Lebensadern der Wirtschaft – Zankäpfel des Imperialismus

PIPELINES
1. Jedem Staat seine Pipeline
Das Ende des Kalten Krieges hat den Pipeline-Bau unglaublich belebt. Länder wie Aserbaidschan, Kasachstan und Turkmenien wurden nach ihrer Befreiung vom sowjetischen Joch als Energielieferanten entdeckt. Andere wieder, wie Georgien, die Ukraine oder die Türkei, versuchen ihre politische Bedeutung in der Welt als Gas-Transit-Länder wahrzunehmen, mit unterschiedlichem Erfolg. Irgendwie schien bezüglich Pipelines auf einmal die Devise zu herrschen: Entweder Sie haben eine, oder sie brauchen eine! Die Hersteller von Bohrtechnik und Rohren erschlossen sich so in den vergangenen zwei Jahrzehnten ein gewaltiges Geschäftsfeld. Für den tatsächlichen Bedarf herrscht teilweise schon ein Überangebot an Pipelines, da sich sowohl Produzenten wie auch Abnehmer gegen politische Einflußnahme absichern, umgekehrt aber ebendiese gegen andere ausüben wollen. So gibt es z.B. eine recht neue, aber kaum benutzte Pipeline vom Iran nach Armenien, in der deswegen so wenig Gas läuft, weil die Gazprom sich das armenische Gasnetz unter den Nagel gerissen hat und dort kein Fremdgas dulden will.
Der Tanker-Verkehr und -Bau ist ziemlich zurückgegangen, was nicht nur die Werften zu spüren bekommen, sondern auch diverse Meere und Meerengen. Während Ägypten im Suezkanal Einnahmen aus der Tanker-Durchfahrt weggebrochen sind, betrachtet die Türkei es eher als einen Fortschritt, daß sie inzwischen weniger von diesen Brandbomben durch den Bosporus schleusen müssen, wo immer wieder einmal einer eine größere Umweltkatastrophe verursacht hat.
Der Boom beim Pipeline-Bau hat sich vor allem beim Bau von Gas-Pipelines gezeigt, weil die Flüssiggas-Erzeugung kostspielig ist, aber Gas als angeblich „sauberer“ Energieträger ein Renner geworden ist, wegen der Emissionsbeschränkungen im Rahmen des Kyoto-Protokolls.
2. Energieversorgung und Energiekonkurrenz
Angesichts dieses bunten Interessen-Kuddelmuddels von Lieferländern, die sich eine Monopolstellung verschaffen wollen, Abnehmerländern, die ihren Energieimport möglichst diversifizieren wollen, und Transitländern, die Geld verdienen und sich wichtig machen wollen, hat die EU Regeln erlassen, die ihre Unabhängigkeit und die ihrer Mitgliedsstaaten gegenüber den Lieferanten sicherstellen sollen. Demnach sind Lieferant, Netzbetreiber und Netzeigentümer irgendwie zu trennen. Ganz ausjudiziert ist die Sache noch nicht, aber gerade gegenüber Rußland sollte die größtmögliche Distanz gewahrt bleiben, auch schon vor der jetzigen Eiszeit in den Beziehungen EU-Rußland.
Es wurde daher Gerhard Schröder von verschiedenen Interessengruppen sehr übel genommen, daß er mit dem erfolgreichen Betreiben des North Stream Projektes eine in seinen Augen gedeihliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Rußland befördert hat. North Stream störte Amerika, es störte Polen, und diverse Politiker innerhalb Deutschlands. Die deutsche Wirtschaft hingegen begrüßte den Bau dieser Pipeline, gerade angesichts des „Gaskriegs“ von 2009.
Die ganze Idee der Diversifizierung, die massiven Stützungen für die „erneuerbaren“ Energien und die zunehmende Feindschaft gegenüber Rußland haben die Energiesicherheit in der EU gerade nicht erhöht, im Gegenteil. Vor allem haben sie die Energie verteuert, was sich auf die Wettbewerbsfähigkeit der ganzen EU negativ auswirkt, weil es die Herstellungskosten der in der EU erzeugten Waren erhöht. Der Energiesektor ist nämlich ein heikler Punkt jedes Staates, der in der internationalen Konkurrenz bestehen und deshalb seinem nationalen Kapital Energie günstig zur Verfügung stellen will.
