Pressespiegel Mandiner.hu, 5.9. 2024: Ungarns und Südosteuropas Gas- bzw. Energieversorgung

„UNGARN NAHM SEINE ENERGIEVERSORGUNG IN DIE HAND: GAS UND ERDÖL KÖNNEN AUF NEUEN WEGEN NACH UNGARN KOMMEN

Zelenskij wird außerdem dafür einen hohen Preis zahlen …“

Dieser Satz wird im Rest des Artikels nicht erklärt, man kann sich also alles Mögliche dazu denken …

„Es ist nur scheinbar beruhigend, daß Ungarn seit einiger Zeit kein russisches Erdgas mehr über die Ukraine bezieht und daher durch das Ende des ukrainischen Gastransits keinerlei Schwierigkeiten auftreten können. Auch der Umstand, daß die von der MOL in Rußland bestellte Gasmenge derzeit in Ungarn ankommt, heißt nicht, daß alles in Ordnung ist.
All das spielt sich nur an der Oberfläche ab.
Ungarn ist nämlich sehr abhängig von den fossilen Brennstoffen aus Rußland. Aus historischen Gründen beruht auf ihnen der größte Teil unserer Energieversorgung. Diese Abhängigkeit wurde seinerzeit dadurch gleichsam einbetoniert, daß die Pipelines das günstige Gas und Erdöl ausschließlich über die ungarisch-ukrainische (vorher ungarisch-sowjetische) Grenze lieferten. Jahrzehntelang gab es keine andere Gasleitung nach Ungarn.“

Ungarn erhielt seit ca. 1978 Gas über die Sojuz-(„Bündnis“) und die Bratstvo-(„Brüderlichkeit“) Leitungen, die Eingangsstation befindet sich in Beregdaróc nahe der ukrainischen Grenze.

„In den letzten Jahren hat sich die Lage jedoch grundlegend geändert.

Der größte Teil kommt über Serbien

Die im derzeit gültigen langfristigen ungarisch-russischem Gas-Liefervertrag festgelegte Menge reicht aus für den grundlegenden Inlandsbedarf, also für die Versorgung der Bevölkerung. Der 2021 geschlossene Vertrag sieht die Lieferung von 4,5 Milliarden Kubikmeter vor. Davon sollten 3,5 Mrd. über Serbien, 1 Mrd. über Österreich nach Ungarn gelangen.
Inzwischen wird auch diese 1 Mrd. kbm über Serbien importiert.

Österreich betreibt eine Gas-Verteilerstelle im niederösterreichischen Baumgarten, die als „europäische Gas-Drehscheibe“ bezeichnet wird und von wo es das aus Rußland und Norwegen stammende Gas in verschiedene Richtungen verschickt(e).
Inzwischen haben sich aufgrund der ukrainischen Gastransit-Sperre die Richtungen geändert.

„Jenseits dieser 4,5 Mrd. kbm schloß der ungarische Außen(handels)minister Péter Szijjártó später verschiedene Verträge über kleinere Mengen ab, aber all das ist zu wenig zur Befriedigung des – sich übrigens verringernden – jährlichen Bedarfs von 8 Mrd. Kubikmetern. Zur Befriedigung des inländischen Bedarfs wird auch die FSZG Zrt. (Erdgaslieferung gAG) Schätzungen zufolge in diesem Jahr 2024/25 mit 1,7 Mrd. kbm aus heimischer Produktion beitragen. Der Rest muß aus weiteren Importen gedeckt werden.“

4,5 + 1,7 = 6,2
D.h., Ungarn braucht noch 1,8 Mrd. Kubikmeter von irgendwo.

„Beim Import aus Rumänien gibt es noch Luft nach oben“

Rumänien war aufgrund der RGW-Distanz unter Ceausescu seinerzeit nicht mit den alten sowjetischen Erdgasleitungen verbunden, aber seither an TurkStream angeschlossen.
Überhaupt hat seit einigen Jahren ein hektischer Pipeline-Bau in Südosteuropa eingesetzt, der nicht ganz transparent ist, weil niemand an die große Glocke hängen will, daß er über Blue Stream und TurkStream weiter russisches Gas bezieht.
Vor allem die Türkei profitiert als Transitland von diesen Entwicklungen, aber auch Gazprom selbst, die diesbezüglich Serbien zu einem Verteiler-Staat ausgebaut hat.

„Über seine Pipeline-Verbindungen kann Ungarn inzwischen über 6 Nachbarstaaten Erdgas beziehen. Nur an das slowenische Netz hat die Gasfirma FSZG das ungarische Gasnetz noch nicht angeschlossen. Aus Rumänien sollen laut Plan die Kapazitäten noch erweitert werden. Das soll sowohl durch eine Steigerung der rumänischen Inlandsproduktion als auch durch die dort aus östlicher Richtung eintreffenden Gasmengen erreicht werden.“

Rumänien besitzt große Gasvorkommen im Küstenbereich, nahe der Schlangeninsel. Erstens wurde dort bisher nicht viel erschlossen, weil die Konzessionsbedingungen Investoren abschreckten, dann kamen die Kriegshandlungen im Schwarzen Meer hinzu. Jetzt soll dort aber anscheinend doch etwas weitergehen.

Mit der „östlichen Richtung“ wird vornehm umschrieben, daß es sich doch um russisches Gas handeln dürfte, das über Turkstream und inzwischen anscheinend auch über Blue Steam den Balkan, Rumänien, Ungarn und teilweise sogar Italien versorgt.
Auf verschiedenen Karten ist erkennbar, daß sogar die Ukraine aus dieser Richtung Gas bezieht, was die völlige Absurdität dieses Gas-Karussels verdeutlicht, weil es handelt sich um russisches Gas, das anstatt direkt in die Ukraine zu fließen, einen großen Umweg über das Schwarze Meer, die Türkei, Bulgarien, Rumänien und Moldawien zurücklegt und natürlich auch für die Ukraine das Gas ordentlich verteuert – abgesehen davon, daß dieser Staat jetzt Transitgebühren zahlen muß, anstatt sie wie bisher zu kassieren.

Aus dieser Richtung (also aus Rumänien) soll Ungarn laut dem Übereinkommen aus dem Vorjahr 1-2 Mrd. Kubikmeter erhalten.

Wie aus der Formulierung ersichtlich ist, ist diese Gaslieferung noch nicht ganz in trockenen Tüchern. Rumänien ist selber nicht sicher, diese Gasmenge tatsächlich an Ungarn liefern zu können.

„Außerdem hat die ungarische staatliche Firma MVM (gAG für Stromversorgung) dieser Tage (d.h., im September 2024) ein Geschäft unter Dach und Fach gebracht, demzufolge sie sich einen Anteil am aserbaidschanischen Schah Deniz-Gasfeld gesichert hat.“

Auch hier ist die Formulierung etwas zweideutig. Ob MVM bzw. Ungarn wirklich Gas von dort erhält und über welche Pipeline und wann, ist offenbar noch keineswegs gesichert.
Das Schah Deniz-Feld ist in Azerbaidschan und von dort wird auch die Transanatolische Pipeline (TANAP) gespeist, die in ihrer Fortsetzung TAP auch seit 2020 Gas nach Griechenland und Italien pumpt.

