Pressespiegel El País, 7.11.: Imperialistischer Konflikt

DIE ANWENDUNG DES HELMS-BURTON-GESETZES
Es wird ernst mit dem Kräftemessen zwischen EU und USA:
„Schon seit einiger Zeit bat die spanische Unternehmervertretung die Regierung um Hilfe bei einem Konflikt, der Hotels, Banken, Reisebüros und andere Unternehmen mit Sitz in Kuba betrifft. Die Regierung von Donald Trump hat den Konflikt im Mai dieses Jahres ausgelöst, mit dem Beschluß, eine Regelung [das Helms-Burton-Gesetz] in Kraft zu setzen, die seit ihrem Erlaß 1996 ausgesetzt worden war. Danach kann jeder Bürger kubanischer Herkunft vor einem US-Gericht Klage erheben wegen Vermögenswerten, die nach der Castro-Revolution von 1959 beschlagnahmt wurden.
Die spanische Regierung bietet den Unternehmen eine Möglichkeit, die europäische Gesetzgebung in Entscheidungen einzubeziehen, die Spaniens Souveränität beschränken. Unter den derzeit von der Handelsministerin einberufenen Unternehmen befanden sich nach Unternehmensangaben Vertreter von Iberostar, Meliá, BBVA, des Anwaltskanzlei Garrigues und der Unternehmervereinigung.
Das Blockadestatut der EU lehnt die Auswirkungen des Helms-Burton-Gesetzes in jedem Mitgliedstaat ab. Es wurde 1996, im selben Jahr wie die Verabschiedung von US-amerikanischem Recht, genehmigt, um EU-Betreiber vor der extraterritorialen Anwendung von Rechtsvorschriften aus Drittländern zu schützen. Mit dieser Verordnung weist die EU die extraterritoriale Anwendung von Rechtsvorschriften zurück, deren Auswirkungen sie als völkerrechtswidrig erachtet.
Die spanische Regierung stützt sich jetzt auf diese Verordnung, die sie bisher noch nicht auf Anfragen ihrer Unternehmen in Anschlag gebracht hatte.
Die Europäische Norm schützt EU-Unternehmen in Kuba durch zwei Mechanismen: Sie ermöglicht die Aufhebung der Wirkung ausländischer Gerichtsentscheidungen auf der Grundlage des Helms-Burton-Gesetzes und eröffnet den betroffenen Unternehmen die Möglichkeit, gerichtlichen Rechtsschutz für Schäden aus extraterritorialer Anwendung dieser Gesetzgebung zu erwirken.“
Auf gut Deutsch: Sie verhindert die Vollstreckung von Gerichtsurteilen auf dem Boden der EU gegen Vermögen der betroffenen Unternehmen, und verspricht Entschädigung für etwaige Enteignungen und Handelshemmnisse, die die US-Regierung gegen betroffene Unternehmen, und sogar deren Staaten verhängt.
Diese „Mechanismen“ bzw. dieses Statut kamen bisher nie zur Anwendung, es ist also erst auszutesten, wie weit die EU hier gehen wird und wieviele Entschädigungen sie locker machen wird. Das kann nämlich ganz schön teuer werden, und die Frage ist auch nicht geklärt, welche Institution dieser Gelder überhaupt auszahlen soll.

„Der spanische Unternehmervereinigung hatte bereits die europäische Unternehmervertretung Business Europe angesprochen, um Unterstützung von der Europäischen Union zu fordern. Sie hatte sich auch an die spanischen Ministerien für auswärtige Angelegenheiten, Industrie und Präsidentschaft (= Koordination der Provinzregierungen) sowie an die US-Botschaft in Madrid und die spanischen Botschaften in Washington und Havanna gewandt.
Im Mai beschlossen die Vereinigten Staaten, den Rechtsanspruch 3 des Helms-Burton-Gesetzes in Kraft zu setzen, der seit 1996 von allen US-Präsidenten ausgesetzt worden war, als eine letzte Patrone zum Erledigen des kubanischen Regimes. Die folgenden US-Regierungen verhinderten das Inkrafttreten in den letzten zwei Jahrzehnten, um die Beziehungen zu einem Partner der Größe der EU nicht zu unterminieren. Bis Trump kam.“
Der Autor des Artikels windet sich hier ein wenig, um den Umstand zu beschönigen, daß die Trump-Regierung der EU hier bereits vor Monaten einen Fehdehandschuh hingeworfen hatte, der in gewissem Sinne den der Aufkündigung des Atomabkommens mit dem Iran übertrifft. Denn vor allem die Beziehungen Spaniens zu Kuba sind auf ökonomischem Gebiet sehr eng, und die Anwendung dieses Gesetzes beträfe in erster Linie und mit langem Abstand zu anderen EU-Mitgliedern Spanien.
Es zeichnet sich also eine neue Zerreißprobe für die EU ab: Inwiefern wird sich die EU vor Spanien stellen und riskieren, daß die US-Regierung hier Gegenmaßnahmen treffen wird, die andere wichtige Wirtschaftszweige der EU treffen könnten?

