DIE ÜBERNAHME DES BANCO POPULAR
1. Vom Ideal, Krisen zu vermeiden
Die 2014 gegründete Europäische Bankenunion hat das erklärte Ziel, durch Aufsicht und Richtlinien eine Wiederholung der Finanzkrise zu verhindern.
Erstens ist die Finanzkrise nicht vorbei, ganz im Gegenteil, sie schleppt sich inzwischen ins 10. Jahr. Sie ist sozusagen latent geworden.
Bemerkenswert ist auch die interessierte Betrachtungsweise bzw. völlige Ignoranz gegenüber den Gründen der Krise. Die Kreditschöpfung des Finanzkapitals oder das Prinzip des Gewinns überhaupt, das die Finanz-„Dienstleister“ erst dazu bringt, zu machenden Profit bereits vorwegzunehmen, werden gar nicht Gegenstand der Überlegungen der Politiker und „Experten“ der EU. Sondern das Urteil steht schon fest: Menschliches Versagen soll wie bei Zugunglücken die Ursache gewesen sein, warum Banken krachen und Wertpapiere sich entwerten. Selbstherrlichkeit von einzelnen leitenden Angestellten, allgemein Gier und andere niedrige Gefühle, von denen man gar nicht weiß, wo die in unserer Wertegemeinschaft eigentlich herkommen, haben so wunderbare Gebilde wie den Euro ins Strudeln gebracht. Seither sind jede Menge Verantwortliche bei Notenbanken, Gesetzgeber und Juristen damit beschäftigt, den Euro mit Geldspritzen zu behandeln und mit weiterem Kredit zu füttern, damit er sich auf den Beinen halten kann.
Bei einer solchen Diagnose nimmt es dann auch nicht wunder, wie die Therapie aussieht: Kontrolle und noch einmal Kontrolle soll vermeiden, daß „einzelne“ „Fehlentscheidungen“ wieder eine Entwertungs-Lawine ins Rollen bringen. Der demokratisch geschulte Verstand betrachtet die gesamte gesellschaftliche Verfaßtheit, die kapitalistische Einrichtung der Welt mit Geld, Eigentum, Staat und Gesetzen als eine Art höhere Gewalt, die von gewöhnlichen Sterblichen irgendwie gebändigt und handhabbar gemacht werden muß.
Die Europäische Bankenunion folgt von ihrer Logik her also ähnlichen Prinzipien wie die Wildbachverbauung, womit aber den Aufgaben, die sie sich gestellt hat, und überhaupt dem Gegenstand ihres Handelns – dem Finanzkapital – nicht gerecht wird.
2. Die Banco Popular-Bank und ihr Ende
Die Bank wurde 1926 unter dem klingenden Namen „Volksbank der um die Zukunft Besorgten“ gegründet und erfreute sich der besonderen Gunst des damaligen spanischen Königs, der gleich demonstrativ die ersten Aktien zeichnete.
Unter Franco war die Bank wie andere Banken auch ein Instrument der wirtschaftlichen Steuerung, im Vorstand befanden sich viele Mitglieder des Opus Dei.
Zu einer „richtigen“ Bank wurde die Banco Popular erst nach dem Ende des Franco-Systems, als sie erstens ein umfassendes Filialnetz in Spanien aufbaute und dann ins Ausland expandierte – erst innerhalb der EG, und dann auch in Übersee, in den USA und in Mexiko.
An der Schwelle zur Finanzkrise, im Jahr 2008, führte sie noch eine Vereinheitlichung ihres Filialnetzes durch.
Als sie 2017 an die Bank Santander um einen symbolischen Euro verkauft wurde, war sie nach Vermögen die fünft- oder sechstgrößte Bank Spaniens.
Banco Popular saß natürlich, wie alle spanischen Banken, mit einem Haufen entwerteter Hypothekarkredite und anderen Überresten der großflächig gescheiterten Immobilienspekulation da.
Über die weiteren Gründe ihres Scheiterns und der Übernahme gehen die Ansichten auseinander. Eine eigene Untersuchungskommission wurde eingesetzt, und Aktionäre und Einleger haben rechtliche Schritte gegen Santander als Rechtsnachfolger eingeleitet.
Die Popular war die erste Bank, bei der die Bankenaufsicht eingriff. Aus den Protokollen der Untersuchungskommission geht hervor, daß die Beamten der EU-Bankenunion eigentlich keine Ahnung haben, wie sie mit dergleichen Fällen umgehen sollen. Die Wildbachverbauungs-Logik führt ins Nichts.