Diese Pipeline-Projekte wurden bald nach 2014 in Angriff genommen – man merkt, daß viele Politiker und Unternehmen Südosteuropas die Ereignisse in der Ukraine zum Anlaß nahmen, sich pipeline-mäßig von diesem Transit-Land abzunabeln.
Man erinnere sich auch an die geplante South Stream-Pipeline, die von Rußland nach Bulgarien führen sollte. Bulgarien wollte auch ein Gas-Verteiler-Staat werden und damit sowohl Geschäfte machen als auch an Bedeutung gewinnen.
Sowohl die EU als auch die USA untersagten damals Bulgarien dieses Projekt. Die Orescharski-Regierung wurde gestürzt, die Nachfolger bliesen das Projekt ab. Die Türkei sprang in die Bresche, die Pipeline wurde weiter nach Süden verlegt und heute ist die Türkei der große Gas-Verteiler. Aus South Stream wurde TurkStream.

„Der Ausnützungsgrad der kroatischen Pipeline könnte ebenfalls steigen

Das schwimmende LNG-Terminal auf der Insel Krk können Tanker mit Flüssiggas aus der ganzen Welt anlaufen. Von dort kann das Gas über die Pipeline bis zur Raffinierie in Százhalombatta gelangen. Die Leistung des schwimmenden Terminals ist geringer als die des ursprünglich geplanten Terminals auf dem Inselboden selbst.“

Die schwimmende, weil günstigere Variante wurde gewählt, nachdem einer der Investoren ausstieg und deshalb das Projekt jahrelang auf Eis gelegt wurde.

„Eine Erweiterung ist jedoch geplant, sodaß auch aus dieser Richtung der ungarische Import gesteigert werden könnte.“

Das LNG-Terminal in Krk wurde sehr von den USA gepusht, als Alternative zum russischen Gas und sicherem Abnehmer von US-Flüssig(Fracking-)Gas.
Natürlich können ein LNG-Terminal Schiffe aus aller Welt anlaufen, nicht nur aus den USA … Bei LNG gibt es mehr Anbieter als bei einer fix verlegten Pipeline.
Allerdings ist das LNG-Gas deutlich teurer als das Pipeline-Gas, die in diesem Artikel erwähnte Pipeline nach Bosnien scheitert auch wegen dieses Umstands.

„Große Veränderungen beim Gasbezug aus Österreich

Ungarn erhielt in den letzten 1-2 Jahren durch die bisher erwähnten 3 Staaten Erdgas aus russischer und nicht russischer Produktion. Aus der Ukraine erhält es nichts (mehr), und interessanterweise (aus marktwirtschaftlichen Gründen) auch aus Österreich nicht, nämlich durch die HAG-Pipeline, die als Symbol der Distanz zum russischen Erdgas gefeiert wurde und wird.
Ungarn beendete nämlich 1996 mit der Verlegung der HAG-Pipeline, die die österreichischen und ungarischen Netze verband, die Abhängigkeit vom Import aus der Ukraine.
Zumindest dem Prinzip nach.
In Wirklichkeit kam natürlich das russische Gas weiter durch die Ukraine und die Slowakei durch die Brüderlichkeits-Pipeline nach Österreich und von da nach Ungarn.
Von westlicher Richtung kommendes Gas war nämlich bedeutend teurer.

Dieses HAG-Pipeline war nur von West nach Ost geplant und wurde so gebaut – mit dem Ergebnis, daß sie sozusagen still liegt, weil Österreich durch diese Ausrichtung kein Gas aus Ungarn über TurkStream beziehen kann.

„Durch die HAG-Pipeline kam bis 2025 also weiter russisches Gas durch die Ukraine und die Slowakei nach Österreich und von dort nach Ungarn. Eine Alternative soll die TAG-Pipeline bieten, deren Erweiterung geplant ist.“

Die TAG führt von dem Verteiler in Baumgarten nach Italien und Slowenien und transportierte dorthin russisches Erdgas. Man merkt an diesen Pipeline-Verläufen, zu welch einem bedeutenden Gas-Transitland sich Österreich entwickelt hatte – das, was Deutschland mit Nord Stream 2 auf größerer Stufenleiter vorhatte.
In diesem Zusammenhang sind auch die Beschimpfungen von und der Druck auf Österreich begreiflich. Der russische EInmarsch und die Sprengung der Nordstream-Pipelines verwandelte Österreich nämlich in eine Gas-Großmacht in dieser Ecke der EU, was vielen Konkurrenten sauer aufstieß.

„An der ungarisch-slowakischen Grenze fließt das Gas eher aus Ungarn hinaus

Aus nördlicher Richtung könnte Ungarn auch Erdgas über den ungarisch-slowakischen Verbindungsknoten beziehen, aber da ist im Augenblick nix los.
Aus dieser Richtung hätte Ungarn auch (wegen des Umwegs teureres) russisches Gas beziehen können, zumindest bis zu den Zeitpunkten, an dem die durch Polen führende Jamal-Pipeline nicht abgestellt wurde,“

an der Formulierung merkt man, daß es entweder nicht klar ist oder der Autor nicht daran rühren möchte, warum diese Pipeline stillgelegt wurde und wer das veranlaßt hat.
(Oder wurde sie vielleicht gar nicht ganz stillgelegt?)

„oder bis die Probleme bei North Stream auftraten.“

Auch wieder sehr eigenartig formuliert. Die „Probleme“ waren eine Sprengung, die bis heute niemand aufgeklärt hat und das auch nicht will.

„Über diese Pipeline könnte Ungarn aus alternativen Quellen Gas beziehen, wenn in dieses Rohr über Westeuropa oder Polen eintreffendes Flüssiggas aus aller Welt eingefüllt wird.“

Damit wird darauf hingewiesen, daß auch das Flüssiggas aus Rußland kommen könnte.

Vom Standpunkt Ungarns ist jedoch weiterhin das günstigste Gas das, das über Pipeline aus Rußland geliefert wird.

Aus dem Bisherigen geht klar hervor, daß Ungarn inzwischen verschiedenste Möglichkeiten zum Bezug von Erdgas hat, aber alle sind teurer als das russische Gas. Für den Bezug von anderem Gas sind auch oftmals weitere Investitionen notwendig.“

Hier wird offen gelassen, wer die tätigen soll – Ungarn oder das Land, über das das Gas bezogen werden soll.

„Es ist jedenfalls ein Fehler, die durch die Ukraine führenden Pipelines langsfristig abzuschreiben.“

Ein Hinweis darauf, daß in der Ukraine selbst wieder Interesse an dieser Art von Gasversorgung entstehen könnte – erstens wegen des eigenen Bedarfs als auch wegen der Transitgebühren.

