Schulden zahlen oder nicht?

ISLAND UND IRLAND
Der isländischen Regierung wird von Großbritannien und Holland eine Frist gesetzt: Wenn Island nicht innerhalb der nächsten drei Monate die 4 Milliarden Euro zurückzahlt, die der Icesave-Fond der isländischen Landsbanki seinerzeit bei britischen und holländischen Anlegern aufgenommen hat, oder zumindest die Zahlung der Schuld einleitet, so streben diese beiden Staaten eine Klage gegen Island an.
In Island selbst hat sich die Bevölkerung in zwei Referenden gegen die Zahlung dieser Schuld ausgesprochen.
Die Klage – es ist gar nicht klar, wo sie eingereicht werden wird, also welcher Gerichtshof dafür überhaupt zuständig ist – wäre auf jeden Fall ein Präzedenzfall in mehrerer Hinsicht: Es müßte einmal klargestellt werden, in welchem Ausmaß ein Staat für das Treiben seiner Banken verantwortlich gemacht werden kann, und welche Verantwortung die Bankenaufsicht Großbritanniens und Hollands für den Zahlungsausfall von Icesave trifft – sie haben das Agieren dieses Fonds innerhalb ihres Kreditsektors ja zugelassen.
Als GB und Holland 2008 ihre Antiterrorgesetze anwendeten, um isländische Aktiva auf ihrem Territorium zu beschlagnahmen und damit die Zahlungsunfähigkeit Islands und den Bankrott seiner Banken auslösten, gestanden sie damit praktisch ein, in ihrer Bankengesetzgebung gar keine adequaten Mittel zu besitzen, um mit einem Fall dieser Art umzugehen.
Sollte es also zur Klage kommen, so würde mit diesem Streitfall nicht nur völkerrechtliches Neuland betreten, sondern es stünde die gesamte Bankenliberalisierung der letzten 2-3 Jahrzehnte vor Gericht. Und auch die von der Finanzkrise praktisch schon in Frage gestellte Überzeugung, daß Kredit der Hebel des Wachstums sei, das sich auf diese Art und Weise ad infinitum fortsetzen ließe. Also, ob in einer Art von self fulfilling prophecy der Anspruch auf künftigen Profit denselben sozusagen bereits garantieren würde.
Paul Krugman, der gerne Staaten, die ihre Schulden aufkündigen, als „Modell“ für das Handhaben von Schuldenkrisen sieht, vergleicht wieder einmal Island und Irland und schreibt in der NYT:
“Why, it’s almost as if defaulting on debts run up by runaway bankers and letting your currency depreciate works better — even from the point of view of investors — than socializing private-sector losses and grimly sticking with a fixed exchange rate.”
Bei Krugman werden halt leider Äpfel mit Birnen verglichen. Der Umstand, daß Island weder Mitglied der EU noch der Eurozone war, macht hier den Unterschied ums Ganze aus. Es handelt sich nicht um die Frage, ob es gescheiter war, Zahlungsunfähigkeit anzumelden und Schulden zu streichen, als sich mit Hilfe von „Rettungspaketen“ weiter zahlungsfähig zu machen und damit Verschuldungsfähigkeit zu bewahren. Sondern es geht darum, daß man sich eine solche Entscheidung erst einmal leisten können muß. Irland oder Griechenland könnten sie sich aus Rücksicht auf die EU nicht leisten, bzw. die EU selbst kann es sich nicht leisten, ein Mitglied für zahlungsunfähig zu erklären, weil das den Euro ruinieren würde.
Außerdem handelt es sich bei Island mit seinen etwas mehr als 300.000 Einwohnern um eine ganz andere Volkswirtschaft als Irland und die eingeforderten 4 Milliarden sind eine Kleinigkeit gegen die Geldsummen, die beim „keltischen Tiger“ auf dem Spiel gestanden sind, oder auch bei Griechenland auf dem Spiel stehen.
Solche als anti-neoliberal und daher „links“ geltenden Sprüche leisten daher nichts anderes, als dem p.t. Publikum über die Natur des internationalen Kreditwesens, also das, was Kredit und Schulden sind, Sand in die Augen zu streuen.

