„DIE FINANZMÄRKTE WERDEN DURCH DIE GLOBALEN EREIGNISSE ERSCHÜTTERT
Die Gold- und Ölpreise steigen, während die amerikanischen Aktien fallen.
Die globalen Finanzmärkte wurden diese Woche hart getroffen.
Der Ölpreis stieg auf 91 Dollar pro Barrel (Maximum seit 6 Monaten), Gold auf 2.300 Dollar pro Unze (historisches Maximum), die Börsennotierungen auf der ganzen Welt fielen stark, die Renditen amerikanischer Staatsanleihen stiegen und der sogenannte »Angstindex« stieg, der die Volatilität von Aktien und anderen Vermögenswerten auf dem Markt anzeigt.
All das kommt sehr selten gleichzeitig vor. Während jeder dieser Anstiege und Abstürze seine eigenen Gründe hat, ist ihnen gemeinsam, daß sie vor dem Hintergrund erneuter geopolitischer Spannungen stattfinden. Damit ignorierten die Märkte zum ersten Mal seit langem die schwierige internationale Lage nicht mehr. …
Öl: Kampfeinsätze in der Förderregion
Die Ölpreise stiegen zwei Wochen in Folge. Am Freitag, dem 5. April, stieg der Nordsee-Rohölpreis der Sorte Brent auf 91 USD pro Barrel.
Seit dem 27. März stiegen die Preise um 5 US-Dollar. Beachten Sie, daß die Preise nicht einmal durch die Weigerung der amerikanischen Regierung, ihre strategischen Reserven wieder aufzufüllen, beeinflußt wurden. Aus denen wurden in den vergangenen Jahren etwa 40% ihres Volumens entnommen, wodurch sie auf den niedrigsten Stand seit 1983 sanken. Das geschah in der Erwartung, daß der Leitzins in Amerika noch längere Zeit auf dem bisherigen Niveau bleiben würde, was sich normalerweise negativ auf die Rohstoffe auswirken würde. Aber Öl überwindet selbst solche hemmenden Wirkungen.“
Es wird also angenommen, daß bei hohen Leitzinsen die Rohstoffpreise sinken, weil die Spekulation sich auf die sicheren Einkünfte der Anleihen schmeißt.
Vergessen wird dabei, daß die Nachfrage nach Energie nicht nur aus spekulativen Gründen erfolgt.
„Einer der Faktoren, die sich positiv auf die Preise auswirken, ist eine stabile Nachfrage. In den USA beispielsweise sinken die industriellen Reserven sowohl an Rohöl als auch an Erdölprodukten stetig.“
Die „stabile“ Nachfrage schuldet sich also einer geringen Speichermenge, sodaß die Käufe zunächst aus Absicherungsgründen geschehen, und nicht aus Produktionsbedürfnissen.
„Aber die Konjunktur, vor allem die politische, spielt eine viel größere Rolle. Der Einsatz gegen die Ansarollah (Huthis) hatte zur Überraschung vieler Analysten praktisch keine Auswirkungen auf den Ölmarkt, obwohl sich der Handel im Roten Meer spürbar verschlechterte.“
Dieser letzte Satz gibt viele Rätsel auf.
Was hatte keine Auswirkungen auf den Ölmarkt? Die Kampfhandlungen der Ansarollah, die Bedrohung der Schiffahrt im Roten Meer – oder der Einsatz gegen sie?
Wenn ersteres, so würde das heißen, daß die Verteuerung der Lieferwege für die meisten Waren keine Auswirkungen auf die Ölpreise hatte – was verwunderlich wäre. Weil immerhin ging 1. viel Öl durch den Suezkanal, und 2. wird für die Umfahrung Afrikas mehr Öl verbraucht.
Also bleibt eher 2. – und das heißt nicht mehr und nicht weniger, als daß die westlichen Mächte es nicht schaffen, einen der wichtigsten Seefahrtswege der Welt zu sichern, ist also ein Ausweis ihrer schwindenden Macht.
