Pressespiegel El País, 15.1.: Waffenlieferungen an die Ukraine

PANZERLIEFERUNGEN SIND UNABDINGLICH, DAMIT DIE UKRAINE EINE NEUE OFFENSIVE STARTEN KANN

Cristian Segura, Kupjansk, 15.1.:

„Die Vereinigten Staaten und mehrere europäische NATO-Staaten haben ein neues Kapitel in der Lieferung von Waffen an die Ukraine aufgeschlagen, das der gepanzerten Fahrzeuge.“

Ist das wirklich ein neues Kapitel? Meines Wissens wurden aus DDR-Beständen bereits Panzer hinübergeschoben, auch Polen hat meiner Erinnerung nach sowjetische Panzer hinübergeschickt.
Das neue ist eben, daß erstmals NATO-Panzer geliefert werden.

„Seit letztem Dezember wurden Ankündigungen gemacht, leicht gepanzerte Kampffahrzeuge und Infanterietransporte in die Ukraine zu schicken: Washington hat mit der Lieferung von 50 Bradley-Einheiten begonnen; Deutschland, 40 Marder geschickt; zusätzlich zu Frankreich, das den noch stärkeren AMX-10 liefern wird.
Aber damit die Ukraine eine neue Offensive starten kann, die es ihr ermöglicht, verlorenes Territorium zurückzugewinnen, braucht sie weitere Panzer. Ohne diese wird seine Armee nicht vorrücken, versichern ukrainische Offiziere der 3. Separaten Panzerbrigade und der 92. Mechanisierten Brigade, die von EL PAÍS an der Charkow-Front interviewt wurden.

Die beiden Panzer, die Kiew unbedingt haben will, sind die deutschen Leopard und die amerikanischen Abrams. Experten sagen, daß die beste Option aus geografischen Gründen der Leopard ist, weil er die am weitesten verbreitete schwere Panzerung in Kontinentaleuropa ist – 2.000 Einheiten, nach Angaben der Financial Times.“

Hat nicht Neoprene ganz andere Zahlen genannt, die in Depots herumstehen sollen? Woher seine Zahlen, wenn die FT nur auf diese bescheidene Summe kommt?

„Das Problem ist, daß die Länder, die diese Fahrzeuge haben – darunter Spanien – für ihren Export die Zustimmung Berlins per Vertrag benötigen, weil sie in Deutschland produziert wurden. Die Regierung von Olaf Scholz war bisher der Ansicht, daß die Entsendung schwerer Panzer die Spannungen mit Russland erhöhen würde, hat sich aber für eine Genehmigung geöffnet, wenn die Vereinigten Staaten dasselbe mit ihren Abrams tun. Das Vereinigte Königreich kündigte am Samstag die Lieferung von Challenger-2-Panzern an.

Die Zahlen, die die Verbündeten von Kiew in Betracht ziehen, sind im Moment im Vergleich zu den ukrainischen Anforderungen bescheiden. Der Oberbefehlshaber seiner Streitkräfte, Valeri Zaluzhni, wies im vergangenen Dezember darauf hin, daß seine Truppen 300 Panzer, 700 gepanzerte Infanteriefahrzeuge und 500 Artilleriegeschütze der NATO benötigen, um das seit dem 24. Februar verlorene Territorium zurückzuerobern. Laut dem britischen Zentrum für Militärstudien RUSI verfügte die Ukraine zu Beginn der Invasion über 900 Panzer, und Russland hatte 3.200 gepanzerte Fahrzeuge in seiner Offensive. Laut der Militäranalysegruppe Oryx verlor die Ukraine im Jahr 2022 etwa 500 Panzer und Russland 1.500. (…)

Alkut ist der Deckname des Obersten, der die 3. Brigade befehligt. Er ist 59 Jahre alt und ein Veteran des Donbass-Krieges 2014, er diente auch im Irak und in Afghanistan, in ukrainischen Bataillonen, die die US-Besatzung unterstützten.
Alkut absolvierte in den 1970er Jahren eine Ausbildung zum Tanker an einer sowjetischen Akademie. In diesem Jahrzehnt wurde der Leopard 2 in Dienst gestellt, die Fahrzeuge, die die Ukraine jetzt so begehrt. Warum sind diese besser als sowjetische Panzer aus diesen Jahren?
»Ich habe mit einem T-72 trainiert, und da waren die Leoparden schon besser. Die UdSSR setzte nicht auf Qualität, sondern auf Quantität. Aber es ist auch so, daß westliche Länder seither – im Gegensatz zu den Sowjets – dieselben Panzer modernisierten«.

