Ein gängiger Vorwurf der letzten Jahre

WAS IST EIGENTLICH POPULISMUS?

Der Anschuldigung des „Populismus“, der den Politikern von SYRIZA derzeit an den Kopf geworfen wird, traf in der Vergangenheit auch Politiker wie Jörg Haider oder Viktor Orbán. Die einen seien „Links-“, die anderen „Rechts“-Populisten, so zogen sich die Medien aus der Affäre. „Populismus“ ist zu einem Totschlägerargument geworden, ähnlich wie „Verschwörungstheoretiker“– hier weicht jemand von einem gültigen Verhaltenskodex ab, und stellt sich außerhalb der Gemeinschaft der verantwortungsvollen Politiker.

Wikipedia sieht es ähnlich, daß der Inhalt des Vorwurfes recht diffus ist:

„Für den Begriff Populismus (lat.: populus, „Volk“) gibt es keine eindeutige Definition. In der politischen Debatte ist Populismus oder populistisch ein häufiger Vorwurf, den sich Vertreter unterschiedlicher Richtungen gegenseitig machen, wenn sie die Aussagen der Gegenrichtung für populär, aber nachteilig halten.“ (Wikipedia, Populismus)

Nachteilig für wen?

Im allgemeinen wird die Gegenseite beschuldigt, eine Wahlkampfstrategie zu verfolgen, in der dem werten Stimmvieh Dinge versprochen werden, die sie nicht einhalten können.
Das war und ist einerseits eine durchaus übliche und anerkannte Vorgangsweise, die eigene Partei mit Versprechungen an die Macht zu bringen, von denen man dann im Rahmen der gewonnenen „Regierungsverantwortung“ leider leider! Abstand nehmen muß, weil die vorgefundenen „Sachzwänge“ einen daran hindern.

Zunächst beschreibt also „Populismus“ eine ganz normale Vorgangsweise von Einseiferei des Wahlvolkes, das auch zu gegebenen Zeiten durchaus als Mittel der Parteienkonkurrenz anerkannt war.

Inzwischen haben sich allerdings diesbezüglich die Zeiten geändert.

Während lange die EU und die Mitgliedschaft in ihr als Sprungbrett für Frieden, Wohlstand und Völkerverständigung verkauft wurde und diese Art von Versprechungen zumindest geduldet wurden, solange sie verläßliche und stabile Regierungen an die Macht brachten, so hat sich das Blatt inzwischen gründlich gewendet: Die EU ist zu einer Schicksalsgemeinschaft geworden, die ihren Mitgliedern nichts bieten kann als Blut, Schweiß und Tränen, und das ständige Engerschnallen des Gürtels. Die Ablehnung von „Sozialgeschenken“, mit denen in früheren Zeiten Parteien für sich Werbung machten, wird mit der Berufung auf den „Steuerzahler“ verkauft, dem die Regierenden Verantwortung schulden. Das könnte man zwar auch als „populistisch“ bezeichnen, es wird aber inzwischen als hohe Kunst der Staatsführung gehandhabt und gewürdigt.

Und diese ganze Verzichtslogik, Sparprogramme und „Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt!“ paart sich mit einer ziemlichen Perspektivlosigkeit. Es wird zwar manchmal noch so getan, als müsse man nur in die Hände spucken und zusammenhelfen, und dann kommt schon irgendwann einmal der Aufschwung, aber dieses Blabla wird immer weniger, und eigentlich ist schon ziemlich durchgesetzt, daß die Party vorbei ist und in absehbarer Zukunft weder Wachstum noch Wohlstand sich so recht einstellen wollen.

Mit etwas Statistik-Kosmetik werden zwar bescheidene Wachstumsraten gemeldet und vorausgesagt, aber dann meistens im nächsten Jahr vermeldet, daß da doch nix war.

