Folgen der „Aktion Zypern“

MÖGLICHE HINTERGRÜNDE UND ERGEBNISSE DER ZERSCHLAGUNG DES GESCHÄFTSMODELLS VON ZYPERN
Voriges Frühjahr wurde der Staatskredit und Banksektor Zyperns mit großem Getöse unter dem Titel „Eurorettung“ ruiniert. Was hatte das eigentlich für Folgen? Auf für die europäischen Medien ganz typische Weise hört man nämlich seit geraumer Zeit nichts mehr von Zypern.
Man rekapituliere: Im Zuge der Rettung des Staatskredits, also der Verhinderung einer Zahlungsunfähigkeit Zyperns wurde die eine große zypriotische Bank, die Laiki Bank/Volksbank, abgewickelt, d.h. aufgelöst. Ihre Einlagen wanderten zur zweiten Bank, der Bank of Cyprus, die auch die gesamten Außenstände der Laiki Bank übernehmen mußte, die sich auf 9 Milliarden Euro belaufen:
„Die zypriotische Laiki-Bank hatte viele Filialen in Griechenland. Als griechische Kunden massenhaft Geld von der Laiki-Bank abhoben, glich die Europäische Zentralbank den Verlust mit Notfallkrediten in Höhe von neun Milliarden Euro aus. »Neun Milliarden Euro Schulden, das ist ein Riesenbetrag verglichen mit unserem Bruttoinlandsprodukt von 17 Milliarden Euro. … « erklärt der Finanzprofessor Michaelis.“ ARD, 3.4. 2013
Die 17 Milliarden waren aber das BIP vor der Ruinierung des Banksektors. Auf dieses BIP wird Zypern in absehbarer Zeit nicht kommen.
Wieviel Geld tatsächlich hinübergeschoben wurde, um die korrekte Bedienung der zypriotischen Staatsschuld sicherzustellen, ist nicht ganz klar. Kolportiert wurden verschiedene Summen:
„Laut einem Dokument der EU-Kommission kostet die Rettungsaktion 23 statt 17 Milliarden Euro, Zypern selbst soll 13 Milliarden Euro beisteuern.“ Die Presse, 10.4. 3013
Alle Besitzer von Einlagen von mehr als 100.000 € wurden zur Kasse gebeten – in welchem Umfang, ist auch nicht klar. 100%? 50%? Individuell angepaßt? Manche der so geschröpften Einlagenbesitzer konnten ihre Einlagen in Eigentumstitel der Bank umwandeln, sodaß die Bank of Cyprus jetzt auch russische und ukrainische Mitbesitzer hat.
Der zypriotische Banksektor ist ein direktes Ergebnis des 1975 ausgebrochenen Bürgerkriegs im Libanon. Als die „Schweiz des Nahen Ostens“ unter den Gewehrsalven und Granaten christlicher und schiitischer Milizen, Palästinensern und israelischer Invasionstruppen zusammenkrachte, flüchteten die dort investierten Gelder, vor allem Petrodollars, nach Zypern, das sie bereitwillig aufnahm. Der zypriotische Banksektor, der sich ausschließlich auf den griechischen Teil der Insel konzentrierte, war ein Katalysator für die Teilung der Insel und deren Aufrechterhaltung. Die mit der Zeit auf fetten Safes sitzenden Zyperngriechen wollten mit den türkischstämmigen Ziegenhirten und Basarhändlern möglichst wenig zu tun haben. Das solchermaßen mit der Zeit ausgebaute Banken- und Investmentsystem bewährte sich noch einmal in der Zeit nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, als die zu Geld gekommenen Glücksritter und Oligarchen ihre frisch erworbenen Vermögen irgendwo parken und in Weltgeld anlegen wollten. Zypern wurde zu einer Art Tunnel für die Kapitalflucht aus den ehemals sozialistischen Ländern. Dank der rechtlichen Grauzone in diesen Transformationsstaaten, wo Kapital nur auf verschlungenen Wegen und unter Einsatz aller Mittel erworben werden konnte, hatte dieses Geld immer etwas Anrüchiges an sich. Das störte aber niemanden in der EU, als der Beitritt Zyperns zu EU und Eurozone als Mittel diente, die Besitzer dieser dort geparkten Kapitalien als Investoren in die EU zu locken, und das starke zypriotische Pfund zur Stützung des Euro demselben einzuverleiben.
Wer sind jetzt – nach Ländern aufgeteilt – alles die Geschädigten bzw. Betroffenen der Aktion vom Frühjahr? Man kann nur aus den spärlichen Informationen mutmaßen und schlußfolgern.
1. Zypern
