Die Verdummung und Verhetzung der Bevölkerung durch die Medien

ÜBERBLICK 3.11. 2018
Die heutigen Abendnachrichten im ORF hatten es an sich.
1. Der 12-Stunden-Tag in Österreich
Erst wurde darüber berichtet, daß der inzwischen in Österreich legale 12-Stunden-Arbeitstag und die 60-Stunden-Woche zu „Mißbrauch“ führt und gegen „schwarze Schafe“ gesetzlich vorgegangen werden soll. Das gaben die Häupter der Regierungskoalition kund.
Die Gewerkschaften kündigten Protestaktionen – in Form von Demos – an und verlangten, daß „der 12-Stunden-Tag neu verhandelt“ werden müsse.
Daß – in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit – die in Arbeit Stehenden ausgequetscht werden, wie eine Zitrone, ruft keinen Sturm der Entrüstung hervor.
Das ist beachtlich angesichts der Tatsache, daß seinerzeit – und auch lange danach – der 8-Stunden-Tag als große Errungenschaft gegen die Ausbeutung gefeiert wurde, daß es für seine Erkämpfung in zahlreichen Ländern zu Toten kam und daß die Regierungen selber anerkannten, daß eine solche Strapazierung der arbeitenden Menschheit den Erhalt – und die Benützung! – ihrer Bevölkerung gefährdete. Leute, die 12 Stunden von 24 arbeiten müssen, halten nicht lange. Die menschliche Physis gibt dergleichen nicht her. Das sind offenbar Wegwerf-Arbeitskräfte, deren Verschleiß inzwischen von der Politik in Kauf genommen wird, in der Überzeugung, daß für jeden kranken, invaliden oder toten Arbeiter sowieso ein paar weitere schon Schlange stehen, um an einen solchen tollen Arbeitsplatz zu kommen.
Gleichzeitig wird sich über „Facharbeitermangel“ beklagt und herumproblematisiert, wie es eigentlich dazu kommen konnte und wie dem beizukommen sei.
Die Gewerkschaften, also die institutionellen Vertreter der arbeitenden Menschheit, haben offensichtlich auch ihren Frieden mit der Vertretung der solchermaßen Benutzten gemacht. Sie fordern keine Rückkehr zum 8-Stunden-Tag, sondern wollen nur den 12-Stunden-Tag „neu verhandeln“.
Man merkt hier, wie staats- und kapitalnützlich diese Art von Interessensvertretung der Arbeiterschaft ist, die zwar alles Mögliche vertreten mögen, – die Interessen der arbeitenden Menschen jedenfalls nicht. Ihnen ist nur wichtig, die Arbeiterschaft ruhigzustellen und mit Alibi-Aktionen bei der Stange zu halten. Hauptsache, sie werden von der Staatsführung weiter – als Kontrollorgan über die Arbeiter – als Institution und Verhandlungspartner anerkannt. Alle Aktionen, die sie starten, dienen einzig und allein diesem Zweck. Gegen Ausbeutung haben sie auf jeden Fall nichts – die ist vielmehr die Geschäftsgrundlage dieser „Arbeitnehmervertreter“.
Die hochoffizielle Drohung von Kurz und Strache, gegen „schwarze Schafe“ vorzugehen, versetzt in der Unternehmerschaft niemanden in Angst und Schrecken. Wenn die Ausnutzung eines Beschäftigten 12 Stunden pro Tag und 60 Stunden pro Woche legal ist, worin soll denn dann bitte der „Mißbrauch“ bestehen? Diese Regelung wurde doch getroffen, um sie zu nutzen!
Österreich will sich hier sichtlich einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Staaten verschaffen, die strengere Arbeitsrecht-Vorschriften haben.
Wer nichts hat im Kapitalismus, ist heute mehr angeschmiert denn je. Haben Leute keine Arbeit, so werden sie medial als „Sozialschmarotzer“ beschimpft und von den Behörden drangsalisiert.
Haben sie jedoch einen Job, so müssen sie sich benützen lassen bis zum Umfallen.
Darin sind sich offenbar Staat, Unternehmer und Gewerkschaften, zumindest in Österreich, einig.
Leider gibt es noch einige ärgerliche Beispiele, daß man auch anders kann.
2. Großbritannien verabschiedet sich vom Sparkurs!
Der britische Finanzminister verkündet, daß Großbritannien die Sparerei nicht als Königsweg betrachtet und fest in den Sozialstaat investieren wird.
Gesundheitswesen, Bildungssektor und Soziales sollen ordentlich Kohle bekommen. Außerdem wurden Steuererleichterungen für alle Bevölkerungsschichten ins Auge gefaßt.
Großbritannien hat eine eigene Währung, es kann sich dergleichen Schritte leisten.
Unerhört!
Die wollen die EU verlassen und gleichzeitig in den Sozialstaat investieren! Obwohl hierzulande und EU-weit doch überall herumtrompetet wird, daß das nicht geht und „wir“ uns das nicht leisten können!
Und diese unverschämten Italiener das auch machen wollen und damit den Euro gefährden!
Sowohl Nachrichtensprecher als London-Korrespondentin ergingen sich in unverhüllten Drohungen, daß das nicht gutgehen kann und die Briten für den Brexit fest zahlen werden müssen. Der Brexit wird teuer! Das nächste Sparpaket kommt auch in GB ganz sicher!
Der Ärger war unverhüllt, daß die britischen Politiker praktisch machen können, was sie wollen, und nicht an EU- und Euro-Vorgaben gebunden sind.
Ebenfalls ärgerlich ist, daß die EU kaum etwas in der Hand hat, um diese Drohungen gegenüber GB wahrzumachen. Die EU ist auf den britischen Markt und die City nach wie vor angewiesen.
Sogar der Labour-Führer Corbyn, der sonst als Schreckgespenst verwendet wird, weil er eine Kritik am derzeitigen Verhältnis von Kapital und Arbeit hat (oder zumindest zu haben vorgibt), wurde als Kritiker dieses Budgetplans präsentiert.
Da ist es dann schon gleichgültig, daß er die wohltuende Wirkung dieser Maßnahmen anzweifelte. Corbyn meinte, es würde nicht genug in die Gesellschaft investiert, sondern immer noch zu viel gespart. Er hatte also die umgekehrte Kritik der ORF-Fuzis. Sie meinten: Viel zu viel! Er meinte: Viel zu wenig!
Als dritten Punkt brachten die Nachrichten, grün vor Neid, eine Meldung über den Erfolg Chinas.

