Pressespiegel El País, 25.6.: Prigozhins Rebellion

RUSSLAND ZWISCHEN DER »LANGEN NACHT« PUTINS UND DEM »FLÜCHTIGEN PHÄNOMEN DES BÜRGERKRIEGES«

Pilar Bonet

„Der Aufstand wurde offenbar beschleunigt, weil Prigozhin durch den systematischen Versuch von Präsident Putin und dem Verteidigungsministerium, dem Mann die Flügel zu stutzen, dessen Truppen bis vor kurzem für ihre entscheidenden Siege im Krieg in der Ukraine verherrlicht und von Kreml-Propagandisten gelobt wurden, schikaniert und in eine Sackgasse geführt wurde.“

Die Analystin meint also, der Aufstand wurde absichtlich p r o v o z i e r t .

„Diese Belästigungen hatten sich in den letzten Wochen verschärft. Diesen Monat hat die russische Duma ein Gesetz verabschiedet, das auf die Wiederherstellung des staatlichen Gewaltmonopols abzielt.
Demnach müssen sich alle Kombattanten, ob mobilisiert, freiwillig oder aus dem Gefängnis rekrutiert, der Hierarchie des Verteidigungsministeriums unterwerfen. Die Armee des tschetschenischen Führers Ramsan Kadyrow hat sich der Maßnahme diszipliniert unterworfen. Wagner nicht.
Dieses Unterhaus des russischen Parlaments hat außerdem Regelungen zur Rekrutierung (und auch zur Begnadigung) von Kriminellen während der Verbüßung ihrer Strafe verabschiedet.

Diese beiden Maßnahmen führten dazu, dass Wagner keine Möglichkeit mehr hatte, eine Privatarmee von Söldnern aufzustellen. Diese benützte bisher eine gewisse Grauzone, die Putin (in vielen Bereichen) unterhält, um den Subjekten – Verbündeten oder für ihn konjunkturell nützlichen – das Handeln zu erleichtern: Sie können hiermit nicht mehr im Rahmen des Rechts der Russischen Föderation handeln. Söldner sind somit in Russland verboten und alle Versuche des Parlaments, den Status und die Befugnisse von Wagner und privaten Militärunternehmen zu regeln, waren bisher erfolglos.“

Man muß hier ergänzen, daß diverse rechtliche Grauzonen dieser Art zwar vielleicht absichtlich
aufrechterhalten
, aber keineswegs in der Aera Putin e i n g e r i c h t e t wurden. Sie ergaben sich aus dem ganzen Zerfall der SU und dem Übergang zur Marktwirtschaft, bei dem der Staat viele Sphären aus der Hand gab und den Privatsubjekten überantwortete.

„In dieser Grauzone, außerhalb des Gesetzes, operierte Wagner, während er den russischen Behörden nützlich war, und dort verblieb er solange, bis er aufhörte, es zu sein – als Prigoschin nämlich eine Eskalation von Anschuldigungen und Verwünschungen gegen das Verteidigungsministerium und die herrschende Elite Russlands losließ und die Grundlagen und offiziellen Erklärungen zur Kriegsursache in Zweifel zog.

Vom Augenblick an, als der Kreml bei der Invasion in der Ukraine sich der Unterstützung Wagners bediente, bis zu dem Zeitpunkt, als er durch Prigozhins Selbstermächtigung alarmiert wurde, hat der sogenannte »Kremlkoch« seine eigene Armee mit mehreren Zehntausend Männern und Tausenden von Ex-Häftlingen aufgestellt, die von der Front zurückgekehrt sind und dank ihm begnadigt wurden.“

Damit hat Prigozhin sich sozusagen Hoheitsakte angemaßt und das ging zu weit.

„Von außerhalb der Szene, in der Prigozhin, der Kreml und russische Staatsinstitutionen agieren, ist es noch nicht möglich zu erkennen, ob der Aufstand dieses unflätigen Populisten die konkrete Tat eines trotzigen Putschisten ist oder ob er als Galionsfigur eines (oder mehrerer) Familien des Kremls operiert, oder beides gleichzeitig.