3. Ursachenforschung im Nebel
Die Diagnose der Tageszeitung El País gibt die Richtung vor, in die man in Zukunft denken soll:
„Sie (= die Bank) war das letzte Opfer der schlechten Leitung durch die Verantwortlichen während der Finanzkrise.“
Man entnehme dem Satz: 1. Die Finanzkrise war einmal. 2. Sie wirkt immer noch nach. 3. Bei guter Leitung wäre kein Schaden entstanden.
Der eine der ehemaligen Direktoren beschuldigte seinen Nachfolger, die Bank in den Bankrott getrieben zu haben, damit die Bank Santander sie übernehmen könne, ohne einen Cent dafür zu zahlen, und auch noch 2 Milliarden Euro dafür einzustreifen. (Das waren staatliche Zahlungen, damit Santander das gekenterte Schiff bei sich aufnehmen sollte.) Der Nachfolger hingegen konterte, die Bank sei bereits pleite gewesen, als er in die Direktion gekommen sei, das sei nur von seinem Vorgänger versteckt worden.
Zu dieser Praxis der geschönten Bilanzen gab er allerdings zu, daß sie weit verbreitet sei, da ja der Kredit der Bank um jeden Preis aufrechterhalten werden sollte. Also wurden überall nach dem Platzen der Immobilienblase in Spanien die nicht mehr bedienten Kredite und entwerteten Immobilien in den Bilanzen versteckt, so gut es nur ging. So auch bei der Popular.
Zunächst wurde das Filialnetz „verschlankt“ und Leute entlassen. Das verringerte zwar Kosten, brachte die Bank aber nicht in die Gewinnzone und löste das Problem der problematischen Aktiva nicht, die nach wie vor bei der Bank herumlagen.
Dann wurden Kapitalaufstockungen durch Börsengänge unternommen. Vorher wurde natürlich die Lage der Bank in den rosigsten Farben in Hochglanzprospekten und Werbespots ausgemalt – die Leute sollten die Aktien ja kaufen.
Diese Praxis wurde inzwischen von den spanischen Gerichten als Betrug eingestuft, sodaß saftige Entschädigungszahlungen an geprellte Aktionäre ausgezahlt werden mußten und auch weiterhin müssen.
Bei dieser Kapitalaufstockung kamen mexikanische Aktionäre in die Bank, die dachten – offenbar im Unklaren über den tatsächlichen Zustand der Bank – ein echtes Schnäppchen gemacht zu haben. Jetzt schauen sie durch die Finger und wollen ihr Geld zurück. Auch aus New York wurden Klagen gegen die Bank eingereicht, die sich inzwischen eben an die Santander als neuen Besitzer richten. Der Fall der Popular geht also auch über die EU hinaus.
Eine beliebte Form der Kapitalerhöhung bei Banken und Sparkassen in Spanien bestand auch darin, den betuchteren Kunden Anteilsscheine an der Bank aufzuschwatzen, die sich mit einem Bankrott oder Verkauf der Bank in Luft auflösen, oder eben doch nicht, weil dieser Umstand eine Flut von Klagen nach sich zieht.
Im Falle der Popular wurde auch diese Praxis sehr verdeckt gehandhabt, weil diese Anteilsscheine bei anderen Banken bereits öffentlich in Mißkredit geraten waren. Es ist in den Medien immer nur von „Investoren“ die Rede, aber nicht davon, welcher Art die „Investition“ eigentlich war, da aufgrund der Schwierigkeiten der Bank auch der Börsengang gar nicht oder nur teilweise öffentlich war.
4. Santander als Bankenretter
Die Bank Banco Santander ist das Herzstück des Grupo Santander, einem internationalen Netz von Finanzdienstleistern rund um den Globus.
Gegründet wurde die Bank im 19. Jahrhundert als Handelsbank für den Export und Import aus dem Hafen von Santander. Später war sie eine der Banken, die Papiergeld druckten und in Umlauf brachten, bis dieses Geschäft der Nationalbank exklusiv übertragen wurde. Erst im 20. Jahrhundert begann sie, sich über Kantabrien hinaus zu einer gesamtspanischen Bank zu entwickeln und andere Banken einzuverleiben. Einen echten Wachstumsschub brachte der Fall des Rumasa-Imperiums, einer vertikalen Unternehmensgruppe aus der Franco-Zeit, die 1984 von der damaligen Regierung zerschlagen wurde, wobei Santander den Banksektor übernahm.
Seit dem EG-Beitritt Spaniens 1986 wächst Santander unaufhörlich. In den 90-er Jahren wurde sie zur größten Bank Spaniens und einer der wichtigsten Banken Lateinamerikas. Mit der Einführung des Euro expandierte Santander so richtig in andere Staaten der EU und nach Übersee. Santander gehörte zu den Banken, die den Euro nutzten und gleichzeitig als internationale Währung in anderen Ländern etablierten.
