Treffen in Tianjin

AUF ZU NEUEN UFERN

Der große Event, der derzeit in Tianjin stattfindet, wird von den westlichen Medien nolens volens zur Kenntnis genommen, mit sehr gemischten Gefühlen.

Es läßt sich nicht ganz bestreiten, daß sich in Asien eine neue Weltmacht breitmacht, und zwar eine, zu der viele Nationen freiwillig strömen – zuletzt auch Indien, das nach den Einmischungsversuchen seitens der EU und Zöllen durch die USA wegen des russischen Öls endgültig die Nase voll hat von der westlichen Welt und lieber ihr Kriegsbeil mit China begräbt.

Die Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ), im Rahmen derer dieses Treffen stattfindet, ist so etwas wie ein Kern der BRICS mit asiatischem Schwerpunkt, und in Sachen Integration fortgeschrittener als das nach wie vor eher lose BRICS-Bündnis:

„Sie wurde 2001 gegründet und ging aus den 1996 gegründeten Shanghai Five hervor. Ihr gehören derzeit Belarus, die Volksrepublik China, Indien, Iran, Kasachstan, Kirgisistan, Pakistan, Russland, Tadschikistan und Usbekistan an.
Die SOZ beschäftigt sich mit der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten sowie Wirtschafts- und Handelsfragen und der Stabilität in der Region. Derzeit nimmt die SOZ in Anspruch, circa 40 % der Weltbevölkerung zu vertreten, und stellt damit die weltweit größte Regionalorganisation dar.
Seit Dezember 2004 hat die SOZ Beobachterstatus bei den Vereinten Nationen.“ (Wikipedia)

Eine „Regionalorganisation“ mit großen Ansprüchen …

Auf dem Foto, das zum Auftakt gemacht wurde und noch nicht einmal alle Gäste umfasst – es fehlt z.B. der später gekommene iranische Präsident Massud Peseschkian – sind 42 Personen aus 26 Staaten zu sehen, die alle bei diesem Treffen dabei sein wollten.

Auf dieser Seite wird das Gruppenbild gezeigt und dort werden auch die Anwesenden kurz vorgestellt.

Einige diese Personen sollten einer näheren Betrachtung gewürdigt werden:

1. Antonio Guterres, Generalsekretär der UNO.

Guterres ist ziemlich aus den Medien verschwunden, nachdem er seine Stimme gegen den Völkermord Israels in Gaza erhoben hatte und zum Unterschied vom Papst, der das auch getan hat, nicht kurz danach verstorben ist.
Seine Anwesenheit ist zunächst dadurch gerechtfertigt, daß die SOZ den oben erwähnten Beobachterstatur bei der UNO hat.
Zudem ist zu bedenken, daß der Staat, der die UNO beherbergt, die USA, mit dieser Organisation zusehends unzufrieden ist und auch mit den Zahlungen säumig ist. Aus der UNESCO sind sie inzwischen ausgetreten. Trump läßt durchblicken, daß er die UNO – wie so vieles andere – für obsolet hält.
Guterres sieht sich also nach möglichen neuen Sponsoren um. Rußland und China wären sicher nicht abgeneigt, die UNO umzubauen und ihr unter ihrer Ägide mehr Leben einzuhauchen. Geld dafür wäre zweifellos da.

2. Recep Tayyip Erdoğan

Der türkische Präsident, der nach Tianjin mit seiner Frau angereist ist, ist der einzige Staatsmann auf diesem Foto, der auch auf dem NATO-Gipfel im Juni in Den Haag war. Er fährt also zweigleisig, was sowohl der Lage der Türkei als eurasische Macht als auch seinen Ambitionen bezüglich der Wiedererrichtung des Osmanischen Reiches und der zugehörigen Ideologie des Turanismus entspricht.
Seine Zweigleisigkeit und seine Anwesenheit in Tianjin sind auch in diversen NATO-Staaten unangenehm berührt zur Kenntnis genommen worden.

