„SYRIEN WILL DAS ENDE DER INTERNATIONALEN SANKTIONEN, UM DEN ÜBERGANGSPROZESS VORANZUTREIBEN“
Man fragt sich, warum die Sanktionen überhaupt noch bestehen?
Sie wurden schließlich gegen das „Regime“ von Baschar al-Assad erlassen, weil der mit seinen Gegnern gewaltsam verfahren ist.
Jetzt sind diese Gegner an der Macht – und dennoch sind die Sanktionen nach wie vor aufrecht.
Die 27 Staaten der EU untersuchen, wie die Hindernisse abgebaut werden können, die dem Land während des Regimes von Baschar al-Assad auferlegt wurden.“
Sehr seltsam. Was muß denn da „untersucht“ werden?
Waren die Sanktionen am Ende gar nicht wegen Assad verhängt worden?
Man muß sich allerdings auch daran erinnern, daß die als „Rebellen“ bezeichneten und schon allein damit unterstützenswerten Gegner Assads sich dann in Al-Kaida-Mitglieder und den Islamischen Staat verwandelten und sich nach einigen Videos über Ermordungen/Hinrichtungen in einen neuen Feind verwandelten.
Seltsamerweise wurde aber Assad dadurch kein „Guter“, sondern die Sanktionen blieben weiter aufrecht und betrafen dann alle Gegenden Syriens, ob die nun unter der Oberhoheit von Assad-nahen Truppen, kurdischen Milizen, dem IS oder weiterhin „Rebellen“ standen.
Jetzt werden diese einmal – offiziell gegen Assad verhängten – Sanktionen dazu verwendet, zu „überprüfen“, ob die jetzigen Machthaber nach der Pfeife der EU tanzen.
Für die unter türkischer Oberhoheit stehenden Gebiete– Afrin und Idlib – galten sie vermutlich nicht, weil die Türkei dorthin importiert, was sie will.
Bei der Provinz Idlib stellt sich aber sowieso schon die Frage, ob die jetzt Damaskus oder Ankara untersteht?
Soviel nur zur Einleitung.
„Die Schwerpunkte des wirtschaftlichen Neubeginns liegen auf Infrastruktur, Energie und dem Finanzsektor.
Anderthalb Monate, nachdem eine rasche Operation der Rebellen die über 5 Jahrzehnte währende Diktatur der Assad-Familie beendete, versucht das neue Syrien, einen weiteren – wenn auch nur teilweisen – politischen Sieg zu erringen: die Aufhebung der internationalen Sanktionen.
Am Montag erwägen die Außenminister der EU eine schrittweise Lockerung der Strafmaßnahmen, die nach der Gewalt bei den Protesten im März 2011 und dem darauffolgenden bewaffneten Konflikt gegen das Regime verhängt wurden.
Eine Debatte, die in Damaskus mit einiger Hoffnung verfolgt wird.“
Begreiflich.
Assad ist weg, Al-Schara hat sich eine Krawatte umgebunden, der HTS hat Kreide gefressen und versichert, es allen recht machen zu wollen.
„Wie die Chefin der europäischen Diplomatie, Kaja Kallas, bereits angekündigt hat, wird die Beseitigung dieser Hindernisse, die der syrischen Wirtschaft enormen Schaden zugefügt haben – steigende Preise, Engpässe, Energieknappheit und zunehmende Armut – direkt mit den Schritten verbunden sein, die die neue Regierung des arabischen Landes setzen wird.
Diese Regierung wird de facto vom erfahrenen Kämpfer Ahmed al-Schara geführt.
Die EU strebt einen »greifbaren« politischen Übergang an. Und zwar mit Sicherheitsgarantien und der Achtung der Grundrechte.“
Aha.
Die neue Regierung muß zeigen, daß sie den EU-Kriterien entspricht.
Die EU sieht also das völlig zerstörte und verelendete Syrien als eine Chance, ihr in der Welt schon sehr ramponiertes Image aufzubessern und dort sozusagen eine EU-Kolonie einzurichten.
Und da sind diese Sanktionen ein geeignetes Mittel, sich als Protektor und gleichzeitig Kontrolleur aufzuspielen.