Die EU einigt sich auf die Stützung Griechenlands

DAS SCHULDENKARUSSELL DREHT SICH WEITER
Nach allen möglichen Hiobsbotschaften und Schreckensszenarios ist es doch so weit: Es gibt eine partielle Umschuldung für Griechenland, und alles beruhigt sich.
Seltsam, oder zumindest erklärungsbedürftig angesichts der Tatsache, daß vor ein paar Tagen noch die Rede davon war, daß Griechenland irgendwelche Auflagen erfüllen müsse, ohne Wenn und Aber, sonst ginge gar nichts. Und die griechische Seite verlauten ließ, sie könnten sich eine Rückkehr zur Drachme schon vorstellen.
Die griechische Regierung ist nämlich draufgekommen, daß die EU sie mindestens genauso braucht wie sie die EU, und daß mit dieser Drohung die Rute ins Fenster gestellt ist, den Euro zu sprengen. (Es ist nicht ausgeschlossen, daß sie sich da auch wieder Berater geholt haben. So wie seinerzeit Goldmann Sachs zum Verstecken von Schulden gut war, so gibt es heute einen Haufen Argentinier, die sich mit Staatsbankrott und IWF-Verhandlungen sehr gut auskennen.)
Der Stützungsplan für Griechenland schaut so aus, daß einige (oder alle?) der in den nächsten 2 Jahren fälligen Staatsanleihen in solche mit längerer Laufzeit und höherer Verzinsung umgewandelt werden, für deren ordnungsgemäße Bedienung die EU geradesteht.
(Damit ist zwar mehr oder weniger sicher, daß Griechenland ein Sanierungsfall bleibt, aber daß vielleicht, so die Hoffnung, nicht jedes Jahr dieser Zirkus aufgeführt werden muß.)
Die EZB wird daher weiterhin griechische Staatsanleihen aufkaufen und als Sicherheiten akzeptieren, obwohl sie bereits auf Ramschstatus heruntergestuft sind.
Die griechische Regierung erhält die Erlaubnis, die Mehrwertsteuer herunterzusetzen. (Man erinnere sich: voriges Jahr war gerade die saftige Erhöhung der Mehrwertsteuer – und anderer Steuern – Bedingung für die Stützung des griechischen Staatskredits. Jetzt, wo sich herausstellt, daß damit keineswegs die angestrebte „Sanierung des Staatshaushaltes“ (ein Un-Begriff!) erreicht wurde, sondern – surprise, surprise! – ein Schrumpfen der Wirtschaftsleistung, soll das wieder zurückgenommen werden.
Die Herabsetzung der Mehrwertsteuer ist jedoch nur ein Lockvögeli für das griechische Parlament, die von IWF und EU geforderten Privatisierungen vorzunehmen.
Ob da auch Abstriche von den ursprünglichen Forderungen, das gesamte Tafelsilber auszuverkaufen, gemacht wurden, erfährt man nicht so genau. Es ist aber zu vermuten. Denn die meisten dieser Staatsbetriebe sind eher als Alpaka einzustufen, deren Verkauf und Privatisierung das Funktionieren der griechischen Infrastruktur in Frage stellen und nicht wirklich viel einbringen würde. Und an dem irgendwie-Funktionieren von Zügen, Fähren, Häfen und dem Telefonnetz sind alle Wirtschaftstreibenden interessiert, die in Griechenland investiert haben.
Ohne funktionierenden Transport und Internet kommen nämlich gar keine Touristen mehr nach Griechenland, und auch die Waren nicht zu den Konsumenten.
Die EU hat erstaunlich schnell nachgegeben, und eingesehen, daß die Ruinierung Griechenlands der Anfang vom Ende der EU wäre.
Die Märkte haben positiv reagiert, so heißt es.
Das Schulden-Machen kann also getrost wieder weitergehen. Bis zur nächsten Schuldenkrise.