Unter diesen Umständen erweist sich die demokratische Form der Herrschaftsermächtigung zusehends als Hindernis fürs ordentliche Regieren. Die Wahlbeteiligung sinkt, und es kommen entweder keine stabilen Koalitionen zustande, oder einfach die Falschen an die Macht.

Schon bei den letzten Wahlen in Griechenland 2012 wurde bemängelt, daß das System der Demokratie eigentlich reparaturbedürftig sei, wenn so Parteien wie SYRIZA überhaupt um die Gunst des Wahlvolkes buhlen dürfen.

Inzwischen ist der Super-Gau eingetreten, und jetzt können sich die Medien gar nicht einkriegen über den verantwortungslosen „Populismus“ der SYRIZA. Da wurden doch glatt Sachen versprochen, von denen doch klar war, daß die nicht zu machen gehen! Die griechische Regierung hat doch überhaupt keinen Spielraum, sie ist dem Diktat der EU-Rettungsschirme unterstellt! Das hat Griechenland doch unterschrieben, und Vereinbarungen sind einzuhalten!

Nur einige Rückerinnerungen: Die Verträge mit der Troika wurden von Papadimos unterzeichnet, der als Wunschkandidat der EU vom griechischen Parlament ernannt und nicht gewählt wurde – nach dem plötzlichen Rücktritt Papandreus, der diese Vereinbarungen nicht unterschreiben wollte. Tsipras hat bereits 2012 darauf hingewiesen, daß verschiedene dieser Vereinbarungen der europäischen Sozialcharta widersprechen. Die Herabsetzung des gesetzlich festgesetzten Mindestlohnes per Dekret widersprach der griechischen Verfassung.

Es ist also sehr eindeutig, welche Art von Verträgen einzuhalten sind und welche nicht.

SYRIZA hat dabei alles andere als Wahlkampf-Einseiferei betrieben. Die Politiker von SYRIZA sind zu der Auffassung gelangt, daß die Vorgaben der EU Griechenland ruinieren – das Land, die Leute, den Kapitalstandort, die Nation – kurzum alles, worauf sich ein Staatsmann als Mittel und Masse seiner Macht beziehen kann und will. Die Herunterstufung zu einer Bananenrepublik a la Dominikanische Republik oder Ähnliches, mit etwas Tourismus und sonst einem Haufen Elend, wollen sie nicht hinnehmen.

Das wird ihnen als „Populismus“ vorgeworfen, und wer sich diesem Vorwurf anschließt, vermeldet damit, daß er die fortschreitende Verelendung innerhalb der EU für notwendig, unabdingbar und unwiderruflich hält.

Eine zerfledderte EU, eine kriegsgeile USA, und ein Haufen Schulden mit unsicherem Besitzer

