ÜBER DIE UNBEWOHNBARKEIT DER WELT
Nachdem sich sowohl die Zahlen derer, die es nach Europa schaffen, als auch die derjenigen, denen es nicht gelingt ständig erhöhen, ist es doch einmal angebracht, nachzufragen, warum mehr und mehr Menschen die höchst gefährliche Reise nach Europa unter allen Umständen unternehmen.
Rekapitulieren wir doch einmal, wie es überhaupt zu diesen Flüchtlingsströmen kommt.
I. AFRIKA
1. Afrika war auch zur Zeit des Kalten Krieges ein vielerorts ungemütlicher Ort. Die postkolonialen Abtransport-Praktiken von Rohstoffen und Agrarprodukten, in Abkommen wie denen von Lomé (Stabex und Minex) und weiteren, bilateralen Verhandlungen festgeschrieben und immer neu verhandelt, beraubten viele Menschen ihrer Existenzgrundlage. In der Landwirtschaft rissen sich Konzerne die fruchtbaren Gegenden unter den Nagel und trieben die mittels Subsistenzwirtschaft existierenden Einheimischen in die Steppen und Halbwüsten, was das Entstehen weiterer unfruchtbarer Gegenden, wie in der Sahelzone begünstigte. Im Bergbau wurden ebenfalls entweder bestehende primitive Abbaumethoden zugunsten maschineller, industrieller verdrängt, oft mit Polizei und Paramilitärs, was die bisherigen Bergarbeiter entweder zu um einen Hungerlohn schuftenden Lohnarbeitern degradierte, oder gleich vom Standort vertrieb. Oder es wurden dort ansässige Landbewohner zugunsten eines Bergbauprojektes vertrieben.
Das alles war zwar unerfreulich für die Menschen vor Ort, führte aber nicht zu großen Flüchtlingsströmen. Die Betroffenen flüchteten innerhalb Afrikas, verhungerten oder wurden niedergemetzelt.
2. Ein weiteres Datum für die Bewohner Afrikas war das Ende des Kalten Krieges. Verschiedene der dortigen Regierungen wurden bis 1990 mittels Militär- und Entwicklungshilfe finanziell unterstützt, um sie als Verbündete des Westens zu erhalten. Das ließen sich vor allem die USA einiges kosten. Es fand so eine eigenartige Art von Arbeitsteilung zwischen den USA und verschiedenen europäischen Staaten statt: Die Amis zahlten einen Haufen Geld, und die Europäer schleppten ab, was es an Rohstoffen und Agrarprodukten zu holen gab.
3. Mit dem Ende des Kalten Krieges gab es auf einmal eine neue Situation: es war nicht mehr nötig, dort irgendwelche Regimes aufrechtzuerhalten, da es keine Konkurrenz mehr gab. Die Alimentierung des südafrikanischen Apartheid-Regimes wurde überflüssig, da die sowjetisch-kubanisch gestützten Regierungen der Nachbarstaaten notgedrungen einlenken und mit den USA und Europa ihren Frieden machen mußten. Der ANC kam dort an die Macht, die er inzwischen – sehr autochton – gegen streikende Arbeiter einsetzt.
Die paar Staaten, die mit der SU verbündet waren, gingen ebenfalls ihrer Unterstützung verlustig. In Äthiopien wurde Mengistu gestürzt.
Afrika verbilligte sich für die imperialistischen Staaten. Und das Wettrennen um Rohstoffe beschleunigte sich. Die Küsten wurden verpachtet und die dortigen Fischer verloren ihre Existenzgrundlage.
Das erste Land, das darüber vollständig kippte, war Somalia – der erste so richtig anerkannte „failed state“. Interventionen der USA in den 90-er Jahren scheiterten. Somalia dümpelt weiterhin als Krisenfall vor sich hin. Gegen die Überlebensversuche der dortigen Bevölkerung mittels Piraterie (Somalia kontrolliert wie der Jemen die Einfahrt in den Suezkanal) wurden internationale Flottengeschwader in die Gegend geschickt.
4. Ruanda, Burundi, Nigeria, der Kongo, Uganda, Liberia, Sierra Leone – die meisten Menschen hierzulande wissen weder, wo diese Staaten sich befinden, noch was dort geschieht. Wir werden sporadisch informiert über Bürgerkriege, Warlords – die dann medienwirksam gesucht werden, selbstverständlich ohne Erfolg –, dazu noch ein Dokumentarfilm über den Victoriasee, usw.