„Aber die sich verschlechternden Beziehungen zwischen Iran und Israel, die nach dem Angriff der israelischen Armee auf die iranische Botschaft in Damaskus eintraten, beeindruckten die Märkte viel mehr. Händler rechnen mit einer Ausweitung der Kämpfe in der wichtigsten Ölregion der Erde. Damit zusammenhängende Entwicklungen wie das Ende der diplomatischen Koordinierung zwischen den VAE und Israel gossen ebenfalls Öl ins Feuer.“
Die VAE kündigten ein Ende der Kooperation mit Israel nach dem Tod von den Mitgliedern der Hilfsorganisation an, was nicht wirklich den Weg in die hiesigen Medien geschafft hat.
Das könnte Folgen für die Ölversorgung Israels haben.
„Auch die Reaktion der Ölhändler auf ukrainische Drohnenangriffe auf russische Raffinerien wurde als einer der Gründe für einen möglichen Preisanstieg genannt, diese Schäden werden sich jedoch in keiner Weise auf die russischen Exporte auswirken.“
Damit ist gemeint, daß für Rußlands Budget der Export von Rohöl genauso einträglich ist wie der von raffinierten Produkten, da die Steuern auf die Rohölförderung erhoben werden. Die Gewinne aus der Raffinierung streifen die Ölunternehmen ein.
Wenn die jetzt weniger raffinieren können, werden sie gezwungenermaßen mehr Rohöl exportieren müssen, weil die Pumpe läuft ja weiter.
Das hat vielleicht Preisanstiege bei Diesel und Benzin zur Folge, bei Rohöl aber eher umgekehrt.
„Wichtiger ist, daß Rußland selbst im Einklang mit der OPEC+-Politik die Produktionsmengen reduziert – hier handelt es sich um einen »geplanten« Prozeß.“
Damit will der Autor sagen: Da fährt die Eisenbahn drüber, das ist politisch beschlossene Sache, unabhängig von Konjunkturen.
„Gold: die Investition der letzten Hoffnung
Das Edelmetall verzeichnet seit Jahresbeginn ein sehr solides Wachstum. Aber diese Woche beschleunigte sich der Preis noch einmal und erreichte während der Sitzung am 5. April 2.329 $ pro Feinunze. Das sind 5 % mehr als vor einer Woche.
Seit Ende letzten Jahres ist der Goldpreis um fast 15 % gestiegen. Dieser Anstieg war zum Teil auf die gestiegene Nachfrage der Zentralbanken zurückzuführen, die allein in den ersten beiden Monaten 64 Tonnen vom Markt kauften.“
Man würde gerne wissen, um welche Zentralbanken es hierbei gehandelt hat …
„Gleichzeitig läßt sich der rasante Preisanstieg der letzten Woche nur schwer mit etwas anderem als der Besorgnis der Anleger über die Lage in der Welt erklären.
Gold war schon immer ein Versicherungswert, und sein aktueller Kauf könnte ein weiteres Beispiel für die Verwendung des Edelmetalls als »Investition der letzten Hoffnung« sein.“
Vermutlich soll damit ausgedrückt werden, daß sich der „Investor“ hier nicht mehr Gewinne, sondern nur mehr das Geringhalten von Verlusten erwartet, weil er den restlichen Anlagemöglichkeiten überhaupt nicht mehr traut.
„Es ist auch erwähnenswert, daß der Anstieg des Goldpreises angesichts der Inflation und des Kaufkraftrückgangs des Dollars in den letzten drei Jahren gar nicht verwunderlich ist und eher wie eine Schadens-Minimierung aussieht.
Die Börse ist vorübergehend zu verlassen
Die Anleger begannen, vor allem über den Aktienmarkt, von Anlagen in Wertpapiere aller Art auf Gold umzusteigen. So fiel der amerikanische S&P 500 am 4. April um mehr als 1,2% – der stärkste Rückgang seit zwei Monaten.
Alle Faktoren kamen zusammen: Erstens warnte Neel Kashkari, Vorsitzender der Federal Bank of Minneapolis (eine der Banken, aus denen die Fed besteht), daß der Leitzins die nächsten 6 Monate nicht gesenkt werden würde.“
D.h., jemand aus dem Inneren der Fed widerspricht den ganzen Kaffeesudlesern aus der Wirtschaftswelt, die ein baldiges Sinken der Leitzinsen prophezeien.
„Darüber hinaus entschieden die Anleger, daß der Markt bereits »überkauft« sei (die Rallye der letzten Monate war ziemlich schwerwiegend).“
Bei all dem handelt es sich offenbar vor allem um die New Yorker Börse.