Seit den Niederlagen, die Moskau im vergangenen September und Oktober an den Fronten in Charkow und Cherson erlitten hat, hatte die Invasionsarmee Zeit, ihre Verteidigungslinien zu verstärken.
Alkut nennt mehrere Beispiele für die Vorteile des Leoparden und des Abrams, die sie unentbehrlich machen würden, um diese Linien an der Front von Lugansk zu durchbrechen: ihre Panzerung; die Manövrierfähigkeit und die Motorleistung sind besser, was die Sicherheit sowohl der Soldaten, die sie bedienen, als auch der Infanteriekolonnen, die ihnen beim Angriff folgen, garantiert; seine Ergonomie ist unvergleichlich besser als bei sowjetischen Panzern, was bei stundenlangen Gefechten entscheidend ist. Sie verfügen über Nachtsichtgeräte und eine Technologie, die die Bewegung des feindlichen Ziels berechnet, um mit größerer Präzision zu schießen.

Andrei Krevonosk, Kommandant eines T-72 der 3. Mechanisierten Brigade, erklärt, daß seine Panzer nichts mit den modernen russischen Panzern zu tun haben, wie dem T-80 BVM oder dem T-64 BV, die über optische Visiere der neuesten Generation verfügen und Motoren vergleichbar mit dem Abrams. »Wenn wir einen erbeuten, feiern wir das«, sagt Krevonok. Sein Vorgesetzter Alkut schätzt, daß die Angriffskraft eines Abrams der von zwei oder drei sowjetischen Panzern entspricht.

»Sind schwere Panzer ein Relikt der Vergangenheit?« So lautete der Titel eines runden Tisches, der im vergangenen Oktober beim Warschauer Sicherheitsforum stattfand. Drei der wichtigsten Generäle der NATO wurden bei diesem Treffen zitiert. Mark Carleton-Smith, bis letztes Jahr britischer Generalstabschef, plädierte für Armeen mit weniger Panzern, aber mit einem ausgereiften technologischen Niveau, eine Position, die Andreas Marlow, Deutschlands stellvertretender Generalstabschef, teilte. Bis zum Krieg in der Ukraine ging der Trend laut Carleton-Smith dahin, die Investitionen in Panzer zugunsten von Bereichen wie Drohnen und mobiler Flugabwehr zu reduzieren. »Aber die Ukrainer sagen uns, daß die Panzer unverzichtbar sind, und sie sind diejenigen, die gegen die Russen kämpfen«, gab dieser britische General zu.

Oberst Alkut schloss sich den Worten von Carleton-Smith an, betonte aber, daß die Ukraine mehr Einheiten brauche, als eine NATO-Armee benötigen würde – diese hier spezialisiert sich auf leichte und schnelle Einheiten –, weil es sich um einen großangelegten Krieg handelt und weil sie auch Panzer als Artillerie einsetzen, bedingt zum Mangel an Haubitzen, die sie haben.

Versorgungsmängel

Dvorkin ist Kompaniechef von 10 T-64 der 92. Mechanisierten Brigade. Unter einem Kiefernwald in der Nähe der Front, in der Nähe der russischen Artillerie, sind Dutzende von Panzern versteckt, von denen die meisten gewartet werden. »Alle unsere Maschinen sind in schlechtem Zustand«, sagt dieser Sergeant, während er EL PAÍS die sichtlich abgenutzten Ketten der Panzer zeigt. Die Maschinenpistolen mancher Panzer könnten nur noch die Hälfte der Geschosse abfeuern, fügt er hinzu. »Diese Waffen werden seit 2014 im Kampf eingesetzt, und wir befinden uns unter dem Munitionsminimum«, betont Dvorkin.
Mikola Timkov, Hauptmann der 3. Brigade und Kommunikationschef, bestätigt, daß sie Probleme mit der Munitionsversorgung haben, weil selbst die aus anderen osteuropäischen Ländern stammenden Kugeln für ihre Kanonen praktisch erschöpft sind.

Der wichtigste unfreiwillige Lieferant von Panzern für die Ukraine war Russland. Seit Ende März, als die Kreml-Truppen begannen, sich aus Kiew und den angrenzenden Provinzen zurückzuziehen, haben die ukrainischen Streitkräfte neben anderen Fahrzeugen und Waffen Berichten zufolge fast 500 russische Panzer erbeutet.
Andrii ist ein 32-jähriger Leutnant und führt einen Zug an, der mit einem T-64 von Dvorkins Kompanie kämpft. Seine Mission am vergangenen Donnerstag bestand darin, zu versuchen, einen T-72 zu reparieren, den er als Kriegsbeute von den Russen erhalten hatte. »Nur zwischen 10 % und 20 % der Panzer, die die Russen zurücklassen, können wieder für den Kampf eingesetzt werden, sie sind in sehr schlechtem Zustand. Sie können jederzeit kaputt gehen, aber unsere auch. Die sowjetische Maschinerie ist sehr schlecht«, sagt Andrii. Oberst Alkut schätzt, daß jeder dritte von den Russen erbeutete Panzer von den ukrainischen Streitkräften benutzt wird; der Rest wird verschrottet, um seine Komponenten für Reparaturen zu verwenden.

