SCHULDENGRENZE
„Die USA vermeiden den ersten Staatsschuldenausfall mit einer politischen Einigung »in extremis«. Die Demokraten bringen mit minimaler Mehrheit im Senat eine Verlängerung bis Dezember durch, die es ermöglicht, die Grenze um 480.000 Millionen Dollar anzuheben, um die anstehenden finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen (…) Die an diesem Donnerstag erzielte Einigung impliziert, daß ein tief gespaltener Kongreß in den nächsten acht Wochen vor der doppelten Herausforderung steht, einen Kompromiß für die Ausgaben der Regierung bis September 2022 in so unterschiedlichen Bereichen wie Bildung, Einwanderungskontrolle an den Grenzen oder Flughafensicherheit zu finden, um einen weiteren Zusammenbruch der Schuldengrenze zu vermeiden.“ (El País, 9.10.)
Dieses Theater spielt sich in den USA seit geraumer Zeit ab, unter Obama teilweise mit dramatischen Noten wie einem tatsächlichen Zahlungsstopp für öffentliche Institutionen, bis dann nachträglich doch wieder eine Erhöhung der Schuldengrenze beschlossen werden konnte. Es hat damals schon einmal die Regierung Chinas zu der spöttischen Bemerkung veranlaßt, daß die Demokratie nicht das Gelbe vom Ei sein kann, wenn sie ihr Herrschaftspersonal regelmäßig an den Rand der Zahlungsunfähigkeit bringt.
Es ist wirklich bemerkenswert, daß sich die Eliten der USA regelmäßig unter Krämpfen darauf einigen müssen, in Sachen Staatsfinanzen so weiterzumachen wie bisher, also Schulden auf Schulden häufen. Man könnte ja einmal naiv fragen: Warum denn nicht, wenn es bisher auch gegangen ist?
Mit der Parteienkonkurrenz ist das nur bedingt zu erklären, wenngleich die in den USA eine gewisse Rolle spielt: Die Republikaner nehmen dort die Rolle der schwäbischen Hausfrau ein, die angesichts der Schuldenlast die Hände zusammenschlägt und sagt: Das kann doch nicht gutgehen! – das Ganze noch gepaart mit viel Verantwortlichkeitsgedusel gegenüber dem p.t. Publikum, das ihre Wählerschaft ausmacht und dem man diese Schuldenlast unmöglich aufbürden kann.
Dabei ist zu erinnern, daß es ein Republikaner, nämlich Nixon war, der die Bindung an den Goldstandard aufgegeben hat und dadurch erst die unbegrenzte Verschuldung ermöglicht hat:
„Vor 50 Jahren, am 15. August 1971, kündigte Nixon in einer Rundfunk- und Fernsehansprache einseitig die Verpflichtung der Vereinigten Staaten auf, Dollar in Gold zu tauschen. Der Dollar verlor damit über Nacht seine Funktion als Anker für die anderen Währungen. Den Rest der Welt traf die Rede völlig unvorbereitet, weshalb sie als Nixon-Schock in die Geschichte einging.“ (Süddeutsche, 15.8. 2021)
Damit hatte sich die USA praktisch unbegrenzte Verschuldungsfähigkeit gesichert, weil der Dollar nach wie vor die Anker- und Leitwährung blieb – und bis heute ist, zumindest für die Devisenmärkte und die auf ihnen gehandelten Währungen.
Um hier dennoch eine Kontrolle ausüben zu können, wurde 1974 – auch noch unter Nixon – das „Congressional Budget Office“ geschaffen, eine Parlamentsbehörde, die die Schuldenaufnahme und die Verwendung der solcherart aufgenommenen Gelder überprüfen muß. Lange Zeit führte diese Behörde ein Schattendasein und gab Berichte über Einnahmen und Ausgaben heraus, wie eine Art Staats-Buchhalter, vergleichbar dem Rechnungshof bei uns. Sogar die rasante Verschuldung unter Reagan zur Finanzierung des Raketenabwehrsystems SDI gab keinen Anlaß zur Besorgnis – es handelte sich ja um Verschuldung für einen guten Zweck.
Erst mit dem Ende des Kalten Krieges rührte sich ein gewisses Mißbehagen bei dieser Behörde und den US-Parlamentariern über Sinn und Zweck der Verschuldung. Dem begegnete der Präsident Clinton mit einem Budgetüberschuß von 1998 bis 2001. Der Tenor war damals: Der Sieg über die SU hat die Marktwirtschaft gestärkt, wir wirtschaften solide und können unsere Unkosten aus dem Wachstum finanzieren.
Als sein Nachfolger Bush die Verschuldung für den „Krieg gegen den Terror“ in die Höhe trieb, so war das auch noch immer für alle Beteiligten begreiflich und wurde vom Parlament problemlos abgesegnet, es war sozusagen eine patriotische Pflicht. Damals wurden einige Kriege begonnen, die sich für die USA als sehr kostspielig erweisen sollten, was aber erst seinem Nachfolger auf den Kopf fiel.
Obama erbte nämlich nicht nur diese Kriege und ihre Kosten, sondern auch die Finanzkrise, die durch die Überakkumulation an Kapital von den USA aus die ganze Welt überzog. Und seither rückt das Problem der USA, nicht nur ihre Ausgaben, sondern auch ihre Schulden zu finanzieren, in den Vordergrund. Der Schuldendienst ist zwar noch immer ein relativ geringer Posten im Budget, und die USA haben auch kein Problem, ihre Schulden zu plazieren, da sie im Unterschied zu verschiedenen EU-Staaten immerhin Positivzinsen zahlen. Aber inzwischen ist klar, daß die Schulden nur wachsen können. Und damit stellt sich immer mehr die Frage, wodurch sie eigentlich beglaubigt werden?
Die Weltmacht der USA bestand nämlich nicht nur aus ihrer Fähigkeit, einen Teil der Welt mit Krieg überziehen zu können, sondern auch auf ihrer Kontrolle über die Energieträger. Diese Schmiermittel der Weltwirtschaft, Öl und Gas, wurden lange von den USA als eine Art Eigentum betrachtet, das nur in Dollars gehandelt werden durfte. Gaddafi und Saddam Hussein kostete es das Leben, sich dem zu widersetzen.
Inzwischen hat sich hier einiges geändert: Rußland, China und Venezuela entziehen sich dieser Kontrolle, auch die brasilianische Ölindustrie ist derzeit zwar US-hörig, aber das kann sich bei einem etwaigen Machtwechsel in Richtung PT wieder ändern. Das Setzen der EU auf die sogenannten erneuerbaren Energien stellt eine weitere Zurücknahme der Energieabhängigkeit des alten Kontinents, dar, neben Nord Stream II.
Daher die Unschlüssigkeit und die Bedenken der US-Politik über die Zukunft ihrer Verschuldungsfähigkeit, die auch die Stellung ihrer Währung beeinflußt, und umgekehrt.