Laut ARD-Bericht vom April 2013 hing jeder zweite Arbeitsplatz in Zypern direkt am Banksektor. Die gesamte Bautätigkeit auf der Insel beruhte auf dem reichlich fließenden Hypothekarkredit und wurde seit dem Frühjahr großflächig eingestellt. Ein übriges taten auch die Kapitalverkehrsbeschränkungen, die zwar die Kapitalflucht stoppen sollten, aber auch das Hereinkommen von Geld und Kredit erschweren bis verunmöglichen. Bankgeschäft, Handel, Bautätigkeit wurden auf einen Bruchteil des vorigen Volumens heruntergefahren, auch Fischfang und Tourismus sind notgedrungen vom Rückgang der Zahlungsfähigkeit und dem versiegten Kredit betroffen. Außerdem gehörten zu den Mehr-als-100.000-Euro-Einlegern auch zypriotische (und vielleicht auch nicht-zypriotische) Pensionsfonds. Die Auswirkungen der Banken-Ruinierung auf das zypriotische Pensionssystem sind noch nicht absehbar, oder werden zumindest nicht an die große Glocke gehängt.
2. Großbritannien
Wem gehörten die großen zypriotischen Banken, und vielleicht auch kleinere? Zypern war von 1914 bis 1960 britische Kolonie und beherbergt bis heute zwei exterritoriale britische Militärbasen. Außerdem ist die Haupt-Drehscheibe für Petrodollars die Londoner City. Es gibt also gute Gründe anzunehmen, daß im zypriotischen Banksektor britisches Kapital – sowohl in Form von Aktienbeteiligungen an Banken als auch in Form von Einlagen-Vermögen – veranlagt war. Im Zuge der Banken-Umstrukturierung sind also sicherlich die Telefone zwischen London und Brüssel, Berlin usw. heißgelaufen. Ein großer Teil der Einlagen wurde jedenfalls, als die Banken in Zypern bereits geschlossen waren, über die weiterhin geöffneten Londoner Filialen der Laiki Bank und der Bank of Cyprus von Zypern abgezogen.
3. Rußland
Für die russische Geschäftswelt war Zypern bekanntermaßen ein wichtiger Zwischenstopp für russisches Kapital, das sich damit in eine Weltwährung begab, um dann entweder weiter in die westliche Welt zu wandern, oder aber als ausländisches Kapital verkleidet wieder in Rußland selbst investiert zu werden. Dieses russische Geld war der Haupt-Aufhänger, mit dem die EU ihre Enteignungsaktion in Zypern begründete. Die EU stellte sich damit als Vertreter einer Art universeller Gerechtigkeit dar, indem sie sowieso illegal erworbenes Vermögen konfiszierte. Das war erstens ein gewaltiger Affront gegenüber Rußland, das damit zu einer Art ökonomischem Schurkenstaat erklärt wurde, und das Vermögen seiner Bürger zu vogelfreiem Gut, das von jedem ehrbaren Staat eingezogen werden kann.
4. … und andere
Zweitens aber wurde damit der Umstand verdeckt, daß sich jede Menge sonstiges internationales Kapital in den Büchern der zypriotischen Banken befand, das im Prinzip gleichermaßen – entgegen allen bisherigen Gepflogenheiten der Bankenwelt und der EU-Politik – einkassiert werden sollte. Das betraf sowohl Kapital aus EU-Staaten als solches aus Nicht-EU-Staaten. Auch hier sind vermutlich verschiedene Telefone heißgelaufen, mit Israel, den Golfstaaten, anderen GUS-Staaten, und einer unbekannten Anzahl von EU-Mitgliedsstaaten.
Die geöffneten Londoner Bankfilialen waren also ein Ventil, mit dem die Empörung über die Enteignung irgendwie kanalisiert und die Enteignung selbst verhindert wurde. Wer wieviel dort abgezogen hat, ist auch unbekannt, und man weiß auch nicht, wieviel überhaupt noch in den zypriotischen Banken verblieben ist und als Gegengewicht der Kreditstützung Zyperns verwendet werden konnte.
5. Die Ukraine
Die aufgrund der im Vergleich zu Rußland mangelnder Geschäftsgelegenheiten und Rohstoffvorkommen bescheideneren ukrainischen Vermögen, die in Zypern veranlagt wurden, waren zwar nie ein Thema in der Presse. Es ist aber durchaus möglich, daß die ukrainischen Oligarchen gutgläubiger waren, ihr Geld nicht rechtzeitig abgezogen haben und deshalb kräftig Federn lassen mußten. Die mangelnde Begeisterung der ukrainischen Elite für das Assoziationsabkommen mit der EU muß auch vor diesem Hintergrund betrachtet werden. Erstens war überhaupt das Bedürfnis, sich der überlegenen EU-Konkurrenz auszusetzen, von Haus aus gering. Zweitens aber mußten die ukrainischen Unternehmer feststellen, daß ihr Geld in der EU nicht sicher ist: es wird als Eigentum nicht respektiert. Genau in diese Kerbe schlugen auch Äußerungen im österreichischen Fernsehen in den letzten Tagen, gegebenenfalls ukrainisches Vermögen in Österreich zu beschlagnahmen, wenn die ukrainische Regierung sich gegenüber den Anmaßungen der EU nicht gefügig zeigen sollte.