„Nach dieser Entscheidung warnte die EU, dass sie sich Gegenmaßnahmen vorbehalte, um die Rechte ihrer Unternehmen zu verteidigen. Im vergangenen Mai erklärte die damals hohe Vertreterin der Außen- und Verteidigungspolitik der EU, Federica Mogherini, dass die 28 »alle geeigneten Maßnahmen« ergreifen würden, einschließlich des Einsatzes der Welthandelsorganisation (WTO) und dem Schutz ihrer Unternehmen durch das EU- Blockadestatut.
Die Anwendung des Rechtsanspruchs 3 des 1996 verabschiedeten Gesetzes stelle einen »Verstoß gegen die eingegangenen Verpflichtungen« zwischen den Vereinigten Staaten und der EU in den Jahren 1997 und 1998 dar. Das US-amerikanische Recht bedrohe insbesondere die Interessen von Unternehmen Spaniens, vor allem Hotels, mit Aktivitäten in Kuba. …
Das große Risiko, das mit dem Schritt der Trump-Regierung verbunden ist, besteht darin, dass er eine Lawine von Forderungen auf beiden Seiten des Atlantiks auslöst. Damals schätzte die US-Regierung, dass die Wiederbelebung von Titel 3 des Helms-Burton-Gesetzes laut Reuters im April letzten Jahres die Tür für rund 200.000 Fälle öffnen würde. Die Summe der eingereichten Klagen, die bis Mai inaktiv waren, weil dieser Titel des Gesetzes nicht in Kraft war, beträgt rund 6.000.“
Noch dazu fahren der König und seine Gemahlin bald hinüber, zur 500-Jahr-Feier Havannas, also da ist ein Haufen Gscher vorprogrammiert.
Die EU kann schlecht einen Rückzieher machen und Spanien im Regen stehen lassen, weil dann fragt sich, was alle Statuten und Regelwerke dieses Staatenbündnisses eigentlich wert sind? Wenn sie, sobald sie auf dem Prüfstand stehen, aufgegeben werden?
Die EU-Außenpolitik würde entgültig zu einer Lachnummer verkommen, wenn man sich sozusagen verbitten würde, irgendetwas gegen die USA zu unternehmen, sobald deren Interessen berührt sind.
Spaniens Wirtschaft wäre – zusätzlich zu den ohnehin offenen Baustellen wie Katalonien oder der gesamtspanischen Regierung, die nicht und nicht zustandekommt, mit den entsprechenden Verzögerungen in Sachen Budget usw. – noch zusätzlich im Blickpunkt: Einer ihrer wichtigsten Wirtschaftszweige, die Tourismus-Industrie, wäre von Repressalien betroffen. Die in Frage stehenden Unternehmen sind weltweit tätig, und in viele Partnerschaften eingebunden.
Es ist wahrscheinlich, daß die USA andere Staaten und Wirtschaftszweige – z.B. mit Zöllen – bestrafen würden, wenn die EU Spaniens Unternehmen schützen will.

Pressespiegel El País, 26.8. Hongkong und China

HONGKONG IST NOCH WICHTIG

Die ehemalige Kolonie ist ein wichtiges Finanzzentrum für das chinesische Modell, obwohl sie einen immer kleineren Teil seiner Wirtschaft ausmacht.