Im letzteren Fall wäre es notwendig zu wissen, welches Element das Gleichgewicht zwischen Prigozhins persönlichen Interessen und seinen Verbindungen zur Elite aus dem Gleichgewicht brachte. In seiner kurzen Ansprache bezeichnete Präsident Wladimir Putin die Meuterei als Verrat, und nur diejenigen, denen man vertraut, begehen Verrat. Putin erwähnte weder Prigozhins Namen noch den Namen von Verteidigungsminister Sergej Schoigu.

Am Samstagnachmittag versuchte Prigozhin, die Spannungen abzubauen, gratulierte sich selbst dazu, kein Blut vergossen zu haben und behauptete, den „Marsch für Gerechtigkeit“, der seine Männer nach Moskau führen sollte, aus Verantwortungsbewusstsein abgesagt zu haben.
Unabhängig vom Ausgang des Kampfes, der sich in seiner ganzen Härte manifestiert, wird die Situation in Russland jedoch nicht mehr dieselbe sein, denn wenn bis zu diesem 23. Juni das Epizentrum der Geschichte im Krieg gegen die Ukraine lag, konzentriert sich die Perspektive nun auf die Gespenst des innerrussischen Bürgerkriegs.

Die Tatsache, dass der Marsch auf seinem Weg in die Hauptstadt auf so wenig Widerstand gestoßen ist, lässt Zweifel an der Verteidigung des Staatsgebiets aufkommen und könnte Präsident Putin schwächen, berichten russische Medien in Moskau.

Wenn Prigozhin das Anhängsel einer der Kreml-Familien ist, fragt man sich, ob diese Familien zustimmen könnten, den unbequemen Meuterer zu opfern (und vielleicht andere Szenarien für das Ende des Konflikts in Betracht zu ziehen). Oder vielleicht würde sich eine dieser Familien gegen die anderen durchsetzen.

Neben diesen theoretischen Hypothesen lohnt es sich zu fragen, wie sich Wagners Rückzug von der ukrainischen Front auf die Kampffähigkeit der russischen Truppen und auch auf die bereits sinkende Moral der Männer auswirken wird, die im Namen der Wahnvorstellungen ihrer Vorgesetzten in den Kampf geschickt werden.“

Hier kommt die Propagandaabteilung Marke West zum Zug, der die Invasion und den Einmarsch als eine Art Wahnvorstellung abtut.
Aber es gibt natürlich Erklärungsbedarf für das Fallenlassen Prigozhins, der ja immerhin vor 2 Monaten noch als „unser Kämpfer an vorderster Front“ hochgehalten wurde.

„Wird es zu Spaltungen in den russischen Streitkräften kommen oder werden die Truppen im Gegenteil zusammenhalten?“

Es ist anzunehmen, daß dafür Vorsorge getroffen wurde, weil überraschend kam der Aufruhr ja nicht.

„Auswirkungen auf die Situation in der Ukraine

Es lohnt sich auch zu fragen, wie (oder ob) die Ukraine die aktuelle Situation in Russland ausnutzen wird (oder wissen wird, wie sie ausnutzen kann).

Ein weiterer Punkt, der geklärt werden muss – und der sich auf die Prozesse auswirkt, die hinter den Kulissen in Russland ablaufen könnten – sind die möglichen Versuche, Allianzen zwischen exilierten Oligarchen, die das ihnen vom Putin-Regime abgenommene Geld zurückerhalten wollen, und Teilen der russischen Regierung zu schmieden, die sie mit ihnen zusammenarbeiten und zu einem angenehmeren und weniger kriegerischen Leben mit der Welt zurückkehren möchten.“

Die sogenannten „Westler“ oder die marktwirtschaftsfreundliche Fraktion sind ja noch nicht ganz ausgestorben in Rußland.

„Interessant ist die Reaktion des Oligarchen Michail Chodorkowski, des ehemaligen Chefs des Jukos-Ölimperiums, der nach zehn Jahren Gefängnis aus Russland verbannt wurde.
Chodorkowski hatte den inzwischen abgesagten Marsch der Wagners von Rostow am Don nach Moskau unterstützt. Für den Fall, dass Prigoschin auf Moskau marschierte, empfahl Chodorkowski, »zu verhindern, dass er aufgehalten wird«, mit Treibstoff zu helfen und »diejenigen, die ihn aufhalten, davon zu überzeugen, dass man jetzt einen gemeinsamen Feind hat«.