WAR GAMES
Die EU kämpft derzeit an zwei Fronten um ihren Bestand.
I. Griechenland
Die entgegen allen Beeinflussungs-Versuchen an die Adresse der griechischen Wähler dennoch an die Macht gekommene neue Regierungsmannschaft steht vor einer ruinierten Ökonomie und einem Haufen Schulden. Es ist begreiflich und auch wirtschaftlich sinnvoll, wenn sie sagen; um die Wirtschaft einmal auf die Beine zu bringen, müssen die Schulden weg oder zumindest substantiell reduziert werden.
Diesem Ansinnen steht eine – nach anfänglichen Sympathien von Seiten einiger Regierungen – geeinte EU gegenüber, die sagt: „Kommt nicht in Frage!“
Man muß sich die völlige Unversöhnlichkeit der beiden Standpunkte vor Augen halten. Von den griechischen Politikern wird verlangt, sich alle „populistischen“ Wahlversprechungen abzuschminken und der weiteren völligen Zerstörung ihres Landes zuzustimmen, und diese dann auch noch aktiv voranzutreiben.
Um dieses unverschämte Ultimatum noch irgendwie zu unterstreichen, hat die EZB den Ankauf griechischer Staatsanleihen gestoppt, Standard & Poors die griechischen Anleihen weiter herabgestuft und über Reuters wird eine rosige Prognose für Spanien verbreitet, die zeigen soll, wie gut die Sparmaßnahmen dort gegriffen haben. Motto: es geht ja, wenn man nur will!
Was bleibt Griechenland eigentlich übrig? Eigentlich nur ein Austritt aus der EU und ein Anschluß an die Eurasisische Union, was auch wieder einen NATO-Austritt bedeuten würde, und ob der zugelassen wird?
Das Szenario ist angesichts der Unerbittlichkeit der restlichen EU-Staaten realistisch, wenngleich besorgnisserregend für die Lage in Europa. Es erhöht nämlich die Kriegsgefahr, angesichts einer USA, die mit allen Mitteln die EU hinter sich versammeln will, um zum Showdown gegen Rußland antreten zu können.
II. Die Ukraine
Die Ukraine hat keine Regierung, sondern nur ein paar Hampelmänner, die jeden Tag von den USA instruiert werden, was sie zu tun und zu sagen haben.
Sie hat kein Militär, sondern nur einen Haufen zu allem entschlossener Patrioten, die versuchen, Teile ihres 43-Millionen-Volkes mit vorgehaltenem Gewehr zum Abschlachten eines anderen Teiles zu bewegen. Es ist voraussehbar, daß dieses Programm nicht sehr dauerhaft sein, und schon gar nicht zur Herstellung einer nationalen Einheit dienen kann.
Sie hat kein Geld, und die produktiven Teile ihrer Ökonomie verringern sich täglich, während auch hier ein Haufen Schulden in der Warteschlange steht. Abgesehen davon, daß die EU unter der Hand vermutlich die Gasprom-Rechnungen gezahlt hat und noch zahlen wird, ist es auch fraglich, ob überhaupt die Zinsen auf die Staatsanleihen gezahlt werden, die bei irgendwelchen Banken herumgammeln. Möglicherweise werden die still und leise von der EZB bedient, aber pscht! damit dieUkraine nicht Staatsbankrott anmelden muß. Weil dann wären ihre Schulden endgültig entwertet.
III. Die EU
stört es zwar sehr, daß die Ukraine keine Regierung hat, den von ihr angezettelten Bürgerkrieg nicht gewinnen kann und der EU zusehends auf der Tasche liegt.
Noch mehr aber stört es sie, daß Griechenland eine Regierung hat und diese sehr klare Vorstellungen hat, was sie nicht machen will – 1000 Jahre und einen Tag die in den Tagen der EU-Herrlichkeit entstandenen Schulden bedienen.
Es geht, wie so oft, erst einmal ums Geld. Und zwar nicht nur in der Form, daß Geldsummen nicht gezahlt werden, sondern so, daß das Geld, was morgen verdient werden sollte, gestern bereits ausgegeben wurde, und daß zur Beglaubigung aller dieser Summen jede Menge politischer Kredit in die Welt gesetzt worden ist und noch werden wird, um die Fiktion, es handle sich hier nach wie vor um abstrakten Reichtum, als seien diese Summen alle gültig und wahr, aufrechtzuerhalten.
Da die EU damit beschäftigt ist, ihr schönes Weltgeld vor dem Verfall zu retten, kommt sie kaum mehr zur echten Pflege ihrer Außenpolitik und diplomatischen Beziehungen, und alle diesbezüglichen Auftritte ihrer Oberhäuptlinge haben die Qualität einer Mischung aus Reality Show und Zirkusvorführung.

