Über Zinssätze

DER PREIS DES GELDES
Wer sich Geld ausborgt, muß dafür einen Preis entrichten, den Zins. Diese, wie man meinen sollte, altbekannte Tatsache ist von vielen Geldverleihern und Kreditnehmern keineswegs ganz begriffen, wie die Floskel vom „günstigen Kredit“ verrät, die, man vergesse es nicht, lange Zeit auch auf die Fremdwährungskredite angewendet wurde. Da ist die Praxis, sich fremden Geldes zu bedienen, dermaßen selbstverständlich geworden, daß der Preis, der dafür zu entrichten ist, nur mehr am Verhältnis zu anderen Zinssätzen gemessen wird.
Die werten Finanzkapitalisten unterscheiden die Schuldner nicht nach der Art ihrer Einkommensquelle, obwohl da gewaltige Unterschiede existieren, sondern nur nach ihrer Bonität, also der Fähigkeit, den einmal aufgenommenen Kredit zu bedienen. So zahlen Habenichtse, die ihr Bankkonto überziehen, exorbitant hohe Zinsen, während sich manche Staaten zum Nulltarif verschulden können. Ob Hypothekarkredit für Lehrer oder Starthilfe für Jungunternehmer – die Einschätzung der den Kredit vergebenden Bank entscheidet über die Höhe des Zinsfußes. Ein größeres Ausfallsrisiko wird in den Zinsfuß eingepreist und erhöht den Preis des geliehenen Geldes.
Für Schuldner, die nicht zu den Normalverbrauchern gehören, sondern auf dem internationalen Parkett unterwegs sind, haben sich die Rating-Agenturen als Ratgeber für Zinsfuß-Entscheidungen etabliert. Ihre Einstufung der Bonität des Schuldners ist einerseits nur ein Spiegel dessen, was sich auf den Finanzmärkten abspielt, setzt aber auch wichtige Daten für dieses Geschehen, da es den Geldverleihern ein Moment für Zinsentscheidungen in die Hand gibt, die sich dann auf dem Umweg über die CDS in Zinssätzen für Staats- und Unternehmensanleihen niederschlagen.
Wenn ein Staat hohe Zinsen zahlen muß, um sich weiter zu finanzieren, so steigt seine Verschuldung, und damit seine Finanzierungsschwierigkeiten. Ein hoher Zins auf Staatsschulden hat aber auch Auswirkungen auf die Leitzinsen des betreffenden Landes: In Ungarn ist vor allem dessen ein Konflikt zwischen Regierung und Nationalbank entstanden, weil die Führung der Notenbank sich geweigert hat, die Leitzinsen zu senken, obwohl die zu entrichtenden Zinsen auf Staatsschulden sogar noch gestiegen waren. Die Einschätzung der Bonität eines staatlichen Souveräns durch das internationale Finanzkapital hat daher Auswirkungen auf das allgemeine Zinsniveau eines Landes, von den Zinsen, die Banken einander für Ausleihungen verrechnen bis hin zu den Leasingraten, die ein Kleinunternehmer für seinen Lieferwagen bezahlen muß. Es wird hier sozusagen die gesamte Nationalökonomie taxiert und zu einem bestimmten Zinsniveau verurteilt. (Natürlich existieren innerhalb des Landes weiterhin Unterschiede zwischen den einzelnen Kreditnehmern, aber eben vom Leitzins aufwärts.)
Bei der EU tritt der historisch einzigartige Sonderfall auf, daß die Staatsanleihen der Mitglieder der Eurozone höchst unterschiedliche Zinsen zu entrichten haben, von praktisch Null wie Deutschland bis praktisch unendlich, wie Griechenland. Die EZB legt hier demgegenüber ziemlich eigenmächtig einen Leitzinssatz von 1% fest und verteidigt den auch, sodaß Kredit in der Eurozone für diejenigen, denen er von den Banken zugestanden wird, weiterhin relativ billig ist.
(Zum Vergleich: In Ungarn machen dubiose Firmen im Internet Werbung für 20%-Kredite, einem dortigen Unternehmer wird – selbstverständlich nur gegen hypothekarische Sicherheiten in voller Höhe des Kredits – ein Kredit zu 30% angeboten.)
Die Zahl derer, die für nicht kreditwürdig befunden werden, steigt natürlich ständig an, und führt in ganz Europa zum Vordringen der halblegalen Wucherkredite.
Ein Sonderfall in Europa ist Großbritannien, das zwar den Euro abgelehnt hat, aber über den wichtigsten Finanplatz Europas und einen der wichtigsten der ganzen Welt verfügt. Hier wird die Nationalökonomie deswegen an dem gemessen, was die Banken in der Londoner City treiben, und der Zinssatz, zu dem sie sich untereinander Geld leihen, ist der wichtigste Leitzinssatz weltweit, nach dem auch Kredite in Rußland, Japan oder den USA vergeben werden:
„Der Libor wird durch eine Umfrage unter Banken ermittelt, die täglich vom Britischen Bankenverband in London durchgeführt wird. Die Kreditinstitute werden gefragt, was sie der Kauf von Krediten in verschiedenen Währungen, darunter Dollar, Euro, Yen und Schweizer Franken, kosten würde. Dabei müssen sie Angaben zu 15 verschiedenen Laufzeiten machen, die von einer Woche bis zu einem Jahr reichen. Die offiziellen Libor-Zinssätze werden für jede Währung werktäglich von der BBA veröffentlicht.“ (FTD 2.7. 2012)
Wenn jetzt bemängelt wird, daß die wichtigsten Banken Großbritanniens jahrelang diesen Zinssatz zu ihren Gunsten manipuliert haben, so tut das einerseits so, als gäbe es ein objektives Maß für einen Zinssatz, und gesetzeswidrige Verstöße dagegen. Soweit zum nationalökonomischen Idealismus der inzwischen angelaufenen Untersuchungen. Anderseits ist es aber auch eine Auskunft darüber, daß und in welchem Ausmaß einige britische Banken das Zinsniveau der Welt beeinflussen und fremden Reichtum für sich nutzen können.
Was diese Erkenntnis ihnen oder Großbritannien, dem Euro und der Bankenwelt nützen oder schaden wird, wird sich erst weisen.

