Das irakische Kurdistan

AUSBEUTUNG UND IMPERIALISMUS HEUTE
Ein Freund von mir aus einem osteuropäischen Land, nennen wir ihn im weiteren Michael, hat gerade ein halbes Jahr im Irak verbracht. Er arbeitete für eine deutsche Firma.

1. Der Arbeitsvertrag

Michael erhielt für die Arbeit in einer Gegend, wo 40 Grad im Schatten üblich sind und er in einem klimatisierten Container wohnte, 1000 Euro pro Monat. Das ist der übliche Lohn, der Leuten aus Osteuropa gezahlt wird, die von ihrer Hände Arbeit leben. Natürlich gibt es besser bezahlte Jobs, in der Politik oder im Management, die werden aber eher selten mit Osteuropäern besetzt. Die meisten Firmen schicken in ihre Zweigstellen in osteuropäischen Ländern lieber Führungskräfte von zu Hause. Man weiß ja nicht …

Michael ist Elektriker und als solcher arbeitete er dort auch. Aber auch, wenn er in einem EU-Land arbeiten würde, so würde er nirgends mehr als diese 1000 Euro im Monat verdienen. Das ist eine Art Obergrenze, auf die sich das europäische Kapital geeinigt zu haben scheint. Die ehemaligen sozialistischen Staaten sind ein Arbeitskräfte-Reservoir, ihre Bewohner stellen die industrielle Reservearmee dar, mit der die EU-Kapitale groß und größer werden wollen. So etwas wie Lohnforderungen sollen gar nicht erst aufkommen in den neuen Mitgliedsländern. Die Gewerkschaften wurden entmachtet und zerschlagen, die alten Arbeitsplätze gibt es nicht mehr und die Bewohner von diesen Staaten wetteifern in den „alten“ Mitgliedsstaaten um die schlecht bezahlten Jobs und drücken damit auch dort den Preis der Arbeit.

In Michaels Vertrag stand, daß er zusätzlich zu den 1000 Euro Unterkunft und täglich ein Mittagessen erhält. Nach dem ersten Monat stellte er fest, daß ihm das Mittagessen von der vereinbarten Lohnsumme abgezogen wurde. Er mußte mit dem Vertrag in der Hand zum Bauleiter gehen und klarstellen, daß das einen Vertragsbruch darstellt und er das nicht hinnimmt. Darauf wurde das Geld rücküberwiesen und von da ab nicht mehr abgezogen.
Es kann sich natürlich um Schlamperei oder ein Mißverständnis handeln, gerade bei den komplizierten Verhältnissen bei dieser Art von Baustelle. Dergleichen ist aber auch innerhalb der EU gang und gäbe. Die Firmen versuchen, die Sprach- und Gesetzunkundigkeit der ausländischen Arbeiter auszunützen, um den ohnehin schon sehr bescheidenen Lohn noch ein wenig weiter zu drücken.
Ein weiterer Faktor war die Arbeitszeit. Sie war in dem Vertrag gar nicht festgelegt. Es war eine Art Werksvertrag. Das und das und das ist zu machen, und in einem halben Jahr hat das fertig zu sein. Die in Österreich bereits angedachte und bald auch durchgesetzte 60 Stunden-Woche und der 12-Stunden-Arbeitstag lassen grüßen.

Außer Michael und einigen anderen Osteuropäern arbeiteten auf den diversen Baustellen vor allem Filipinos und Türken, sowie Einheimische.

Die deutsche Firma beschäftigte also gar keine Deutschen – außer dem Chef, der 2 oder 3x aufkreuzte, aber nur kurz blieb –, streift aber den Reibach ein. Das ist deshalb erwähnenswert, weil diverse deutsche Politiker und Medienfritzen gerne damit hausieren gehen, daß Deutschland deshalb eine so gut gefüllte Staatskasse hat, weil die deutschen Arbeitskräfte so billig und willig sind.

Um in den Genuß dieses Traum-Jobs zu kommen, mußte Michael die Geburts- und Todesdaten seiner Eltern und seiner 4 Großeltern vorweisen, und die Orte, wo diese Ereignisse stattgefunden hatten. Ebenso mußte er die Geburtsdaten und Orte seiner Kinder und seiner Ehefrau mit gültigen Dokumenten vorweisen, und ihre derzeitigen Wohnorte angeben.
Da Michael der Erste seiner Familie ist, der überhaupt seine engere Umgebung verlassen hat, und auch seine noch lebenden Verwandten keine weitgereisten oder seltsamen Beschäftigungen nachgehenden Personen sind, so erhielt er den Job.