6. Serbien
Für Serbien zur Zeit der Blockade war Zypern eine essentielle Offshore-Destination. Die aus Schmuggel erlösten Gelder wurden in Zypern geparkt und für Einkäufe von für das Funktionieren der serbisch-jugoslawischen Ökonomie (damals gehörten dazu noch der Kosovo und Montenegro) unverzichtbaren Gütern, vor allem für Ölimporte, verwendet. Das Geld wurde in Koffern nach Zypern transportiert und dort bei den Banken eingezahlt. Von dort wurde es irgendwie für Schmuggel-Importe eigesetzt, vermutlich über Überweisungen an griechische Banken. Der zypriotischen und griechischen Bankiers halfen also der Milosevic-Regierung, die Blockade auszuhalten.
Laut Auskunft eines serbischen Antikorruptions-Jägers sollen nach dem Sturz Milosevics 18 Milliarden Euro von der Nachfolgeregierung aus Zypern abgezogen und bei der Hypo Alpe Adria veranlagt worden sein. (Wirtschaftsblatt, 6.12. 2013) Wenn das stimmt, Pech gehabt. Von enem sinkenden Schiff auf das andere umgepackt. Vermutlich blieb aber immer noch weiteres Geld in Zypern, oder aber die Hypo AA diente nur als Zwischenlager, um dieses Geld sozusagen reingewaschen wieder nach Zypern zu transportieren. Es ist jedenfalls auffällig, daß die serbische Regierung, die eine Koalition zweier seinerzeitiger Anti-EU-Parteien ist, seit dem Frühjahr 2013 einen völligen Schwenk vollzogen hat und alles unternimmt, um in die EU aufgenommen zu werden.
Fazit
Die Aktion der Banken-Umstrukturierung bzw. -Ruinierung in Zypern hat also eminente ökonomische und politische Dimensionen. Mit ihr wurde klargestellt, daß Kredit innerhalb der EU von Brüssel her politisch beglaubigt sein muß. Keine Bank, kein Staat hat mehr Kredit, wenn er nicht bei der Zentrale nachgefragt hat, ob dieser dort genehm ist. Es ist also ein gewaltiger Eingriff in die Souveränität der EU-Mitgliedsstaaten.
Weiters wurden auch einige Neuerungen in Sachen Recht und Eigentum vorgenommen. Das Privateigentum als solches existiert nur, weil die überlegene Gewalt des Staates es garantiert. Ab jetzt ist aber klar, daß nicht jedes Eigentum gesichert ist. Die Staatengemeinschaft EU, und da ihre potenteren Mitglieder, entscheiden, welches Eigentum rechtmäßig ist und welches nicht. Erstens gibt es Staaten, wo das Eigentum der Bürger weniger gilt als das anderer. Zweitens ist auch das Eigentum der EU-Bürger nicht mehr sicher. Einlagen können im Prinzip jederzeit eingezogen werden – wer sein Geld in die falsche Bank legt, riskiert, es zu verlieren. Und was die „falsche“ Bank war, stellt sich erst im Nachhinein heraus, wenn es schon zu spät ist. Außerdem kann Eigentum auch sehr leicht zu illegal erworbenem erklärt werden, wenn man sich der Steuerhinterziehung schuldig gemacht oder sonst irgendeinen Fehler begangen hat, wobei auch hier nicht sicher ist, was einem alles als Steuerhinterziehung oder Fehler angekreidet werden kann.
Was wirklich bemerkenswert ist, ist der Umstand, daß alle diese Klarstellungen über das Primat der Politik über die Ökonomie den Euro gestärkt haben. Der hier praktisch deklarierte Wille der EU-Politiker, alles Althergebrachte in Frage zu stellen, um die Gemeinschaftswährung zu retten, wurde von den „Märkten“ positiv aufgenommen. Sie anerkennen damit den imperialistischen Willen, sich die Ökonomie untertan zu machen. Das macht mehr Eindruck als das demokratiepolitisch bedingte Hin und Her in den USA, mit der die Verschuldungsfähigkeit der Weltmacht Nr. 1 problematisiert und gefährdet wird.
Es kann natürlich sein, daß irgendwann einmal genau diese Entschlossenheit der EU auch die gegenteilige Reaktion der international agierenden Geldbesitzer hervorruft, wenn die ökonomischen Erfolge sich nicht einstellen.