Das Eigenleben des Wertmaßes

STEIGT DER DOLLAR ODER FÄLLT DER EURO?

Die Frage taucht deshalb auf, weil es kein fixes Drittes gibt, auf das sich irgendwelche Währungen beziehen könnten. Es gibt kein objektives Maß der Werte, oder allgemeines Äquivalent, an dem der Wert derjenigen nationalen Papier- und Kreditgelder gemessen werden könnte, die überhaupt außerhalb der Grenzen des sie ausgebenden Staates oder Staatenbundes nachgefragt werden. Die heutigen Weltwährungen befinden sich in einem Verhältnis zueinander, das Marx im Kapital I als „totale“ oder „entfaltete“ Wertform bezeichnet: Jede Währung kann ihren Wert nur in dem Wert anderer Währungen ausdrücken: x Euro = y Dollar = z Yen = a Franken = b Kronen usw. usf. Darin, daß sie sich aneinander messen und aneinander gemessen werden, sind sie also alle gleich.

Da sie aber Konkurrenten um die Gunst des Kapitals sind, so ist dieses sich Messen aneinander auch ein Zeichen ihres Gegensatzes, dessen jeweiliger Stand sich auch am Stand des Wechselkurses ablesen läßt.

Diese Weltwährungen kommen in einem exklusiven Klub zusammen, weil das internationale Kapital beschlossen hat, daß sich in diesen Währungen jede Menge Geschäfte machen lassen: Man kann Waren verkaufen, Fabriken und Rohstoffe einkaufen, und deshalb in noch weitaus größerem Umfang mit ihnen bzw. mit auf sie lautenden Wertpapieren handeln. In diesem Kaufen und Verkaufen von relativ luftigen und anonymen Geldmengen, die oft nur als Zahlen in Großrechnern existieren, entstehen die Wechselkurse, also eben diese Relationen, in denen die eine Währung die andere „kauft“. Die Wechselkurse sind somit eine Art praktisch wahrgemachtes Urteil der „Märkte“, des internationalen Finanzkapitals, über die Ökonomie eines Landes bzw., im Falle der EU, eines Staatenbundes.
Der Wechselkurs ist hierbei, ähnlich wie der Zinsfuß, den z.B. Spanien oder Griechenland auf ihre Staatsanleihen entrichten müssen, weitaus objektiver, als z.B. die Note einer Ratingagentur. Bei der Agentur erheben sich sofort die Stimmen aus Politik und Wirtschaft, die die Beurteilung als subjektiv, böswillig und grundlos bezeichnen. Beim Wechselkurs ist das etwas anderes: Hier sprechen die „Märkte“ selbst, die die Staaten als Richter anerkennen, das Urteil aus.