Man muß sich aber einmal vorstellen, wie sehr jemand auf eine solche Art von Arbeit angewiesen sein muß, um überhaupt diese ganze Prozedur zu durchlaufen, weil die war ja mit Behördenwegen und Papierkram verbunden, alles ohne Bezahlung.
(Gut, etwas Neugierde und Abenteuerlust war natürlich auch dabei …)

2. Was war zu tun?

Michael verlegte Leitungen und schloß elektrische Geräte für jede Menge Konsulate an. Der USA und verschiedener EU-NATO-Staaten. Erst sagte er mir, er hätte Botschaften ans Netz angeschlossen. Wie das? fragte ich. Das irakische Kurdistan ist kein eigener Staat, wie können sie dort Botschaften einrichten? Er überlegte und sagte: Ja, du hast recht, es stand drauf: „Consulat“.

Im Grunde hatte Michael natürlich recht. Es ist eine reine Formalität, wie diese Vertretungen genannt werden. De facto wird im irakischen Kurdistan ein eigener, de jure nicht anerkannter Staat eingerichtet, dafür braucht es diese diplomatischen Vertretungen:

Dieser Staat existiert nur unter ausländischer Besatzung. Michael war nur in Erbil, was die Hauptstadt dieses Gebildes ist. Dort haben verschiedene NATO-Staaten große militärische Lager eingerichtet. Dasjenige der USA macht laut Michael ungefähr die Hälfte der Kleinstadt aus, aus der er stammt. Ansonsten erwähnte er auch noch Italien und Frankreich.

Dieses Staatsgebilde ist also von mehreren NATO-Staaten besetzt und gleichzeitig vor dem Zugriff der irakischen Zentralgewalt geschützt. Offenbar war die Übergabe von Kirkuk die Bedingung, unter der Bagdad einer solchen Besatzung zugestimmt hat.

Irakische Soldaten sah Michael kaum, die kurdischen Peschmerga hingegen schon. Er gab zu, das nicht immer genau unterscheiden zu können.
Es ist auch bezeichnend für die Rolle Deutschlands, daß es auf eine Militärpräsenz dort keinen Wert zu legen scheint, aber die Firma (oder mehrere Firmen) stellt, die die Infrastruktur errichten und damit ein Geschäft machen.

Nicht ganz klar ist in diesem ganzen Bild die Rolle der Türkei. Michael reiste durch die Türkei an. Die Sicherheitsvorkehrungen an der Grenze waren unglaublich, er berichtete von 10-12 Zäunen und Schleusen, wo er und andere durch mußten und kontrolliert wurden.
Wer hat diese Befestigungen aufgebaut? Der Irak oder die Kurden wohl kaum. Die Türkei? NATO-Staaten? Wie weit reichten sie von dem Grenzübergang aus in beide Richtungen?

Die Bedingung der Türkei für diesen besetzten Kurdenstaat waren offenbar stark überwachte Grenzen und möglicherweise türkische Militärpräsenz entlang des gesamten Grenzstreifens innerhalb des Irak.
Die NATO hat damit jedenfalls einen Stützpunkt im Nahen Osten, den ihr so leicht niemand streitig machen kann, und an der Grenze zum Iran. Mit der einheimischen Elite, dem Barzani-Clan scheinen sich die NATO-Staaten auch geeinigt zu haben. Barzanis dürfen weiter ihre Geschäfte machen, vor allem mit Öl, und sollen ansonsten die Kreise der Militärs nicht stören.
Der Flughafen von Erbil ist auch gut ausgebaut, die NATO-Truppen haben aber möglicherweise auch andere zu ihrer Verfügung. Es völlig unklar, wie sehr der Irak oder die NATO in Mosul präsent ist.

Außer Botschaften verkabelte Michael große, aus Container-Reihen bestehende Flüchtlingslager. Alle eingezäunt und mit ziemlichen Sicherheitstoren versehen.
Für was für Flüchtlinge werden die gebaut? Mit was für kommenden Flüchtlingsbewegungen rechnen die NATO-Staaten?

Man erinnere sich, aus Deir-Ez-Zor und anderen weiter südlich entlang des Euphrat gelegenen Ortschaften sollen Führungskader des IS mit NATO-Hubschraubern ausgeflogen worden sein.
Dann gibt es noch die „Weißhelme“, die die deutsche Regierung so warm willkommen geheißen hat. Ob sie wirklich in Deutschland gelandet sind, wissen wir nicht.
Schließlich, all die aus verschiedenen Orten in Syrien nach Idlib gebrachten Islamisten – was wird aus denen, wenn Idlib wieder in den Schoß Syriens zurückkehrt?