Die Privatisierung des Energiesektors und die Politik der „freien Netze“ in der EU hat zwar die Konkurrenz unter den Anbietern angeheizt, gleichzeitig aber die Energiesicherheit verringert. Es gab ja auch in der EU schon einige großflächige Stromausfälle, und die seit Jahren wachsende Gegenerschaft zu und Skepsis gegenüber Rußland hat zumindest zu einer Einsicht geführt: Daß die EU selbst nicht genug Energie erzeugen kann.
Dazu kommt noch die seit Jahren ziemlich manifeste Krise, aufgrund derer der Energieverbrauch beträchtlich gesunken ist, was wieder der Hauptgrund für das Sinken der Weltmarktpreise ist. Auch davon kann die EU eigentlich nicht profitieren, weil sie ja erstens von Rußland eigentlich gar nicht mehr so viel Öl und Gas kaufen will, zweitens aber die Gasrechnung der Ukraine zahlen muß, wenn sie einen Teil ihrer Mitgliedsstaaten versorgt sehen und die Ukraine am Kollabieren hindern will.
3. Alternative Pipeline-Projekte
Ein Versuch, sich vom russischen Gas abzukoppeln, war die über ein Jahrzehnt lang von einem Konsortium unter Führung der österreichischen ÖMV betriebene Nabucco-Pipeline. Sie wurde durch das North Stream-Projekt beflügelt und sollte Gas aus Aserbaidschan, Turkmenien und möglicherweise auch dem Iran nach Südost- und Mitteleuropa befördern. Ein Haufen Länder, die bisher ihr Erdgas aus Rußland durch die Ukraine beziehen, wollten sich dadurch sowohl von dem Lieferanten als auch von dem als unsicher wahrgenommenen Transitland abkoppeln. Nabucco war also unter anderem eine Kampfansage an Gazprom, den russischen Erdgasmonopolisten. Daran scheiterte Nabucco schließlich, als Gazprom 2009 einen Liefervertrag mit Aserbaidschan schloß, der das Nabucco-Projekt ohne Gaslieferanten stehen ließ.
Nabucco wurde 2013 abgeblasen, und Rußland verstärkte seine Bemühungen, das South Stream Projekt durchzubringen. Mit dieser Pipeline hätte die Gazprom ebenfalls Italien, die Slowakei, Österreich und den Balkan mit Erdgas beliefert. Es hätte jedoch sowohl die Ukraine als auch die Türkei als Transitland vermieden, da das Rohr, so wie bei North Stream in der Ostsee, auf dem Boden des Schwarzen Meeres verlegt worden wäre.
Mit South Stream hätte sich Gazprom seine Abnehmer gesichert und diverse Balkanländer ihre Gasversorgung. Das störte einige andere Staaten, wie die USA, aber auch die BRD, die die Umgehung der Ukraine gar nicht schätzten. Auch diese Abhängigkeit von bzw. enge Geschäftsbeziehung mit Rußland, die diverse Staaten, Österreich oder Ungarn inbegriffen, gar nicht zu stören schien, war anderen Staaten offensichtlich ein Dorn im Auge.
4. Schluß mit lustig
Und so wurde das für diese Pipeline wichtige Transitland Bulgarien unter Druck gesetzt. Es gehe nicht an, daß Gazprom mit an der Pipeline beteiligt sei – schon bei der Ausschreibung hätte die bulgarische Regierung gegen EU-Recht verstoßen, so tönte es im Juni aus Brüssel. Amerika schickte gleich irgendwelche Diplomaten oder sonstige schwere Burschen dorthin, die vermutlich noch etwas gröbere Klötze eingesetzt haben, um die bulgarische Regierung zur Einsicht zu bringen. Bulgariens Regierung gab klein bei und verfügte über einen Baustopp.