Ob jetzt der Dollar steigt oder der Euro sinkt, ist zunächst eine Frage der Perspektive. Die Besitzer der jeweiligen Währung setzen diese sozusagen als unveränderliche Größe und betrachten dann die Bewegungen anderer Währungen nur im Verhältnis zur eigenen. Genauso dachte ein guter Teil der Bewohner Europas lange, daß sich die Sonne um die Erde drehen würde. Genauso geht es denjenigen, die sich in einer gewissen Währung verschuldet haben: So sieht der in der Eurozone beheimatete Kreditnehmer eines Frankenkredites den Franken steigen, und nicht den Euro sinken.

Als in den vergangenen Wochen der Euro gegenüber dem Dollar an Wert verlor, so kann man das natürlich als Steigen des Dollar interpretieren. Diese Auffassung verhält sich allerdings sehr ignorant gegenüber den Gründen, die zu dieser Wechselkurs-Änderung geführt haben. Es sind ja nicht besonders positive Signale aus den USA – so in der Art: hurra, wir haben Exporterfolge und die Wirtschaft boomt! – sondern wohlbegründete Sorgen über die Zukunft der Eurozone und die Haltbarkeit dieser Währung, die einen Abzug von Kapital aus dem Euro verursacht haben, der auch den Kurs gegenüber anderen Währungen zuungunsten des Euro verändert hat.

Der Dollar hat allerdings etwas zu bieten, womit weder andere kleinere Weltwährungen noch die in den Startlöchern wartenden Nationalzettel der aufstrebenden Mächte punkten können: Die Weltmacht, deren überlegene Gewalt die Geschäfte rund um den Globus erst möglich macht und garantiert. Das Vertrauen in den Dollar ist deshalb eines in die Grundlage aller Profitmacherei von Südostasien bis nach Alaska und zurück.

Im Vergleich dazu hat der Euro eindeutig schlechte Karten.