Zum Jahresausklang 2014

ZEITENWENDE
Das Jahr 2014 hat einiges an Klarstellungen über das Projekt EU und auch über den seinerzeitigen Systemwechsel in Osteuropa gebracht.
Aus der ganzen EU ist irgendwie die Luft draußen. Der Versuch, Wachstum durch Kredit zu erzeugen, ist weltweit schiefgegangen und hat gezeigt, daß die Weltgelder, so auch der Euro, vor allem auf staatlichen Garantien beruhen.
Der Versuch der EU, durch Einverleibung eines neuen Territoriums und seiner Bewohner in den Binnenmarkt die Rezession und Stagnation zu überwinden und vor allem den Kreditschwindel – d.h. krediterzeugtes Wachstum in wirkliches verwandeln zu wollen – wieder auszuweiten und zu beleben, ist gründlich schiefgegangen und hat unter anderem auch das europäische Kreditwesen zusätzlich in Mitleidenschaft gezogen: es ist nicht nur die angestrebte Ausweitung des Geschäftes mißglückt, sondern viele bereits vergebene Kredite sind uneinbringlich geworden und vielen weiteren Wertpapieren – ukrainischen und russischen Anleihen – droht die Entwertung.
Die EU hat sich einen Krisenherd vor der eigenen Haustür geschaffen, dessen Bewältigung mit friedlichen Mitteln nicht möglich ist, was Schlimmes für die Zukunft ahnen läßt.
1. Die Ukraine: finanziell ein Faß ohne Boden, politisch ein Pulverfaß
Die Ukraine gefährdet die Energieversorgung Europas. Erstens ist anzunehmen, daß sie ihre Gasrechnung nicht zahlen kann, Gasprom aber auf Zahlung beharrt. Selbst wenn die EU der ukrainischen Regierung das Geld leihen würde, was praktisch einer Schenkung gleichkäme, so ist damit gar nicht garantiert, daß es an Gasprom weitergegeben und nicht für Investitionen in den Gewaltapparat verwendet würde, auf den sich die ukrainische Regierung zwar unverhohlen, aber mit geringem Erfolg stützt. Die Zahlung muß aber über die Ukraine erfolgen, da sie als Kreditnehmer in die Haftung genommen werden soll – ganz ohne eine zumindest formelle Absicherung würde die EU das Geld nicht hinüberschieben.
Das Gasproblem ist dabei zweitens heute noch drängender als im Gaskrieg 2009, weil der Ukraine aufgrund des Bürgerkriegs im Donbass die Versorgung mit ihrem eigenen Energieträger, der Kohle, großflächig zusammengebrochen ist. Zum unbezahlbaren Gas kommt jetzt noch die nicht vorhandene Kohle, eine Art Doppel-Loch, das der ukrainischen Bevölkerung bereits zu schaffen macht.
Die Ukraine hat noch ein paar Atomkraftwerke, die ausnahmslos sowjetischer/russischer Bauart sind. Wenn da jetzt Ersatzteile nicht mehr eingekauft, Wartungsarbeiten nicht mehr durchgeführt werden …
Die Ukraine muß ebenso wie Griechenland kreditiert werden, um nicht bankrott zu gehen, und die europäischen Anleihenbesitzer – Banken, Versicherungen usw. – nicht mit einem Haufen entwerteter Papiere sitzen zu lassen. Die EU muß also einmal mehr ihren politischen Kredit strapazieren, Garantien abgeben, die EZB Geld drucken lassen oder sie zu Krediten anregen, – um verschiedene ihrer strategisch wichtigen Geldinstitute vor herben Verlusten zu bewahren, die womöglich einen Bankencrash verursachen könnten.
Die Ukraine fällt als der ursprünglich angestrebte Markt aus, da die schon vorher geringe Zahlungsfähigkeit jetzt durch den Sturz der Hrywna und den Umstand, daß die Kreditvergabe inzwischen völlig zum Erliegen gekommen ist, ziemlich futsch ist. Weder hat jemand Geld für Importprodukte, noch ist die Konvertibilität gewährleistet.