Mit einem Wort, die ganzen Spekulanten meinen, bald geht es bergab, weil die Preise von Wertpapieren überhöht seien.
Sie bewerten also ihre eigene Tätigkeit der letzten Monate als eine Art Schwindel …
„Aktienverkäufe wurden auch durch die allgemeine Nervosität in der Welt beeinflußt. Ähnliche Verkäufe fanden in anderen Märkten auf der ganzen Welt statt.
Das Ungewöhnliche an dieser Situation war, daß auch die Renditen von US-Anleihen stiegen. Typischerweise sinken die Renditen, wenn die Aktienindizes fallen, und umgekehrt.“
Die Renditen steigen, wenn der Wert der Anleihen auf den Anleihenmärkten sinkt. Da sie fix verzinslich sind, wird somit eine 3%-ige Anleihe zu 100 $ auf einmal nur zu 80$ gehandelt. Wenn jemand diese Anleihe um 80$ kauft, aber 4% von 100$, also 4$ pro Jahr erhält, so verzinst sich für ihn dieses Wertpapier für ihn um 5%.
D.h., das Steigen der Renditen ist ein Zeichen des Mißtrauens in den Anleihenmarkt.
Der behauptete Zusammenhang zwischen sinkenden Aktienkursen und steigenden Rendite erschließt sich nicht ganz. Die Idee scheint zu sein, daß Anleger aus Aktien hinaus und in Anleihen hineingehen, was die Anleihenkurse steigen und in Folge dessen die Renditen sinken läßt.
Wenn das nicht geschieht, so heißt das eben, daß die Aktienflüchtigen in andere Vermögenswerte investieren, nicht in Anleihen.
„Nun weigern sich Anleger, in amerikanische Staatsanleihen zu investieren, was die Nachfrage entsprechend verringert hat. Am 5. April rentierten 10-jährige US-Wertpapiere bei 4,39 %, verglichen mit 4,2 % eine Woche zuvor und 3,9 % Anfang Februar. Das ist zwar weit entfernt von den jahrzehntelangen Rekordwerten vom Oktober 2023 (fast 5 %), dennoch beunruhigt ein solcher Ausbruch die Anleger.
Reaktion in der Welt und Deglobalisierung in der Russischen Föderation
In den vergangenen Monaten und Jahren waren die Auswirkungen geopolitischer Faktoren auf die Märkte moderat. Im Februar-März 2022, im Zusammenhang mit dem Ausbruch des Ukraine-Konflikts, waren die Erschütterungen recht erheblich, aber die Lage beruhigte sich schnell.
Daraus entstand die Idee, daß die Finanzmärkte vor solchen Einflüssen seitens der großen internationalen Politik geschützt seien, zum Unterschied zu früher.
Die Ereignisse der letzten Woche, als sich eine Vielzahl von Indikatoren schnell synchron änderten und nicht in die Richtung, in die sie sich im Falle rein finanzieller und wirtschaftlicher Turbulenzen bewegen, zwingen jedoch zu der Annahme, daß eine solche Einschätzung verfrüht war.
Wenn sich die Lage auf der Welt weiter verschlechtert, wird das Ausmaß der Umwälzungen unweigerlich zunehmen: Investoren werden sich dem Einfluß geopolitischer Kämpfe und der militärischen Bedrohung nicht mehr entziehen können. Das ist der aktuelle Trend.
Unabhängig davon ist festzustellen, daß der russische Markt in der vergangenen Woche kaum auf ausländische Ereignisse reagierte: Russische Anleger waren hauptsächlich an der Inflation und den Erwartungen an die künftigen Maßnahmen der Bank von Russland in Bezug auf den Zinssatz interessiert.
Dies stellt einen deutlichen Kontrast zum Bild vor zehn Jahren dar, als das globale Marktumfeld den heimischen Markt viel stärker beeinflußte als fast alle inländischen Ereignisse. So sieht der Prozeß der Deglobalisierung und Entkopplung der Finanzsysteme voneinander aus.“
Die Entglobalisierung gefällt den russischen Analysten offensichtlich und entspricht den Erwartungen der politischen Führung.
Rußland möchte auch im wirtschaftlichen Bereich agieren, und nicht reagieren müssen.