„Die Ukraine bleibt auf der Gas-Landkarte

Da der kürzeste Weg von Rußland nach Ungarn über die Ukraine führt und diese Pipeline auch ausgebaut ist, liegt es auf der Hand, langfristig über unser östliches Nachbarland zu importieren. Diese Möglichkeit kann man nicht einfach deshalb vom Tisch fegen, weil die Lage im Augenblick anders ist.
Die Ukraine hat angekündigt, ab dem 1. Jänner 2025 kein einziges russisches Gasmolekül mehr Richtung Westen zu transportieren.

Für die Wiederherstellung des Gastransits durch die Ukraine spricht, daß das russische Gas, das über TurkStream und den Balkan bezogen wird, einen viel längeren Weg zurücklegen muß und auch auf dieser Route politische Risiken in Zukunft nicht ausgeschlossen sind.
Außerdem kam über die Ukraine früher nicht nur das Gas, das über langfristige Verträge geliefert wurde, sondern auch kurzfristig erworbenes Gas zu Marktpreisen.

Die Handelsfirma kennt man, aber man weiß nicht immer, wo das Gas aus der Erde geholt wurde

Die Gas-Alternativen haben gemeinsam, daß ihr Ursprung der Öffentlichkeit nicht immer bekannt ist.“

Der Öffentlichkeit vielleicht nicht, aber dem Käufer anscheinend schon …

„Von Fall zu Fall kennen wir die Länder, aus denen es kommt, die LNG-Terminals, die Pipelines, aber der Verkäufer ist nicht unbedingt identisch mit dem Produzenten.“

Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts.

„Die zwischen den beiden bestehende Geschäftsverbindung legen sie nicht immer offen, zunächst aus geschäftlichen Gründen, aber natürlich besonders in Zeiten der Sanktionen, wo man leicht in den Verdacht geraten kann, die Sanktionen verletzt zu haben. Wie zum Beispiel jetzt. Das ist allerdings derzeit vor allem auf dem Ölmarkt zu beobachten.“

Die Verdächtigen beim Gastransport sind derzeit überschaubarer, weil nur einige Produzenten auch Verflüssigungsanlagen für das Gas haben. Das sind die USA, Rußland, Katar, Australien.
Kanada steigt gerade in den LNG-Markt ein. China verbraucht mehr Gas als es erzeugt, ist also kein Gasexporteur und der Iran hat keine Anlagen zur Verflüssigung von Erdgas.
Saudi-Arabien hat relativ geringe Kapazitäten für LNG, aber ähnlich wie beim Öl nutzt es die Sanktionen gegen Rußland mit Freude, um LNG aufzukaufen und mit dem Ettikett »Made in Saudi Arabia« auf dem Weltmarkt zu verkaufen. Gaswäsche vom Feinsten. Wenn nicht heute, so sicherlich morgen.
So wäre denkbar, daß ein unter der Flagge von Panama fahrendes Schiff offiziell Flüssiggas aus Saudi-Arabien auf die Insel Krk in Kroatien bringt, das vorher im russischen Norden dieses Flüssiggas geladen und dann an Saudi-Arabien weiterverkauft hat.

„Man muß auch ohne russisches Erdöl leben können

Hoffentlich kommt bald wieder das Öl von Lukoil nach Ungarn, das die MOL bestellt hat, das aber die Ukraine seit Juli nicht mehr nach Ungarn durchläßt. Diesbezüglich laufen Verhandlungen.“

Es geht natürlich – surprise, surprise – um Geld.

„Obwohl im Augenblick 2 andere russische Ölfirmen diese Lieferungen von Lukoil nach Ungarn ersetzen, kann der derzeitige Zustand nicht lange aufrechterhalten werden, weil
die Ukraine die MOL zwingen kann, mit diesen anderen 2 Firmen einen Vertrag abzuschließen, durch den die Ukraine zu höheren Transitgebühren kommt als beim bisherigen Vertrag zwischen MOL und Lukoil.

Obwohl die Ukraine angekündigt hat, ihre Öl-Transitverpflichtungen bis 2029 wahrzunehmen, weiß man nicht, was nachher geschehen wird. Das russische Erdöl fließt durch Kriegsgebiet, was mit Risiken verbunden ist.
Die EU erwartet, daß Ungarn bis 2027 völlig auf russisches Erdöl verzichtet. Allein um der erwähnten Risiken willen ist es im Interesse Ungarns, seine Erdölversorgung zu diversifizieren, um seine Importabhängigkeit zwischen mehreren Importeuren aufzuteilen.“

Auch da läßt sich sicher mit Hilfe Saudi-Arabiens oder Indiens etwas drehen, was natürlich mit Mehrkosten verbunden ist.
Vor allem aber: Wie kommt das Öl ins Land? Ungarn hat keine Häfen und außer der Druschba-Pipeline gibt es wenig andere Ölleitungen in Europa, in Ungarns Nähe schon gar nicht.
Als einzige andere Route bleibt die Adria-Pipeline, die ebenfalls von der Insel Krk nach Ungarn und nach Serbien führt. Dorthin müßte das Öl auch per Tanker kommen, was natürlich die ganze Sache verteuert.

„Es ist einfach, Erwartungen zu hegen

Dieser Umstieg ist jedoch keine rein kommerzielle Entscheidung. Die Raffinerie in Százhalombatta (DuFi, Ungarns einzige Raffinerie) muß dafür eingerichtet werden, anderes Erdöl als das russische zu verarbeiten. Das ist zu 35% bereits geschehen, das nicht-russische Öl kommt aus Kroatien über die Adria-Pipeline. In der Tat, die Betreiberfirma dieser Pipeline, JANAF gibt an, den gesamten Bedarf Ungarns und der Slowakei durch diese Pipeline decken zu können,
aber das Versprechen taugt wenig, solange die beiden Raffinerien (DuFi und die slowakische Slovnaft bei Bratislava) nicht mit voller Kapazität das nicht-russische Erdöl verarbeiten können.

