Die europäische Variante der Schuldenbegrenzung

NULLZINSEN UND SPARMASSNAHMEN

In Europa gibt es das Theater um Schuldenobergrenzen nicht. Da läuft das anders. Die EZB leert zwar in großen Mengen Geld in den Kreislauf, oftmals zu Null- und Negativzinsen, und oftmals, ohne daß das an die große Glocke gehängt wird. Welche Betriebe z.B. im Anleihen-Aufkauf-Programm der EZB sind, weiß niemand, aber man kann getrost annehmen, daß diverse große Player wie die Deutsche Bank oder andere nationale Flaggschiffe regelmäßig mit Geldspritzen bedacht werden, wenn es bei ihnen nicht so rund läuft.

Geht es jedoch um Staaten, die mit Schulden-Refinanzierung kämpften, so tritt die gestrenge Oberaufsicht in Brüssel auf den Plan. Da muß man dann jeden Cent umdrehen und schauen, ob damit nicht womöglich „Sozialzuckerl“ ausgeteilt werden oder „marode“ „Zombie“-Betriebe mit Kreditspritzen am Leben gehalten werden. Die Zombies gibt es nämlich nur auswärts, bei uns zuhause – sprich: Deutschland, Niederlande, Österreich, Skandinavien u.a. – wird nämlich solid gewirtschaftet!

Es hat sich also eine gewisse Kultur der verdeckten Subventionen neben einem „Was Jupiter erlaubt ist, darf der Ochse nicht“-Prinzip eingebürgert. Was sich die einen Staaten als selbstverständlich herausnehmen, wird bei den anderen als Unzulässigkeit gebrandmarkt.

Das alles neben der inzwischen mehr oder weniger eingebürgerten Nullzinspolitik, von der die EZB trotz steigender Inflation in den Eurostaaten und Händeringen ebendort nicht abgehen will.
Sie weiß schon, warum.
Zinserhöhungen für Anleihen aller Art würden unabsehbare Effekte für die Schuldenlast der Eurozone zur Folge haben. Es könnte sich herausstellen, daß viel mehr Staaten ihre Schuldenlast nicht mehr stemmen können, als bisher angenommen.

Diese Sparaufrufe gegenüber den Staaten Südeuropas erfolgen, obwohl sich vom Standpunkt der Schuldenlast durchaus positive Effekte der Nullzinspolitik zeigen. Die gleiche Zeitung, die leicht geschockt über die Fast-Bruchlandung des US-Haushalts berichtet, vermeldet nämlich:

„Spanien senkt Zinszahlungen trotz steigender Schulden
Das Budget für 2022 sieht eine Senkung der Finanzierungskosten um 1.500 Millionen vor. (…)
Wie sind solche Einsparungen möglich? Nun, dank der von der EZB getätigten Ankäufe von Staatsanleihen, die die Zinsen auf historisch niedrige Zinsen sinken lassen, sogar ins Negative. Unter diesen Marktbedingungen ist das spanische Finanzministerium in der Lage, seine Schulden zu deutlich geringeren Kosten zu refinanzieren und Einsparungen zu erzielen, selbst wenn die Schulden in einer Höhe gestiegen sind, die nur mit derjenigen der letzten Finanzkrise vergleichbar ist.“ (El País, 9.10.)

Aber die von Brüssel verordneten Sparprogramme haben einen durchaus beabsichtigten Effekt. Sie wirken ähnlich wie die IWF-Vorschriften für Lateinamerika und ähnliche IWF-geschädigte Weltgegenden: Sie helfen Produktion zu vernichten und damit einen Markt für diejenigen Betriebe und Standorte zu schaffen, wo der Schornstein noch raucht. Sie sind also ein Moment der inneren EU-Konkurrenz, wo man sich an gestrauchelten Partnerstaaten schadlos hält, um gescheiterte Exportprojekte zu kompensieren (Iran, Nordafrika, Naher Osten).

Wie ist der Ausblick für die nahe Zukunft?
Weiter wie bisher.