Carleton-Smith war skeptisch gegenüber der Wirksamkeit einer Offensive mit großen Panzerdivisionen – und nicht auf schnell agierenden leichten Einheiten wie denen, die im September die Charkiw-Front durchbrachen – und zwar am Beispiel der Russen: Obwohl auch aufgrund einer miesen Strategie, sind ihre Panzer im Krieg in der Ukraine wie die Fliegen gefallen.
Ein Grund dafür ist laut Leutnant Andrii die Effektivität der ukrainischen Feuerkraft: »Wir brauchen im Durchschnitt drei Schüsse, um das Ziel zu zerstören; Russische Einheiten hingegen feuern willkürlich und unabhängig von der verbrauchten Munition. Außerdem – Gott gebe, daß wir so weitermachen – sind wir effizienter im Einsatz von Drohnen, um die Koordinaten der Ziele anzuzeigen.«

Dvorkin weist auch darauf hin, daß die russischen tragbaren Panzerabwehrraketen, die RPGs, viel weniger zerstörerisch sind als die Panzerabwehrwaffen, die die Ukraine von der NATO erhalten hat, vor allem die amerikanischen Javelins. Dvorkin und Alkut sind sich einig, daß sie Panzer haben, die von bis zu drei sowjetischen Panzerabwehrraketen getroffen wurden, und die Fahrzeuge haben weiter gekämpft. Für einen Nato-Hauptpanzer wäre der Schaden laut Dvorkin und Alkut noch geringer.
»Nach dem derzeitigen Stand unserer Panzertruppen ist eine Offensive ohne den Erhalt westlicher Panzer nicht möglich«, schließt Dvorkin.
Die ukrainischen Pläne sehen vor, die Angriffe im Winter wieder aufzunehmen, wenn der Boden gefroren ist und die Panzer besser rollen können. Im Frühjahr verwandeln Regen und steigende Temperaturen die Landschaft in einen Morast, durch den gepanzerte Fahrzeuge länger brauchen, um voranzukommen.

Es könnte auch ein Nachteil sein, daß die Ukrainer nur Erfahrung mit sowjetischen Panzern haben. Außerdem wäre es mit den Leopard oder den Abrams notwendig, eine neue Lieferkette für Komponenten und Munition aus der Europäischen Union aufzubauen.
Aber Dvorkin antwortet mit Nachdruck: »Wir haben kompliziertere Dinge erreicht.« Mit seinen Händen immer noch auf dem russischen T-72, den er und seine Männer zu reparieren versuchen, gibt Andrii sein eigenes Beispiel: »Vor dem 24. Februar hatte ich keine militärische Erfahrung, ich habe im Verkauf von Software für Handys gearbeitet. In 40 Tagen wurde ich zum Panzerfahren ausgebildet und jetzt stehe ich hier und kämpfe gegen die Russen. Warum kann ich es nicht mit einem Leoparden wiederholen?«“

Pressespiegel Komsomolskaja Pravda: 100 Jahres-Jubileum der Gründung der Sowjetunion

„EIN LAND GROSSER TATEN ODER EIN TRAGISCHES EXPERIMENT: WAS WAR DIE UDSSR WIRKLICH?

Am 30. Dezember jährt sich die Entstehung der UdSSR zum 100. Mal
Wir kennen die UdSSR als eine der größten Mächte ihrer Zeit. Doch weniger als 70 Jahre sind vergangen, seit das Land, das immer noch Millionen mit Nostalgie erfüllt und das zu einem Symbol für Stabilität und Macht geworden war, zusammenbrach. So schnell wie sie geboren worden war.“

Nun ja. Zur Entstehung waren 2 Revolutionen (die von 1917) bzw. 4 (wenn man die von 1905 und 1912 dazuzählt) und ein mehrjähriger Krieg und Bürgerkrieg vonnöten. Für den Zerfall genügte ein feuchtfröhlicher Abend zu dritt auf einer Datscha in Weißrußland.

„Was war also die UdSSR? Ein großes und tragisches Experiment, das den Schlußstrich unter das Russische Reich zog, oder eine glänzende Zukunft, in der wir lebten, aber sie nicht verstanden, weil wir ihr nicht gewachsen waren?
Wir haben darüber mit dem Historiker Pavel Pryanikov und dem Autor des Buches »Der Geheimcode der UdSSR« Alexander Myasnikov gesprochen.

Mit Austrittsrecht geködert

KP: Für den Umstand, daß die Sowjetunion schließlich zusammenbrach, beschuldigen viele ihre Gründer: Lenin und Stalin.
Sie gewährten jeder Republik das Recht, auf eigenen Wunsch aus der UdSSR auszutreten. Wovon die Republiken 1991 Gebrauch machten. Warum also stimmten sie vor 100 Jahren solchen Bedingungen für die Gründung der Union zu? Wussten sie nicht um die zerstörerische Kraft dieses Austrittsrechtes?

PP: Versetzen Sie sich kurz in die damalige Situation. 1922 hat das Land bereits Finnland, das Baltikum, Polen und die Hälfte Moldawiens verloren. Russland war so schwach, dass es sogar gezwungen war, Esten und Letten einen Teil seines Territoriums (Isborsk) zu überlassen und Reparationen (mehrere Tonnen Gold) zu zahlen. Alles lag in Trümmern. An der Staatsspitze standen Menschen, die noch nie mit Staatsführung zu tun hatten. Der Erste Weltkrieg, dann die Revolution und der Bürgerkrieg hatten die dünne Schicht der Regierungsbeamten – 2 Prozent der Bevölkerung – weggespült.