Putins Rede zu dem Aufstand sollte als Drehbuch und Orientierung für die Regionalverwaltungen Russlands dienen und das Verhalten ihrer Führer bestimmen. Der Alltag in Moskau und St. Petersburg ist bereits verändert und in der russischen Hauptstadt, deren Sicherheit seit einigen Tagen sichtbar erhöht wurde, wurden die Werbetafeln und Straßenbanner, mit denen Wagner zur Rekrutierung aufrief, hastig entfernt.

In Provinzen wie Rostow am Don, Woronesch und Lipezk hingegen schien die Lage zunächst nicht so klar zu sein. Und für die russische Bevölkerung könnte es schwer zu verdauen sein, dass die Helden der Schlachten von Bachmut oder Soledar nun auf magische Weise aus dem offiziellen Gedächtnis verschwinden.“

Einmal sehen, ob sie retuschiert werden wie die in Ungnade gefallenen sowjetischen Führer von den offiziellen Fotos.

„»Der Bürgerkrieg in Russland ist eine Norm und kann in latenter Form und im Wechsel mit akuten Phasen jahrzehntelang andauern«, schreibt der Analyst Wladimir Pastuchow, der der Ansicht ist, daß der letzte Zyklus der Verschärfung dieses Bürgerkriegs 1989 begonnen hat und noch nicht beendet ist.
»Die Prigoschin-Meuterei ist nur eine der Episoden dieses Bürgerkriegs, der fast ein halbes Jahrhundert andauert«, schreibt Pastuchov. Und der Politikwissenschaftler erinnert daran, dass es im Bürgerkrieg keine Zwischentöne und Schattierungen gebe und man »entweder bei den Roten oder bei den Weißen« sei. Die Wahl ist schmerzhaft. »Zwischen Putin und der langen Nacht Russlands« und »dem flüchtigen Phänomen von Prigozhins Bürgerkrieg«, so sieht er die Möglichkeiten.“

Womit der Ausgang ja schon bestimmt ist, wenn die Wahl zwischen „lang“ und „flüchtig“ ist.

In Rußland selbst wird nämlich von vielen Personen die Herrschaft Putins nicht als „Nacht“ empfunden. Das ist die Sichtweise der „Westler“, deren Zahl sich von Jahr zu Jahr verringert. Viele der ehemaligen Anhänger westlicher Kultur und Werte sind inzwischen im eurasischen Dunstkreis Dugins gelandet. Für diese Leute ging mehr oder weniger mit Putin die Sonne auf.

Bei diesem Vokabel fällt einem als historisch geschultem Geist eher die „Nacht der Langen Messer“ ein, mit dem sich Hitlerdeutschland der lästig gewordenen SA entledigte, die zwar bei der Machtergreifung nützlich gewesen, aber dann lästig geworden war.

Abgesehen vom weiteren Schicksal Prigozhins stellt sich auch die Frage nach seiner Wagner-Truppe – erstens sind sie sicher nicht ohne weiteres den regulären Einheiten einzugliedern. Zweitens sind sie auch außerhalb Rußlands im Einsatz – in Mali, in Libyen, in der Zentralafrikanischen Republik. Die ganze Außenpolitik Rußlands muß neu organisiert werden.

Pressespiegel Komsomolskaja Pravda, 14.6.: Ein Gespräch mit dem Politologen und Militärexperten Alexej Podberjoskin

WIE LANGE WIRD DIE WESTLICHE AUSRÜSTUNG FÜR DIE STREITKRÄFTE DER UKRAINE AUSREICHEN UND WAS WIRD ALS NÄCHSTES IN DER ZONE DER SPEZIALOPERATION PASSIEREN?

„KP: Was war für Sie das Interessanteste, was Ihnen bei dem Treffen zwischen Putin und Militärkorrespondenten aufgefallen ist?

AP: Das war die Frage der Mobilisierung, und Putin gab eine eindeutige Antwort. Er hat sich zu der derzeitigen Lage sehr konkret geäußert.
Ich sagte, dass wir drei Möglichkeiten haben, die Streitkräfte zu vergrößern: Vertragssoldaten, Freiwillige und private Sicherheitsdienst-Mitglieder. Putin nannte konkrete Angaben, es hätten sich ungefähr 160.000 Freiwillige und Vertragssoldaten gemeldet. Daher ist im Augenblick kein Bedarf für eine weitere Mobilisierung.