Neue (alte) Baustellen der Euro-Rettung

SPANIENS BANKEN
Spaniens Banksektor entwickelte sich nach dem Tod Francos und mit der Integration in Europa unterschiedlich. Während die Banken sich zu mit Hilfe von Fusionen und staatlichen Hilfen in normale Aktiengesellschaften umwandelten, blieben die Sparkassen auf Treu und Glauben gegründete Kreditinstitute, deren Kredit im guten Ruf ihrer Vorstandsmitglieder begründet war.
Diese ehrbaren Institute stiegen Ende des vorigen Jahrtausends groß in den damals sich entwickelnden „Ziegel“-Boom, das sich rasant entwickelnde Hypothekargeschäft ein, vergaben Hypothekarkredite an Private und Unternehmen, finanzierten Bauprojekte, und wuchsen sich zu regional beherrschenden Herren über die gesamte Wirtschaftstätigkeit aus. Alle Rufe aus dem In- und Ausland, sich doch um die Beschaffung von Eigenkapital zu bemühen, verhallten bis zum Ausbruch der Finanzkrise 2008 ungehört.
Um sich schließlich doch irgendwie im Rahmen des möglichen zu sanieren, gaben sie zwischen 2008 und 2010 Partizipations-Scheine in der Höhe von ungefähr 12 Milliarden Euro aus, die vor allen ihren Spareinlagenbesitzern von den jeweiligen Beratern aufgeschwatzt wurden – genauso gut wie ein Sparbuch, versicherten sie, aber mit besserer Rendite.
Diese Anteilsscheine sind seit den in den letzten 2-3 Jahren über die Bühne gegangenen Fusionen praktisch wertlos, weil die Einheiten, auf die sich bezogen, nicht mehr existieren. Sie werden natürlich nicht von der Einlagensicherung abgedeckt.
In den letzten Jahren wurden viele dieser Institute im Zuge von Sanierungsbestrebungen fusioniert. Natürlich machen viele kleine Misthäufen, wenn zusammengeleert, nur einen großen Misthaufen. Staatliche Interventionen, um die explosive Mischung von Kapitalmangel (bzw. Abwesenheit von Eigenkapital) und fragwürdig gewordenen Aktiva im Bausektor zu entschärfen, waren unumgänglich notwendig. Allein die alicantinische CAM (Caja de Mediterraneo) benötigte mehrere Milliarden Euro Soforthilfe, um nicht zu krachen.
Die größte Fusion war jedoch die Ende 2010 durch die Fusion von 7 Sparkassen, darunter der von Madrid, gegründete Bankia. Unter ihrem Präsidenten, dem ehemaligen Direktor des IWF Rodrigo Rato unternahm sie im Vorjahr einen Börsengang, um sich mit Eigenkapital auszustatten. Auch hier wurden wieder Einleger und der gesamte spanische Banksektor mobilisiert, um diese Aktienemission nicht von Anfang an scheitern zu lassen. Den größten Anteil erwarb dennoch ein staatliches Auffanginstitut, das speziell zu diesem Zweck gegründet worden war.
Um die Sparkassen – und auch Banken – zu sanieren, wurde die Gründung einer Bad Bank erwogen, in die alle faulen Kredite und entwerteten Immobilien ausgegliedert werden sollten. Diese von verschiedenen Politikern der Regierungspartei erwogene Möglichkeit wurde von Rato selbst öffentlich verworfen, da er unter dem Druck der Finanzmärkte dem spanischen Staat nicht zutraute, die nötigen Mittel zur Finanzierung eines solchen Instituts aufzubringen und dieser Schritt außerdem die Banken ihrer Aktiva beraubt hätte, ohne ihnen adequaten Ersatz zu verschaffen.
Die darauf folgende Entlassung Ratos, der inzwischen auch für die mageren Erfolge des Börsengangs verantwortlich gemacht wird, lösten einen Kurssturz der Bankia-Aktie aus, die nur durch staatliche Interventionskäufe vor der völligen Entwertung bewahrt wird. Die inzwischen praktisch über Nacht verstaatlichte Bankia benötigt zwischen 7 und 10 Milliarden Euro, um ihre unmittelbar anstehenden Verbindlichkeiten zu erfüllen.
Innerhalb Spaniens tragen die größte Last der Stützung des Kreditsektors die beiden Multis BBVA und Banco Santander, in deren Bilanzen sich neben den üblichen faulen Hypothekarkrediten und gescheiterten Bauprojekten auch Unmengen spanischer Staatspapiere befinden, da sie – ähnlich anderen Kreditinstituten in den mit mangelnder Nachfrage konfrontierten Staaten der EU – die größten Aufkäufer der nationalen Staatsschuld sind.
Spanien bedrängt die EZB, ihnen eine direkte Hilfe zur Rekapitalisierung des Banksektors zur Verfügung zu stellen. Die spanischen Banken konnten aufgrund des allgemeinen Mißtrauens gegen Bank-Aktien nämlich auch die Eigenkapital-Aufstockungs-Bedingungen der EU nicht erfüllen. Die EZB wäre jetzt aufgerufen, dem spanischen Banksektor nicht nur diese Erhöhung des Eigenkapitals zu gewährleisten, sondern auch überhaupt die Kapitalausstattung, die den meisten Geldinstituten nach wie vor fehlt.
Um zu wissen, um welche Summen es sich handelt, wurden jetzt Evaluierungs-Firmen bestellt, die den tatsächlichen Geldbedarf der spanischen Kreditinstitute ermitteln sollen. Dieser ist nämlich bisher ein wohlgehütetes Geheimnis. Gerüchten zufolge sollen allein die faulen Hypothekarkredite das jährliche spanische BIP um ein Beträchtliches überschreiten.
Diese Prüfer haben eine schwere, eigentlich widersprüchliche Aufgabe: Sie sollen einerseits alle Leichen im Keller finden, sie andererseits unerkannt auf den Friedhof schaffen. Die tatsächliche Situation soll ja möglichst nicht ans Licht der Öffentlichkeit gelangen, weil das dem Kredit Spaniens abträglich wäre – andererseits läßt sich der Geldbedarf nur abschätzen, wenn eben wirklich alle Schulden und ausstehenden Kredite usw. in Rechnung gestellt werden.
Schließlich ist aufgrund der Zusammenarbeit der Rechtspflege und der Banken (die Hypothekenschulden bleiben aufrecht und werden nach Heller und Pfennig eingefordert, auch nach einer Delogierung) ein Sturz der Immobilienpreise vehindert wurden, was die Aktiva der Banken in einem rosigeren Licht erscheinen läßt, als es ihrem Marktwert entspricht.
Wie die EZB auf diese Lage reagieren wird, ist noch nicht heraußen.