KP: Und dann beschlossen die verbleibenden Republiken, sie mit einem solchen „Zuckerbrot“ in die gemeinsame Union zu locken?

PP: Natürlich. Sie mussten sie zumindest unter allen Umständen vereinen – mit der Verlockung: Wenn es dir nicht gefällt, kannst du gehen.
Damals war es wichtig, einfach ein einheitliches wirtschaftliches und politisches Gebilde zu schaffen. Denn einige der Republiken waren strategisch wichtig: Ohne die Ukraine hätte Russland nicht überlebt – als Hauptkornkammer plus Kohle und Stahl. Es ging darum, Armut und Hoffnungslosigkeit hinter sich zu lassen. Deshalb kam es zu großen Zugeständnissen.

Die Alternativen und die Kompromißformel

KP: Wer hat die Gründung der Union in dieser Form initiiert? Haben Stalin und Lenin verstanden, dass nationale Republiken eine schlechte Option sind?

AM: Lenin hatte eine Ansicht darüber, wie der neue Staat eingerichtet werden sollte, Stalin hatte eine andere.
Laut Lenin sollte dies die UdSREuA sein – die Union der Sowjetrepubliken Europas und Asiens. Diese Konstruktion unterstützte Leo Trotzki. Sie entsprach den Zielen der Komintern, also der künftigen Weltrevolution.
Stalin schlug eine alternative Option vor: Alle Republiken sollten als autonom Regionen Teil Rußlands werden, ohne Austrittsrecht.
Das heißt, die UdSSR erwies sich als Kompromiss zwischen der UdSREuA und der RSFSR.“

Die Leninsche Konstruktion bleibt in diesem Gespräch unklar. Es scheint, daß er noch mehr Teilrepubliken vorgesehen hätte, wobei Rußland noch weniger Gewicht gehabt hätte, und alles mit Austrittsrecht.
Demzufolge ist es nur Stalin zu verdanken, daß die UdSSR überhaupt 70 Jahre bestehen konnte.
Man darf an dieser Stelle nicht vergessen, daß dieser Unions-Gründungsvertrag der SU zum Vorbild für die Verfassungen Jugoslawiens (von 1974) und der Tschechoslowakei wurde.

„PP: Lenin war Maximalist, er glaubte, dass wir weiter expandieren würden, dass es eine »Republik Zemshara« (= Erdkugel) geben würde. Stalin bewegten eher taktische Überlegungen.
Ende der 1930er Jahre gestand er: »Was bin ich im Vergleich zu Lenin? Ein bloßes Insekt.« Das sagte er in seinem berühmten Trinkspruch am 7. November 1937 in Woroschilows Wohnung.

Im Kaukasus rumorte es

KP: Die Grenzen der Unionsrepubliken – wer zog die?

PP: Formal das Ministerium für Nationalitäten. Das unterstand Stalin. Aber die Koordination ging immer noch über Lenin, über das Zentralkomitee. Es war eine schwierige Aufgabe. Damals wußte niemand, wie man das anstellen sollte.“

Das ist heute noch genauso, nicht nur in Rußland.

„Sie zogen sie ungefähr dort, wo die ethnische Mehrheit war. Und später wurden die Grenzen noch ein paar Mal geändert.

KP: Damals gab es noch die Transkaukasische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik (TSFSR). Es umfasste Georgien, Armenien, Aserbaidschan und Abchasien.

AM: Ja. Sie gehörte zusammen mit Weißrussland, der Ukraine und der RSFSR zu den vier Gründern der UdSSR. Die Bolschewiki glaubten, dass die Vereinigung Transkaukasiens in der TSFSR notwendig sei, um dort nationalistische Aufstände zu verhindern. Dies war die unruhigste Region. Der armenisch-aserbaidschanische Krieg von 1918 bis 1920 bereitete große Sorgen. Damals gab es Massaker und ethnische Säuberungen.

Lenin blendete die Ukraine

KP: Wie kamen sie auf die Idee, ganz Neurußland an die Ukraine zu übergeben?

AM: Auf Beschluss Lenins. Die Ukrainische SSR wurde 1919 auf einem Kongress in Charkow (der Hauptstadt der damaligen Republik Donezk-Kriwoj Rog) proklamiert. Es wird traditionell so angesehen, dass sie auf dem Territorium von Kleinrußland gebildet wurde. Aber in Wirklichkeit umfasste sie auch den größten Teil von Neurußland – das Gebiet von Chisinau bis Lugansk, d.h. die gesamte Schwarzmeerküste und die Küste des Asowschen Meeres.“

Hier ist natürlich auch eine gewisse Geschichtsklitterung bzw. Verlegenheit zu beobachten, denn dieses Gebiet war damals umstritten zwischen den Machnowzy, Kosaken und den Interventionsarmeen. Die Kongreßdelegierten in Charkow vertraten also ein Territorium, das sie nicht kontrollierten.

