Warum verabschiedet die EU einen Fiskalpakt und verordnet Sparpakete?

WEM NÜTZT DAS „SPAREN“?
Die Frage ist ja angebracht, weil offensichtlich richtet diese „Fiskaldisziplin“ oder „Austerity“ jede Menge Schaden an, ohne daß für irgendeine Seite ein Nutzen absehbar wäre. Und so entstehen notgedrungen obskure Theorien über dunkle Kräfte, die noch finsterere Ziele mit viel Bakschisch in der Welt durchzusetzen versuchen. Die europaweit laufenden Anti-Korruptions-Kampagnen tun ein übriges, um Verschwörungstheorien aller Art aufblühen zu lassen.
Das verbohrte Beharren auf das Zurückfahren von Ausgaben um jeden Preis ist auch nur zu verstehen, wenn jemand die Logik der EU und der Eurozone begriffen hat – also die politischen und ökonomischen Ziele, die sich ihre Schöpfer anno dazumal gesetzt haben, und die Mittel, die sie sich zu ihrer Verwirklichung gesetzt haben. Die Spuren führen nach Maastricht 1992.
„Damit ein Land an der Währungsunion teilnehmen kann, muß es bestimmte wirtschaftliche Kriterien (die EU-Konvergenzkriterien, auch als Maastricht-Kriterien bezeichnet) erfüllen, durch die die Stabilität der gemeinsamen Währung gesichert werden soll. Dabei handelt es sich um Kriterien, die Haushalts-, Preisniveau-, Zinssatz- und Wechselkursstabilität gewährleisten sollen. Das Kriterium der Haushaltsstabilität (Defizitquote unter 3 % und Schuldenstandsquote unter 60 % des BIP) wurde als dauerhaftes Kriterium ausgelegt (Stabilitäts- und Wachstumspakt), die anderen Kriterien müssen Mitgliedstaaten nur vor der Euro-Einführung erfüllen.“ (Wikipedia, Vertrag von Maastricht)
Diese Konvergenzkriterien haben es in sich. Es wird nämlich erstens behauptet, daß der Erfolg der Nation an so einem einfachen Verhältnis zu messen ist wie dem von BIP und Staatsverschuldung.
Jetzt ist schon das BIP eine etwas fragwürdige Größe, weil da werden ja alle gelungenen Geschäfte gemessen, die sich auf einem Territorium abspielen, also auch luftige Finanzspekulationen und -transaktionen der Art, wie sie in den letzten Jahren massenweise zusammengebrochen sind.
Ebenso ist die Staatsverschuldung nicht so ein Fels in der Brandung, an den man sich halten kann, wie z.B. Spanien gerade vorführt, das jahrelang ein Musterschüler in Sachen Defizit war, während sich seine autonomen Provinzen und seine Gemeinden bis über die Ohren verschuldeten, oder wie die in jüngerer Vergangenheit ans Licht gekommenen Daten über die griechischen Bilanzenkosmetik zeigen.
Es sind also schon die beiden Qualitäten, die hier in ein quantitatives Verhältnis gesetzt werden, eher Ausdruck politischen Willens als ökonomischer Objektivität.
Zweitens aber ist auch die Vorstellung, man könnte ökonomischen Erfolg als ein Verhältnis fassen, grundverkehrt. Wenn in einem Land die Wirtschaftsleistung zurückgeht, die Kaufkraft einbricht und eine Bankrottwelle das Land überzieht, so würde eine geringe Staatsverschuldung daran auch nichts ändern. Es ist die Ökonomie selbst, die kapitalistisch erfolgreich sein muß, und das liegt an ihren Unternehmern, deren Kapitalgröße, deren Erfolgen im In- und Ausland und hat mit den Ausgaben des Staates einmal gar nichts zu tun.
Diese Verhältnisbestimmung ist also Ausdruck der Illusion, der Staat könnte die Wirtschaft „lenken“ – etwas, das als „Kommandowirtschaft“ in Realen Sozialismus immer als der falsche Weg angeprangert wurde, aber offenbar der geheime Wunsch jeden Staatsmannes ist. Weil jeder Politiker gerne die Macht hätte, sein Land durch entsprechende Förderungen in der Konkurrenz der Nationen voranzubringen.
Dagegen ist festzuhalten, daß das Privateigentum genau das hervorbringt, was Marx und Engels „Anarchie der Produktion“ genannt haben: Lauter Eigentümer produzieren für den Markt und gegeneinander, haben Erfolg oder gehen unter und werden weder von einer „visible“ noch einer „invisible hand“ gelenkt. Das Prinzip der Konkurrenz, das sich die Anhänger der Marktwirtschaft auf ihre Fahnen geschrieben haben, widerspricht dem der Lenkung.
So. Diese Widersprüche wurden damals nicht zur Kenntnis genommen, nicht einmal thematisiert, und ein Heer von medialen Posaunen lobte das Euro-Projekt und die angebliche Formel seines Erfolges – und kaum jemand brachte zur Sprache, was da eigentlich für ein widersprüchliches Projekt aus der Taufe gehoben worden war:
http://msz1974-80.net/GSP/EU1.html
http://msz1974-80.net/GSP/EU2.html
Es störte dann auch nicht, daß gerade das Flaggschiff Deutschland jahrelang diese Kriterien nicht erfüllte, weil seine Führungsmannschaft sich mit den „blühenden Landschaften“ seiner neuen Bundesländer etwas verkalkuliert hatte.
Die Konvergenzkriterien wurden deshalb aber nicht fallengelassen. Sie standen ja auch noch für etwas anderes als Wirtschaftswachstum und Prosperität, Weihnachten und Ostern zusammengenommen: Für den Willen der EU, über den wirtschaftlichen Erfolg und dessen Anerkennung durch die Märkte der Weltmacht USA und dem Dollar den Rang abzulaufen. Das internationale Kapital war dazu aufgerufen, das Projekt Europa zu beglaubigen, und die wirtschaftliche Potenz Europas über die militärische und wirtschaftliche Dominanz Amerikas triumphieren zu lassen.
Jetzt, wo das alles ziemlich in die Hose gegangen ist, ist es daher der EU-Führung nicht so ohne weiteres möglich, ihre eigenen Grundlagen zu „reformieren“, also alle bisherigen Grundsätze über Bord zu werfen und in der Art „Wir machen, was wir wollen!“ auf einmal jede Menge Euros in die Welt zu setzen und in die Wirtschaft zu pumpen, wie es die USA mit ihrem Geld machen und Europa seit geraumer Zeit anraten: Es könnte sein, daß dann die „Märkte“ sagen: Der ganze Euro war ein Schwindel, nein danke! und den Papierzetteln aus der EZB jede Anerkennung als Maß der Werte versagen.

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