Kompromiss in den USA

SCHULDENGRENZE

„Die USA vermeiden den ersten Staatsschuldenausfall mit einer politischen Einigung »in extremis«. Die Demokraten bringen mit minimaler Mehrheit im Senat eine Verlängerung bis Dezember durch, die es ermöglicht, die Grenze um 480.000 Millionen Dollar anzuheben, um die anstehenden finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen (…) Die an diesem Donnerstag erzielte Einigung impliziert, daß ein tief gespaltener Kongreß in den nächsten acht Wochen vor der doppelten Herausforderung steht, einen Kompromiß für die Ausgaben der Regierung bis September 2022 in so unterschiedlichen Bereichen wie Bildung, Einwanderungskontrolle an den Grenzen oder Flughafensicherheit zu finden, um einen weiteren Zusammenbruch der Schuldengrenze zu vermeiden.“ (El País, 9.10.)

Dieses Theater spielt sich in den USA seit geraumer Zeit ab, unter Obama teilweise mit dramatischen Noten wie einem tatsächlichen Zahlungsstopp für öffentliche Institutionen, bis dann nachträglich doch wieder eine Erhöhung der Schuldengrenze beschlossen werden konnte. Es hat damals schon einmal die Regierung Chinas zu der spöttischen Bemerkung veranlaßt, daß die Demokratie nicht das Gelbe vom Ei sein kann, wenn sie ihr Herrschaftspersonal regelmäßig an den Rand der Zahlungsunfähigkeit bringt.

Es ist wirklich bemerkenswert, daß sich die Eliten der USA regelmäßig unter Krämpfen darauf einigen müssen, in Sachen Staatsfinanzen so weiterzumachen wie bisher, also Schulden auf Schulden häufen. Man könnte ja einmal naiv fragen: Warum denn nicht, wenn es bisher auch gegangen ist?

Mit der Parteienkonkurrenz ist das nur bedingt zu erklären, wenngleich die in den USA eine gewisse Rolle spielt: Die Republikaner nehmen dort die Rolle der schwäbischen Hausfrau ein, die angesichts der Schuldenlast die Hände zusammenschlägt und sagt: Das kann doch nicht gutgehen! – das Ganze noch gepaart mit viel Verantwortlichkeitsgedusel gegenüber dem p.t. Publikum, das ihre Wählerschaft ausmacht und dem man diese Schuldenlast unmöglich aufbürden kann.

Dabei ist zu erinnern, daß es ein Republikaner, nämlich Nixon war, der die Bindung an den Goldstandard aufgegeben hat und dadurch erst die unbegrenzte Verschuldung ermöglicht hat:

„Vor 50 Jahren, am 15. August 1971, kündigte Nixon in einer Rundfunk- und Fernsehansprache einseitig die Verpflichtung der Vereinigten Staaten auf, Dollar in Gold zu tauschen. Der Dollar verlor damit über Nacht seine Funktion als Anker für die anderen Währungen. Den Rest der Welt traf die Rede völlig unvorbereitet, weshalb sie als Nixon-Schock in die Geschichte einging.“ (Süddeutsche, 15.8. 2021)

Damit hatte sich die USA praktisch unbegrenzte Verschuldungsfähigkeit gesichert, weil der Dollar nach wie vor die Anker- und Leitwährung blieb – und bis heute ist, zumindest für die Devisenmärkte und die auf ihnen gehandelten Währungen.

Um hier dennoch eine Kontrolle ausüben zu können, wurde 1974 – auch noch unter Nixon – das „Congressional Budget Office“ geschaffen, eine Parlamentsbehörde, die die Schuldenaufnahme und die Verwendung der solcherart aufgenommenen Gelder überprüfen muß. Lange Zeit führte diese Behörde ein Schattendasein und gab Berichte über Einnahmen und Ausgaben heraus, wie eine Art Staats-Buchhalter, vergleichbar dem Rechnungshof bei uns. Sogar die rasante Verschuldung unter Reagan zur Finanzierung des Raketenabwehrsystems SDI gab keinen Anlaß zur Besorgnis – es handelte sich ja um Verschuldung für einen guten Zweck.

Erst mit dem Ende des Kalten Krieges rührte sich ein gewisses Mißbehagen bei dieser Behörde und den US-Parlamentariern über Sinn und Zweck der Verschuldung. Dem begegnete der Präsident Clinton mit einem Budgetüberschuß von 1998 bis 2001. Der Tenor war damals: Der Sieg über die SU hat die Marktwirtschaft gestärkt, wir wirtschaften solide und können unsere Unkosten aus dem Wachstum finanzieren.