„Sehen wir die Fakten an: Im Januar 1918 unterzeichneten Vertreter der ukrainischen Zentralrada einen separaten Friedensvertrag mit Deutschland und Österreich. Die Besetzung der Ukraine begann. Bis Mai besetzten sie das Territorium der Sowjetrepublik Donezk-Krivoy Rog, Teile von Taurien und der Volksrepublik Odessa vollständig. Aber als nach der Kapitulation Deutschlands und Österreichs im Ersten Weltkrieg die Gebiete befreit wurden, verbot Lenin kategorisch ihre Rück-Eingliederung in das Territorium Rußlands. Er bestand darauf, sie der Ukraine anzuschließen.
Und sobald die Ukrainische SSR gegründet wurde, begann das, was als Politik der Ukrainisierung („Verwurzelung“) in die Geschichte eingegangen ist. Das heißt, die übereilte Schaffung der „ukrainischen Sprache“ und ihre gewaltsame Einführung.
Charkow blieb übrigens bis 1934 Hauptstadt der Ukraine.

Die nationale Frage

KP: Wer zog die Grenzen innerhalb der Russischen Föderation?

AM: Am Tag, nachdem die Welt von der Gründung der UdSSR erfahren hatte, schrieb Lenin in sein Notizbuch:
»Internationalismus … sollte nicht nur in der Einhaltung der formalen Gleichheit der Nationen bestehen, sondern auch in einer solchen Ungleichheit, die seitens der Unterdrückernation, einer großen Nation, die im Leben tatsächlich entstehende Ungleichheit kompensieren würde.«“

Das heißt also als Antwort auf die eigentlich unbeantwortete Frage: Die anderen Republiken wurden auf Kosten der russischen Föderation bevorzugt, in strittigen Fragen entschied man gegen russische Bevölkerungsmehrheiten.

„KP: Hat die nationale Frage als Ergebnis die UdSSR zum Einsturz gebracht?

AM:  Stalin hat vor dieser Gefahr gewarnt. Er wies darauf hin, dass es notwendig sei, dem Spiel der »nationalen Unabhängigkeit« ein Ende zu setzen, alle Republiken fest Moskau unterzuordnen und sie in Zukunft insgesamt zu liquidieren und einen einheitlichen Sowjetstaat zu schaffen.
Lenin kritisierte diesen »stalinistischen Plan«. Und sehr scharf …

KP: Wieso denn?

PP: Lenin hatte wirklich Angst vor russischem Großmachts-Chauvinismus. Deshalb wurden nicht nur angestammte Territorien Rußlands abgetrennt, sondern Rußland war auch das einzige Mitglied der Föderation, das im Gegensatz zu anderen Republiken weder eine eigene Kommunistische Partei noch eine Akademie der Wissenschaften erhielt.

Was wäre geschehen, wenn es keinen (II. Welt-)Krieg gegeben hätte?

KP: Die UdSSR hatte eine Vielzahl großartiger Errungenschaften. Hätten wir ohne diese den Großen Vaterländischen Krieg gewinnen können?

PP: Ohne sie hätte es keinen Krieg gegeben. Denn statt eines riesigen Landes hätte es 30-40 kleine Staaten gegeben. Russland wäre in verscheidene Gebiete zerrissen worden, die Satelliten anderer Mächte gewesen wären. Die Ukraine oder Georgien wären wie Rumänien oder Ungarn unter deutschen Einfluß geraten.
Der Ferne Osten wäre den Amerikanern und den Japanern zugefallen. Der Kaukasus wäre pro-türkisch und Karelien gehörte zu Finnland. Weißrussland wäre Teil Polens geworden. Mit einem Wort, es hätte niemanden gegeben, der (durch Deutschland) zu bekämpfen gewesen wäre.

KP: Und was wäre von Russland übrig geblieben?

PP: Das großrussische Kernland. Wie unter Iwan dem Schrecklichen – bis zur Wolga. Rundherum 30 bis 40 Staaten. Zentralasien wäre unter britischen Einfluss geraten. Nun, mit wem soll man kämpfen? Es wäre eingenommen worden, ohne daß es jemand bemerkt hätte.
Die Sowjetunion hingegen schuf einen Superstaat.

Der Westen zwang uns, Großmacht zu werden

KP: Die Industrialisierung, der GOELRO-Plan (des Staatlichen Elektrifizierungs-Ausschusses) gilt als Errungenschaft der Sowjetunion.

PP: Die UdSSR hat hier nichts erfunden. Alle großen Infrastrukturprojekte der Welt wurden unter der Führung des Staates oder durch die Streitkräfte des Staates durchgeführt. Nur der konnte es tun.

KP: Sind Sozialleistungen auch ein Verdienst des Sowjetstaates? Schulen, Kliniken, ein Achtstundentag…

PP: Die Sowjetunion übernahm das deutsche System, dass der Staat eine strenge Bildungs-, Gesundheits-, Sanitärpolitik betreiben sollte …
Lenin verstand, dass Fabriken gebildete Arbeiter brauchen, Armeen gebildete, gesunde Soldaten brauchen.