Pressespiegel El País, 1.2.: Der IWF und die Eurokrise

FALSCHE VERSPRECHUNGEN UND VON WUNSCHDENKEN BESTIMMTE PROGNOSEN

Die Tageszeitung El País hatte Zugang zu Akten des IWF, die ein aktuelles Bild der Gegensätze im imperialistischen Lager zeichnen.

„Deutschland, Frankreich und Holland hatten sich in einem der schlimmsten Momente der Eurokrise dazu verpflichtet, daß ihre Banken Griechenland unterstützen und an den griechischen Schuldtiteln festhalten würden.“

Dazu fällt dem unbefangenen Leser auf, daß Staaten solche Zusagen eigentlich gar nicht machen dürften. Schließlich sind Banken inzwischen fast überall – auf jeden Fall in den 3 genannten Staaten – Privatunternehmen, deren Kauf- und Verkaufspolitik von Schuldtiteln die jeweiligen Bankleitungen entscheiden, und nicht die nationalen Politiker.
Dieser Umstand kann auch dem IWF nicht entgangen sein. Warum ließ seine Leitung – an der Spitze der Institution stand damals Strauss-Kahn – sich dennoch auf so etwas ein?

„Es war einer der Tricks, mit denen sie“ (unter diesem „sie“ kann man jetzt alle möglichen Akteure einreihen) „spielten, um die erheblichen Widerstände innerhalb des IWF zu überwinden, damit das größte Stützungspaket in der Geschichte dieser Institution gewährt werden konnte.“

Wie sich herausstellte, kam der Widerstand aus anderen Nicht-EU-Mitgliedsstaaten des IWF. Die IWF-Leitung und die 3 genannten Staaten einigten sich daher auf dieses „Versprechen“, um mit dieser „Garantie“ den Widerstand anderer wegzubügeln.
Daß das überhaupt gelungen ist, also die anderen Länder dieses jeder Grundlage entbehrende Ehrenwort für bare Münze nahmen, liegt wahrscheinlich daran, daß sie natürlich auch kein Scheitern des Euro wünschten. Die einen schummelten, die anderen drückten die Augen zu. Ähnlich wie bei Griechenlands Euro-Beitritt …