Damit war das Projekt praktisch gestorben. Wenn das 1. Transitland sich verweigert, so erhalten die anderen kein Gas mehr. Der Umstand, daß Rußland vor einigen Tagen selber den Schlußstrich unter die Angelegenheit gezogen hat, war nur ein logischer Schritt aus der sich ergebenden Situation. Rußland hat abgewartet, ob Bulgarien sich vielleicht doch noch einmal umstimmen läßt, und diesbezüglich sicher auch einiges versucht. Es nützt aber nichts, daß andere Länder wie Serbien, Ungarn oder Österreich weiter gern an dem Projekt festgehalten hätten – das Ausscheiden Bulgariens hat gezeigt, was die Souveränität in der EU wert ist: der Druck auf einen Staat und dessen Nachgeben vereitelt das gemeinsame Projekt von mindestens 3 anderen EU-Staaten. Die gewichtigen Souveräne benutzen die nachrangigen, um ihre Interessen gegenüber dem Rest der Staatenwelt durchzusetzen.
Die Folgen sind noch nicht abzusehen. Österreich, Ungarn, die Slowakei, Serbien und andere Balkanstaaten sind weiterhin vom ukrainischen Transit abhängig.
Bulgarien erhält möglicherweise Gas aus der Türkei, als Kompensation und Belohnung für seine Folgsamkeit. Es hat jedoch auf eine wichtige Trumpfkarte seiner zukünftigen Entwicklung verzichtet: Es wollte selbst Gas-Transit-Land werden und hoffte auf Investitionen in Energiewirtschaft und Infrastruktur. Als erstes Ergebnis der Absage des Projektes gab es gleich einen Banken-Crash, der geschwind und leicht panisch von der EU mittels Geldspritzen repariert wurde, bevor ein Domino-Effekt in der ganzen Region eingetreten wäre.
Hohe Energiekosten bei sinkenden Weltmarktpreisen, Konkurrenz innerhalb der EU um antirussische Maßnahmen, koste es, was es wolle – die Selbstzerfleischung und Demontage der EU schreitet voran.
Siehe dazu auch: EU-Energiepolitik in der Krise I & II

Das Gfrett mit den Hampelmännern

SCHWIERIGKEITEN BEI DER EINRICHTUNG EINES GEWALTMONOPOLS IN DER UKRAINE
Pläne für ein Schachspiel, das in ein Theaterstück ausartet
Die maßgeblichen Politiker der EU haben sich die Sache recht einfach vorgestellt: Man bringt einen widerspenstigen Politiker entweder zur Räson, oder man setzt ihn ab und installiert eigene Hampelmänner, die alles unterschreiben, was man ihnen vorlegt, und es dann auch umsetzen. Die Ukraine wurde also betrachtet und behandelt wie eine Bananenrepublik, bei der man nach Belieben die Herrschaft auswechseln und sich darüber einen uneingeschränkten Zugriff auf das Land verschaffen kann.
Nur daß die Ukraine etwas groß ist für ein solches Verfahren, und nicht nur im angepeilten Hinterhof der EU liegt, sondern auch im Vorhof Rußlands.
Zunächst lief alles nach Plan: jugendliche Massen zogen auf die Straße, besetzten einen zentralen Platz der Hauptstadt, machten Zoff, bis schließlich der Präsident verschwand. Man erinnere sich an Georgien, Tunesien, Ägypten, – alles schon einmal dagewesen. Auch die 100 Toten auf dem Maidan, von denen man bis heute nicht weiß, wer sie erschossen hat, paßten ins Bild. Je mehr Opfer, um so besser die Sache, für die gekämpft wird. Freedom and Democracy sind endlich ordentlich zu implementieren, sapperlot!