Die EU-Macher stellen sich das so vor, daß sie nach dem Prinzip „Hahn auf – Hahn zu“ dort Dirigent spielen können (nachdem sie in Georgien abgeblitzt sind …)
„Diese Prämisse,“
– gemeint sind vermutlich diese oben erwähnten Sicherheitsgarantien und die Achtung der Grundrechte, was immer man sich darunter vorstellen mag –
„die auch von den USA, dem wichtigsten Sanktionsstaat Syriens, geteilt wird, ist nach mehr als 13 Jahren Krieg und nur 7 Wochen nach der Eroberung von Damaskus durch die Rebellen ziemlich komplex:
»Die USA und die EU betrachten Sanktionen als ein Mittel, mit dem sie Druck auf die syrische Übergangsregierung ausüben können, damit diese sich in Richtung eines inklusiveren und transparenteren politischen Systems bewegt«, sagt Steven Heydemann, Experte bei der Brookings Institution in Washington. »Das Problem«, fährt er fort, »besteht darin, dass die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Übergangs erheblich sinkt, wenn die neue Regierung den Syrern nicht zeigen kann, dass es ihnen besser geht.«
Eine Wirtschaft in Trümmern
Bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs war Syriens Wirtschaft mit der vieler Nachbarländer mehr als vergleichbar. Mit einem Pro-Kopf-Einkommen von knapp 3.000 Dollar (rund 2.858 Euro) lag es praktisch gleichauf mit Ägypten und Jordanien.“
Syrien lag aufgrund seiner Landwirtschaft, seines Handels und seiner Industrie weit vor Jordanien, das hier weit schlechtere Bedingungen vorfindet, und dem viel bevölkerungsreicheren Ägypten.
Abgesehen davon, daß das Pro-Kopf-Einkommen sowieso gleichgültig gegenüber den im Inneren eines Landes vorfindlichen Klassenverhältnissen und deshalb Einkommensunterschieden ist, wird hier einfach das BIP in die richtige Richtung gebogen, um die Zerstörung Syriens nicht ganz so schlimm aussehen zu lassen.
„Davon ist nach dem langen Konflikt und den zahlreichen internationalen Sanktionen nichts mehr übrig geblieben. Der Weltbank zufolge hat sich das BIP infolge dessen um 84 Prozent verringert.
Zwar waren von diesen Beschränkungen Grundgüter wie Nahrungsmittel und Medikamente ausdrücklich ausgenommen, doch erstreckten sie sich über die Einbeziehung des Energie- und Finanzsektors auf die gesamte Gesellschaft und alle Bereiche ihrer Wirtschaft.
»Ich glaube nicht, dass die Sanktionen einen großen Einfluss auf die Mitglieder des vorherigen Regimes hatten, aber sie hatten sicher einen auf die Alltagsrealität der Menschen«, sagt der Obere der Maristenbrüder in Aleppo, Georges Sabe. Alle eingehenden Spenden müssen auf ein Bankkonto im benachbarten Libanon eingehen und anschließend in bar über die Grenze transportiert werden. Dasselbe ist ihnen mit medizinischer Ausrüstung passiert.
„Auch wenn Medikamente und lebenswichtige Produkte technisch von den Sanktionen ausgenommen sind, wird ihr Import durch Bankbeschränkungen erheblich erschwert. »(Ausländische) Unternehmen fürchten, sekundären Sanktionen unterworfen zu werden oder Zahlungsschwierigkeiten zu bekommen, was zu Engpässen und überhöhten Preisen bei bestimmten Grundprodukten führt«, erklärt Baraa Khurfaan, Analyst beim Tahrir-Institut.
Wichtige Sektoren wie die Bau- und Energiebranche hätten aufgrund fehlender Investitionen und Hindernissen beim Import von Maschinen und Ersatzteilen mit Problemen zu kämpfen, sagt er. »Und all dies verzögert die Erholung, den Wiederaufbau und die Schaffung von Arbeitsplätzen.«
Zwar kann nicht die gesamte Schuld den Strafmaßnahmen der USA und ihrer Verbündeten zugeschrieben werden – die physische Zerstörung durch den Krieg hat tiefe Narben hinterlassen und 6 Millionen Menschen zur Flucht gezwungen –, doch sind die Sanktionen eine Schlüsselursache für den wirtschaftlichen Zusammenbruch.
Nach Angaben der UNO sind derzeit 70 Prozent der syrischen Bevölkerung auf humanitäre Hilfe angewiesen und 90 Prozent leben unterhalb der Armutsgrenze. Die Lebenshaltungskosten haben sich in nur drei Jahren verdreifacht.