Zu ihrem 150. Jahrestag 2007 war sie die 12-größte Bank der Welt und diejenige mit dem größten Filialnetz weltweit. Den größten Geschäftsanteil machen das Privatkundengeschäft und die Konsumentenkredite aus.
Seither hat Santander noch weitere Banken übernommen. Zunächst sah sie die Krise und die aus ihr resultierenden Bankencrashes natürlich als eine Chance, weiter zu expandieren und sich Marktanteile in ihrem Stammgeschäft zu sichern.
Mit dem Fortschreiten der Krise kam aber noch ein anderer Gesichtspunkt dazu. Santander ist nicht nur eine Systembank des europäischen Finanzsystems, sie ist auch zu einer Systembank der Bankenrettung geworden.
Sie kauft gestrauchelte Banken auf der iberischen Halbinsel auf und saniert diese, sowohl finanziell als auch, was die anstehenden Klagen und Rechtsstreitigkeiten angeht. Dafür erhält sie alle Unterstützung vom Staat und der EZB.
So sieht das Aufräumen hinter gecrashten Banken viel besser aus: Es handelt sich scheinbar um eine normale kommerzielle Operation, eine Bank kauft eine andere, und fertig. Santander stützt damit den Ruf des Euro.
Das einzige Problem ist, daß sich die Santander nicht überall einsetzen läßt, weil z.B. die italienischen Regierungen eine Übernahme ihrer großen Banken durch Santander nicht zulassen würden. Schon der Erwerb der Antonveneta und ihr baldiger Verkauf an eine italienische Bank zeigten, daß Santander in Italien nicht willkommen ist. Möglicherweise haben auch andere Staaten Vorbehalte gegen das Eindringen dieses Haifisches in ihren finanziellen Fischteich.
Es fragt sich übrigens, was Santander mit den bei ihr natürlich auch in großer Menge vorhandenen geplatzten Krediten, unbebauten Grundstücken und leeren Immobilien macht? Schreibt sie sie locker ab, oder hat sie bessere Konditionen als andere Banken, diese entwerteten Aktiva auf Bad Banks oder andere Müllschluck-Institutionen zu dumpen?
5. Der spanische Staat und seine Bad Bank
Ein großer Abwesender beim Fall der Popular ist die spanische Bad Bank, die SAREB. Sie wurde ja gegründet, um den Banken die faulen Kredite abzukaufen. Entweder sie hat der Popular zu wenig davon abgekauft, oder sie hat zu wenig dafür gezahlt.
Oder aber, das ganze Programm der Bad Bank bewährt sich bei nicht bedienten, also verfallenen Krediten nicht, sondern läßt sich nur auf entwertete Wertpapiere anwenden.
Es ist jedoch auffällig, daß die SAREB, die genau für solche Banken wie die Popular gegründet wurde, in den ganzen Verhandlungen um die Nachbereitung der Bankinsolvenz und des Kaufes durch die Santander gar nicht aufscheint.
Daraus kann man Rückschlüsse auf die Tätigkeit der SAREB und deren Dotierung aus dem spanischen Budget ziehen. Der große Schritt war offenbar die Gründung dieser Bad Bank. Seht her, wir kümmern uns um unsere Banken und deren Probleme! Das war eine Botschaft an das In- und Ausland, nachdem Spanien 2012 einen großen Kredit aus dem Rettungsfonds ESM zur Bankensanierung erhalten hatte.
Und da hat sich die SAREB ja auch bewährt, neben anderen Maßnahmen wie dem Anleihen-Aufkaufsprogramm der EZB: Das Rating der spanischen Staatsanleihen verbesserte sich.
Das Geld war offenbar bald verbraucht, und seither zahlt die SAREB fast nichts mehr bzw. kauft keine entwerteten Aktiva mehr auf. Hin und wieder gibt es Berichte über die SAREB: von den bei ihr angesammelten Immobilien und sonstigen Vermögenswerten oder Schuldtiteln wurden so und so viel Prozent „realisiert“, also irgendwie zu Geld gemacht. Ob es sich dabei um so symbolische Euros handelt oder um irgendwelche wirklichen Einnahmen, bleibt im Dunkeln.