Die EU will weiter wachsen

BALD EIN NEUES MITGLIED: KROATIEN?
Im Standard liest man heute die frohe Botschaft:
„Fast sechs Jahre nach dem Start im Jahr 2005 gehen die Verhandlungen Kroatiens um einen EU-Beitritt in die Zielgerade.“ (Standard Online, 23.5.)
Dieser Satz wirft einige Fragen für den denkenden Leser auf.
Die EU macht ja im Augenblick keine sehr gute Figur. Ein paar ihrer postsozialistischen Mitglieder (Ungarn, Rumänien, Lettland) brauchten 2008 ein Stützungspaket, an dem sie bis heute laborieren, und einige der Eurozonen-Mitglieder der EU stehen derzeit auch in der Unterhose da. Es zeigt sich also, daß Länder, die mit schlechten Voraussetzungen in die Wirtschafts- und/oder Währungsunion eingetreten sind, nicht unbedingt mit einer Verbesserung ihrer Lage rechnen können, sondern womöglich einen ziemlichen Absturz zu gewärtigen haben.
Kroatien gehört eindeutig in diese Kategorie. Es steht nämlich auch nicht sehr gut da. Die Pleite der Hypo Alpe Adria ist nicht nur in Österreich, sondern in Kroatien noch lange nicht bewältigt. Der Bankensektor ist angeschlagen, jede Menge nicht bediente Hypothekarkredite und fehlgeschlagene Immobilienspekulationen belasten die Bilanzen. Der vorige Regierungschef sitzt seit Dezember in Österreich in U-Haft und seine Auslieferung verzögert sich, da gar nicht klar ist, ob er in Kroatien überhaupt vor Gericht gestellt und verurteilt werden kann. Die politische Beseitigung Sanaders und seiner „Netzwerke“ ist jedoch eine – zwar nicht schriftlich fixierte, aber doch deutlich ausgesprochene – Bedingung des EU-Beitritts.
Ökonomisch spricht also einiges gegen einen Beitritt Kroatiens. Zunächst vom Standpunkt der EU. Die EU hat zwar als „Wirtschaftsgemeinschaft“ angefangen, verfolgt jedoch seit geraumer Zeit das politische Ziel, größer und stärker zu werden, auch wenn sich das inzwischen nur mehr auf reine Territorialvergrößerungen bezieht, deren Beitrag zur Stärkung fragwürdig ist.
Auch vom Standpunkt Kroatiens. Es ist noch gar nicht klar, was für Auflagen und welchen Status Kroatien erhalten wird, aber das „Monitoring“ der EU, also die Aufsicht durch EU-Behörden, wird wahrscheinlich noch strenger ausfallen als in Rumänien und Bulgarien. Mit dem Generalvorwurf „Korruption“ hat sich die EU nämlich einen Rechtstitel geschaffen, sehr unverschämt in alle Abteilungen des Rechts- und Sozialstaats hineinzuregieren. Kroatien wird auch das wenige an Zollhoheit verlieren, das es noch hat.
Die Berechnungen der kroatischen Behörden sind von ähnlichem Kaliber wie anderer Staaten, die in ihrer prekären Lage das Anklammern an einen potenteren Partner als eine Art Rettung vor dem Ertrinken sehen.
Sie erwarten Impulse für die Reste ihrer Industrie (Werften, Textil, Lebensmittel), wenn die Zollschranke zur EU fällt. Wahrscheinlich wird das jedoch – wegen verschärfter Konkurrenz und Budgetkürzungs-Forderungen, die die bisherige Subventionierung untersagen – das endgültige „Aus“ für diese Industrien sein.
Sie erhoffen sich einen Aufschwung für ihre Häfen, vor allem Rijeka, wenn sie als EU-Häfen angelaufen werden können. Auch diese Berechnung, so läßt sich vorhersagen, wird nicht aufgehen, da Kroatien selbst als Markt uninteressant ist, die wirklich wichtigen Märkte aber zu weit weg sind. In diesem Zusammenhang ist der Streit mit Slowenien um die Seegrenze in der Bucht von Piran ein wesentlicher Konkurrenzfaktor: Gelänge es Kroatien, seinen Standpunkt durchzusetzen und damit den Verkehr in den slowenischen Hafen von Koper zu beschränken, so könnte es Rijeka wieder ins Spiel bringen.
Kroatien bringt also auch fest Konfliktstoff mit, weil es sich durch die EU-Mitgliedschaft Rückendeckung gegen Slowenien erhofft, dessen wirtschaftliche Prosperität die kroatischen Politiker mit blankem Neid erfüllt und mit dem es noch andere Streitpunkte (Grenzziehung auch zu Lande; eingezogene kroatische Spareinlagen bei slowenischen Banken; die Wartungskosten, Stromerzeugung und -Verteilung des AKWs Krsko, und andere Kleinigkeiten) laufen hat.
Schließlich gibt es noch Zaungäste dieser Beitrittsverhandlungen, die den Beitritt Kroatiens als Aufwertung ihrer Position innerhalb der EU betrachten:
„“Wir sind auf den letzten Metern, und wir wollen dabei helfen“, erklärte Vizekanzler Michael Spindelegger die österreichische Position, die auf raschen Abschluss abzielt. Eine Mehrheit der Staaten unterstützt das. Für den derzeitigen ungarischen Ratsvorsitz ist es sogar ein Herzenswunsch, wäre der Kroatien-Abschluss doch einer von wenigen vorzeigbaren Erfolgen.“ (ebd.)
Ungarn will sich ein Erfolgserlebnis verschaffen, was die derzeitige ungarische Regierung angesichts der trostlosen Wirtschaftslage des Landes dringend nötig hat. Und Österreich will die Zerschlagung Jugoslawiens zu einem Abschluß bringen und seinen Schützling in die EU bugsieren, um seinen ökonomisch-politischen Hinterhof zu konsolidieren.
Von guten Freunden begleitet hinein in den großen Fleischwolf.
Imperialismus heute, und viel Spaß für die Bewohner Kroatiens …