Ende 2025 sind die beiden Raffinerien soweit

Es wird nicht an die große Glocke gehängt, woher die MOL das nicht-russische Erdöl bezieht. Es ist jedoch bezeichnend, daß für die Ölgesellschaft die indische Notierung des russischen Ural-Öl-Rabattpreises maßgeblich ist. Das gab Tamás Pletser, der führende Analyst für den Gas- und Ölmarkt bei der Erste Bank, in einem Gespräch nach dem Kurzbericht der MOL bei der zweiten Vierteljahressitzung an. Hier ist daran zu erinnern, daß Indien nicht als Produzent, sondern als Handelspartner auf dem Ölmarkt aktiv ist.“

Also russisches Öl in indischer Vermittlung.
Indiens Raffinerien kaufen russisches Rohöl auf, verarbeiten es weiter und Ungarn kauft es – wie viele andere europäische Abnehmer – von dort ein. Dann kommt es mit Tankern – rund um Afrika, weil der Suezkanal und das Rote Meer werden aufgrund der Kriegshandlungen von Tankern inzwischen ziemlich gemieden – an die Adria und dort wird das Öl in die kroatische Pipeline eingefüllt.
Nach Indien kommt es übrigens auch auf verschlungenen Wegen, nämlich ausschließlich übers Meer – aus dem Schwarzen Meer, der Ostsee und den Häfen des Fernen Ostens.
Der Ukrainekrieg und die Sanktionen haben den Tankerverkehr in die Höhe katapultiert. Jedes Gerede von klimafreundlichen Maßnahmen wirkt vor diesem Hintergrund lächerlich.

Das Öl, das aus indischen Raffinerien herauskommt, ist offenbar anders beschaffen als dasjenige, was direkt durch die Pipeline ankam, obwohl beides aus Rußland stammt.

„Außerdem ist bekannt, daß im Vorjahr (also 2023) 630.000 Tonnen Erdöl aus Kasachstan kamen. Das gab Péter Szijjártó im November 2023 bekannt. Man hört auch Gerüchte darüber, daß die MOL im arabischen Raum einkauft.
Bei diesem Gespräch (mit Pletser bei der MOL-Sitzung) wurde gesagt,
daß die MOL ab Ende 2026 bereit ist, beide große Raffinerien (DuFi und Slovnaft) über das Meer zu versorgen.

Die Frage ist, ob Ende 2025, wie in der Überschrift behauptet, oder Ende 2026. Bis dahin muß es das Öl offenbar weiter zumindest teilweise über die Druschba-Pipeline beziehen, ukrainische Ansprüche hin oder her.

„Die dafür notwendigen 500 Millionen Dollar begleicht sie aus Eigenmitteln.“

Interessant, daß der Preis in Dollar angegeben wird.
Das wirft einen Schatten auf die Gültigkeit des Euro in der EU.

„Das russische Öl wurde nicht nur politisch riskant, sondern seine Lieferung unterliegt aufgrund des Krieges auch materiellen Risiken.“

Allerdings gilt das für die Tanker inzwischen auch.
Erstens wegen Krieg und Piraterie, zweitens auch wegen des schlechten Zustands vieler der schnell wieder in Betrieb genommenen zusätzlichen Tanker auf den Weltmeeren.

Die Aktionäre nahmen auch zur Kenntnis, daß der Umbau der Raffinerien aus Eigenmitteln und der Kauf von nicht-russischem Öl und Gas, das bedeutend teurer ist, die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens schädigt.“

MOL ist eine staatliche Firma, die auch einen Versorgungsauftrag hat.
So wie in anderen Staaten der EU belastet die Subventionierung der Energie-Infrastruktur den Staatshaushalt.
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Die in Grau gehaltenen Teile sind Begriffe und Tatsachen, die ich hervorheben will.
Die blau gehaltenen Sätze sind Dinge, die entweder der Verfasser oder der Redakteur des ursprünglichen ungarischen Artikels hervorheben will.

Pinnwand zu heißen Themen 4

IMPERIALISMUS, NATIONALISMUS, AUSLÄNDERPOLITIK, PROPAGANDA GEGEN DEN ISLAM UND FÜR „GUTE“ ISLAMISTEN, WAHLEN, DER KRIEG ALS NORMALITÄT, USW.

Mir ist aufgefallen daß es schon ewig keine allgemeine Rubrik gibt, bei der man alles mögliche posten kann, weshalb manche Posts auch an etwas unpassenden Stellen landen.

Also bitte alles, was sonst nirgends hinpaßt, hierher damit.

Serie „Lateinamerika heute“, Teil 22: Paraguay

PARAGUAY: LAND DER SOZIALEN EXPERIMENTE

Das Gebiet des heutigen Paraguay enthält bis heute keine besonderen Bodenschätze, die in der Kolonialzeit den Hunger der Eroberer hätten wecken können.

Allerdings ist der Paraná schiffbar und ebenso der Rio Paraguay, der in der Nähe der heutigen argentinischen Stadt Corrientes in den Paraná mündet. In einer Zeit, als die Flüsse die Haupt-Verkehrsadern waren, hätte diese Schiffahrtsroute die Feinde Spaniens bis in die Nähe der heutigen bolvianischen Grenzstadt Puerto Suárez und auf anderen Wasserwegen oder auf dem Landweg weiter bis zu den Silberminen von Potosí und den restlichen Bergbauzentren der Andenkette bringen können.

Es hatte also strategische Beutung und wurde auf eigenartige Weise zu einer Art Militärgrenze des Spanischen Kolonialreiches.

Das erste Experiment waren die jesuitischen Reduktionen

Die spanischen Könige waren daher durchaus kooperativ, als die Jesuiten den Vorschlag machten, dieses wirtschaftlich uninteressante, aber strategisch wichtige Gebiet mit ihren Missionen zu besiedeln. Die Jesuiten bedungen sich für ihre Missionen die Befreiung ihrer indigenen Missionierten von der Encomienda aus, der offiziellen Erlaubnis der Eroberer zur Versklavung der einheimischen Bevölkerung.

Außerdem unterstanden sie direkt der spanischen Krone und nicht den verschiedenen Verwaltungseinheiten des Spanischen Kolonialreiches.

Die Missionen erhielten auch die Erlaubnis, sich zu bewaffnen und gegen Eindringlinge zu verteidigen. Sie stellten sogar bewaffnete Milizen, mit denen Rechte der Krone gegen gierige Kolonialbeamte verteidigt, oder Einfälle anderer, nicht bekehrter Indianerstämme abgewehrt wurden. Die Verteidigung gegen die Sklavenjäger aus Brasilien war der wichtigste Beitrag zum Schutz der spanischen Grenzen und die Grenzen der Nachfolgestaaten verlaufen oftmals entlang dieser jesuitischen Missionen.

Die Jesuiten gingen, ihr Erbe blieb: Paraguay ist zweisprachig – Spanisch und Guaraní – und die Harfe ist das beliebteste Musikinstrument Paraguays.

Das zweite Experiment: Unabhängigkeit = Autarkie

In den Jahren von 1811 bis 1816 gab es einige mißglückte Versuche, die politischen Eliten von Asunción der Oberhoheit von Buenos Aires zu unterwerfen. Dazu kamen Machtkämpfe unter den Eliten Asuncions, die durch die Wahl von Gáspar Rodríguez de Francia zum Diktator beendet wurden. Er herrschte dann diktatorisch bis zu seinem Tod 1840.

Die argentinischen Provinzen und die argentinischen Regierungen versuchten die Regierung in Asunción durch Blockade weichzuklopfen. Das betraf vor allem den wichtigen Wasserweg des Paraná. Darauf reagierte Paraguay mit verstärkter Abschottung. So schaukelte sich die Sache zu einer außenpolitischen Isolation und wirtschaftlichen Autarkie auf.