KP: Will Kiew unsere Reserven ausdünnen?

AP: Ja, entlang der Grenze zu Belgorod, Brjansk und Kursk soll militärisch möglichst Druck gemacht werden. Damit Moskau Reserven dorthin wirft.

Eine Pufferzone von 500 km

KP: Was sagt Putin über die Sicherheits-Pufferzone – mit welchen Kräften soll sie ausgestattet werden?

AP: Ich habe vor etwa zwei Monaten darüber gesprochen, dass wir eine »No-Go-Area« gegen feindliche Kräfte einrichten müssen.
Wir haben kein Recht, Bedrohungen zuzulassen, die sich in einer Entfernung von 500 Kilometern von unseren Grenzen befinden. Anscheinend hatte Putin genau das im Sinn. Ansonsten erwischen uns nicht nur vom Boden abgeschossene Raketen – die HIMARS können auch mit ballistischen taktischen Raketen mit einer Reichweite von bis zu 500 Kilometern ausgerüstet werden –, sondern auch Drohnen, für die 500 Kilometer keine Distanz sind.

KP: 500 Kilometer sollten unter der Kontrolle der russischen Streitkräfte stehen?

AP: Sicherheitszonen rufen auch andere Staaten aus. Israel zum Beispiel, zumindest teilweise.

KP: Nun, wir werden sie ein paar hundert Kilometer zurückdrängen – und dann stellt sich heraus, dass sie jetzt unser Charkow beschießen …

AP: Verwechseln Sie nicht Politik, militärische Sicherheit und Recht. Ich sage aus Sicht der militärischen Sicherheit, dass wir einen Abstand von mindestens 500 Kilometern zur Kontaktlinie“ (= Front/Grenze/Feindberührung?) „gewährleisten müssen, um uns in Sicherheit zu fühlen.

KP: Wo wird diese Linie dieses politischen Kontakts verlaufen?

AP: Sie sollte entlang der Grenze der UdSSR verlaufen, die vor 1991 lag. Einschließlich Transnistriens und Moldawiens.

KP: Warum genau dort?

AP: In Rumänien wird derzeit die 101. Luftlandedivision der USA gruppiert, militärische Ausrüstung angesammelt und Flugplätze vorbereitet.
Das Manöver, das jetzt in Europa begonnen hat, wird sich weitgehend auf die Möglichkeit einer Konzentration der Luftfahrt stützen. Dies ist die Hauptangriffsmacht der NATO in diesen Regionen. Wir müssen allen sagen, dass wir ihre Sicherheit garantieren, aber auch, dass sie uns eine Zone „außerhalb ihres Zugriffs“ 500 Kilometer von dieser Grenze entfernt garantieren.“

Ambitioniert.
Rußland fordert also eine demilitarisierte Zone bis zu 500 km und nennt das mehr oder weniger als Kriegsziel. Also eine Demilitarisierung nicht nur der Ukraine, sondern auch Moldawiens.

„Dem Westen geht der Nachschub aus?

KP: Nicht nur Russlands militärisch-technische Fähigkeiten, sondern auch die des Westens werden auf die Probe gestellt?

AP: Ja. Putin hat auch darüber gesprochen. Wir produzieren fünf- bis siebenmal mehr Munition als der gesamte Westen zusammen. Und die westlichen Kapazitäten an Munition und Waffen sind praktisch erschöpft.
Bereits jetzt werden die Bestände Israels und Südkoreas für die Versorgung der Ukrainischen Armee genutzt.“

Interessant, daß diese Staaten Waffen herausrücken – die sie ja auch selber benötigen könnten. Beide Staaten sind ja auch dauer-wehrhaft, wegen eines Feindes vor der Haustüre.

„Doch solange der Westen über militärisch-technische Fähigkeiten verfügt, wird er Widerstand leisten.

KP: Wie steht es um die Ukrainische Armee?