KP: Die Monarchisten behaupten, dass sowohl GOELRO als auch die allgemeine Alphabetisierung Pläne von Nikolaus II. waren, die die Bolschewiki einfach kopiert haben.

PP: Alles hat seine Zeit. Vielleicht hatte dieser Zar Pläne, aber er war zu spät dran.
In Deutschland begann die Zentralisierung von Bildung und Gesundheit in den 1870er Jahren. Rußland war genötigt, dies in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts durchzuführen. Die Transsibirische Eisenbahn war eine gute, richtige Idee. Aber es hätte in den 1870er Jahren geschehen sollen, nicht zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Wir hätten Millionen von Bauern aus Zentralrussland umsiedeln und eine Revolution vermeiden können. Die verschiedenen Zaren dachten sich viel aus, aber alles war 20–30 Jahre zu spät.

KP: Die UdSSR war doch bei vielen Dingen Pionier. Sie schickte einen Menschen in den Weltraum. Sie erfand die Wasserstoffbombe. Liegt das auch nur an der Rivalität mit dem Westen?

PP: Konfrontation bringt immer viel hervor. Aber wenn Lenin länger gelebt hätte, hätte sich das Land höchstwahrscheinlich mehr in eine konsumorientierte Richtung entwickelt.
Die NEP wäre nicht eingeschränkt worden, viele Leben wären gerettet worden, es hätte nicht so schreckliche Repressionen gegeben.
Andererseits gäbe es keine große Industrialisierung, keine Großindustrie. Russland wäre ein mäßig entwickeltes Land. Und wir wissen nicht, ob es die Randgebiete in seinem Staatsbestand gehalten hätte.

Opfer hätten vermieden werden können

KP: Die UdSSR hatte aber auch viele unerfreuliche Züge. Das Gulag, die totale Gleichmacherei, weitverbreitete Armut. Und all dies führte zum Totalitarismus und der Apathie in der Bevölkerung.

PP: Das ist eben der industrielle Durchbruch, für den unser Staat bezahlt hat. Wenn man in 20 Jahren den Weg zurücklegen muß, der in 50 bis 100 Jahren schrittweiser Reformen zurückgelegt werden müsste, so sind Opfer unausweichlich.
Es gibt ein russisches Modell der staatlichen Führung: Es schwankt ständig wie ein Denkmal, zwischen Stagnation und Akkordarbeit. Die ganze Geschichte des Landes ist so aufgebaut. Peter I. übertraf in seinen Reformen sogar Stalin in Bezug auf menschliche Verluste. Aber Stalins Problem ist, dass dies vor unseren Augen geschah.

Gibt es die Möglichkeit einer Wiedervereinigung?

KP: 1991 fand der Zusammenbruch der UdSSR statt. Aber wurden nicht die slawischen Schwestern – Russland, Ukraine und Weißrussland – künstlich auseinanderdividiert?

PP: Seien wir ehrlich: Die Spaltung zwischen Russland, die Ukraine und Weißrussland fand nicht 1991 statt, sondern im 15. und 16. Jahrhundert, als ein Zweig des russischen Volkes zum Moskauer Zarenreich wurde und die anderen beiden Teil der litauisch-polnischen Republik. Damit war alles entschieden. In der UdSSR und sogar in der späten Zarenzeit versuchte man, die Unterschiede auszugleichen, aber das Vermächtnis eines getrennten Lebens im Laufe von zwei oder drei Jahrhunderten erfüllte seine Aufgabe, vor allem bei den Eliten.
Die Eliten der Ukraine hatte unter den Polen eine lediglich untergeordnete Position – das inspirierte die ukrainischen Intellektuellen, sich als eigene Nation zu emanzipieren.“

Das ist nicht ganz richtig, weil Teile der Ukraine – Sumi, Tschernigow, später Kiew – gehörten zum Zarenreich, und auch dort wurden die Eliten nur dann anerkannt, wenn sie sich assimilierten (=> Emser Dekret).

„KP: Aber warum hat dann die Sowjetunion selbst die Ukrainisierung der Ukraine so heftig propagiert?

PP: Man muß sich vor Augen halten, dass die Westukraine in den 1920er und 1930er Jahren in Polen, der Tschechoslowakei und Rumänien gelandet ist. Und die Bolschewiki mussten den Menschen, die dort gelandet waren, die »vorbildliche Ukraine« als Beispiel zeigen. »Unterdrücken dich die Polen, lassen dich nicht Ukrainisch sprechen? Aber daneben ist die wunderbare Ukraine, wo die Ukrainer alles haben.«

KP: War das in Weißrussland auch so?

PP: Teilweise. Denn ein Drittel von Weißrussland landete auch in Polen. Bitte beachten Sie, dass es in anderen Republiken der UdSSR keine so aggressive Förderung des Nationalismus’ gab.

Wir erinnern uns an Stabilität

KP: Warum denken so viele Menschen mit Nostalgie an die UdSSR zurück?