Neben Tschetschenen, Tartaren und Uiguren, die aus den mißliebigen Staaten Rußland und China stammen, sind auch die IS-Kämpfer aus Europa und muslimischen Staaten in ihren Herkunftsländern nicht gerade willkommen. Ihre Rückkehr würde nur Mist machen. Man muß sie vor Gericht stellen, in komplizierten und kostspieligen Prozessen verurteilen, wobei womöglich rechtliche Lücken auftreten können, oder Fakten ans Licht kommen könnten, die blamabel für die ach so humanistische EU wären.
Also werden diese Leute dort in NATO-Kurdistan aufbewahrt, wie in einem Reagenzglas. Man kann sich ihren weiteren Einsatz überlegen. Das Ideal der NATO-Truppen dürfte sein, daß diese Leute derartig von ihnen abhängig sind, daß sie sich ihren Wünschen gar nicht entziehen werden können.

So wird versucht, Söldner und Terroristen gegen Rußland, China und den Iran aufzubauen.

14 Gedanken zu “Das irakische Kurdistan

  1. 1000 Euro pro Monat. Das ist der übliche Lohn, der Leuten aus Osteuropa gezahlt wird, die von ihrer Hände Arbeit leben.

    Entweder ist das Käse, oder es besagt nicht viel. Ich weiß nicht, welche Löhne in Österreich gezahlt werden, der Betrag allein ist abstrakt. Die Frage ist eher, kann er davon leben und wenn, dann wie. Der Container mag ‘klimatisiert’ sein, aber wie ist der eingeräumt, hat(te) dein Freund darin bloß ein Bett, muss(te) er sich den Raum mit x anderen Arbeitern teilen, muss(te) er für die Unterkunft was zahlen? Zudem, wenn er ein halbes Jahr da war, wie oft konnte er nach Hause reisen, wer bezahlte das?
    Worauf ich hinaus will ist folgendes: dass wer für x Geld ‘von seiner Hände Arbeit’ lebt ist eine Legende, die grad in der ‘Marktwirtschaft’ gern erzählt, aber dadurch nicht wahrer wird. Zum Märchen wird das aber erst, wenn man “eine Art Obergrenze, auf die sich das europäische Kapital geeinigt zu haben scheint” annimmt oder sich sich so Sachen ausdenkt, wie die Osteuropäer “stellen die industrielle Reservearmee dar, mit der die EU-Kapitale groß und größer werden wollen”. Das stimmt einfach nicht!
    1) gehört Osteuropa inzwischen selbst größtenteils zur EU, somit teilt sich deren Gesamtbevölkerung in Leute, die lohnarbeiten und solche, die man zu sog. ‘industriellen Reservearmee’ zählen mag. 2) ist deren Zweck gerade nicht, Kapitale zu vergrößern, sondern den Preis der Ware Arbeitskraft zu drücken. Heißt doch die Veranstaltung, auf welcher dein Freund zu seinem Job gekommen ist, immer noch so schön euphemistisch Arbeitsmarkt. Und Markt ist immer und unter allen Umständen Konkurrenz der Verkäufer. Die unter den Anbietern/Verkäufern von Arbeitskraft zu verschärfen, war 3) Zweck von staatstragend verargumentierter ‘Standortpolitik’, gepaart mit so Sachen wie (in Deutschland) Agenda 2010, Hartz IV etc. pp. 4) vergrößert sich Kapital ausschließlich durch Zuwachs von Profit und das geht nur durch Steigerung der Produktivität, was eher zur Vergrößerung der ‘Reservearmee’ führt, es sei denn, die Produktion wird proportional ausgeweitet. Dies erfordert freilich die Ausweitung des Markts und zwar ganz egal, ob es staatliche Grenzen gibt oder nicht.
    Kurioserweise werden Lohnforderungen inzwischen fast ausschließlich von Leuten gestellt, die 1) gegen die Marktwirtschaft gar nichts haben, 2) nicht ‘von ihrer Hände Arbeit’ leben (müssen), 3) aber BWL/VWL studiert haben und das ‘Wachstum’ (der Profite) gefährdet sehen, wenn die sog. ‘Binnennachfrage’ einknickt, weil etwa die Inflation schneller wächst als die ‘Lohnquote’ o.s.ä. Und inzwischen gibt es in D paar Millionen, die mit ihrem Lohn unterhalb der staatlich irgendwie festgelegten ‘Armutsgrenze’ liegen und daher eine sog. ‘Aufstockung’ auf Hartz-IV-Niveau bekommen, wenn sie die denn monatlich ‘beantragen’
    Davon abgesehen ist mir nicht ganz klar, was du mit dem Beitrag überhaupt sagen willst, deutsche Firmen beuten Osteuropäer irgendwie übermäßig aus und/oder die NATO richtet in kurdischen oder irakischen Gegenden, die sie unter der Fuchtel hat, so ne Art Lager für potentielle Terroristen ein?