Dann gibt es noch Hungerkatastrophen, wo man zu Spenden aufgerufen wird – was natürlich nie zu einer gründlicheren Untersuchung oder auch nur Nachfrage darüber führt, wie es eigentlich dazu kommt. Meistens heißt es, das Wetter war schlecht, Heuschrecken sind eingefallen, und die Leute dort machen einfach zu viele Kinder. Dann wird wieder gegen den Sudan und seine „islamistische“ Regierung Stimmung gemacht, ein Stück von dem Land wird abgetrennt – man weiß gar nicht, warum? – und dann liest man irgendwo, daß es darüber Unfrieden gibt.
Als nächstes gibt es Terroristen in der Sahara, von denen verübte „Greueltaten“, und dann muß Frankreich intervenieren, um dort Ordnung zu schaffen.
Alle diese verstreuten Informationen, die hin und wieder in unser Bewußtsein einsickern und ein angenehmes Gruseln über diesen Kontinent verursachen, – primitiv, sexbesessen, keine Demokratie, Stammeskriege, Vodoo – sind Ausdruck des Umstandes, daß in vielen Gegenden Afrikas das Leben bzw. Überleben unmöglich geworden ist.
II. DER NAHE UND MITTLERE OSTEN
Auch in diesen Weltgegenden hat sich einiges abgespielt. Afghanistan wurde zum Szenario des Showdowns zwischen den USA und der SU. Die USA wollten der SU ihr Vietnam verursachen. Das ist auch gründlich gelungen, Afghanistan wurde in diesem Konflikt noch mehr ruiniert als Vietnam, und seit mehr als 30 Jahren herrscht dort Krieg.
Dann wurde der Irak gründlich zerstört, nach der damals vorherrschenden USA-Außenpolitik-Doktrin: Wo immer uns wer nicht paßt, reiten wir dort ein und schaffen Tsching-Bumm-Krach! Ordnung. Damit wurde ein zwar diktatorisch regierter, aber ökonomisch halbwegs funktionierender Staat in Stücke geschlagen, wo die Bewohner nicht nur täglich um ihr Leben fürchten müssen, aber auch nebenbei die Landwirtschaft, die Wasser- und Stromversorgung ziemlich kaputt ist.
Inzwischen sind dort mehrere kriegerische Einheiten entstanden, die mit recht modernem Waffenarsenal nichts anderes im Sinn haben, als – unter völliger Zerstörung aller Mittel des jeweiligen Gegners – das Territorium unter sich aufzuteilen.
Dazu kommen zwei flächendeckende Bombardements Israels gegen Gaza – 2008 und 2014 – die dieses Palästinenser-Ghetto recht gründlich in Schutt und Asche gelegt haben.
Als weiterer Mosaikstein in der Zerstörung des Nahen Ostens sei der eigentlich ohne besonderen Grund vom Zaun gebrochene Krieg Israels gegen den Libanon erwähnt. Schwups, auf einmal bombardierte die israelische Armee den Libanon und ruinierte dessen gesamte Infrastruktur – und damit auch Ökonomie – weitaus gründlicher als der jahrelange Bürgerkrieg im Libanon.
Bei diesen Kriegen fragte die europäische Öffentlichkeit nie ernsthaft nach: ja he, was ist denn da los?
Dann kam der „arabische Frühling“. Unzufriedene aller Art strömten auf Straßen und Plätze und forderten Freedom and Democracy. Die guten Leute hatten nicht mitbekommen, daß beides bei ihnen längst angekommen war, nur in anderer Form als erwartet. Von der demokratischen Öffentlichkeit in Europa wurden sie beglückwünscht und mit jeder Menge Komplimenten über die Fortschrittlichkeit ihrer Ideen überschüttet.
Inzwischen wären die meisten Bewohner der betroffenen Länder froh, wenn sie ihre Diktatoren und die von ihnen eingerichteten halbwegs geordneten Zustände wieder zurück hätten.
Und so begann ein Exodus in kriegsfreie Gebiete, und in Gegenden, die im Ruf stehen, dort könnte man halbwegs gesichert existieren.