Die Preise sinken zwar, sagt Sabe. So seien in den vergangenen Wochen mit der fortschreitenden Öffnung des Landes und den Treibstofflieferungen aus den Golfstaaten und der Türkei die Preise für Lebensmittel – die zum größten Teil aus dem Nachbarland reexportiert werden“
– dieser Begriff suggeriert, daß Lebensmittel aus syrischem Gebiet in die Türkei verschickt und von dort importiert werden, was natürlich deren Preise in die Höhe treibt –
– billiger geworden.
Bei anderen Produkten und Utensilien ist das nicht der Fall. »Alles, was Nahrung ist, ist im Überfluss vorhanden.“
Man ergänze: für den, der sie bezahlen kann.
Weder unter Assad noch heute kennt Syrien etwas anderes als Marktwirtschaft.
„Und viele Produkte, die früher vom Regime verboten waren, wie etwa ausländische Kekse oder Erfrischungsgetränke, sind heute erhältlich.«“
Man merkt, daß die Syrer vor einer gewissen Art von ungesunden Lebensmitteln geschützt wurden und sich die entsprechende Industrie jetzt erfreut auf diesen endlich „erschlossenen“ Markt stürzt.
„In den Gebieten, die (früher) vom Regime kontrolliert wurden, sind die Preise gesunken«, sagt Jaser, ein junger Mann aus Aleppo.
In den Rebellengebieten hingegen – die bis zum endgültigen Sturz Assads viel besser versorgt waren als der Rest Syriens – seien die Preise gestiegen, sagt ein Bewohner von Azaz, der für eine humanitäre Organisation arbeitet.
Es gibt auch eine Mittelschicht, die versucht, sich durchzusetzen und auf beiden Seiten der Grenze zu agieren.“
Wenn, wie oben erwähnt, 90% der Syrer unter der Armutsgrenze leben, ist der Ausdruck „Mittelschicht“, der ohnenhin nicht sehr aussagekräftig ist, besonders unangebracht.
„Ahmed Kanjo, ein 34-jähriger Syrer aus Aleppo, der vor kurzem in sein Heimatland zurückgekehrt ist, nachdem er mehrere Jahre in der Türkei gelebt hatte, schreibt in einer Nachricht per Internet: »Bankgeschäfte sind verboten, das heißt, ich kann weder Überweisungen empfangen noch senden, noch Dienste, der eine elektronische Zahlung erfordern, in Anspruch nehmen – auch nicht solche einer Bildungsplattform. … Hinzu kommt ein Verbot des Kaufes von Treibstoff (???) und Sanktionen, die den Wiederaufbau verhindern«, fügt er hinzu.
»Dieser Prozess“ (der Aufhebung der finanziellen Sanktionen) „würde bedeuten, dass Tausende von Arbeitnehmern eine neue Beschäftigung finden werden, was der Wirtschaft einen deutlichen Anschub geben würde.«“
Der Mann hofft also auf eine Wiedergeburt des Banksektors, der inzwischen offenbar großflächig verschwunden ist.
„Neben der Entscheidung, die Brüssel trifft – Kallas‘ Team plant laut Reuters, die Beschränkungen »stufenweise« aufzuheben – bleibt abzuwarten, wie Donald Trump mit den von den USA verhängten Sanktionen umgehen wird.
Die USA waren schließlich diejenige Macht, die besonders stark gegen zwei Schlüsselsektoren in Assads Syrien einschritt: den Energie- und den Finanzsektor.
Aufgrund der Beschränkungen beim Ölverkauf ist die Produktion seit Kriegsbeginn drastisch zurückgegangen, von über 300.000 Barrel auf nur noch 40.000. Und internationale Überweisungen, darunter auch Überweisungen von Auswanderern, bleiben weiterhin ein Wunschtraum.“
Beim Öl gibt es aber ganz andere Probleme.
Ein Großteil der syrischen Ölproduktion im Osten des Landes ist in den Händen kurdischer Milizen und des US-Militärs. Diese Ölförderung geht sicher nicht in die obige Statistik ein.
Man müßte bei allen das Öl betreffenden Fragen einmal klären, wer zur Ölproduktion eigentlich Zugang bzw. die Hoheit darüber hat.
Würden die USA jedoch die Sanktionen aufheben, so würde der von ihnen betriebene und unterstützte Ölklau offensichtlich.
„Beide Sanktionsgruppen werden voraussichtlich als erstes fallen. Zwar ist das Volumen gegenwärtig bescheiden, doch würde die Rückkehr syrischen Rohöls auf den internationalen Markt Damaskus eine Ressourcenspritze bescheren, die es nötiger denn je braucht.“
Wie soll denn Damaskus-Syrien Öl exportieren? – wenn in den Damaskus unterstehenden Gebieten Öl importiert werden muß – wie aus den obigen Zahlen ersichtlich ist!