AP: Sie hat nur noch geringen Spielraum im operativen Bereich, für ca. 3 Wochen. Ich habe vor zwei bis drei Monaten gesagt, dass der Konflikt in derzeitiger Intensität alle verbleibenden Ressourcen verschlingen wird.
Als der Konflikt begann, schätzten wir die ukrainische Luftwaffe auf 150–200 aktive Flugzeuge. Nun wurden bereits 450 vernichtet – und zwar mit Nachschub aus osteuropäischen Beständen. Nun, sie werden sogar diese berüchtigten F-16 liefern …

KP: Stimmt es, dass sie nicht besser sind als MiG-29?

AP: Im Allgemeinen nicht stärker. Es geht um die Raketen, mit denen die F-16 für die Streitkräfte der Ukraine ausgerüstet werden sollen. Und unsere T-90-Panzer sind nicht schlechter als die Leopard-2, selbst die neuesten Modifikationen.

KP: Die Truppen loben den T-90 „Durchbruch“.

AP: Sein offensichtliches Plus ist das Gewicht, das 20 Tonnen geringer ist als das der »Leopard«. Er ist dadurch viel geländegängiger.
Dazu kommt die Frage der Reparatur. Wohin werden sie ihre kaputten Panzer tragen? Nach Polen, nach Deutschland? Wenn die Abrams geliefert werden, wird es die gleiche Geschichte sein.
Und dann die Frage der Munition. Sie haben dort bereits 25 Artilleriesysteme. Sie sind alle unterschiedlich groß. Noch schwieriger ist es, sie mit Munition zu versorgen. Nehmen wir eine Hochwassermarke von 3 Millionen Stück Munition pro Jahr, als Annahme – das ist eine Sache. Aber wenn man sie auf 25 Systeme aufteilt, sieht das ganz anders aus.

Eine andere Weltordnung

KP: Wir machen ihre Ausrüstung platt, sie können nicht mehr in Kolonnen weiterfahren und mit der Reparatur haut es auch nicht so hin – was kommt dann?

AP: Was als nächstes passiert, hängt von den Kräfteverhältnissen ab. Auf die Lage, auf das Gleichgewicht der politischen Kräfte, die sich rasch verändern. Bisher haben wir über die militärisch-technische Seite gesprochen, aber versuchen Sie, einen Schritt weiter zu gehen und diese Veränderungen in den internationalen Beziehungen in der allgemeinen Weltordnung zu betrachten.

KP: Bis vor kurzem waren die Änderungen nicht zu unseren Gunsten.

AP: Betrachten wir nur die sowjetische Besatzungszone in Deutschland – unter welchen Bedingungen wurde sie Teil der NATO-Koalition? Dort nahm das Problem seinen Anfang, das wir nun lösen müssen. Sie werden uns nicht in Ruhe lassen. Sie werden uns immer weiter zurückdrängen. Solange, bis wir uns am Ende eben selbst eine Sicherheitszone und eine Flugverbotszone schaffen.

KP: In welchem Umfang?

AP: Zumindest bis Warschau. Ein amerikanischer Experte, der Berater von Reagan war und dann mit dem Establishment in Konflikt geriet, machte kürzlich die gleiche Vorhersage – die meinige wurde im Wesentlichen bestätigt.
Wir müssen diese natürlichen Grenzen besetzen, wie Kljutschewski sagte, die im Russischen Reich bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden sind. Das alles gehörte natürlich uns. Alles, was in den späten 1980er- und 1990er-Jahren getan wurde, widersprach den nationalen Interessen Russlands. Und wir sind jetzt damit beschäftigt, das zurückzubekommen, was uns rechtmäßig zusteht.

KP: Und die baltischen Staaten müssen wieder Teil Rußlands werden?

AP: Selbstverständlich. Ich spreche zwar nicht von Finnland und auch nicht von Polen, aber darüber kann man streiten.

KP: Die Polen haben eine starke Armee …

AP: Aber was, es gibt dort keine starke Armee. Es ist eine Sache, 2.500 bis 3.000 Dummköpfe und Kriminelle in die Ukraine zu schicken, die Geld verdienen wollen. Im Moment bilden sie dort“ (= in Polen) „ein Korps. Im Juli und August wollen sie es ohne Koordination irgendwohin schicken. Drei polnische Brigaden, die nach ein paar Tagen aufgerieben sein werden.

