Stichwort „Wettbewerbsfähigkeit“

ÜBER DAS VERHÄLTNIS VON KAPITAL UND ARBEIT
Wenn von Politikern und denen ihnen unvermeidlich von allen Richtungen assistierenden „Experten“, IWF, Weltbank und Bankiers verlautbart wird, Griechenland (und andere Länder) mögen doch ihre Arbeiterklasse verbilligen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, so ist mit dieser Aussage eine Wahrheit und mehrere Lügen ausgesprochen.
Die Wahrheit ist die, daß die Arbeitskraft dem Kapital nie zu billig, der Lohn nie niedrig genug sein kann. Am liebsten würden die Unternehmer gar nichts zahlen und die Leute 24 Stunden einsetzen. Da das nicht geht, so ist die Lohnhöhe und die Arbeitszeit immer ein Produkt eines Gerangels zwischen Staat, also Gesetzgebung, Gewerkschaften und Unternehmerverbänden. Jetzt wurde gerade in Griechenland das nationale Lohnniveau um ca. 20% gesenkt (der Mindestlohn ist ein Richtlohn), bei gleichbleibenden Preisen natürlich, und das soll jetzt Griechenland für „Investoren“, also Unternehmer, ungeheuer attraktiv machen.
Soweit zur Wahrheit: Möglichst billige Arbeitskräfte sind eine Grundforderung des Kapitals.
Aber der Rest ist gelogen.
Erstens ist es ja nicht so, daß überall lauter investitionswilliges Kapital auf der Lauer liegt, um dann in Herden zu den besten Arbeitskräftewiesen aufzubrechen und dort Produktionen aufzuziehen. Es gibt weltweit, dieser Umstand sei einmal als erstes ausgedrückt, weitaus weniger Kapital, das Investitionsmöglichkeiten sucht als Arbeitskräfte, die dafür zur Verfügung stehen würden. Ein guter Teil der Menschheit ist vom Standpunkt kapitalistischer, „marktwirtschaftlicher“ Kalkulationen einfach überflüssig.
Dasjenige produktive Kapital, das „Arbeitsplätze schafft“, also in irgendeine Art von Unternehmensgründung mündet, ist größtenteils gebunden. Sofern es irgendwo „expandiert“, also ins Ausland geht und dort einen Betrieb aufsperrt, macht es vorher eine genaue Marktforschung: Wo in der näheren Umgebung befindet sich eine zahlungsfähige Nachfrage nach meinen Produkten, und wie einfach und schnell kommen die dort hin?
So verlagern sehr wenig Unternehmen ihre Produktion nach Schwarzafrika, obwohl das Lohnniveau dort zweifelsohne konkurrenzlos günstig ist. Nach China hingegen strömt europäisches, amerikanisches und sonstiges Kapital seit 2 Jahrzehnten, weil es dort einen enormen Markt vorfindet, dessen Aufnahmefähigkeit unerschöpflich scheint. In einem relativ zentral gelegenen, aber kleinen und armen europäischen Land wie Ungarn bemüht sich die Regierung hingegen vergeblich, mit der Billigkeit und auch Fügsamkeit ihres Menschenmaterials zu werben: das Kapital reißt sich, noch dazu in Zeiten der Krise, nicht um diesen Standort.
Die nächste Lüge ist die, daß dieses anspruchsvolle Kapital, das man so gern ins Land holen würde, außer dem Dumping-Angebot an Löhnen sonst keine Ansprüche hätte. Nicht nur großzügige Auflagen, die neben den Menschen auch noch die Umwelt be- und vernutzen zu dürfen, machen einen wichtigen Gesichtspunkt aus. Die berühmte Infrastruktur, die Möglichkeit, Waren verschieben zu können und Gewinne zu repatriieren, schließlich ein konvertibles und halbwegs stabiles Geld, mit dem man im internen Gebrauch wie im weltweiten Vergleich kalkulieren kann – all das ist sehr wichtig bei Investitionsüberlegungen von Unternehmen. Hier gilt, daß der bisherige Mißerfolg einer Ökonomie, produktives Kapital in ausreichender Menge bei sich zu versammeln, meistens den zukünftigen Mißerfolg, dies zu tun, hervorruft.
