschen von Drogengeldern und betrügerischen Geschäften in dem mittelamerikanischen Land organisiert worden sein soll.

    Den Ermittlungen nach verbreitete sich eine 1998 von Kolumbien aus entwickelte Geldwäschestruktur bereits über ganz Lateinamerika. In El Salvador kam das System zwischen 2013 und 2014 an und soll von Kreisen genutzt werden, die mit dem Drogenhandel und anderen kriminellen Aktivitäten von Mexiko bis Chile in Verbindung stehen.

    Die "gota a gota"-Methode zeichnet sich dadurch aus, dass sie relativ einfach zu erweitern ist, da es kein formelles Verfahren und keine Dokumentation wie bei Finanzinstituten gibt. Sie ist sehr gefragt bei Menschen, die eine schnelle und einfache Lösung für ihre Geldprobleme suchen, die aber auch schutzlos unter Druck geraten, sobald sie die "Kredite" mit hohem Zinsaufschlag nicht zurückbezahlen können.

    Schätzungen zufolge halten sich rund 400 kolumbianische "falsche Touristen" im Land auf. Nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft wurden in einer ersten Aktion in den letzten Tagen 105 Kolumbianer, zwei Guatemalteken, ein Argentinier und zwei Salvadorianer festgenommen. Die Behörden beschlagnahmten Bargeld, Kraftfahrzeuge, Mobiltelefone und Computer.

    Das Außenministerium von El Salvador erklärte, dass das kolumbianische Konsulat in El Salvador über den Ort informiert worden ist, an dem 63 Kolumbianer festgehalten werden, die angeblich illegale Gelddarlehen zu hohen Zinssätzen vergaben und darüber hinaus kolumbianische Staatsbürger betrogen haben. Die Inhaftierten würden regelmäßig von Konsularbeamten ihres Landes aufgesucht, um ihre Rechtslage zu überprüfen und anderen Beistand zu leisten.

    Inzwischen ist das Thema dadurch zum Politikum geworden, dass Medien früheren Regierungen vorwerfen, diese kriminellen Strukturen unbeachtet gelassen zu haben. Zudem formulierte Bukele mit seinen Tweets indirekt eine Herausforderung an den kolumbianischen Amtskollegen Gustavo Petro, der unlängst eine akzentuierte Kritik an den Methoden der Kriminalitätsbekämpfung in El Salvador äußerte.

    Die peruanische Zeitung La República nennt es "erwähnenswert, dass bis heute keine Stellungnahme der kolumbianischen Behörden vorliegt", obgleich ein schwerer Schlag gegen kriminelle Organisationen auf internationaler Ebene stattgefunden habe.

    (amerika21, 22.7.)

    Die Drogenhändler vergeben also kurzfristige Kredite als Mittel zur Geldwäsche. D.h., sie verbuchen Einnahmen aus kurzfristigen Darlehen und blasen diese durch Schwarzgeld auf.

    Eine interessante Verwendung dieser Wucherkredite, wo ich mich frage, ob das bei europäischen Wucher-Firmen noch nicht angekommen ist?

    Siehe hierzu auch: Die Rückkehr des Wuchers (Januar 2016)

  15. Der „Krieg gegen das Bandenwesen“ wird mit allen Mitteln geführt:

    Besorgniserregende Zahlen zum Verschwindenlassen in El Salvador

    Im Rahmen des internationalen Seminars "Suche und Gerechtigkeit für Verschwundene" in El Salvador sind besorgniserregende Statistiken und Einschätzungen zur Praxis des Verschwindenlassens vorgelegt worden. Das Seminar fand am 9. und 10. August in San Salvador statt und wurde von der Arbeitsgruppe für verschwundene Personen veranstaltet.

    Der Bericht, den die Arbeitsgruppe vorstellte, beschäftigt sich mit dem organisierten Verschwindenlassen von Personen, insbesondere von Frauen, Kindern, Jugendlichen und Personen aus der LGBTIQA+-Gemeinschaft. Zwischen 2019 und Juni 2022 listet der Bericht 6.443 verschwundene Personen auf. Zwischen 2021 und 2022 stieg die Anzahl der Verschwundenen um 18,9 Prozent. (…)

    Die Arbeitsgruppe identifizierte drei Muster des Verschwindenlassens: Zum einen werden Menschen in öffentlichen Räumen von Polizei und Militär festgenommen, während Zeugen zugegen sind. Später wird ihren Angehörigen jedoch jede Information über die Festnahme und den Verbleib der Festgenommenen verweigert. Erst Wochen oder Monate später erfahren die Familien vom Verbleib ihrer Angehörigen, nachdem sie oft mehrere Polizeistellen aufgesucht haben.