Es ist im Nachhienein nicht mehr eindeutig festzustellen, wie sehr sich das politische System Paraguays aus den Vorstellungen des Diktators oder als schrittweise Reaktion auf die Feindseligkeiten des Auslands entwickelte. Die gesamte Wirtschaft Paraguays wurde umgekrempelt, um die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Das Bemerkenswerte dabei ist: Es gelang.

Aller Grund und Boden wurde verstaatlicht: Die Haciendas der Großgrundbesitzer und auch die Ländereien der Kirche. Die Bauern erhielten Land zur Verfügung, aber nicht im Eigentum. Später wurden Staatsfarmen gegründet, wo die großen Viehbestände verwaltet wurden. Aussaat und Ernte wurden kontrolliert und dafür gesorgt, daß für alle genug da war. Beamte, so auch Priester oder Lehrer, wurden teilweise in Lebensmitteln bezahlt. Überhaupt spielte Geld eine geringe Rolle, da die Bauern eine Art Subsistenzwirtschaft betrieben und wenig Bedarf nach käuflichen Waren hatten. Paraguay hatte jahrzehntelang keine eigene Währung. Für den Außenhandel genügten die Währungen der Nachbarstaaten, im Inneren wurde spanisches Münzgeld verwendet, dessen Ausfuhr verboten war.

Es wurde eine Art Außenhandelsmonopol eingerichtet. Die privaten Kaufleute hatten wenig zu lachen und wurden entweder ins Gefängnis geworfen oder in den Ruin getrieben. Nur an bestimmten Grenzübergängen durften Waren aus- und eingeführt werden, unter strikter Kontrolle von Grenzbeamten.

Unter Rodríguez de Francia erblühte das Handwerk und es kam zu einer bescheidenen Art der Versorgung mit dem Nötigsten.
Die Erziehung wurde verstaatlicht, alle sollten Lesen und Schreiben lernen – von höherer Bildung hielt er wenig und auch der Import von gedruckten Publikationen unterlag einer strengen Kontrolle.

Nach dem Tod von Rodríguez de Francia nahm sein Nachfolger López einige Maßnahmen vor, die Paraguay als Staat etablierten: So wurde formell eine Staatsgründung verkündet, eine Fahne und ein Wappen geschaffen und erste außenpolitische Gehversuche gemacht, um diplomatische Beziehungen zu anderen, vor allen den benachbarten Staaten zu etablieren. Im Inneren wurde schließlich eine Art Verfassung durch das „Gesetz der öffentlichen Verwaltung“ erlassen, in dem eine Art Parlament, Rechte und Pflichten der Bürger und ein Präsident festgesetzt wurden.

Eine Druckerei wurde gegründet, die eine Regierungszeitung druckte, um durch ein öffentliches publizistisches Organ den Unabhängigkeitsanspruch Paraguays zu untermauern, zu Hause und im Ausland.

Während unter Rodríguez de Francia vor allem das Territorium zwischen dem Río Paraguay und dem Paraná besiedelt war und verwaltet wurde, wendete sich die Regierung unter López dem Chaco zu, der praktisch unerschlossen und von spärlichen indigenen Stämmen besiedelt war. Versuche, den Chaco mit Hilfe ausländischer Siedler zu erschließen, schlugen jedoch fehl.
Unter der Regierung von López wurde eine Gießerei gegründet und verschiedene Manufakturen ins Leben gerufen. Er versuchte, ausländische Experten ins Land zu locken und schuf auch ein System von Stipendien, um die bescheidenen Erziehungsanstalten Paraguays durch den Besuch paraguayanisher Studenten in ausländischer Bildungsinstitutionen zu ergänzen.

Während Bolivien und Brasilien die Unabhängigkeit Paraguays 1843 und 1844 anerkannten, weigerte sich Argentinien, dies zu tun, mit dem erklärten Ziel, die vermeintlich abtrünnige Provinz dem argentinischen Staatsverband einzugemeinden, so oder so. Uruguay erkannte 1845 Paraguay als unabhängigen Staat an.
Nach Interventionen von Großbritannien und den USA und verschiedenen Alianzen zwischen Nachbarstaaten und Provinzgouverneuren Argentiniens wurde der argentinische Diktator de Rosas gestürzt und Paraguay schließlich 1852 auch von Argentinien anerkannt. Darauf folgten auch die Anerkennungen durch England und Frankreich.

Alle diese Versuche der Öffnung und der internationalen Kooperation riefen jedoch Reibereien mit den europäischen Mächten und den USA hervor, die die Anerkennung als Freibrief für Einmischung betrachteten und versuchten, sich Paraguay über den Paraná als Markt zu erschließen und kommerzielle und militärische Stützpunkte in Paraguay zu gründen, – sich also dort als Macht in Form von Stützpunkten festzusetzen.
Es stellte sich heraus, daß die Feindseligkeiten seitens des argentinischen Caudillos de Rosas ein Schutz für Paraguay gewesen waren, der Paraguay gegenüber den imperialistischen Mächten Europas und den USA abgeschirmt hatte.

Als Carlos López 1862 verstarb, sah sich sein Sohn, der sich zu Lebzeiten seines Vaters als militärischer Arm der Regierung betätigt hatte, bereits mit bedeutenden außenpolitischen Schwierigkeiten konfrontiert.

Paraguay hatte sich zu einem Störfall im Süden Lateinamerikas entwickelt. Das Beharren der paraguayischen Politker auf einer eigenständigen Entwicklung beunruhigte die imperialistischen Mächte und die Eliten der Nachbarstaaten.

Paraguay behinderte die Allianzen zwischen England und den liberalen Eliten Argentiniens und Brasiliens, vor allem durch sein Beispiel der Abschottung, auf die seine Politiker immer wieder zurückgriffen. Die Erpressung mit Blockaden funktionierte nicht, das Land war autark und konnte sich selbst versorgen.

Die Geschichte der Gründung Paraguays ist ein Lehrstück über den Imperialismus in nachkolonialer Zeit. Und über Staatsgründungen überhaupt.

Jeder Staat ist nur so viel wert, als er sich erhalten und seine Grenzen verteidigen kann. Dafür benötigt er eine Wirtschaft, die das ermöglicht, also ihre Bewohner ernähren und sonstwie versorgen kann. Und ein Zusatzprodukt erzeugen kann, das eben die Rüstung und die Erhaltung einer bewaffneten Truppe ermöglicht.

Die Politiker des jungen Paraguay wußten das. Diese Einsicht ist bemerkenswert angesichts der Entwicklungen in der jüngeren Vergangenheit, wo verschiedene Politiker gerne „Unabhängigkeit!“ ausrufen, um sich dann schnell von einer Abhängigkeit in die andere zu begeben.

