Von der guten und der schlechten Herrschaft

DEMOKRATIE! WAHLEN! – FORDERUNGEN AUS TUNESIEN UND ÄGYPTEN
In der „arabischen Welt“, zumindest in 2 Staaten von ihr, hat sich das Volk erhoben und einmal seinen Präsidenten gestürzt, im anderen Fall ist es kurz davor.
Und von der freien Presse bekommen sie viel Beifall, weil sie sagen in beiden Fällen laut und deutlich, daß sie nichts Böses vorhaben, sondern nur diejenigen Segnungen des Umgangs zwischen Obrigkeit und Volk genießen wollen, die bei uns auch üblich sind: Freie Wahlen sollen her, wirklich freie, und bei denen soll sich das Volk, die Wähler, ihre Regierung selbst bestellen dürfen.
Deswegen kommt diese Volksrevolte gut an, und es gibt zwar warnende Stimmen in verschiedenen Medien, ob solch eine freie Wahl nicht womöglich die Falschen an die Macht bringt, wie das ja in Algerien schon einmal vorgekommen ist.
Aber im Grunde wäre es schwer, dagegen etwas zu sagen. Freedom and Democracy, das sind doch unsere höchsten Werte, wenn die Bevölkerung eines Landes die flächendeckend einklagt, so kann da doch wirklich niemand etwas dagegen haben, oder?
Die Revolten in Tunesien, Ägypten und …? unterscheiden sich übrigens sehr von den „Systemwechseln“ in verschiedenen Staaten des Realen Sozialismus, wo keineswegs Freiheit und Demokratie von den Massen auf der Straße gefordert, sondern entweder von oben „Umbau“, Grenzöffnung und Ähnliches verordnet wurden, oder einfach eine Bevölkerung, wie in Rumänien, ihren Vampir loswerden wollte, aber ohne große Forderungen für den Tag danach. Die Bevölkerung Ägyptens und Tunesiens ist also viel „demokratiereifer“ als diejenige des seinerzeitigen „Ostblocks“, wo der Übergang zur Demokratie mehrheitlich Sache einiger Dissidenten, Pfaffen und ähnlicher Kräfte, oder der Regierungen selber war.
Auch in einer anderen Frage unterscheiden sich diese vielen – betontermaßen „friedlichen“! – Demonstranten sehr wohltuend von dem, was man sonst von Demonstrationen dieser Art gewohnt ist: Sie schwenken keine kommunistischen oder anarchistischen Fahnen, sie fordern nicht ein anderes Wirtschaftssystem, sondern nur mehr „Gerechtigkeit“, sie wollen nicht mehr von ihrer eigenen Regierung beklaut werden, sie wünschen sich ein Ende der „Korruption“: Niemand soll sich also mit Hilfe eines höheren Amtes am Elend und der Not seiner Mitbürger bereichern dürfen.
Sofern man den Berichten in den Medien und im Internet Glauben schenken darf, so sehen sie ihre eigene Herrschaft als das erste und scheinbar auch einzige Hindernis ihres Wohlergehens. Die Kumpanei, die die USA, aber vor allem die EU jahrzehntelang mit Ben Ali und Mubarak getrieben hat, ist kein Thema ihrer Proteste – im Gegenteil, sie sehen diejenigen Staaten, die ihre jetzt (bald) vertriebenen Häuptlinge jahrzehntelang gestützt und deren Bürger mit ihnen blendende Geschäfte gemacht haben, als Vorbild für ihre gesellschaftliche Umgestaltung an.
Im Grunde sagen diese vielen begeisterten Demonstranten eines: bitte, wir wollen dieses erfolgreiche Herrschaftssystem, mit dem ihr ja in Europa sooo zufrieden seid (da haben sie recht!) und das deshalb wirklich gut sein muß, bei uns auch haben!
Die Revolten in Tunesien und Ägypten sind also Manifestationen eines sehr untertänigen und – bei aller Aufmüpfigkeit gegen ihre bisherigen Herren – gehorsamen Standpunktes.
Sie werden entweder enttäuscht werden, wenn sie sich von diesem Wechsel eine Verbesserung ihrer Lebensumstände erwartet haben, oder sie nehmen etwaige Armut und Elend in Zukunft leichteren Herzens in Kauf, weil sie nämlich gerecht ist und alle betrifft.
Für Länder wie Ägypten und Tunesien, und die ganze „arabische Welt“ ist nämlich im imperialistischen Weltsystem nichts anderes vorgesehen, als Rohstofflieferanten zu sein, Markt für kapitalistische „Überproduktion“, und ein großer Teil der Bevölkerung dieser Staaten ist schlicht überflüssig.
Aber vielleicht lassen sie sich das alles in Zukunft lieber gefallen, wenn sie sich ihre Herren selber aussuchen dürfen.