    Ein weiteres Muster ist, dass trotz öffentlicher Festnahme und anwesender Zeugen Polizeistellen leugnen, dass eine Festnahme stattgefunden hat. Die Inhaftierten verschwinden im System.

    Im dritten Fall werden Menschen festgenommen, in Gefängnisse gebracht, sterben schließlich aus verschiedenen Gründen in Haft und Angehörigen erfahren nichts von ihrem Tod, während die Leichen in Massengräbern begraben werden.

    (…)

    (amerika21, 15.8.)

  16. El Salvador
    Nayib Bukele: Er nennt sich „coolster Diktator der Welt“

    Mexiko-Stadt. Nayib Bukele ist überheblich und skrupellos. Doch er wird wie ein Heiliger verehrt – denn er schaffte etwas, was als unmöglich galt.

    Der Mann, der am Sonntag mit größter Wahrscheinlichkeit wieder zum Präsidenten von El Salvador gewählt werden wird, ist gerade Everybody‘s Darling. In dem kleinen Land in Zentralamerika verehren ihn die Menschen wie einen Heiligen, seit er die Organisierte Kriminalität … eingehegt hat.
    Aber auch in weiten Teilen Lateinamerikas gilt er als Vorbild – vor allem dort, wo die Kartelle, Mafias und sonstige Gewaltakteure gerade Überhand nehmen.

    Nayib Bukele, 42, mit reichlich Überheblichkeit und noch mehr Skrupellosigkeit ausgestattet, darf auf einen Erdrutschsieg hoffen – mit Zahlen, wie man sie eigentlich nur aus Einparteienstaaten kennt.
    Die jüngste Umfrage von Observa El Salvador sagt Bukele 70,9 Prozent voraus. Auf dem zweiten Platz liegt demnach Manuel Flores, Kandidat der ehemaligen FMLN-Guerilla. Ihm werden 2,9 Prozent prognostiziert. Erreicht hat der rechte Autokrat diese enorme Popularität mit seiner Sicherheitspolitik und dem rechtsstaatlich fragwürdigen, aber äußerst erfolgreichen Kampf gegen die Organisierte Kriminalität.

    Man kann es in einer Formel zusammenfassen: El Salvador wurde unter Bukele vom Land mit der weltweit höchsten Mordrate zum Land mit der höchsten Inhaftierungsrate. Die bittere Lehre aus seinem ersten Mandat ist einfach: Der Verzicht auf Bürger- und Menschenrechte, auf Grundregeln der Demokratie und Gewaltenteilung sind offenbar für die Bevölkerung ein akzeptabler Preis, wenn auf der Habenseite ein Leben in Sicherheit und ohne Angst steht.“

    Das ärgert natürlich den Verfasser des Artikels, bzw. ist Anlaß zur Besorgnis: Wenn einem das Wasser bis zum Hals steht, wirft man womöglich alle geheiligten demokratischen Werte über Bord … nicht nur in El Salvador?

    „El Salvador: Land mit der höchsten Inhaftierungsrate

    Politikerinnen und Politiker aus der ganzen Region beobachten staunend bis neidisch die Entwicklungen in El Salvador, das kaum größer als Hessen ist. Präsidenten, Gouverneure, Bürgermeister und Abgeordnete in Kolumbien, Peru, Chile, Argentinien und Ecuador haben versprochen oder sich dafür ausgesprochen, Bukeles Politik in ihren eigenen Ländern nachzuahmen.

    Dabei ist seine Sicherheitspolitik antidemokratisch und brutal.“

    Na, na.
    Im Vergleich zu Israels Vorgehen in Gaza und auch im Westjordanland hat Bukele Samthandschuhe an.
    Dort ist aber die Demokratie unumtritten … Nie würde ein westliches Medium einen israelischen Politiker als „Diktator“ bezeichnen.

