Griechenlands neue Schuldenprobleme

EURO-AUSTRITT: EINE SPIEGEL-ENTE?
Im SPIEGEL erschien am 6.5. ein Artikel, in dem unter anderem behauptet wurde, die griechische Regierung erwäge den Austritt aus der Eurozone und die Wiedereinführung der Drachme. In dem Artikel werden die Folgen eines solchen Schrittes für Griechenland und die EU kurz skizziert, und ein eilig einberufenes geheimes Finanzministertreffen in Luxemburg erwähnt, das Griechenland von diesem Schritt abhalten sollte.
Heute heißt es überall: So eine Verantwortungslosigkeit des SPIEGEL! Alles völlig aus den Fingern gesogen! Besonders scharf protestiert die griechische Regierung selbst.
Das „geheime“ Ministertreffen in Luxemburg hat es dennoch gegeben, und wie inzwischen durchsickert, waren gar nicht alle Finanzminsiter eingeladen, sondern nur die aus Ländern mit der besten Bonitätsstufe – zu denen, die österreichische Zeitungen stolz vermelden, auch Österreich gehört. „Wir“ waren also auch dabei, als dieses heiße Thema verhandelt wurde.
Der SPIEGEL beruft sich auf ein internes Papier des deutschen Finanzministeriums. Dieses Papier wurde dem SPIEGEL ja nicht zufällig zugespielt – irgendwer wichtiger in der Regierung meinte, es gehöre zum Thema einer öffentlichen Debatte gemacht. Schon allein deswegen, weil die sogenannten Rettungspakete des letzten Jahres viel Unmut in Deutschland ausgelöst haben und irgendetwas Ähnliches jetzt wieder einmal bevorsteht.
Denn Griechenland ist ja nicht ohne Grund im Gerede: Wie nicht anders zu erwarten, hat das „Rettungspaket“ des vorigen Jahres und die darin verordneten „Sparmaßnahmen“ den griechischen Staatshaushalt noch weiter zerrüttet, und das Land ist wieder am Rande der Zahlungsunfähigkeit.
Auch das interne Papier des Finanzministeriums kommt ja nicht ohne Gründe zustande. Wenn darin vor den verheerenden Folgen gewarnt wird, die ein Austritt aus der Eurozone für alle hätte, so wird es dafür ja auch wohl einen Anlaß gegeben haben. Die griechische Regierung hat diese Möglichkeit offenbar erwogen, wenn vielleicht auch nur deshalb, um die EU unter Druck zu setzen und eine Neuverhandlung der Bedingungen zu erzwingen, die mit den vorjährigen Kredithilfen verbunden waren.
Das „Geheimtreffen“, über das die Öffentlichkeit via SPIEGEL informiert wurde, hat es auch in sich: So wie bei Portugal, mit viel Getöse und heftigen Auflagen, sollen die Zahlungsschwierigkeiten Griechenlands heuer offenbar nicht mehr abgehandelt werden. Es würde auch ein sehr schiefes Licht auf diese „Rettungsversuche“ werfen, wenn sich herausstellen würde – was sich de facto herausgestellt hat – daß diese Stützungsaktionen ein Dauerprogramm sind, also entgegen allen ausgegebenen Sichtweisen keineswegs eine Sanierung, sondern eine weitere Zerrüttung dieser Staatshaushalte darstellen. Und damit eine weitere Strapazierung des Kredites der Eurozone.
Auch die zweite Möglichkeit, die im Zusammenhang mit Griechenland seit einiger Zeit durch die Medien geistert, die Idee einer Umschuldung bzw. Schuldenstreichung, wurde in Luxemburg angeblich verworfen. Griechenland darf sich also weder in Form eines privaten Vergleiches mit seinen Gläubigern eines Teiles seiner Schulden entledigen, noch darf es die Fristen seiner Zahlungsverpflichtungen verschieben. In beiden Fällen würde es nämlich in Zukunft als Schuldner genauso von den Kapitalmärkten verstoßen, wie es im Falle des Ausstiegs aus dem Euro geschähe, und die griechischen Zahlungsverpflichtungen würden auf Ramschstatus heruntergestuft – was sich vor allem für die EZB negativ zu Buche schlagen würde, die aufgrund der bisherigen Stützungsaktionen auf griechischen Staatsanleihen in der Höhe von 40 Milliarden Euro sitzt.