Die zweite wichtige Aufgabe der SAREB scheint nämlich zu sein, die Immobilienpreise wieder auf ein gewinnversprechendes Niveau zu heben und den Hypothekarkredit zu beleben. Diesbezügliche Erfolgsmeldungen kann man glauben oder nicht. Ein wirklicher Durchbruch scheint bis heute nicht stattgefunden zu haben, ein großer Anteil der Hypothekarkredite bleibt uneinbringlich, weil die Schuldner sich ins Ausland abgesetzt haben, entweder nach Lateinamerika oder in andere EU-Staaten.
Damit ist auch der spanische Bausektor nicht mehr wirklich auf die Füße gekommen und hält sich mit staatlichen und Auslandsaufträgen irgendwie über Wasser.
Und deswegen ist letztlich auch die Popular gekracht: Die Hoffnung, nach einer Durststrecke wieder ins Hypothekargeschäft zu kommen, bewährte sich nicht.
Der Grund, die Bank zu übernehmen und zu verkaufen, war schließlich ein Run auf die Bank, aufgrund der sich häufenden Negativmeldungen. Da griff die Euro-Bankenaufsicht ein.
6. Die europäische Bankenaufsicht
Schon die Namensgebung der Bankenaufsicht ist eigenartig: Überall sind „Mechanismen“ zugegen, aber die Beschlüsse erfolgen nicht mechanisch, sie müssen dann schon von Menschen gefaßt werden.
Wie sich inzwischen aufgrund der Anhörungen der spanischen Untersuchungskommission herausgestellt hat, hatte der EZB-Bankenaufsichts-Ausschuß SRB im Mai 2017 die Buchprüfer-Firma Deloitte beauftragt, sich die Bilanzen und Perspektiven der Bank anzuschauen. Die Firma erstellte 3 Szenarien, ein positives und 2 negative. Außerdem hat dieser Ausschuß eine eigene Bewertung erstellt, die auch negativ war.
Auf dieser Grundlage kam es zum Entschluß des SRB-Ausschusses, die Popular an Santander für einen symbolischen Euro zu verkaufen.
Über das alles ist aber nicht viel herauszubekommen, weil sowohl die 3 Studien der Buchprüfer-Firma als auch diejenige des EZB-Ausschusses „vertraulich“ sind. An die spanischen Abgeordneten im Parlament wurde nur eine stark zensurierte und nichtssagende Zusammenfassung dieser Papiere freigegeben. Aus der geht immerhin hervor, daß der SRB-Ausschuß den Verkaufsbeschluß faßte, weil die EZB sich weigerte, der Bank weiter Liquidität über den ELA-Notfallsmechanismus zuzuschießen.
Weiters geht aus diesem Resümee der Intervention noch hervor, daß der Bankenaufsichts-Ausschuß den Geldhahn abdrehte, weil die Verantwortlichen der Popular nicht genug Aktiva vorweisen konnten, um weitere Geldspritzen zu rechtfertigen.
Die ganze Tätigkeit dieser Bankenaufsicht, die so um die 1000 Mitarbeiter beschäftigt, dreht sich also allein um die Frage, wann einer Bank definitiv der Hahn zuzudrehen ist. Und zwar dann, wenn sie nicht genug hat, um einen Liquiditäts-bzw. Überbrückungskredit auch zu bedienen und zu tilgen. Einzig und allein für diese Frage werden Studien erstellt und Gehirnschmalz eingesetzt. Diese Geistesleistungen sind dann aber „vertraulich“, weil sie entweder auf einige Akteure, oder aber auf den ganzen Banksektor kein gutes Licht werfen.
Die Bankenaufsicht bemängelte ferner die „negative Berichterstattung in der Presse“, die „die Schließung der Bank beschleunigt habe.“
Damit wird eigentlich der Bankleitung vorgeworfen, die Öffentlichkeit nicht ausreichend hinters Licht geführt zu haben. Ferner wird damit zugegeben, daß die Bank sowieso hätte zusperren müssen, nur eben etwas später. Wie auch die Geheimnistuerei mit den Studien zeigt, hält die Bankenaufsicht anscheinend das Verstecken von kompromittierenden Infos für das Um und Auf des Bankengeschäfts!
Die spanische Untersuchungskommission und mit ihr das spanische Parlament ist entrüstet, weil sie alle keine Infos kriegen. Die Bankenaufsicht ist genervt, weil die angeblich falsche „Informationspolitik“ die Kosten der Sanierung hinaufgetrieben hat. Und die über 300.000 Geschädigten beschäftigen Anwälte und Gerichte, um ihr investiertes Geld zurückzubekommen.
Das ist also das Resultat der Tätigkeit der Bankenaufsicht. Oder genauer, das bisherige.