Aber schon damals lief etwas aus dem Ruder. Es stellte sich heraus, daß die EU und die USA nicht an einem Strang zogen. Jeder hatte andere Hampelmänner in der Schachtel, die er bei Bedarf herausziehen und installieren wollte. Und so läuft das ganze Theater, das der Öffentlichkeit von den Medien seither präsentiert wird, sehr unharmonisch ab.
Die ersten Wahlen liefen noch nach Plan. Das in der Schublade bereitliegende Ergebnis wurde herausgezogen, der Öffentlichkeit präsentiert, alle klatschten Beifall, und der vorgesehene Ober-Hampelmann nahm seinen Platz ein.
Die anderen Hampelmänner gaben natürlich keine Ruhe, und hinter den Kulissen wurde alles mögliche verschoben, ein Goldschatz hin, Waffen her, Parlamentssitze hin, Parteigründungen und -verbote her, und es formierten sich auch bewaffnete Störer, die Fäden zu kappen drohten.
Bei den nächsten Wahlen ging es dann schon ganz ordentlich durcheinander. Verschiedene eilends aufgestellte Kulissen fielen um. Eine niedrige Wahlbeteiligung, lauter mehr oder weniger einbeinige Hampelmänner, die dennoch versuchen, den anderen ein Haxl zu stellen, und hinter den Kulissen nervöse Strippenzieher, die die berechtigte Befürchtung hegen, daß bei der Show bald einmal das Licht ausgehen könnte. Und ein sehr sehr unberechenbares Publikum, was die immerhin 43 Millionen Einwohner der Ukraine betrifft.
An zwei Vereinbarungen zeigt sich, daß es keine gute Idee war, mit der Ukraine eine solche Vorstellung zu inszenieren, und zu glauben, Rußland würde – unter etwas wirtschaftlichem Druck und heftigem Säbelgerassel – dabei zuschauen. Die eine dieser Vereinbarungen ist das sogenannte
Abkommen von Minsk,
das am 5. September in Minsk unterzeichnet wurde.
Dieses Abkommen umgibt von Anfang an ein Mysterium. Unseren Medien ist nicht zu entnehmen, worum es dabei gegangen ist und wer es unterzeichnet hat. Man hört und liest nur ständig „laut dem Abkommen von Minsk“, „entgegen dem Abkommen von Minsk“, „Verstöße gegen“, usw.
Zunächst einmal ein paar Infos:
Am 5. September wurde in Minsk ein aus 12 Punkten bestehendes Protokoll unterzeichnet, dessen englische Übersetzung sich hier findet.
Unterzeichnet wurde es von: Heidi Tavigliani als Vertreterin der OSZE, die die Implementierung dieser 12 Punkte überwachen soll.
Leonid Kutschma, dem ehemaligen Präsidenten der Ukraine, unter dem sich das ukrainische Oligarchen-System so richtig ausgebildet hat und der offenbar deshalb als der geeignete Vertreter der Kiewer Politikermannschaft von ihnen ernannt wurde. Kutschma, der als Präsident nicht den besten Ruf hatte, genoß es sichtlich, hier als elder statesman die Friedenstaube spielen zu können. Wie sich aber im Nachhinein herausstellte, hat sein Wort kein Gewicht.
der russische Botschafter in der Ukraine, Michail Subarow
die Vertreter der Volksrepubliken Donetsk und Lugansk, Alexandr Sachartschenko und Igor Plotnitzki.
Der Pferdefuß bestand in der Person der Unterzeichner. Die Regierung in Kiew unternahm alles, um eine Einbeziehung der Vertreter der Aufständischen zu vermeiden, da das einer formellen Anerkennung von deren Status gleichgekommen wäre. Rußland bestand jedoch auf der Einbeziehung der Akteure vor Ort, ohne die jedes Abkommen von vornherein sinnlos gewesen wäre.