  2. @Samson
    Mir ist gar nicht klar, worauf du hinauswillst.
    Die ex-sozialistischen Staaten sind als EU-Hinterhof eingerichtet und damit sind sie eben industrielle Reservearmee und drúcken den Preis der Arbeit.
    Wie jemand untergebracht ist und ob er nach Hause reisen kann, ändert an diesem Umstand nichts.

  3. @Hinweis
    Die Intention des Heise-Autors ist ziemlich aberwitzig, wenn er zum Schluss quasi die Katze aus dem Sack lässt. Assad will der nämlich auch weghaben. Deshalb konstruiert er einen abstrakten Gegensatz zwischen der “politischen Ordnung (…), die wir in Europa hochhalten” und “dem repressiven, dynastischen System der Baath-Herrschaft in Syrien”. Das ist ungefähr so selbsterklärend resp. politisch tendenziös, wie bspw. die mediale Titulierung südkoreanischer Präsident vs. nordkoreanischer Machthaber.
    Unterschlagen wird darin die historische Tatsache, dass die gegenwärtige ‘politische Ordnung’ der (West)Europäer selber Resultat jahrhundertelanger terroristischer ‘Konfliktbewältigung’ militärischer Auseinandersetzungen ist. Dass dabei gelegntlich die halbe Welt in Schutt und Asche gelegt die Grenzen weit entfernter Gebiete verändert wurden, spielt für die Verfechter der eurpoäischen ‘politischen Ordnung’ nichtmal dann eine Rolle, wenn sie sich um die Unterscheidung zwischen ‘Rebellen’ und ‘Terroristen’ bemüht geben. Deswegen stellt sich ihnen “die Frage, wie man mit solchen gewalttätigen Kriegstreibern im eigenen Land umgeht” eben auch nur rhetorisch, weil die Frage nach deren eventuellen ‘Hintermännern’ die ‘politische Ordnung’ der (West)Europäer antasten täte …
    @Nestor
    Der ‘EU-Hinterhof’ ist ein Euphemismus von dir, der aber an der Sache knapp vorbei geht, weil sich die ‘industrielle Resevearmee’ auf die gesellschaftliche Produktion bezieht, die sich gerade nicht nach Staatsgrenzen richtet, sondern den ganzen Saftladen, der nicht erst seit der sog. ‘Globalisierung’ Weltmarkt heißt, a priori einbezieht.
    Abgesehen von wesentlich politschen Institutionen wie der deutschen Treuhand, die für die Reprivatisierung der (gesellschaftlichen) Produktionsmittel zuständig war, oder Einfuhrbeschränkungen seitens der damaligen EG ist der EU-Hinterhof das Resultat mangelnder Konkurrenzfähigkeit, die wiederum ihren Grund in rückständiger Produktivität hat.
    Sowas merkt jeder ‘Bio’-Bauer oder kleinteilig produziertende ‘Handwerker’, wenn er einen Preisaufschlag fordert, den am Markt nicht bekommt und dann die Regierung auffordert, gegen die (auswärtige) Konkurrenz irgendwelche ‘Schutzmaßnahmen’ zu beschließen.

    Wie jemand untergebracht ist und ob er nach Hause reisen kann, ändert an diesem Umstand nichts.

    Doch, doch und zwar ganz entscheidend. Ein Bekannter wollte vor einiger Zeit nach Thailand auswandern, weil der glaubte, von seiner hier eher kärglichen Rente dort beinahe fürstlich leben zu können. Ein anderer hat letztens eine Cubanerin geheiratet und will dahin umsiedeln. Hier musste er sich einen Minijob besorgen, weil seine Rente nicht zum Leben reicht, in Cuba kommt er mit allein dem, was er hier an Miete zahlt, samt seiner neuen Familie locker den ganzen Monat ‘über die Runden’ 😉
    Selbst dein Freund wird den 1000-Euro-Job nicht aus reiner Lust am Abenteuer angenommen haben …

  4. @Samson

    Der ‚EU-Hinterhof‘ ist ein Euphemismus von dir,

    Warum? Also, Euphemismus ist doch auf gut Deutsch Schönfärberei. Was wird da schöngeredet mit diesem Ausdruck?

    der aber an der Sache knapp vorbei geht

    Warum das? Also, was ist damit ausgesagt, und was trifft das nicht?

    weil sich die ‚industrielle Resevearmee‘ auf die gesellschaftliche Produktion bezieht

    Auf was denn sonst, muß ich da fragen? Bzw., was ist mit dem Wort „gesellschaftlich“ egentlich anderes ausgesagt, als das mehrere dran beteiligt sind? „Gesellschaftlich“ war die Produktion im Realen Sozialismus auch.

    die sich gerade nicht nach Staatsgrenzen richtet

    Auch keine besondere Einsicht. Kapitalismus heißt eben seit jeher Weltmarkt.

    ist der EU-Hinterhof

    Es gibt ihn also doch!

    das Resultat mangelnder Konkurrenzfähigkeit, die wiederum ihren Grund in rückständiger Produktivität hat.