Kategorie: Geld & Kredit
Pressespiegel El País, 22.6., kommentiert:
„Die Eurogruppe setzt den Schlußpunkt unter eine Ära von Rettungspaketen für Griechenland“
VERHATSCHTE EURO-PROPAGANDA
„Die Wirtschaftsminister einigen sich auf Erleichterungen bei der griechischen Staatsschuld, um seine“ (d.h. Griechenlands) „Rückkehr an die Märkte zu ermöglichen.“ (El País, 22.6.)
Schon an der ganzen Wortwahl merkt man, daß etwas faul ist an der Angelegenheit. Wer sind die „Wirtschaftsminister“? Die meisten Mitglieder der Eurozone haben dieses Amt nicht. Erwähnt werden in dem ganzen Artikel der griechische Finanzminister, Efklidis Tsakalotos, der Wirtschafts- und Währungskommissar der EU-Kommission Pierre Moscovici und der neue Kommissionspräsident Mario Centeno. Später heißt es: „Die Finanzminister“ Alle? Ansonsten gibt es noch Hinweise auf „Paris“ und „Berlin“ und die angebliche Zustimmung von EZB und IWF. Wer alles genau bei dieser Übereinkunft zugegen war, bleibt im Dunkeln.
„Als Quintessenz der Krise des Euro beginnt Griechenland sich nach einer großen Depression wieder zu zeigen.“
Die Wortwahl und das Bild machen deutlich, daß dem Autor nicht ganz wohl ist bei seinem Schönwetter-Artikel. Es war ja nicht so, daß man Griechenland bzw. seine politischen Repräsentanten in den letzten Jahren nicht gesehen bzw. nichts von ihnen gehört hätte. Im Gegenteil, nur waren die Meldungen eher unerfreulich.
Jetzt hingegen soll es aufwärts gehen, nach einer „Depression“. Ist eigentlich die Situation Griechenlands mit diesem Begriff richtig beschrieben?
„Die Vereinbarung wurde bereits verkündet,“ (von wem?) „man mußte aber länger als erwartet darauf warten. (!!) Mitternacht war bereits vorbei, die Minister tagten bereits seit 9 Stunden, es gab – wieder einmal – einen ziemlichen Wirbel zwischen den Ministern Deutschlands und anderer Länder, die mehr Großzügigkeit gegenüber Griechenland forderten.“
Der Einigung war also holprig. Was es mit der „Großzügigkeit“ auf sich hat, erfahren wir etwas weiter unten.
„»Die griechische Krise endet diese Nacht hier in Luxemburg,« verkündete der Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici in einer Fernsehansprache, die Geschichte machen will. Aber da es um Griechenland geht, hat sogar das Happy End einen Hauch von Tragikkomödie.“
Man fragt sich, woraus denn dieses Happy End besteht? Und die „Komödie“? Die Beschreibung des Treffens weist auf Disharmonie hin:
„Das Treffen verwandelte sich manchmal in einen genauen Ausdruck des verdeckt geführten Krieges zwischen dem Norden und dem Süden Europas, zwischen Gläubigern und Schuldnern, zwischen Deutschland und Frankreich. … Deutschland wollte wie immer weniger großzügige Bedingungen für die Umstrukturierung der griechischen Schuld (180% des BIP, absolut unbezahlbar nach dem Urteil des IWF).“
Aha. Jetzt wird klar, was hier „Großzügigkeit“ heißt: Es geht eine Umstrukturierung, nicht um einen Schuldenerlaß.
„Berlin war immer gegen eine Streichung von Schulden, schlug aber eine Verlängerung von Fristen auf 10 Jahre vor, ohne weitere Liquiditätspolster.“
Fristen für was?
„Paris setzte auf 15 Jahre, und Zugeständnisse in Sachen Liquidität. Griechenland ersuchte um weitere 20 Milliarden, und erhielt 15.
Die schlußendliche Einigung, ein Mittelweg zwischen den Vorstellungen Deutschlands und Frankreichs, eröffnet einen neuen Horizont für Griechenland.“
Bei all den euphorischen und übertriebenen Formulierungen, von denen dieser Artikel strotzt, ist einmal darauf hinzuweisen, daß damit Griechenland erst einmal diejenigen Konditionen zugestanden wurden, die Irland und Portugal seinerzeit und mit weniger Getöse erhalten hatten, um das Thema vom Tisch zu kriegen. Beiden wurde eine Schuldenstundung zugestanden, als die Troika ihnen Botmäßigkeit bescheinigte und sie aus der Budgetkontrolle entließ. Es war also das Pech Griechenlands, daß es bisher eine Sonderbehandlung erfuhr.