Margaret Thatcher hat in ihren Memoiren geschrieben, wie Deng Xiaoping zu Beginn der Verhandlungen über die Souveränitätsübertragung von Hongkong danach strebte, das Territorium wieder China als eine weitere Provinz zuzuordnen, und sogar drohte, „die Insel innerhalb eines Tages einzukassieren.“ Nach der vielleicht apokryphen Überlieferung des Gesprächs wies die Eiserne Dame auf die brandneue HSBC-Bankzentrale hin, die 1985 vom Architekten Norman Foster erbaut wurde. „Sehen Sie das Gebäude dort?“ fragte sie den chinesischen Führer. „Es ist zerlegbar: Innerhalb eines Tages kann ich es Stein für Stein nach London zurückbringen.“
Im Spannungsfeld zwischen Souveränität und Wohlstand setzte sich der zweite durch: Hongkong wurde schließlich von und für Geld geschaffen.
Heute, zwei Jahrzehnte später, wirft der Stand des chinesischen Wachstums dunkle Schatten über Hongkong. Während 1993 die ehemalige Kolonie 27% des kontinentalen BIP ausmachte, ist diese Zahl in diesem Jahr auf weniger als 3% gesunken. Trotz des rückläufigen Prozentsatzes bleibt es eine fundamentale finanzielle Enklave: Hier trifft sich Chinas Wirtschaft mit dem Ausland. Zwischen 2010 und 2018 verliefen 64% der Direktinvestitionen, die das Land erhielt, und 65% dessen, was die Grenzen Chinas überschritt, über die Insel. Ebenfalls in Hongkong werden 60% der chinesischen Staatsanleihen zum Verkauf angeboten.
Die Bedeutung von Hongkong spiegelt sich in seiner Börse wider, der viertwichtigsten der Welt, nach New York, Tokio und London. Ihre Hauptaufgabe ist es, chinesischen Unternehmen den Zugang zu Kapital zu erleichtern: 70% des in Hongkong erwirtschafteten Geldes fließen auf ihre Konten. In den letzten neun Jahren fanden 73% der Börsengänge kontinental-chinesischer Unternehmen in Hongkong statt. Dies gilt nicht nur für große öffentliche Unternehmen, wie früher, sondern auch für private Großunternehmen, die sich in den meisten Fällen nicht am nationalen Finanzierungssystem beteiligen, weil sie es für zu unausgereift halten.
Das letzte dieser multinationalen Unternehmen wäre Alibaba gewesen, das nach dem Börsengang in New York einen zweiten Börsengang plante, um sich angesichts des drohenden Handelskrieges zwischen China und den Vereinigten Staaten Liquidität zu verschaffen, um sich abzusichern. Angesichts der massiven Mobilisierungen, die die Stadt seit fast drei Monaten erschüttern, hat das Unternehmen beschlossen, die Operation im Wert von mehr als 13 Milliarden Euro zu verschieben.
Dieses System baut auf dem Vertrauen auf, das das gesicherte institutionelle und rechtliche Gerüst in Hongkong erzeugt. Aus diesem Grund äußerten sich viele internationale Unternehmen besorgt über das Auslieferungsgesetz, das die Proteste auslöste. Der Entwurf schlug vor, das von den Briten geerbte und in Übereinstimmung mit der Rechtsstaatlichkeit (gemeint ist offenbar: Unabhängigkeit der Justiz, Gewaltenteilung) errichtete Rechtssystem der Insel mit dem des chinesischen Festlandes zu verbinden, in dem nichts über dem Willen der Partei steht. „Dank Hongkong konnte China alle Vorteile eines geschlossenen Systems nutzen, ohne an den Folgen zu leiden“, erklärt Alicia García Herrero, Chefökonomin für den asiatisch-pazifischen Raum bei Natixis.
Dieses Schema verweist auf ein auffälliges Paradox: Je geschlossener das chinesische Wirtschaftssystem bleibt, desto notwendiger wird die Rolle Hongkongs. Mit anderen Worten: Was das Überleben von Rechten und Freiheiten auf der Insel bedroht, ist der chinesische Autoritarismus, der es gewährleistet. Aber ob Hongkong seine heutige Rolle beibehält, hängt weitgehend von der Anerkennung der internationalen Gemeinschaft ab, eines großen Gegengewichts, das Peking bisher zu vorsichtigem Handeln veranlasst hat. Der Verlust der Position Hongkongs würde China zwingen, sich selbst vollständig zu reformieren, was eine Katastrophe unbekannten Ausmaßes darstellen würde.