AM:  Damals waren die Spielregeln klar und die Menschen konnten ihr Leben planen. Niemand in der UdSSR kannte den chinesischen Fluch: »Mögt ihr in einer Zeit des Wandels leben!« Einer der Verdienste der UdSSR war das Vertrauen in die Zukunft. Und die Menschen werden von Stabilität angezogen.

PP: Das ist ein sehr wichtiges psychologisches Gefühl von Stabilität und Sicherheit. Wenn man nicht darüber nachdenken muß, ob man morgen seine Familie ernähren kann.

KP: Für welche spezifischen Jahre sind die Menschen so nostalgisch?

PP: Natürlich sehnen sie sich nach der Breschnew-Ära. Die Menschen erinnern sich an die Zeit, in der sie selbst gelebt haben, als es keine großen Kriege und Repressionen gab – das sind die 60er, -70er Jahre, die erste Hälfte der 80er Jahre. Das war die Blütezeit der Sowjetunion. Die Menschen waren überzeugt, dass morgen besser sein wird als heute. Damals gab es diese Überzeugung.

Die letzte Utopie

KP: Was war also die UdSSR? Ein grandioses tragisches Experiment? Oder eine Ära großer Errungenschaften?

PP: Vielleicht war sie die letzte Utopie der Welt, die gut anfing.
Niemand – weder Marx noch Engels und vor allem Lenin – dachten nicht, als sie über den Übergang zum Sozialismus sprachen, daß dieser so viele Opfer fordern würde. Die UdSSR begann zu früh. Sie wurde auf der Grundlage eines sehr armen, analphabetischen Bauernlandes ausgerufen – in eine Gesellschaft, die diese Umgestaltung schwer annahm. Und vieles lief von Anfang an schief. Alles musste laufend geändert werden, man lebte dauernd auf Abruf. Lenins Traum von einer sozialistischen Weltrepublik musste schnell aufgegeben werden. Dann wurde die NEP aufgegeben … Ja, es war ein Experiment. Aber ein großartiges, nicht ohne einen gewissen Zauber.

Die multipolare Welt

EINE UNERFREULICHE PERSPEKTIVE

Über Staatsgewalt, Landesgrenzen und Krieg

Eine Landesgrenze ist ein völliges Kunstprodukt. Nichts ist dümmer als das Geschwätz von „natürlichen“ Grenzen.
Eine Landesgrenze sagt aus, wie weit die Gewalt des einen und des anderen Staates reicht, die sich auf den beiden Seiten befinden. Die Staaten haben sich gegeneinander konstituiert und im Laufe ihres Bestehens und einiger kriegerischer Auseinandersetzungen auf diese Grenze geeinigt – eine Einigung, die jederzeit widerrufen werden kann, wenn ein Staat sich mächtig genug fühlt, ein Stück eines Nachbarstaates zu beanspruchen und diesen Anspruch auch durchzusetzen.
Die Welt ist voller strittiger Grenzen. Auch in Europa gibt es genug Grenzen, über die zwischen den Nachbarstaaten keine Einigkeit herrscht, die nicht international anerkannt sind, usw.
Im Laufe der Zeit haben viele Staaten versucht – mit oder ohne Erfolg – ihre Grenzen zu erweitern und sich Territorium der Nachbarstaaten einzuverleiben.

Auch dann, wenn die Grenze nicht berührt wird, gibt es den Anspruch der Staaten, seinen Einfluß und seine Gewalt auch außerhalb seiner Grenzen zur Geltung zu bringen. Sei es mit kriegerischen, sei es mit „friedlichen“ Mitteln, die auch immer recht gewaltträchtig sind. Dazu später.

Zu Zeiten des Kalten Krieges – als die Welt in Anlehnung an den heutigen Sprachgebrach „bipolar“ war –, wachte auf beiden Seiten des Eisernen Vorhanges eine Macht darüber, daß Grenzstreitigkeiten verbündeter Staaten nicht in Kriegen mündeten. Im sowjetischen Einflußbereich war Revanchismus aller Art verboten. Nur die Hauptmacht selber nahm sich Grenzveränderungen heraus, vor allem im Gefolge von Weltkrieg II.
Auch im Westen gab es Grenzkriege, wie den Falkland-Krieg 1982, oder von der NATO im Keim erstickte Auseinandersetzungen wie diejenigen zwischen Griechenland und der Türkei.
Generell aber galt, daß keiner der Blöcke Grenzkriege wollte, weil das die Allianz gegen den Hauptfeind geschwächt hätte.

Diese einigende Klammer fiel mit dem Zerfall der SU weg. Seither ist das Rennen wieder eröffnet. In den Nachfolgestaaten der SU, auf dem Balkan, im Nahen Osten, in Nordafrika, im Fernen Osten – überall melden sich „eingefrorene“ Konflikte und Grenzstreitigkeiten, es wird aufgerüstet wie wild und nix ist mehr fix.