Quasi in seinem Schlepptau kommt jetzt auch

3. Ilham Alijew,

ebenfalls mitsamt Gemahlin, die im Kontrast zu Ermine Erdoğan modern westlich gekleidet ist, wie um zu zeigen, daß die beiden Staatschefs nicht die Religion, sondern die turkomanisch-turanistische Waffenbrüderschaft zusammenhält.
Alijews Besuch ist auch deshalb bemerkenswert, weil er gerade mit Rußland einen festen Streit vom Zaun gebrochen und praktisch alle diplomatischen Formen mit Füßen tritt, sogar mit der NATO Manöver macht und ihr eine Basis an der russischen Grenze anbietet.
Wie ernst das alles ist, ist fragwürdig, aber er übernimmt von Erdogan die Zweigleisigkeit, auch der NATO schöne Augen zu machen, um den russischen Bären etwas zu reizen.

4. Mustafa Madbuli

Der ägyptische Ministerpräsident ist der einzige Vertreter Afrikas bei dieser sehr asiatischen Veranstaltung.
Ägypten befindet sich mit Südafrika, Nigeria und Algerien in einer Art Konkurrenz darum, wer eigentlich die Nummer 1 in Afrika ist. Also einerseits nützt der ägyptische Politiker hier das Forum, um aus dem Schatten Südafrikas hinauszutreten.
Zweitens aber ist Ägypten hochverschuldet und nach innen nach wie vor mit der illegalen Opposition der Muslimbrüderschaft beschäftigt, die sehr unzufrieden ist mit Ägyptens Haltung bezüglich der praktisch vor ihren Augen täglich niedergemetzelten Palästinenser.
Ägyptens hat vom Westen die Nase voll, wird aber mit Zahlungen und Schuldenstundungen bei Laune gehalten.
Der recht junge Premierminister schnuppert also jetzt einmal, ob man nicht im Orbit Chinas besser aufgehoben wäre.

5. Schließlich fällt auch noch die starke Präsenz kasachischer Politiker auf. Neben dem Oberhaupt Kasachstans Tokajev sind alle diese weiteren kasachischen Gäste in irgendwelchen Behörden tätig, die zur stärkeren Integration Mittelasiens mit China und Rußland gegründet wurden. Ihr Erscheinen weist darauf hin, daß gerade Kasachstan aufgrund seiner Lage, Ausdehnung und seinem Reichtum an Bodenschätzen eine zentrale Rolle in dieser SOZ zukommt.

6. Ein weiterer bemerkenswerter Gast ist Kao Kim Hourn, der Generalsekretär der ASEAN-Staaten.

Dieser Staatsverband, der viel älter ist als die EU, wurde zunächst als antikommunistisches Bündnis gegründet. Es war noch lange nach der Auflösung der SU den westlichen Werten und dem Weltmarkt verpflichtet. Man blickte bei allem auf IWF und die USA.
Die asiatische Finanzkrise 1997 führte zu einer gewissen Desillusionierung bezüglich des freien Marktes, seiner Selbstheilungskräfte und seiner internationalen Institutionen.
Dazu kam der schrittweise Aufstieg Chinas, der die Handelbeziehungen Südostasiens grundlegend veränderte und auch die vorige Dominanz Japans und Südkoreas zurückdrängte.
Was diese Zusammenkunft alles in die Wege leiten wird, ist noch nicht heraußen. Aber eines steht fest: China ist als Gastgeber gefragt, als Partner gesucht und die chinesische Führung gefällt sich in ihrer Rolle als Schutzmacht der III. Welt, in diesem Falle Südostasiens.

Das Gruppenfoto kann als eine direkte Antwort auf das NATO-Foto vom Juni betrachtet werden, es ist um einiges internationaler.

Fortsetzung folgt: Die Kommentare der westlichen Presse

Pressespiegel El País, 14.6.: Krieg und Öl

DER ISRAELISCHE ANGRIFF AUF DEN IRAN LÖST PANIK IN DER ÖLWELT AUS
Die Energieinfrastruktur des drittgrößten OPEC-Produzenten ist intakt, doch eine mögliche Schließung der Straße von Hormus wäre tödlich.