Die chinesische Regierung hat Pläne für ihr autonomes Gebiet. Mit dem Makroprojekt „Große Bucht“ oder auch „Delta des Perlflusses“ sollen sich Hongkong und Macao mit 7 anderen Städten der Nachbarprovinz Guandong – darunter Kanton, Shenzhen und Dongguan – zu einer einzigen Megastadt zusammenschließen.
Diese metropolitane Region wäre eine der dynamischsten Produktionsgebiete der Welt mit einem BIP, das mit dem von Brasilien, der weltweit neuntgrößten Wirtschaft, vergleichbar wäre. Und Hongkong würde ihr Finanzzentrum sein, in einer Rolle, die derjenigen vergleichbar wäre, die San Francisco für Silicon Valley spielt.
Dieses ehrgeizige Projekt wurde zum ersten Mal in dem von der Partei ausgearbeiteten 13. Fünfjahresplan erwähnt. Mit dem Bau der Hongkong-Zhuhai-Macao-Brücke, der mit 55 Kilometern längsten der Welt, wurde der erste Schritt für die entsprechende Infrastruktur gesetzt. Durch diese neue Brücke reduziert sich die Verbindung zu Land zwischen den beiden Sonderverwaltungsgebieten von drei Stunden auf nur noch 30 Minuten.
Hinzu kommt die Neuzusammensetzung des sozialen Gefüges Hongkongs durch die Zunahme der Zuwanderung aus dem kontinentalen China, die etwaigen Unmut der Bevölkerung angesichts der ersten Schritte abschwächen wird, bis zur vollständigen Vereinigung im Jahr 2047 oder früher. Wenn diese Zeit gekommen ist, wird Deng Xiaopings Linie gewonnen haben. Das Spannungsfeld zwischen Souveränität und Wohlstand wird verschwinden. Hongkong wird eine weitere Provinz Chinas sein. Und der Hauptsitz der HSBC-Bank mit allen ihren Steinen bleibt bestehen.
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(KASTEN)
Kommt eine Rezession?
Die einstige Kolonie hat während der Jahre der schwindelerregenden chinesischen Entwicklung als ein Art Ventil für Luftzufuhr gewirkt, das an den Kontinent angeschlossen ist, und dem verdankt auch China seine guten Wachstums-Kennziffern. Die Entwicklung Hongkongs entsprach ebenfalls dieser Funktion: Nur in zwei Jahren der letzten vierzig (1998 und 2009) ist er nicht gewachsen, in den meisten anderen mehr als 2%. Aber jetzt startet es in eine neue Rezession, getrieben von regierungsfeindlichen Protesten und dem Handelskrieg (zwischen den USA und China). „Hong Kong wird eine große Krise erleiden“ prognostiziert Garcia Herrero.
Die Demonstrationen finden seit Juni statt, sodass die Daten für das dritte Quartal des Jahres, für das die Investmentbank Natixis einen Rückgang von 0,6% prognostiziert, Auswirkungen haben werden. Hongkongs Wechselkurs ist durch die Federal Reserve an den Dollar gebunden. Dies bedeutet, dass die lokale Exekutive wenig Spielraum für Anpassungen hat, da sie den Preis ihrer Währung oder ihre Geldpolitik nicht ändern kann.
Die chinesische Regierung hat bereits begonnen, Maßnahmen im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu ergreifen: In der vergangenen Woche wurde ein Konjunkturprogramm für Hongkong im Wert von mehr als zwei Milliarden Euro angekündigt. Natixis Prognosen gehen davon aus, dass diese Maßnahmen gegen Ende des Jahres greifen werden, wodurch Hongkong eine Rezession vermeiden kann. Sie rechnen mit einem bescheidenen Wachstum von 0,5 %.
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Serie „Lateinamerika heute“. Teil 12: El Salvador