    „Mehr als 75.000 meist Jugendliche und Männer hat Bukele wegen angeblicher oder nachgewiesener Bandenmitgliedschaft festgenommen und in extra gebauten Hochsicherheitszentren inhaftiert, wo Erniedrigung, Folter und die totale Entrechtung zur Strategie gehören. (…)

    Viele Jahre terrorisierten vor allem die »18« und die »Salvatrucha« die Bevölkerung mit Morden, Schutzgelderpressungen, Drogenhandel und Zwangsrekrutierungen. Im März 2022 verhängte Bukele den Ausnahmezustand und begann mit der Repression, die bis heute andauert. Und so hat der Staat in El Salvador nach Jahrzehnten des Kontrollverlustes das Gewaltmonopol weitgehend zurückgewonnen und das Land für den Moment befriedet. (…)

    Man muss Bukele, der sich selbst als »coolsten Diktator der Welt« bezeichnet, noch für so vieles anderes anprangern: die Aushöhlung des Rechtsstaates, den Bruch der Verfassung, um wiedergewählt werden zu können, die Verfolgung seiner Kritiker und Gegner. Und auch für die Einführung von Bitcoin als offiziellem Zahlungsmittel. »Bukele hat den Generalstaatsanwalt und mehrere Richter ausgewechselt, und im Grunde gibt es keine Gewaltenteilung mehr«, kritisiert Valeria Vásquez, Zentralamerika-Expertin bei der Beratungsfirma Control Risks. (…)

    (Berliner Morgenpost, 3.2.)

    Man merkt dem Artikel Neid, Bewunderung und die Befürchtung an, das Beispiel könnte weltweit Schule machen.

  17. „Nicht nur Banden: Auch die Wirtschaft erweist sich als Herausforderung

    Der Präsident von El Salvador ist einige Risiken eingegangen, die von Investoren und ausländischen Regierungen nicht gut aufgenommen wurden, wie beispielsweise das Bitcoin-Gesetz

    Phillip Euell verbirgt seine Begeisterung nicht, wenn er über seine bevorstehende Reise nach San Salvador, der Hauptstadt von El Salvador, spricht. Der amerikanische Anwalt hat sich vom Bitcoin-Fan zum Anwalt in Kryptowährungs-Insolvenzfällen entwickelt und diese Erfahrung ist für ihn ein offensichtlicher Wettbewerbsvorteil im einzigen Land der Welt, das Bitcoin zum gesetzlichen Zahlungsmittel gemacht hat.

    »Ich würde gerne Kunden in El Salvador haben und dafür arbeite ich«, sagt er in einem Videoanruf aus dem Büro seiner Firma Diaz Reus in Miami. »Ich kenne einige Amerikaner, die dort leben, und sie sagen, daß im Vergleich zu vor ein paar Jahren die Sicherheit deutlich besser ist. Die Schwierigkeit ist jetzt wirtschaftlicher Natur.«“

    Surprise, surprise.

    „Der salvadorianische Präsident Nayib Bukele gewann die Wahlen in diesem Jahr und bleibt mindestens weitere 4 Jahre im Amt. Im ersten Teil seiner Präsidentschaft konzentrierte er sich auf den sogenannten »Krieg gegen Banden« (…)
    In der Welt des Großkapitals bedeuten Vertrauen und Sicherheit ein besseres Geschäftsumfeld, und das ist es, was Bukele jetzt schaffen möchte. (…). Im September 2021 wurde das Bitcoin-Gesetz mit der Idee verabschiedet, dass Bürger den digitalen Vermögenswert als Währung nutzen könnten, um alles von Immobilien bis hin zum Imbiß auf der Straße zu bezahlen. Nach Angaben der Zentralbank hat dies nicht funktioniert, was darauf hindeutet, daß Bitcoin im Land nur marginal verwendet wird.