Die relative Ruhe, die bisher in diesem Jahr auf dem Ölmarkt herrschte, ist Geschichte. Der israelische Angriff auf den Iran, Land mit den drittgrößten Rohölreserven der Welt, hat Panik ausgelöst: weniger wegen der Schäden selbst – laut Teheran sind bisher keine Ölquellen und Raffinerien betroffen –, sondern wegen einer möglichen Schließung der Straße von Hormus, durch die fast ein Viertel des weltweiten Ölvolumens transportiert wird.

Zunächst die Fakten. Der Anstieg des Preises für ein Faß Brent, des Referenzpreises in Europa, erreichte am frühen Donnerstagmorgen einen zweistelligen Wert, als das volle Ausmaß der Offensive noch unbekannt war.
Dies ist der höchste Anstieg seit den (für den Ölmarkt) schlimmsten Tagen der russischen Invasion in der Ukraine im Jahr 2022. Es ist klar, dass der Angriff auf den Iran eine Steigerung des Ölpreises verursacht. »Die entscheidende Frage ist nun, ob sich dies auf das Angebot auswirken wird oder nicht«, erklärt Richard Joswick, Analyst bei S&P Global Commodity Insights.

Wie man sieht, ist da noch viel Luft nach oben

Er erinnert allerdings daran, dass der Preis bei den jüngsten Auseinandersetzungen zwischen Israel und dem Iran zunächst in die Höhe geschossen sei, sich dann aber wieder entspannt habe, als der Markt erkannte, dass dies keine Auswirkungen auf die regionalen Rohölexporte haben würde. (…)
Gerade als die Lage ruhiger schien und der Barrelpreis in den letzten Monaten ein Vierjahrestief erreichte, löste die Nachricht in den wichtigsten Entscheidungszentren der fossilen Brennstoffbranche Alarm aus.

»Wir beobachten die Auswirkungen aktiv«, erklärte der Chef der Internationalen Energieagentur (IEA), Fatih Birol, wenige Stunden nach dem Einschlag der ersten israelischen Raketen in Iran. »Die Märkte sind weiterhin gut versorgt, aber wir sind bereit, mit unseren Notfallreserven zu handeln.«

Nachdem der israelische Angriff über Nacht – der größte seit Menschengedenken gegen den Iran – die Ölproduktionskapazität des drittgrößten Produzenten der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC), der täglich zwischen 3,5 und 4 Millionen Barrel Öl auf den Markt bringt, nicht beeinträchtigt hat, stellt sich nun die große Frage, wie Teheran reagieren wird.

Wird seine Reaktion letztlich begrenzt ausfallen oder wird Teheran, in seinem Stolz verletzt durch eine Offensive, die seine Verwundbarkeit offengelegt hat, zu deutlich drastischeren Maßnahmen greifen?

Was Teheran tun wird

Dieses zweite Szenario wäre für die Öl- und Gasimportländer, allen voran Europa und Asien, am problematischsten. Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten: Der Iran könnte andere Energieinfrastrukturen in der Region angreifen, wie er es 2019 in Saudi-Arabien tat;“

Ganz unwahrscheinlich. Schließlich will der Iran ja nicht gegen die ganze Welt Krieg führen. Es ist ein beliebtes Moment der Feindbildpflege, dem Feind irrationales Handeln zu unterstellen.
Und Saudi-Arabien ist hier nicht beteiligt, im Grunde genommen vermutlich auch nicht erfreut über diese Entwicklung.

„oder er könnte noch einen Schritt weitergehen und die Straße von Hormus schließen, den einzigen möglichen Zugang zu Öl und Gas für mehrere Ölmonarchien am Persischen Golf, wie die Vereinigten Arabischen Emirate, Kuwait und Katar.

»Sollte sich der Iran wie in der Vergangenheit für einen maßvollen Angriff entscheiden, würden sich die Energiemärkte beruhigen«, sagt Jorge León, Vizepräsident und Leiter der Ölanalyse beim norwegischen Beratungsunternehmen Rystad Energy, in einem Interview mit EL PAÍS.“

Keine sehr schlaue Einschätzung des Herr León. Schließlich hängt der Fortgang des Krieges vor allem vom Vernichtungswillen Israels ab, nicht von der gemäßigten oder weniger gemäßigten Reaktion des Iran.