Man weiß ja nicht, was in den Staaten Schwarzafrikas für Gerüchte über den Wohlstand in Europa kursieren, aber eines sehen die Leute vor Ort doch im Fernsehen: jeder scheint dort im Norden – im Unterschied zu ihnen – zumindest irgendwie sein Auskommen zu haben.
Und die Anzahl der Auswanderungswilligen, die jedes Risiko auf sich nehmen, um nach Europa zu gelangen, wächst mit der Anzahl der Kriege, Konflikte, „Natur“katastrophen und Ähnlichem von Jahr zu Jahr.
III: FRONTEX
Die europäischen Politiker haben hier ein Problem, das von Marx mit der Bezeichnung „relative Überbevölkerung“ charakterisiert worden ist, relativ nämlich zu den Bedürfnissen des Kapitals. Während in den 60-er Jahren das Kapital mancher europäischer Staaten nicht genug Arbeitskräfte vorfand und deren Regierungen deshalb aus Südeuropa und der Türkei Gastarbeiter anwarben, ist heute eine ständig anwachsende Zahl überflüssiger Bevölkerung zu verzeichnen, die den Sozialstaat belastet und Anlaß für Publikumsbeschimpfung a la Sarrazin bietet. Und dann steht da an den Toren der Festung Europa – die ja im Inneren sehr viel von Freizügigkeit hält, ein Menschenrecht sozusagen – noch jede Menge Habenichtse aus zwei anderen Kontinenten, mit fremder Kultur, Sprache und Religion!
Nie gab es einen Moment lang die Überlegung von führenden Politikern, vielleicht einmal die eigene Politik gegenüber afrikanischen Staaten zu überdenken, statt Bomben, Soldaten und Militärhilfe vielleicht wieder etwas mehr an Infrastruktur und Bildung zu finanzieren, den USA bei kriegerischen Konflikten die Gefolgschaft aufzukündigen, auf Israel Druck auszuüben, damit es sich mit den Palästinensern einigt, anstatt sie dauernd wegbomben zu wollen, usw. Nein, die EU-Staaten wollen mitreden und möglichst auch mit dabei sein, wenn irgendeinem Staat oder einer Regierung wieder einmal klar gemacht werden soll, wessen Befehle sie gefälligst entgegenzunehmen habe.
Gegen den Ansturm der Flüchtlinge errichtete Spanien meterhohe, mit Stacheldraht umwickelte Zäune um die Enklaven Ceuta und Melilla. Und die EU richtete eine eigene Abwehrbehörde gegen Immigranten ein, die Frontex. Mit der für die EU-Außenpolitik typischen Mischung aus Rücksichtslosigkeit, Dreistigkeit und Schönfärberei soll sie die EU-Außengrenzen „sichern“. Die mittellosen Flüchtlinge werden damit von vornherein zu einer Gefahr erklärt, vor der man die braven EU-Bürger schützen muß. Nur so viel zum spezifischen EU-Rassismus, der von ganz oben kommt und nicht aus der angeblich so rückständigen Bevölkerung, wie manche Ausländerfreunde beklagen.
Für die Tätigkeit von Frontex ist nichts zu teuer, während bei Asylbetreuung und Sozialhilfe geknausert wird. Sowohl personalmäßig als auch ausrüstungsmäßig ist Frontex bestens ausgestattet und auch relativ erfolgreich. Durch Verträge mit den Staaten, von denen die Flüchtlinge starten könnten, wie Marokko, Tunesien oder dem Libanon, und Überwachung der Küste zu Wasser und zu Land, ist es gelungen, den Strom der Bootsflüchtlinge auf die Kanarischen Inseln und nach Andalusien zu stoppen. Es ist beinahe unmöglich, obwohl es das nächstliegende wäre, von Syrien nach Zypern zu kommen – Zypern ist abgeriegelt. Es gibt eine italienische Insel in der Nähe der tunesischen Küste, Pantelleria, die ebenfalls nie angesteuert wird, da Frontex Tunesien fest in der Hand hat. An der Grenze zwischen der Türkei und Griechenland wurde eine Mauer errichtet. (Erinnern wir uns noch an den Fall der Berliner Mauer? Keine Mauern mehr in Europa … ) Die Türkei stellt sich allerdings ein wenig als Problem dar, weil sie weder bereit ist, sich zum Büttel der EU zu machen, noch für Frontex auf Souveränität zu verzichten, damit sich deren Abwehr-Bande an der türkischen Küste breitmachen kann. Also schafft es auch hin und wieder ein Schiff bzw. Boot aus der Türkei – ausgerechnet nach Griechenland, wo sich ja ein wachsender Teil der eigenen Bevölkerung nur mit öffentlichen Suppenküchen weiterbringt.