Es muß echt spannend gewesen sein, was da auf dem Schloß in Luxemburg verhandelt wurde, und es ist offenbar nicht geplant, den Inhalt dieser Gespräche an die große Glocke zu hängen. Es sei denn, es kommt wieder zu einer „Indiskretion“.

Island und die Schulden seiner Banken

WER BLECHT FÜR ICESAVES AUSSENSTÄNDE?
Wenn es nach der isländischen Regierung geht, das dortige nationale WIR, also alle Isländer. Denen geht das aber bisher noch nicht ganz ein.
Die Online-Bank Icesave wurde 2006 von der zweitgrößten isländischen Bank, Landsbanki, gegründet. Es war eine Online-Bank, die im Grunde ähnliches machte wie Bernard Madoff, der dafür zu 150 Jahren Haft wegen Betruges verurteilt worden ist: Sie versprach höhere als die marktüblichen Zinsen und zog damit in Großbritannien vom Augenblick ihrer Gründung im Oktober 2006 bis zu ihrem Zusammenbruch zwei Jahre später Einlagen in der Höhe von 5 Milliarden Euro an. Vor allem Leute, die in private Altersvorsorge investierten, vertrauten ihr Geld Icesave an.
In den Niederlanden, wo Icesave nur ein halbes Jahr vor ihrem Zusammenbruch tätig wurde, schaffte die Bank es immerhin, auf 1,7 Milliarden Euro an Einlagen zu kommen. Das Geld verlieh sie offenbar weiter, an andere luftige Projekte des boomenden isländischen Kreditwesens, mit dem privater Konsum und Energiegewinnungs-Projekte ebenso finanziert wurden wie Wertpapiere, die die isländischen Banken schufen.
Als Icesave im Oktober 2008 zahlungsunfähig wurde, fand sich offenbar kein müder Cent mehr in ihren Kassen, und es scheint auch nicht gelungen zu sein, es woanders zu sichten. Die Einlagen der britischen und holländischen Bürger haben sich in Luft aufgelöst.
Großbritannien und Holland gaben den Einlegern ihr Geld aus der Staatskasse zurück und froren isländische Aktiva ein. Seither fordern sie von Island den Ersatz dieser Gelder.
Hier zeigt sich ein Ergebnis der Banken-Liberalisierung, die in den letzten zwei Jahrzehnten weltweit vor sich gegangen ist und sich als der Wachstumsmotor schlechthin erwiesen hat. Eine isländische Bank kann im Ausland Leuten Geld aus der Tasche ziehen und das Blaue vom Himmel versprechen, ohne daß die isländische Bankenaufsicht nachschaut, ob sie auch die nötigen Rücklagen hat, um diese Versprechungen ordnungsgemäß und termingerecht einzulösen. Gleichzeitig bürgt aber die isländische Regierung über Einlagengarantien dafür, daß sie auch bedient werden.
Großbritannien wiederum erlaubt, daß eine solche Bank bei ihren Bürgern tätig wird, und die dortige Finanzaufsicht wundert sich nicht im Geringsten, daß diese isländische Minibank höhere Zinsen anbietet als sämtliche große britische Banken. Die Frage: Wie zahlt sie das, woher nimmt sie das Geld? hätte doch dem einen oder anderen Bankier oder Finanzbeamten kommen können.
(Bernard Madoff hat gemeint, von seinem Schwindel wußten viele, weil es könne nicht sein, daß niemand sich darüber Gedanken gemacht habe, woher er seine überdurchschnittlich hohen Zinsen zahlt … )
Jetzt ist das ganze schiefgegangen, und ähnlich wie in anderen europäischen Ländern eilt der Staat herbei, um seinen Banksektor zu stützen. Mit dem kleinen Unterschied, daß Island 318.000 Einwohner hat, und für die sind ein paar Milliarden Euro doch eine ziemliche Summe. (GB und die Niederlande haben ihre Forderungen inzwischen offiziell auf 3,9 Milliarden „reduziert“. Es ist aber gar nicht gesagt, daß es über Kleingedrucktes nicht noch mehr werden.) Und Icesave ist nicht die einzige Schuld – auch andere Banken haben Außenstände im Ausland, die dann, sobald das Icesave-Abkommen unter Dach und Fach ist, unauffällig auch noch dazu geschubst werden können.