Es ist zwar gelungen, eine neue Regierung und ein neues Parlament zu installieren, von denen aber gar nicht klar ist, inwiefern sie als EU-freundlich zu bezeichnen sind. Die Hampelmänner in Kiew halten gerne die Hand in Richtung EU auf, tanzen aber nach der Pfeife der USA. Außerdem ist auch nicht gewährleistet, daß sie ihr Land im Griff haben. Die abtrünnigen Gebiete sowieso nicht, aber auch den Sicherheitsapparat und die bewaffneten Verbände nicht – Reste des Militärs, Milizen und Nationalgarde, eine gesäuberte und teilweise mit Söldnern bestückte Polizei und einen Staatssicherheitsdienst, der eine Art Unterabteilung des CIA ist. Und wenn sich die Lebensumstände der Ukrainer rapide verschlechtern sollten, wofür alle Anzeichen sprechen, so ist nicht sicher, ob dieser Fleckerlteppich aus Rowdys und Agenten Ruhe und Ordnung im Land gewährleisten kann.
Das ist auch der Haupt-Grund, warum die Ukraine in die NATO will. Die Hampelmänner in Kiew hätten gerne eine Besatzungsmacht, die ihnen ihre Pfründe sichert, die Separatisten im Donbass plattmacht, Rußland hinauskomplimentiert und die eigene Bevölkerung auch noch in Schach hält, während sie sich die Taschen füllen, so gut es geht. Das Modell Bananenrepublik hat es ihnen angetan.
Weltpolitisch hat dieses Jahr vor Augen geführt, daß die EU als Konkurrenz zur Weltmacht Nr. 1 gescheitert ist und nur im Windschatten der NATO und am Gängelband der USA überhaupt weiter bestehen kann.
2. Rußland, der alte-neue Feind
Die Führer der Sowjetunion warfen ihr altes System weg, weil sie es für untauglich zur Erreichung wirklicher Macht und Größe hielten. Eine der Illusionen, von denen dieser Schritt begleitet war, bestand darin, daß sie sich damit die Feindschaft des Westens und damit viele ihrer Rüstungsausgaben ersparen würden.
Im Westen war der Siegesjubel groß: Nicht nur das verhaßte System war weg und die ganze Gegend öffnete sich für Kapital und Raubritter aller Art – das große Ding zerfiel auch noch und ruinierte seine produktive Basis. Mitte der 90-er Jahre gab es berechtigte Hoffnung in westlichen Metropolen, daß dieser Prozeß immer weiter fortschreiten würde. Rohstoffreiche Regionen in Sibirien zeigten Unabhängigkeitsgelüste, und der Bürgermeister von Petersburg spielte mit dem Gedanken, eine Art eigenen Stadtstaat auszurufen. Der Bsuff, der für den Restbestand des Reiches zuständig war – „Regieren“ konnte man das nicht nennen, was Jelzin trieb – und seine Kumpane taten auch alles, um die Zerstörung fortzusetzen.
Als sich da ein neuer Mann in den Vordergrund spielte, der sich bemühte, diesem Treiben Einhalt zu gebieten und wieder so etwas wie ein Gewaltmonopol einzurichten, wurde das mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Einerseits herrschte Erleichterung, daß das Waffenarsenal inklusive Atomwaffen wieder von einer halbwegs verläßlichen Zentralgewalt beaufsichtigt wurde. Andererseits fiel den Politikern, Think Tanks und Geheimdiensten unangenehm auf, daß Rußland sich doch wieder zu einem Staat entwickelte, mit den entsprechenden Ambitionen auf internationale Anerkennung und Geschäftsformen. Dieser neue Führer war nicht mit einer Flasche Wodka zur Unterschrift unter alles und jedes zu bewegen, und machte sich daran, die Macht der Oligarchen zurechtzustutzen.
Den westlichen Geschäftsleuten hingegen gefiel der Auftritt Putins auf der politischen Bühne, und vor allem aus denjenigen Staaten, die früher Osthandel getrieben hatten und deshalb eine Kenntnis der Gepflogenheiten besaßen, machten sich viele Unternehmer auf, um wieder in Rußland Fuß zu fassen.