Das einzige Land jedoch, das sich als Loch in der Frontex-Kette weiterhin hält, ist Libyen.
Auch hier erinnere man sich zurück: Berlusconi handelte für die EU seinerzeit mit Ghaddafi aus, daß die libyschen Behörden und Polizisten den Flüchtlingen die Überfahrt verunmöglichten. Die libysche Regierung setzte diese in eigenen, sehr ungemütlichen Lagern fest, wenn sie nicht von ihrem Unterfangen Abstand nehmen wollten. Ihnen wurden allerdings auch Jobs in Libyen angeboten, wenn sie dort bleiben wollten.
Das verringerte deutlich die Attraktivität der Trans-Sahara-Route für diejenigen, die nach Europa strebten, und Libyens Küste war für Flüchtlinge gesperrt. Die libysche Gesellschaft war damals auch zu gut überwacht, als daß sich ein Schlepperwesen etablieren hätte können.
Heute ist Libyens Ökonomie am Boden, Milizen bekämpfen einander und zerstören dabei das, was die NATO-Bombardements stehengelassen haben, es gibt weder Regierung noch Polizei, die Existenzgrundlage des Großteils der Bevölkerung ist zerstört, und die Flüchtlinge sind eine der wenigen Möglichkeiten, an Geld zu kommen. Also strömen erstens die meisten Flüchtlinge nach Libyen, und dort gibt es zweitens genug Leute, die dafür sorgen, daß sich immer ein Schiff findet, von dem aus sie nach Lampedusa, Sizilien oder Malta starten können.
Die EU ist ratlos. Reinlassen will man die alle überhaupt nicht, aber jede Woche Hunderte absaufen zu lassen, hat eine schiefe Optik, und Italien und Malta wollen das auch nicht, weil diese ständige Wasserleichenverwaltung an ihrem Image kratzt und dem Tourismus schadet. Jedes Schiff, dessen menschliche Fracht gerettet wird, bestärkt jedoch diejenigen, die nach Libyen unterwegs sind oder von dort starten, wirkt also ermunternd.
Die Vorschläge mancher EU-Politiker zeugen von dieser Ratlosigkeit. „Auffangzentren“ sollen in Nordafrika errichtet werden. Gefängnisse, die bald voll sein werden, und deren Insassen durchgefüttert werden müssen, mit EU-Geldern? Es ist klar, daß diese Variante nichts bringen würde – es sei denn, man richtet die Flüchtlinge gleich an Ort und Stelle hin, um eine abschreckende Wirkung zu erzielen.
Da ist es aber ein geringerer Aufwand, sie gleich ertrinken zu lassen.
Der spanische Außenminister schlägt vor, alle in den libyschen Häfen liegenden Schiffe zu zerstören und Libyen eine Regierung zu verpassen.
So etwas käme, wenn man damit ernst machen wollte, einer Besatzung Libyens auf unbestimmte Zeit gleich. Europa könnte sich dort sozusagen sein eigenes Afghanistan einrichten, mit allen Konsequenzen. Das wäre zwar in der Logik der EU durchaus vertretbar, wird aber sicherlich daran scheitern, daß niemand von den Mitgliedsstaaten dabei sein will, wenn es an die praktische Umsetzung geht.
Rückerinnerung an den Sturz Gaddafis:
Die Zerstörung Libyens (29.9. 2011)
Die Abschlachtung Gaddafis (28.10. 2011)
Autor: Nestormachno
Arabische Liga gegen Jemen, und … und … ?
TOTALER KRIEG
Die Allianz der arabischen Staaten zur Bombardierung des Jemen wird in einer Art und Weise medial geschönt, daß einem wirklich schlecht wird. „Jemen: Araber gründen Anti-Terror-Truppe“ titelt der Standard, natürlich auch wieder aufgrund einer Reuters-Meldung. „Unterstützung für Jemens Präsident“, so geht es weiter. Also: alle einigen sich im Kampf gegen das Böse, und zweitens, die Rechtmäßigkeit wird hochgehalten. Unter welchen Bedingungen der jemenitische Präsident an die Macht gekommen ist, und worauf sich seine Rechtmäßigkeit überhaupt gründet, interessiert die Verfasser von dergleichen Jubelmeldungen nicht.