Tunesiens Präsident gestürzt

KOMMT WAS BESSERES NACH?
Vermutlich nicht.
Eines ist schon eigenartig in den Medien: Da wird der Sturz einer Regierung, gar eines Diktators bejubelt, der eigentlich in den letzten 20 Jahren niemanden in der westlichen Hemisphäre gestört hat. Tunesien war kein Schurkenstaat, hatte keinen Bürgerkrieg, man hörte nichts darüber, daß Al Kaida dort Sympathisanten hatte, und es galt als ruhiger Hafen für Touristen und Schönheitsoperationen.
Eine Erfolgsstory der arabischen Welt sozusagen. Stabil und sonnig.
Vermutlich haben die meisten Zeitungs- und Rundfunkkonsumenten 2010 erstmals den Namen des jetzt hinausgeschmissenen Präsidenten gelesen bzw. gehört.
Und jetzt auf einmal erfahren wir, daß dort eine eine „Kleptokratie“ herrschte, die das Land ausgesaugt hat, ein Polizeistaat mit Unmengen von Spitzeln, mit Oppositionellen vollgestopfte Gefängnisse, eine hohe Arbeitslosigkeit, und von Meinungsfreiheit überhaupt keine Spur.
Das genaue Gegenteil einer guten Herrschaft, wo die Politiker nichts anderes als das Wohl ihrer Bürger am Hut haben, wird da ausgemalt. Demokratiedefizite, wohin man blickt.
Man fragt sich bloß, wo diese ganzen Journalisten und Korrespondenten eigentlich bisher hingeschaut haben, wenn es um Tunesien ging, sodaß ihnen diese schlimmen Zustände erst dann aufgefallen sind, als dieses „Regime“ bereits am Ende war.
Auch sonst ist der Medienhype ein wenig befremdlich. Während es in Europa nicht so gern gesehen wird, wenn Leute massenweise auf die Straße gehen, und gar wenn Steine geschmissen werden, wie es bei Antiglobalisierungs-Veranstaltungen manchmal vorkommt, da sind natürlich Chaoten am Werk, gegen die der Rechtsstaat sich wappnen muß!
In Tunesien hingegen ist das völlig in Ordnung, weil da sind/waren ja die Falschen an der Macht, und deshalb kann von Rechtsstaat keine Rede sein. Protest, den man hier nicht haben will, ist dort einfach super.
Jetzt sollen, so die einhelligen Kommentare, gute Führer an die Macht kommen, und alles wird eitel Sonnenschein.
Da ist einmal ein Präsident des Parlamentes, das eigentlich gar keines gewesen sein soll, als Interimspräsident, von dem man vernimmt, daß er einer der treuesten Gefolgsleute des abgehauten Ben Ali war.
Dann gibts noch einen Ministerpräsidenten, von dem man ähnliches liest.
Die Oppositionsparteien, sofern man manche kleine Grüppchen überhaupt so nennen will, haben wenig Anhänger, natürlich nur wegen der bisherigen Unterdrückung, und sind völlig untereinander zerstritten.
Über ihre Programme liest man wenig, und der Verdacht drängt sich auf, daß sie entweder keine besitzen, oder die nicht sehr attraktiv sind.
Dann gibt es noch einen im Ausland residierenden Islamisten-Scheich mit einer religiösen Partei namens „Wiedergeburt“, der aber selber zugibt, daß er fast keine Anhänger in Tunesien hat, und diese Partei eigentlich nicht mehr existiert. Er will aber bald zurückkommen nach Tunesien und sich einbringen.
So viel über die zukünftigen guten Führer, die die bisherigen schlechten ablösen sollen.
Was den sonstigen Zustand des Landes angeht: Tunesien hat 10 Millionen Einwohner, Landwirtschaft und (Textil-)Industrie sind in keinem guten Zustand, Öl ist keins da und die Haupt-Einnahmequelle ist der Tourismus, dessen Zukunft ungewiß ist, weil wer fährt schon gern in ein Land, in dem Bürgerkrieg herrscht?
Die Arbeitslosigkeit ist hoch, und nur im Staatsapparat gabs sichere Arbeitsplätze, aber das wird sich auch vermutlich in nächster Zeit ändern.
Die Bewohner Tunesiens sehen also keineswegs einer leuchtenden Zukunft entgegen. Vielleicht wird das Land, über dessen „Selbstbefreiung“ gerade so gejubelt wurde, bald von einer internationalen „Friedenstruppe“ besetzt, wie der Libanon, zu einem Protektorat gemacht, wie Bosnien, oder versinkt in jahrelangen Bürgerkrieg, wie Algerien. Oder das geschieht alles auf einmal, wie in Afghanistan.
Alles im Interesse der Demokratie, selbstverständlich.