Das erste Referendum zu der Frage, ob die isländische Bevölkerung für die Rückzahlung dieser Schuld geradesteht, fand im Dezember 2009 statt. Fast 90% der abgegebenen Stimmen stimmten damals für NEIN. Zu den beiden Volksabstimmungen, also auch zur jetzigen, kam es nur, weil der isländische Präsident sich jedesmal geweigert hat, das zwischen den Regierungen Islands und Großbritanniens bzw. der Niederlande bereits abgeschlossene Abkommen zu unterzeichnen. Er hält es für haarig, gegen den Willen der Bevölkerung eine solche Schuldentilgung durchzuführen. Es könnte ja sein, daß es zu Protesten kommt, die die Regierung hinwegfegen und das Abkommen ungültig machen. Bei den Dimensionen Islands ist das durchaus möglich.
Die jetzigen Bedingungen wären gewesen, daß Island diese Schuld bis 2046 mit 3 bzw. 3,3% Zinsen zurückzahlen müßte.
Diesmal haben nicht einmal 60% dagegen gestimmt, und ca 40% dafür. Das zeigt, daß sich bei den Isländern langsam „die Vernunft durchsetzt“, wie es bei Kommentatoren aller Art so schön heißt. Die isländische Regierung jammert zwar über den Ausgang, aber sieht insgeheim bereits Land – bei der nächsten Abstimmung kriegen wir sie dann herum!
(Man kennt das ja. Zeigt sich das liebe Volk unvernünftig, so stimmt man halt so lange ab, bis es zur Einsicht gekommen ist, und setzt dabei die geballte Propagandamaschinerie in Bewegung. Dänemark, Irland … )
Irgendwann muß Island nämlich diese Schuld übernehmen. Ansonsten ist es von den internationalen Finanzmärkten abgeschnitten und kriegt nirgends mehr Kredit. Seine Währung ist dann auch nicht mehr konvertibel, und niemand investiert dort. Und für Autarkie ist die Insel aus Feuer und Eis ungeeignet …

Euro-Länder mit Schuldenproblemen

STAATSKREDIT ALS DAUERKRISE
Da ja auf der Welt derzeit einiges los ist, gerät die Eurozone ein bißl ins zweite Glied. Aber was ist eigentlich mit dem Euro los?
Während Portugal jetzt an der Frontlinie für eine Art Zwangsernährung steht, hört man von den zwei anderen bisher Gestrauchelten der Staatsschuldenkrise auch nichts Gutes: Griechenland besteuert zwar, was nur geht, und streicht Ausgaben, wo es nur kann – was ja zu seinen „Hausaufgaben“ gehört und in dem „Hilfspaket“ explizit vorgeschrieben war. Dadurch ist jedoch die Wirtschaftsleistung und der Konsum, wie nicht anders zu erwarten, deutlich zurückgegangen und Griechenland stellt fest, daß es seine Defizit-Ziele auch für 2010 nicht wird einhalten können.
Ähnlich mit Irland, wo die Regierung weiter Geld in den Banksektor pumpen muß, der sich mit Immobilienspekulationen so übernommen hat, daß dort offenbar weiterhin Not am Mann ist, und sie ungefähr noch einmal so viel brauchen wie Ende vorigen Jahres, als 25 Mrd. Euro fällig waren. Und es ist nicht garantiert, daß damit dann der Geldbedarf gedeckt ist. Man führe sich also vor Augen: Die irischen Banken haben jede Menge Hypothekarkredite vergeben und dadurch die Immobilienpreise in Irland in die Höhe getrieben. Dann ist die ganze Sache geplatzt, sie sind zum Staat gelaufen und haben sich ihre Verluste aus der Staatskasse irgendwie begleichen lassen, und die irische Regierung war auf einmal pleite und mußte zur EU gehen und sich dort Geld ausborgen. Angeblich hat sie auch eigene Euro-Banknoten gedruckt, aber das wurde nicht an die große Glocke gehängt. Das könnte den Euro in Mißkredit bringen. Aber auch ohne das: Der EU-Kredit wird also jetzt – in nicht geringem Maße – dafür strapaziert, um irischen Banken über ihre mißlungene Immobilienspekulation hinwegzuhelfen. Eine sehr vergangenheitsbezogene und wenig zukunftsreiche Perspektive.