Der von der Kiewer Regierung entsandte Unterhändler, Kutschma, unterschrieb zwar, wie sich aber inzwischen herausgestellt hat, hat seine Unterschrift keinerlei Rechtskraft, da sich die Kiewer Führung nicht daran gebunden fühlt, noch weniger die Kommandanten diverser Freiwilligenverbände, die die Einhaltung dieser Abmachungen als Hochverrat auffassen, sofern sie die ukrainische Seite betreffen. Sie haben der Regierung schon unverhohlen gedroht, sie wegzuräumen, sollte sie die angestrebte Autonomie dieser beiden Volksrepubliken in die Wege leiten und auf eine militärische Lösung verzichten. Daher fühlen sich die Vertreter der Aufständischen und die russische Seite auch nicht an dieses Abkommen gebunden, pochen aber formell auf die Vereinbarung, in der sie ja als Zuständige anerkannt worden seien. Die einzigen, die sich bemühen, die 12 Punkte des Minsker Protokolls irgendwie zu erfüllen, sind die Mitarbeiter der OSZE, die ja durch ihre Unterschrift dem Abkommen sozusagen Gewicht und Gültigkeit verliehen haben. Sie kämpfen auf verlorenem Posten, und geraten zusehends zwischen die Fronten. Würde die OSZE jedoch ihre Mission einstellen, so hätte sie damit eingestanden, daß sie keinerlei Einfluß auf die Regierung in Kiew hat.
Auf das 12-Punkte-Protokoll folgte zwei Wochen später noch ein Memorandum, also eine bloße Absichtserklärung, an die sich natürlich erst recht niemand hält, auf das sich jedoch vor allem die russische Seite immer beruft.
Die Vereinbarung von Minsk hatte lediglich den Effekt, den Vormarsch der Aufständischen zu stoppen und eine offene Niederlage der ukrainischen Truppen zu verhindern. Ansonsten ist sie zu einem leeren Rechtstitel geworden, mit dem stets die eine Seite der anderen Vertragsbruch vorwerfen kann.
Die zweite Vereinbarung ist der sogenannte
„Gasdeal“,
der mit einigem Tamtam vor einigen Tagen als „Lösung“ im „Gasstreit“ gefeiert wurde.
Um zu begreifen, wie es zu einer „Lösung“ kommen konnte (oder auch nicht), ist es einmal angebracht, sich anzusehen, woraus der Streit besteht.
Ein Teil der ukrainischen Elite bestreitet seit der Erlangung der Unabhängigkeit ihren Unterhalt aus dem Gastransit. Von Rußland nach Westeuropa geliefertes Gas wird abgezapft und zu höheren Preisen an diverse Abnehmerländer verkauft. Oder aber vertragsgemäß in die Ukraine geliefertes Gas wird nicht bezahlt, und die Begleichung der Schuld auf den St. Nimmerleinstag verschoben. Oder ein Teil beglichen, um dann wieder die nächste Lieferung nicht zu zahlen.
Ein Teil der Bereicherung der Unternehmer dieses Landes geschieht also über Zugriff auf einen Reichtum, der gar nicht im Land generiert wird. Bloß die geographische Lage und die Verfügungsgewalt, die sich diverse „Gasprinzen“ und „-prinzessinnen“ über die Pipelines, die ukrainische Gas-Gesellschaft und den Gashandel gesichert haben, garantierten ihnen Einkünfte, die keineswegs zu verachten waren. Und die Schulden bei Rußland wuchsen. So lange, bis Rußland 2009 den Gashahn zudrehte und damit nicht nur die Ukraine, sondern auch die Endkunden in Mitteleuropa und auf dem Balkan ohne Gas dastanden.
Nachdem jetzt alle Verträge, die seit 2009 bestanden, aufgekündigt wurden und durch die Einverleibung der Krim auch die Pachtgebühren für den Hafen von Sevastopol wegfallen, die nie gezahlt, sondern stets für Gaslieferungen gegengerechnet wurden, ist jetzt nur ein Haufen Schulden da, und der Winter steht vor der Tür.