Einer der Gründe mag gewesen sein, daß es das erste Land der Eurozone war, das seine öffentliche Schuld nicht mehr bedienen konnte, und deswegen eine Art Versuchskaninchen darstellte, an dem man die Euro-Rettung ausprobierte.
Der Haupt-Grund für die Sonderbehandlung und dem deutschen Beharren auf Kontrolle Griechenlands war jedoch die seinerzeitige Ankündigung von Syriza, aus dem Sparkurs ausscheren und mit der Staatsverschuldung munter weitermachen zu wollen. Deshalb stand die Regierung von Alexis Tsipras eine Zeitlang unter dem Verdacht, durch unverantwortliches Festhalten am Credo von vorgestern – Kredit schafft Wachstum! – die ohnehin wacklige Euro-Rettung zu gefährden.
Inzwischen ist die Syriza-geführte griechische Regierung ganz brav geworden, hat alles unterschrieben, was ihr vorgelegt wurde, alles privatisiert, wofür sich ein Käufer gefunden hat, allen Bedingungen zugestimmt, die Pensionen x-mal gekürzt und auch jede Menge Flüchtlinge bei sich gelagert, die keiner wollte und will.
Die Euro-Häuptlinge hingegen sind draufgekommen, wie gut sie es doch mit dieser Regierung getroffen haben, die inzwischen allem zustimmt und dennoch das Land irgendwie im Griff hat. Möglicherweise hat auch das Nachgeben im Namensstreit mit Mazedonien endgültig den Ausschlag gegeben, diese derzeitige griechische Politikermannschaft zu schätzen. Vor allem, da es weit und breit keine Opposition gibt, die in der Lage wäre, das ziemlich perspektivenlose Land zu übernehmen und im Sinne der EU zu regieren.
Außerdem tritt eine ähnliche Situation wie vor einigen Jahren ein, als Portugal bescheinigt wurde, alles richtig gemacht zu haben und es aus derm Troika-Regime entlassen wurde, um Griechenland zu zeigen, wie „großzügig“ die Eurogruppe doch sein könne, wenn man ihr gegenüber den richtigen Ton anschlägt.
Jetzt steht mit Italien ein weitaus größerer Brocken an und wieder soll es erst mit dem Zuckerbrot versucht werden: seht her, auch Griechenland haben wir jetzt ein Teil-Moratorium zugestanden, weil sie gefügig waren, nehmt euch an Tsipras ein Beispiel!
In diesem Falle präsentiert sich jedoch die Lage für die Euro-Hüter ungleich schwieriger, weil Italien ein weitaus wichtigerer volkswirtschaftlicher Faktor ist als es Griechenland war und ist.
Also ist jetzt wieder einmal der Versuch fällig, ein gutes Beispiel zu präsentieren, um die jungen Wilden aus Italien zu mehr Unterwürfigkeit zu bewegen. Ob das klappt, wird man sehen. Bei der Eurogruppe ist die Absicht jedenfalls da.
Das ist der politische Hintergrund des jetzt erzielten Abkommens an Griechenland.
Was die ökonomische Seite angeht, so ist der Deal etwas schwammig:
„Athen wird die Kredite des Rettungspaketes erst ab 2032 – betreffend sowohl die Zinsen als auch das Kapital – abzahlen.“
Wurde bisher nichts gezahlt? Was man so las, mußte Griechenland die bisher zumindest bedienen, also die Zinsen darauf zahlen. Die werden ab jetzt also bis 2032 gestundet.
Weiters ist anzumerken: nur diejenigen Zinsen werden gestundet, die für die Kredite des Rettungspaketes anfallen. Die Altkredite – bei privaten Banken und anderen Gläubigern aus der Schuld vor 2012 bzw. 2015 –, die Athen weiterhin bedienen und tilgen muß, sind davon nicht berührt. Die machen aber, ungeachtet dessen, was man den Medien entnehmen oder nicht entnehmen kann, immer noch den weitaus bedeutenderen Teil von Griechenlands Schulden aus.
„Ebenso wird die Frist für die Rückzahlung (die bisher schon 32 Jahre betrug), um 10 Jahre verlängert.“
Das steht im Widerspruch zum obigen, demzufolge Griechenland ab 2032, also in 14 Jahren „sowohl betreffend die Zinsen als auch das Kapital abzahlen“ wird. Es kann höchstens gemeint sein: die endgültige Tilgung, also die Zahlung der letzten Rate.