Als sein Nachfolger Bush die Verschuldung für den „Krieg gegen den Terror“ in die Höhe trieb, so war das auch noch immer für alle Beteiligten begreiflich und wurde vom Parlament problemlos abgesegnet, es war sozusagen eine patriotische Pflicht. Damals wurden einige Kriege begonnen, die sich für die USA als sehr kostspielig erweisen sollten, was aber erst seinem Nachfolger auf den Kopf fiel.

Obama erbte nämlich nicht nur diese Kriege und ihre Kosten, sondern auch die Finanzkrise, die durch die Überakkumulation an Kapital von den USA aus die ganze Welt überzog. Und seither rückt das Problem der USA, nicht nur ihre Ausgaben, sondern auch ihre Schulden zu finanzieren, in den Vordergrund. Der Schuldendienst ist zwar noch immer ein relativ geringer Posten im Budget, und die USA haben auch kein Problem, ihre Schulden zu plazieren, da sie im Unterschied zu verschiedenen EU-Staaten immerhin Positivzinsen zahlen. Aber inzwischen ist klar, daß die Schulden nur wachsen können. Und damit stellt sich immer mehr die Frage, wodurch sie eigentlich beglaubigt werden?

Die Weltmacht der USA bestand nämlich nicht nur aus ihrer Fähigkeit, einen Teil der Welt mit Krieg überziehen zu können, sondern auch auf ihrer Kontrolle über die Energieträger. Diese Schmiermittel der Weltwirtschaft, Öl und Gas, wurden lange von den USA als eine Art Eigentum betrachtet, das nur in Dollars gehandelt werden durfte. Gaddafi und Saddam Hussein kostete es das Leben, sich dem zu widersetzen.

Inzwischen hat sich hier einiges geändert: Rußland, China und Venezuela entziehen sich dieser Kontrolle, auch die brasilianische Ölindustrie ist derzeit zwar US-hörig, aber das kann sich bei einem etwaigen Machtwechsel in Richtung PT wieder ändern. Das Setzen der EU auf die sogenannten erneuerbaren Energien stellt eine weitere Zurücknahme der Energieabhängigkeit des alten Kontinents, dar, neben Nord Stream II.

Daher die Unschlüssigkeit und die Bedenken der US-Politik über die Zukunft ihrer Verschuldungsfähigkeit, die auch die Stellung ihrer Währung beeinflußt, und umgekehrt.

Die EU und ihre Querelen. Wieder einmal: Ungarn

FEINDLICHE BRÜDER

Es ist Zeit, einmal eine eigene EU-Beitrags-Seite zu starten, weil nach vollzogenem und dennoch nicht vollständig abgeschlossenen Brexit tun sich andere Fronten innerhalb der EU auf.
Da es keine Handhabe gibt, um die ungarische Regierung zu einer EU-konformen Haltung in Sachen Homosexuellen-Rechte zu nötigen, besinnt sich die EU auf einen anderen Hebel und wirft ihr Korruption vor.
Das war auch eine Zeitlang auf dem Tisch, als in Rumänien eine den EU-Wächtern nicht genehme Regierung drohte, und ist ein Dauerbrenner, mit dem man jederzeit Regierungen ehemals sozialistischer Staaten drangsalisieren kann, weil dort aufgrund der ökonomischen Entwicklung seit dem Fall des Eisernen Vorhangs notwendigerweise „Seilschaften“ am Werk sind. Die alten Eliten mußten sich ja irgendwie in das neue System integrieren:

„Missbrauch der Gelder vermutet:
EU blockiert Corona-Hilfen für Ungarn
Wegen eines Gesetzes zur Einschränkung von Informationen über Homosexualität zweifelt die EU an der Rechtsstaatlichkeit Ungarns. Nun gehen beide Parteien erneut auf Konfrontationskurs. Brüssel bemängelt den Plan für die Corona-Hilfen – und blockiert die Milliardenzahlung.
Die EU-Kommission von Ursula von der Leyen legt sich einmal mehr mit der Regierung des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban an. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur verweigert die Brüsseler Behörde derzeit dem ungarischen Plan für die Verwendung von EU-Corona-Hilfen eine positive Bewertung. Grund sind nach Angaben aus EU-Kreisen bislang nicht ausreichende Garantien und Vorkehrungen gegen eine missbräuchliche Verwendung der Gelder.
Eine positive Bewertung des Plans für die Mittelverwendung ist Voraussetzung dafür, dass Ungarn Geld aus der sogenannten Aufbau- und Resilienzfazilität (RFF) der EU bekommen kann. Für das Land sind nach derzeitigen Berechnungen eigentlich rund 7,2 Milliarden Euro vorgesehen. Die Kommission hatte sich jüngst bereits wegen eines Gesetzes zur Einschränkung von Informationen über Homosexualität und Transsexualität mit der Regierung des rechtsnationalen Politikers Orban angelegt. EU-Kommissionschefin von der Leyen nannte das Gesetz eine Schande und will es notfalls sogar vor den Europäischen Gerichtshof bringen. Sie hält das Gesetz für diskriminierend und damit für unvereinbar mit den Werten der EU. (…)“ (NTV, 6.7.)

Jedes Land muß einen Plan vorlegen, und ausgerechnet bei Ungarn zweifelt die EU an der richtigen Verwendung dieser Gelder. So ein Zufall.

(Nicht, daß das Abzweigen von Geldern in private Taschen in Ungarn unüblich oder undenkbar wäre. Aber eben nicht nur in Ungarn. Die EU-genehme Regierung Bulgariens unter der Führung von Bojko Borissow wirtschaftet mit großem Schwung in die eigene Tasche. Aber diese Regierung ist der Garant für antirussische Politik Bulgariens und will natürlich dafür eine Gegenleistung.
Im Baltikum wird schon gar nicht genau nachgeschaut, wo irgendwelche EU-Gelder landen. Ebenso ist es bei Zypern, Malta und auch Griechenland, seit die Syriza-Regierung abgewählt wurde, oder Italien, seit Draghi am Ruder ist.
Man merkt also, wie sehr der Korruptions-Zeigefinger nach Belieben ausgefahren oder eingezogen werden kann.)

Ähnlich verfährt die EU mit Polen.
Das Hilfspaket für Ungarn wird bis Oktober ausgesetzt, und der polnische Plan wartet ebenfalls seit 3 Monaten auf eine Genehmigung. (El País, 28.7.)

Das Tauziehen um die Corona-Hilfsgelder hatte ein Vorspiel, das der Tagesspiegel gleich in eine deutsche Machtdemonstration verwandelt:

„Ungarn und Polen blockieren Corona-Fonds.
Merkel muss Orban die Grenzen aufzeigen

Vor allem Ungarns Regierungschef Orban hat sich im Brüsseler Machtkampf ins Abseits gestellt. Das muss ihm Kanzlerin Merkel deutlich machen.
Viktor Orban und Mateusz Morawiecki haben die EU mit ihrem Veto in eine schwere Krise gestürzt. Das milliardenschwere Corona-Hilfsprogramm für die EU-Staaten droht zu platzen, weil die Regierungschefs aus Ungarn und Polen sich von Brüssel keine Vorschriften zur Rechtsstaatlichkeit machen lassen wollen. (…)“ (Tagesspiegel, 16.11.)

Die EU-Spitze, vor allem Deutschland und seine Satelliten Holland und Luxemburg, wollten nämlich die Corona-Hilfsgelder ausnutzen, um sich im Kleingedruckten ziemliche, über die bisherigen EU-Vereinbarungen hinausgehende Rechte zum Hineinregieren in mißliebige Mitgliedsländer genehmigen zu lassen. Die sollten gegen Geld Souveränitätsverzicht unterzeichnen.
Da das nicht klappte und das ganze Corona-Paket zu scheitern drohte, wird jetzt eben die Korruptions-Schiene eingesetzt.
Der Ausgang ist noch unklar. Aber dergleichen Verweigerung von Zahlungen hat notgedrungen Auswirkungen auf die Handhabbarkeit von Abhängigkeiten und die Unternehmens-Praktiken in den betroffenen Staaten.

Neben Polen hat sich inzwischen auch Slowenien in den Klub derer eingereiht, die nicht vorhaben, Brüssel Zugeständnisse zu machen.