    Bukele investierte auch Teile der Finanzreserven des Landes in Bitcoin, eine riskante Sache für die Besitzer salvadoreñischer Anleihen.“

    El Salvador finanziert sich wie alle Welt über Staatsanleihen, die auf Dollar lauten, der bisherigen Währung in El Salvador. Nur durch Dollarisierierung kann El Salvador seine Anleihen nämlich anbringen. D.h., daß es sie natürlich auch in Dollar bezahlen und tilgen muß.
    Wenn jetzt ein Teil des Staatsschatzes in Bitcoin vorliegt, so wird zweifelhaft, ob El Salvador seine Schuld auch bedienen kann.
    Bukele wiederum setzt genau deshalb auf Bitcoin, weil er von der Dollar-Abhängigkeit wegkommen will.

    „Als der Preis von Bitcoin fiel, gab es Gerüchte, dass El Salvador seinen Schulden nicht nachkommen würde. Heute, da der Preis der Kryptowährung in die Höhe schnellt, wird geschätzt, dass der Wert der internationalen Reserven des zentralamerikanischen Landes seit den Käufen um 62 % gestiegen ist.
    Dies ist vorerst ein Erfolg,“

    knirsch!

    „aber die Gesetzgebung zur Förderung von Kryptowährungen hat nicht zu mehr Auslandsinvestitionen geführt.“

    Ätsch! Doch kein so großer Erfolg!

    „El Salvador hinkt seit 30 Jahren bei der Anziehung ausländischer Direktinvestitionen (FDI) im Vergleich zu seinen Konkurrenten in den Schwellenländern hinterher.“

    An welche Staaten die Verfasserin des Artikels hier denkt? Seine Nachbarländer Nicaragua und Honduras? Oder vergleicht sie sie mit BRICS-Staaten, damit El Salvador sicher alt ausschaut?

    „»Dies wird teilweise auf Erpressung und weit verbreitete Bandenkriminalität zurückgeführt«, heißt es in einem Jahresbericht des US-Außenministeriums über das Land. »Sicherheitsverbesserungen haben sich noch nicht in nennenswerten neuen ausländischen Direktinvestitionen niedergeschlagen und es ist derzeit unklar, wie die Regierung den Ausnahmezustand beenden und die verfassungsmäßigen Rechte wiederherstellen wird.«“

    Beachtlich, wie sehr sich die USA jetzt über die Investitionen in El Salvador den Kopf zerbrechen. Es ist ihnen eben auch nicht recht, wie die salvadoranische Regierung versucht, sich aus dem Würgegriff der US-Währung zu lösen. 

    „Allerdings, bemerkt die US-Regierung, genießt der Ausnahmezustand breite öffentliche Unterstützung »und trägt dazu bei, das Verbrauchervertrauen und den Optimismus hinsichtlich der Wirtschaftslage zu stärken«.
    Das heißt, wenn es für Bukele eine Zeit gab, aus seiner Leistung Kapital zu schlagen, dann ist diese Zeit jetzt. Seine Regierung hat mehrere große Infrastrukturprojekte geplant und die US-Regierung hat sie als potenzielle Chancen für ihre Unternehmen identifiziert.“

    Auf gut deutsch: Wenn Bukele sich verschuldet und dann nicht US-Unternehmen beauftragt, dann gibts Gscher.

    Zu den Projekten gehören die Verbesserung der Straßenanbindung und Logistik, die Erweiterung der Flughafenkapazität und die Verbesserung des Zugangs zu Wasser und Energie sowie zu sanitären Einrichtungen.“

    Alles offenbar bisher in jämmerlichem Zustand in El Salvador.

    „Angesichts der begrenzten finanziellen Möglichkeiten für öffentliche Investitionen strebt die Regierung die Nutzung öffentlich-privater Partnerschaften (ÖPP) für Infrastrukturprojekte an. Bukele beschloss, im Jahr 2020, weniger als ein Jahr nach seiner Machtübernahme, aggressiv Schulden zu machen, um der Bevölkerung während der COVID-19-Pandemie direkte Unterstützung zukommen zu lassen.“

    Sieh da, sieh da.
    Deswegen ist er also so beliebt, nicht nur wegen des Kriegs gegen die Banden.