In Portugal ist gar nicht viel schiefgegangen. Es hat allerdings auch wenig geklappt. Als Portugal 1986 der EG beitrat, wollte es sich als Billiglohnland attraktiv machen und darüber eine Industrialisierung hinkriegen, die bis dahin unterblieben war. Die Chancen standen gar nicht schlecht, aber dann kollabierte der Ostblock und auf einmal war Europa voll mit Billiglohnländern, die einander unterboten und auch etwas günstiger lagen als das doch etwas in Randlage befindliche Portugal. Dann wurde Portugals Infrastruktur mit jeder Menge EU-Förderungen aufgepäppelt, mit der allgemeinen und gern geglaubten Illusion, dann würden sich die Investoren schon einstellen. Um diese EU-Förderungen zu erhalten, muß ein Land aber immer auch einen gewissen Anteil an Eigenmitteln aufweisen. Diese wurden durch Staatsverschuldung aufgestellt. Die portugiesischen Regierungen haben wirklich nichts unterlassen, um sich in den Blickpunkt des Interesses zu begeben: Eine Weltausstellung in Lissabon 1998, eine Fußball-Europameisterschaft 2004 – alles Investitionen, die darauf abzielen, daß das Land vom Kapital entdeckt und aus seinem agrarischen Dornröschenschlaf wachgeküßt wird. Für den Ausbau des Tourismus wurde ebenfalls viel getan: fast die ganze Südküste ist eine einzige durchgehende Mauer aus Hotels, und im letzten Jahrzehnt setzte auch eine heftige Bautätigkeit ein, wobei niemand allzu genau nachschaute, woher das investierte Geld stammte.
Auch Portugals Zahlungsnöte waren schon voriges Jahr Thema. Jetzt steht jedoch das als „Umschuldung“ bezeichnete Ereignis vor der Tür, bei dem alte Staatsanleihen auslaufen – „abreifen“ – und ausgezahlt werden müssen. Und um die zu bezahlen, muß Portugal neue Anleihen ausgeben. Die werden aber von den Akteuren der Geldmärkte als so riskant eingestuft, daß sie immer höhere Zinsen versprechen müssen, um Käufer zu finden.
Als Retter in der Not präsentieren sich unter anderem Brasilien und China, die hier ihre Chance gekommen sehen, ihre Devisenreserven durch Euro-Anleihen aufzustocken, damit ihre Währungen zu stützen und sich gleichzeitig in der Eurozone breitzumachen.
Auch über den EU-Krisenfonds sollen von der EZB portugiesische Anleihen gekauft werden. Außerdem gibt die EU als politisches Statement die Garantie ab, daß portugiesische Anleihen weiter gültig bleiben, also bezahlt werden. Das heißt, genauso wie bei Griechenland und Irland, daß diese Papiere zeitlich bis ins Unendliche gestützt werden. Der EU-Kredit wird damit sozusagen unbegrenzt ausgeweitet. Das ist bedenklich, da der Trend in der Eurozone nach weiterer Zahlungsunfähigkeit aussieht, also immer weniger solvente Staaten mit immer weniger Produktion eine steigende Anzahl von zahlungsunfähigen Staaten stützen, und das innerhalb einer Währungszone, die sich einst angeschickt hatte, ihr Gemeinschaftsgeld zur Weltwährung Nr. 1 zu machen.
Den Währungshütern und Politikern derjenigen Euro-Staaten, die den Kredit gewähren, ist diese Spirale, auf die sich eingelassen haben, nicht entgangen. Deswegen haben sie sich für diese jeweiligen nationalen Rettungspakete Bedingungen hineingeschrieben, die bedeutende Eingriffe in die Fiskalpolitik eines Staates darstellen. Diese Staaten bzw. ihre Budgets sollen „gesundgeschrumpft“ werden, was sie zusehends als Märkte und überhaupt funktionierende Nationalökonomien in Frage stellt, da verringerten Ausgaben notgedrungen auch verringerte Einnahmen gegenüberstehen. Auch diese Maßnahme des Eingriffs in die Souveränität, so bitter sie für die Bevölkerung der betroffenen Staaten sein mag, ist kein Mittel zum Erreichen des angestrebten Zwecks, den Euro wieder solide zu machen. Es verhindert nur seinen Crash, oder schiebt ihn hinaus.
Und in der Warteschlage stehen schon die nächsten Kandidaten für Kredithilfe: Spanien hat angeblich uneinbringliche Hypothekarkredite, die die Höhe des jährlichen BIP überschreiten, einen Sparkassensektor, der bisher praktisch ohne Eigenkapital funktioniert, aber sich eifrig im Immobiliengeschäft herumgetrieben hat, und in den Kellern der spanischen Banken kugeln große Mengen portugiesischer Staatsanleihen herum.