(ER)LÖSUNG NICHT IN SICHT
Der Name dieses Staates – „Der Erlöser“ steht in ziemlichem Kontrast zum Zustand, in dem es sich befindet.
Wie wir im Folgenden sehen werden, ist das nicht die einzige Ungereimtheit, der einem in El Salvador begegnet.

1. Land der Landlosen

Da das Gebiet des heutigen El Salvador keine Bodenschätze verbirgt, war es seit jeher auf die Landwirtschaft als Quelle der Bereicherung verwiesen.

Während der spanischen Kolonialherrschaft und noch einige Jahrzehnte später war das wichtigste Exportprodukt das Indigo, neben den üblichen Kolonialprodukten wie Kaffee, Kakao usw. Als die chemische Herstellung des Indigo die natürliche verdrängte, entwickelte sich der Kaffee zum wichtigsten Exportprodukt, und das ist er bis heute geblieben.
Rund um den Kaffeeanbau und -export entwickelte sich die Elite El Salvadors, und sie achteten auf ihre Einkommensquelle insofern, als sie sich nach und nach alles brauchbare Land für die Kaffee-Plantagenwirtschaft unter den Nagel rissen. Im Jahr 1882 schließlich wurde den indigenen Gemeinden ihr Land per Dekret weggenommen. Das führte dazu, daß die indigene, bäuerliche Bevölkerung ohne Land blieb, und entweder als Taglöhner oder als Kleinpächter der Großgrundbesitzer ihr Leben fristen oder in die Städte abwandern mußte. Es führte außerdem dazu, daß die Volksnahrungsmittel teilweise eingeführt werden müssen, was sie verteuert, weil das fruchtbare Land für Cash Crops verwendet wird.

Ein Präsident, der diese für die Mehrheit der Bevölkerung unerfreuliche Entwicklung mit Sozialprogrammen abfedern wollte, wurde 1913 umgebracht.

Das Mißverhältnis zwischen Armut und Reichtum mündete, verstärkt durch die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise, 1931/32 in einem von der kommunistischen Partei El Salvadors angezettelten und dann von den landlosen Bauern weitergetriebenen Aufstand.

Der neue starke Mann El Salvadors, Maximiliano Hernández Martínez, der sich im Dezember 1931 an die Macht geputscht hatte und auch vorher bereits den Repressionsapparat kontrolliert und ausgebaut hatte, machte kurzen Prozeß. Nachdem er den Gründer und Anführer der kommunistischen Partei El Salvadors, Agustín Farabundo Martí und einige seiner Genossen verhaften und ohne Verfahren erschießen hatte lassen, ging er mit aller ihm zur Verfügung stehender Gewalt gegen die Aufständischen vor.

Das ganze wirtschaftliche System El Salvadors, wo die Grundbesitzerklasse fast alles Land besaß und der Rest der Bevölkerung gar nichts, wollte verteidigt sein.

Bei der Niederschlagung des Aufstandes wurden Zehntausende von Menschen ohne irgendein Verfahren getötet. Dieses Vorgehen, das in El Salvador als „La Matanza“ bezeichnet wird – das Massaker, aber auch: Das große Morden – kam ganz ohne irgendwelche Beweise oder Rücksichtnahme aus. Es genügte, wenn jemand als Indigener erkennbar war, um ihn oder sie umzubringen, unabhängig vom Alter.
Die politische Klasse El Salvadors, die diesen Massenmord unterstützte, wollte ein für allemal klarstellen, daß die Nachfahren der Ureinwohner dieses Staates keinerlei Rechte besaßen, und jedes Einklagen derselben, geschweige denn Anspruch auf Land, mit dem Tod bestraft würden.

Das große Morden endete nicht mit der Niederschlagung des Aufstandes oder mit dem Jahr 1932. Hernández Martínez regierte bis zu seinem Sturz im Jahre 1944. Bis dahin blieb es lebensgefährlich, als Indigener erkennbar zu sein. Die indianischen Bewohner El Salvadors waren vogelfrei und konnten jederzeit von Militär, Polizei oder paramilitärischen Truppen liquidiert werden. Die Sprache der Ureinwohner, das Nahuat, wurde verboten.
Um zu überleben, legten die Indigenen El Salvadors ihre traditionelle Kleidung ab, gaben ihre Sprache auf und unterließen alles, was sie als Indigene kennzeichnen konnte. Das große Morden führte zur Auslöschung der indigenen Traditionen.
Ansonsten lebten sie weiter in großem Elend. Außerdem lehnte der Diktator jegliche Schulbildung für die bäuerliche Bevölkerung ab. Der Analphabetismus blieb das einzige Merkmal, das die Nachfahren der Ureinwohner von der kreolischen Oberschicht und den besser integrierten Mestizen grundlegend unterschied.