Die dritte Lüge besteht darin, daß in ein Land strömendes Kapital überhaupt schon zu Aufschwung und Wachstum führen würde und man deshalb alles machen muß, um dasselbe unter allen Umständen anzuziehen. Diesem Ziel diente unter anderem die Einführung des Euro, ebenso Steuererleichterungen und eine Liberalisierung des Geldverkehrs innerhalb der EU – und damit gelang die Attraktion einer großen Menge von Finanzkapital. Das Ergebnis sind viele Schuldtitel, für die niemand mehr geradestehen will, die sich aber im Interesse der ganzen EU-„Blase“ nicht so einfach streichen lassen.
Und für diese Frage – wer zahlt diese ganzen Ansprüche auf Vermehrung zurück? – ist die Senkung von Löhnen, die Verödung von Landstrichen und die Verelendung ganzer Länder ganz unerheblich. Es sind Kollateralschäden, die keinen in Geld meßbaren Nutzen stiften.
Die Verbilligung des Proletariats vernichtet Zahlungsfähigkeit und straft die Behauptung Lüge, die Wirtschafts- und Währungsunion wäre ein Motor des Wachstums und der Prosperität. Sie untergräbt die Kreditwürdigkeit des Euro und damit sein Fundament.

Der Bankrott der Gemeinden 3

VERLIERER-REGIONEN IM GEWINNERSTAAT: DAS RUHRGEBIET
Während die Medien sich auf diejenigen Staaten einschießen, die ihre Schulden nicht oder fast nicht mehr bedienen können, steht Deutschland als leuchtendes Vorbild der fiskalischen Disziplin da und kann sich beinahe zum Nulltarif neu verschulden, da alles mögliche erschreckte Kapital in deutsche Wertpapiere, also auch Staatsanleihen als vermeintlich sicherem Hafen flüchtet.
Die Sache mit der guten Haushaltspolitik ist allerdings eine dicke Lüge, die Politiker und Medien in die Welt posaunen. Verschuldung steht immer in einem Verhältnis zum BIP, zur Wirtschaftsleistung eines Landes, und an der spießt sich das ganze – ob ein Staat weiterhin Kredit hat oder kreditunwürdig ist, bemißt sich an den Erfolgen und dem Umfang des Kapitals, das sich unter seiner Hoheit betätigt. Wo viel Geschäfte und Gewinne gemacht werden, dort kann der Staat / die Gemeinde auch mit Einnahmen rechnen – umgekehrt kommt nix von nix: Wo Betriebe zusperren oder abwandern und die Arbeitslosigkeit wächst, dort verringern sich die Einnahmen, während sich die Ausgaben erhöhen.
Solches geschieht in vielen Städten des Ruhrgebiets, die aus der seinerzeitigen Lebensader der deutschen Industrie zu einem einzigen großen Gewerbemuseum geworden sind. Versuche, als Kulturhauptstadt, Museumsstandort oder Event-Stätte zu Geld zu kommen, spülen nicht genug in die örtlichen Gemeindkassen, verursachen zusätzliche Kosten oder führen wie in Duisburg zu einem Desaster.
Neulich haben sie auf sich aufmerksam gemacht, weil sie den Solidarpakt aufkündigen wollen:
„»Der Solidarpakt Ost ist ein perverses System, das keinerlei inhaltliche Rechtfertigung mehr hat«, ließ sich Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) von einer überregionalen Tageszeitung zitieren, und seine Amtskollegen aus Essen, Oberhausen und Gelsenkirchen sekundierten eifrig.“ (HB, 2. 4. 2012)
Mit „Solidarpakt“ werden Transferleistungen in die neuen Bundesländer bezeichnet, auf die sich Bund, Länder und Gemeinden nach dem Fall der Mauer geeinigt hatten. Ursprünglich sollte damit der „Aufbau Marke Ost“ finanziert werden. Als sich herausstellte, daß dieser wegen mangelndem Interesse des privaten Kapitals abgesagt werden mußte, und eher ein Abbau war (mit den Mitteln aus den Transferzahlungen wurden unter anderem leerstehende Plattenbauten in Abwanderungsgebieten und stillgelegte VEB aus dem Landschaftsbild entfernt), so wurde der Solidarpakt verlängert. Der jetzige – II – läuft bis 2019. Wenn dann in Thüringen oder Mecklenburg-Vorpommern immer noch keine nennenswerte Kapitalakkumulation stattfindet, so kann man wieder neu entscheiden, ob man ihn verlängert oder sich mit verödeten Ostgebieten, einer Art deutschem Mezzogiorno einfach abfindet.