Ebenso irreführend ist der Ausdruck „Anti-Terror-Truppe“. Man könnte meinen, hier ginge es gegen den IS – aber weit gefehlt!
„Alle anderen Themen und Krisen, von Palästina über Libyen bis zur wirtschaftlichen Entwicklung, waren für die Gruppe, die ihr 70-jähriges Bestehen feierte, nur Randnotizen. In ungewöhnlicher Einigkeit stellten sich die arabischen Herrscher hinter die von Saudi-Arabien geführte Militärallianz, die im Jemen gegen die Huthi-Rebellen und deren Verbündete kämpft.“ (ebd.)
Auch die Zustände in Libyen, das politisch zu einem einzigen schwarzen Loch und einer Brutstätte des Terrors geworden ist, waren den „arabischen Herrschern“ kaum der Rede wert. Dabei hatte die arabische Liga seinerzeit viel zum Sturz Ghaddafis beigetragen, um sich dieses enfant terrible der arabischen Staatenwelt zu entledigen.
Sogar Ägypten, das durch die Ereignisse in Libyen sehr in Mitleidenschaft gezogen worden ist – und auch weiterhin werden wird –, findet es wichtiger, sich im Jemen einzumischen, als seine Militärmacht gegen den Bürgerkrieg und Terror in Libyen in Stellung zu bringen. Es beherbergt den Gipfel der arabischen Liga in Scharm-El-Scheich und schickt Militärschiffe in den Golf von Aden.
Man beachte auch die Allianz von einem Militär-Regime wie Ägypten, das vor nicht allzu langer Zeit seine legal gewählten religiösen Konkurrenten weggeputscht hat und unbarmherzig verfolgt, mit der Monarchie Saudi-Arabiens, das jede Trennung von Staat und Religion ablehnt und seinen Herrschaftsanspruch unter anderem daraus ableitet, Hüter der Heiligen Stätten des Islam zu sein – einem Gottesstaat also. Kein Problem für die beiden, wenn es gegen schiitische Aufständische geht, von denen übrigens keine besonderen Grausamkeiten bekannt sind.
Die jemenitische Ansarullah-Bewegung – etwas verächtlich als Huthi-Milizen abgetan – hat bisher keine Köpfe abgeschlagen und keine Ehebrecherinnen öffentlich gesteinigt. Die schiitischen Zaiditen waren bis zu ihrer 1962 erfolgten Demontage durch eine panarabische Junta – unter Mithilfe Ägyptens unter Nasser – jahrhundertelang die Herren über den Nordjemen, zeitweilig sogar über den gesamten heutigen Jemen. Ihr Sturz mündete in einem 8-jährigen Bürgerkrieg mit über 200.000 Toten. Das ist nur wichtig zu erwähnen angesichts des Getues, als wären diese Leute – denen nicht viel Widerstand entgegengesetzt wurde, die also im Jemen selbst gar nicht so unwillkommen sind – sozusagen vom Himmel gefallen oder Eindringlinge einer fremden Macht. Sie sind Ureinwohner des Jemen und bedienen sich im Unterschied zum IS auch keiner ausländischen Freiwilligen.
Jetzt wird der wirtschaftlich schwache Jemen – als einziger Staat der arabischen Halbinsel verfügt er kaum über Ölvorkommen – bombardiert, seine ohnehin eher bescheiden ausgebaute Infrastruktur zerstört, und mit einer Invasion Saudi Arabiens gedroht, das im letzten Jahrzehnt kräftig aufgerüstet hat und offenbar sein Gerät und seine Macht jetzt einmal ausprobieren will:
„Saudi-Arabien hat mit der ad hoc gezimmerten Allianz für seinen Feldzug im Jemen bereits erreicht, was es wollte. Beobachter sind sich einig, dass König Salman mit diesem Militäreinsatz neue Prioritäten in seiner Sicherheitspolitik gesetzt und die Bedrohung durch den Iran über jene gestellt hat, die von islamistischen Jihadisten von Al-Kaida oder der Terrormiliz »Islamischer Staat« (IS) ausgeht.“ (ebd.)