Schluß mit lustig: Der Krieg des Dreibundes gegen Paraguay

Das Problem Paraguays war Gegenstand in den Parlamenten der USA und Großbritanniens. Beide Staaten hatten Bürger entsandt, teilweise in Absprache mit der Regierung in Asunción, die sich in Paraguay breitzumachen versuchten und in Folge von der Regierung in Asunción hinausgeworfen worden waren.

Der Vorwand für die Kriegserklärung war der Eingriff Paraguays in politische Querelen in Uruguay und eine Invasion paraguayischer Truppen in Brasilien, aber das war nur der Funke, der den schon lange vorbereiteten Scheiterhaufen entfachte.

Zu all dem kam eine inzwischen relativ einflußreiche paraguayische Diaspora, die sich vor allem in Buenos Aires breitgemacht hatte – enteignete Großgrundbesitzer, vertriebene Kaufleute, u.a.

Am 1. Mai 1865 wurde in Buenos Aires – im Geheimen – der Vertrag des Dreibunds gegen Paraguay unterzeichnet. Darin wurden gegen Paraguay Reparationen für alle Schäden des Krieges festgelegt. Außerdem sollte alle Kriegsbeute – die Plünderung Paraguays wurde also hiermit geplant – und alle Waffen Paraguays unter die Sieger aufgeteilt und alle Befestigungen Paraguays zerstört werden.

Im Zuge der Mobilisation kam es zu massiven Desertionen, vor allem in Argentinien, weil sich die Soldaten weigerten, sich an diesem Feldzug gegen Paraguay zu beteiligen. Während des Feldzuges starben unzählige Soldaten aller Armeen an der Cholera. Genaue Zahlen sind nicht bekannt. Alle Versuche, einen Friedensschluß zu erreichen, scheiterten, weil sich die Invasoren ihrer Überlegenheit bewußt waren.
Im Jänner 1869 wurde Asunción erobert, geplündert und gebrandschatzt. Von der Hauptstadt Paraguays blieben rauchende Trümmer.

Der Krieg dauerte vom Juni 1865 bis zum März 1870. Die letzten Reste der paraguayischen Truppen, geführt von López Solano, wurden an der Grenze zu Brasilien niedergemacht.

Paraguay wurde zunächst zu einer Provinz Brasiliens erklärt. Dieser Zustand dauerte bis 1876. Paraguay wurde nur deshalb als Staat wiederhergestellt, weil die anderen Beteiligten (Argentinien und die USA bzw. die europäischen Mächte) an einer territorialen Erweiterung Brasiliens nicht interessiert waren.

Die Schätzungen des Bevölkerungsverlustes durch diesen Krieg reichen von einem Viertel bis 3 Viertel der Bevölkerung – durch Kriegsgeschehen, Seuchen und Emigration.

Das vorher bereits keineswegs dicht besiedelte Paraguay wurde jedenfalls durch diesen Krieg massiv entvölkert. Die männliche Bevölkerung reduzierte sich weitaus stärker als die weibliche, was sich auf die spätere Reproduktion negativ auswirkte. Die Bevölkerung Paraguays fiel angeblich – nach der Enzyclopedia Britannica von 1.337.439 Bewohnern (angebliche Volkszählung von 1857) auf 28.746 Männer, 106.254 Frauen über 15 Jahre und 86.079 Minderjährige unter 15 – d.h., auf 221.079 Personen.

Was immer die unter den Historikern umstrittenen Zahlen betrifft – Paraguay war erledigt.
Bis heute hat sich dieses Land nicht mehr von dieser Zerstörung erholt.

Paraguay ist hier ein weiteres Lehrstück über den Imperialismus, wie er nach dem Ende der Kolonialmächte von ebendiesen eingerichtet wurde. Die sogenannte „Entlassung in die Unabhängigkeit“ richtete nur andere Abhängigkeiten zwischen ehemaligen Mutterländern und Kolonien ein.

Es gibt keine „friedliche Koexistenz“ zwischen Staaten, wie sie von Vertretern des Völkerrechts, von den Politologen und sonstigen Vertretern der modernen Staatensysteme vorgegaukelt wird. Die der Herrschaft des Kapitals verpflichteten Staaten Europas und der USA dulden keine Abweichungen vom System des Privateigentums, der Klassengesellschaft und des Profits. Auch ihre Nachahmer und inzwischen auch erfolgreichen Konkurrenten sind in dieser Frage genauso unterwegs.

Das sieht man an Paraguays Schicksal: Die frischgebackenen neuen Staaten Lateinamerikas hatten die Kolonialmächte als Vorbild. Sie wollten durch die Unabhängigkeit genauso erfolgreich werden wie diejenigen Staaten, die sie einst kolonisiert hatten. Die kreolischen Eliten maßen sich an den europäischen und versuchten es ihnen gleichzutun.

Die Einwanderung – weitere Experimente

Das zerstörte und entvölkerte Land fand nach einigen Wirren unter Überlebenden und Emigranten zu einer neuen Führung. Paraguay blieb als eigener Staat nur deshalb bestehen, weil keiner der beteiligten Staaten, auch in Europa und den USA, Brasilien oder Argentinien einen solchen Zuwachs zugestehen wollte.

Noch unter der brasilianischen Oberhoheit und auch später herrschte darüber Konsens bei den Regierenden, daß man unbedingt Einwanderer anlocken mußte, um wieder so etwas wie eine Besiedlung, eine Bevölkerung und eine Wirtschaft zustande zu bringen.

Dazu kam, und das bestimmte bzw. behinderte im Weiteren die Einwanderungspolitik, daß der verlorene Krieg auch eine andere schwerwiegende Folge gehabt hatte, nämlich die Einführung des Privateigentums.
Unter de Francia und den Solanos war aller Grund und Boden staatlich gewesen. Der aus der spanischen Kolonialzeit übernommene Großgrundbesitz und alle mit ihm einhergehenden Besitztitel waren für nichtig erklärt worden.
Nach 1870 ging ein Wettlauf los, wo sich Bürger der Siegerstaaten oder aus dem Exil heimgekehrte Paraguayer Besitztitel auf Land sicherten, das sie oftmals gar nie gesehen hatten. Es fand ein Ausverkauf derjenigen Gegenden statt, die irgendwann einmal besiedelt gewesen waren, in der Nähe von Flußläufen und Straßen lagen und irgendwie erreichbar waren.

All diese solchermaßen verscherbelten Gründe mit unklaren Grenzen oder Ausmaßen lagen jedoch östlich des Rio Paraguay – der Chaco blieb weiterhin mehr oder weniger Niemandsland. 

1872 wurde ein Einwanderungsamt eingerichtet, 1881 ein Einwanderungsgesetz erlassen und alles Mögliche angeboten, Landzuteilungen und Hilfen aller Art, meistens ohne jegliche Grundlage. Es war vielen anvisierten Siedlern klar, daß hier das Blaue vom Himmel versprochen wurde und nichts dahinter war. Paraguay hatte noch dazu den Nachteil, schwer erreichbar zu sein. Die Siedler tröpfelten eher, die Sache kam nicht recht voran.