„Aber die 3 EU-Mitgliedsstaaten hielten ihr Wort nicht ein. Kaum war der Plan für ein Land am Lande des Bankrottes genehmigt, so begannen ihre Finanzinstitute, Titel abzustoßen, die ihnen die Hände verbrannten.“

Irgendwie verständlich vom Standpunkt der Banken aus. Damit verschärften sie natürlich die Schuldenkrise Griechenlands weiter.
In diesem Artikel wird nicht erwähnt, wohin sie diese toxischen Papiere abstießen. Andere Finanzinstitute scheiden als Käufer aus: die wollen sich ja auch nicht die Finger verbrennen. Heuschrecken- oder Geier-Fonds, die entwertete Schulden kaufen, um sie dann über dem Einkaufswert abzustoßen, zahlen nur Cents für den Schrott. An solche Fonds zu verkaufen, würde heißen, ein großes Loch in der Bilanz des jeweiligen Instituts entstehen zu lassen.
Bleibt also nur ein einziger Käufer, der aus politischen Gründen einen annehmbaren Preis zahlt, das ist die EZB. Die EZB unterwanderte damit das Versprechen der 3 Staaten an den IWF, interpretierte es aber wahrscheinlich so, daß sie damit ja auch helfe, dieses Versprechen einzuhalten.
Die Frage stellt sich, was die EZB seither mit diesen Anleihen gemacht hat …

„Die vor vier Jahren in Büros in Brüssel, Frankfurt und Washington getroffenen Entscheidungen haben tiefe Spuren in Südeuropa hinterlassen. Damals wurde eine Troika der Gläubiger (Europäische Kommission, IWF und EZB) geschaffen, die Kürzungen und Reformen im Gegenzug für Kredite auferlegte, zuerst in Athen, und später in Dublin, Lissabon und Nikosia. Die Protokolle … des IWF vom Tag der Rettung zeigen, dass die Meinungsverschiedenheiten und Zweifel über den Erfolg des Plans bereits an diesem 10. Mai (2010) begannen.“

Innerhalb der EU gelang es damals offenbar, Kritiker zum Schweigen zu bringen. Die Kritik kam von Staaten außerhalb der EU:

„Diese Dokumente sind von entscheidender Bedeutung, nicht nur, weil sie klar die Kritik zeigen, die Länder wie China, Australien, Argentinien und Brasilien von Anfang an hatten. Im Rückblick erscheinen die damals gefallenen Argumente für die Ausschüttung … von 30 Milliarden Euro in einem anderen Licht.“

Es zeigt, daß die Versprechen der 3 Staaten nichts wert waren. Natürlich nur vom Standpunkt Griechenlands oder der anderen Krisenstaaten aus. Vom Standpunkt der Banken Deutschlands, Frankreichs und Hollands hat die Versprecherei ja ihre Wirkung getan: der Euro wurde bis heute stabilisiert, und die Banken wurden ihre griechischen Anleihen zu einem annehmbaren Preis los:

„Die Banken der drei Länder hielten im ersten Quartal 2010, vor der Rettung, mehr als 122 Milliarden Dollar in griechischer Staatsschuld. Ende letzten Jahres war diese Zahl um 72% zurückgegangen, auf etwas weniger als 34 Milliarden.“

Gegen die Versprechen und Vorschläge einiger Euro-Staaten und Dänemarks entstand ein vierseitiges Memorandum:

„»Einige Vertreter (China, Ägypten und der Schweiz) betonen die Gefahr, die von dem Umstand ausgeht, daß die gemeinsame Analyse die Anwendung unterschiedlicher Kriterien zwischen den drei vertretenen Institutionen enthüllt«, stellte das von Francesco Spadafora, dem Berater des IWF-Direktors unterzeichnete Memorandum fest. Im Laufe der Zeit prallten diese verschiedenen Positionen deutlich aneinander. Als der IWF einräumte, die Auswirkungen der Kürzungen auf die griechische Wirtschaft unterschätzt zu haben, bestritt die EU-Kommission entrüstet, irgendeinen Fehler begangen zu haben.“

Vom Standpunkt der Eurokrise aus sieht sich die EU-Kommission im Recht. Der IWF hingegen ist der gesamten Weltwirtschaft verpflichtet und sieht bei Griechenland keine Aussicht auf Besserung in dem Sinne, daß dieses Land wieder als Handelspartner funktionieren könnte.