3. Chinas Weg zur Marktwirtschaft – ärgerlich bis zum Geht-Nicht-Mehr

China feiert seine Reformen zur Marktwirtschaft als eine einzige Erfolgsgeschichte, und ehrt Deng-Hsiao-Ping als deren Initiator.
Gezeigt wurde die Metropole Shenzen – am Festland neben Hongkong –, eine moderne Riesenstadt mit vielen Wolkenkratzern. Dort nahmen die marktwirtschaftlichen Reformen ihren Anfang, zunächst als Experiment. Heute ist es eine der vielen Boom-Regionen Chinas.
Zufriedene junge Chinesen wurden interviewt, die meinten, bei ihnen ist alles ganz super. Dauernd entstehen neue Unternehmen, und kommen gut voran.
Der Korrespondent vor Ort gab am Schluß zum Besten: wirtschaftliche Reformen schön und gut, und daß sie erfolgreich waren, wollte er auch nicht so recht beanstanden. Die Marktwirtschaft in China ist 1A. Was will man denn dagegen sagen? Aber wo bleibt die politische Reform?! Sie sucht man vergebens!
Man fragt sich, was die Politiker in China denn reformieren sollten, wenn ohnehin alles gut läuft?
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Ich hoffe, daß es vielen Betrachtern dieser Nachrichtensendung so gegangen ist wie mir: Daß ihnen die Galle hochgekommen ist
1. gegen dieses Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, wo die arbeitende Menschheit ausgequetscht wird bis sie umfallt,
2. gegen die Politiker, die dieses System verwalten,
3. gegen die Gewerkschaften, die dem – kritisch, aber doch – ihren Segen geben, und
4. gegen die medialen Herolde, die die Ausnutzung und Verarmung der Bevölkerung gut und selbstverständlich finden, und mit der eigenen Gewalt einen Schulterschluß machen gegen Staaten, die es anders machen – oder das Gleiche machen, aber erfolgreicher.
Das ist nämlich nicht nur nieder-, sondern auch kriegsträchtig.