Jetzt wollen diverse Ruhrgebiet-Gemeinden aus diesem Pakt aussteigen, weil sie ihre eigenen Schulden nicht mehr zahlen können und daher kein Geld für dergleichen Netto-Transferzahlungen da ist.
Das Handelsblatt rügt zwar die angebliche Verschwendungssucht dieser Gemeinden, kennt aber auch die wahren Gründe der wachsenden Verschuldung:
„Tatsächlich sind die Kommunen strukturell unterfinanziert. Sie geben mehr für Leistungen wie Kindergartenplätze oder Transferleistungen aus als sie einnehmen. … zu vielen Leistungen sind die Kommunen durch Bundesgesetze verpflichtet – und müssen wohl oder übel zahlen.“ (ebd.)
Im letzten Jahrzehnt kam es nämlich in Deutschland zu verschiedenen Gesetzesnovellierungen, in deren Rahmen den Gemeinden die Übernahme zusätzlicher Aufgaben, die bisher vom Bund finanziert worden waren, übertragen wurde. Damit sollte die Marktwirtschaft und der Kreditmarkt belebt und der Bundeshaushalt entlastet werden. Denn diese neuen Ausgaben können gerade die Gemeinden im Ruhrgebiet nicht durch zusätzliche Einnahmen finanzieren, sondern sie mußten sich dazu verschulden.
Um jedoch ihre Einnahmen auch irgendwie zu steigern, wurden sie zu Investoren und beteiligten sich an Unternehmen, vor allem der Energieversorgung. Die Idee war, dabei mehr an Dividenden einzunehmen, als man an Kreditzinsen zu zahlen hatte, und diese Rechnung ist nicht aufgegangen. Die Energieversorgungsunternehmen betreuen nämlich mit veralteten Kraftwerken eine über ständig schrumpfende Zahlungsfähigkeit verfügende Klientel und haben das ihnen durch die Beteiligung der Gemeinden zugeflossene Kapital dafür verwendet, im Ausland zu investieren, um sich günstiger Energie zu besorgen oder die schrumpfenden Einnahmen in Deutschland durch Gewinne in Übersee zu kompensieren – auch dies mit mäßigem Erfolg.
Essen, Dortmund, Gelsenkirchen usw. präsentieren also folgende Verschuldungs-Situation: Sie müssen ständig mehr Geld aufnehmen, um ihre Ausgaben und ihren Schuldendienst wahrnehmen zu können. Die Banken der Umgebung machen vermutlich einen Großteil ihrer Umsätze durch die Gemeindefinanzierung, sind also daran interessiert, daß alles so weitergeht wie bisher. Um so mehr, als deutsche Gemeinden im Schatten der Bonität der deutschen Staatsschuld als erstklassige Schuldner gelten. An dieser Gemeinde-Schuld hängen wiederum verschiedene Energie- und Infrastruktur-Unternehmen, deren Kunden die Gemeinden gleichzeitig sind. Würden sich letztere als Investoren zurückziehen, so würde das für diese Unternehmen womöglich das Aus bedeuten und die Wirtschaftstätigkeit des Ruhrgebiets weiter verringern. Die von ihnen gelieferte Energie oder Bautätigkeit müßte von woanders mit erhöhtem finanziellem Aufwand bezogen werden. Vermutlich werden Bund oder Länder bald mit Kreditgarantien einspringen müssen, um die Verschuldungsfähigkeit der Gemeinden weiter zu garantieren.
Und das alles für einen Standort, aus dem sich das Kapital großflächig verabschiedet hat …

Neues von der Eurorettung

DAS FÜLLHORN DES EURO-KREDITS
soll irgendwie alle Probleme der einzelnen Euro-Staaten dahingehend lösen, daß der Euro weiterhin Vertrauen genießt. Der Euro-Kredit wird strapaziert, um den Euro-Kredit zu stützen. Beim Versuch, sich selbst in den Schwanz zu beißen, stößt die Katze auf einige Hindernisse.