Der heute deutlich gewordene Interessensgegensatz zeichnete sich also schon seit geraumer Zeit ab: Ideologen und Strategen, Medienfritzen und NATO-Beamte warnten vor einer neuen „Diktatur“ da drüben, während Geschäftsleute die großen Möglichkeiten priesen, die Rußland eröffnete. Die Dissonanz steigerte sich bis zu den Winterspielen in Sotschi, die eigenartiger Weise gerade mit der Zuspitzung der Maidan-Proteste und der Absetzung Janukowitschs zusammenfielen. Das Timing war gut – während Eiskunstläufer ihre Pirouetten drehten, andere irgendwelche Gegenstände übers Eis beförderten, Damen im Schi-Freestyle ihre Darbietungen machten, wurden auf dem Maidan ein Haufen Leute erschossen und der gewählte Präsident der Ukraine weggeputscht. Wer immer diese Show auf dem Maidan arrangiert hatte, wußte, daß der russische Bär beschäftigt war und nicht eingreifen konnte. Um so größer der Ärger, als kein Monat verging und er schon ein Stück aus der Ukraine herausgerissen hatte.
Und seither ist Schluß mit lustig. Im Verhältnis EU-Rußland ist viel von der Propaganda von gestern widerlegt worden: es lag gar nicht nur am „System“: jede andere Macht, die sich unserem Expansionsdrang entgegenstellt, stört. Jugoslawien ließ sich noch wegräumen, Rußland ist dafür zu groß. Die Feindschaftserklärung ist dennoch erfolgt, der Fehdehandschuh mit den Sanktionen hingeworfen, und die EU nimmt eine ziemliche Schädigung der eigenen Ökonomie in Kauf, um an diesem Standpunkt festzuhalten.
Angesichts dieser Entwicklungen ist den Granden der EU nichts anderes übriggeblieben, als sich wieder an den Rockzipfel der USA zu klammern, was diese gnadenvoll und hocherfreut verbucht haben.
3. Die USA, der alte-neue Freund
Die USA haben ihre eigenen Pläne mit der Ukraine, die nicht ökonomischer, sondern strategischer Natur sind: Sie wollten und wollen die Ukraine als Verbündeten und Aufmarschgebiet gegen Rußland einsetzen. Man erinnere sich, daß das „Partnership for Peace“-Programm, der Vorhof zur NATO-Mitgliedschaft, seinerzeit – 1994 – von Clinton in Kiew vorgestellt wurde. Der Ärger, in fast 20 Jahren diesem Ziel nicht nähergekommen zu sein, veranlaßte die jetzige Regierung, einmal kräftig die Brechstange einzusetzen, um eine mißliebige Regierung auszuhebeln und eine den USA genehme zu installieren. Besonders gern hätten sie sich auf der strategisch wichtigen Krim eingenistet, umso größer daher die Empörung, als diese Möglichkeit durch Rußland zunichte gemacht wurde. Aber derzeit laufen sicherlich Verhandlungen zum Einrichten von Basen in der Ukraine, es ist auch durchaus möglich, daß da schon konkrete Schritte gesetzt wurden. Ob das Modell Kosovo – eine Marionetten-Regierung, keine legale Ökonomie, und bewaffnete Ex-Milizionäre als Sicherheitskräfte – sich auf die Ukraine, ein Land mit 43 Millionen Einwohnern an der Grenze zu Rußland übertragen läßt, wird erst die Zukunft weisen.
Gleichzeitig, – und das ist ein fast noch größerer Erfolg als das in der Ukraine Erreichte – ist es gelungen, die EU auf die Gegnerschaft zu Rußland zu verpflichten und den ganzen bunten Haufen hinter der Weltmacht USA zu versammeln.