Serie „Lateinamerika heute“. Teil 4: Chile

45 JAHRE DANACH

Als der Putsch in Chile die Volksfrontregierung mit einer Gewaltorgie wegräumte, die sogar damals eher ungewöhnlich war, ging ein Aufschrei durch die damalige Presse. Die Pinochet-Partie legte nämlich Wert darauf, durch möglichst öffentliches Zeigen ihrer Brutalität den mit der Volksfrontregierung sympathisierenden europäischen Regierungen zu zeigen: Haltet euch da raus, jetzt sind wir dran!

Während es in den 70-er und sogar noch 80-er Jahren Veranstaltungen zu den Opfern des Terrors der Militärregierung und dem von der Volksfrontregierung vertretenen Programm der „Revolution in der Legalität“ gab, ebbte dann das Interesse an Chile ab. Diese Veranstaltungen bezogen sich vor allem auf das, was vorher los war.

Was ist aber eigentlich seit 1973 in Chile geschehen?

1. Die Chicago boys

Der Umstand, daß das Pinochet-Regime sofort mit allen sozialen Errungenschaften der Volksfrontregierung und sogar der vorher regierenden Christdemokraten aufräumte, und Arbeitsschutzgesetze, Mindestlohn, Kündigungsschutz usw. auf einmal nicht existierten, machte Chile zum idealen Betätigungsfeld für überzeugte Absolventen der Chicago School und der Lehren Milton Friedmans. Es handelte sich dabei um junge Chilenen aus dem Anti-Volksfront-Lager, denen durch ein großzügiges Stipendienprogramm verschiedener in den USA beheimateter antikommunistischer Stiftungen zum Studium in den USA, vor allem eben auf der Universität von Chicago, verholfen worden war.
Der Staat, so der Kern der Doktrin dieser Menschenfreunde, solle nur die Rahmenbedingungen – Geld, Gewalt – zur Verfügung stellen, und alle wirtschaftliche Tätigkeit der „Privatinitiative“, sprich: dem Kapital überlassen.
Einerseits ist das eine sehr harte Auskunft über die Rolle von Staat und Kapital und wie die Bevölkerung in deren Überlegungen vorkommt: Wen das Kapital nicht braucht, der kann ruhig verhungern oder sonst irgendwie an Mangel zu Grunde gehen, und wer sich gegen das wehrt, der gehört weggeräumt.
Andererseits zeigt sich, daß sich der Staat nicht auf diese ihm von den Liberalen zugedachten Aufgaben reduzieren läßt, sondern noch in anderer Form in das Wirtschaftsgeschehen eingreifen muß, um seine eigenen Grundlagen zu erhalten.

Bemerkt hat das chilenische Regime diesen Umstand an der Grundfrage des Geldes.

Im Zuge der Umgestaltung zu einer Marktwirtschaft ohne Wenn und Aber wurden die Gewerkschaften zerschlagen, die Abfindungen und das Streikrecht abgeschafft, und alles, was möglich war, privatisiert, so auch das Bildungswesen und das Pensionssystem.
Die Verminderung der Zölle und die Liberalisierung des Zugangs zu Devisen für einheimische Importeure führten schließlich zu einer immer stärkeren Abhängigkeit von Importen und einer negativen Handelsbilanz, und im Jahr 1982 zu einem mittleren Börsencrash, der auf den Auslandsschuldendienst Chiles und den Wechselkurs äußerst negative Folgen hatte.
In Folge des Beinahe-Bankrotts und der Rezession, in die Chile 1982 geriet, wurden die Chicago boys aus den einflußreichen Posten hinauskomplimentiert. Außerdem versuchte die Pinochet-Partie von da an so etwas wie staatliche Wirtschaftspolitik, um die Ökonomie Chiles zu diversifizieren und außer dem wichtigsten Produkt Chiles, dem Kupfer, auch noch andere Wirtschaftszweige zu entwickeln, mit denen Chile Devisen an Land ziehen konnte. Das waren der Obstanbau und die Waffenproduktion.