    Was soll man mit dieser Anhäufung negativer Bestimmungen anfangen?
    Was ist denn „Konkurrenzfähigkeit“? Das ist doch der Erfolg des Kapitals in der Stückkostensenkung. Daß in einem Gesellschaftssystem, daß sich als Gegenentwurf zum Kapitalismusmus eingerichtet hat, 1990 kein Kapital vorhanden war, ist doch sozusagen eine Binsenweisheit, oder ein Faktum, das einem Kenner der politischen Ökonomie auf der Hand liegen müßte. Sie konnten schon deshalb nicht „konkurrenzfähig“ sein, weil dort kein Kapital war. Also von wegen „mangelnd“!
    Und was ist „rückständige“ Produktivität? Das geht doch von einer Geschichtsteleologie aus, wo es immer vorwärts zur Sonne geht, und die einen sind halt langsamer, die anderen schneller unterwegs.
    „Produktivität“ schließlich ist ein Vokabel der Konkurrenz, der Produktion für Verkauf und Gewinn. Für sich genommen sagt das gar nichts aus.
    So weit einmal.
    Was Heise betrifft, so blasen die auch die Anti-Assad-Trompete, und merken gar nicht, wie sie sich damit zu den nützlichen Idioten des EU-Imperialismus machen.

  5. Also, Euphemismus ist doch auf gut Deutsch Schönfärberei. Was wird da schöngeredet mit diesem Ausdruck?

    Ok, vielleicht missverständlich ausgedrückt, die ‘Schönfärberei’ bezog sich ohnehin mehr auf die ‘Einrichtung’. Dass sowas wie ein ‘Hinterhof’ dabei rausgekommen ist, liegt an den angewandten Methoden. Bei dir liest sich das (nach meinem Verständnis) aber so, als wäre es der Zweck ‘der Übung’ gewesen, eine ‘Reservearmee’ zwecks Lohndrückerei ‘einzurichten’, und das halte ich nach wie vor für wenigstens fragwürdig.

    was ist mit dem Wort „gesellschaftlich“ egentlich anderes ausgesagt, als das mehrere dran beteiligt sind? „Gesellschaftlich“ war die Produktion im Realen Sozialismus auch.

    Bezogen auf die Produktion besagt es m.E., ganz egal wieviele daran beteiligt sind, dass das gesamte Produkt explizit nicht für den Nutzen/Gebrauch des/der Produzenten hergestellt wird.

    Daß in einem Gesellschaftssystem, daß sich als Gegenentwurf zum Kapitalismusmus eingerichtet hat, 1990 kein Kapital vorhanden war, ist doch sozusagen eine Binsenweisheit, oder ein Faktum, das einem Kenner der politischen Ökonomie auf der Hand liegen müßte.

    Die Frage, als was das Gesellschaftssystem ‘eingerichtet’ war, würde schon fast eine eigene Debatte erfordern, aber das es nix gab, was als Kapital verwertet hätte werden können, bezweifle ich. Eher würde ich sagen, es gab keine Kapitalisten. Deswegen ja auch die (Re)Privatisierung der Produktionsmittel als Voraussetzung für die ‘Teilnahme’ an der Konkurrenz.

  6. Was ich oben skizzierte, dass Lohnforderungen längst nicht mehr von tatsächlichen Lohnarbeitern, dafür umso mehr von Leuten gestellt werden, die um die sog. ‘Binnennachfrage’ besorgt sind, also die Marktwirtschaft selber gar nicht in Frage stellen, treibt gerade auch den
    Chef der Linken um:
    Im 21. Jahrhundert Arbeitsplätze und Wirtschaft der Willkür Donald Trumps auszusetzen, indem man stumpf weiter auf Export setzt statt durch Lohnerhöhungen und Investitionen die Binnennachfrage anzukurbeln und die Handelsbilanz ins Gleichgewicht zu bringen, ist schlicht fahrlässig. Die schwarz-rote Bundesregierung hält es bei der Wirtschaftspolitik wie bei den Renten und dem Wohnungsbau: sehenden Auges in die Krise. Die Weltwirtschaft muss schleunigst umgebaut werden, sonst droht neben einer Wirtschaftskrise auch der ökologische Kollaps. Eine verantwortungsbewusste Wirtschaftspolitik hingegen investiert in die Zukunft. Ein 100-Milliarden-Investitionsprogramm, mehr öffentliche Beschäftigung und starke Löhne sind der Schlüssel, um die Binnenwirtschaft zu stabilisieren.