Das Problem der Gaslieferungen ist also nicht bloß der Bedarf der ukrainischen Endverbraucher, und es ist auch irreführend, auf den hohen Verbrauch derselben aufgrund veralteter – nicht regulierbarer – Heizungen hinzuweisen. Das Hauptproblem ist, daß einige Oligarchen daraus ihre Einkünfte bezogen haben und das weiterhin so handhaben wollen. Und dieses Begehr ist umso stärker, als verschiedene andere Wirtschaftszweige, wie die Rüstungsproduktion für Rußland und die Kohleförderung im Donbass auszufallen drohen und das ausländische Kapital recht flächendeckend abgezogen ist.
Die EU wiederum hat das Problem, daß sie erstens das russische Gas dringend braucht. Es ist die günstigste und sauberste Energieform und ein guter Teil der europäischen Energieversorgung ist auf russisches Gas angewiesen. Zweitens kann sie schlecht die Ukraine ohne Gasversorgung sitzen lassen, weil dann wäre die ohnehin dünne Zustimmung zu „Europa“ endgültig beim Teufel. Es läuft also darauf hinaus, daß sie die Gasrechnung der Ukraine zahlen muß. Aber damit allein ist es nicht getan, die Frage ist das Wie. Überweist sie nämlich das Geld an ihre Hampelmänner in Kiew, so verschwindet es in Oligarchentaschen, wird für andere Ausgaben – z.B. Waffenkäufe – verwendet und kommt nie in Rußland an. Überweist sie es aber direkt an Rußland, so spricht sie damit ihren eigenen Hampelmännern das Mißtrauen aus und das könnte deren Steuerbarkeit höchst nachteilig beeinflussen.
Der Streit ist also keineswegs „gelöst“, trotz des feierlichen Festaktes.
Die USA lachen sich angesichts dieser Zustände ins Fäustchen. Sie haben Rußland einen Dauerkonflikt vor der Haustür beschert und seine Wirtschaft gründlich geschädigt, durch Sanktionen, Flüchtlingsströme und Gefährdung der Rüstungsproduktion. Der EU wurde erst recht ein Ei gelegt, statt des angestrebten Hinterhofes ist ihnen ein Faß ohne Boden erwachsen, daß die EU sehr teuer zu stehen kommen und auch noch andere Probleme bescheren wird. Außerdem wurde klargestellt, daß die EU ein politischer Zwerg ist, der ohne NATO-Rückenwind überhaupt nicht beachtet würde, und alle diese Fronten werden die USA weiter betreuen und bestärken.

Vom Grundeigentum

„ENTEIGNUNG“ ÖSTERREICHISCHER LANDWIRTE IN UNGARN?!
1. „Unsere“ biederen Landwirte werden enteignet!
„Rund 200 Österreicher haben seit der demokratischen Wende in Ungarn Grundstücke gekauft, um diese landwirtschaftlich zu nutzen. Nun müssen sie um ihren Besitz fürchten. … Das sind hervorragende Böden. Schwarze Erde, mit schönen Erträgen. Und es sind abgerundete, große, tafelförmige Grundstücke – der Traum eines jeden Bauern. “ (Standard, 15.10. 2014)
Diese Böden, so verschweigt der Artikel im weiteren nicht, wurden damals sehr günstig eingekauft, z.B. um den Preis eines Kleinwagens. Das alles zu einer Zeit, als der Erwerb von landwirtschaftlichem Grund für Ausländer verboten war, und auch keineswegs klar war, wem das Land gehörte, wer also das Recht besaß, den Grund zu verkaufen.
Die österreichischen Medien überbieten sich seit Jahren in der Produktion von Falschmeldungen und Halbwahrheiten:
„Auch bereits abgeschlossene Kaufverträge könnten davon betroffen sein. Die Eigentümer, zum Großteil Österreicher, könnten trotz rechtmäßigen Erwerbs aus dem Grundbuch gestrichen werden.“ (Krone, 8.3. 2013)
Dabei ist das Problem das, daß im Grundbuch ein Strohmann steht, und der Österreicher nur als Pächter aufscheint. Vorher hatte er einen Kaufvertrag in der Tasche, und dieses illegale Verhältnis wurde im Laufe des letzten Jahrzehnts in sogenannte „Nießbrauch“-Verträge umgewandelt, eine Rechtskonstruktion ähnlich der Leibrente bei uns.