2. Das Kupfer

Außer den allgemeinen strategischen Überlegungen der Weltmacht Nr. 1, die in ihrem Hinterhof keine kommunistischen Experimente wollte, machte sich die Volksfront-Regierung mit ihrer Verstaatlichung der Kupferbergwerke in den Augen der US-Regierungen und des CIA vollends unmöglich.
Dazu muß man bemerken, daß die Idee, den Kupferabbau von den vor allem amerikanischen Aktionären zurückzukaufen oder auf andere Art in das Nationaleigentum Chiles zu überführen, nicht erst mit der Volksfrontregierung aufkam. Verschiedene Vorgängerregierungen hatten in dieser Richtung bereits gehandelt, so auch unter Allendes unmittelbarem Vorgänger Frei Montalva. Zunächst gelangte der chilenische Staat durch Aktienkäufe zu einer Mehrheit und durch eine Verfassungsänderung und dem Gesetz 17450 aus dem Jahr 1971, die vom Parlament einstimmig angenommen wurden, wurde der chilenische Staat schließlich der alleinige Besitzer der Kupferbergwerke.

Die Verstaatlichung der Kupferbergwerke wurde von der Militärregierung beibehalten. Hier gab es nichts mit Privatisierung oder Restitution. Es ist wahrscheinlich, daß Pinochet sich das bei seinen Verhandlungen mit seinen USA-Kollegen ausbedungen hatte. Es wurden zwar neue Konzessionen ausgegeben, aber die unter der Volksfrontregierung verstaatlichten Bergwerke blieben staatlich und wurden 1976 zu einem großen Konzern, CODELCO, vereinigt. Zumindest bis in die Mitte der 90-er Jahre mußte CODELCO einen Teil seiner Gewinne an das Militär abliefern. Einnahmen aus dem Kupferbergbau wurden also zur Finanzierung des Gewaltapparates verwendet.
Heute ist Chile der größte Kupferproduzent mit 27% Anteil an der Weltproduktion, CODELCO der größte Kupferkonzern der Welt. Außer dem Kupfer wird Molybdän, Silber und Gold abgebaut. Das Molybdän hat in den letzten Jahrzehnten als Härtungsmittel und Katalysator an Bedeutung zugenommen. CODELCO ist über verschiedene Kooperationen auch in den Produktionsgüter-Riege aufgestiegen und produziert selber Bergbautechnik.

Einerseits hat inzwischen jede chilenische Regierung durch die vereinigten Bemühungen der Regierungen von Allende und Pinochet Zugriff auf einen Teil der Gewinne, die aus den Bodenschätzen des Landes gewonnen werden.
Andererseits ist sie dadurch eben von den Weltmarktpreisen abhängig und die entscheiden darüber, ob in der Staatskasse Ebbe ist oder ob sie sich gut gefüllt präsentiert.
KupferChart
An dieser etwas älteren Graphik läßt sich erkennen, welche Sprünge der Kupferpreis macht, gerade um den Putsch von 1973 herum …

3. Normalität 2018

Seit Anfang der 90-er Jahre wurde wieder Demokratie „gewagt“ und Elemente des Sozialstaats und des Arbeitsrechts eingeführt – in Maßen, versteht sich.
Derzeit protestieren – wieder einmal – Schüler und Studenten gegen das Erbe der Militärdiktatur und der Chicago boys: Die gesamte höhere Bildung ist entweder in den Händen der Kirche, oder sie ist privatisiert, oder beides: Die jungen Leute müssen sich nach dem anglosächsischen System bis über die Ohren bei den Banken verschulden, um studieren zu können.