Der Jemen ist also das derzeitige Schlachtfeld für die imperialistische Konkurrenz in der arabischen Welt. Abgesehen davon, was das für den Jemen heißt – immerhin ein Land mit 25 Millionen Einwohnern, mehr als in Syrien – ist damit im Grunde an alle Schiiten des Nahen Ostens eine Kampfansage ergangen – sie werden alle als Agenten des Iran betrachtet und behandelt.
Wenn Saudi Arabien mit seinen Zielen Erfolg und weiterhin die arabische Liga hinter sich hat, so ist endgültig der IS an allen Fronten ins Recht gesetzt und kann viel offener unterstützt werden als bisher. Die Hisbollah, die syrische Regierung und ihr Anhang, die irakische Regierung und die sie unterstützende Bevölkerung, die Schiiten der arabischen Halbinsel – alles potentielle Feinde des wahren Islam und der US-gestützten Vormacht der Region, die zum Abschuß freigegeben sind.
Und diese Kriegserklärung an die islamischen Häretiker wird offensichtlich von den westlichen Medien mitgetragen, der Kampf gegen den IS verschwindet auf die hinteren Seiten, was darauf hinweist, daß wichtige Weltmächte das auch so sehen.
Die Hypo Alpe Adria als Systembank der EU
MITGEFANGEN, MITGEHANGEN?
Schon bei der Blitzverstaatlichung der Hypo Alpe Adria 2009 war absehbar, daß das nur ein Versuch war, eine Zeitbombe zu entschärfen, daß aber von irgendeiner Lösung irgendeines Problems hier keine Rede sein konnte.
Seither wird der Brandsatz hin und her geschoben, ohne daß sich eine substantielle Verbesserung der Lage einstellen würde. Die Hypo AA wurde aufgespalten, teilverkauft, umbenannt – das Problem der Schulden, für die keiner geradestehen will und kann, bleibt bestehen.
1. Historischer Kontext
Die Hypo AA wurde von einer landeseigenen Förderbank 1991 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, und im darauffolgenden Jahr durch den Einstieg der Grazer Wechselseitigen Versicherung als Großaktionär kräftig aufgeblasen. Sie machte sich fit für den Aufbruch zu neuen Ufern.
Die Hypo AA ist eng verknüpft mit der neuen Rolle, die Österreich sich anschickte, in Europa zu spielen. Von einem Billiglohnland und Pufferstaat zwischen den Blöcken zu einer Regional- und Kreditmacht in der Betreuung der gewendeten ex-sozialistischen Staaten in seiner näheren Umgebung, als Vorposten und Wachtturm der EU und sogar als Königsmacher, der sich mitunter recht unverschämt in die Innenpolitik und Machtkämpfe seiner Nachbarstaaten einmischt. Diese Rolle gefiel und gefällt den österreichischen Politikern, sie nehmen sie gerne wahr. Sie wird aber auch von den maßgeblichen Staaten der EU geschätzt – Österreich hatte – zumindest bis zur Krise 2008 – jede Menge Rückenwind.
Die Hypo spielte eine undurchsichtige Rolle in der Finanzierung des kroatischen Unabhängigkeitskampfes und dem Aufbau des Staates Kroatien. Es ist zu vermuten, daß sie nicht nur von Österreich, sondern auch von Deutschlands Geldgebern in dieser Sache benützt wurde. Das stärkte nur ihr Ansehen und vergrößerte die Freiheiten, die ihr von allen Seiten eingeräumt wurden – in Österreich, in Kroatien, und auch in Deutschland.
Es ist wichtig, sich das vor Augen zu halten angesichts dessen, daß immer von Patrioten und Moralwachteln die Hände zusammengeschlagen und „Versäumnisse“ dingfest gemacht werden, warum die Blase geplatzt und das Unheil eingetreten ist.
Demgegenüber ist festzuhalten, daß es nicht die Abwesenheit von staatlicher Oberaufsicht war, die die Hypo AA zu ihrer Expansion gedrängt hat, sondern gerade die Vorgaben der hohen Politik: „Geht und macht euch den Balkan untertan!“ – die die Hypo AA seinerzeit beflügelt haben.