Diese Art von Verträgen, mit denen mit Hilfe windiger Winkeladvokaten die illegal erworbenen Grundstücke legalisiert worden sind, kranken daran, daß erstens die Pachtsumme fiktiv ist oder gar keine gezahlt wurde und wird, und zweitens dafür ein Wohnsitz des „Nutznießers“ am Ort des Vertragsgegenstandes bestehen muß, der ebenfalls fiktiv ist. Ihnen ist in den meisten Fällen deutlich anzusehen, daß sie ein Versuch sind, eine illegale Eigentumsübertragung gesetzlich zu „sanieren.“
Die österreichischen Politiker und alle möglichen Interessensverbände, unterstützt von den Medien, schreien Zetermordio und betrachten das Vorgehen der ungarischen Regierung quasi als Auftakt zu Enteignungen aller Art. Stolz vermelden sie einen Etappensieg:
„Die EU-Kommission hat am heutigen Donnerstag ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn eingeleitet, weil die neuen Regelungen in Rechte ausländischer Investoren eingreifen.“ (Tiroler Tageszeitung, 16.10.)
Die österreichischen Landwirte bauen hauptsächlich – soweit das beim Durchfahren erkennbar ist, Statistiken gibt es dazu keine – Kukuruz und Futtergetreide an. Dergleichen Feldfrüchte sind vor Flurdiebstahl sicher. Außerdem haben Futtermittel seit der BSE-Hysterie und dem anschließenden Verbot von Tiermehlfütterung an Hornvieh einen stabilen Markt in der EU. Ausführen läßt sich das ganze seit dem EU-Beitritt Ungarns auch problemlos – vorher fanden sich eben Schleichwege und Hintertürln, mit etwas Bakschisch geölt.
Die illegalen Besitzer dieser Grundstücke machten also einen guten Schnitt, der ungarische Konsument und der ungarische Staat hatten nichts davon. Versteuert wurde das Zeug nämlich auch nicht.
2. Die Vorgeschichte: die Enteignung der Bevölkerung in Ungarn und anderen ehemals sozialistischen Staaten
Dabei lassen diese Verteidiger des heiligen Eigentums alle Details der Wiedereinrichtung des Grundeigentums im ehemals unfreien Osten weg. Immerhin gehörte dort, zumindest in Ungarn, alles agrarische Land dem Staat, der dort Kooperativen errichtete, deren Erträge Ungarn zum führenden Agrarexporteur des COMECON machten. Die Wiedereinführung des Privateigentums bedeutete also, daß einige Private sich den Grund unter den Nagel reißen konnten, der Rest ging leer aus. Das war übrigens in den meisten sozialistischen Staaten so, mit Ausnahme Polens und Jugoslawiens, wo nicht kollektiviert worden war.
Das Verfahren der ungarische Regierung unter József Antall wählte nicht die Verteilung des agrarischen Bodens unter die Mitglieder der Kooperativen, also die bisherigen landwirtschaftlichen Produzenten. Noch weniger wurde eine Umwandlung der Kooperativen in Genossenschaften marktwirtschaftlichen Zuschnitts erwogen. Das wäre zwar ökonomisch das Vernünftigste gewesen, entsprach aber nicht den politökonomischen Zielsetzungen der damaligen Regierung und auch nicht den Vorgaben der EU, die bei den neuen Anschlußkandidaten auf keinen Fall Konkurrenz auf dem Agrarmarkt dulden wollte. Also wurde eine Restitution mit Hilfe von Wertpapieren, den sogenannten Entschädigungsscheinen, beschlossen. Damit sollte der Schein erzeugt werden, hier würde ein ursprünglich bestandener, rechtmäßiger, quasi natürlicher Zustand wiederhergestellt werden. Noch dazu bezog sich die Restitution nicht auf den jahrhundertelang üblichen Großgrundbesitz, sondern auf die Ergebnisse einer Agrarreform Ende der 40-er Jahre, die Kleinparzellen schuf, die wenige Jahre später aufgelöst und in die Kooperativen überführt worden waren.