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Radiosendung zu Víctor Jara und Chile: Chile – 45 Jahre danach (12.9. 2018)

Neues von der Flüchtlingsfront

STREIT IM GEMEINSAMEN HAUS EUROPA
Erinnern wir uns doch einmal an die Ereignisse der letzten 3 Jahre zurück, soweit sie die Flüchtlinge betreffen.
„Im Jahr 2015 beantragten 1.322.825 Menschen in den Ländern der Europäischen Union Asyl; 2016 waren es 1.259.955. 2017 hatte sich die Zahl mit 649.855 Erstanträgen fast halbiert. Weltweit waren 2015 nach Angaben des UNHCR 65,3 Millionen Menschen auf der Flucht.“ (Wikipedia, Flüchtlingskrise in Europa ab 2015, mit Berufung auf Eurostat, NZZ und UNHCR)
Die Flüchtlingsströme von 2015
Ein Blick zurück: Im Verlauf der Monate März bis August kamen mehr als 600.000 Flüchtlinge über Griechenland und die Balkanroute in die EU, wo sie teilweise die Transportrouten blockierten, und Frauen auf der Straße Kinder bekamen. Ungarn, Slowenien Österreich und Kroatien bauten entweder Zäune oder beorderten das Militär zur Grenzkontrolle oder beides – wodurch die Schengen-Vereinbarungen über das freie Grenzregime gefährdet waren.
Den Höhepunkt dieses Chaos, wo alle möglichen Innenminister japsend Statements vor laufenden Kameras abgaben und Tausende hilfsbereiter Menschen Essen und Decken zu Flüchtlingslagern, Bahnhöfen und Grenzstationen schleppten, bildete der Fund eines Tiefkühllasters auf der österreichischen Ostautobahn bei Parndorf mit 71 Toten am 26. August. Sie waren in dem hermetisch verriegelten Container, in den die Schlepper sie gepfercht hatten, erstickt.
Um diese Zustände in den Griff zu bekommen, verkündete die deutsche Bundeskanzlerin am 31. August 2015, daß Deutschland alle Flüchtlinge aufnehmen würde und die anderen Staaten sie doch bitte durchlassen sollten, wenn sie nach Deutschland wollten. Ihr Ausspruch „Wir schaffen das!“ wurde ihr von moralischen Gutmenschen zugutegehalten, von national und völkisch denkenden Mitbürgern und Politikern jedoch sehr übel genommen. Wie sich später herausstellte, hatte sie bezüglich der Fortsetzung dieser Aufnahmepolitik Vorstellungen, die sich nicht verwirklichen ließen. Sie wollte sich nämlich zur obersten Asylverwalterin der EU machen.
Das kurze und selektive Gedächtnis der medial und von Fake news geprägten öffenlichen Besprechung verdreht im Rückblick Ursache und Wirkung und wirft Angela Merkel vor, sie hätte durch ihre deplazierte Großzügigkeit den Flüchtlingsstrom erst verursacht.
Vergessen sind hierbei die seinerzeit regelmäßig ins Haus gelieferten Bilder von Flüchtlingsbooten im Mittelmeer, vor Booten und Menschen fast übergehender griechischer Inseln, überfüllte Züge in Ungarn, Flüchtlingschaos in Traiskirchen und die Toten von Parndorf.
Vor allem aber ist die Politik der EU in den vergangenen Jahren in Syrien, Afghanistan, Libyen und anderen Teilen Afrikas fein heraußen, und auch die mangelnde Unterstützung der EU-Mitgliedsstaaten gegenüber der UNHCR.
Nein, Angie ist schuld an allem!
EU-Einigkeit im September 2015: Quoten
Am 22. September 2015 wurde angeblich eine Einigung darüber erzielt, von der bis dahin fast einer angekommenen Million Flüchtlingen ganze 120.000 auf die EU-Staaten nach einem bestimmten Schlüssel zu verteilen.
Diese „Einigung“ war aber gar keine.