Es war auch keineswegs, wie es sich im Rahmen der allseits beliebten Schuldsuche praktischerweise anbietet, der verstorbene Landeshauptmann Haider der Alleinverantwortliche für die Expansion der Hypo AA. Natürlich gefiel es dem Landesvater, ein so potentes Geldinstitut vor der eigenen Haustür zu haben und sowohl genug Kredit für ehrgeizige Projekte in Kärnten als auch für grenzüberschreitende und den Einfluß Kärntens am Balkan steigernde Aktivitäten zu seiner Verfügung zu wissen. Aber diese Muskelspiele der Kärntner Landesbank und des Kärntner Oberhäuptlings waren kein Alleingang und standen in Einklang mit anderen Bank-Expansionen im runderneuerten Nach-Wende-Österreich.
Der heutige Eiertanz um die Hypo AA ist unter anderem dem Willen und Bemühen geschuldet, diese Rolle aufrechtzuerhalten und den guten Ruf des Bankplatzes Österreich zu erhalten. Da kracht es nämlich mehrerorts im Gebälk des Kredit-Überbaus, und die Hypo AA hat das Potential, einen Einsturz zu verursachen.
2. Technische Details
Um von den bescheidenen Grundlagen zu einem international agierenden Spieler zu werden und ihre Bilanzsumme innerhalb von 13 Jahren von umgerechnet ca. 1,87 Mrd. € auf 24,23 Mrd. € zu erhöhen, unternahm die Leitung der Bank einiges, was ihr damals als hohe Kunst des Geld-Machens wohlwollend angerechnet wurde. Sie nützte nämlich die Konzession zur Ausgabe von Wertpapieren, um ihr Eigenkapital und damit ihren Aktionsradius zu erhöhen. Alles, wie der später vor Gericht gestellte und verurteilte Vorstand Kulterer im Laufe des Verfahrens bemerkte, nach der damaligen Gesetzeslage völlig legal.
Sie gab Anleihen heraus, die höher verzinst als gewöhnliche Bankanleihen und durch Haftungen des Landes Kärnten besichert waren. Es handelt sich – auch da kommen immer neue Meldungen, „sickert“ etwas durch, wird dementiert – um eine Summe von zwischen 16 und 20 Milliarden Euro, wobei zu den Gläubigern große europäische Geldinstitute, aber auch andere österreichische Banken gehören.
Dann gab die Bank Aktien heraus, die sie über ein Geflecht von Briefkastenfirmen an sich selbst zurückverkaufte und als Kapitalerhöhung in den Büchern verzeichnete.
Die Bank ließ sich in mehrstellige Millionendeals im Immobiliensektor ein, blies die Immobilienspekulation an der Adria in gewaltige Dimensionen auf und setzte auf den Boom im Tourismus. Die Finanzkrise ließ die Preise einbrechen, entwertete die Aktiva der Bank und das ganze Kartenhaus brach zusammen.
Dabei hatte die Hypo AA gar nicht viel falsch gemacht. Sie hatte fehlendes Eigenkapital durch Garantien und Finanzmanöver generiert, ähnlich wie andere österreichische Banken, denen die Abdankung des Realen Sozialismus ein weites Geschäftsfeld eröffnet hatte. Sie stießen in ein kapitalmäßiges Vakuum vor, in dem sie mit keinerlei ernsthafter Konkurrenz konfrontiert waren. Die einzigen Konkurrenten, mit denen die Hypo AA zu kämpfen hatte, waren slowenische Banken, und die gelang es eben durch diese Finanzmanöver und Landesgarantien auszuspielen.
Die gesamte Performance der Hypo AA machte sie attraktiv für die um einige Nummern größere Bayerische Landesbank, die sich erstens sowieso vergrößern und zweitens mit Hilfe der Hypo AA ein Standbein auf dem damals als Zukunftsmarkt eingeschätzten Balkan verschaffen wollte.
Der Verkauf der Hypo AA-Anteile an die Bayerische LB im Jahr 2007 war von derart komplizierten Eigentumsverflechtungen begleitet, daß es fast unmöglich ist, zu verfolgen, wieviel eigentlich gezahlt wurde und an wen.
Später behauptete die Bayern LB, sie sei von den Verhandlern auf Seiten der Hypo AA getäuscht worden, die Bilanzen seien gefälscht gewesen. Die Republik Österreich sagte später, die BayernLB hätte sie bei der Notverstaatlichung 2009 über den Zustand der Bank getäuscht. Lauter Betrogene, nirgends Betrüger.