  7. “dass Lohnforderungen längst nicht mehr von tatsächlichen Lohnarbeitern, dafür umso mehr von Leuten gestellt werden, die um die sog. ‚Binnennachfrage‘ besorgt sind”

    ist doch nun wirklich eine olle reformistische Kamelle, das haben wir uns doch schon seit Jahrzehnten von DGB-Sprechern anhören müssen, die dann ja noch nicht mal entsprechend ihrer angeblichen Sorge die dafür nötigen Lohnerhöhungen durchgekämpft haben.

  8. @Samson

    als wäre es der Zweck ‚der Übung‘ gewesen, eine ‚Reservearmee‘ zwecks Lohndrückerei ‚einzurichten‘

    Also erstens, wenn das so ist, weiß ich nicht, was daran schönfärberisch sein soll. Die Behauptung, Produktion sei zerstört worden, um Leute zur Migration zu bringen, ist ja nicht gerade eine Beschönigung von was auch immer für Zuständen.
    Außerdem bezieht sich das Hinterhof-Einrichten ja nicht nur auf die Reservearmee, sondern auch auf die Marktfunktion, die diese Staaten für das westeuropäische Kapital erfüllen. Wenn dort kein Schlot raucht und auch die Landwirtschaft entsrechend heruntergebracht ist, so müssen sie halt den ganzen Krempel woanders kaufen.

    dass das gesamte Produkt explizit nicht für den Nutzen/Gebrauch des/der Produzenten hergestellt wird

    Das besagt „gesellschaftlich“ wirklich nicht.
    Der Skandal war doch bei den Volksfreunden von drüben immer: „Gesellschaftlich wird produziert, privat wird angeeignet.“ Eine wirklich „olle Kamelle“, wie Walgesang vermutlich hier schreiben würde.
    Deswegen wurde im Realsoz eben auch „gesellschaftlich“ produziert – aber von Staatsseite angeeignet.

    das es nix gab, was als Kapital verwertet hätte werden können, bezweifle ich. Eher würde ich sagen, es gab keine Kapitalisten.

    Die Frage ist nur, ob diese Trennung in „mögliches Kapital“ und „wirkliche Unternehmer“ für etwas taugt.
    Es ist ja nicht so, daß alles herrenlos in der Gegend herumgestanden ist. Erstens gehörte die Betriebe dem Staat, zweitens wollte er sie loswerden, dann kamen auch findige Unternehmer aus Westeuropa, die sich bestimmte Fabriken unter den Nagel rissen – oft, um sie kurz nachher zuzusperren, um einen lästigen Konkurrenten aus dem Weg zu räumen.
    Am besten sieht man das an der Ex-DDR imd ihrer De-Industrialisierung.

  9. Außerdem bezieht sich das Hinterhof-Einrichten ja nicht nur auf die Reservearmee, sondern auch auf die Marktfunktion, die diese Staaten für das westeuropäische Kapital erfüllen.

    Was soll das denn bitteschön sein, der Staat als Markt oder wie ist das gemeint?

    Wenn dort kein Schlot raucht und auch die Landwirtschaft entsrechend heruntergebracht ist, so müssen sie halt den ganzen Krempel woanders kaufen.

    Gewiss doch, die Frage, warum dort kein Schlot (mehr) raucht, stellt sich ja dem Analytiker ohnehin nicht, weil der Staat das halt so einrichtet.

    Das besagt „gesellschaftlich“ wirklich nicht.

    Sondern? Wenn es, wie du oben schreibst, nur bedeutet, “das mehrere dran beteiligt sind”, dann ist streng genommen kein Unterschied zwischen bürgerlicher und den vorangegangenen Epochen. Mehr noch, dann ist nicht erklärbar, worauf sich die Trennung zwischen Tausch– und Gebrauchswert beziehen soll.

    Der Skandal war doch bei den Volksfreunden von drüben immer: „Gesellschaftlich wird produziert, privat wird angeeignet.“

    Kenn ich zwar (aus eigenem Erleben) bischen anders, aber selbst wenn es so gewesen wäre, was ist denn daran skandalös?

    Deswegen wurde im Realsoz eben auch „gesellschaftlich“ produziert – aber von Staatsseite angeeignet.

    Noch mal, selbst wenn es so gewesen wäre (was es nicht war), was wäre daran skandalös?

    Die Frage ist nur, ob diese Trennung in „mögliches Kapital“ und „wirkliche Unternehmer“ für etwas taugt.

    Kommt halt auf die Perspektive an, aus der man die Angelegenheit betrachtet.