Erstens stimmten einige Staaten dagegen, andere enthielten sich der Stimme. Genaueres sickert seither zwar nach außen, aber schon damals waren offensichtlich eine beträchtliche Anzahl von EU-Staaten gegen diese Quotenregelung.
Zweitens war die vereinbarte Anzahl gegenüber den wirklich angekommenen und irgendwie aufzunehmenden Flüchtlingsmengen sowieso lächerlich. Aber sie war auch nur als Anfang einer Flüchtlingspolitik gedacht, im Zuge derer Deutschland sich zur Führungsmacht Europas aufschwingen und die Immigrationspolitik der EU dirigieren wollte. Dieser Plan ist, soviel kann man bereits sagen, gründlich in die Hose gegangen und Deutschland blieb auf den großzügig eingeladenen Flüchtlingen sitzen.
Drittens, und das war offenbar auch noch ein Zugeständnis an die widerspenstigen Partner, bezog sich diese Verteilungsmenge von 120.000 nur auf solche Flüchtlinge, die aus Staaten stammen, die eindeutig als Fluchtländer qualifiziert sind, weil die EU-Staaten von ihren Führungsmannschaften nicht viel halten: Syrien, der Irak und Eritrea. Sogar das von ständigen Attentaten und Kriegshandlungen erschütterte Afghanistan gilt als „sicher“ und Afghanen werden dorthin abgeschoben, seit die völlig machtlose Regierung von Ashraf Ghani (vermutlich gegen entsprechendes Bakschisch und/oder Drohungen) ihre Unterschrift unter ein Schubabkommen gesetzt hat.
Alle anderen Staatsbürger fallen sowieso nicht unter diese Quotenregelung, und es ist daher kein Wunder, wenn sogar von den anvisierten 120.000 Personen nicht einmal ein Viertel tatsächlich in diejenigen anderen Staaten verschickt wurde, die sich ursprünglich zu ihrer Aufnahme bereit erklärt hatten.
Deal mit der Türkei
Nachdem sich gezeigt hatte, daß sich die Flüchtlingsfrage nicht für deutsche Machtambitionen instrumentalisieren ließ, reiste eine recht kleinlaute Angela Merkel im Oktober in die Türkei.
Der Spiegel meldete im Vorfeld mit einer gewissen Häme:
„Die Kanzlerin gerät zunehmend unter Handlungsdruck. Für den Zeitraum vom 5. September bis zum 15. Oktober meldeten die 16 deutschen Bundesländer insgesamt 409.000 Neuankömmlinge ans Bundesinnenministerium. Bis zu 10.000 Flüchtlinge überschreiten täglich die Grenze nach Bayern.“ (Spiegel, 18.10. 2015)
Merkel bot Erdogan an: Visafreiheit für türkische Staatsbürger, Beschleunigung des türkischen EU-Beitritts, und einen Haufen Geld! – wenn er ihr nur weitere Flüchtlinge auf der Türkeiroute vom Leibe hielte und einen Teil der illegal eingereisten Migranten auch wieder zurücknähme.
Sie bettelte ihn richtig an, wie man auf den Fotos dieses Treffens sieht: Bitte, lieber Sultan, retten Sie mir meinen Thron!
Und Erdogan ließ sich nicht lumpen. Wenn eine Dame, und noch dazu eine mächtige, sich ihm so vor die Füße wirft, da kann man schon einmal gnädig sein. Noch dazu, wenn die Kasse stimmt.
Erdogan hat seinen Teil des Deals erfüllt. Eine Zeitlang erschossen türkische Grenzbeamten syrische Flüchtlinge an der Grenze, um die nötige Abschreckungswirkung zu erzielen.
Das macht allerdings unseren auf die europäische Wertegemeinschaft pochenden Medien wenig aus, weil das geschieht „hinten, weit, in der Türkei,“ wo „die Völker aufeinander schlagen“ und geht uns hier, die am Fenster unsere Gläschen trinken, gar nichts an.