„Einer der Einwände – von China und der Schweiz – warnte vor der Möglichkeit, daß die Wachstumsprognosen für Griechenland zu optimistisch ausgefallen seien. »Schon eine geringe Abweichung von der Basisszenario könnte die Tragfähigkeit der griechischen Schuldenlast gefährden«, wird dort erklärt. Diese Befürchtungen wurden von IWF-Beamten mit der Anwort vom Tisch gefegt, daß das BIP Griechenlands genauso gut mehr als erwartet wachsen könne.“

Der Artikel führt leider nicht an, womit China und die Schweiz ihre Zweifel begründeten, und ob die IWF-Beamten ihre Antwort überhaupt begründeten.

„Gleichzeitig wiesen Argentinien, Australien, Kanada, Brasilien und Russland auf »die immensen Risiken« des Programms hin, nicht nur für Griechenland, sondern für das Prestige des IWF. Die Fonds-Beamten gaben selbst zu, daß diese Gefahren real sind.“

Der IWF garantiert nämlich die Kreditwürdigkeit seiner Beaufsichtigten. Er garantiert, daß an dieses Land vergebene Gelder sicher sind. Wenn diese Sicherheit einmal versagt, wie bei Argentinien 2002, so hat das keine unmittelbaren Folgen für den IWF.
Eine weitere schwere Fehleinschätzung jedoch könnte die Glaubwürdigkeit des IWF untergraben und damit diese ganze Institution entwerten. Was für Folgen das auf das internationale Währungssystem hätte, läßt sich nicht abschätzen. Die derzeitigen Abstürze vieler Währungen von aufstrebenden Mächten weisen jedoch darauf hin, daß der Prestigeverlust des IWF wegen der anhaltenden Probleme Griechenlands bereits eingetreten ist.

Australien erlaubte sich die Stichelei, die Forderungen der Europäischen Kommission an Griechenland hätten den Charakter einer »Einkaufsliste«.“

Sie seien also, so meinten die Vertreter Australiens damit, eine Art Wunschzettel an den Weihnachtsmann, der jeglicher Grundlage für Griechenland entbehre, diesen Anforderungen zu genügen.

Alle in diesem Artikel zitierten Dokumente datieren von 2010. Daß der IWF sie einer großen Tageszeitung zugänglich gemacht hat, weist darauf hin, wie unzufrieden seine Macher selbst mit der Entwicklung der Eurokrise sind, wie sehr ihnen die Rolle mißfällt, die sie dabei einnehmen, und weist auch auf ihre eigenen Befürchtung hin, sich mit diesem „Fall“ übernommen zu haben.
An den zitierten Dokumenten fällt die Abwesenheit der USA unter den Kritikern auf. Entweder sie hatten damals keine Kritik, sondern unterstützten das Vorgehen des IWF, um über ihn selber ihren Fuß in die Euro-Rettung hineinsetzen zu können. Oder aber den Journalisten von El País wurden nur solche Dokumente zugänglich gemacht, in denen die Position der USA nicht aufscheint.

Man kann jedoch davon ausgehen, daß diese „IWF-Leaks“ von den USA ausgehen, die mit dem Verlauf der Euro-Entwicklung sehr unzufrieden sind.

Daß es an eine spanische Tageszeitung weitergereicht wurde, geschah wahrscheinlich aus der Berechnung, daß in Spanien ebenfalls große Unzufriedenheit mit der Handhabung der Eurokrise herrscht. Schließlich ist Spaniens Staatskredit keineswegs konsolidiert, gleichzeitig ist es Garantiemacht für den Kredit der 4 „geretteten“ Krisenstaaten.

Bald auch Bürgerkrieg in Europa?