Die Entschädigungsscheine brachten etwas Leben in die Budapester Börse, wurden von Juristen aufgekauft und schließlich bei Auktionen in den jeweiligen Regionen versteigert, und auf Grundlage dieser Entschädigungsscheine fanden die Grundkäufe – übrigens nicht nur der Österreicher – statt. Es wurde auf diese Art eine völlige Zersplitterung des Grundbesitzes verursacht, die Leute vor Ort gingen leer aus, die neuen Grundbesitzer ließen ihn von anderen – oft ohne gültige Pachtverträge – bewirtschaften. Dazu kommt, daß es für Pacht auch keine sichere Rechtsgrundlage gab, da diese nicht vorgesehen war.
Das Ergebnis all dessen ist, daß viel Land brach liegt, daß Ungarn über keinen Bauernstand verfügt, daß die tatsächlichen Produzenten sich von den im Grundbuch eingetragenen Besitzern unterscheiden, daß oft nicht das angebaut wird, was irgendwo eingetragen ist, daß es keine Kontrollmöglichkeiten gibt (das wäre zu teuer), daß landwirtschaftliche Gewinne nicht versteuert werden, und Ungarn Grundnahrungsmittel importieren muß.
3. Das Orbán’sche Runderneuerungsprogramm
Es ist begreiflich, daß die derzeitige Regierung diesen Stand der Dinge als unbefriedigend empfindet. Es ist eher bemerkenswert, wie wenig sich die MSZP-Regierungen um diese Frage geschert haben. Sie wollten eben lieber zukunftsträchtige Industrien, und es sich mit der EU nicht verscherzen, die öfters unmißverständlich angedeutet hatte, daß sie keine landwirtschaftlichen „Überkapazitäten“ im postsozialistischen Raum wünschte.
Bereits die erste Orbán-Regierung (1998-2002) versuchte, den trostlosen Zustand der Landwirtschaft zu verbessern, durch Gesetzesänderungen und Förderprogramme, z.B. des Weinbaus. Die Eigentumsfrage wurde damals nicht in Angriff genommen, da sich Ungarn vom bevorstehenden Beitritt zur EU eine Verbesserung der Situation erwartete. Diese Erwartungen, das mußten die 2010 wieder an die Macht gekommenen Fidesz-Politiker feststellen, hatten sich nicht erfüllt. Also geht die jetzige Regierung daran, die Eigentumsverhältnisse zu klären.
Die Klage vor dem EU-Gerichtshof wird interessant. Da wird sich nämlich herausstellen, auf welcher Grundlage die EU eigentlich das Zustandekommen des Grundeigentums in Ungarn für rechtmäßig, also das Raubrittertum der 90-er Jahre für gesetzeskonform erklärt. Außerdem wird sich auch herausstellen, ob die Jurisdiktion eines Landes – Österreich – über der eines anderen – Ungarn – steht.
Wer Orbán jetzt als eine Art Robin Hood betrachtet, der den ausländischen Raubrittern das Land abjagt und unter die Armen verteilt, – als der er sich fallweise auch gerne präsentiert – sei gewarnt: Die Fidesz-Regierung hat längst begriffen, daß es in Ungarn überall, so auch im Agrarsektor, am nötigen Kapital mangelt, ohne die eine produktive Landwirtschaft heute nicht zu betreiben geht. Die Einrichtung eines ungarischen Bauernstandes ist also weiterhin nicht vorgesehen, wie der 2012 aus Protest zurückgetretene Staatssekretär für Agrarentwicklung, József Ángyán, feststellen mußte.
Der derzeitige Plan ist, den Grundbesitz wieder möglichst unter staatliche Kontrolle zu bekommen und dann mit ausländischen Konzernen genau geregelte Pachtverträge und eine entsprechende Abgabenpflicht einzuführen.
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