Einen Angriff auf die Ölinfrastruktur anderer Länder der Region, wie Saudi-Arabien oder die VAE, hält er für »unwahrscheinlich«. Aus zwei Gründen.
Erstens, so León, weil sich die USA – trotz der Warnung von Präsident Donald Trump am Freitag vor neuen, »noch brutaleren« Angriffen, falls es keine Einigung über ihr Atomprogramm gebe – von den israelischen Bombenangriffen distanziert hätten.
Zweitens, weil die übrigen Golfanrainer – viele von ihnen historisch mit dem Iran im Streit, ihre diplomatischen Beziehungen in den letzten Monaten aber deutlich verbessert haben – die Offensive vorbehaltlos verurteilt hätten.

Der lange Schatten von Hormus

Eine Eskalation, die Teheran zur vollständigen Schließung der Straße von Hormus führen würde, wäre hingegen explosiv für den Ölmarkt. In diesem Szenario hätte nur ein Land der Region – Saudi-Arabien, der weltgrößte Rohölexporteur – die Kapazität, seine Produktion zu verkaufen.
Und das nur teilweise: Es könnte rund fünf Millionen Barrel pro Tag auf den Markt bringen – die maximale Kapazität der Ost-West-Pipeline, die Anfang der 1980er Jahre während des endlosen Krieges zwischen Iran und Irak gebaut wurde.“

Endlos war der Krieg nicht, er dauerte +/- 10 Jahre.
Dieses Öl müßte dann über das Rote Meer auf die Weltmärkte gelangen, also per Schiff durch den Suez-Kanal, was auch die Preise erhöhen dürfte.
Die andere Richtung durch die Bab-Al-Mandab-Straße wird von den Huthis bedroht, um die es inzwischen zwar ruhiger geworden ist, aber das muß nichts heißen.

„Mit anderen Worten: Fast die Hälfte der Produktion des Ölproduzenten schlechthin würde vom Markt genommen, was die Preise in die Höhe treiben würde.
Teheran muss seine nächsten Schritte jedoch sorgfältig abwägen. Eine Schließung von Hormus würde seine jährlichen Öleinnahmen von 67 Milliarden Dollar (58,2 Milliarden Euro) ernsthaft gefährden. Gelinde gesagt, etwa ein Fünftel seines BIP. Seine wichtigste Devisenquelle würde auf einen Schlag verschwinden. Darüber hinaus würde es bedeuten, seine ebenfalls milliardenschweren Erdgasexporte aufzugeben, einen Markt, auf dem das Land relativ gesehen sogar noch größeres Gewicht hat: Es ist der drittgrößte Produzent der Welt. Nur ein Energieriese, Russland, hat mehr nachgewiesene Reserven dieses Brennstoffs als der Iran.“

Eine Schwächung des Iran würde also die Stellung Rußlands als Energie-Exporteur stärken, Sanktionen und Schattenflotte hin oder her.
Allerdings gibt es praktisch nur einen Käufer, den das betrifft:

„China, praktisch Allein-Abnehmer

China ist der größte und praktisch alleinige Abnehmer iranischen Öls. Sollte ein Teil seiner Produktion den Markt verlassen, müsste das zweitbevölkerungsreichste Land der Welt dieses Rohöl (und seine Derivate) aus anderen Golfstaaten beziehen – vorausgesetzt, die Straße von Hormus bleibt offen – oder sogar aus anderen Breitengraden.

Dieser Schritt würde das Ölpuzzle neu zusammenfügen und könnte, wie einige Analysten warnen, den Preis innerhalb von drei Jahren auf rund 100 Dollar pro Barrel treiben. Deutlich über den aktuellen 75 Dollar.“

Es ist nicht ganz nachzuvollziehen, wie der Autor auf die 3 Jahre kommt, aber die Zeit wird weisen, ob die Analysten hier einmal recht hatten – oder doch nicht.