DIE EU MISCHT DIE UKRAINE AUF
Um zu verstehen, was heute in der Ukraine geschieht, ist es hilfreich, sich zurückzuerinnern, wie dieser Staat entstanden ist.
Der Unabhängigkeitserklärung der Ukraine 1991 gingen keine Demonstrationen oder Straßenkämpfe voraus, wie in der DDR, der Tschechoslowakei oder Rumänien. Niemand ging auf die Straße und forderte einen eigenen Staat. Der Satz, mit dem Wikipedia die Geburt dieses immerhin mehr als 45 Millionen Einwohner zählenden Staates zusammenfaßt: „Im Zuge der Auflösung der Sowjetunion erlangte die Ukraine im Jahr 1991 ihre staatliche Unabhängigkeit“ – zeugt von der intellektuellen Anspruchslosigkeit dieser Enzyklopädie, die offenbar gar nicht so genau über die Umstände informieren will. Drei sowjetische Regional-Häuptlinge trafen sich nämlich im Dezember 1991 auf einer Datscha in Weißrußland und schnapsten miteinander aus, daß sie jetzt neue, „eigene“ Staaten gründen wollten. Diese wodkatrunkene Zusammenkunft wird, wenn überhaupt, als „Belavezha-Abkommen“ gehandelt, und damit wurden die Staaten Rußland, Weißrußland und die Ukraine geschaffen.
Die Episode ist deshalb wichtig für die heutige Entwicklung, weil es in der Ukraine kein Staatsvolk, keinen Staatswillen gibt, auf den sich die jeweiligen Regierungen stützen könnten. Der ukrainische Nationalgedanke entwickelte sich seinerzeit im damals österreichischen Galizien und dort ist er auch geblieben. Er war und ist antipolnisch und antirussisch, schließt also einen Teil der Bevölkerung der Ukraine – immerhin 8,5 Millionen, oder über 18% der Bevölkerung, – dezidiert aus. Aber nicht nur die restlichen Minderheiten der Ukraine passen eigentlich in den ukrainischen Nationalstaat schlecht hinein, sondern auch ein beträchtlicher Teil der Ukrainer selbst, – also derer, die sich in den Volkszählungen zur ukrainischen Nationalität bekennen, – spricht oft Russisch oder ein Mischmasch, und interessiert sich überhaupt nicht für „seinen“ Staat.
Während also die meisten Bewohner der Ukraine für diesen Staat nichts übrig haben, spricht in ihren Augen eine Menge gegen ihn. Die Ukraine hat es nach über 20 Jahren ihres Bestehens zu keiner Ökonomie gebracht. Nachdem in den 90-er Jahren flächendeckend jahrelang keine Gehälter gezahlt wurden – weder Lehrern noch Ärzten noch Fabriksarbeitern oder Bergleuten – so wurde auch seither durch Betriebsschließungen und Massenentlassungen klargestellt, daß dieses Staatsgebilde für einen guten Teil seiner Bevölkerung keine Verwendung hat. Ukrainische Söldner kämpften am Balkan und in den Bürgerkriegen in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Ukrainische Gastarbeiter findet man in der EU von Portugal bis Skandinavien. Sie stellen das größte Kontingent an Arbeitsemigranten in Rußland. Eine Generation von Kindern wächst ohne Eltern auf, weil diese sich in fremden Landen verdingen müssen. In den Hafenstädten der Ukraine, wo wegen mangelnder Nachfrage aus dem Hinterland sogar der Schmuggel eher kümmerlich verläuft, richten sich die perspektivlosen Jugendlichen mit Heroinsucht und Aids zugrunde.
Schließlich hat auch im Westen jeder mitgekriegt, daß dieses Land sich seine Energieversorgung nicht leisten kann und auf Preisnachlässe und Kredite Rußlands angewiesen ist.
Dadurch ist natürlich auch der Staatsapparat selbst schlecht ausgestattet, weil weder aus Steuern noch aus Zöllen nennenswerte Einnahmen in die Staatskasse fließen. Kredit hat so ein Staat wie die Ukraine sowieso keinen. In den 90-er Jahren wurden vor Wahlen regelmäßig IWF-Kredite erteilt, damit die im Amt befindliche Regierung irgendwelche ausstehenden Gehälter zahlen und dadurch überhaupt so etwas wie eine Wahlbeteiligung erzielen konnte, damit die Wahlen nicht zu einer Farce verkommen, und der neuen Regierung jegliche Legitimation abhanden käme. Die Ukraine mußte sich also verschulden, um überhaupt den Staatsapparat in die nächste Legislaturperiode weiterschleppen zu können.