2. Die Kirche

a) Die Theologie der Befreiung in El Salvador
Als der Papst Johannes XXIII. das 2. Vatikanische Konzil einberief, um eine Erneuerung der Kirche einzuleiten, fielen die Beschlüsse dieses Konzils gerade in Lateinamerika auf sehr fruchtbaren Boden. Sie knüpften nämlich an die ruhmreicheren Traditionen der katholischen Kirche an, die vom Dominikanerpater Bartolomé de las Casas, dem „Vertreter der Indianer“ im 16. Jahrhundert begründet worden waren. Auf der Konferenz von Medellín verpflichteten sich die Bischöfe Lateinamerikas 1968 darauf, sich die Anliegen der Armen und Entrechteten zu eigen zu machen und sich um ihr Wohlergehen im Diesseits zu kümmern, anstatt sie bloß auf das Jenseits zu verweisen.

In keinem Land Lateinamerikas fanden diese Beschlüsse eine so flächendeckend positive Aufnahme wie in El Salvador. Ein guter Teil des Klerus’ El Salvadors, von den Barfuß-Geistlichen in den Dörfern bis zu den Seelsorgern in den Städten, und auch die Spitzen der Hierarchie machten sich daran, für ihre Schäfchen bessere Lebensbedingungen zu erstreiten. In Predigten, mit Initiativen zur Volksbildung, und mit Forderungen an die lokalen Behörden, doch Schulen zu errichten und die Landfrage auf die Tagesordnung zu setzen.
Sie arbeiteten dabei natürlich auch fallweise mit den in der Zwischenzeit entstandenen linken Guerillaorganisationen zusammen, die das Gleiche vorhatten.

b) Der Vatikan und El Salvador
Als Karol Wojtyla 1978 zum Papst gewählt wurde, war eines seiner wichtigsten Anliegen, die „Theologie der Befreiung“, sozusagen den Kommunismus innerhalb der Kirche, mit allen Mitteln zu bekämpfen. Ihm standen dabei Ernennungen von vakanten Posten, Hirtenbriefe und sonstige Anweisungen an die Diözesen zur Verfügung. Der Vatikan hatte es auch in der Hand, staatliche Repression gegen Geistliche zu rechtfertigen, als Willen Gottes gegen Abtrünnige, die den rechten Weg verlassen hatten.

In den 80-er Jahren wurde der Spruch „Bring einen Priester um!“ zu einer Art Anweisung an die Militärs und Paramilitärs von El Salvador. Und sie befolgten diese Anweisung. Bis heute sind nur die Morde an wichtigen Vertretern der Kirche und ausländischen Priestern und Missionaren Gegenstand von Untersuchungen. Wie viele unbekannte, unbedeutende Geistliche dran glauben mußten, wurde nie erfaßt.

Als der Erzbischof von San Salvador, Óscar Romero, 1980 am Altar während der Zelebrierung eines Gottesdienstes erschossen wurde, konnte der Auftraggeber dieses Mordes, Roberto D’Aubuisson, sicher sein, dafür den Segen des Papstes zu haben. (D’Aubuisson wurde später eindeutig als der Mann im Hintergrund ermittelt, er starb nur rechtzeitig, um nicht zur Verantwortung gezogen zu werden.) Der polnische Papst kann also als direkter Komplize dieses Mordes bezeichnet werden. Romeros Tod machte den Weg frei für eine Neubesetzung seines Postens. Seither sind die Erzbischöfe von San Salvador und der gesamte höhere Klerus des Landes verläßliche Unterstützer der weltlichen Macht, und im Vatikan konnten alle ruhig schlafen.
Óscar Romero ist heute heiliggesprochen und hat auch einen Platz auf der Westminster Abbey, wo Märtyrer des 20. Jahrhunderts als Statuen verewigt wurden. Seine Heiligsprechung war aber lange umstritten, weil sich die Frage auftat: Wurde er wegen seines Glaubens ermordet oder aus politischen Gründen? Nur im ersteren Fall kann er nämlich heiliggesprochen werden. Unter Ratzinger ruhte das Gesuch, erst Papst Franziskius sprach ihn 2015 erst selig und dann 2018 heilig.