„Und schließlich, die Eurogruppe verpflichtet sich zur Zahlung der letzten Tranche des Rettungspaketes in der Höhe von 15 Milliarden … erweiterbar bis auf 24,1 Milliarden, um den Investoren mehr Vertrauen einzuflößen, wenn Griechenland sich ab August wieder frei auf den Finanzmärkten bewegen wird.“
Darauf läuft es also hinaus: Griechenland soll wieder fähig gemacht werden, selber Anleihen zu begeben und sich auf den Kapitalmärkten neu zu verschulden. Dafür wird ein Teil seiner Schuld vorläufig auf Eis gelegt, vermutlich um den Preis höherer Zinsen ab 2032. Griechenland soll also fähig gemacht werden, seine 180%ige Staatsschuld weiter zu erhöhen.
Argentinien läßt grüßen. In knapp zwei Jahren verdoppelte es seine Staatsschuld, teilweise durch Zinsversprechen von 40%. Dann mußte wieder einmal der IWF für seine Zahlungsfähigkeit garantieren.
Italien – ein paar Nummern zu groß
DER EURO UND SEINE SCHULDENMACHER
Die Medien können sich derzeit nicht entscheiden, ob sie durch Kassandra-Rufe die Krise rund um Italiens Regierung und Schulden erhöhen oder durch Gesundbeten und Beschwören der EU-Einheit womöglich unglaubwürdig werden.
Diejenigen, die „Gefahr!“ schreien, tun es jedenfalls mit dem Tenor, daß es nur an der italienischen Regierung liegt, alles wieder ins Lot zu bringen. Wenn die doch nur vernünftig werden, diese Populisten!
Händeringend wird so getan, als hätten Di Maio und Salvini persönlich diesen Schuldenhaufen hingesetzt, an dem Italien laboriert. Oder aber, als wären diese gewaltigen Schulden überhaupt kein Problem, – wenn man sie nur richtig handhaben würde!
Teilweise wird bedauert, daß auch in Italien Regierungen durch demokratische Wahlen zustandekommen und nicht einfach verläßliche „Technokraten“ gleich von Brüssel aus, mit Hilfe des italienischen Präsidenten ernannt werden können – wie es seinerzeit mit Monti eine Zeitlang gelungen ist.
Kritische Stimmen sehen es natürlich anders …
„Italien ist pleite. Das kann man so sagen, auch wenn es niemand wirklich ausspricht. 2,3 Billionen (!) Euro stehen auf der Schuldenuhr. Das sind 2.300 Milliarden Euro. Mit Abstand der höchste Schuldenberg in ganz Europa. Und in Prozent der Wirtschaftsleistung ausgedrückt sind es 131 Prozent … Alleine in den nächsten Jahren muss Italien jährlich rund 50 Milliarden Euro nur für Zinszahlungen aufbringen! Mit diesem Geld werden noch keine alten Schulden beglichen, sondern nur die Zinslast bedient. … Der Europäische Rettungsschirm (ESM), der kriselnde Euroländer finanziell unterstützen soll, würde von Italien in zwei Jahren kaputt randaliert werden: Aktuell befinden sich dort rund 400 Milliarden Euro. Italien benötigt in den nächsten beiden Jahren alleine fast 500 Milliarden Euro.“ https://www.kleingeldhelden.com/2018/06/eurovederci-italiens-schuldenkrise/
Diese Website propagiert, daß Italien den Euro verlassen sollte, im allgemeinen Interesse.
Sie sind sich offenbar nicht darüber im Klaren, was das heißen würde …
Daß die bisherigen Mechanismen für Italien nicht ausreichen würden, sehen auch andere Analysten:
„Italien ist zu groß zum Retten …
Noch ist die Krise längst nicht so heftig wie 2012. Dafür ist sie umso gefährlicher, weil sie sich auf viel höherem Niveau abspielt. Denn Griechenland war im Vergleich zu Italien ein Schulden-Leichtgewicht. Während Hellas laut Eurostat gerade mal rund 320 Milliarden Euro Schulden auf die Waage bringt, belaufen sich Italiens Schulden auf rund 2,3 Billionen Euro – mehr als siebenmal so viel. Athen steht für weniger als ein Zwanzigstel der Schulden aller Euroländer. Italien, das drittgrößte Mitglied der Eurozone, dagegen für fast ein Viertel.“ (ntv, 30.5.)
Hier lautet die Lösung wiederum, notfalls die EZB an die Rettungsfront zu schicken, um „die Märkte“ zu beruhigen. Aber auch die hat ihre Grenzen:
„Seit Beginn ihres Kaufprogramms 2015 hat die EZB in drei Jahren Staatsanleihen aller Euroländer für rund zwei Billionen Euro erworben. Sie wird also nicht plötzlich Schuldscheine für 2,3 Billionen Euro nur aus Italien kaufen – zumal sie schon jetzt 15 Prozent aller italienischen Staatsanleihen hält.“ (ebd.)