KP: Wenn die Rückkehr an die Grenzen der Sowjetunion angestrebt wird, so werden das ehemalige Preußen, das Großfürstentum Litauen und das Rzeczpospolita (das polnisch-litauische Königreich) auch wieder aktuell werden.

AP: Die militärisch-politische Lage wird nicht von den Wünschen einzelner Länder und auch nicht von historischen Hinterlassenschaften und Erfindungen bestimmt, sondern von den Realitäten, die sich in der Welt abzeichnen. Wir bewegen uns nirgendwo hin – wir müssen diese Probleme vor Ort lösen.“

Schöne Aussichten.

Ukrainische Hoffnungsträger, wo seid ihr geblieben?

GARANTEN DER FREIHEIT

Bei dem medialen Aufwand, der um Volodimir Selenskij getrieben wird, tauchen bei mir Erinnerungen an ukrainische Politiker auf, die seinerzeit auch als „unsere Leute in der Ukraine“ gehandelt wurden, oder doch zumindest im Hintergrund die Fäden zogen, um die, hmmm, Westorientierung der Ukraine voranzubringen.

Bis auf Vitalij Klitschko hört oder liest man von denen gar nichts mehr.

Wer erinnert sich noch an Viktor Juschtschenko?
Er war erst Präsident der Nationalbank und dann Regierungschef unter dem Präsidenten Kutschma. Später gründete er eine Oppositionspartei zusammen mit => Julia Timoschenko. Die Partei hieß „Unsere Ukraine“. Sein Nachfolger als Ministerpräsident wurde Viktor Janukowitsch. Bei der Wahl 2003 trat er gegen Janukowitsch um das Amt des Präsidenten an. Er erlitt im Wahlkampf 2004 angeblich eine Dioxinvergiftung.
Nach Protesten gegen Wahlfälschungen bei der 1. Stichwahl – die von Polen, von Soros, von Otpor und anderen außerhalb der Ukraine tätigen Freunden derselben angefachte „Orange Revolution“ – gewann er die 2. Stichwahl und regierte die nächsten 5 Jahre. Für diesen Wahlsieg war die Unterstützung durch die inzwischen verbotene Sozialistische Partei von Aleksandr Moros ausschlaggebend.
Bereits damals war der Majdan in Kiew das Zentrum der Proteste.
Die Sparpakete, die Juschtschenko aud Betreiben des IWF der Ukraine verordnete, versuchte er durch einen privatfinanzierten Fond zur Unterstützung von Kindern und durch Appelle an den ukrainischen Nationalismus populär zu machen – wir müssen da durch! Während seiner Präsidentschaft wurde der Holodomor als Berufungsinstanz für die Eigenständigkeit der Ukraine entdeckt und als Genozid qualifiziert, die Dnjeprkosaken hofiert und die OUN-UPA als ehrbare Organisation salonfähig gemacht. Außerdem begann die Ukrainisierung des Bildungswesens. Einiges davon wurde von seinem Nachfolger wieder rückgängig gemacht.
Bis zu den nächsten Wahlen im Jahr 2010 hatte er sich mit seiner Ministerpräsidentin überworfen. Julia Timoschenko trat mit ihrer Partei „Vaterland“ gegen Juschtschenko an. Die Wahlen gewann Janukowitsch. Juschtschenko erhielt lediglich etwas mehr als 5% aller Stimmen, ein sehr schlechtes Ergebnis für einen amtierenden Präsidenten. 2012 wurde er aus der von ihm gegründeten Partei „Unsere Ukraine“ ausgeschlossen, weil er für die Parlamentswahlen dieses Jahres angeblich einen geheimen Pakt mit Janukowitsch geschlossen hatte.
Seither trat er einige Male als Vertreter des Imkerbundes in Erscheinung. Angeblich erhielt er eine Zeitlang sogar Unterstützung aus der ukrainischen Staatskasse, weil seine Einkünfte nicht so toll waren.
Seine Frau ist US-Bürgerin und hat Kontakte zu höchsten Polit- und Finanzkreisen der USA. Es ist möglich, daß Juschtschenko von den USA in der Hinterhand für etwaige Nach-Selenskij-Regierungen gehalten wird.
Das Problem ist seine Unbeliebtheit im Lande …