c) Die Kirche heute
Inzwischen hat der Klerus in El Salvador verstanden, auf welcher Seite er zu stehen hat.
El Salvador hat das strengste Anti-Abtreibungsgesetz der Welt. Unter keinerlei Umständen ist Abtreibung erlaubt. Abtreibung wird bis zu 8 Jahren Freiheitsentzug geahndet, aber wenn eine Abtreibung als beabsichtigter Mord qualifiziert wird – was sehr üblich ist – so drohen bis zu 40 Jahren Haft.
Viele Fehlgeburten werden auch als Abtreibung eingestuft und damit eröffnet sich die Möglichkeit, auch da Strafen bis zu 40 Jahren Freiheitsentzug zu verhängen.
Alle möglichen NGOs und Menschenrechtsanwälte laufen gegen dieses Gesetz Sturm, bisher ohne Ergebnis.

Das Interessante ist: Wie kommt es zu diesem Gesetz?

Die von D’Aubuisson gegründete Partei ARENA erließ dieses Gesetz unter ihrem Präsidenten Armando Calderón Sol im Jahr 1998. Im Jahr darauf erhielt dieses Gesetz auch Verfassungsrang.
Der damalige Erzbischof von San Salvador, Fernando Sáenz Lacalle, unterstützte dieses Gesetz, ebenso wie die inzwischen zahlreich vertretenen evangelikalen Kirchen des Landes. Es war eine Art Bund zwischen der geistlichen und der weltlichen Macht in El Salvador, mit der sie ihre Zusammenarbeit besiegelten: Mit Recht und Gesetz gegen die Armen, und mit Gott!
Dieser Bund ist als eine Art Distanzierung gegenüber den Irrwegen der 70-er und 80-er Jahre zu verstehen, als sich die Kirche auf die falsche Seite begeben hatte.

3. Bürgerkrieg
Seit den 60-er Jahren bildeten sich Widestandsnester, aus Bauern, Studenten, Journalisten und anderen Unzufriedenen. El Salvador befindet sich eigentlich schon seit damals in einem Zustand des Bürgerkrieges. Es ist verkehrt, den Bürgerkrieg erst mit dem Jahr 1980 anzusetzen, wie das allgemein üblich ist.

Ein Ergebnis des allgemeinen Terrors gegen die Bevölkerung war die fälschlicherweise als „Fußballkrieg“ bezeichnete Auseinandersetzung mit Honduras im Jahr 1969. Die Regierung des ebenfalls nicht sehr prosperierenden Honduras eröffnete in diesem Jahr eine Art Hetzkampagne und Vertreibung gegen die aus El Salvador geflüchteten Bauern, die sich in den Grenzgebieten niedergelassen hatten. Das Land sei nicht deshalb knapp, weil es auch in Honduras Großgrundbesitz und Plantagenwirtschaft für Cash Crops gibt, sondern weil die Salvadorianer sich dort breitgemacht hätten, wurde den Honduranern mitgeteilt.

Im Zuge von Fußballspielen der Nationalmannschaften wurde dieser Konflikt international bekannt. Der Grund dieser Auseinandersetzung war der Terror, den die Regierungen beider Länder gegen ihre Landbevölkerung führten. Den Medien weltweit gefiel es jedoch, das als eine Art Spinnerei der Bevölkerung beider Staaten zu qualifizieren, die einfach fußballnarrisch oder nationalistisch waren. So mußte nicht die unangenehme Wahrheit bemüht werden, daß Eigentum Ausschluß bedeutet, und daß der Grund und Boden in beiden Ländern im Besitz einer privilegierten Schicht ist.

Die Auseinandersetzung zwischen Militärs, Polizei, Gendarmerie und paramilitärischen Gruppierungen einerseits, und Studentenorganisationen, Gewerkschaften, Landarbeiterorganisationen und Guerilla andererseits erreichte nach der Ermordung Romeros einen neuen Höhepunkt. Damals verließen die Kommunistische Partei und mit ihnen verbündete Gruppen den Weg der demokratischen Wahl, der aufgrund des salvadorianischen Wahlsystems und des Klientelismus nie zu Wahlsiegen führen konnte, und wählten den Weg des bewaffneten Widerstandes.