Da wurde einmal seit November 2011 von der EZB eine Billion – also tausend Milliarden, oder 1 000 000 000 000 – Euro in Krediten zu 1% an die Banken Europas ausgeschüttet. Diese Maßnahme Herrn Draghis wurde in den Medien sehr gelobt. Man fragt sich wirklich, warum das erst jetzt geschieht, wenn diese Kreditschöpfung tatsächlich das Allheilmittel ist, als das es von verschiedenen Finanzfachleuten präsentiert wird. Offenbar gab es bisher Bedenken gegen diese Art, Euros zu vermehren. Haben diese Bedenken sich in Luft aufgelöst, oder wurde zu dieser Maßnahme als letzter Notlösung gegriffen?
Diese Geldausschüttung erfolgte erstens, damit diese Banken sich selber sanieren, also irgendwie liquide bleiben, obwohl sie einen Haufen uneinbringliche Schulden und entwertete Wertpapiere bei sich aufgehäuft haben. Zweitens, um damit Staatsschuld derjenigen Länder zu kaufen, die unter den Druck „der Märkte“ geraten sind, erhöhte Zinsen für ihre Neuverschuldung bezahlen müssen und deshalb Schwierigkeiten haben, ihre im Umlauf befindlichen Schulden zu bedienen. Drittens, so wurde verlautbart, sollte damit „der Wirtschaft“ Kredit verschafft werden, damit die Firmen wieder investieren können und damit das Wachstum befördern.
Zu erstens kam bald die Meldung, daß viele Banken das so billig erhaltene Geld sehr schnell wieder bei der EZB als Einlage parken, weil ihnen das der sicherste Ort für dieses Geld erscheint – sicherer jedenfalls, als es in Staatsanleihen oder Firmenkredite zu investieren, und immer noch besser, als es bei sich in der Bank unverzinst herumliegen zu lassen.
Zu zweitens wurde als Erfolg gefeiert, daß Spanien und Italien erleichtert aufatmen, weil ihre Staatsanleihen von den Banken gekauft werden.
Was Spanien betrifft, so getraut sich die spanische Staatsverwaltung jedoch nicht, Anleihen mit längerer Laufzeit als 18 Monate aufzulegen – aus Furcht vor einem Flop, der dann auch den Verkauf der kurzfristigen Anleihen zum Stocken bringen und die spanische Staatsschuld endgültig auf Ramsch-Status befördern würde. Die Haupt-Aufkäufer dieser Anleihen sind die spanischen Banken, deren Status als Global Players – zumindest Santander und BBVA sind solche – mit der spanischen Staatsschuld steht und auch fallen würde.
Das heißt natürlich, daß Spaniens Liquiditätsprobleme nur kurzfristig gelöst sind und bald wieder Finanzierungsbedarf ansteht.
Außerdem heißt es, daß Spaniens Banken, die mehrheitlich ohnehin mit staatlichen Garantien und direkten EZB-Krediten gestützt werden, eine Menge Anleihen bei sich versammeln, die sich ähnlich den griechischen schlagartig entwerten können.
Zu drittens wurde vermeldet, daß diese enorme Geldsumme in der Privatwirtschaft nicht angekommen ist – die Banken verleihen an Firmen weiterhin kein Geld in Form von Krediten, sogar Aktien-Neuemissionen sind selten. Dieser Umstand wurde jedoch nach dem Motto „think positive“ dahingehend als gute Nachricht eingestuft, daß dadurch die Inflationsgefahr gebannt sei.
Kaum haben die gewöhnichen Sterblichen aus den Medien erfahren, daß diese Summe mit den vielen Nullen ziemlich geräuschlos in den Eingeweiden der Finanzwelt verschwunden ist, werden sie mit einer neuen Frohbotschaft beglückt: Die EU hat in Kopenhagen beschlossen, den Rettungsschirm für Staaten, die mit Zahlungsschwierigkeiten kämpfen, auf 800 Milliarden – 800 000 000 000 – Euro zu erhöhen. Das solle Spekulanten abschrecken – wovor eigentlich? – und den Euro weiter stabilisieren.
Es ist fraglich, inwiefern die Finanzminister der Eurozone selbst an den Erfolg dieser Maßnahmen glauben, oder ob sie nur Zeit gewinnen wollen, um ein etwaiges Ende der Gemeinschaftswährung je nach ihren nationalen Möglichkeiten geordnet abzuwickeln. Also ihren Staatskredit retten und den anderer verfallen lassen wollen.