Die mangelnde ökonomische Grundlage verhindert somit auch das Zustandekommen einer Staatsräson. Der Staat kann sich gar keine Ziele setzen, er ist mit Selbsterhalt beschäftigt.
Die relativ dünne herrschende Elite der Ukraine ist in der Frage zur EU gespalten, bzw. inzwischen schon eher EU-skeptisch. Während sie auf den westlichen Markt, vor allem Arbeitsmarkt nicht verzichten kann und will, haben doch alle möglichen Illusionen bezüglich der Segnungen der Westintegration in den letzten Jahren einen Dämpfer bekommen. Sowohl die Euro-Krise als auch die Zypern-Konfiskation im Frühjahr 2013, bei der auch ukrainische Geschäftsleute Federn lassen mußten, die ihr Geld in einer der zypriotischen Banken verstaut hatten, zeigen die Grenzen für das Geschäft auf, das ukrainischen Betrieben winkt. Die Nachbarländer Ungarn und Rumänien sind nicht gerade leuchtende Beispiele dafür, wie gut man mit der EU fährt. Die EU verteufelt zwar die Abhängigkeit der Ukraine von Rußland, zahlt aber die Öl- und Gasrechnungen der Ukraine nicht.
Es ist also ganz verkehrt, wie es die westlichen Medien darstellen, daß Janukowitsch sich von Putin „unter Druck setzen“ hat lassen und deswegen das Assoziationsabkommen mit der EU nicht unterzeichnet hat. Es war eher im Gegenteil, daß er sich der Rückendeckung Putins für diesen Schritt versichert hat – der ja auch nicht seine einsame Entscheidung, sondern der Beschluß des ukrainischen Parlamantes, der Rada, war. Genaugenommen hat das Parlament eine Begnadigung Julia Timoschenkos abgelehnt, die die EU ihrerseits zur Bedingung der Unterzeichnung des Abkommens gemacht hatte. Der Kabinettsbeschluß, von dem Abkommen zurückzutreten, war nur eine Folge der Abstimmung im Parlament.
Der Versuch der EU und der sie unterstützenden Medien, so etwas wie eine Neuauflage der Orangen Revolution hinzukriegen, verlaufen diesmal etwas turbulenter. Die von der EU offen unterstützten Oppositionsführer, der farblose Technokrat Jazeniuk und der Boxer Klitschko, kriegen langsam selber kalte Füße angesichts der Lawine, die sie mit losgetreten haben. Die ukrainischen Faschisten hingegen sehen ihre Stunde gekommen: Endlich können sie mit dem nötigen Rückenwind aus dem Westen, Bewaffnung und Medienunterstützung auf die Staatsmacht losgehen und versuchen, sich als entscheidende Kraft in das Machtgefüge einzubringen.
Die Gewaltbereitschaft der rechten Opposition ist weniger überraschend als die geringe Gegenwehr, die der ukrainische Staat dem entgegenzusetzen hat. Die schlechtbezahlten Polizisten, das Militär, das eigentlich auch nicht weiß, was seine Aufgabe ist – sie alle sind offenbar nicht bereit, mit der notwendigen Gewalt gegen Demonstranten einzuschreiten, die das Zentrum der Hauptstadt in ein Trümmerfeld verwandeln. Janukowitsch und seine Partei können aber auch auf keine eigenen Freiwilligen zählen, die man mit entsprechender Bewaffnung auf ihre Gegner loslassen könnten.
Und die westlichen Medien päppeln Faschisten und vermummte Straßenkämpfer, die im eigenen Land sofort niedergeknüppelt und verhaftet würden, stacheln sie an und verlangen von der bedrängten ukrainischen Regierung „Zugeständnisse“.
Was wollen sie eigentlich, die EU-Politiker und ihre der Tagespolitik noch vorauseilenden Meinungsmacher? Syrische oder ägyptische Zustände an der Ostgrenze der EU?