Nietzsches Schwester und ihr Mann gründen eine antisemitische Kolonie

Nach Vorarbeiten seit 1883 traf 1886 eine Gruppe von Siedlern ein, die von der Schwester Friedrich Nietzsches, Elisabeth, und deren Mann, Bernhard Förster, angeführt wurden. Das Ziel dieser Gruppe war, eine judenfreie deutsche Kolonie im paraguayischen Dschungel zu gründen.
Warum sich die Försters ausgerechnet Paraguay aussuchten, ist vermutlich eine Reihe von Zufällen geschuldet. Der Umstand, daß Bernhard Förster auch noch an diesem Projekt festhielt, nachdem er sich auf einer Reise dort umgesehen hatte, ist im Nachhinein schwer zu begreifen.

Vermutlich dachten die Betreiber dieser antisemitischen Kolonie, daß ihr Projekt nur in einem Land gedeihen könnte, wo sich mit ziemlicher Sicherheit noch keine Juden angesiedelt hatten, weil es hier einfach nichts gab, womit ein Kaufmann oder Bankier Geschäfte machen konnte.

Erst nach der Ankunft der ersten Gruppe von Einwanderern stellte sich heraus, daß das anvisierte Land jemandem gehörte. Dieser Umstand war vorher offenbar weder den Behörden noch den Kolonisten bekannt gewesen.
Einerseits wollte niemand diesen Besitztitel überprüfen – mit gutem Grund –, andererseits sollte daran das Kolonisierungsprojekt nicht scheitern.
Eine Lösung wurde gefunden, derzufolge der paraguayische Staat das Land kaufte und die Försters einen Kredit aufnahmen, um dieses Geld abzuzahlen. Bevor ihr Projekt also überhaupt erst in die Gänge gekommen war, hatten sie sich bereits mit einem Kredit belastet. Findige Bankiers – in Asunción oder einem Nachbarland? – hatten sich mit der Einwanderung ein Geschäftsmittel erschlossen.

Die einzige Möglichkeit, sich aus der Affäre zu ziehen, bestand für die Försters darin, neue Siedler anzuwerben. Sobald sie innerhalb bestimmter Fristen erfolgreich wären, so würde ihnen der Kaufpreis erlassen, so lautete die Zusicherung des Einwanderungsministeriums.
Deswegen begannen sie eine Werbekampagne in deutschen Zeitungen, die aber erstens nur mägig erfolgreich war, und zweitens durch einen unzufriedenen Heimkehrer durch verschiedene Artikel in deutschen Zeitungen als Lüge und Humbug bezeichnet wurde.

Das Projekt war diskreditiert, Förster beging 1889 Selbstmord, seine Frau kehrte nach Deutschland zurück. Die Kolonie prosperierte nie. Später soll sich Josef Mengele eine Zeitlang unter einem falschen Namen in der Kolonie aufgehalten haben …

Mehr Erfolg war einer Gruppe von Einwanderern im 20. Jahrhundert beschieden, den Mennoniten.

Der Chaco und die Mennoniten

Die Mennoniten sind eine prostantische Glaubensgemeinschaft, die im 16. Jahrhundert im Zuge der Reformation im heutigen Grenzgebiet zwischen Deutschland und Holland entstand.
Sie verließen oftmals in geschlossenen Gruppen ihre Wohnorte und sahen sich nach neuen Siedlungsgebieten um. Ein Grund dafür war der reiche Kindersegen dieser frommen Menschen, der ganze Generationen zur Auswanderung veranlaßte. Andere Gründe waren in den jeweiligen Staaten erlassene Gesetze bezüglich Schulpflicht oder Wehrdienst.

So zogen große Gruppen im 17. Jahrhundert nach Rußland, weil die deutschstämmige Zarin Katharina die Große gezielt deutsche Siedler einlud, um die neu eroberten Gebiete Neurußlands (in der heutigen Ukraine) zu besiedeln.

Die ersten mennonitischen Aussiedler aus Rußland wanderten im 19. Jdh. in die USA und nach Kanada aus, weil Rußland 1874 eine allgemeine Wehrpflicht eingeführt hatte. (Das z.B. in Preußen übliche System des Freikaufs wurde in Rußland nicht geduldet.) Ihnen folgten nach dem russischen Bürgerkrieg ab 1922 Wellen von Mennoniten aus der Ukraine, die während des Bürgerkrieges bedrängt und verfolgt worden waren und denen ihre neue kommunistische Umgebung nicht geheuer war.

Aus Kanada wiederum wanderten viele von ihnen aus, weil Kanada in den 20er Jahren die allgemeine Schulpflicht einführte und die mennonitischen Kinder aus ihren Bibelkreisen herausholen und mit der Landessprache Englisch vertraut machen wollte.
So kamen die ersten mennonitischen Siedler 1927 in den Chaco, weil Paraguay in seinem Hunger nach Einwanderung, aber auch aus einer allgemeinen Gleichgültigkeit gegenüber der eigenen Bevölkerung weder Wehr- noch Schulpflicht von ihnen verlangte.

Die nächste große Welle mennonitischer Siedler kam 1929-30, sie flüchteten vor der Kollektivierung in der Sowjetunion.

Als die Mennoniten in den 20-er Jahren des 20. Jahrhunderts aufkreuzten, war auch der Chaco nicht mehr ganz Niemandsland.
1883 hatte eine argentinische Firma, die zum Zwecke des Handels mit dem Holz des Quebracho-Paums eine Eisenbahn in den Chaco gebaut hatte, sich Besitztitel von 6,5 Millionen Hektar im nordöstlichen Teil des Chaco gesichert.

Der Grund, den die Firma besaß, war nichts wert, solange niemand den Chaco besiedeln wollte. Also war die Firma an Siedlern interessiert.
Die Eisenbahn diente den mennonitischen Siedlern für ihre Erkundungsfahrten in den Chaco und war von entscheidender strategischer Bedeutung im Chaco-Krieg 1932-35, der auch als der „Krieg der nackten Soldaten“ in die Geschichte eingegangen ist, weil keiner der beiden Staaten genug Geld für die nötige Ausrüstung seiner Streitmacht hatte und diese entsprechend zerlumpt daherkam.

Die Besiedlung durch die Mennoniten ereignete sich vor und während des Krieges um den Chaco und war ein weiterer Faktor, warum der paraguayische (nördliche) Chaco bei Paraguay landete, obwohl Bolivien ihn aus rein strategischen Gründen – Zugang zum Rio Paraguay – ebenfalls beanspruchte.