Gegen den Gewaltapparat des Staates hatten sie nie eine Chance. Viele Mitglieder des Militärs und Geheimdienstes von El Salvador waren in der School of the Americas ausgebildetet worden. Sie praktizierten eine Politik der verbrannten Erde gegenüber jeglicher Art von Widerstand. Gegen Studenten, Landarbeiter, Gewerkschafter und sonstige Subversions-Verdächtige wurde alles aufgeboten, was gut und teuer war: Entführungen, extrajudikale Hinrichtungen, Auslöschung ganzer Dörfer, Folter und Verstümmelung, usw. usf.

Es wurde dabei auch das Land verwüstet, das die Bauern genutzt hatten, sodaß heute in El Salvador viel Land brachliegt, das die landlosen Bauern nicht nutzen können und die Grundherren nicht nutzen wollen.

Der Bürgerkrieg in El Salvador hat nach offiziellen Angaben um die 75.000 Tote gefordert.

Vor diesem Terror flüchteten viele Bewohner El Salvadors: in die Nachbarländer Honduras, Guatemala, Nicaragua. Und mehr als eine Million in die USA.

4. Die Banden
Die Flüchtlinge aus El Salvador waren mehr oder weniger die unterste Schicht der lateinamerikanischen Flüchtlinge. Sie hatten gar nichts und keinen Staat, der sie irgendwie schützte. Die politische Klasse El Salvadors war froh, sie los zu sein. Sie betrachtet ja schon seit langem die Besitzlosen des Landes als überflüssig, unnötig und gefährlich für ihre eigene privilegierte Position.

Die Immigranten fingen also ganz unten an und wurden bald auf das US-Bandenwesen für die Armen und Elenden verpflichtet. Um überleben zu können, bildeten sie eigene Banden und brachten sich gegenüber Schwarzen und anderen Lateinamerikanern weiter, die alle mehr Erfahrung im Leben als Outlaw angesammelt hatten. Die Kids aus EL Salvador lernten schmerzhaft und verlustreich, wie man sich in der unmittelbaren Gewalt-Konkurrenz bewährt.

Im Jänner 1992 wurden die Friedensverträge von Chapultepec in Mexiko unterzeichnet. Sie stellten ein völlige Niederlage der Guerilla und der Landlosenbewegung dar. Alles blieb beim alten, das Land blieb bei den Großgrundbesitzern, und die Militärs und sonstigen Killer erhielten mehr oder weniger Straffreiheit. Um nicht eine ganz schiefe Optik zu erzeugen, wurden einige Schlichtungs- und Wahrheitskommissionen ins Leben gerufen.

Damit war die Duldung der El Salvadorianer in den USA vorbei – jetzt ist ja alles in Ordnung, keine Gefahr mehr in der Heimat! – und sie wurden in großen Mengen ausgewiesen und „nach Hause“ deportiert. Jede Menge armer Schlucker stand auf einmal in El Salvador auf der Straße und hatte nichts. Es ist begreiflich, daß sie zum Überleben das Einzige einsetzten, was sie aus den USA mitgebracht hatten: Organisierte Gewalt.

Die Banden beherrschen heute das Alltagsleben El Salvadors. Die größte, die Mara Salvatrucha, soll zwischen 50.000 und 100.000 Mitglieder haben. Sie operiert auch in den Nachbarländern.

Wer das nötige Kapital in El Salvador hat, kann sich bis an die Zähne bewaffnete Schutztruppen leisten. Außerdem wissen die Banden ganz genau, an welche wichtigen Leute sie sich nicht heranwagen dürfen.
So bleiben Kleingewerbetreibende als Objekt für Schutzgelderpressung, und wer nichts zu bieten hat, kann sich immer noch für Prostitution oder Mitgliedschaft in der Bande einspannen lassen. Wer nein sagt, wird bald tot in einem Straßengraben gefunden.

Der herrschenden Klasse El Salvadors kommt diese Selbstverwaltung der Armut durchaus gelegen, bei allem Gejammer. Die Maras bilden, ähnlich wie die Mafia und verwandte Organisationen in Italien, ein „Sottogoverno“, eine Sub-Regierung: Sie machen den Staatsterror gegen die Armen auf eigene Faust und kosten die Staatskasse nichts.

Gerade einmal ist ein junger Mann aus El Salvador mit seiner kleinen Tochter im Rio Bravo ertrunken, weil er unbedingt in die USA gelangen wollte.
Migration

Nun ja.
Es ist jedenfalls nachvollziehbar, warum jemand aus einem Land wie El Salvador abhauen möchte.