Die Versprechungen der Kanzlerin blieben allerdings weitgehend unerfüllt. Von der Visafreiheit für Türken wollten verschiedene EU-Politiker nichts wissen, unter anderem mit dem begründeten Verdacht, daß viele der Flüchtlinge dann mit einem gefälschten türkischen Paß erst recht wieder in der EU landen würden. Der Putsch in der Türkei 2016 und der danach verhängte Ausnahmezustand waren ein willkommener Vorwand, sowohl die Visa-Angelegenheit als auch die Beitrittsfrage auf die lange Bank zu schieben.
Um Erdogan jedoch nicht ganz zu verprellen, blieben die Zahlungen von mehreren Milliarden Euro aufrecht, eine Art Ablaßhandel der EU, und daran stößt sich jetzt die neue italienische Regierung.
Die zentrale Mittelmeerroute
ist nämlich von den Türkei-Abmachungen nicht betroffen. (Genausowenig übrigens wie die westliche über Marokko, Algerien und Spanien, die seit ca. einem Jahr auch wieder verstärkt in Anspruch genommen wird.)
Die Route durch die zentrale Sahara ist die klassische, über die schon in alten Zeiten der Trans-Sahara-Handel abgewickelt wurde. Solange Ghaddafi am Ruder war, blieb sie jedoch bedeutungslos für die Flüchtlingsströme. In Libyen wurden die Flüchtlinge aus Schwarzafrika festgesetzt und entweder in ungemütlichen Lagern schlecht beahndelt, oder sie erhielten Jobs auf den Ölfeldern Libyens. Da es sich herumsprach, daß durch Libyen kein Durchkommen war, war auch der Andrang gering, sie wählen damals andere Routen.
Nach dem von den USA, Frankreich und GB betriebenen Sturz Ghaddafis öffnete sich erstens diese Route. Außerdem erschloß sich in dem völlig zugrunde gegangenen Libyen wenigstens eine Geschäftssphäre und das Schlepperwesen blühte auf. Davon ist vor allem Italien als Zielland betroffen, in geringem Maße auch Malta.
Solange Italien nichts tat und die auf irgendwelchen Schlauchbooten im Meer kenternden Afrikaner ihrem Schicksal überließ, füllte sich die Insel Lampedusa mit Wasserleichen und ihr Friedhof mit Wasserleichengräbern. Um die schiefe Optik loszuwerden, startete Italien eine Rettungsschiff-Aktion, die neue Flüchtlingsströme nach Italien lenkte.
Das Ende der Operation „Mare Nostrum“ der italienischen Marine und seine Ablöse durch das von Frontex geleitete „Triton“ im Jahr 2015 erhöhte wieder die Anzahl der Todesopfer, ließ aber die Flüchtlingsströme nicht versiegen, obwohl 2015 viele Flüchtlinge den Weg über Griechenland wählten. Auch 2015 kamen mehr als 100.000 Flüchtlinge nach Italien.
2016 waren es 181.436, 2017 immer noch 119.000. Heuer soll sich die Zahl reduziert haben, bisher kamen angeblich nur etwa 13.000 Flüchtlinge von Libyen nach Italien.
Die EU versuchte eine libysche Regierung zu implementieren, erfolglos. Sie sitzt zwar dort, hat aber nichts zu sagen.
Schließlich wurden von italienischer Seite Abmachungen mit verschiedenen libyschen Milizen getroffen, die Flüchtlinge zurückzuhalten. Denen muß man dafür natürlich etwas zahlen, weil sie verlieren ja eine Einkommensquelle. Außerdem wurden sie angehalten, ihre „Küstenwache“, also die unter ihrer jeweiligen Oberhoheit stehenden Schlepper oder nicht-mehr-Schlepper gegen ausländische Schiffe einzusetzen, die sich der Rettung von in Seenot geratenen Flüchtlingen verschrieben haben. Die libyschen Milizen haben diesbezüglich einige Arbeit geleistet und viele dieser zivilen Rettungsschiffe durch Drohungen oder Gewaltanwendung vertrieben.