    Erstens gehörte die Betriebe dem Staat, zweitens wollte er sie loswerden, dann kamen auch findige Unternehmer aus Westeuropa …

    Woher hast du das Märchen? 1) gehörten die Betriebe nach offizieller Version dem Volk und produzierten nach einem staatlich erstellten Plan, 2) wollte ‘der Staat’ nicht die Betriebe loswerden, sondern die sollten sich selber den (Welt)markt suchen und dafür brauchten die i.d.R. Geld für Investitionen zwecks Produktivitätssteigerung, um in der dortigen Konkurrenz ‘mithalten’ zu können (warum die Staatsbank(en) das Geld nicht hatten, steht auf einem anderen Blatt, hängt a) mit Rechnungsführung im Staatsplan und b) mit dem Geld-Status als Binnenwährung zusammen). Geld für Investitionen bekamen sie günstigstenfalls von Banken aus dem Westen und deren Ansage lautete stets 3) Privatisierung + 4) ‘Rendite’plan.
    Was zu massenhafter Schließung von Betrieben führte, ist umstritten. Ökonomisch war es m.E. mittelbar Wirkung des Profitratenfalls, das ‘findigen Unternehmer’ aus Westeuropa dazu brachte, Konkurrenz zu vernichten statt die Produktion durch Übernahme von Produktionsstätten inkl. ausgebildetem Personal zu erweitern. Vergleichbares spielte sich zur selben Zeit nämlich auch in Westeuropa ab, nur lautete das ‘Label’ hier Shareholder value und resultierte in tatsächlich vom Staat organisierten Skandalen, Agenda 2010, Hartz IV, Renten’reform’ nebst Privatisierung von zuvor vom Staat betriebener (weil nicht rentabler) öffentlicher Infrastruktur.

  10. @Samson
    Also irgendwie reden wir hier aneinander vorbei.

    Wenn es, wie du oben schreibst, nur bedeutet, „das mehrere dran beteiligt sind“, dann ist streng genommen kein Unterschied zwischen bürgerlicher und den vorangegangenen Epochen.

    Genau. „Gesellschaftlich“, also mit mehreren, produzierte der Feudalismus auch.
    Tausch- und Gebrauchswert bezieht sich ja auf den zwieschlächtigen Charakter der Ware und nicht auf die Form ihres Zustandelkommens.

    Der Skandal war doch bei den Volksfreunden von drüben immer: „Gesellschaftlich wird produziert, privat wird angeeignet.“
    Kenn ich zwar (aus eigenem Erleben) bischen anders, aber selbst wenn es so gewesen wäre, was ist denn daran skandalös?

    Das war, noch einmal, eine sozialistische Kritik an der kapitalistischen Produktionsweise. Mehrere machens, einer kriegts.
    Das Privateigentum wurde hier über die Form der Aneignung kritisiert, nicht über den in ihm prinzipiell vorhandenen Ausschluß.
    Der Gedanke ist vielleicht etwas kompliziert, deshalb versuche ich etwas ausführlicher.
    Das kapitalistische Unternehmen zeichnet sich, wie du ja auch weißt, durch die Ausrichtung auf Gewinn aus. Nicht für die Befriedigung eines Bedürfnisses wird produziert, sondern um das Zeug gewinnbringend zu verkaufen. Für den Markt also, auf dem das nicht zahlungsfähige Bedürfnis gar nicht existiert.
    Daran kann man ja alles mögliche kritisieren.
    Die Realsozialisten, oder Marxisten-Leninisten haben jedenfalls die Parole oder das Schlagwort verwendet: Gesellschaftlich wird produziert, privat wird angeeignet, also wird den Arbeitenden durch den Unternehmer die Frucht ihrer Arbeit weggenommen.
    Ich sage ja nicht, daß das ganz falsch ist. Ich will nur darauf hinweisen, daß diese Sichtweise eben schon auf die dann zustandegekommene Praxis der Verstaatlichung hinweist. Da herrscht dann sozialistische Gerechtigkeit und der Staat repräsentiert die „Gesellschaft“, also alles bestens.
    Es stimmt übrigens nicht, daß im Realen Sozialismus überall Volkseigentum geherrscht hätte. Nur in der jugoslawischen Verfassung von 1974 war das explizit so festgelegt. Woanders war es Staatseigentum, und deshalb konnte es ja auch dann problemlos verscherbelt werden.
    Klar, in Sonntagsreden wurde drüben auch immer das liebe Volk strapaziert, daß durch die Partei repräsentiert ist, aber wenn es um die Eigentumsfrage ging, so war die Staatsgewalt zuständig.
    Wo irgendwelche kleinen Potentaten in der Provinz sich zu Eigentümern aufgeschwungen haben, wie im Ungarn der frühen 90-er Jahre, und Äcker um einen Apfel und ein Ei an westliche – zahlungsfähige! – Käufer verscheppert haben, dort war das in einer rechtlichen Grauzone und wurde in den letzten Jahren rückgängig gemacht.
    Zum Markt, der dort drüben geschaffen wurde, ein anderes Mal.