Das gehört zu einer multipolaren Welt dazu, und zeugt davon, daß diese bereits fortschreitet. Die verschiedenen „Pole“ wollen eben ihre Grenzen und ihren Einfluß auf Kosten anderer erweitern.

Internationale Spielregeln

Wer sich auf Regeln beruft, vergißt meist, daß es jemanden gibt, der die Regeln setzt, und andere, die sie befolgen.
Bereits beim nationalen Recht gibt es das Mißverständnis, daß das Recht selbst sozusagen natürlich, göttlich oder ähnliches sei und die tatsächliche Staatsgewalt es nur vollstreckt. Man macht sich gerne etwas darüber vor bzw. täucht sich darüber hinweg, daß diese Gewalt es auch setzt, also das Recht überhaupt erst durch Gewalt in die Welt kommt.
Anhänger des Rechts, der Menschenrechte und der internationalen Spielregeln sind daher immer Parteigänger der Gewalt, auch wenn sie sich als das Gegenteil präsentieren und gegen – einzelne, partikulare – Gewalt wettern.

Zu diesen „internationalen Spielregeln“ gehören auch die diversen supranationalen Gerichtshöfe in Den Haag, Luxemburg, Straßburg, die dadurch, daß sie keinem besonderen Staat angehören, dem Trugbild Leben verleihen, daß das Recht über der Gewalt stünde.
Man merkt aber an ihren Rechtssprüchen, daß sie die Interessen bestimmter Staaten bevorzugen und sich auch nicht daran stoßen, daß die USA sich ihrer Jurisdiktion nicht unterwirft. Darin erkennt man ein Bewußtsein dessen, daß die Hegemonialmacht nicht in gleichem Maße zur Rechenschaft gezogen werden kann wie die restlichen Staaten, die sich an die von dieser Macht gesetzten Regeln halten müssen und das meistens auch wollen.

Rußland beklagt die „Privatisierung“ der internationalen Regeln durch EU und USA und möchte gerne seine Rechtssprechung über seine Grenzen ausdehnen. Deshalb erhebt es Anklage gegen ausländische Bürger (der Ukraine), wo eine angebliche Gesetzesübertretung nach internationalem Recht dingfest macht. Damit will sich die russische Regierung als der bessere Vollstrecker des internationalen Rechts präsentieren, das es damit auch anerkennt.
Rußland leistet sich damit den Widerspruch, der Hegemonialmacht ihre Sonderstellung zu bestreiten, aber das von ihr aufrechterhaltene Regelwerk anzuerkennen.

Dieses Regelwerk bezieht sich auch auf die restlichen Interessen, die neben der Machtvollkommenheit der Staaten existieren bzw. die Grundlage ihrer Ambitionen bilden.

Der Weltmarkt

Es müssen einmal klare Verhältnisse geschaffen werden, damit ein US-Unternehmen in Ägypten investieren oder eine deutsche Firma Lieferverträge mit einem Unternehmen in Indonesien abschließen kann. Das fremde Eigentum muß geschützt sein, die Zahlungsmodalitäten gehören abgesichert und die Rechtssprechung muß irgendwie zwischen Herkunfts- und Zielland koordiniert sein. Das ist notwendig, damit sich ein Staat an den Reichtumsquellen eines anderen bedienen kann, unter dem Motto „friedlicher Handel und Wandel“.

Die entsprechende Weltordnung wurde von den USA nach 1945 durchgesetzt, bei dem auch die Kolonialmächte ihre Kolonien aufgeben und damit auf exklusive Handelsbeziehungen verzichten mußten. Unter dem Titel der Souveränität und des „Selbstbestimmungsrechts der Völker“ wurden diese Staaten mit eigenen Regierungen ausgestattet und mit Hilfe von Krediten und Handelsabkommen in den Weltmarkt integriert, was sich bei vielen heute vor allem in Schuldenbergen ausdrückt.

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wurden die Staaten aus dem Orbit der Sowjetunion Schritt für Schritt in den Weltmarkt einbezogen, durch Einrichtung eines Bankennetzes, Zahlungsmodalitäten, nicht zu vergessen die Einrichtung einer Eigentumsordnung, die in vielen Gegenden mit Hilfe von Schußwaffen stattgefunden hat.

Heute wird das ein Stück weit rückgängig gemacht. Durch Sanktionen und Embargos werden verschiedene Staaten teilweise oder ganz vom Weltmarkt ausgeschlossen. Es bildet sich ein zweiter Weltmarkt. Die „alten“ Nutznießer desselben – die USA, die EU, anglosächsische Staaten, die Schweiz – drängen sich um die Hegemonialmacht USA, während andere eine „Schattenwelt“, einen Weltmarkt der Ausgeschlossenen mit China als Referenzmacht bilden. Dazwischen bilden sich ambitionierte Regionalmächte, die versuchen, sich in beiden Hemisphären zu betätigen.

Sehr kriegsträchtig, das Ganze: Bereits jetzt laufen mehrere Konflikte um die Aufteilung der Welt, ihre Rohstoffe, ihre strategisch wichtigen Positionen, und es ist anzunehmen, daß deren eher mehr werden als weniger.