Anläßlich neuer Kandidaten für Kredithilfe:

WAS SIND EIGENTLICH „RETTUNGSSCHIRME“ UND WARUM WILL SICH NIEMAND „DRUNTERSTELLEN“?
Die Bilder, die da gezeichnet werden, sind ebenso kindisch wie irreführend: Um ein Mitgliedsland zu „schützen“, wird ein „Schirm“ aufgespannt. Die Märkte und Spekulanten oder was für Marktsubjekte auch immer, die diesen Ländern die Kreditaufnahme erschweren oder verunmöglichen, sind in diesem Bild eine Art Unwetter, die EU und EZB gute Onkels, die schauen, daß irgendein bedrohtes Land nicht naß wird.
Es ist hin und wieder ganz gut, sich vor Augen zu führen, mit was für dummen Bildern manche Vorgänge aus der Wirtschaftswelt versehen werden, um dem p.t. Publikum klar zu machen,
– daß die EU eine Art Caritas ist, ein selbstloser Verein zur gegenseitigen Hilfe, in denen die Armen gut aufgehoben sind und keiner im Stich gelassen wird,
– daß Kredite so etwas wie Wohltaten sind, mit denen Staaten und Individuen im Notfall unter die Arme gegriffen wird, und
– diese notleidenden Staaten glücklich und dankbar sein sollten, daß sie von der großen Gemeinschaft beschützt und gepäppelt werden.
Den Blödsinn muß man wirklich glauben, damit solche Aufschreie wie „Wir zahlen nicht für die Griechen!“ überhaupt möglich sind, obwohl 99% der Deutschen und sonstigen EU-Bewohner gar nichts haben, was sie zahlen könnten, und 99% der Griechen dieses Geld nie sehen.
Es ist für die meisten Staatsbürger offenbar selbstverständlich, das Geld, das in den Händen diverser Regierungsinstitutionen und Banken herumschwappt, als „unseres“ zu betrachten, obwohl sie damit höchstens soviel zu tun haben, als daß es ihnen einmal weggenommen wurde, in Form von Steuern, Abgaben usw.
Die Wirklichkeit sieht natürlich ein wenig anders aus, und deshalb sind die betroffenen Staaten gar nicht erfreut, in den zweifelhaften Genuß dieser Stützungskredite zu kommen.
Diese Kredite sind nämlich mit Auflagen versehen, die das Budget „sanieren“ sollen. Es ist eine weitere Lüge, die mit dieser ganzen Schuldenkrise verbreitet wird, daß die Regierungen dieser „Wackelstaaten“ selber schuld seien, weil sie „nicht gut gewirtschaftet“ hätten. Sie sollen also jetzt ihr „Budget in Ordnung bringen“, die Ausgaben verringern und die Einnahmen erhöhen. Daß das „schmerzhafte Maßnahmen“ sind, weil in beiden Fällen der Bevölkerung etwas weggenommen wird, sei es jetzt unmittelbar Geld, oder Sozialleistungen, wird einerseits gar nicht verschwiegen. Andererseits wird so getan, als wäre eh genug da, nur die Bevölkerung in ihrem „Anspruchsdenken“ will nix auslassen, und die Politiker in ihrer Zögerlichkeit, wegen Parteienkonkurrenz und Wahlen, würden sich nicht trauen, kräftig zu kassieren. Und es brauchte nur Leute mit dem nötigen „Mut“, die sich „trauen“, ihrer Bevölkerung „die Wahrheit zu sagen“, damit die dann „einsehen“, daß sie sich eben einschränken müssen, damit das Budget in Ordnung und die Heimat wieder auf die Füße kommt.
Dieses ganze demokratiehuldigende Geschwätz ist sehr niederträchtig: Erstens tut es so, als müßte man das Volk nur richtig betören, dann läßt es sich ohnehin alles gefallen. Hier wird mit Stolz ausgesprochen, daß demokratische Politik und Parteienkonkurrenz darin besteht, den Regierten ein x für ein u vorzumachen, und wer das am besten kann, der ist halt auch der Beste, und würdig, die Macht auszuüben. Zweitens ist damit auch ein Urteil über das Volk ausgesprochen: Es hat sich dümmlich und nationalistisch bis in die Knochen hinter die Politik und alle ihre Maßnahmen zu stellen, je weniger das Ich – materiell wie intellektuell – zum Zug kommt, um so lauter hat es „Wir“ zu schreien; und die von den Politikern selbst dargebotenen und von den Medien aufbereiteten Feindbilder sind zur Erklärung zu akzeptieren, falls man nach Schuldigen für die eigene Misere sucht.
Nicht nur, daß sich herausstellt bzw. herausstellen wird, daß diese Maßnahmen jede Menge zusätzliches Elend in den betroffenen Staaten hervorbringen werden, sondern sie dienen auch der „Sanierung“ der Haushalte nicht: All die Kürzungen im Sozialsystem und Erhöhungen von Steuern schwächen zwar die Kaufkraft und betreffen damit sowohl Käufer als auch Verkäufer als auch den Staat, dessen erhöhten Steuersätzen ein geringeres Steuervolumen entgegensteht. Vor allem aber können sie nicht eine verschwundene oder gar nicht erst entstandene Industrie ins Leben rufen, oder eine ruinierte Landwirtschaft wiederauferstehen lassen. Die vielstrapazierte Konkurrenzfähigkeit, um deren „Verbesserung“ sich diese Staaten bemühen sollen, erhält erst recht keine Substanz, oder kein Material, an dem sie sich herausbilden könnte.