In der EZB wachsen die Widerstände gegen die Finanzierung der südeuropäischen Schulden, weil das einer Art Transfer von erfolgreichen zu erfolglosen Nationen betrachtet wird, ein Durchfüttern von Sozialfällen, und dem Image der Wirtschaftsgemeinschaft Abbruch tut.
Das sind alles keine reinen Geschmacksurteile oder Ideologien, weil sie ja den Ruf dieses (noch?) international anerkannten Geldes betreffen. Und der steht für die Wirtschaftsmacht der EU und kann durch den Anschein der Unsolidität leicht beschädigt werden.
Das Handelsblatt übt sich in Zweckoptimismus:
„Der Chef der Eurogruppe sieht die Gefahr größerer Verwerfungen durch die politische Einigung in Italien vorerst gebannt. Mario Centeno, der auch Finanzminister in Portugal ist, sagte am Montag mit Blick auf die Bildung einer Regierung in Italien: »Das sind sehr gute Nachrichten.«“ (Handelsblatt, 4.6.)
Na, wenn es der Herr aus Portugal sagt, muß doch was dran sein!
Besonders dumm ist der Schönwetter-Artikel Erich Freys im Standard. Erst denkt er sich eine nicht vorhandene Position aus:
„Italiens Beitritt zum Euro war ein Fehler“ (Standard, 5.6.)
– weil das sagt ohnehin keiner.
Dann kommen dumme Geschichtsinterpretationen, um seine Märchen zu unterstützen:
„Ab Mitte der 1980er-Jahre koppelte deshalb auch Italien die Lira an die D-Mark, musste aber in der Krise des Europäischen Währungssystems (EWS) 1992 noch einmal abwerten.“ (ebd.)
Letzteres geschah aufgrund der Spekulation von Soros, die die Lira zu Absturz brachte. Das löste die Krise des EWS aus, zusammen mit dem Angriff auf das Pfund. Wie man sieht, zogen die Regierungen Italiens und Großbritanniens verschiedene Schlüsse aus dem relativen Verfall ihrer Währungen: Die einen wollten in den Euro, die anderen nicht.
„Danach war die Regierung von Romano Prodi entschlossen, die Beitrittskriterien für den Euro im Maastricht-Vertrag zu erfüllen. Diese waren auf Drängen Deutschlands so gestaltet worden, dass sie Italien nicht erreichen sollte.“ (ebd.)
Diese Behauptung Freys ist eine glatte Lüge.
„Doch Prodi schaffte es 1998 durch einen beinharten Sparkurs ganz knapp.“ (ebd.)
Ja, so hätte es Frey gern, daß man alles „es“ mit Sparkurs schafft!
Italiens Staatsschuld lag bereits 1998 weit über den 60% der Maastricht-Kriterien, es machte aber nichts. Deutschland und auch andere wollten Italien – als große Volkswirtschaft – unbedingt drinnen haben.
„Und sobald Italien im Euro war, stürzte Prodi. Seine Nachfolger setzten den Reformkurs nicht fort …“ (ebd.)
Das ist also laut Frey das einzige Problem Italiens: Falsche Regierungen, die nicht genug „sparen“.
Und das, obwohl der Euro doch eigentlich eine Art Care-Programm für Südeuropa war:
„Deutschland hat ebenso wie Österreich, die Niederlande und andere frühere Hartwährungsländer das Beste aus der gemeinsamen Währung gemacht. Aber gerade Deutschland braucht sie am wenigsten.“ (ebd.)
Laut Frey sollte also Deutschand und Österreich den Euro verlassen und Italien in der Scheisse sitzenlassen. Die italienischen Euro-Schulden betreffen seiner Ansicht nach sowieso hauptsächlich italienische Kreditgeber, würden diese ruinieren und hätte gar keine besonderen Auswirkungen auf die restliche EU. (So jemand gilt als Wirtschafts- und Krisenexperte!)
„Ein Horrorszenario, das die Regierung in Rom rasch beenden kann: indem sie auf die Steuer- und Ausgabenpläne verzichtet.“ (ebd.)
Sparen! Sparen! – dann wird alles gut.
Und alle in obigen Artikeln besprochenen Zahlen, Fakten und Lösungsversuche betreffen nur die Staatsschulden. Die italienischen Banken, die selber seit Jahren kurz vor der Pleite stehen, werden gar nicht zum Thema gemacht. Ihr Gedeih oder Verderb hängt jedoch von der Entwicklung der Staatsschuld ab und könnte noch weitere Euro-Schulden fragwürdig werden lassen.