  11. Protokoll zum Jour Fixe vom 27.01.2020:
    1. Iran-USA, 2. Populismus (GS 4-19)
    1. Überlegungen zur aktuellen Weltlage am Fall Irans
    (…) Welche Überlegungen zu den aktuellen Ereignissen im Iran stehen an und wie sind diese einzusortieren? (…)
    2. Der Populismus – Sechs Anmerkungen zu einer alternativen Form demokratischer Herrschaftsausübung (GS 4-19)
    A. Eine Praxis und ein Vorwurf mit einer langen demokratischen Tradition
    In der ersten Anmerkung heißt es: Populismus gibt es – und zwar nicht erst seit heute – als Vorwurf in der demokratischen Öffentlichkeit. Was beinhaltet und worauf zielt dieser Vorwurf, was kann man daraus lernen? (…)
    B. Eine gezielte Abweichung vom etablierten Politikbetrieb im Namen des geliebten Populus
    (…) Was Populisten treiben mit ihren Tabubrüchen und ihrer Kritik der political correctness der etablierten Parteien, das ist nicht das gleiche wie: Sie führen sich auf wie das Volk. Ihr Ausgangspunkt ist eine Kritik an den gängigen Parteien, die heißt, die verraten das Volk, vertreten es nicht in korrekter Weise. Da kommt das Bedürfnis her, sich von dem etablierten Politikbetrieb unterscheiden zu wollen, Wert darauf zu legen, dass man sich anders aufführt. Sich an die da gepflegten Sitten und Umgangsweisen nicht zu halten, programmatisch einen anderen Stil zu pflegen. Und der Inhalt dieses Stils, dass sie sich Sachen zu sagen trauen, die bei den herkömmlichen Parteien nicht politisch korrekt sind – das ist jetzt deren Behauptung –, das ist das, was das Volk will. Damit stellen wir unsere Identität mit dem Volk unter Beweis, wenn wir uns anders aufführen als die herkömmlichen Politiker. Das ist was anderes, als zu sagen, so führt sich das Volk auf.
    Der Populist will sich damit als der bessere Führer oder der eigentlich für die Macht übers Volk prädestinierte qualifizieren; indem er seine charakterliche Nähe zum Volk demonstriert, beansprucht er, der geeignete Vertreter des Volkes zu sein. (…)
    https://de.gegenstandpunkt.com/sites/default/files/jf-protokolle/jf200127-iran-populismus.pdf

  12. „US-Präsident Biden empfängt Iraks Premier im Weißen Haus

    Nach den iranischen Angriffen gegen Israel empfängt US-Präsident Joe Biden heute den irakischen Ministerpräsidenten Mohammed al-Sudani zu einem Gespräch im Weißen Haus. Es ist der erste offizielle Besuch in Washington für Al-Sudani, der 2022 an die Spitze seiner Regierung rückte und dabei breite Unterstützung proiranischer Gruppen erhielt.

    Bei dem Treffen in der US-Regierungszentrale am Montag dürfte die Rolle der in der Region stationierten US-Truppen ganz oben auf der Agenda stehen. Das Treffen war schon anberaumt, bevor sich die Lage im Nahen Osten derart zuspitzte. Al-Sudani fordert öffentlich den Abzug der rund 2.400 verbliebenen US-Soldaten aus seinem Land. Ein vollständiger Rückzug ist aber nicht im Sinne der US-Regierung, die mit den in der Region stationierten Truppen versucht, den Einfluss des Iran zu begrenzen und proiranische Gruppen abzuschrecken.
    Nach Darstellung der USA wurden die Drohnen und Raketen beim iranischen Angriff am Samstagabend auch aus Syrien, dem Irak sowie dem Jemen abgefeuert. Gleichzeitig sollen die in der Region stationierten US-Truppen maßgeblich dabei geholfen haben, den Angriff abzuwehren.“

    (Vorarlberg online, 15.4.)

    Die Lage in der Region spitzt sich ja schon seit Monaten zu – ohne Grund empfängt der US-Präsident den irakischen Häuptling nicht.

    Es geht offenbar um die Präsenz in Kurdistan, die die USA sicher nicht aufgeben werden. Aber es zeigt sich, daß langsam der Druck auf die stationierten US-Soldaten in den arabischen Nachbarstaaten wächst.

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