Die enttäuschten Freunde der EU, die ihre mangelnde Souveränität und Unterordnung unter die US-Interessen beklagen, seien allerdings daran erinnert, daß die ganze Einmischung in der Ukraine ein seit der Unabhängigkeit dieses Staates betriebenes EU-Projekt war. Die Ukraine stand auf der Wunschliste der EU, die mit gierigen Augen die Möglichkeiten dieses Staates (groß, bevölkerungsreich, ein Riesen-Markt!) betrachtete, ohne sich mit der Wirklichkeit dieses Gebildes zu befassen. (Kein Kapital, keine nationale Einheit, ein kaputtes AKW, eine Richtung Rußland gerichtete Industrie, keine Grundbücher und ungeklärte Eigentumsverhältnisse, und eine außergewöhnlich skrupellose Führungsschicht, die Land und Leute auf jeden Fall für die eigene Bereicherung verwenden wollte, ohne andere nationale Ziele zu verfolgen.) Die EU hat sich also keineswegs von den USA zu diesem Schritt drängen lassen, sondern der entsprach ihren Interessen, und auch ihrer inneren Logik.
4. Die Aussichten für die EU
Die Politik der EU, die sich bis zur Krise 2008 als Erfolgsstory präsentierte, bestand nämlich darin, in einem fort bestehende Volkswirtschaften möglichst zu ruinieren und zu desindustrialisieren – wozu unter anderem die Assoziationsabkommen dienten –, um sie dann mittels Kredit in zahlungsfähige Märkte zu verwandeln. Der europäische Finanzsektor, allen voran deutsche und österreichische Banken, pumpten jede Menge Konsumentenkredite in diese Länder, mit teilweise abenteuerlichen Konstruktionen, sie füllten ihre Portfolios mit Staats- und Kommunalanleihen der europäischen Staaten und warfen sich medienwirksam in die Brust, wie geschäftstüchtig sie seien. Dieser Schwung brach mit der Finanzkrise ab, und die ersten Kredit-Kartenhäuser fielen zusammen. Die Ukraine erschien als eine Möglichkeit, das Spiel von vorne zu beginnen, und da haben sich alle gründlich verrechnet. Während der Kredit in der Eurozone keineswegs wiederhergestellt worden ist, brechen jetzt die nationalen Kredite und Wertpapiere der Ukraine und Rußlands weg.
Dazu kommen noch die Sanktionen, die die Rezession in der Eurozone noch verstärken werden. Mit den Sanktionen und der Zahlungsunfähigkeit der Ukraine gehen große Märkte verloren, für die kein Ersatz in Sicht ist.
Die Absicht der EU, über die ökonomische Leistungsfähigkeit den USA den Rang als Weltmacht abzulaufen, ist endgültig gescheitert. Diverse EU-Häuptlinge machen inzwischen dem großen Bruder der Reihe nach ihre Aufwartung und betonen mit Augenaufschlag, daß das doch alles nie böse gemeint war. Mit dem Einschmeicheln in Amerika versuchen sie in der EU-internen Konkurrenz zu punkten und ihre Vormachtsstellung zu wahren bzw. auszubauen. Hauptsache, man kann auf dem eigenen Misthaufen lauter krähen als die anderen!
Die EU ist in jeder Hinsicht am Ende. Sie hat keine Perspektive mehr, aber mit der Ukraine einen teuren und unberechenbaren Betreuungsfall am Hals. Ähnlich wie bereits einigen ihrer krisengeschüttelten Mitgliedsstaaten ist ihr die Staaträson abhanden gekommen. Es geht nur mehr um Selbsterhalt: Verhindern des Auseinanderbrechens, Verhindern des Zerfalls des Euro, Kampf gegen den sich abzeichnenden weiteren Abstieg als weltpolitischer Faktor. Sollte sie wirklich das Freihandelsabkommen mit den USA unterzeichnen, so wäre dies ein weiteres Eingeständnis ihrer Niederlage in der Konkurrenz gegenüber den USA, und würde den Abstieg der EU beschleunigen.
2015 wird zeigen, wie die Bevölkerung Europas darauf reagieren wird. Damit sind nicht nur die Armen und Entrechteten, sondern auch die rechtsradikalen Parteien und die über der EU-Politik zusehends ungehaltenen Unternehmer gemeint.