Frau Julia Timoschenko ist sicherlich noch vielen im Gedächtnis, vor allem wegen ihrer medienwirksamen Auftritte mit und ohne Rollstuhl.
Von Forbes wurde sie immerhin 2005 zu einer der weltweit 100 einflußreichsten Frauen gekürt, im selben Jahr sogar als eine der 3 mächtigsten Frauen der Welt.
Sie gehört zu der Wirtschaftselite von Dnjepropetrowsk, dem Industriezentrum der Ukraine. Ein wichtiger Schritt ihrer Karriere war die Leitung des ukrainischen Energiekonzerns „Vereinigte Energiesysteme der Ukraine“. Sie machte viele Geschäfte mit Gazprom, die sich positiv auf ihre Vermögensverhältnisse auswirkten.
Sie war Mitgründerin der Partei „Vaterland“, trat aber gerne auch unter dem Namen „Block Julia Timoschenko“ bei Wahlen an. Sie war offenbar das Zugpferd dieser Vaterlandspartei, die für sich wenig zu bieten hatte. Als sie wegen Korruptionsvorwürfen im Gefängnis saß, war „Vaterland“ die Sammelpartei aller Oppositionsparteien.
Unvergeßlich ist ihr geleaktes Gespräch mit einem ukrainischen Politiker, derzufolge man alle Russen abknallen und auf die Ostukraine eine Atombombe abwerfen sollte. Das Gespräch wurde auf Russisch geführt. Das ist nämlich die Muttersprache von Frau Timoschenko. Vielleicht ist sie deshalb in letzter Zeit wenig an die Öffentlichkeit getreten, weil sie noch an ihrem Ukrainisch arbeitet.
Um sich als wahre Vertreterin des Vaterlandes glaubwürdig zu machen, legte sie sich eine neckische Zopffrisur zu und schlüpfte für mediale Anlässe auch hin und wieder in Volkstracht.
Die Orange Revolution brachte auch sie an die Macht. Neben dem Präsidenten Juschtschenko machte sie sich als Ministerpräsidentin stark für die Erweiterung der Wirtschaftstätigkeit Richtung Westen und der Einschränkung derselben Richtung Rußland.
Wegen diverser Privatisierungsprojekte und Streit um das Gas-Importmonopol währte ihre erste Regierungszeit, in die das überwältigende Lob von Forbes fiel, jedoch nur kurz. Sie wurde im Herbst 2005 mitsamt ihrer ganzen Regierung vom Präsidenten entlassen.
Mit dem Streit zwischen den beiden Hoffnungsträgern änderte sich rasch die Parlamentsmehrheit, die Partei von Juschtschenko zerfiel. Auf einmal wurde der ehemalige Gegner und Buhmann Janukowitsch zum Ministerpräsidenten ernannt, nachdem seine Partei der Regionen Zulauf erhalten hatte. Daraufhin rauften sich Timoschenko und Juschtschenko noch einmal zusammen, erhielten die Mehrheit und Timoschenko wurde erneut Ministerpräsidentin.
Sie wurde gerne herumgereicht und als „unsere“ demokratische Hoffnung in der Ukraine gehandhabt. In den Jahren 2007-2010 flossen auch Kredite in die Ukraine reichlich. In Zeiten von Niedrigzinsen im Westen waren sie verhältnismäßig hoch verzinst und die Ukraine galt als verläßlicher Schuldner, weil ja „unsere“ westorientierten Politiker die Geschicke des Landes lenkten.
Ihre Popularität im In- und Ausland nahm ab, als sie Europa aufgrund der Streitigkeiten um die Gas-Liefer- und -Transitpreise Europa den „Gaskrieg“ bescherte.
Ihre Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen entfernte sie von der Macht und brachte sie wegen der Rivalitäten im Gassektor ins Gefängnis, von wo aus sie sehr medienwirksame Auftritte organisierte.
Nach dem Majdan 2014 konnte sie das Gefängnis verlassen. Irgendwie verschwand sie seither aus den westlichen Medien. Sie benützt inzwischen weder einen Rollstuhl noch einen Zopf: Die Frisur von ihr ist inzwischen wieder ein dezenter Pferdeschwanz.
Sie trat zu den Präsidentschaftswahlen 2019 an, unterlag jedoch Selenskij deutlich. Seither fristet sie ein relatives Mauerblümchendasein als Parlamentsabgeordnete der inzwischen recht geschrumpften Vaterlandspartei.
Nach dem Einmarsch Rußlands in die Ukraine machte sie ein paar medial begleitete Auftritte zwischen Ruinen, wo sie mit Stöckelschuhen zwischen Schutt herumspazierte, Kinder in die Arme nahm und alte Leute tröstete, oder Soldaten an der Front Mut zusprach.
Sie hat es noch nicht aufgegeben, wieder an die Spitze zu kommen, aber im Augenblick scheint keine besondere Nachfrage nach ihr zu herrschen.