Syrisches Rohöl – eben aus den östlichen Gebieten Syriens – IST auf dem internationalen Markt, es ist jedoch nicht als syrisches deklariert, sondern als irakisches oder türkisches.
Man merkt, wie sich die Reporter von El País mit Interviews und Statistiken über die wirklich heiklen Fragen hinwegschwindeln.
„Im Finanzsektor würde eine Lockerung der Beschränkungen es Auswanderern erleichtern, Geld an Familie und Freunde zu schicken, und dem privaten Sektor würde es wieder möglich sein, in Syrien Geschäfte zu machen. An Interesse mangelt es nicht: Dutzende türkische Unternehmen und solche aus anderen Ländern der Region – viele davon Bauunternehmen – wollen dort wieder Geschäfte machen. »Das Ende der Sanktionen ist von entscheidender Bedeutung, um Banken und Unternehmen das Vertrauen zu geben, das sie brauchen, um sich am Wiederaufbau zu beteiligen«, sagt Heydemann.
Die Energie
»Diejenigen, die unter dem Assad-Regime gelebt haben, sind die wahren Helden«, sagte der syrische Ökonom Samir Aita, Präsident des Kreises arabischer Ökonomen, in einem E-Mail.
Wenngleich die Sanktionen weitreichende Auswirkungen hatten und zu Einkommenseinbußen der Bevölkerung führten, konzentriert sich Aita auf die Energieproblematik. »Sie (d.h., die Sanktionen) haben den Zugang zu Elektrizität beschränkt, die (in einigen Gebieten) immer noch auf eine Stunde von 12 beschränkt ist.“
Wie genau die Sanktionen als Pseudo-Subjekt jetzt zu den beschränkten Elektrizitätseinschaltungen geführt haben, bleibt im Dunkeln.
„Ähnliches passiert mit Benzin, das durch Schmuggel über die Türkei oder den Libanon ins Land kommt, aber zu internationalen Preisen, die sich viele nicht leisten können«, schreibt er.
Der Energiemangel – paradox in einem Land, das eigentlich ein Nettoexporteur von Rohöl sein sollte –“
– so wird der Umstand erwähnt, daß auch Syrien über Ölreserven verfügt.
Aber zwischen Ölreserven, Ölförderung und Ölexport liegen Welten – und in der allgegenwärtigen Welt der Marktwirtschaft vor allem: Kapital.
Man merkt jedoch an diesem komischen Herumgerede rund um das syrische Erdöl, daß verschiedene Akteure im Ausland gerne Zugriff darauf hätten.
Unter Assad waren das nämlich staatliche Firmen …
Die wichtigsten dieser Akteure sitzen in den USA – das syrische Öl soll auch offiziell in US-Hände geraten, das ist eine der Grundlagen der US-Sanktionen, so wie sich das Bild hier präsentiert.
„hatte einen Dominoeffekt auf andere Sektoren: die Landwirtschaft und Industrien wie die Pharmaindustrie, die einst relativ wettbewerbsfähig und auf den Export ausgerichtet waren.
Washington verhängte erstmals in den 1970er Jahren Wirtschaftssanktionen gegen Syrien. Eine Bestrafung, die Anfang der 2000er Jahre erweitert wurde. Die wirkliche Eskalation erfolgte jedoch erst 2011, als die meisten der Operationen der syrischen Zentralbank durch die USA blockiert wurden.
Aita ist der Ansicht, dass das US-Sanktionssystem gegen Syrien das »komplexeste« sei, das jemals eingeführt wurde. Ihre Beseitigung dürfte deshalb auch schwierig sein: Viele davon haben Gesetzesrang und bedürfen daher der Zustimmung des US-Kongresses und des Senats.
Anfang Januar genehmigte die Biden-Regierung einen – vorläufigen und sehr fragmentierten – Verzicht auf einige dieser Strafmaßnahmen, insbesondere im Energiesektor.
»Das war ein positiver Schritt«, bemerkt Heydemann (…), »aber die Sanktionen für Investitionen und Kredite blieben bestehen.«“
Warum wohl?
„Diese Maßnahmen machen es noch schwieriger, eine verheerende Wirtschaftskrise zu bewältigen und wichtige Infrastrukturen, etwa im Energiebereich, wieder aufzubauen.“
Bevor die HTS-Regierung die Ölförderung an US-Firmen verkauft, dürften die Samktionen bestehen bleiben …