Von 2009 bis heuer wurde die Hypo-Causa mitgeschleppt. Alle hofften darauf, daß die Krise vorübergehen würde, die Preise anziehen und die Kaufkraft steigen würden, und die Hypo AA nach einer vom Staat gestützten Durststrecke wieder auferstehen würde. Ähnlich wie die BAWAG. Dieses Szenario ist aber nicht eingetreten, und schließlich wurde die Bank aufgeteilt in Teile, die man noch zu verkaufen hoffte und einen Mistkübel für den Rest namens Heta.
Von der EU-Kommission in Brüssel kamen Vorschläge, die Bank aufzulösen, und Beschwerden, der österreichische Staat habe bei der Verstaatlichung verbotene Beihilfen gezahlt.
Was bei allen diesen Manövern offen blieb, war die Bedienung der Anleihen, die bisher offenbar vom österreichischen Staat geleistet wurde, weshalb der Österreicher Jahr für Jahr mit Berichten versorgt wurde, wieviel die Hypo AA „uns“, „den Steuerzahler“ dieses Jahr wieder gekostet hat.
3. Die Verwicklungen heute
Heute, wo der österreichische Staat – unter anderem mit Berufung auf die Gründung der Heta, wo jetzt alle Probleme geparkt werden – versucht, sich seiner Verpflichtungen zu entledigen, wird die Frage der Hypo-Anleihen schlagend.
Die Gläubiger könnten klagen, wenn die Anleihen verfallen, aber wen eigentlich? Die Bankaufsichtsbehörde, die Republik, den Heta-Vorstand, das als Garant figurierende Bundesland Kärnten?
Wenn die Hypo-Anleihen jedoch einfach ungeregelt verfallen, so ist keine österreichische Bank mehr international kreditwürdig.
Kärnten hat sich bei diesen Garantien um das mehrfache seines jährlichen Budgets übernommen. Es kann sich nicht mit Hilfe eines Konkurses entschulden, da es dafür überhaupt kein Verfahren gibt und ein Bundesland im Grunde genauso wenig bankrott gehen kann wie ein Staat.
Noch dazu hängen über den Hypo-Landesbanken-Dachverband die restlichen Bundesländer Österreichs in diesen Landesgarantien drinnen und müßten selber mitzahlen, und über irgendeinen Banken-Insolvenzfonds müßten die anderen Banken Österreichs auch Geld herausrücken im Falle einer formellen Auflösung der Hypo AA. Alle schreien natürlich im Chor: „Nein, niemals! Wir haben damit doch nichts zu tun! Schuld ist der Haider!“
Schließlich soll der von Jörg Haider selig mit dem Verkauf der Hypo AA eingerichtete „Zukunftsfonds“ für die Verbindlichkeiten der Hypo herangezogen werden, wogegen sich die Kärntner Landesregierung wehrt: Sie wäre damit um eine Geldquelle ärmer – vielleicht die einzige, die ihr noch bleibt – und für die Verbindlichkeiten der Hypo AA wären die 500 Millionen Euro nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Im Grunde ist hier ein kleines Griechenland-Problem entstanden, wo Landeshaftungen wie Kredit behandelt werden, dessen Bedienung das Bundesland selbst nicht leisten kann und dafür andere Instanzen herhalten sollen, damit nicht der ganze Kredit Österreichs flöten geht.
Die Bayerische Landesbank fordert noch Geld von der Republik Österreich, während die auf dem Standpunkt steht, daß von der BayernLB noch Geld für die Abwicklung der Hypo ausständig ist.
Die EU-Kommission in Brüssel sieht wettbewerbsverzerrende Maßnahmen und da soll Österreich irgendwelche Strafen zahlen oder Zahlungen an die Hypo AA zurückfordern.
Bei aller unfreiwilligen Komik, die dadurch entsteht, daß uneinbringliche Schulden nicht gestrichen, sondern durch teils grenzüberschreitende Gerichtsverfahren, Neugründungen, Betriebsauflösungen, Umbenennungen usw. von einem zum anderen geschoben werden, weil sie niemand streichen kann/will/darf – die Causa Hypo AA kann genauso wie die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands, die Ukraine-Krise und die Rußland-Sanktionen dazu beitragen, dem Euro den Garaus zu machen.