Als nächstes ist an Petro Poroschenko, den „Schokoladebaron“, zu erinnern.
Im Ausbau seines wirtschaftlichen Imperiums, das außer Schokolade und anderen Süßigkeiten auch Medien oder Rüstungsgüter umfaßte – eben alles, womit sich in turbulenten Zeiten Geschäfte machen lassen, – war er Mitglied vieler Parteien, die Interessensvertretungen der aufkommenden Unternehmersschicht waren und sind. Er war Gründungsmitglied der Partei der Regionen, saß in Parteien und „Blöcken“ mit Juschtschenko und Timoschenko. Ebenso verbündete er sich für kurze Allianzen mit anderen Großunternehmern, unschön „Oligarchen“ genannt, gegen andere und pflegte auch gute Beziehungen zur Unterwelt.
Bei soviel Pragmatismus blieb weder der ökonomische noch der politische Erfolg aus. Er war zweiweilig Nationalbankdirektor, hatte mehrere Ministerämter inne und verkehrte bei der Münchner Sicherheitskonferenz, schüttelte Hände mit Putin, Merkel und US-Politikern – kurz, ein Mann von Welt.
Nachdem die vereinten EU- und USA-Kräfte mit den Helden des Majdan den gewählten Präsidenten zum Teufel gejagt hatten, war Poroschenko der ideale Kompromißkandidat, auf den sich die USA, Polen und Deutschland einigen könnten, auch wenn die US-Politikerin, die die EU gerne f…n wollte, einen anderen Kandidaten bevorzugt hätte.
Wer in der Ukraine selbst bei den Wahlen 2014 Poroschenko wollte und deshalb wählte, ist ebenso rätselhaft wie gegenstandslos. Die Wahlen wurden unter internationaler Beteiligung abgehalten, zumindest in Kiew und zumindest in einigen Bezirken, also waren sie gültig.
Poroschenko ließ auch nichts anbrennen, ließ alle Lenin-Denkmäler in der Restukraine (ohne Krim) abmontieren und öffnete Investoren und vor allem ausländischen Diensten Tür und Tor. Gegen die Separatisten im Donbass ließ er Patrioten und Neonazis antreten, auch mit dem angenehmen Nebeneffekt, sie sich selbst vom Hals zu halten. Einzig und allein bei der Veräußerbarkeit des ukrainischen Ackerlandes scheiterte er am ukrainischen Parlament.
Bei den nächsten Präsidentschaftswahlen 2019 scheiterte er an einem jungen Schauspieler, der von einem rivalisierenden Großunternehmer zum neuen ukrainischen Hoffnungsträger aufgebaut worden war.
Der Wahlsieger ließ ihn auch strafrechtlich wegen irgendwelcher Deals bei der Energieversorgung verfolgen. Inzwischen hat sich Selenskij aber mit Kolomojskij, seinem ursprünglichen Förderer, überworfen und Poroschenko – vielleicht auch unter dem Eindruck von Krieg und und ausländischen Beratern – ist wieder wohlgelitten in der Ukraine.
Poroschenko geht weiterhin auf internationale Treffen hohen Ranges und kauft im Ausland Waffen für die Ukraine ein.
Er wartet auf eine gute Gelegenheit, wenn der Schauspieler seine Rolle zu Ende gespielt hat. Vielleicht lernt er inzwischen fleißig Ukrainisch – seine Muttersprache ist nämlich auch Russisch.

Fortsetzung folgt: Weitere Kandidaten für das Präsidentenamt, sowie kleinere Kaliber