    „Dies führte nach Angaben der Kreditrisiko-Ratingagentur S&P Global zu einem Schuldenstand von nahezu 70 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP).
    Das Unternehmen verbesserte das Rating für salvadorianische Staatsanleihen Ende letzten Jahres, nachdem es der Regierung in Verhandlungen mit Nationalbanken gelungen war, ihre inländischen Schulden zu refinanzieren, hält es jedoch immer noch auf einem Niveau, das als »spekulativ« und weit von der Investitions-Empfehlung entfernt gilt.“

    Ein Schicksal, das El Salvador mit vielen Staaten der Welt teilt.
    Aber es scheint, daß dieses Rating sehr politisch bedingt ist, weil es den mißbilligenden Blick der US-Regierung mit in seine Einschätzungen einbezieht.

    „»Trotz der steuerlichen Entlastung, die sich aus diesen Maßnahmen ergibt, bleiben die öffentlichen Finanzen des Landes fragil«, schreiben die S&P-Analysten Patricio Vimberg und Omar De la Torre in ihrem Bericht.“

    Wie aus den oben beschriebenen Maßnahmen eine steuerliche Entlastung herauskommen soll, erschließt sich dem Leser des Artikels nicht.
    Es scheint, daß das Bitcoin-Gesetz mit steuerlichen Begünstigungen einhergegangen ist, um die Zahlung mit Bitcoin attraktiver zu machen.

    „»Die Bewertung El Salvadors“ (durch die Ratingagenturen) „berücksichtigt institutionelle Schwächen, die sich aus den seit langem bestehenden Schwierigkeiten bei der Vorhersage politischer Reaktionen vor dem Hintergrund schlechter Kontrollmechanismen, eines bescheidenen Pro-Kopf-BIP von 5.200 US-Dollar und der Erwartung eines aufgrund anhaltend niedriger Investitionen und Produktivität geringen BIP-Wachstums ergeben.«“

    Mit einem Wort, der Umstand, daß dort kaum Kapital vor Ort tätig ist, gilt als Hindernis dafür, daß mehr hinkommt. Eine sozusagen tautologische Begründung, auf der die Rating-Agenturen ihre Empfehlungen gründen.

    „Die Regierung befindet sich in Gesprächen mit dem IWF, der eine flexiblere und kostengünstigere Finanzierungsquelle sein könnte. Für den Fonds könnte der geringe Anteil an Bitcoin im Umlauf die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dem zentralamerikanischen Land Geld zu leihen, da dadurch die Risiken gemindert werden, die sich aus der Gefährdung durch Preisschwankungen ergeben.
    S&P hält es für möglich, dass noch in diesem Jahr eine Einigung zwischen der Regierung und dem IWF erzielt wird.“

    Interessant, wo der IWF doch noch Fans hat …
    Es fragt sich übrigens, ob El Salvador auch in China angefragt hat und damit wiederum den IWF sozusagen erpreßt, der nicht ein weiteres Land an den chinesischen Einflußbereich verlieren will.

    „»Bukele setzt auf die Kombination dieser beiden Faktoren, Sicherheit und Kryptowährungen«, sagt Cory Klippsten, Geschäftsführer von Swan, einem Bitcoin-Finanzdienstleistungsunternehmen mit Sitz in Los Angeles.
    Die Förderung von Bitcoin scheint Teil der Marketingoffensive zu sein und scheint in vielen Bereichen sicherlich zu einer Verbesserung zu führen, insbesondere im Hinblick  ausländische Investitionen«, sagt der Geschäftsmann. »Viele Leute gehen dorthin, kaufen Immobilien, bauen Häuser und Eigentumswohnungen am Strand und denken darüber nach, Geschäfte in San Salvador zu eröffnen«, fügt Klippsten hinzu. »Das Interesse an Country-Clubs rund um San Salvador nimmt wieder zu.«“

    Also irgendwelche Reichen mit zu viel Geld entdecken El Salvador als möglichen 5-t-Wohnsitz. Ob das auf längere Sicht etwas bringt, ist noch nicht heraußen, aber so kommt einmal etwas Geld ins Land, wenngleich nicht unbedingt in Form von Kapital.

    „“Viele dieser Leute sind im Bitcoin-Bereich, sie sind Fans und Gläubige.« Euell, der Anwalt, stimmt zu: »Es ist schwierig, eine Wirtschaft wachsen zu lassen, Vertrauen zu schaffen, zu arbeiten und gute Wachstumsraten zu erzielen. Ich denke, es liegt noch viel Arbeit vor uns, aber die Stimmung ist gut.«“

    (El País, 2.4.)

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