Der Chaco-Krieg hatte sich lange angekündigt und war aber nie bis zu offenen Kampfhandlungen ausgeartet.
Es bedurfte der ersten Anfänge der Besiedlung, um die Sache wirklich heiß werden zu lassen. Der paraguayische Präsident war bis zum ersten Kriegstag ein ausgesprochener Pazifist gewesen. Die Mennoniten wollten mit Krieg nichts zu tun haben und waren deshalb nach Paraguay gekommen.

Unter diesen eigentlich absurden Umständen führte der Krieg zu einem wirtschaftlichen Aufschwung im paraguayischen Chaco: Die Mennoniten konnten ihre landwirtschaftlichen Produkte an das Militär verkaufen, die paraguayischen Soldaten lernten diese bislang ziemlich unauffälligen Siedler kennen und schätzen, die Verkehrswege belebten sich, Straßen entstanden und die Grundlage für weitere Besiedlung war geschaffen.

Die nächsten mennonitischen Siedler kamen als Flüchtlinge des 2. Weltkrieges, auch meistens ursprünglich aus der Sowjetunion. Manche hatten in der Wehrmacht gedient und waren auch deshalb daran interessiert, möglichst weit weg von sowjetischen Behörden zu kommen.

So unwirtlich auch der nördliche Chaco sein mag – die Mennoniten haben ihn erschlossen.
Beinahe der gesamte paraguayische Chaco ist mit Feldern übersät. Dem Wassermangel begegneten die Mennoniten durch Reservoire, die das Regenwasser während der durchaus heftigen Regenzeit auffangen und dann in geschlossenen Tanks speichern.
Sie führten in Paraguay die Milchwirtschaft ein. Fast die gesamte Milchproduktion Paraguays stammt aus den mennonitischen Kolonien des Chaco.

Paraguay unter Stroessner

Unter der 35 Jahre lang – von 1954 bis 1989 – andauernden Diktatur von Alfredo Stroessner spielte Paraguay eine bedeutende Rolle bei der Kommunismusbekämpfung in Lateinamerika im Rahmen der Operation Condor der USA. Paraguay konnte sich als eine Art verläßliche Basis und Ausgangspunkt für verschiedene Aktionen des CIA, der Militärs und der Geheimdienste der Nachbarstaaten etablieren.

Stroessner baute einerseits auf die Traditionen Paraguays, denen Diktatur als Staatsform nicht fremd war, machte aber nie den Fehler De Francias oder der beiden López’, sich in seiner Politik gegen die Weltmächte zu stellen. Seine bedingungslose Kooperation mit den USA sicherte ihm eine lange und ungestörte Regierungszeit. Auch verschiedene höhere Chargen des Nationalsozialismus, die es über die Rattenlinien nach Lateinamerika geschafft hatten, wurden in Paraguay willkommen geheißen und konnten in Paraguay Karriere machen.

Auch hier knüpfte Stroessner an paraguayische Traditionen a la Foerster-Nietzsche an und warb gerade in Deutschland und gerade unter Leuten mit unschönem Lebenslauf Einwanderer an, denen er aus dem immer noch in staatlichem Besitz befindlichen Landflächen einiges zu günstigen Preisen veräußerte, um ihnen eine Existenz zu ermöglichen.
Ähnlich gelang es ihm, für seinen Gewaltapparat Leute zu rekrutieren. Stroessner regierte Paraguay im Ausnahmezustand, den er bald nach seiner Machtübernahme verhängt hatte. Folter, Mord und das Verschwinden mißlieber Personen war an der Tagesordnung. Das richtete sich nicht nur gegen politisch Verdächtige, sondern auch gegen Indigene, die im Weg waren.
Abgerüstete Soldaten wurden mit billigem Land belohnt. So sicherte er die Loyalität des Militärs, von denen viele eine Ausbildung zur „Aufstandsbekämpfung“ in der School of the Americas durchlaufen hatten.
Für die ganz groben Sachen bediente er sich der Paramilitärs der Colorado-Partei, die er zur Staatspartei erhoben hatte.

Es ist unbestreitbar, daß Stroessners Amtszeit einen wirtschaftlichen Aufschwung für Paraguay gebracht hat: Straßen wurden gebaut, die Infrastruktur überhaupt wurde modernisiert. Die beiden großen, hauptsächlich von den beiden Nachbarn gebauten und genutzten Staudämme und Wasserkraftwerke am Paraná, Itaipú und Yacyretá, gehen auf die Regierungszeit Stroessners zurück. Auch die Einwanderer brachten Geld mit und veranlaßten wirtschaftlichen Aufschwung.
Viel von den notwendigen Mitteln soll ihm dafür auf US-Zuruf von IWF und Weltbank zur Verfügung gestellt worden sein, zu sehr günstigen Bedingungen.

Bei all diesen guten Diensten ist es zumindest verwunderlich, daß die USA eines Tages doch genug von diesem nützlichen Diktator hatten.

Das hatte seinen Grund in der veränderten internationalen Situation. Unter Gorbatschow wurden im Versuch, sich der Feindschaft der USA zu entziehen, viele Zugeständnisse gemacht. Nach dem Ende der Militärdiktaturen des Cono Sur wurde auch Stroessners Paraguay überflüssig und unzeitgemäß. Die Kürzung der Militärhilfe und anderer Unterstützungen aus den USA traf die Wirtschaft Paraguays. Daher ist es nur angemessen, daß sich genau aus seiner Umgebung einige gegen ihn erhoben und seiner Herrschaft 1989 ein Ende setzten.

Auch Stroessner hat ein Erbe hinterlassen: Seine Einheitspartei, das Partido Colorado, regiert mit einer Unterbrechung Paraguay bis heute und läßt sich regelmäßig bei Wahlen bestätigen.

Paraguay heute

Das politische System Paraguays ist einfach und wirksam: Das Partido Colorado hat alles im Griff, und wird auch bei Wahlen immer stärkste Partei, ungefährdet von den anderen. Dafür hat der Präsident nur eine Amtszeit von 5 Jahren.
So ist gleichzeitig Abwechslung und Kontinuität sichergestellt. Die Kontinuität wird durch ein auf Abhängigkeiten beruhendes Wahlsystem sichergestellt.

Der einzige Unfall in dieser prästabilisierten Harmonie ereignete sich 2008, als der Geistliche und Anhänger der Befreiungstheologie Fernando Lugo mit Hilfe einer sehr breiten Regierungskoalition zu Präsidenten gewählt wurde.

Lugo hatte eine Agrarreform vor, da in Paraguay viele Leute wenig bis gar kein Land besitzen, wenige jedoch sehr viel. Daraus wurde allerdings nichts. Das regierungsmäßige Intermezzo dauerte nicht lange: Lugo wurde nach 4 Jahren Regierungszeit aufgrund einer Landbesetzung, bei der einige Leute starben, abgesetzt. Seine Regierungskoalition löste sich auf, das Partido Colorado kam wieder an die Macht.

Heute ist Lugo Parlamentspräsident von Paraguay.
Er hat also auch seinen Frieden mit der Einheitspartei gemacht.

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