Außerdem mußten diese libyschen Milizen auch eine Verwendung für die solchermaßen an der Weiterreise gehinderten Migranten finden. Ende 2017 machten Bilder über angekettete Schwarzafrikaner und Sklavenmärkte die Runde durch die Medien. Nein, sowas! Ein Skandal! Diese menschenverachtenden libyschen Milizionäre! Wieder einmal wurden sehr bleich Menschenrechtsverletzungen dingfest gemacht, die mit „uns“, der feinen EU, natürlich gaaaar nichts zu tun hatten.
Italiens neuer Besen und seine Kritiker, oder: eine EU-Komödie
Der inzwischen zum Innenminister avancierte Matteo Salvini will in der Migrationspolitik eine harte Linie fahren, wie auch schon im Wahlkampf angekündigt. Er machte eine Ankündigungstour durch Süditalien und ließ die Häfen sperren, sodaß über 600 von einer NGO gerettete Flüchtlinge im Meer festsaßen.
Die Medien warnten mit Getöse: eine humanitäre Katastrophe droht! Dieser Salvini!
Statt der angekündigten Katastrophe begann um diese Flüchtlinge und ihr Schiff eine typische EU-Komödie, und die Parteien- und Staatenkonkurrenz ging los. Verschiedene süditalienische Städte stellten sich gegen den Innenminister und luden das Schiff ein, in ihrem Hafen anzulegen.
Die meisten dieser Städte haben einen schlechten Ruf. Stadträte und Bürgermeister sind vermutlich heiß drauf, sich hiermit gegenüber verschiedenen Mafia-Verdächtigungen reinwaschen, wie in Neapel, Palermo oder Reggio Calabria.
Aber vielleicht hatten sie auch wirklich nur die besten Absichten …
Malta weigerte sich ebenfalls, das Flüchtlingsschiff anlegen zu lassen, aber die neu an die Macht gekommene spanische Minderheitenregierung sprang in die Bresche und präsentierte sich als Retter in der Not. Jetzt werden die 630 Personen an Bord des Schiffes „Aquarius“, das für so eine weite Reise gar nicht vorgesehen ist, in Schiffe der italienischen Küstenwache umgepackt und nach Valencia geschippert, was für Italien den Vorteil hat, daß dieses von „Ärzten ohne Grenzen“ betriebene Rettungsschiff einmal für eine Woche oder länger niemanden retten kann. Also ist Italien erfreut, auch darüber, daß es keinen Konflikt zwischen Innenministerium und Mezzogiorno-Städten gibt, die dem Image des neuen Ministers schaden könnten.
Noch froher ist Frankreichs Premierminister, der sich bei dem spanischen Premier bedankt hat, daß er die hartherzige Entscheidung Salvinis noch zu einem guten Ende geführt hat. Die Freude, daß Frankreich, das ja auch einige Häfen im Mittelmeer hat, nicht mit diesen Flüchtlingen behelligt wird, ist unübersehbar. Um so mehr, als sich dort ausgerechnet Korsika auch bereit erklärt hätte, sie aufzunehmen, um der Zentralregierung in Paris eins auszuwischen.
Unglaublich, was für ein Griß auf einmal um ein paar Flüchtlinge ist, die sonst keiner haben will …
Macron bezeichnete das Verhalten der italienischen Regierung als „ekelerregend“ und „verantwortungslos“, worauf Innenminister Salvini ihn dazu aufforderte, doch endlich einmal die 9.000 Flüchtlinge aufzunehmen, zu denen sich Frankreich im September 2015 verpflichtet, aber sie bis heute nicht aufgenommen hat. Und außerdem sollte er sich entschuldigen.
Die spanische Zeitung El País hat einen Reporter abgestellt, der auf der „Aquarius“ mitfährt und von dort live berichtet. Im Hafen von Valencia wartet vermutlich die Blasmusik, wenn so etwas dort zu den örtlichen Gepflogenheiten gehört.
In der Zwischenzeit dürfen vor der libyschen Küste Leute ungestört ertrinken …